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Wenn einer in die Wüste geht

1

Das von Assuan kommende Nilboot fuhr bei den Ruinen von Antinopolis auf eine Sandbank und mußte von den arabischen Schiffern flott gemacht werden. Da der Frühling bereits vorgerückt war, führte der Fluß wenig Wasser. Bei dem Staudamm am ersten Katarakt wurde mit diesem Lebenselixier Ägyptens Haus gehalten, als verschlösse ein Geizhals sein Gold. Erst, wenn die Nilflut noch tiefer sank, das Nilland noch mehr austrocknete, gab der Knauser dort oben von seinem Überfluß her. Er wurde dann freilich zum Verschwender, der seine feuchten Schätze krösusgleich austeilte, damit die überschwemmten Felder dreifache Frucht trügen ...

Als das Schiff mit sanftem Ruck festsaß, versammelten sich die Passagiere auf dem zu einem offenen Salon eingerichteten Vorderdeck. Orientalische Teppiche bedeckten den Boden; ein buntes Zeltdach schützte vor Sonnenbrand, und ein Boskett hoher Blattpflanzen erinnerte angesichts der Goldgluten der Wüste an Gärten und frisches Grün.

Die Gäste des schönen Schiffes der Hamburg-Anglo-Amerika-Linie unterhielten sich während des unfreiwilligen Aufenthalts vortrefflich. Um das Boot von der Sandbank los zu bekommen, sprang ein Teil der braunen Mannschaft ins Wasser, während andre von Bord aus mittels langer Stangen versuchten, das schwere Fahrzeug aus seiner Fesselung zu befreien. Damit die mühsame Arbeit leichter von statten gehe, sangen die Leute beständig die nämliche kurze Strophe, die nämliche eintönige Melodie. Sie schwebte über den gelben Wassern feierlich wie ein Hymnus.

Nur ein einziger Passagier der ganzen Reisegesellschaft schien über die Verzögerung ungehalten zu sein. Er war eine auffallende Erscheinung, nicht mehr jung, sehr distinguiert, hoch und schlank gewachsen, das rasierte Gesicht farblos, mit einem energischen Ausdruck, den ein Leben voller Kampf und Drang darauf geschaffen hatte. Seiner Kleidung und Haltung nach konnte er ein Engländer der ersten Gesellschaftskreise sein. Er war jedoch ein Deutscher, der sich als ein Freiherr von so und so in die Passagierliste der ›Germania‹ eintrug. An der Nilfahrt beteiligte er sich seit Assuan; befand sich also bereits volle acht Tage auf dem Schiffe; hielt sich jedoch von der heiteren Gesellschaft, die als gute Bekannte miteinander verkehrten, vollkommen abgesondert; wurde daher auch von dieser unbeachtet gelassen und höchst unliebenswürdig, prätentiös und störend gefunden. So geschah es denn zum erstenmal, daß einer der Mitreisenden den unnahbaren Herrn ansprach. Es bedurfte einiger Kühnheit; aber der unerschrockene Tourist gehörte zu den durchaus Harmlosen und Gutmütigen. Als er die sichtliche Ungeduld des Freiherrn bemerkte, wollte er diesem ein beruhigendes Wort sagen.

»Sie werden in El-Wasta den Zug gewiß noch erreichen.«

»Woher wissen Sie, daß ich den Zug zu erreichen wünsche?«

Der Angeredete fragte mit der kühlen Höflichkeit des Weltmanns und erhielt von dem Harmlosen lächelnd erwidert: »Das wissen wir alle, da das Schiff eigens für Sie in El-Wasta anlegen soll.«

»Man ist so freundlich. Ich muß deshalb um Entschuldigung bitten – da durch das Anlegen in El-Wasta die Fahrt eine neue Verzögerung erleidet.«

»Es macht uns nichts. Ganz und gar nichts. Obgleich den meisten von uns Kairo tausendmal besser gefällt, als ewig dieses gelbe Wasser und ewig diese gelben Berge. Finden Sie nicht auch?«

»Gewiß.«

»Sie gehen ins Fayum?«

»An den Mörissee.«

»Liegt der nicht in der Wüste?«

»In der Wüste, mein Herr.«

»Schauderhaft. Gibt es dort wenigstens Hotels wie in Gizeh und Heluan? Oder neuerdings in Heliopolis? Kennen Sie das Hotel Heliopolis? Ein Zauberschloß, ein Feenpalast, ein Wüstenwunder sage ich Ihnen. Das Esplanadehotel in Berlin ist die reine Hütte dagegen. Zweihundert Kellner. Bitte, stellen Sie sich vor: zweihundert Kellner. Großartig! Nur, daß das Ding auch wieder in der Wüste liegt, wissen Sie.«

»Ich weiß.«

»Im Baedeker las ich soeben, an eben derselben Stelle, an der wir hier auffuhren, habe sich der berühmte Antinous – der Antinous vom Vatikan, Sie wissen doch? – in den Nil gestürzt, um durch seinen Selbstmord Seine Majestät den Kaiser Hadrian vor Unglück zu bewahren. Der junge Mann muß ein sonderbarer Schwärmer gewesen sein. Finden Sie nicht auch?«

»Gewiß.«

»So was geschieht heute nicht mehr. Für solche Dummheiten sind wir viel zu aufgeklärt. Und erst unsere Jugend von heute, wissen Sie.«

»Ich weiß.«

»Übrigens sollte einer von den Passagieren einmal versuchen, über Bord zu springen, um à la Antinous im Nil zu ersaufen. Nichts als Schlamm. Einfach scheußlich! Und darum reist ein gebildeter Mensch nach Ägypten. Ein Glück, daß es auch in Ägypten bayrisch Bier und nette Menschen gibt.«

»Verzeihen Sie.«

»Richtig. Da wären wir endlich losgekommen. Passen Sie auf! Jetzt gibt es gleich die alte Geschichte: gleich beginnt die Winselei um den Bakschisch. Erst festfahren, dann um Bakschisch betteln. Denn die Kerls lassen uns ja doch nur deshalb aufsitzen. Na, und wir sitzen ihnen denn auch auf. Gräßliche Bande!«

Seine letzte Rede mußte der gebildete Ägyptenreisende – er war nur ein Typus – an einen andern Mitreisenden richten, der sie mit begeisterter Zustimmung aufnahm: der »wirklich sehr unangenehme Mensch« hatte sich bereits entfernt, um von dem Dragoman zu erfahren, ob es noch möglich sein würde, rechtzeitig El-Wasta und den Zug zu erreichen?

Der Eilzug kam von Kairo und fuhr in die Oase von Fayum nach Medinet-Fayum.

Der Mann, der dorthin wollte, der in die Wüste ging, machte den Eindruck, als habe er ein Schicksal zu tragen.

2

Als die ›Germania‹ in möglichster Nähe der Bahnstation an dem wüsten Ufer des einen Passagieres willen anlegte, gab der neue kleine Zwischenfall der Reisegesellschaft eine neue kleine Unterhaltung: man wollte den »unangenehmen Menschen« an Land steigen sehen, froh, ihn losgeworden zu sein: er begann zu genieren und das allgemeine Behagen entschieden zu stören. Wie erstaunte man, als sich der steife Geselle noch im letzten Augenblick anständig benahm und vor der Gesellschaft, die seinetwillen den Aufenthalt erleiden mußte, mit vollendeter Höflichkeit den Hut zog und in bester Form sich verabschiedete. Schade, daß die Gentilezza zu spät kam. Es war schließlich eine interessante Persönlichkeit, die viel erlebt haben mußte. Was er nur am Mörissee wollte, wohin selten ein »gebildeter« Ägyptenreisender und Nilfahrer kam? Der Mörissee lag direkt in der Libyschen Wüste und sollte ein »Grandhotel« haben, dessen Gäste in Zelten wohnen mußten. Das war ja soweit recht romantisch; doch immerhin »Savoy« in Assuan, »Winter Palace« in Luxor, Hotel »Semiramis« in Kairo; vor allem das märchenhafte »Heliopolis« wären für solchen eleganten Herrn – elegant war er – denn doch etwas ganz anderes gewesen ...

Es war nicht leicht, bei El-Wasta an Land zu kommen. Das hohe Ufer fiel steil ab und der Ausgeschiffte mußte sich als gewandter Kletterer erweisen. Sein Gepäck blieb unten auf dem schmalen Streifen Flußsands verstreut liegen, wie es die Araber ausgebootet hatten. Dann setzte der Dampfer seine Fahrt fort.

Als sei der beliebteste Passagier der wackeren ›Germania‹ schiffbrüchig auf einer Klippe im Meer ausgesetzt worden, gab es an Bord ein Winken und Grüßen.

Alle beschäftigten sich nochmals mit dem einen: »Wie heißt er doch gleich?«

»Götz von Uslar.«

»Freiherr von Uslar!«

»Uslar klingt kolossal feudal.«

»Und Götz hieß schon der von Berlichingen.«

»Ich muß den Namen schon einmal irgendwie und wo gehört oder gelesen haben.«

»Bitte wie und wo?«

»In den Zeitungen. Es war eine Skandalgeschichte.«

»Oh!«

»Besinnen Sie sich!«

»Vor Jahren war's; und – richtig, jetzt fällt mir's wieder ein.«

»Bitte, bitte!«

»Es gab damals einen großen Skandal. In allen Zeitungen stand's.«

»Von diesem Freiherrn Götz von Uslar?«

»Schade.«

»Wie?«

»Daß wir erst jetzt davon erfahren; nun der Mann fort ist.«

»Aber was war's mit ihm?«

»Sicher eine Weibergeschichte?«

»Danach sieht der feine Herr nämlich aus.«

»Wenn ich nicht irre, war's so.«

»Wie denn nur? Wie? ... Sprechen Sie doch!«

»Dieser Freiherr Götz von Uslar saß im Zuchthaus.«

»Um Gottes willen!«

»Entsetzlich!«

»Was tat der Mensch?«

»Ich hab's immer gesagt!«

»Er hat einen Mörderblick!«

»Aber was tat er?«

»Wenn ich nicht irre, tötete er seine Geliebte.«

»Greulich!«

»Und den Mann seiner Geliebten. Sie war natürlich eine verheiratete Frau.«

»Auch den Mann ...«

»Doch sagen Sie selbst: wenn Sie nicht irren. Also können Sie irren.«

»Sicher nicht.«

Es gab an Bord einen förmlichen Aufstand.

 

Inzwischen stand der Mann, der ein Zuchthäusler gewesen, der ein zwiefacher Mörder sein sollte, auf dem hohen öden Ufer. El-Wasta lag in ziemlicher Entfernung Nilaufwärts; stromabwärts befand sich ein Fellachendorf in einem Palmenwalde. Götz von Uslar mußte warten, bis Bewohner jener Hütten vorüberkamen, um sein Gepäck zum Bahnhof zu bringen, und war nun sicher, daß er den nächsten Zug versäumen und den Nachtzug ins Fayum nehmen mußte. Immerhin war er – allein.

