Oskar Wächter
Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland
Oskar Wächter

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Erster Abschnitt. Zwei Erzählungen.

Die technischen Ausdrücke finden ihre Erklärung im zweiten Abschnitt.

I. Auf roter Erde.

Die üppigen Kornfelder reiften der Ernte entgegen. Auf den stattlichen Bauerhöfen, unter dem Schatten der Eichen und Linden entfaltete sich reges Leben. Es war zu Anfang Juli im Jahr 1425. Die hellstrahlende Morgensonne hatte schon den Tau von den Wiesen genommen, die Lerchen jubelten unter dem blauen Himmel.

Zwei Wanderer gingen raschen Schrittes auf der Landstraße zwischen Soest und Unna. Der ältere, Hermann Grote, ein stattlicher Bauer, etwa sechzig Jahre alt, der jüngere, Gerhard Struckman, Doktor der Rechte zu Soest, beide in eifrigem Gespräch. »Wenn Heineman Weffer,« begann Struckman nach einer Pause, »den Johann Laske wirklich erschlagen hat, so wird wohl kein Zeuge dabei gewesen, er selbst aber der That nicht geständig sein. Dieser Mord hat viel Redens gemacht durch ganz Westfalen. Aber es wurden von der Obrigkeit keine weitern Schritte gethan, auch ist kein Haftbefehl erlassen werden. Ueberall hieß es: die Vehme wird's an Tag bringen. In andern Ländern würde man Verdächtige eingekerkert, in hartem Gefängnis mürbe gemacht, durch die peinliche Frage zum Geständnis gemartert haben. Nichts von alledem. Man hat nur gehört, daß der Freistuhl auf Anklage eines Schöffen Ladung gegen den der That verdächtigen Weffer erlassen habe. Und – wird er sich stellen? wird es zum Spruch kommen und zum Vollzug?« – »Ihr seid ein Gelehrter,« entgegnete Grote, »und haltet vielleicht nicht viel auf unsern Rechtsgang. Aber – folgt Weffer der Vorladung und wird er auf gichtigen Mund oder auf Eid des Klägers gerichtet, so scheint ihm die Abendsonne nicht mehr.«

»Als ich« – nahm Struckman nach einer Pause das Wort – »von meinen Studien und Reisen wieder in die Heimat kam, nachdem ich in andern Ländern den Rechtsgang gesehen, da erkannte ich, daß unsere uralten Volksgerichte mit mehr Kraft und Erfolg für Recht und Gerechtigkeit wirken, als die geschriebenen Gesetze und die gelehrten Richter irgendwo es vermögen. Die heimliche Acht ist für jeden Unwissenden in undurchdringliches Geheimnis gehüllt, und doch tagt sie unter freiem Himmel bei lichtem Sonnenschein, hat keine bewaffneten Häscher, hat weder Gefängnis noch Folter – aber es folgt die Ladung, und wenn er sie verachtet, das Urteil dem Schuldigen vom Meer bis zu den Alpen, bis es ihn trifft, unfehlbar mit tötlichem Stoß. – Ich bin noch nicht Wissender und es sei ferne, daß ich euch mit unziemlicher Frage lästig werde. Indes könnt ihr mir wohl sagen, ob es dem unwissenden Manne gestattet ist, dem offnen Ding anzuwohnen?«

»Auf diese Frage« – erwiderte Grote – »will ich euch gerne Bescheid geben. Das freie Gericht unter Königsbann handelt im offnen Ding über den Angeklagten, wenn er der Ladung gehorsamt und nicht selber ein Freischöffe ist. Weffer ist kein wissender Mann. Stellt er sich also ein, so bleibt allen Freien der Umstand unverboten. Im andern Falle läßt der Freigraf durch den Freifrohnen die heimliche Acht entbieten, und welcher Unwissende danach im Umkreis des Freistuhls getroffen wird, hat sein Leben verwirkt. Ein mehreres darf ich euch nicht sagen, denn jeder Schöffe muß der heiligen Vehme Heimlichkeit wahren. Wir sind jetzt am Königsweg, der zum Freistuhl führt. Nun mögt ihr auf euer eigen Abenteuer weiter gehen. Gehabt euch wohl, gegen Abend mag sein, daß wir uns wieder treffen.«

