Hermine Villinger
Die Rebächle
Hermine Villinger

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VII

In Rebach zwitscherten die Vögel. Die Morgensonne drang durch die offenen Fenster des Gutshauses und schien sich zu verwundern, daß an einigen die Rouleaus noch herunter waren.

Zwei Buben flogen aus dem offenen Haustor. Ernstin kam hinterdrein.

»Nur kein Lärm, ihr Professore, wenn ihr schreie wollt, schreit drübe über der Wies' – aber auf die Sonntagskleidli achtgebe, sonsch – Ja freili,« wandte sie sich an ein kleines, dickes, hinter den Buben drein watschelndes Mädchen, »der Nachtrab bleibt daheim –«

Damit nahm sie die Kleine auf, hielt ihr den Mund zu und verschwand im Haus.

Krabb trat ihr entgegen:

»Schlafen sie denn noch immer?«

»'s isch jo erst siebene,« bekam sie zur Antwort, »in der Nacht um eins habe sie mir ans Fenster klopft – bin fast g'storbe vor Freud – Schnell hab i ein zweites Bett aufg'schlage in der Großmama ihrem Zimmer – Ach Gott, ach Gott, daß wenigstens drei von unsre Sechse wieder daheim sind –«

»Aber –« wollte Krabb einwenden.

»Nur Geduld,« wurde sie unterbrochen, »Sie wisse nit, was Reise isch. Ich weiß es. Do tun eim alle Knoche weh und der Hals noch dazu, denn man muß nix als schreie, daß man zu seim Recht kommt –«

Hesperus erschien, noch ein wenig rundlicher, noch ein wenig vernachlässigter im Aeußern.

Er nahm sein übereifriges Weible beim Arm:

»Komm, zieh dich zur Kirche an und laß die beiden schlafen, solang sie wollen – 's muß nicht immer alles nach der Uhr gehen –«

Sie fügte sich seufzend: »Ich bin so neugierig – Gott sei Dank, daß Sonntag ist und man Zeit hat. Denke dir, ohne alles Gepäck sind sie angekommen. Und Großmama, die von Leithammel und Unnütz so viel gehalten –«

Als es zur Kirche läutete, schritten die Gutsleute im Sonntagsstaat mit ihren zwei Buben durch die breite Dorfgasse, zwischen den in allen Gärtlein und Gärten bräutlich erblühten Kirschbäumen.

Noch immer hatte die Sonne keine Ruhe. Wo sich ein Spalt zeigte, suchte sie neben den leinenen Rouleaus einzudringen, die noch immer die zwei Fenster verhüllten. Schließlich brachte sie es fertig, eine Stelle zu erspähen, durch die sie endlich in das Innere des Zimmers zu gelangen vermochte. Dort ließ sie sich auf ein Kopfkissen nieder – und husch, husch ging's über ein paar schlafende Augen, herein in den ruhig atmenden, halboffenen Mund und wieder heraus, direkt auf die Spitze der kleinen Nase.

Sie gehörte Unnütz.

»Hatschi,« machte sie und saß im nächsten Augenblick in ihrem Bette auf.

»Großer Gott, daheim,« jubelte sie, »Heidegale! Heidegale!«

Ihr Kopfkissen flog auf Leithammels Bett.

In ihren schönen, starken Haaren lag sie da, die Aelteste des Hauses, und sah lächelnd auf die jüngere Schwester, die zwitschernde, selige Laute ausstieß, gerade wie die Vögel draußen in den Bäumen.

»Du bist wie Großmama,« sagte Leithammel, »man braucht dich nur anzusehen, lernt man wieder an Glück glauben –«

»Oh, ich bin verrückt –« jubelte Unnütz, »ich möchte schon alles gesehen haben – ich möchte Flügel haben –«

Ernstin erschien unter der Türe mit dem Frühstück – Ganz wie früher, Milch, Brot und Honig –

»Ernstin, liebe Ernstin,« freute sich Unnütz, »daß ich Ihr Gesicht wieder sehe – o wie köstlich, diese Milch – nirgends auf der Welt gibt es solche Milch, solchen Honig – Und solch eine Ernstin,« setzte sie mit einem herzinnigen Blick auf die alte Person hinzu.

»Weißt du,« sagte Unnütz zu ihrer Schwester, während sie frühstückten, »ich bin so liebe–voll – ich halt's fast nicht aus – diesen Kuß der ganzen Welt – so ist mir – denke darum nicht,« unterbrach sie sich plötzlich, »daß alles, was du mir aus deinem Leben erzählt – denke nicht, daß es mir nicht schwer auf der Seele liegt –«

»Das soll es nicht,« fiel Leithammel der Schwester ins Wort, »ich bin ja selber damit fertig.«

»Und bist du jetzt wirklich von Herzen glücklich?« forschte Unnütz, »du warst so stürmisch früher, und jetzt –«

»Jetzt hab' ich mir die Hörner abgelaufen, das hat so sein müssen. Ich bin viel zu wild ins Leben hineingegangen –«

»Und ich bin recht dumm hineingegangen. Ohne dich säß' ich noch in dem großen, mit Ketten und Riegeln verschlossenen Stadthaus, ließe mich wortlos verloben, und eines Tages wäre ich in aller Stille am Heimweh gestorben. Es gibt Menschen, die müssen daheim bleiben. Das ist mir klar geworden.«

Krabb streckte den Kopf herein. Sie sah in ihrem blauen, schlechtsitzenden Kleid und ihren rötlichen Haaren, die, zwar voll, aber ohne Anmut, stramm gezöpft ihren Kopf umgaben, wie eine tüchtige kleine Bürgersfrau aus. Die Wangen leuchtend rot, die kleinen schaffigen Augen in beständiger Bewegung.