Nach einer Weile erschien eine ganze Schar Fellahknaben. Sie hatten die Landung vom Dorf aus gesehen und stürzten sich jetzt wie eine Horde kleiner Dämonen auf den einsamen Reisenden und sein Gepäck, als wären Mensch und Gegenstände Beutestücke. Schließlich erreichte der Ausgesetzte mit seiner Habe aber doch glücklich die Station, ein schmutziges Gebäude in einer von Schmutz starrenden kleinen Ortschaft, der die Bewohner nur alle zu sehr glichen. Hier nun mußte der Reisende bis zum Anbruch der Nacht warten. Er lohnte die Träger ab, blieb jedoch von ihnen belagert. Sie schlossen um ihn einen Kreis; kauerten auf dem Boden und schrieen ihr Opfer von Zeit zu Zeit um Bakschisch an. Das dauerte durch Stunden. Erst, als der Zug einfuhr, entwichen die Unholde unter wahrhaft höllischem Geheul.

In dem Wagen der kleinen Wüstenbahn war der Freiherr nicht der einzige Passagier; zwei junge Leute, schlanke, schöne Menschen, begaben sich gleich ihm in die Oase. Sie trugen sich »europäisch«, schienen Araber zu sein, sprachen jedoch italienisch. Aus ihrer Unterhaltung erfuhr der Deutsche, daß beide in Medinet-Fayum, dem Hauptort des berühmten Wüstengartens, lebten; daß der eine Arzt, der andere Apotheker, dieser Syrer, jener Algerier sei.

Langsam, langsam durchfuhr der Zug den Streifen der Libyschen Wüste, der zwischen dem Nil und Ägyptens reichster Oase sich hinzog. Götz trat aus dem Wagen auf eine schmale Estrade. Bei dem leuchtenden Schein des südlichen Sternenhimmels sah er die gelben Sandwogen, aus denen eine Felsspitze aufstieg: die Pyramide von Meduan; sah er eigentümliche niedrige und schmale Gewölbe in den Senkungen verstreut: die Gräber von Wüstenfriedhöfen. Nirgends ein Baum oder eine Hütte; nur diese Wohnungen der Toten, deren eine auch jener aufgemauerte berghohe Gipfel war.

Der Fremde trat zurück, nahm seinen Platz wieder ein und hörte auf das Gespräch der beiden Jünglinge aus dem Fayum. Alles, was sie sagten, klang wie aus einer anderen Welt, die keine übertünchte Kultur kannte, die etwas Freies, Stolzes, Souveränes hatte.

Da die beiden dem Europäer mehr und mehr gefielen und dieser das Italienische vollkommen beherrschte, redete er sie an. Sogleich wendeten die Fayumer sich ihm auf das liebenswürdigste zu: »Der Herr geht nach Medinet-Fayum?«

»Ich könnte wohl kaum wo anders hingehen.«

»O doch. Noch eine kleine Strecke weiter dem Mörissee zu.«

»Ich will an den Mörissee.«

»O wirklich? Was will dort der Herr? Will der Herr Wölfe schießen? Es gibt dort viele. Auch Schakale und Hyänen.«

»Ich bin ein schlechter Jäger.«

»Dann wird es der Herr bald herzlich langweilig finden; nichts als Sumpf, Wasser und Wüste. Freilich eine Menge Pelikane. Nehme sich der Herr nur vor der gehörnten Viper in acht.«

»Gibt es ein solches Reptil?«

»In der Wüste sind deren genug. Wer von der gehörnten Viper gebissen wird, ist ein verlorener Mann. Der Biß der Kobraschlange ist harmlos dagegen.«

»Ich danke Ihnen für die Warnung.«

»Wenn wir dem Herrn irgendwie gefällig sein können – wir sind nämlich der Arzt und der Apotheker von Medinet-Fayum.«

»So hörte ich bereits. Es fehlen nur noch der Totengräber und der Tote.«

Die jungen Herren lachten ... Der Fremde hatte jedoch mit tiefem Ernst gesprochen.

Ein eigentümlicher Mensch!

Nun schwieg er und schloß wie ermüdet die Augen; und während der Zug durch die Wüste und Totengefilde hinkroch, als sei er ein Leichenkondukt, versank der Fremde in Gedanken; es war, als gehe sein Geist in Finsternisse ein, als stürze seine Seele in Abgründe ...

»Was will dort der Herr?« war er vorhin gefragt worden. Jetzt legte er sich selbst diese Frage vor: »Was willst du dort? In der Wüste! Ein Mensch wie du? Was geht dich diese wilde große Einsamkeit an, da du darin nicht Wölfe und Schakale jagen oder Pelikane schießen willst? Vormals gingen Büßer, die Heilige werden wollten, in die Wüste. In die Wüste ging des Menschen Sohn. Seltsam, daß mir dies früher niemals einfiel; ich mir niemals klar machte, was das war: Jesus von Nazareth verschwindet von der bevölkerten Erde; und es heißt von ihm: er sei in die Wüste entwichen. Und er blieb in der Wüste. Was tat Christus in der ungeheuern Wildnis? Er besprach sich mit seinem Gott; bereitete sich vor; prüfte sich; erstarkte; trat alsdann wieder heraus; ging wieder zu Menschen; predigte, verkündigte, erfüllte seine göttliche Mission. Und – Christus starb am Kreuz.«

Es war die Wüste, durch die das menschgewordene Heil der Welt nach Golgatha schritt ...

Welch eine Vorstellung!

»Und du? ... Was also willst du dort? In der Wüste!«

Er gab sich zur Antwort: »Ich will mich vorbereiten; will mich läutern; erheben – büßen will ich.«

Götz von Uslar fühlte den engen Raum des Wagens auf sich lasten. Wiederum stand er auf und trat hinaus. Er traute nicht seinen Augen. Das Wüstenbild war verschwunden, eine Landschaft von tropischer Vegetation wie durch Zauber aufgestiegen. Aus Zuckerrohrfeldern erhoben sich Dattelpalmen und Dumpalmen; Orangen und Zitronen, hoch wie Nußbäume, ließen bei dem Glanz der Sterne ihre reifen Früchte leuchten; die lichte Blüte der japanischen Mispeln erfüllte die Luft mit Wohlgeruch, und zwischen all der Üppigkeit wölbten Garuben, Sykomoren und Lebbachakazien ihre Wipfel gleich dunkeln Kuppeln. Rosen und Oleander blühten; Gefilde blühender Wicken und Bohnen dufteten. Es war ein Garten Eden. Vielmehr: es war ein »Garten Allahs«; war das Fayum.

3

Die beiden jungen Fayumer machten die Honneurs ihres Wohnorts und führten den Fremden nach der einzigen Herberge der großen Oasenortschaft, dem »Grandhotel Karun«. Götz von Uslar glaubte, die Wüste geträumt zu haben; glaubte, auch dieses wundersame Medinet-Fayum nur zu träumen.

Eine Straße, die ein Kanal war; arabische Häuser und Moscheen; Palmen, Sykomoren und Garuben; Rosen und Oleander; Beduinen in Weißen, in blauen und schwarzen Faltengewändern regungslos und stumm längs der Mauern am Boden kauernd.

Die roten Flammen einsamer Ölleuchten und Sternenschein verliehen dem phantastischen Bild vollends etwas Unwirkliches, Traumhaftes.

Das Grandhotel Karun wurde von einem aus seinem wilden Vaterlande vor der Türkenherrschaft entwichenen Albanesen geführt und erinnerte den Reisenden auf das lebhafteste an die Gasthöfe süditalienischer Felsennester, wo er in jungen Jahren sich selbst die Mahlzeit bereitet hatte, nachdem er zuvor im Bergbach die Forelle gefangen, im Buschwald das Wildpret erlegt. So ward ihm denn in einer Oase der Libyschen Wüste fast heimatlich zumute.

Er war der einzige Gast und wurde aufgenommen wie ein englischer Lord. Trotzdem beschloß er, bereits nächsten Tags nach dem Mörissee aufzubrechen, an dessen Ufer der Albanese für seine Gäste einige Zelte aufgeschlagen hatte. Als der Mann vernahm, daß der Herr für Wochen und Wochen zu bleiben gedachte, entstand im Hause große Erregung. Ein Koch und ein albanischer, italienisch sprechender Diener sollten dem sonderbaren, aber hoch willkommenen Fremdling mitgegeben werden; Schiffer, Fischer und Jäger befanden sich am Seegestade. Für Gepäck und Vorräte wurden bereits am frühen Morgen Kamele nach Abuska, der letzten Station der Wüstenbahn, und für den Gast und die Leute Pferde vorausgeschickt ...

Dieses Mal fuhr Götz von Uslar bei Tag durch das Fayum. Aber selbst die erbarmungslos grelle Helle der Sonne Ägyptens war nicht imstande, der Landschaft ihre Phantastik zu nehmen.

Inmitten der Überfülle einer ihre Reichtümer verschwendenden Fruchtbarkeit erstreckte sich ein meilenweites wüstes Trümmerfeld, türmten sich schwarze Schutthaufen zu Hügeln auf: die Ruinen Arsinoes, der Stadt der heiligen Krokodile. Dann wiederum Wälder von Dattelpalmen, Citronen und Orangen; Felder von Zuckerrohr, blühenden Bohnen und bunten Wicken; Traubengelände; Haine von Granaten, japanischen Mispeln und Feigen, von Eukalyptus, Lotosbäumen und Garuben; Mengen von Rosen und Glycinien, von scharlachblütigen Euphorbien und purpurfarbigen Bougainvillen. Es war, als ergösse sich die Üppigkeit und das Blühen des ganzen Orients zugleich mit den Nilkanälen über dieses Stücklein Ägypten.

Die letzte Bahnstation war die letzte Ortschaft der Oase: ein Labyrinth brauner Schlammhütten in einem Hesperien! Als die kleine Karawane für den Zug an den Mörissee sich rüstete, schien der Boden Scharen von Oasenbewohnern auszuspeien. Plötzlich sah sich der Freiherr von einer schreienden Horde umdrängt, ohne die es nun einmal nicht ging.

Die Straße von Abuska nach dem Mörissee war ein schmaler, das Fruchtland in schnurgerader Linie durchquerender Damm. Wie erstaunte der Reisende, als er den durch tiefe Einsamkeiten führenden Weg dicht bevölkert fand: Wüstenbewohner eilten von weither dem großen Oasendorf zu, wo Markt abgehalten ward. Sie kamen auf Kamelen und Eseln; Büffel zogen bunte Karren voll blaugewandeter verschleierter Frauen; diese trieben ihre Herden vor sich her, jene trugen ihre Waren auf dem Kopf, und alle zusammen vollführten ein Geschrei wie bei einem Aufruhr.

Zu beiden Seiten der Straße kauerten Frauen und Kinder und trieben Handel mit Geflügel und wildem Gevögel; mit Büffelkäse und Eiern; mit geflochtenen bunten Körben und Tongefäßen. Gesichter, Arme und Hände der mit Ketten und Spangen geschmückten Frauen waren blau tätowiert und die Wangen der Männer von Narben, die von tiefen Einschnitten herrührten, entstellt. Sie bezeichnten den Stamm, dem der Mann angehörte. Die meisten waren Beduinen; und die meisten waren wilde Gestalten. Ihre greisen Scheichs ritten weiße, prächtig geschirrte Esel und saßen in Sätteln, von denen bunte Decken und Schnüre herabhingen. Sie glichen Fürsten all dieser Völkerschaften.

