Richard Wagner
Lohengrin
Richard Wagner

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Erster Akt

Eine Aue am Ufer der Schelde bei Antwerpen. Der Fluß macht dem Hintergrund zu eine Biegung, so daß rechts durch einige Bäume der Blick auf ihn unterbrochen wird und man erst in weiterer Entfernung ihn wieder sehen kann.

(Im Vordergrund sitzt König Heinrich unter einer mächtigen alten Eiche (Gerichtseiche), ihm zunächst stehen sächsische und thüringische Grafen, Edle und Reisige, welche des Königs Heerbann bilden. Gegenüber stehen die brabantischen Grafen und Edlen, Reisige und Volk, an ihrer Spitze Friedrich von Telramund, zu dessen Seite Ortrud. Die Mitte bildet ein offener Kreis. Der Heerrufer des Königs und vier Hornbläser schreiten in die Mitte. Die Bläser blasen den Königsruf.)

Der Heerrufer
Hört! Grafen, Edle, Freie von Brabant!
Heinrich, der Deutschen König, kam zur Statt,
mit euch zu dingen nach des Reiches Recht.
Gebt ihr nun Fried' und Folge dem Gebot?

Die Brabanter
Wir geben Fried' und Folge dem Gebot.
Willkommen, willkommen, König, in Brabant!

König Heinrich (erhebt sich)
Gott grüß' euch, liebe Männer von Brabant!
Nicht müßig tat zu euch ich diese Fahrt!
Der Not des Reiches seid von mir gemahnt!
Soll ich euch erst der Drangsal Kunde sagen,
die deutsches Land so oft aus Osten traf?
In fernster Mark hießt Weib und Kind ihr beten:
»Herr Gott, bewahr uns vor der Ungarn Wut!«
Doch mir, des Reiches Haupt, mußt' es geziemen,
solch wilder Schmach ein Ende zu ersinnen;
als Kampfes Preis gewann ich Frieden auf
neun Jahr – ihn nützt' ich zu des Reiches Wehr;
beschirmte Städt' und Burgen ließ ich baun,
den Heerbann übte ich zum Widerstand.
Zu End' ist nun die Frist, der Zins versagt –
mit wildem Drohen rüstet sich der Feind.
Nun ist es Zeit, des Reiches Ehr' zu wahren;
ob Ost, ob West, das gelte allen gleich!
Was deutsches Land heißt, stelle Kampfesscharen,
dann schmäht wohl niemand mehr das Deutsche Reich!

Die Sachsen und Thüringer
Wohlauf! Mit Gott für Deutschen Reiches Ehr!

Der König (hat sich wieder gesetzt)
Komm' ich zu euch nun, Männer von Brabant,
zur Heeresfolg' nach Mainz euch zu entbieten,
wie muß mit Schmerz und Klagen ich ersehn,
daß ohne Fürsten ihr in Zwietracht lebt!
Verwirrung, wilde Fehde wird mir kund;
drum ruf ich dich, Friedrich von Telramund!
Ich kenne dich als aller Tugend Preis,
jetzt rede, daß der Drangsal Grund ich weiß.

Friedrich
Dank, König, dir, daß du zu richten kamst!
Die Wahrheit künd' ich, Untreu' ist mir fremd.
Zum Sterben kam der Herzog von Brabant,
und meinem Schutz empfahl er seine Kinder,
Elsa, die Jungfrau, und Gottfried, den Knaben;
mit Treue pflog ich seiner großen Jugend,
sein Leben war das Kleinod meiner Ehre.
Ermiß nun, König, meinen grimmen Schmerz,
als meiner Ehre Kleinod mir geraubt!
Lustwandelnd führte Elsa den Knaben einst
zum Wald, doch ohne ihn kehrte sie zurück;
mit falscher Sorge frug sie nach dem Bruder,
da sie, von ungefähr von ihm verirrt,
bald seine Spur – so sprach sie – nicht mehr fand.
Fruchtlos war all Bemühn um den Verlornen;
als ich mit Drohen nun in Elsa drang,
da ließ in bleichem Zagen und Erbeben
der gräßlichen Schuld Bekenntnis sie uns sehn.
Es faßte mich Entsetzen vor der Magd;
dem Recht auf ihre Hand, vom Vater mir
verliehn, entsagt' ich willig da und gern
und nahm ein Weib, das meinem Sinn gefiel:

(Er stellt Ortrud vor, die sich vor dem König verneigt.)

Ortrud, Radbods, des Friesenfürsten Sproß.

(Er schreitet feierlich einige Schritte vor)

Nun führ' ich Klage wider Elsa von
Brabant; des Brudermordes zeih' ich sie.
Dies Land doch sprech' ich für mich an mit Recht,
da ich der Nächste von des Herzogs Blut,
mein Weib dazu aus dem Geschlecht, das einst
auch diesen Landen seine Fürsten gab.
Du hörst die Klage, König! Richte recht!

