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Ein Totschläger

1

Er war anders, als sonst Knaben sind, der kleine Said von Abydos; und das war bereits sein Unglück, da er noch ein Kind war. Wenn das andre junge Gesindel Tiere und Vögel quälte, konnte er außer sich geraten. Schon als kleiner Knirps bat er flehentlich: »Tut doch mir lieber weh! Die Tiere können es euch ja nicht sagen, wie weh ihr ihnen tut. Sie sind ja stumm. Nicht wehren können sie sich gegen die Menschen. Die Armen, o die Armen!«

Nicht nur die Knaben von Abydos quälten die Tiere, Kamele, Büffel, Esel; sondern auch die großen Leute. Unbarmherzig schlugen Männer und Frauen auf sie los, warfen sie mit Steinen, bohrten ihnen spitze Stäbe ins Fleisch, erfanden für sie wahre Martern.

Das rechte Fruchtland, das sich vom Nil bis zu den Felsenbergen der libyschen Wüste erstreckt, wurde von einer Vogelwelt belebt, wie kein anderes Gebiet Ägyptens. Auf den Feldern schimmerte das Gefieder der weißen Ibisse; in den Palmen, die über den Zuckerrohrpflanzungen ihre feierlichen Blattwedel schwanken ließen, nisteten Scharen von Wildtauben; auf den die üppigen Gefilde kreuzenden Dämmen liefen bunte Wiedehopfe hin und her und Lerchenchöre erfüllten mit ihrem jubilierenden Gesang die reine Wüstenluft.

Ein von Fruchtbarkeit strotzendes Gartenland lagerte sich vor den gelben Felsenbergen der libyschen Wüste und schmiegte sich wie ein smaragdnes Geschmeide um die schwarzen Schutthügel und Ruinen von Abydos, dieser einstmals hochheiligen Tempelstadt, die ein armseliges Fellachendorf geworden war. Zu den Palmen gesellten sich Feigen und Granaten, und die hochstehenden Saaten reiften schon im Monat März in goldiger Woge der Ernte entgegen. Aber in diesem Paradiese weilte der Mensch.

Bereits die Kinder von Abydos verfertigten aus dem Bast der Dattelpalmen Schleudern, mit denen die ganze Dorfjugend der Vogeljagd oblag. Den lieben langen Tag über tat die Menschenbrut nichts andres als Vögel töten; und Vögel töteten die Hirten, die Wasserschöpfer und Feldarbeiter, so daß es ein beständiges Vogelmorden war, für den kleinen Said ein beständiges Leiden, für welches keine Seele das geringste Verständnis besaß. Wenn der Knabe auf dem großen Damm, der vom Nil zu der ehrwürdigen Ruinenstadt führte, die Schafe seiner Eltern hütete, so dachte er nur an das eine: wie es ihm gelingen könnte, die Vögel vor all den Wurfgeschossen zu retten. Wo und wie er nur konnte, verscheuchte er die kleinen gefiederten Sänger, für welche Rettungstaten er von den enttäuschten Jägern grün und blau geschlagen ward. Das machte ihm jedoch nichts. Je mehr man ihn schlug, um so besser war sein Liebeswerk ihm gelungen.

Von seinen Altersgenossen mochte ihn seiner leidenschaftlichen Tierliebe willen nicht ein einziger leiden; ja, sämtliche Knaben von Abydos waren seine Feinde. Sie haßten den schmächtigen, hilflosen Jungen, und oft traf ihn ein Stein, der einem der von ihm Verscheuchten galt.

Schlimmer noch als das Schleuderspiel war das »Angeln« von Vögeln. Der Vogeljäger befestigte an einer Schnur eine Lockspeise, warf sie aus, und fast sofort hatte eine Haubenlerche, eine Bachstelze oder Meise den Brosamen verschluckt und saß nun fest an der Angel. Weinend lief Said herbei und flehte um Befreiung des Gefangenen, der gerade ihm zum Leide vor seinen Augen langsam zu Tode gemartert ward. Bei solcher Gelegenheit warf sich der Knabe halb sinnlos vor Schmerz auf den Peiniger, als ob er ihn würgen wollte. Unter dem Indianergeheul der Meute schlug man so lange auf ihn los, bis er besinnungslos liegen blieb.