Der Reisende grüßte die ehrwürdigen Erscheinungen und erhielt den zeremoniellen Gegengruß des Orients. Er sah viel fremdartige Frauenschönheit, und er sah sie häufig unverschleiert, was ihm zuvor niemals geschehen war. An den braunen schlanken Gliedmaßen leuchteten vielreihige Schnüre roter, grüner und gelber Glasperlen, was den feierlichen Ernst der langen indigoblauen Gewänder farbenfroh milderte und einen überaus festlichen Eindruck machte ...

Allmählich verwandelte sich das üppige Kulturland. Die Palmenwälder verschwanden; es verschwanden die Fruchtgefilde und Blütenhaine; allmählich wurde der Garten Allahs zur Wildnis, die Oase wieder zur Wüste.

Kaum erstand diese von neuem, als sie sogleich von neuem zum Friedhof ward. Links am Wege Gräber, rechts am Wege Gräber. Weiße gekuppelte Gräber in allen Fernen über die fahle Sandfläche zerstreut. Sie erstreckte sich ins Unabsehbare, Unendliche.

Plötzlich zeigte sich vor dem Reisenden ein türkisblauer Glanz, dahinter gelbrote Wüstenberge aufstiegen. Der Glanz wuchs; dehnte sich weit aus; verschwamm in dem Flimmern und Funkeln des heißen Tags: der Mörissee, wie eine Meeresbucht groß.

An seinen Gestaden kein Ort, keine Hütte. Ungeheure Einsamkeit, totenhaftes Schweigen ruhte über der Landschaft.

Und jetzt etwas Wundersames.

Der feste Boden wurde in der Nähe des Ufers zu Sumpf und Lagune. Tamariskendickichte wuchsen auf dem Moor und umbuschten die schmalen Kanäle. Die Büsche standen in voller Blüte. An ihren langen, schlanken, tief niederhängenden Zweigen war kein Blättlein zu sehen: jeder Zweig war ein Blumenwedel, von tausend und abertausend zarten rosigen Knospen umhüllt.

Zu dem leuchtenden Blau der weiten Wasserfläche, dem flammenden Farbenspiel der Wüste dieser blasse Rosenschimmer am ganzen Gestade!

Die Karawane hielt vor einer natürlichen Pforte in den Blütenbäumen. Sie schoben sich vor dem Reisenden auseinander und gewährten ihm Einlaß in ein Zauberreich.

Götz von Uslar blickte in einen schmalen Gang, der durch die Tamariskenbüsche führte und von Sonnenblumen eingefaßt war. Die Allee der strahlenden Blumen endete bei einer Reihe weißer Zelte, so dicht am Wasser gelegen, daß es den Eindruck machte, als schwämmen sie auf der Seeflut.

Die Sonnenblumengalerie setzte sich zwischen den Zelten fort, darüber das blühende rosige Gebüsch baumhoch emporstieg.

Als der Ankömmling durch das Tamariskentor in den Sonnenhof einritt, versank hinter ihm die Welt.

4

Wenn Götz von Uslar in seinem Zelte ruhte – der Boden war mit hellen Matten bedeckt und die Leinwand der Wände mit großen bunten Lotosornamenten verziert – und wenn er den Vorhang des Eingangs zurückschlug, sah er unter einem Äther von unwahrscheinlichem Glanz über die rosigen Tamariskenblüten hinweg auf den türkisblauen Wasserspiegel und die gelbroten Wüstenberge des jenseitigen Ufers. In den ersten Nächten seines Aufenthalts konnte er vor Staunen über die Pracht des Sternenhimmels kein Auge schließen; und niemals in seiner langen Wanderzeit hatte er solche feierliche Morgendämmerung, solchen rosigen Tagesanbruch und mystischen Sonnenaufgang erlebt.

Vogelchöre sagten den Tag an; Ketten von Reihern und Wildschwänen zogen über den See; die Tamariskendickichte wimmelten von Pelikanen und hin und wieder zeigten sich aus dem Delta herübergeflogene Flamingos und nordwärts verirrte Ibisse. Oder ein Schakal schlich im Morgengrauen dicht am Eingang vorüber zur Tränke ...

Das Zeltlager am Mörissee schien eigens für den einzigen Gast des »Grandhotels« aufgeschlagen, die braune Dienerschaft seine eigene zu sein. Morgens trat der Koch Muhammed bei ihm an und fragte ihn nach seinen Speisewünschen. Jagd und Fischfang lieferten der Wüstenküche – sie befand sich gleichfalls in einem Zelt – das Material. Man brachte dem Fremden die gefangenen Fische und das erbeutete Wild: Aale und Barsche; Schnepfen, Moorhühner und Wildgänse.

Der Fischer – er diente zugleich als Bootsmann – und der Jäger waren Beduinen aus dem Stamme der Ulad Ali. Sie waren junge Burschen, hochgewachsen und binsenschlank, mit kühnen Gesichtszügen und leuchtender Hautfarbe. Besonders der Jäger Omar war ein Prachtkerl, freilich von einer Wildheit, die einem Feinde Furcht einflößen konnte. Er trug ein bis auf die Füße herabreichendes goldgelbes Gewand und war unzertrennlich von seiner langen altertümlichen Flinte. Den Fremden begleitete er sowohl zu Boot wie zu Pferd bei dessen Ritten längs des Seegestades und in die Libysche Wüste.

Diese Kahnfahrten und Wüstenritte waren für Götz von Uslar etwas niemals Erlebtes.

Unmittelbar neben dem Schlafzelt – es gab außerdem ein Speise- und Wohnzelt – bestieg er den Nachen, der vorsichtig und mühsam aus der von schmalen Kanälen durchzogenen Tamariskenwildnis ins offene Wasser bugsiert werden mußte. Die Blütenzweige schlugen über dem Haupt des Schiffenden zusammen, und hochstielige gelbe Lilien drängten sich ihm entgegen, als sollte der schwarze Kahn mit dem Blumenglanz überschüttet werden.

Gelangte das Fahrzeug ins Freie, so erstaunte der Deutsche jedesmal von neuem über die Größe des Anblicks und den Farbenzauber von Wasser, Wüste und Himmel, so ergriff ihn jedesmal von neuem die ungeheure Einsamkeit der Landschaft. Sie schien jener Wunderort zu sein, wohin der Mensch mit seiner Qual nicht kam.

Der junge Omar saß mit schußbereiter Waffe im Bug; und es half dem Fremden nicht, der Jagdlust wehren zu wollen: sie ward bei dem Wildling zur Wut – nicht des Jagens, sondern des Tötens, des Mordens. Wenn Götz von Uslar die leidenschaftlichen Züge des jungen Beduinen betrachtete, konnte er sich gut vorstellen, daß dieser Mensch Blut sehen mußte; ganz gleich, ob es das Blut eines Tieres oder eines Feindes war. So wurde denn jede Seefahrt zu einem Jagdzug auf Pelikane, Reiher und andere Wasservögel, bis Götz das sinnlose Töten nicht länger ertrug und nur noch mit Moosà, dem Fischer, auf den See ging.

Nunmehr störte kein Schuß das Schweigen der Einsamkeit. Das Anrauschen der Wellen gegen den Kiel, das leise Aufschlagen der Ruder oder ein Vogelruf blieben fortan die einzigen Laute, die der im Nachen lang Ausgestreckte vernahm; wie er denn auch, so weit sein Blick schweifte, an den Ufern keine menschliche Wohnstätte zu entdecken vermochte und niemals einem andern Nachen begegnete.

Häufig ließ sich der Einsiedler vom Mörissee nach dem jenseitigen Ufer übersetzen, an dem die Libysche Wüste in hohen Sandwogen aufstieg. An diesem Gestade gedieh nur graues Dornengestrüpp. Es war Totenland.

Götz stieg aus, bedeutete dem Schiffer zurückzubleiben; begann seine ziellose Wüstenwanderung. Um zum Boot wieder zurückzufinden, mußte er sich Wahrzeichen merken: besonders geformte Klippen oder ein mit gewaltigen kreisrunden Blöcken bedecktes Sandfeld. Trotz dieser Wegweiser gelang ihm der Rückweg häufig nur dadurch, daß er sich von seinen eigenen, tief in den Sand gegrabenen Fußspuren leiten ließ.

Niemals stieß er auf die Spur eines andern Wüstenwanderers. Aber die gelben und roten Flächen und Abhänge waren gezeichnet von den Fährten all der nichtmenschlichen Bewohner der Wüste. Der junge Moosà erklärte sie dem Fremden: die Fährten des Wolfes und Schakals; der Cobraschlange und der Viper; des »Skarabäus« und all des andern Getiers, das in diesen Gefilden heimisch war.

Wie ward dem Spaziergänger zumute, wenn er plötzlich inmitten der ungeheuren Öde auf Ruinen stieß. Es waren Reste von Tempeln, Palästen, Grabmalen aus altägyptischen Zeiten. Aus dem Sande erhoben sich, über die Hälfte verschüttet, Pylonen, Mauern, Säulen, Torsen von Statuen: gigantisch und ungefügig. Auf Wänden und Säulen zeigten sich in den Stein geschnittene seltsame Gestalten, seltsame Zeichen: die mystischen Götter und Könige, die geheimnisvollen Schriftzeichen längst vergangener Geschlechter ...

Oder Götz gelangte in einen versteinerten Wald. Die Stämme waren gestürzt, lagen zersplittert; und nur noch die Stümpfe ragten mit gebrochenen Ästen aus dem gelben Sande: grau, gespenstisch, ein grausiger Totenhain, dessen Schauern der Lebende entfloh, als wären die Versteinerten Geisterarme, die nach ihm sich ausstreckten und ihn festhalten wollten.

Wundersam gestaltete sich jedesmal die Heimkehr, wenn die Flammen des Sonnenuntergangs die Wüste ergriffen und sie hoch auflodern ließen; wenn das lichte Blau des Seespiegels in Gold und Purpur sich wandelte – Gold und Purpur den Himmel überfloß; wenn eine glühende Dämmerung anbrach; die Sterne auffunkelten, und der junge Beduine ein leidenschaftliches Liebeslied anstimmte.

Es kam vor, daß sie, bereits nahe am Strande, warten mußten, bis es vollends Nacht geworden und die Gestirne heller schimmerten; denn der Schiffer mußte sich von den Himmelslichtern leuchten lassen, um in das Uferlabyrinth eindringen und durch die Tamariskenblüte die Wasserpfade finden zu können, die den Fremdling nach Hause führten: »nach Hause«, zu seinem von den Blumen der Sonne umstrahlten weißen Zelt.

5

Eines frühen Morgens unternahm der Freiherr seinen gewöhnlichen Ausritt, bei dem ihn Omar in einer Haltung begleitete, als sei der arme Wüstenjäger ein Grandseigneur.