Alle Männer
Ha, schwerer Schuld zeiht Telramund!
Mit Grausen werd' ich der Klage kund!

Der König
Welch fürchterliche Klage sprichst du aus!
Wie wäre möglich solche große Schuld?

Friedrich
O Herr, traumselig ist die eitle Magd,
die meine Hand voll Hochmut von sich stieß.
Geheimer Buhlschaft klag' ich drum sie an:
Sie wähnte wohl, wenn sie des Bruders ledig,
dann könnte sie als Herrin von Brabant
mit Recht dem Lehnsmann ihre Hand verwehren
und offen des geheimen Buhlen pflegen.

Der König (durch eine ernste Gebärde Friedrichs Eifer unterbrechend)
Ruft die Beklagte her!
Beginnen soll nun das Gericht!
Gott laß mich weise sein!

Der Heerrufer (schreitet feierlich in die Mitte)
Soll hier nach Recht und Macht Gericht gehalten sein?

Der König (hängt mit Feierlichkeit den Schild an der Eiche auf)
Nicht eh'r soll bergen mich der Schild,
bis ich gerichtet streng und mild!

Alle Männer (die Schwerter entblößend, welche die Sachsen und Thüringer vor sich in die Erde stoßen, die Brabanter flach vor sich niederstrecken.)
Nicht eh'r zur Scheide kehr' das Schwert,
bis ihm durch Urteil Recht gewährt!

Der Heerrufer
Wo ihr des Königs Schild gewahrt,
dort Recht durch Urteil nun erfahrt!
Drum ruf ich klagend laut und hell:
Elsa, erscheine hier zur Stell'!

(Elsa tritt auf in einem weißen, sehr einfachen Gewande; sie verweilt eine Zeitlang im Hintergrunde, dann schreitet sie sehr langsam und mit großer Verschämtheit der Mitte des Vordergrundes zu; Frauen, sehr einfach weiß gekleidet, folgen ihr, diese bleiben aber zunächst im Hintergrunde an der äußersten Grenze des Gerichtskreises.)

Die Männer
Seht hin! Sie naht, die hart Beklagte!
Ha! Wie erscheint sie so licht und rein!
Der sie so schwer zu zeihen wagte,
wie sicher muß der Schuld er sein!

Der König
Bist du es, Elsa von Brabant?

(Elsa neigt das Haupt bejahend.)

Erkennst du mich als deinen Richter an?

(Elsa wendet ihr Haupt nach dem König, blickt ihm ins Auge und bejaht dann mit vertrauensvoller Gebärde.)

So frage ich weiter:
Ist die Klage dir bekannt,
die schwer hier wider dich erhoben?

(Elsa erblickt Friedrich und Ortrud, erbebt, neigt traurig das Haupt und bejaht.)

Was entgegnest du der Klage?

(Elsa durch eine Gebärde: »Nichts!«)

So bekennst du deine Schuld?

Elsa (blickt eine Zeitlang traurig vor sich hin)
Mein armer Bruder!

Alle Männer
Wie wunderbar! Welch seltsames Gebaren!

Der König
Sag, Elsa! Was hast du mir zu vertraun?

Elsa (in ruhiger Verklärung vor sich hinblickend)
Einsam in trüben Tagen
hab' ich zu Gott gefleht,
des Herzens tiefstes Klagen
ergoß ich im Gebet.
Da drang aus meinem Stöhnen
ein Laut so klagevoll,
der zu gewalt'gem Tönen
weit in die Lüfte schwoll:
Ich hört' ihn fernhin hallen,
bis kaum mein Ohr er traf;
mein Aug' ist zugefallen,
ich sank in süßen Schlaf.

Alle Männer
Wie sonderbar! Träumt sie? Ist sie entrückt?

Der König (als wolle er Elsa aus dem Traume wecken)
Elsa, verteid'ge dich vor dem Gericht!

(Elsas Mienen gehen von dem Ausdruck träumerischen Entrücktseins zu dem schwärmerischer Verklärung über.)

Elsa
In Lichter Waffen Scheine
ein Ritter nahte da,
so tugendlicher Reine
ich keinen noch ersah:
Ein golden Horn zur Hüften,
gelehnet auf sein Schwert –
so trat er aus den Lüften
zu mir, der Recke wert;
mit züchtigem Gebaren
gab Tröstung er mir ein;
des Ritters will ich wahren,
er soll mein Streiter sein!

Alle Männer
Bewahre uns des Himmels Huld,
daß klar wir sehen, wer hier schuld!