Mit diesen Worten verließ Grote seinen Begleiter und gesellte sich zu mehreren Hofbesitzern, die gleichfalls den Königsweg einschlugen. Auch sie waren Freischöffen. Bald hatten sie den Hügel erreicht, auf dessen Gipfel ein alter Hagedorn den steinernen Tisch überschattete. Der Tisch war auf drei Seiten von einer steinernen Bank umgeben. Auf dem Tische lag ein blankes Schwert und ein von Weiden geflochtener Strick. Der Freigraf Lord Hake, ein bäuerlicher Mann von ehrwürdigem Ansehen, und die erschienenen Freischöffen, zwanzig an der Zahl, nahmen Platz. Der Freigraf richtete an den Freifrohnen die üblichen Fragen wegen der rechten Besetzung des Gerichts, der Befugnis des Freistuhls, den Königsbann zu üben, und der ordnungsmäßigen Ladung des Angeklagten; nach gegebner Antwort auf alle diese Fragen ließ der Freigraf den Ankläger und den Angeklagten wegen Ermordung des Johann Laske von Unna zum offnen gebotenen Ding aufrufen. Der Freifrohne verkündigte hierauf, daß als Ankläger erschienen sei Berndt Kopper, Freischöffe zu Unna, auch der Angeklagte in Person. Da nun, ließ der Freigraf ansagen, das Gericht über einen anwesenden unwissenden Mann zu halten obliege, so werde die Verhandlung im offnen Ding eröffnet und sei jedem freien großjährigen Manne der Zugang verstattet.

Lautes Murmeln durchflog den Umstand, die zahlreich sich herandrängenden Männer, die aus der Nähe und Ferne gekommen waren, – als Heineman Weffer, ein hagerer Mann von 30 Jahren mit stechenden grauen Augen und rotem Vollbart, kecken Schrittes auf den Freistuhl zuschritt.

Lautlose Stille lag auf der Menge, als der Freigraf dem Berndt Kopper das Wort erteilte und dieser nun vortrug, daß er kraft der allgemeinen Rügepflicht der Freischöffen Klage erhebe gegen Heineman Weffer. Dieser sei am Sonntag nach Ostern abends mit Johann Laske im Krug vor dem Walde gesessen bis der Mond aufgegangen und mit ihm aufgebrochen; zwischen beiden seien heftige Worte gefallen. Am andern Morgen fand man den Laske im Wald erstochen, nicht weit von dem Toten ein Messer, welches Weffer kurz vorher in Unna gekauft habe. Weffer habe den Mord verübt. Uebrigens weise auch das ganze Benehmen des Angeklagten auf seine Schuld; er sei nach der That ruhelos umhergelaufen und habe oft bei Nacht, wie von dem Hauswirt erzählt worden, laut aufgeschrieen, offenbar von schwerer Angst gepeinigt. Als der Verdacht auf ihn gefallen und die Ladung der Vehme ergangen, da sei er stundenlang in dumpfes Brüten versunken und daraus wie in jähem Schreck wieder aufgefahren. Daß er nun heute persönlich erscheine, beweise keineswegs, daß er sich schuldlos fühle, sondern nur, daß er nicht zu entfliehen vermöge, wisse er ja doch, daß, wenn er nicht erschiene, er unfehlbar der Acht und dem Tode verfalle; nicht entfliehen lasse ihn aber auch der Zeuge im Innern, das belastete Gewissen. Kläger erbiete sich, seine Anklage nach allen Teilen mit zwei Eidhelfern zu beschwören, und sollte der Angeklagte dawider sechs Eidhelfer finden, so wolle Kläger die sieben Hände mit vierzehn Eiden echter Freischöffen niederlegen und überbieten.

Der Freigraf ordnete dem Angeklagten einen Vorsprecher aus der Zahl der Schöffen bei und forderte ihn auf, durch dessen Mund sich seines Lebens und höchster Ehre wegen zu verantworten. Weffer gab kurz und barsch die Erklärung, daß er völlig in Abrede stelle, der That schuldig zu sein, welcher man ihn aus arger Mißgunst zeihe.

Der Freigraf ließ ihm nun das Messer, welches in der Nähe des Ermordeten gefunden worden war, vorweisen und verlangte, daß Weffer dasselbe in seine rechte Hand nehme. Zögernd that dies der Angeklagte und in diesem Augenblick verließ ihn seine Fassung, – sichtlich erbleichte er, – doch gab er das Messer mit dem Bedeuten zurück, er habe dasselbe nie besessen.