Götz galoppierte in der Richtung von Abuska über das flache Land, das hier Steppe war, also ein prächtiges Terrain, um das Pferd mit verhängtem Zügel laufen zu lassen.

Bereits bei seiner Ankunft hatte Götz auf dem Weg zum Mörissee in der Ferne ein großes weißes Gebäude mit Kuppeln, Mauern und einem Palmenhain erblickt. Auf seine Frage war ihm erwidert worden, das schloßähnliche Haus gehöre dem reichsten und mächtigsten Pascha der ganzen Oase. Das weiße Gebäude unter den Palmenkronen inmitten der einförmigen Landschaft reizte seit langem seine Neugier; und heute beschloß er, es aufzusuchen.

Plötzlich hörte er sich angerufen: »Herr! Wohin reitest du, Herr?«

»Dorthin. Du siehst ja.«

»Zum Pascha?«

Omars Stimme hatte solchen seltsamen Ton, daß der unter den Schutz des Beduinen gestellte Fremdling unwillkürlich den Lauf seines Renners mäßigte und nach ihm sich umwendete. Er sah in ein von Haß entstelltes Gesicht. Da der Freiherr trotz seiner geringen Kenntnis des Arabischen sich nach Möglichkeit mit den Eingeborenen unterhielt, da er überdies für den jungen Wildling lebhafte Teilnahme empfand, bemühte er sich, von ihm die Ursache seiner leidenschaftlichen Erregung zu erfahren:

»Soll ich etwa nicht nach dem Schloß des Paschas reiten?«

»Herr, nein.«

»Weshalb nicht?«

»Herr, reite nicht hin!«

»Du hassest den Mann?«

»Herr, ja.«

Wie der schöne Bursche das sagte!

»Was tat dir der Pascha?«

»Ich hasse ihn, Herr.«

»Du mußt für deinen Haß aber doch einen Grund haben?«

»Er ist ein schlechter Mann, Herr. So schlecht ist er, wie er reich ist; und er ist reicher als der Khedive. Alles will er haben: Land und Leute und – alles. Es ist ein Schinder. Aus den Menschen schindet er das Blut und läßt es auf seine Baumwollfelder fließen, um sie besser Frucht – um sie rotes Gold tragen zu machen. Ein hündischer Wolf ist tausendmal besser als er.«

Götz verstand den elementaren Ausbruch weniger durch die Worte als durch die flammende Erregung in den Augen und Mienen des Burschen, die auf den Deutschen stärker wirkten, als Worte es vermocht hätten. Um den Wilden nicht noch mehr aufzubringen, hielt der Freiherr für ratsam, sein Pferd zu wenden und den Rückweg anzutreten. Später ließ er sich dann von seinem italienisch redenden Zeltdiener den Vorfall vom Morgen erklären und erfuhr darüber: Jener Pascha war nicht nur der reichste und mächtigste, sondern auch der ausschweifendste Mann vom Fayum. Sein großer Harem genügte ihm nicht. Er nahm andern Männern die Frauen weg, nahm sie ihnen einfach weg; und – sie ließen sich ihre Frauen nehmen, teils aus Furcht vor des Paschas Allmacht, teils aus Geldgier. Denn die ihren Gatten fortgenommenen Frauen wurden den bisherigen Eigentümern königlich bezahlt.

Nun besaß der junge Omar eine blutjunge bildhübsche Frau – nur eine; obwohl er sich gut eine zweite hätte nehmen können: war er doch nicht allein der schönste Bursche, sondern zugleich der kühnste Wolfsjäger und hatte durch die Prämien, welche die Regierung für jeden erlegten Wolf zahlte, guten Verdienst. Doch wollte er keine zweite Frau haben; wollte nicht einmal neben der einen Frau eine junge und reizvolle Magd halten. Er begehrte von allen Weibern des Fayum – sie waren die schönsten Ägyptens – nur seine Amneh.

Der Freiherr erkundigte sich:

»Wie ist diese Amneh?«

»Herr, sie ist eine Wüstenblume.«

»Also sehr schön?«

»Wer sie sieht, muß sie lieben.«

»Kann ich sie sehen?«

»Auch du würdest sie lieben müssen, Herr.«

Götz von Uslar lächelte. Es war ein sehr leises, ein sehr schwermütiges Lächeln. Er gedachte der einen einzigen Frau, die er geliebt hatte, und die – aber das war ein Gedanke, der von Sinnen bringen konnte. Um den Gedanken nicht weiter denken zu müssen, fragte er weiter:

»Omar hält seine junge Frau wohl streng im Hause?«

»Sie darf die Hütte nicht verlassen.«

»Wo wohnt der Beduine eigentlich?«

»Dort drüben, Herr. Am Ende jenes Dammes. Von deinem Zelt aus kannst du sie sehen.«

»Ist es die Schilfhütte in der Lagune?«

»Herr, ja ... Herr, gehe nicht hin.«

»Da ich Amneh zufällig sehen könnte und sie dann lieben würde – sie lieben müßte, wie du meinst.«

»Herr, scherze nicht. Omar könnte dein Todfeind werden, wie er der Todfeind des Paschas ist.«

»Also sah der Pascha seine Frau?«

»In Abuska bei der Hochzeit. Amneh ist nämlich die Tochter armer Fellahs aus Abuska. Und bei ihrem Hochzeitszuge, als sie von ihren Freundinnen auf dem Kamel in das Haus ihres Bräutigams geführt ward, sah sie der Pascha.«

»So war die Braut nicht verschleiert?«

»Herr, sie war dicht verschleiert.«

»Trotzdem sah sie der Pascha?«

»Er kam gerade mit vielen Dienern die Straße geritten, begegnete dem Brautzuge, und –«

»Nun, und? So sprich doch!«

»Da hob die Braut den Schleier, damit der Pascha ihre Schönheit erblicken sollte.«

»Und Omar?«

»Herr, Omar sah es nicht.«

»Er war nicht bei der Braut?«

»Das ist bei uns der Bräutigam niemals, wenn die Braut in sein Haus geführt wird. Auch für den Bräutigam hebt sie erst in seinem Hause den Schleier.«

»Dann zum ersten Male überhaupt?«

»Herr, ja. So ist's Brauch bei uns.«

»Also wußte der gute Omar gar nicht, welche Schönheit er zur Frau bekam?«

»Er hatte von Amnehs großer Schönheit gehört, wie im Fayum alle.«

»Sage mir –«

»Herr, was?«

»Wie kommt es, daß der Pascha das wunderschöne Mädchen nicht nahm?«

»Herr, der Pascha bekam sie nicht von den Eltern.«

»Nicht für vieles Geld?«

»Omar hatte bei der Mutter des Propheten geschworen, die Eltern niederzuschießen wie ein Wolfspaar, wenn sie ihre Tochter einem andern zur Frau geben würden als ihm.«

»Die Eltern glaubten, er werde seinen Schwur halten?«

»Herr, das glaubt jeder, der Omar kennt.«

Götz von Uslar schwieg; ließ den Diener gehen; rief ihn zurück: »Höre!«

»Herr?«

»Nun hat der Pascha die Frau des Omar gesehen; sie hat für den reichen und mächtigen Mann den Schleier gehoben, und – Was für ein Gesicht machst du?«

»Herr, wenn Omar wüßte, was sein Weib auf dem Brautzuge nach seinem Hause getan ...«

»So weiß er's wirklich nicht?«

»Wer soll's ihm sagen? Keiner würde es wagen: nicht ein einziger im ganzen Fayum. Er würde jeden töten, der so etwas von seinem Weibe behauptete.«

»Wenn nun aber der Pascha das Weib Omars begehrt?«

»Der Pascha begehrte des Weibes und bot dem Manne für sein Weib ein Vermögen.«

»Was tat Omar?«

»Er sandte dem Pascha einen von ihm getöteten alten Wolf und ließ ihm sagen, genau ebenso würde ihm geschehen.«

»Da Amneh für den Pascha den Schleier hob – und das auf dem Brautzuge – so möchte sie gern in des Paschas Harem kommen?«

»Du sagst Schreckliches, Herr.«

»Antworte mir!«

»Ehe das geschieht, müßte Omar ein toter Mann sein.«

Der Araber entfernte sich.

Götz von Uslar mußte beständig an des Dieners letzte Worte denken: »Ehe das geschieht, müßte Omar ein toter Mann sein ...«

»Muß mein Gatte ein toter Mann sein« – war dem Freiherrn einstmals von einer berückenden Stimme zugeraunt worden.

Und der Gatte, dem jene mordenden Worte aus dem Munde eines wunderschönen Weibes gegolten hatten, war ein toter Mann geworden.

6

Götz von Uslar hatte die feste Absicht, die Hütte des wilden Omar nicht aufzusuchen, um vor der Tür das wunderschöne Weib nicht zu erspähen, welches er sich wie eine Kleopatra der Wüste vorstellte. Er fühlte für den jungen Beduinen starke Sympathie, die von Tag zu Tag wuchs. Die innerliche Ursache dafür lag in des Jünglings leidenschaftlicher Liebe zu seiner Frau und in des Freiherrn Argwohn, daß diese glühend Geliebte, voll heißen Verlangens nach des reichen Mannes Gunst, die Ehe im Geiste bereits am Hochzeitstage gebrochen: sollte doch der Harem des Paschas – so erzählten die Fayumer – gehalten werden wie eines Sultans Liebeshof.

Hätte der Freiherr nicht durch seinen Zeltdiener gehört, Omar besäße ein Weib, so würde er es niemals erfahren haben; denn niemals erwähnte der Beduine seiner Heirat mit dem schönsten Mädchen der Oase; und eine seltsame Scheu hielt den Fremden ab, seinen täglichen Begleiter in der Wildnis danach zu fragen.

Da er allmählich die Lagunen kennen lernte, so ruderte er jetzt bisweilen allein durch das Labyrinth von Buschwerk und Kanälen auf den See hinaus. So auch eines Tags. Auf dieser Ausfahrt wurde er Zeuge der Szene eines Dramas.

Er hatte den Nachen in einer Bucht unter einem Lotosbaume angelegt und es sich mit einem Bande Herodot bequem gemacht. Der Ort befand sich nahe bei dem Damm, auf dem Omars Schilfhütte stand. Plötzlich hörte er von dorther wüsten Lärm, den wütenden Aufschrei eines Mannes; Weinen und Wimmern einer Frau.

Götz dachte: »Er schlägt seine Frau. Müßte ich nicht an Land springen, hinlaufen und der Frau beistehen? Er könnte die Frau totschlagen.«

Als er im Begriff war, es zu tun, trat ebenso plötzlich wieder tiefe Stille ein.

»Vielleicht schlug er sie tot?«

Er lauschte angestrengt, vernahm nicht einen Laut; wollte an Land gehen und nachsehen; hörte singen.

Eine Frau sang: sicher Omars »halbtot geschlagene« Frau. Also war das wüste Getöse nur eine harmlose häusliche Szene gewesen. Die Gemißhandelte sang. Vielleicht sang sie dem Manne zum Trotz? Jedenfalls konnte Götz vollkommen beruhigt sein.