2

Die Leute von Abydos, in dessen grauenvollem Felsengebiet dem Glauben der Alten nach der Eingang in das Totenreich lag, waren fanatische Mohammedaner; weit und breit bekannt durch ihre Glaubensstrenge und ihr starres Festhalten an den Gesetzen des Propheten. Wenn auf dem Minarett der Moschee, die – wie der ganze elende Ort – auf Tempelruinen erbaut war, der Mueddin erschien und die Gläubigen Allahs zum Gottesdienst aufforderte, so war ganz Abydos ein einziges Gotteshaus. Und wer seine Andacht nicht im Heiligtum selbst verrichten konnte, tat dies, wo immer er sich gerade befand. Im Hause und auf der Gasse, auf dem Straßendamm und dem Felde oder in der Wüste breitete der fromme Muslim in Ermangelung eines Betteppichs sein Obergewand aus, warf sich auf beide Kniee, wandte sein Haupt nach den vier Himmelsrichtungen, grüßte die ihn umringenden unsichtbaren Engel und übte den Kult streng nach Vorschrift.

Zu den frommsten Abydosleuten, zu denjenigen, die das Ritual starr nach dem Buchstaben vollzogen, gehörten die Eltern Saids, beschränkte, mühselige Fellahs, von allen die mühseligsten und von allen die frommsten. In großer Dürftigkeit und strenger Gottesgläubigkeit wuchs der Knabe auf, seiner Eltern einziges Kind.

Der allerfrommste Mohammedaner aber quält Tiere; auch solche, die ihm dienen, mit denen er lebt, die seine besten Freunde sind. Aber nicht ein einziger von allen hätte ein Kamel, das in der Wüste todesmatt hinsank, aus Erbarmen mit dem treuen Tiere getötet; denn solches war wider das Gesetz. Der allerfrommste Muselmann ließ das sterbende Tier liegen, ließ es verschmachten, unter Qualen verenden, und zog gelassen seines Wegs als gottesfürchtiger Mann weiter; hatte er doch streng nach dem Gesetz, nach des Gesetzes Buchstaben, gehandelt.

Ein sterbendes Haustier zu töten, war Sünde wider das Gesetz – so ward es Said von Kind an gelehrt.

Doch von Kindheit an mußte er mitansehen, wie Vögel gemartert, wie Lämmer, Schafe und Ziegen mit wahrer Wollust des Tötens gemetzgert wurden. Dann schwelgte der fromme Muselmann in den Todesqualen des geschlachteten Tieres, und der Knabe, der anders war als alle andern Kinder, litt die Sterbepein des Tieres in seinem eigenen unschuldigen Herzen.

Weshalb war er so anders, so ganz anders geartet?

Solchen Andersgearteten ergeht es elend unter den Menschen, die eben Menschen sind, und solche überzarten Seelen müssen eines hundertfachen Todes sterben, bevor sie vom Leben erlöst sind. Denn für solche ist Leben Leiden, ist Sterben Frieden und Glück.

3

Saids Eltern besaßen als bestes Gut eine Eselin, Isis mit Namen. Es war der Name der Göttin der alten Ägypter, was die Leute von Abydos sehr wohl wußten. War doch Abydos die Grabstätte des Osiris, seines ihm vom eigenen Bruder abgeschlagenen Hauptes! Und die Leute von Abydos nannten ihre Eselinnen, ihre Ziegen und Schafe, ihre Kamele und Büffelkühe nach der treuen Gattin des höchsten Gottes ihrer Vorväter.

Mit der Milch dieses Tieres war Said gesäugt worden, denn seine Mutter war bereits bei seiner Geburt eine welke Frau gewesen. So hatte das Neugeborene die Eselin mit dem Namen der großen Göttin zur Amme erhalten.