Hierauf wurde dem Ankläger verstattet, nach Freistuhls Recht mit seinen zwei Eidhelfern unter Vorhalten des Schwertes feierlich zu beschwören, daß sie die Anklage für wahr und durchaus glaubhaft halten.

Der Kläger und Angeklagte traten zurück. Der Freigraf bezeichnete den Schöffen Hermann Grote als Urteilsfinder. Dieser ging weg, gefolgt von den Freischöffen, mit denen er sich kurze Zeit beriet, dann wiederkam, und nachdem die Schöffen ihren Platz wieder eingenommen, sich bereit erklärte, das Urteil zu schelten. Die Schöffen erhoben sich und wiesen für Recht, und ihren Spruch verkündigte der Freigraf: daß man den Angeklagten Heineman Weffer solle nehmen und hängen ihn an den nächsten Baum zwischen Himmel und Erde.

Der Freigraf nahm den Weidenstrick vom Tische, übergab ihn dem Freifrohnen, dieser den beiden jüngsten Schöffen, und nun ergriffen sie den Verurteilten und führten ihn weg.

Nach kurzer Weile kam der Frohnbote wieder, legte einen neuen aus Weiden geflochtenen Strick zu dem Schwert auf den Tisch und der Freigraf eröffnete die Gerichtssitzung wieder. Zwei Boten des Freistuhls, welche eine Ladung zu überbringen gehabt, waren von den Bürgern einer kleinen Stadt am Rhein ihres Auftrags wegen gefangen gehalten worden. Die Anklage wurde vorgetragen und als »Vehmwroge« erklärt, auch festgestellt, daß die Ladung an die angeschuldigten Bürger ordnungsmäßig ergangen und die Frist von 6 Wochen und 3 Tagen verstrichen sei. Dreimal wurden die Beklagten aufgerufen, sie waren nicht erschienen. Das Gericht mußte versammelt bleiben und ihrer warten, bis die Sonne auf dem höchsten stand. Nun verwandelte sich das offne Ding in das Stillgericht, die heimliche Acht. Der Vehmfrohne entbot jedem unwissenden Manne, sich zu entfernen.

Als gegen Abend Grote den Heimweg angetreten, traf er am Königsweg auf Struckman, welcher ihn hier erwartete und seine Befriedigung über das, was er gesehen und gehört, aussprach. »Ich sah den verurteilten Weffer zwischen Himmel und Erde hängen und ich weiß, daß die Vehme recht gerichtet hat. Mit solchen Gerichten ist Westfalen gut versorgt und ihr bedürfet fürwahr nicht der Rechtsgelehrten und ihres Rates.«

II. Macht in die Ferne.

Im Oktober des Jahres 1429 wurde zu Nürnberg eine gar stattliche Hochzeit gehalten. Der Ratsherr Tucher verheiratete seine jüngste Tochter Mechtild an den Bürgermeister Pferinger von Nördlingen. Aus weiter Ferne kamen die Gäste herbei. Die Herbergen waren von Pferden und Reisigen besetzt. Denn in jenen Zeiten des Faustrechts schien es nicht geraten, ohne Bedeckung zu reisen. Besonders lebhaft war es in der Herberge »zur goldenen Au«. Sie lag dicht am Thor, wo die Landstraße nach Nördlingen einmündete. Der geräumige Saal faßte kaum die Gäste, die ihr Mittagsbrot heischten und dem Würzburger Weine, der hier verzapft wurde, tüchtig zusprachen. Viele von ihnen schienen Kaufleute zu sein.

An einem kleinen Tisch im Erker saß ein großer blonder Mann in bäuerlicher Tracht. Seine kleinen blauen Augen musterten mit scharfem Blicke die Gäste. Einer der Eintretenden schien seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er trug einen Jagdanzug und auf der Schulter die Büchse, die er an der Wand aufhing und sich nun dem Bauersmann gegenüber setzte mit leichtem Gruß. Beiden wurde das Mittagessen vorgesetzt. Der Jäger nahm das Messer, welches neben seinem Teller lag, auf und legte es so, daß es mit der Spitze gegen seine Brust zielte, und sah dabei seinen Nachbar an. Dieser legte in demselben Augenblick sein Messer in derselben Weise. Zwischen beiden entspann sich eine Unterhaltung. »Nach eurer Kleidung zu schließen,« sprach der Jäger, »seid ihr nicht aus dieser Gegend.« »So ist's,« antwortete der andre; »ich komme vom Niederrhein und habe ein Geschäft hier in Nürnberg.«