Also las er weiter in seinem Herodot; genoß die unirdische Stimmung von Wüste und Mörissee ...

Nach einer Weile machte ihn ein leises Geräusch in den Tamariskendickichten am Ufer vom Buch aufblicken: Jemand kam geschlichen; denn ein Schleichen war es. Ein Mädchen, zart und fein wie ein Nymphlein, in die tiefblaue feierliche Frauentracht Ägyptens gekleidet, erschien in den Blütenbüschen. Götz von Uslar hielt das anmutige Wesen für ein Kind. War es ein solches, so konnte es das Weib des wilden Omar nicht sein, obgleich das Geschöpfchen erstaunlich schön war, eine Menschenblume von frühlingshafter Lieblichkeit.

Was tat das Kind?

Es entblößte Schultern und Busen; entblößte den Körper einer Psyche.

Dieser war blutüberströmt. Das feine Frauenwesen wusch an der Lagune seine Wunden: das »Kind« war die von ihrem wilden Gatten blutiggeschlagene Amneh!

Die junge Frau verrichtete die Waschung durchaus gleichmütig, als spülte sie Wüstenstaub von ihrem schlanken, wie aus matter Goldbronze gebildeten Leib. Plötzlich verzerrten sich ihre Züge: das holde Kindergesicht verwandelte sich in das Antlitz einer Meduse. Sie ließ aus den Wunden an ihrer Brust in die hohle Hand Blut träufeln; streckte den Arm aus, hob ihn, sprengte von dem Blute nach Norden und Süden, nach Sonnenaufgang und Sonnenuntergang; schien dazu wilde Worte zu raunen, einen Eid, einen Zauberspruch.

Gebannt von der Herrlichkeit des jungen Weibes, gepackt von ihrem Wesen und Tun, regte sich der unfreiwillige Lauscher nicht. Als Amneh das Blut aussprengte und mit von Leidenschaft, von Wut und Haß entstelltem Gesicht die wirren Worte murmelte, mußte er denken: »Es ist ein Racheschwur. In diesem Augenblick schwört sie ihrem Gatten Verderben und Tod. Und – sie wird ihren Schwur halten.«

Er versuchte sich zu beruhigen: »Sie ist wirklich noch ein Kind!«

Aber er blieb erschüttert und verstört, jenes andern wunderschönen Weibes gedenkend, das einst vor ihm sich entblößt und dem Entsetzten auf dem schneeigen Weiß ihres Aphroditenleibes blutige Striemen gezeigt hatte; gedenken mußte er jener Dämonin, die damals auch einen Schwur geleistet und einen Schwur von ihm gefordert hatte.

Auch dieser Schwur war gehalten worden.

7

Der Freiherr wußte nicht, was tun. Sollte er zu dem Beduinen sprechen oder sollte er schweigen? Sprach er, so mußte er ihm sagen, auf welche Weise er Zeuge jener Szene an der Seebucht geworden. Er mußte eingestehen, daß er das Weib des Mohammedaners in hüllenloser Schönheit gesehen, und eines Mohammedaners Weib durfte nicht einmal sein Antlitz vor einem Gläubigen Allahs und des Propheten entschleiern; und er, der Christ, hatte des Weibes geheimste Reize geschaut.

Und was sollte er dem vor Liebe und Leidenschaft, vor Haß und Rachedurst halb Wahnwitzigen sagen?

»Du schlugst dein Weib blutrünstig; dein Weib leistete ein Gelübde; ich warne dich: hüte dich vor deinem Weibe

Omar wäre hingegangen und hätte das Weib getötet. Und er hätte dem Manne, der geschaut hatte, was kein fremder Mann schauen durfte, die Augen für ewig geschlossen.

Aber auch, wenn er nicht an sich und an eine Lebensgefahr für sich selbst dachte, mußte er schweigen. Doch trug er schwer daran.

Und schwer trug er an der ehernen Last seiner Erinnerungen, die ihn von den Menschen fort bis in die Wüste getrieben hatten, und denen er auch in Wüsten nicht zu entfliehen vermochte ...

Einmal zeigte ihm Omar eine getötete kleine Schlange. Das Reptil hatte die Farbe der Wüste angenommen und trug auf dem spitzen Kopf eine hornartige Beule.

Götz erkannte sogleich das Gewürm. Es war eine jener berüchtigten Vipern, von den Eingeborenen die »gehörnte Viper« genannt. Ihr Biß sollte, selbst wenn Hilfe in der Nähe war, nach vierundzwanzig Stunden rettungslos töten, und das Schlänglein wurde mehr gefürchtet als die größte und giftigste Cobra; hatten ihn doch bereits seine beiden jungen Mitreisenden in der Wüstenbahn vor dem scheußlichen Gewürm gewarnt. So oft sich der Freiherr vom Mörissee fort nur um wenige Schritte in die Wüste begab, erhielt er die feierliche Mahnung: »Herr, hüte dich vor der gehörnten Viper!« Doch sah er sie heute zum erstenmal.

So gefährlich der Wurm war, wurde ihm doch aus Furcht vor seinem sicher tötenden Biß wenig nachgestellt. Es sollte jedoch Menschen geben, die auch die Viper anzulocken und zu fangen verstanden. Diese Schlangenbeschwörer sollten einen Gesang wissen, den sie leise, leise anstimmten und auf einer Art von Flöte begleiteten, immer den nämlichen Ton. Auf diesen Ton, diesen Gesang hin kam das widrige Gezücht aus Gebüsch und Gestein hervorgekrochen bis dicht zu den Füßen des Zauberers, dessen Melodieen es bannten. Mit raschem Griff packte der Kühne die Schlange im Genick und hielt ihr ein Stück wollenen Stoffes hin, in den sie hineinbiß, so wütend und so lange, bis sie alles Gift verspritzt hatte. Danach wurde ihr der Giftzahn ausgebrochen und sie war unschädlich, einer Blindschleiche gleich ...

Nicht die psychenhafte Schönheit des jungen Weibes hatte es dem Fremden angetan – er war durch sein Schicksal gegen Frauenreize gefeit – es war etwas anderes, ganz anderes, was Geist und Gedanken in den Bann jener Reizenden zog, von der er, seitdem er sie gesehen hatte, nicht glauben konnte, daß sie eine Hetärennatur besaß: nicht glauben, obgleich er aus seinem eigenen Leben hätte wissen können, daß es Frauen gab, zu denen der Mann betete und deren Kuß dennoch so sicher und so fürchterlich tötete wie der Biß jener Wüstenschlange.

An die kleine wunderfeine und wunderschöne Amneh denkend, sagte er zu sich selbst: »Mit dem Blut des Südens in den Adern, das wie die Sonne des Südens glüht, wird sie hassen können, wird sie sich rächen wollen; aber – hetärenhaft ist sie nicht. Alles andere kann sie sein, nur dieses eine nicht. Ganz unmöglich dieses eine!«

Er wollte dem Zauber widerstehen, wollte um das junge Weib des Beduinen sich nicht kümmern, und versuchte dennoch immer von neuem des Weibes, das ein Kind zu sein schien, wenigstens aus der Ferne ansichtig zu werden: in ihren sie von Kopf bis zu Füßen einhüllenden indigoblauen schleppenden Schleiergewändern mußte sie einer der Kindermadonnen des Murillo gleichen. Also strich Götz immer von neuem auf dem schmalen Erdwall umher, an dessen Ausgang auf die Lagunen die Hütte der Beduinen lag. Oder er lenkte seinen Nachen zu jener verborgenen Bucht, wo ihm der unvergeßliche Anblick zuteil geworden war. Doch bekam er das Nymphlein lange Zeit weder zu sehen, noch zu hören, wodurch Wunsch und Verlangen nur noch gesteigert wurden. Dann aber sollte er dem Weibe Omars ein zweites Mal begegnen ...

Der junge Beduine war nach Abuska gerufen worden; in ein Zuckerrohrfeld hatte sich ein ganzes Rudel hungriger Wölfe eingeschlichen und hauste nun arg darin. Als der kühnste Wolfsjäger vom Fayum sollte Omar die Umstellung des Feldes organisieren. Die Jagd selbst war erst für die Nacht geplant und der Fremde wollte mit dabei sein.

Da es für ihn noch zu früh war, um nach dem Fellachendorf aufzubrechen, schlenderte er am Seeufer entlang, um Pelikane und Reiher zu beobachten. Die schönen wilden Vögel nisteten in den Tamariskendickichten der Lagunen, und man konnte ihnen sich nahen, ohne sie aufzuscheuchen. Sie schienen, genau wie der einsame Spaziergänger, auf den eintönigen Gesang einer Frauenstimme zu lauschen, welcher der monotonen Weise einer Hirtenflöte folgte.

Amneh spielte das arkadische Instrument. Sie hielt mit dem Spiel inne, und stimmte alsdann den Gesang an. Er klang wie eine Beschwörung.

Melodie und Lied beschworen auch den lauschenden Mann; lockten ihn an; zogen ihn hin zu der Sirene der Wüste.

Er schlich der Stelle zu, wo die Sängerin sich aufhielt; erspähte sie; verbarg sich im Dickicht und sah –

Amneh kauerte in ihrem blauen biblischen Gewande auf dem gelben Sand. Sie hatte das Schleiertuch über das feine Köpfchen zurückgeschlagen, hielt eine aus Röhricht verfertigte Schalmei vor den Lippen, spielte darauf einige Töne, setzte die Laute ab, sang einige Worte, spielte wieder – sang wieder in einer unsäglich einschläfernden, geradezu hypnotisierenden Weise.

Nach einer Weile schlängelte sich eine Viper über den Sand auf die Sängerin zu.

Diese spielte und sang weiter, ihre Augen unverwandt auf das giftige Gewürm geheftet, dessen Biß sicheren Tod brachte.

Wollte sie sich von der Schlange beißen lassen? Wollte sie sterben?

Als die Viper bis zu ihren Füßen herangekrochen war, griff das zarte Wesen danach, wollte es die Schlange packen. Aber der Lauscher stürzte vor und zerschmetterte dem Reptil mit einem Stein den Kopf.

Amneh stieß einen Laut aus, der wie ein Wutschrei klang; riß das Schleiertuch vor das Gesicht; sprang auf und entfloh.

Von der Schlange beißen wollte sie sich lassen.

Gewiß hatte ihr Gatte sie wieder blutig geschlagen ... Götz würde mit dem Wildling doch reden müssen.

8

Gegen Abend ritt Götz nach Abuska und traf den Ort in einer Bewegung, als ob das in das Zuckerrohrfeld eingebrochene Wolfsrudel ein heranziehendes Feindesheer wäre. Aus Medinet-Fayum kamen sie, und der deutsche Herr konnte seine beiden jungen Reisegefährten von El-Wasta, den Arzt und Apotheker, begrüßen. Auch der Pascha erschien, ein überaus ansehnlicher Herr in europäischer, höchst modischer Kleidung mit dem Fes auf dem Kopf, den er trug, als sei er nicht der reichste Mann vom Fayum, sondern der Herr der Oase. Er ritt einen Berberhengst, ein prachtvolles Tier, und führte ein ganzes Gefolge mit sich.