Der Knabe liebte auf Erden nichts so zärtlich wie seine Ernährerin, die zur Zeit seiner Geburt jung und schmuck war, auch nicht Vater und Mutter, die dem Schmächtigen und Schwächlichen selten ein gutes Wort gaben; wessen Körper so dürftig war, daß er keine Arbeit verrichten konnte, besaß eigentlich gar kein Recht zu leben. Wozu hat der Mensch Kinder? Damit sie für die Eltern arbeiten sollten. Die andern Leute von Abydos, die gesunde und kräftige Kinder hatten, konnten stundenlang, halbe Tage lang auf der Dorfgasse längs der Hausmauern im Sande kauern, Zuckerrohr schmausen und schwatzen. Saids Eltern mußten sich halbe Tage lang für Haus und Feld plagen; Allah hatte sie mit dem kränklichen Knaben gestraft, und sie hatten doch keine Sünde begangen, hatten die Gebote gehalten, die Gebete verrichtet, die Fußwaschungen getan, viele Koransprüche auswendig gelernt und in dem Monat der Geburt des Propheten sämtliche Feste geheiligt. Sie hatten niemals von einem unreinen Tiere gegessen und niemals ein sterbendes und verschmachtendes Tier aus Erbarmen getötet; hatten also lebenslang einen überaus frommen Wandel geführt. Und dann der Knabe Said als einziges Kind! Allein der Umstand, daß bei seiner Geburt der Mutter die Milch versiegte, war ein übles Zeichen gewesen. Sie hatten das Kleine mit der kostbaren Milch der Eselin aufpäppeln müssen, anstatt es mit Brei von schlechtem Durramehl zu füttern; hatten an ihrem Erstgeborenen Gutes über Gutes getan. Und so ward ihnen gelohnt! Dabei blieb der Knabe ihr einziges Kind. Sie mußten sich daher bis zu ihrem Lebensende im Schweiße ihres Angesichts plagen als die Ärmsten der Armen.

Der Junge aber tat nichts! Nichts als in der Sonne liegen, in die Luft starren und träumen. Oder er gebärdete sich wie ein Besessener, jammerte wegen der dummen Tiere, wachte beständig, daß den Tieren kein Leids geschah, störte den andern Kindern ihre Vogeljagd und ihr Vergnügen, fing sogar mit den Großen Händel an, lief neben jedem schwer beladenen Esel einher und schrie laut auf, ward dieser wegen seiner Trägheit tüchtig geschlagen.

Am ärgsten trieb er's mit der göttlichen Eselin, die ein besonders gequältes Vieh war, denn ihre Besitzer plagten sie, wie sie nur konnten. Dann bekam der schwache Knabe plötzlich Kräfte; er selbst schleppte die viel zu schweren Lasten, die der Eselin aufgebürdet werden sollten. Als sein Vater das merkte, fand er das Mittel, den faulen Schlingel arbeiten zu machen. Nun schaffte Said »wie ein Vieh« und wurde darüber zusehends hinfälliger. Er brachte seiner vierfüßigen Amme das beste Futter; ja, der Knabe wurde für seine alte Freundin zum Diebe, der von den Nachbarn Bohnen und Mais stahl. Als man ihn einmal dabei ertappte, schlug man ihn halb tot.

Trug Said seine närrische Tierliebe nur Schläge, Spott und Hohn ein, was er ohne Klage hinnahm, als müßte es so sein, so ward ihm sein leidenschaftliches Mitgefühl für die gequälten Geschöpfe Gottes von diesen selbst auf wunderbare Weise vergolten; alle Tiere liebten den armen kleinen Said von Abydos, als verfüge dieser Elendeste aller Sterblichen über einen mächtigen Zauber. Die verfolgten Vögel flogen ihm förmlich zu, wie wenn sie bei ihm Schutz suchten; keiner der vielen wilden Hunde, die herrenlos um die große Trümmerstätte streiften, tat ihm je etwas zu Leide; sogar die Freundschaft der hochmütigen Kamele gewann er sich; und was vollends die Eselin Isis betraf, so schien dieses vorzügliche Grautier genau zu wissen, daß es mit seiner Milch den Knaben gesäugt hatte, und schien den Sohn mohammedanischer Eltern für den eigenen Sprößling zu halten. In jenen längst vergangenen Zeiten, wo in dem alten Ägypterlande die Tiere als heilig galten, die Nilvölker ihnen einen Kult weihten, ihre Leichname einbalsamierten und sie in unterirdischen prächtigen Grüften für die Ewigkeit aufbewahrten, ja, wo man sich die Götter selbst mit Tierköpfen vorstellte, in jenen dunklen Zeiten des Wunderlands am Nil zwischen der arabischen und der libyschen Wüste wäre der Knabe Said sicher ein Priester heiliger Tiere geworden; in heutiger Zeit konnte er es jedoch nur bis zum Märtyrer seiner leidenschaftlichen Tierliebe bringen.