Beide verzehrten schweigend ihr Mahl und leerten ihre Krüge. Der Jäger stand auf und trat zu seinem Gewehr. Der andre folgte ihm, trat neben ihn, legte seine rechte Hand auf des andern linke Schulter und sagte leise: »Ich grüß euch, lieber Mann, was fangt ihr hier an?« Sofort legte der Jäger gleichfalls die rechte Hand auf des Bauern linke Schulter und erwiderte, den andern Gästen unvernehmbar: »Alles Glücke kehren ein, wo die Freienschöppen sein!« Darauf sprach der Jäger die Worte: »Strick, Stein« und der andre sagte dazu: »Gras, Grein«.

»Erlaubt mir, daß ich euch begleite,« sagte der Bauer und beide verließen den Saal und gingen schweigend ins Freie. Hier unter den Bäumen vor dem Thor nahm der Bauersmann wieder das Wort: »Es ist mir lieb, daß ihr ein Wissender seid. Könnt ihr hier abkommen?«

Darauf der Jäger: »Habe mich auch auf roter Erde zu Dortmund unter der Linde wissend machen lassen. Aber was ist euer Begehr?«

»Ich heiße Konrad Oilpe, wohne ganze nahe bei Dortmund und habe eine Sache an den Kuntz von Schweinsberg. Falls ihr den kennen möchtet?«

»Und ich bin Friedrich von Eberbach, ansässig zwei Stunden von hier auf Burg Eberbach. Den Schweinsberg kenne ich wohl und habe etlichemal ihn bei Gefreundten getroffen. Er ist kurzer Hand und macht nicht viel Worte.«

»Ist euch auch kund worden,« begann Oilpe wieder, »daß Herr Kuntz vor nun gerade einem Jahr zwei Kaufleute auf offner Straße überfallen, den einen erschlagen, den andern auf Lösegeld festgesetzt hat?«

»Habe davon vernommen,« antwortete der von Eberbach. »Aber wie kommt ihr an die Sache? oder – sollte die heimliche Acht – ?«

»Will es euch berichten,« entgegnete Oilpe, »Herr Kuntz hat seinen Gefangnen drei Monate in einem abscheulichen Verlies festgehalten, bis endlich das Lösegeld – 300 Goldgulden – herbeigeschafft war. Danach hat der Eingekerkerte geklagt, aber gegen den mächtigen Raubritter kein Recht gefunden. Darüber ist er gestorben. Seine Witwe war mit einem Freischöffen verwandt und brachte die Sache vor den Freistuhl zu Dortmund. Sie wurde als Vehmwroge erkannt, die Ladung gegen den Angeklagten ausgefertigt und zweien Freischöffen überantwortet. Diese haben denn auch alsbald die Reise angetreten und da sie zu Nürnberg vernahmen, es sitze der Angeklagte auf einem Schloß, darein man ohne Sorg und Abenteuer nicht kommen möchte; so sind sie bei Nacht vor die Burg des Kuntzen geritten und haben aus dem Rennbaum drei Spähne gehauen und den Ladungsbrief in die Kerben gesteckt und dem Burgwächter zugerufen, sie hätten einen Königsbrief an das Thor gesteckt und er sollte dem, der in der Burg ist, sagen, daß er seines Rechtstags warte an dem freien Stuhl bei den höchsten Rechten und des Kaisers Bann. Das habe denn auch der Burgwächter seinem Herrn berichtet mit großem Schrecken, der aber habe gespottet und gesagt: »Hans, meinst wohl, ich scheue die heilige Vehme? Die soll ihre Boten nicht wieder an mich schicken.« Nun, ihr wisset, wie die Sache weiter verlaufen mußte. Der Geladne erschien nicht. Am letzten Termin hatte man auf ihn gewartet unter der Vehmlinde, bis die Sonne auf dem Höchsten gewesen. Als darauf der Freigraf gefragt, ob niemand von seinetwegen da sei, der ihn verantworten wolle zu seinem Rechte und seiner höchsten Ehre, und niemand vorgetreten, so wurde nun dem Beistand der Witwe gewiesen, daß er die Klage beweisen solle. Der hat denn auch sofort den feierlichen Eid geleistet auf des Freigrafen Schwert vor gespannter Bank mit zwei Eidhelfern, die beschworen, der Ankläger schwöre rein, nicht mein.