Der König
Friedrich, du ehrenwerter Mann,
bedenke wohl, wen klagst du an?

Friedrich
Mich irret nicht ihr träumerischer Mut;
ihr hört, sie schwärmt von einem Buhlen!
Wess' ich sie zeih', dess' hab' ich sichren Grund.
Glaubwürdig ward ihr Frevel mir bezeugt;
doch eurem Zweifel durch ein Zeugnis wehren,
das stünde wahrlich übel meinem Stolz!
Hier steh' ich, hier mein Schwert! Wer wagt von euch,
zu streiten wider meiner Ehre Preis!

Die Brabanter
Keiner von uns! Wir streiten nur für dich!

Friedrich
Und, König, du! Gedenkst du meiner Dienste,
wie ich im Kampf den wilden Dänen schlug?

Der König
Wie schlimm, ließ' ich von dir daran mich mahnen!
Gern geb' ich dir der höchsten Tugend Preis;
in keiner andern Hut, als in der deinen,
möcht' ich die Lande wissen. Gott allein
soll jetzt in dieser Sache noch entscheiden!

Alle Männer
Zum Gottesgericht!
Zum Gottesgericht!
Wohlan!

Der König
Dich frag' ich, Friedrich, Graf von Telramund!
Willst du durch Kampf auf Leben und auf Tod
im Gottesgericht vertreten deine Klage?

Friedrich
Ja!

Der König
Und dich nun frag' ich, Elsa von Brabant!
Willst du, daß hier auf Leben und auf Tod
im Gottesgericht ein Kämpe für dich streite?

Elsa (ohne die Augen aufzuschlagen)
Ja!

Der König
Wen wählest du zum Streiter?

Friedrich
Vernehmet jetzt
den Namen ihres Buhlen!

Die Brabanter
Merket auf!

Elsa (hat Stellung und schwärmerische Miene nicht verlassen; alles blickt mit Gespanntheit auf sie)
Des Ritters will ich wahren,
er soll mein Streiter sein!

(Ohne sich umzublicken.)

Hört, was dem Gottgesandten
ich biete für Gewähr:
In meines Vaters Landen
die Krone trage er;
mich glücklich soll ich preisen,
nimmt er mein Gut dahin –
will er Gemahl mich heißen,
geb' ich ihm, was ich bin!

Alle Männer (unter sich)
Ein schöner Preis, stünd' er in Gottes Hand!
Wer für ihn stritt', wohl setzt' er schweres Pfand!

Der König
Im Mittag hoch steht schon die Sonne:
So ist es Zeit, daß nun der Ruf ergeh'!

(Der Heerrufer tritt mit den vier Heerhornbläsern vor, die er, den vier Himmelsgegenden zugewendet, an die äußersten Grenzen des Gerichtskreises vorschreiten und so den Ruf blasen läßt.)

Der Heerrufer
Wer hier im Gotteskampf zu streiten kam
für Elsa von Brabant, der trete vor,
der trete vor!

(Langes Stillschweigen. Elsa, welche bisher in ununterbrochen ruhiger Haltung verweilt, zeigt entstehende Unruhe der Erwartung.)

Alle Männer
Ohn' Antwort ist der Ruf verhallt!

Friedrich (auf Elsa deutend)
Gewahrt, ob ich sie fälschlich schalt?

Alle Männer
Um ihre Sache steht es schlecht!

Friedrich
Auf meiner Seite bleibt das Recht!

Elsa (etwas näher zum König tretend)
Mein lieber König, laß dich bitten,
noch einen Ruf an meinen Ritter!
Wohl weilt er fern und hört' ihn nicht.

Der König (zum Heerrufer)
Noch einmal rufe zum Gericht!

(Auf das Zeichen des Heerrufers richten die Heerhornbläser sich wieder nach den vier Himmelsgegenden.)

Der Heerrufer
Wer hier im Gotteskampf zu streiten kam
für Elsa von Brabant, der trete vor,
der trete vor!

(Wiederum langes, gespanntes Stillschweigen.)

Alle Männer
In düstrem Schweigen richtet Gott!

(Elsa sinkt zu inbrünstigem Gebet auf die Knie. Die Frauen, in Besorgnis um ihre Herrin, treten etwas näher in den Vordergrund.)

Elsa
Du trugest zu ihm meine Klage,
zu mir trat er auf dein Gebot:
O Herr, nun meinem Ritter sage,
daß er mir helf in meiner Not!

Die Frauen (auf die Knie sinkend)
Herr! Sende Hilfe ihr!
Herr Gott! Höre uns!

Elsa
Laß mich ihn sehn, wie ich ihn sah,

(Mit freudig verklärter Miene.)

wie ich ihn sah, sei er mir nah!


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