4

Said blieb ein klägliches Kind. Es war, als ob das Leid, welches er beständig über das Elend der Tiere empfand, an ihm nagte und seine spärlichen Lebenskräfte vollends verzehrte. Der Knabe wußte von dem Paradiese, dahin die Seelen der Guten und Gerechten nach ihrem Tode gelangen. Schon als kleiner Junge begehrte er zu wissen, ob es ein solches auch für die geplagten, geschundenen, mißhandelten Tiere gäbe? Man verhöhnte ihn wegen seiner Frage, wie er das nicht anders gewohnt war. Da erklärte er feierlich, einmal gar nicht in das Paradies zu wollen, wenn es nicht auch die armen gequälten Tiere nach ihrem Tode gut bekämen, die saftigsten Weidegründe, das klarste Wasser, das zarteste Durrastroh, und Festtags Kuchen aus Weizenmehl. Said von Abydos wollte in alle Ewigkeit tot bleiben, und Allah war kein gütiger und gerechter Gott, da er so ungerecht gegen die Tiere war. Wenigstens hätte der Prophet für ein Tierparadies sorgen sollen und ein solches bei seinem Gott nachträglich durchsetzen müssen. Nun begann Said bei Mohammed Fürsprache für die Stiefkinder Gottes einzulegen, ging den großen Verkündiger beständig mit inbrünstigen Bitten an und machte ihm Vorschläge, wie das Paradies der Tiere einzurichten sei, mit ewig grünen Fluren, auf denen Klee und Lupinen, Bohnen und Wicken mannshoch wuchsen, mit Wäldern von Dattelpalmen und Johannisbrotbäumen, Feigen und Granaten mit honigsüßen Früchten, die für die glückseligen Vögel durch alle Ewigkeit reiften. Die Lüfte waren bunt von dem schimmernden Gefieder der kleinen Sänger, deren Jubellieder nie aufhörten; über den gelben, roten und blauen Blumengefilden wiegten sich Schmetterlinge und Insekten; kein Geschöpf tat dem andern ein Leids an, Löwe und Lamm hielten Kameradschaft, selbst die giftige Kobraschlange und die schreckliche Viper waren so harmlos wie die Turteltauben, die neben den Geiern gurrend ihr Nest bauten.

So schuf sich Said für seine gemarterten Lieblinge einen seligen Aufenthalt ...

Das größte Leid bereiteten dem Knaben die Qualen der Haustiere, die der fromme Muselmann am Wege hinfallen und verenden ließ, Hunde, Esel, Kamele. Said stieß auf solche Sterbende in der Wüste und auf den Äckern, auf den Dämmen und mitten im Dorfe dicht bei den Hütten. Im Sande hingestreckt lagen die Tiere oft tagelang, ehe der Tod ihren Qualen ein Ende bereitete. Gleichgültig gingen die Araber an den sterbenden Geschöpfen vorüber, die ihnen im Leben bis zur völligen Erschöpfung aller Kräfte gedient hatten, und nicht einem einzigen von allen wäre eingefallen, ihnen den Gnadenstoß zu geben; wäre doch solche Barmherzigkeit Sünde gewesen, ein Verstoß gegen göttliches Gebot.

Said brachte den am Wege Verschmachtenden Nahrung und Wasser, so lange sie noch imstande waren, Nahrung und Wasser zu sich zu nehmen. Von ihren eiternden Wunden, auf die die erbarmungslose Wüstensonne niederbrannte, verscheuchte er die Fliegen, und er verjagte die Geier, die häufig den Tod ihrer Beute nicht abwarteten, sondern die noch Atmenden lebendigen Leibes zerfleischten. Es kam vor, daß der Knabe halbe Tage, halbe Nächte lang neben einem niedergesunkenen Kamel oder Esel ausharrte, dessen Qualen er mitlitt.

Immer überzeugter wurden die Dorfleute, daß Said ein Narr sei; immer zügelloser haßten und höhnten ihn die andern Kinder, während ihn die eigenen Eltern mehr und mehr als Last empfanden. Alle beschimpften ihn, stießen ihn umher, schlugen ihn. So kam es, daß der Knabe immer verträumter, menschenscheuer und eigentümlicher ward. Über seine Lippen kam auch jetzt kein Laut der Klage, niemals über sein eigenes elendes Leben. Nur die Tiere, die Tiere! Um sie war es ein Jammer, dafür es keine Worte gab; blieb er doch auch bei den Tieren stumm.

5

Daran hatte Said nicht gedacht, daran nicht! Daß auch seine geliebte Eselin einmal alt und schwach und arbeitsunfähig werden, auch die gute Isis dem allgemeinen Tiergeschick verfallen könnte.