Es war aber zur gespannten Bank nicht bloß die nötige Zahl von sieben, es waren zwanzig Schöffen erschienen, und die haben einmütig auf des Freigrafen Frage das Urteil gesprochen, daß der Angeklagte der That schuldig sei. Darauf hat der Freigraf den Kuntz von Schweinsberg vernehmt und gerufen: er weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Tieren und Vögeln in der Luft, ihn zu verzehren, und befehle seine Seele Gott im Himmel in seine Gewalt, wenn er sie zu sich nehmen will, und setze sein Leben und Gut ledig, sein Weib solle Witwe, seine Kinder Waisen sein. Darauf hat der Graf genommen den Strick von Weiden geflochten und ihn aus dem Gerichte geworfen und allen Freischöffen geboten und sie bei ihren Eiden und Treuen, die sie der heimlichen Acht gethan, ermahnt, sobald sie den vervehmten Mann bekommen, daß sie ihn henken sollen an den nächsten Baum, den sie haben mögen, nach aller ihrer Macht und Kraft.

Weil nun der Ankläger, der Freischöffe Niklas vom Steinhof, selber krank geworden und auf den Tod gelegen, hat er mir das Urteil der heimlichen Acht, vom Freigrafen ausgefertigt, zu vollziehen übergeben. Und so bin ich nun hier und ersuche euch bei eurem Eid, daß ihr mir Beistand thun wollet!«

»Weigern darf ich's nicht,« erwiderte Friedrich von Eberbach, »wiewohl es kein leichtes Werk sein wird. Auch müssen wir, wie ihr wisset, noch einen Freischöffen suchen, da nur ihrer dreie miteinander nach Freistuhls Recht den Spruch vollziehen mögen.«

Oilpe ergriff die Rechte des andern und sagte: »Ich kann mich auf euer Wort verlassen. Auch wisset ihr, daß nach Freistuhls Recht, wenn ein Schöffe, den wir aufrufen, des Freigrafen Brief und Siegel stehet, er zur Hilfe verbunden ist, mag es auch gegen Freund und Bruder gehen. Ihr seid hier ortskundig. Suchet einen Wissenden, der uns guten Beistand leisten möge und Gelegenheit schaffen, daß wir den Vervehmten da antreffen, wo ein Baum in der Nähe ist.«

»Ihr möget unbesorgt sein,« erwiderte Friedrich. »Gehet nur wieder in die Herberge zurück; dahin will ich euch ein Brieflein senden und euch bescheiden. Ich suche den Schweinsberg, gehe ins Tuchersche Haus und ehe die zweite Nacht kommt, werden wir den vervehmten Mann fest machen.«

Des andern Tages hielt der Ratsherr Tucher eine Jagd im Forst an der Pegnitz. Unter einem Zelt lagerte die Gesellschaft zum Morgenimbiß in fröhlicher Stimmung. Die Hörner riefen zum Aufbruch – schon sah man einzelne Rehe am Rand der Wiese vorübertreiben. Der Ritter von Schweinsberg, ein starker rothaariger Mann, bestieg sein Pferd. Neben ihm hielt Friedrich von Eberbach. Beide ritten schweigend miteinander in den Wald. »Ihr wollt eine Sache mit mir ausmachen?« begann der von Schweinsberg. »Ich habe nicht lange Zeit.« »So gestattet mir, daß ich noch zwei Männer rufe, die auch zur Sache gehören,« erwiderte Friedrich und stieß plötzlich zweimal in sein Jagdhorn. »Ich ersuche euch aber, mit mir abzusteigen, daß ihr einen Brief lesen möget, der euch nahe angeht.«