Entflammte sich das heiße Blut des Wüstenvolks bereits bei einem derartig geringfügigen Anlaß, so steigerte ein religiöser Festtag die allgemeine Erregung auf das Höchste. Im ganzen Dorfe waren Vorbereitungen für eine nächtliche Kirchenfeier, eine »Phantasia«, getroffen worden. Auf dem Marktplatz und vor der Moschee waren Palmenzweige gestreut, Fahnen aufgesteckt, in den Zweigen der Sykomoren und Lebbachakazien bunte Papierlaternen aufgehängt, als blühten Wunderblumen in den uralten gigantischen Bäumen. Nachdem in dem Zuckerrohrfeld – es gehörte, wie alles Land ringsum, dem Pascha – die Wölfe getrieben und erlegt worden waren, sollte mit fanatischen Bußübungen, wilden Betgesängen, wütenden Tänzen die Gottheit verehrt werden. Vielmehr: ihr großer Verkündiger auf Erden; denn dieser grimmige Kriegsmann und blutige Prophet stand dem Herzen des frommen Muslims bedeutend näher als der alleinige Gott ...

Dem Freiherrn verursachte die Anwesenheit des Paschas Unbehagen, des wilden Omars und der holdseligen Amneh wegen. In was für Phantastereien ein nüchterner Nordländer in diesem Fabellande verfallen konnte! Vor einigen Tagen das seine blutenden Wunden waschende junge Weib, und heute die mystische Schlangenbeschwörung des Nymphleins vom Mörissee – welche düsteren und schrecklichen Dinge hatte er doch in diese beiden Vorfälle hineingeheimnist, die sicherlich ohne jede tiefe Bedeutung waren. Und jetzt gleich wieder die Einbildung mit dem eifersüchtigen Beduinen und dem Don Juan des Fayum! Als hätte nicht auch der »kühle Deutsche« an sich selber erleben müssen, was Leidenschaft war, und wohin sie führen konnte: zu Ehebruch, Verbrechen und Totschlag ...

Als der Pascha den vornehmen Fremden bemerkte, ritt er auf ihn zu; grüßte ihn als vollendeter Weltmann; stellte sich ihm im perfekten Französisch vor; forderte ihn auf, bei der Jagd sich ihm anzuschließen und danach in seinem Landhause eine Erfrischung einzunehmen: sein Haus gehöre dem Gast.

Der Freiherr dankte auf das verbindlichste. Die Einladung zur Wolfshetze nahm er an und entschuldigte sich, wenn er als Fremder nach der Jagd dem Schauspiele des religiösen Nachtfestes beiwohnte. Der Pascha erwiderte, dann würde auch er, zu Ehren des Fremden, daran teilnehmen.

Also konnte er Omar nicht helfen; nächsten Tags mußte er dem höflichen Grandseigneur einen Besuch abstatten. Gute Form galt selbst in der Wüste.

Vergeblich sah sich Götz von Uslar nach seinem wilden Freunde um. Es hätte ihn beruhigt, würde er den Jüngling unter den Jägern bemerkt haben, an deren Spitze der Pascha sich bei Anbruch der Nacht zu Pferde nach dem Zuckerrohrfelde begab, von dem ganzen drängenden und tosenden Abuska gefolgt. Kinder und junge Leute trugen brennende Fackeln, mit denen sie das weite Feld auf drei Seiten umstellten, während die Kühnsten in die Plantage eindrangen, wobei sie beständig ihre Gewehre abfeuerten. Auf diese Weise sollten die Wölfe hinausgetrieben werden, wo die in einer Reihe aufgestellten Jäger schußbereit die Bestien erwarteten.

Der Pascha, der Fremde und die Zuschauer nahmen auf einer nahen Anhöhe Stellung.

Über der Phantastik der Szene vergaß Götz seine sicher völlig unbegründeten Besorgnisse. Das Zuckerrohrfeld lag inmitten eines Waldes von Dattelpalmen und schien mit seinen schlanken purpurfarbenen Stielen und seinem schilfähnlichen schönen Blattwerk von der Fackelglut in Brand gesteckt zu sein. Bis hinauf in die Palmenkronen flammte der rote Schein, in dem sich auch die Volksmenge bewegte: ein Gewühl hoher Gestalten in blauen, schwarzen und weißen Faltenwürfen; die Männer mit hellen und dunkeln Turbanbinden, die Frauen mit schleppenden Schleiertüchern, düster wie das Gewand.

Der Trieb befand sich in vollem Gange und die Erregung der Zuschauer beständig im Wachsen. Der Lärm war ein Getöse, daß es, statt eines Rudels Raubtiere, ein Heer Teufel aus dem Feld verjagt hätte. Rings um dieses wurden Fackeln geschwungen. Auch mitten in dem hohen Röhricht loderten sie jetzt auf, mystischen Flammen gleich.

Die Wölfe brachen hervor und wurden, einer nach dem andern, niedergeknallt. Das Volk wäre am liebsten den Bestien entgegengestürzt; hätte sich auf sie geworfen und sie lebendigen Leibes zerrissen, blutgieriger als die hungrigen Tiere ...

Plötzlich erblickte der Freiherr den Beduinen. Er trat seitlich aus dem Zuckerrohrfelde mit erhobenem Gewehr und suchte für seine sicher treffende Kugel nach einem neuen Ziel.

Der Jüngling sah aus, als habe er mit einer ganzen Meute angeschossener Wölfe gerungen. Sein Gewand war blutbefleckt und hing in Fetzen um seinen Leib, der mit Wunden bedeckt schien. Der ganze Mensch war blutüberströmt.

Im nächsten Augenblick fand er sein Ziel: der Pascha! Und schon im nächsten Augenblick wäre dieser ein Mann des Todes gewesen, hätte nicht Götz mit einer blitzschnellen Bewegung sein Pferd vor das des Paschas geworfen.

Omar ließ das Gewehr sinken.

Sein deutscher Freund sprengte auf ihn zu ... Er war der einzige gewesen, der den Vorgang bemerkt hatte.

9

Welch ein Schauspiel!

Die Szene ein wüster Platz, von braunen Schlammhütten umgeben; Feuer aus dürren Palmenblättern loderten auf; Volk der Wüste tosend und tobend wie in Trunkenheit, wie in Tollheit.

Die Weiber standen abseits in dichter Schar. Sie waren dunkel verschleiert und regten sich nicht.

Eine »Phantasia!«

Nur junge Männer führten sie aus unter Anführung eines Scheichs. Sie standen in langen Reihen. Die einen schlugen die Handtrommel, immerfort nur den einen unsäglich schwermütigen, alle Sinne bannenden, alle Sinne einlullenden Ton. Ein Ton war's, der von Sinnen bringen konnte.

Die anderen »tanzten« zu Ehren ihres Propheten.

Sie schritten etwas vor; schritten etwas zurück. Wiederum vor, wiederum zurück. Wiederum und wiederum. –

Sie bewegten den Oberkörper: jetzt hierhin und jetzt dorthin. Sie bewegten den Kopf: jetzt so und jetzt so. Fort und fort die nämliche Bewegung, die nämliche Beugung. –

Sie sangen eine einzige kurze Strophe. Nur die eine, mit dem einen unsäglich schwermütigen Tonfall.

Alsdann kam der Taumel, die Verzückung, der Wahnsinn.

Der blutüberströmte Omar war derjenige Mohammed-Tänzer, bei dem die Tollheit am ersten und am wahnwitzigsten ausbrach.

Knaben brachten lange schmale Messer herbei. Sie glichen Schwertern. Die Beter ergriffen die Waffen. Schaum trat vor ihren Mund. Sie verdrehten die Augen. Plötzlich hoben sie die Arme und schlugen mit den Messern auf sich los; geißelten sich mit den scharfen Waffen. Sie trafen Kopf, Rücken, Brust; trafen den ganzen Leib – zerhieben den ganzen Leib.

Von den Körpern strömte das Blut ...

Und jetzt wurden auch die Weiber von der Ekstase, von dem Wahnsinn ergriffen. Sie warfen beide Arme in die Luft, den Kopf in den Nacken; sie stimmten einen Gesang an; sie begannen sich zu drehen: wild und wilder. Ihr Gesang ward zum Geheul, ihre Wildheit zur Wut, ihr Tanzen zum Toben.

Die Beterinnen rasten als Mänaden, als Bacchantinnen ihres göttlichen Propheten, der die Frauen heiß geliebt, Frauenliebe orgiastisch genossen hatte.

Amneh!

Sie war zu der Feier nach Abuska gekommen; hatte sich vor der Moschee zu den Frauen gesellt; hatte von der Furie sich packen lassen.

Und wieder der Pascha!

Die Weiber zerrauften sich das Haar; zerschlugen sich die Brüste und – Amneh zerriß in der Raserei ihr Gewand.

Sie zerriß es von oben bis unten.

Wie Götz von Uslar die zarte Gestalt in ihrem geheimen Liebreiz geschaut hatte, sahen sie jetzt alle.

Es sah sie der Pascha.

 

Omar schrie auf wie ein zu Tod verwundetes Tier. Von seinem Geist fiel der Wahnsinn ab, wie sein Weib das Gewand fallen ließ. Er stürzte auf Amneh zu; packte sie mit beiden Armen; hob sie hoch empor und schritt mit seinem nackten Weibe durch das Volk, das in seinem Geheul plötzlich verstummte, als sei etwas Gräßliches, etwas Ungeheures geschehen.

Unter Todesschweigen des Volkes trug der Beduine sein geschändetes Weib davon; hob es auf sein Pferd; sprengte mit ihm hinaus in die Nacht.

 

Als der Pascha im Morgengrauen sein Landhaus erreichte, scheute das Pferd vor einer Gestalt, die ausgestreckt auf der Schwelle des Torwegs lag: der hüllenlose Leichnam einer Frau, jung und zart wie ein Kind, von dem Liebreiz einer Nymphe.

Um den feinen blassen Hals trug die Tote eine Schnur als Zeichen, daß sie nicht gemordet, sondern gerichtet ward.

10

Nicht als Mörder, sondern als Richter und Rächer schien sich der junge Beduine zu fühlen; denn er entwich nicht nach seiner Tat. Nicht als Mörder, sondern als Richter und Rächer schien das Volk der Wüste den Jüngling zu betrachten; denn kein Mund erhob wider ihn Anklage, kein Gericht zog ihn zur Rechenschaft, und es schwieg der reichste und mächtigste Mann im Fayum.

Gleich am nächsten Morgen nach der tragischen Begebenheit meldete sich Omar in dem Zelt des Fremden und fragte diesen, der durch den arabischen Diener das Vorgefallene erfahren hatte, nach seinen Befehlen für den Tag.