Als seine greise Amme ihre Lasten immer mühseliger schleppte, als sie wegen ihres Alters und ihrer Schwäche von ihren Besitzern immer schlechter gehalten, immer grausamer behandelt wurde, als sie häufig und häufiger unter den Schlägen zusammenbrach, da begann in dem schmerzensreichen Leben des Knaben die Zeit seiner größten Schmerzen – erst jetzt begann sie. Und es war doch für ihn schon zuvor des Leids genug gewesen.

Es half nichts, daß Said seiner einzigen Freundin die zartesten und kräftigsten Kräuter brachte, daß er für sie mehr als je Bohnen und Durra stahl. Er gab der Alten die zärtlichsten Schmeichelnamen, redete zu ihr wie eine Mutter zu ihrem kranken Kinde, erzählte ihr lange Geschichten, tröstete sie, trug ihre Lasten, ertrug für sie Schmähungen und Schläge – nichts half. Die gute alte Dame wurde ein wertloses, dem armen Haushalt nur zur Last gereichendes Geschöpf, nicht anders wie ihr treuer Beschützer selbst.

Eines Tages geschah's dann: Isis, die Eselin, brach auf dem Dorfdamm zusammen. Außerstande, wieder aufzustehen, blieb sie liegen und wurde liegen gelassen. Gleichgültig gingen die Leute an dem sterbenden Tiere vorüber, das ächzend unter krampfartigen Zuckungen im Staube sich wälzte. Zu aller Gespött kauerte Said neben der Dulderin. Er hielt ihren Kopf in seinem Schoß und rührte sich nicht von der Stelle. Aus weit offenen Augen starrte er entsetzten Blickes auf den zuckenden Leib der Sterbenden, die nicht sterben konnte, und wenn sie ächzte, mußte er selbst laut aufstöhnen. Und die Eselin Isis konnte und konnte nicht sterben ...

Einen ganzen Tag, eine ganze Nacht verbrachte der Knabe bei dem leidenden Geschöpf. Nicht ein einziges Mal erhob er sich, um in die elterliche Hütte zu gehen und etwas Nahrung zu sich zu nehmen. Über Tag bildete die Dorfjugend einen dichten Kreis um die Gruppe, lachte, höhnte, bewarf das verendende Tier, welches Said mit seinem eigenen schmächtigen Leibe zu decken suchte, mit Schmutz und Straßenkot.

Als die Eselin auch am zweiten Tage von ihren Qualen nicht erlöst wurde, reifte in dem Knaben ein großer Entschluß: Er wollte des Tieres Erlöser sein! Ein Frevler gegen das göttliche Gebot wollte er werden.

 

Es gab in der Wüste ein Dorngestrüpp mit Stacheln, lang und spitz wie Dolche. Die koptischen Christen der Umgegend erzählten den Muslims, aus den grausamen Dornen jenes Buschwerks sei für ihren Herrn und Heiland Jesus von Nazareth, den sie den König der Juden nannten, die Krone gewunden und er damit gekrönt worden. Die Dornen waren so scharf, daß sie das Fleisch wie Messer zerschnitten. Die Henkersknechte hätten Jesus, da er am Kreuze schwer litt, mit einem solchen Dorn das Herz durchbohren können – statt mit der Lanze des römischen Kriegsmanns.

An der Stelle, wo die Eselin hingesunken war, wo Said kauerte, wuchs ein solcher Busch. Es gelang ihm, mit seinen Zähnen einen sehr langen, sehr spitzen und scharfen Stachel vom Zweige zu lösen. Diesen Dolch stieß der Knabe dem Tiere, das nicht sterben konnte, ins Herz.

 

»Totschläger!«

Einer rief es zuerst, andre riefen es nach. Zuletzt schrien es alle. Es war das Geheul einer Meute.

»Totschläger! Totschläger!«

Zuerst hob einer einen Stein auf und warf nach dem Übeltäter, dem Verbrecher. Dieser eine traf nicht. Ein zweiter wollte es besser machen. Der zweite traf. Said regte sich nicht. Er lag über den Leib des Tieres gebeugt, das er von seinen Qualen erlöst hatte, und es schien, als hätte er den Steinwurf gar nicht gefühlt. Das reizte die Bande der kleinen braunen Teufel.

»Totschläger! Totschläger! Totschläger!«

Ein dritter und vierter hob Steine auf, warf und traf.

Said regte sich nicht.

Da warfen alle. Er wurde gesteinigt, wie einstmals christliche Märtyrer es wurden.

Eines Tieres willen.

Nicht doch.

Seiner großen Liebe willen.


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