Voltaire
Kandide oder Die beste aller Welten
Voltaire

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin kommen an die englischen Küsten; was sie dort sehn

Kandide. Ha,Panglos!Panglos! Ha,Martin!Martin! Ha,meine traute Kunegunde! was ist diese Welt hier! sagte Kandide auf dem holländischen Schiff.

Martin. Ein erzpudelnärrsches und erzabscheuliches Gemachte. Kandide. Sie sind doch in England bekannt, gibt's dort ebensolche Toren wie in Frankreich?

Martin. Eben! nur von anderm Schnitt und von andrer Farbe. Sie wissen, diese beiden Nationen führen wegen ein paar lumpichter Hufen Schnee, die gegen Kanada liegen, Krieg, und verschwenden bei diesem allerliebsten Kriege weit mehr, als das ganze Kanada wert ist. Ihnen genau zu bestimmen, ob's hier zu Lande mehr Leute gibt, die man an die Kette legen sollte, wie in jenem, das vermag ich nicht; dazu hab' ich zu wenig Auge. Bloß das weiß ich, daß die Leute, wo wir jetzt hinkommen, eine starke Dosis schwarzer Galle bei sich führen.

So hatten sie sich an die Gestade von Portsmouth hingeplaudert. Eine Menge Pöbel strömte zum Ufer hin und schaute mit unverrücktem Auge nach einem ziemlich großen, dicken Mann, der mit verbundnen Augen auf dem Verdeck eines Schiffs aus der Flotte kniete. Ihm gegenüber standen vier Soldaten, die ihm mit dem kältesten Herzen und Auge drei Kugeln ins Gehirn jagten, und die ganze Versammlung ging in der vergnügtesten Laune auseinander.

Was heißt das! sagte Kandide. Üben denn überall böse Geister ihre Macht! Wer war denn der Sir Wanst, den Ihr mit solchen Solennitäten umbrachtet? fragte er einen von den Umstehenden. Ein Admiral, war die Antwort. Und wozu tötet Ihr diesen Admiral? „Er hat nicht Leute genug umgebracht; er ficht mit einem französischen Admiral, und nachher findet sich's, daß er ihm nicht dicht genug auf der Haut gewesen ist." Aber, sagte Kandide, der französische Admiral war ja so weit vom englischen als dieser von jenem. „Nicht zu leugnen, indes kann's hier zu Lande gar nicht schaden, wenn einmal ein Admiral arquebusiert wird, desto mehr lodert den übrigen der Mut an."

Der gehabte Anblick, die eben gehörte Rede hatten Kandiden so betäubt, wurmten ihm so sehr, daß er nicht einmal den Fuß ans Land setzen wollte, und auf der Stelle mit dem holländischen Schiffer bedung, ihn ungesäumt nach Venedig zu bringen; sollte selbiger ihn auch gleich wie der surinamsche Schiffspatron begaunern.

Binnen zwei Tagen war der Schiffer klar. Es ging an den Küsten von Frankreich weg, dicht vor Lissabon vorbei, wo Kandiden kalter Schauer über den Nacken lief; hinein in die Straße von Gibraltar und so ins Mittelländische Meer; endlich lag man vor Venedig.

Gottlob, sagte Kandide zu Martinen, den er feurig umarmte, hier werd' ich sie wiedersehn, die schöne Kunegunde! Auf Kakambo'n rechne ich wie auf mich selbst. Oh! es geht alles gut! alles! es kann gar nicht besser sein.


 << zurück weiter >>