Götz befand sich in einer Gemütsverfassung, als beträfe die Sache ihn selbst. Bleichen Gesichts starrte er den Gattenmörder an, der in freier Haltung vor ihm stand: in einem neuen Gewande, an Haupt, Hals und Wangen die blutrünstigen Wunden der religiösen Orgie der verflossenen Nacht. Der Deutsche wußte, wie leidenschaftlich, wie sinnlos der Jüngling sein wunderschönes Weib geliebt hatte: sinnlos vor leidenschaftlicher Liebe hatte er den seelischen Ehebruch seines Weibes mit dessen Tod gerächt. Und der Rächer, der Mörder, zeigte eine Ruhe, als hätte er eine sehr einfache, durchaus natürliche Handlung begangen. Keine Miene verriet eine innere Bewegung, und –

» Er hatte die Tote, die Gemordete heiß geliebt

Es war dieses, was die Seele des Fremden packte, so gewaltsam und zugleich so gewaltig, daß sie sich von der Vorstellung nicht losreißen konnte.

Der Freiherr sagte mit Anstrengung: »Ich bedarf deiner nicht.«

»Solltest du meiner heute noch bedürfen, Herr, brauchst du mich nur rufen zu lassen. Es müßte jedoch sehr bald sein.«

»Bleibst du in deinem Hause?«

»Nein.«

»Wenn du fortgehst, so kann ich dich nicht rufen lassen.«

»Ich werde bald zurück sein.«

Ein Schweigen entstand. Dann fragte Götz mit Anstrengung: »Kann ich etwas für dich tun?«

»Was solltest du für mich tun können, Herr?«

»Irgend etwas.«

»Nichts.«

»Besinne dich.«

»Du kannst nichts für mich tun.«

Wiederum Schweigen; und wiederum die leise Frage: »Du schossest gestern Nacht nicht auf den Mann, weil ich den Mann schützte. Ich danke dir.«

»Herr, du bist gut. Aber – ich danke dir nicht

Da rief Götz seinen Namen: »Omar! Omar!«

»Herr?«

»Omar, Omar, was hast du getan!«

In dem seltsam farblosen Gesicht des jungen Beduinen – es war aschfahl – verriet keine Miene irgend welche Bewegung. Auch gab er auf den lauten Anruf keine Antwort; wollte das Zelt verlassen; blieb beim Ausgange stehen; kehrte langsam zurück; sprach: »Du bist sehr gut, fremder Herr. Weil du so gut bist, will ich dir etwas sagen. Nur dir will ich es sagen, guter Herr.«

Götz versetzte: »Ich bin dein Freund. Du weißt nicht, wie sehr ich dein Freund bin. Und wenn ich für dich irgend etwas tun kann – kann ich wirklich nichts für dich tun? Gar nichts? Denke nach!«

»Nichts. Gar nichts.«

»Da du zurückkamst, willst du mir etwas sagen.«

»Wenn du jetzt keine Befehle für mich hast, kann ich von dir überhaupt keine Befehle mehr ausführen.«

»Du gehst fort?«

»Sehr bald.«

»Wohin?«

»Ins Grab.«

»Du willst dich töten? Omar, o Omar! Töten willst du dich?«

»Ich werde sterben.«

»Deiner Tat willen?«

»Herr, nein.«

»Dann also des schönen schändlichen Weibes willen? Deiner großen Liebe willen? Deines Unglücks willen?«

»Herr, nein.«

»Weshalb willst du Selbstmord begehen? Sage mir's. Sage es deinem guten Freunde. Du hast keinen besseren.«

Da sagte es ihm der Sterbende: »Als ich diese Nacht von Abuska in meine Hütte zurückkam – allein in meine Hütte zurückkam, – war ich sehr müde. Ich warf mich auf mein Lager und schlief gleich ein ... Verstehst du mich, Herr?«

»Du schliefst sogleich ein ... Weiter! Weiter!«

»Als ich erwachte, lag auf meiner Brust – dieses.«

Er griff in sein Gewand und zog eine Viper daraus hervor: eine jener gehörnten, furchtbaren, sicher tötenden Schlangen.

»Gott sei Dank ist sie tot!«

»Ich tötete sie auf meiner Brust.«

»Du erst tötetest sie?«

»Ich.«

»Sie biß dich doch nicht? ... Omar, Omar – die gräßliche Schlange biß dich doch nicht?«

»Herr, sieh.«

Er entblößte seine Brust, die von der Bildung der Statue eines griechischen Epheben war, und wies auf eine winzige blutrote Schwellung: der Biß der Viper.

Sein Freund schrie auf vor Entsetzen: »Du wurdest von der Viper gebissen und du tust nichts, um zu versuchen, dich zu retten? Du stehst da und – Schnell! Schnell! Auf dein Pferd! Nach Medinet-Fayum! Zum Arzt! Ich reite mit dir! Schnell! Schnell! Was sagst du?«

»Gegen den Vipernbiß gibt es keine Rettung. Sieh doch, Herr: es schwillt bereits an; das Gift wirkt bereits. Am Abend schon bin ich ein toter Mann. Du allein, Herr, sollst es schon jetzt wissen; denn du allein, Herr, bist mein Freund.«

Sein Freund konnte den Jüngling nur fassungslos, verzweiflungsvoll bei Namen rufen; konnte den Verlorenen, den Sterbenden nur flehentlich bitten, dennoch und dennoch wenigstens den Versuch einer Rettung zu unternehmen. Omar blieb jedoch dabei: Nichts könnte ihn retten, keine Macht der Welt! Wer von der Wüstenschlange gebissen sei, müsse sterben.

»Wie kam sie in dein Haus?«

»Ich fand in meinem Hause noch eine zweite, noch eine dritte Viper. Ich tötete alle drei.«

»Drei Vipern in deinem Hause?«

»Sie wurden in mein Haus gebracht.«

»Omar!«

» Sie wurden in mein Haus gebracht

»Nein, Omar! Nein, nein!«

»Ich sollte diese Nacht von einer Viper gebissen werden; sollte sterben. Und ich sterbe.«

»Ich glaube es nicht. Es ist zu furchtbar, zu grausig. Ich will es nicht glauben. Hörst du: ich will nicht.«

»Herr, vergiß nicht, daß du der einzige Mensch bist, der es weiß. Und – sei bedankt, guter Herr.«

Er ging.

 

Noch vor dem Abend war Omar tot. Götz von Uslar war während seines ganzen Todeskampfes nicht von seiner Seite gewichen.

Er hatte bis dahin nicht gewußt, daß ein Mensch so gräßlich und – so groß sterben konnte.

11

Götz von Uslar war in die Wüste gegangen, um vor dem Jammer des Lebens, den Leidenschaften der Menschen, der Schuld der Menschen sich zu flüchten; und er fand in der Wüste den Jammer, die Leidenschaften und die Schuld – fand in der Wüste Libyens sein eigenes Geschick.

Aber er war ein Kulturmensch; gehörte zu den Auserwählten, den Hochgebildeten, also Hochsittlichen: gehörte zu den geistigen » upper ten thousands«.

Wie also konnte er seinen Lebensjammer und seine Leidenschaften mit dem Jammer und den Leidenschaften eines Volkes von Wilden vergleichen? Mit jenen nur in einem Atem sich nennen?

Vergleichen das wunderschöne Weib einer sogenannten höchsten Kultur mit dem lasterhaften Frauenwesen der Wüste? –

An dem grauenvollen Sterbelager des jungen Beduinen geschah es, daß Götz von Uslar solche Gedanken dachte, solche Vergleiche stellte; und als er in der Nacht bei dem Toten, der wie ein Held gestorben war, mutterseelenallein die Wache hielt, überkam ihn die Erkenntnis mit der Gewalt einer Offenbarung.

War es möglich, daß das Leben einen Mann von seiner vornehmen Art zum Verräter an dem Freund, zum Ehebrecher, zum Totschläger, zum Mörder machen konnte? Freilich – was wäre dem Leben nicht möglich gewesen?

Er und seinesgleichen machten das Leben dafür verantwortlich; bürdeten diesem alle Rechenschaft auf für die Taten des Menschen; denn:

Das Leben ließ sie schuldig werden!

Schuldig werden des Verrats, des Ehebruchs, des Totschlags ...

Auch Götz von Uslar hatte für seine Schuld das Leben verantwortlich gemacht; und erst jetzt, in der Libyschen Wüste, an dem Totenbette dieses groß gestorbenen jungen Wilden erkannte er seine Schuld; und ihn ergriff bei dieser Erkenntnis ein Grauen.

Von diesem großen Grauen erfüllt, das seine Seele wie mit Geierkrallen packte, dachte er sein Leben zurück und schaute dabei dem Gestorbenen, der ein Mörder war, ins Gesicht, welches bei dem Schimmer der Gestirne im Tode die Majestät eines Siegers zeigte.

 

Von Jugend auf war in Götz von Uslar etwas gewesen, das den stattlichen Mann von den Frauen fern hielt, von allen Frauen! Von den Damen der Gesellschaft sowohl, wie von den Priesterinnen der Liebe, die der Liebe Dämoninnen sind. Er selbst wußte für die Ursache seiner fast feindseligen Haltung den Grazien des Lebens gegenüber keine Erklärung; nannte bei sich selbst die Ursache solcher mönchischen Enthaltsamkeit nicht etwa pharisäerhaft seine »Sittlichkeit«, sondern seinen »Stolz«; und er hielt diesen seinen Mannesstolz für so vornehm, so erhaben, so souverän, daß er ihn vor keiner Frau beugen wollte: schien ihm doch keine Frau einer derartigen vasallenhaften Huldigung – bei sich selbst nannte er es Demütigung und Erniedrigung – würdig zu sein.

Sein Hochmut, der um ein Haar dem Größenwahn glich, sollte jedoch zu Fall kommen ...

Da er die ihm ebenbürtige Frau niemals und nirgends finden würde, suchte er gar nicht danach. Plötzlich fand er sie.

Ein Regimentskamerad, zugleich sein bester, sein einziger Freund, heiratete; und – Götz von Uslar fand die Frau, die ihm vom Himmel selbst bestimmt worden war – wie er später annahm – in der jungen Frau des Kameraden, des Freundes: »einen besseren gibt es nicht«.

Daß dieser beste Freund – er war eines der sonnigsten Menschenkinder – als großer Don Juan galt, hatte selbst für den strengen und sittenreinen Götz von Uslar nichts Anstößiges gehabt. Jetzt änderte sich das. Der Sonnenschein im Wesen des Freundes sollte die junge Frau zeit ihres Lebens umleuchten, ihr schönes Haupt wie eine Gloriole umstrahlen; aber das Treiben des Lebemanns und »Schwerenöters« – so verlangte es der eifernde Idealist – mußte ein Ende nehmen. Es nahm jedoch kein Ende. Das wußten im Regiment alle. Nur die junge reizende, unschuldige Frau wußte es nicht.

Sie begann Götz von Uslar zu dauern. Und sein Mitleid wuchs und wuchs.

Es war solch wonniges Wesen gleich einem Maienmorgen. Auch so zart und lieblich, mit goldigem Elfenhaar und genzianenblauen Augen, daraus eine Kinderseele leuchtete, ein Himmel von Reinheit, Güte und Glanz.

Wie sie den besten Freund ihres leichtfertigen, ihres unsittlichen Gatten dauerte!