In diesem Augenblicke traten zwei Männer eilenden Schrittes heran, Konrad Oilpe und der Ratsherr Tucher. Oilpe näherte sich dem von Schweinsberg, indes Friedrich zum Ratsherrn sich stellte. Oilpe zog das Vehmurteil hervor und hielt es dem von Schweinsberg unter Augen. Dieser erblaßte, griff aber an sein Jagdgewehr und wollte sich zur Wehre setzen. Alsbald fand er sich von den ehernen Fäusten des Westfalen gepackt und an einen Baum gedrückt, daß er sich nicht zu rühren vermochte. Mit schäumendem Mund rief er: »Herr Ratsherr, schützt euren Gast vor meuchlerischem Ueberfall!« Aber Tucher legte die Hand auf seinen Arm und sprach: »Hier ist kein Verrat! ihr seid der kaiserlichen Acht und dem Spruch der heiligen Vehme verfallen. Dawider kann euch nicht die Stadt Nürnberg, noch ich als ein einzelner schützen. Auch bin ich als Schöffe dem Freistuhl pflichtig.«

Und in demselben Augenblick hatte Konrad Oilpe den aus Weiden geflochtenen Strick zur Hand, legte ihn unter Handreichung Eberbachs dem Vervehmten um den Hals und sie henkten den Mann an den Ast einer Eiche. Darauf zog Oilpe ein Messer hervor, das er neben den Geächteten in den Baum steckte.

Der Ratsherr aber ging zu seinen Gästen zurück und gab ihnen zu wissen, daß an der Eiche auf dem Niederbühl der von Schweinsberg durch die Vehme gerichtet sei.

Des andern Tages führte der Bürgermeister von Nördlingen seine junge Frau heim. Der Ratsherr Tucher und einige Freunde des Hauses gaben ihm das Geleite bis zur nächsten Station. Hier sollte der zweite Frühtrunk genommen werden; die warme Herbstsonne lockte die Gäste auf die Wiese vor dem Wirtshaus. Da saßen auch Friedrich von Eberbach und Konrad Oilpe. Beide erhoben sich. Eberbach ging auf den Ratsherrn zu, bot ihm den Willkomm und sagte: »Es ist mir ganz erwünscht, daß ich euch noch einmal treffe, so unlieb es mir und zumeist wohl euch gewesen, daß ich bei der Hochzeit und dem gestrigen Jagen stören mußte. Daran aber trägt die Schuld mein Begleiter Konrad Oilpe, den ich euch hier vorstelle und der mich zum Dank noch ein Stück Weges begleitet hat.«

Tucher und Pferinger zeigten sich erfreut, einen Schöffen vom hochberühmten Dortmunder Freistuhl zu treffen und einen Vertrauten des angesehenen Freigrafen Konrad von Lindenhorst, konnten sie doch nicht wissen, ob nicht heute oder morgen die gewaltige Vehme auch über Nürnberg oder Nördlingen ihre Hand ausstrecken möchte.

»Noch habe ich ein besonderes Anliegen an euch,« sagte Tucher zu Oilpe. »Ich weiß, was es auf sich hat, Freischöffe zu sein, und wünsche, daß auch mein Schwiegersohn von der heimlichen Acht aufgenommen werde. Auch der Rat zu Nördlingen wünscht dasselbe. Nur hat Pferinger noch immer gezögert, nach Westfalen zu reisen, war auch unsicher, an welchen Freistuhl er sich wenden möge.« Pferinger bestätigte das und Oilpe bot ihm die Hand und sagte: »Nun, wohledler Herr Bürgermeister von Nördlingen, lasset es nicht länger anstehen. Wenn der Mai ins Land kommt, so wollet euch aufmachen und nach Dortmund reisen; von da kommt ihr in zwei Stunden auf meinen Hof und sollet als Gast willkommen sein. Ich führe euch zum Freigrafen Lindenhorst und die Sache wird bald im reinen sein.«

Tucher forderte jetzt den Friedrich von Eberbach und Konrad Oilpe auf, noch mit der Frau Bürgermeisterin anzustoßen, die sich denn auch bald mit den Fremden im Gespräch befand. Als von der Reise Pferingers nach Westfalen die Rede war, meinte Eberbach scherzend, vorher müsse er sich versichern, ob seine junge Frau nicht neugierig sei, da er ja, wolle er wissend werden, mit hohem Eidschwur sein Leben verpfände, das Geheimnis der Vehme geheim zu halten »vor Weib und Kind, vor Sand und Wind«. Aber die Bürgermeisterin entgegnete: damit habe es keine Gefahr, dafür sei ihr Gemahl selbst Manns genug. Uebrigens sei sie die Tochter eines Freischöffen und werde es für hohe Ehre achten, auch eines Wissenden Frau zu sein.


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