Und wie eigentümlich das wunderfeine Frauenwesen den Mann betrachtete, dessen Mund noch niemals Frauenlippen berührt hatten ...

Das hatte der Gatte ihr erzählt, lachend, wie eine lustige Anekdote; das erzählte man sich lächelnd im ganzen Regiment.

Besonders die Damen lächelten und flüsterten und – betrachteten bisweilen mit einem eigentümlichen Blick den unberührten Mund des Mannes, der Vielen als der Stattlichste und Liebenswürdigste – der Besonderste – seines ganzen Geschlechts erschien. Aber die Augen keiner der Frauen ruhten mit einem derartig seltsamen Ausdruck auf Götz von Uslar wie die der Gattin seines Freundes, der von früher Jugend mit ihm alle Leiden und Freuden des Lebens geteilt hatte.

 

Götz von Uslar machte seinem Freunde über dessen Galanterien heftige Vorwürfe: »Wie kannst du nur? Solche Frau zu haben und dann solches Leben zu führen! Du handelst unverantwortlich; handelst schlecht und schändlich!«

Der in dieser Weise zur Rechenschaft gezogene Übeltäter lachte sein Sonnenlachen, schalt den gestrengen Kameraden einen Philister und Mucker, gelobte im übrigen feierlich Besserung, meinte jedoch: »Meiner Frau ist es total gleichgültig. Ich versichere dich: total.«

Der Freund fuhr auf: »Wie darfst du das sagen? Es ist eine Beleidigung gegen diesen Engel von Frau. Du beschimpfst sie.«

»Gar nicht. Sie ist reizend. Ich liebe sie ja auch zärtlich. Aber – sie ist durch und durch eine moderne Frau. Also ungemein verständig in dergleichen Dingen.«

Der gute Götz rief empört: »Durch und durch modern? Diese Frau? Du kannst deine eigene Frau derartig verleumden?«

»Sie hat das Recht, ein moderner Mensch zu sein. Ich habe es auch. Wir alle haben es, wir Jungen und Neuen ... Übrigens, mein Bester, was verstehst du von Frauen?«

»Ich verstehe so viel, daß ich deine Frau anbetungswürdig finde. Hiermit sei dir's gesagt.«

»Gut. Bete sie an.«

»Du erlaubst es mir?«

»Ich vertraue dir. Hörst du wohl: ich vertraue dir meine Frau an

 

Wie dann alles kam ... Wie dann alles kommen konnte. –

Durch sein inbrünstiges, blutiges Mitleid. Und dadurch, daß sie für ihn das erste Weib war. Überhaupt das Weib.

Der Gatte der wunderschönen, der dämonisch schönen Frau vertraute dem Freunde; und die Frau vertraute ihres Gatten Freund. Sie vertraute sich ihm an und sagte ihm, er sei auf Erden der einzige Mann, dem sie sich anvertrauen könne. Er sei überhaupt der einzige Mann, der –

Sie sprach an diesem Tage nicht aus ...

Und sie vertraute dem »einzigen Manne« ferner an, sie liebe ihren Gatten nicht; denn sie sei an ihn verkauft worden. Auch ihr Gatte liebe sie nicht, sondern begehre sie nur. Sie sei eine unglückliche, eine unselige Frau, und würde es lebenslang bleiben. Denn nie und nie würde ihr Gatte sich von ihr scheiden lassen. Allein schon nicht aus tödlich verletztem Stolz. Vielmehr: aus tödlich verletzter Eitelkeit.

Da fuhr der ritterliche Vertraute auf: Scheiden müsse der Mann sich lassen! Freigeben müsse er die Frau! Oder – er sei kein Ehrenmann.

Das sei er auch nicht. Niemand wisse, was er sei. Auch sein guter Kamerad und bester Freund wisse es nicht. Nur seine Frau. Und sie müsse schweigen.

Dennoch wollte der »beste Freund« mit dem Manne reden.

Nein, nein, o nein! Nur das nicht. Es hülfe doch nichts und würde sie nur noch mehr in seine brutale Gewalt geben.

Was sagte sie? ... In seine »brutale Gewalt«?

Sie geriet außer sich. Wie konnte sie das sagen? Wie konnte sie sich derartig vergessen? Derartig von ihrem Unglück sich hinreißen lassen?

Eine Frau müsse leiden und schweigen. Ein Martyrium müsse eine Frau erdulden und stumm bleiben.

Er rief aus: »Heilige! Heilige!«

 

Dann kam eine Stunde, in der sie sich so weit vergaß, jenen damals nicht ausgesprochenen Satz zu Ende zu sprechen:

» Sie sind der einzige Mann, den ich je würde lieben können

Er ward totenbleich; stand vor ihr wie ein Schuldiger, wie ein eines schweren Verbrechens Überführter, ein Verurteilter. Denn nur seine Schuld war es, daß die Frau so zu ihm sprechen konnte – diese Frau!

Er wollte zu ihren Füßen stürzen und sie um Vergebung bitten. Aber er fühlte, daß seine Schuld zu groß sei, um vergeben zu werden.

In Verzweiflung stürzte er davon.

 

Eine Zeit verstrich, während welcher Götz von Uslar erkannte, daß er seines Freundes Frau liebte mit einer Leidenschaft, die Wahnsinn war. Sie verbrannte ihm Gedanken und Sinne, Hirn und Herz; verzehrte seinen Stolz; vernichtete seine Würde; vernichtete das, was er bis dahin seine »Sittlichkeit« genannt hatte.

Aber immer noch kämpfte er wie ein in ein stürmendes Meer Geschleuderter, der nicht schwimmen konnte, dem kein Strohhalm half. Immer noch schwieg er; immer noch widerstand er. Aber es kam die Stunde, wo sie wiederum zu ihm sprach:

» Du bist der einzige Mann, den ich jemals lieben könnte. Ich liebe dich!«

Da schrie er auf: »Ich liebe dich! Ich liebe dich! Ich liebe dich!«

 

In der nämlichen Stunde wollte er zu ihrem Gatten, seinem einstmals geliebten Freunde gehen und diesem sagen: »Ich liebe sie! Ich liebe deine Frau!«

Er wollte von dem Manne, der sie nicht liebte, sondern nur begehrte, fordern: »Gib sie frei. Du mußt sie freigeben!«

Und wenn dieser ihn gefragt hätte: »Ich soll sie wohl für dich frei geben?«

So wollte er erwidern: »An mich darf und will ich nicht denken. Nur an sie. Nur an ihr Leben. Denn sie verzehrt sich an deiner Seite; geht als dein Weib zu Grunde; stirbt; kommt elend, jammervoll um. Also gib sie frei, gib sie frei!«

Er ging jedoch nicht zu dem Manne; sprach nicht zu ihm. Er hörte auf sie, ließ sich von ihr bereden, glaubte ihr.

Erst mit seinem unbedingten Glauben an das Weib begann seine Schuld. Sie wuchs und wuchs.

Aber immer noch kämpfte er; immer noch widerstand er mit letzter schwindender Kraft.

Dann ging er in dem Meer seiner Leidenschaft unter.

Er wurde ihr Liebhaber, wurde ein Ehebrecher.

Und das Weib sagte zu dem Sinnlosen: »Er läßt mich nicht frei; er läßt mich nie frei. Du mußt ihn töten.«

»Was muß ich?«

»Ihn töten.«

»Meinen Freund?«

»Meinen Vergewaltiger.«

Aber er stammelte: »Töten soll ich? Töten –«

»Kämpfe mit ihm um mich.«

»Kämpfen mit meinem Freunde –«

»Fürchtest du dich? Er ist freilich der beste Schütze im ganzen Regiment.«

»Das ist er.«

»Nicht mit deinem Freunde kämpfst du, sondern mit deinem Feinde.«

»Gut. Es ist gut. Ich will mich mit ihm schießen; will mich von ihm niederschießen lassen. Dann hat alles ein Ende.«

»Du wirst ihn töten.«

»Er hat den ersten Schuß.«

»Den hat er.«

»Und er wird treffen.«

»Ich sage dir: Du wirst ihn töten

Sie sah ihn mit jenem Blick an, der wie ein Zaubertrunk auf ihn wirkte. Lächelnd sah sie ihn an: ihm lange und fest in die Augen. Selbst ihr grausiges Lächeln brachte ihn nicht zur Besinnung; ließ ihn nicht erkennen: wer seine erste Liebe war, seine erste heilige Liebe. Nur, daß er noch so viel Kraft zusammenraffte, ein letztes Mal zu zaudern, den Freund zu töten – wie sie von ihm verlangte; wie sie voraussagte, daß es geschehen würde.

Da enthüllte sie sich für ihn. Sie zeigte ihm an ihrem schneeigen Venusleibe die blutrünstigen Striemen seiner brutalen Begierde.

Götz von Uslar sank vor ihr auf die Kniee wie vor einem entweihten, einem geschändeten Heiligenbild. Er preßte seine Lippen auf die rote Blüte ihres gebenedeieten Leibes und schien, an ihn hingesunken, zu beten.

Alsdann erhob er sich; neigte sich vor ihr wie ein Ritter vor der unbefleckten Dame seines Herzens; ging von ihr fort; begab sich stehenden Fußes zu dem Manne, der ihr das Schandmal aufgedrückt hatte, und schlug diesem Elenden mit der Faust ins Gesicht.

Und Götz von Uslar tötete den Mann.

 

Über dem Zweikampf schwebte etwas Geheimnisvolles, Dunkles, obgleich er nach allen Regeln eines Ehrenhandels stattfand.

Der beleidigte Gatte hatte den ersten Schuß. Sein Pistol versagte. Trotzdem schoß der andere und tötete ihn. Es war ein Duell und schien dennoch ein Totschlag zu sein, ein Mord ...

Götz von Uslar erhielt strenge Bestrafung. Er erhielt den schlichten Abschied; mußte einen Beruf aufgeben, den er leidenschaftlich liebte, in dem er das Höchste erreicht hätte. Seine ehemaligen Kameraden sagten sich von ihm los; die Gesellschaft zog sich von ihm zurück – boykottierte ihren einstmaligen Liebling. Er war ein Gemiedener, ein Geächteter, ein Mann mit verlorener Ehre.

Und ihn verließ das Weib, um dessentwillen er getötet und seine Ehre verloren hatte. Während er seine Strafe abbüßte, fand ein anderer sie, gehörte sie einem Zweiten, einem Dritten. Und sie würde einem Vierten und Fünften gehören ...

Er wollte die Dirne töten – wie der Beduine Omar sein zuchtloses Weib getötet hatte. Im letzten Augenblick vor der Tat entfloh er, rettete er sich vor sich selbst.

Bis in die Wüste trieb es ihn, um in der Wüste am Totenbett eines Mörders zu erkennen, was fortan sein Leben sein mußte: Rückkehr in die Welt und das Leben von neuem beginnen in beständigem Kampf, in harter Arbeit, in einer Sühne seiner Schuld dadurch, daß er versuchte – nur versuchte – das große Dichterwort zu erfüllen:

»Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.«


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