So trat sie in die ihr so fremde Welt der Schwestern, und ihre erste Frage war:

»Wie steht's mit euerm Gepäck?«

»Das von Unnütz wird wohl in den nächsten Tagen eintreffen,« sagte Leithammel, »ob ich mein bißchen Sach hierherkommen lassen will, weiß ich noch nicht –«

»Dein bißchen Sach,« verwunderte sich Krabb, »all die vielen, schönen Kostüme –«

»Ich bin nicht mehr beim Theater,« fiel ihr Leithammel ins Wort, »ich habe meine Garderobe verkauft. Ich bin Pflegeschwester geworden –«

»Du?« Krabb brachte vor Erstaunen kein weiteres Wort hervor. Um so deutlicher sprachen ihre Augen.

Leithammel nickte: »Ja, nichts weiter als Pflegeschwester –«

»Großer Gott, wenn Großmama das wüßte,« meinte Krabb nach einer Pause.

»Sie weiß es gewiß,« sagte Unnütz, »sie hat es ja immer gewußt, daß Leithammel den schwersten Weg von uns hat.«

»Aber sie hat immer gesagt, daß Leithammel es am weitesten bringe,« beharrte Krabb.

»Nun, wer sagt denn, daß sie es nicht am weitesten gebracht?« fragte Unnütz. Sie stand vor dem Spiegel und kämmte ihr Haar.

Leithammel lag noch im Bette und blinzelte mit halbgeschlossenen Augen in die schönen warmen Sonnenstrahlen, die nun das Zimmer erfüllten.

Krabb sah mit einer gewissen Hoffnungslosigkeit von einer der Schwestern zur andern.

»Wie schön,« sagte Leithammel, »aus deinen Haaren sprüht Silber, Unnütz –«

»Ja, richtig,« setzte Krabb ein, »wie steht es mit Unnütz? Man weiß ja gar nichts. Bist du jetzt berühmt und reich?«

»Ach, du arme Krabb,« lachte Unnütz auf, »weder das eine noch das andre.«

»Ja, was hast du denn diese ganze Zeit in der großen Stadt getan?«

»Ich habe mich heimgesehnt.«

»Aber dieser Forhard hat dir doch versprochen –«

»Gewiß, er hatte den besten Willen. Aber ich bin ihm davongelaufen.«

»Warum denn, ums Himmels willen?«

»Weil er mich heiraten wollte. Da habe ich schnell an Leithammel geschrieben. Und sie kam. Das war wunderschön, Krabb, du glaubst nicht! Mit einemmal stand sie da. Kerzengerade. Sie genierte sich kein bißchen, zu sagen: ›Heute nachmittag wollen wir ausgehen, Unnütz –‹ Oben in meinem Zimmer mußte ich einen Danksagungsbrief an die Geheimrätin schreiben, daß ich nicht bei ihnen bleiben könne, weil ich fern von meiner Heimat zugrunde gehen würde. Ich schrieb auch an Tante Rikchen, sagte ihr Dank und bat sie, mir meine Sachen nachzuschicken.

»Das alles ging wie der Blitz.«

»Plötzlich saßen wir in der Bahn. Um Mitternacht kamen wir an und wandelten den lieben alten Weg nach Rebach. Der Mond am Himmel, keine menschliche Seele unterwegs. War's nicht prachtvoll, Leithammel? An alles dachten wir – wie wir mit unsern kurzen Röckchen und langen Haaren Großmama von der Bahn abholten. Und sie mit ihren Tüten und dem herzerfreuenden Lächeln aus dem Zug stieg. Und Cassalele vor Glück weinte – Und Poppinante – und, und – dazu immer der Mond mit seinen langen Schatten, rechts der Heimatfluß, links die Heimatberge – Und plötzlich vor uns die Burg, unser liebes Schwalbennest – Geisterhaft, nicht wahr, Leithammel, wie ein Märchen stand sie da –«

»Und was nun?« fragte Krabb.

Da lachte Unnütz laut auf:

»O Krabb, du bist noch ganz die alte! Wie geht dir's denn? Was machen die Kinder? Ich habe dein Töchterle noch nicht einmal gesehen –«

»Ja, der Nachtrab,« nickte Krabb, »wie die voraus ist – erst dreiviertel und kann schon allein gehen –«

»Und heißt Nachtrab,« wunderte sich Leithammel.

»Weil sie immer hinter den Buben her ist.«

»In diesem Haus kann niemand seinen Namen behalten,« sagte Leithammel, »Großmama hat uns das eingebrockt. Weißt du etwas von unsern Schwestern, Krabb?«

»Oh, Mondkälble ist schon lange eine Baronin. Sie hat einmal geschrieben, sie sei die einzige, die Papas Mahnung beherzigt habe, indem sie eine standesgemäße Heirat gemacht. Die Georginen, du kannst ihre Bilder sehen, es geht ihnen sehr gut, sie sind sehr dick und schicken zu Weihnacht Kisten voll Sachen für die Kinder.«

Im Laufe des Morgens schritten die drei ungleichen Schwestern miteinander durchs Dorf, zum Friedhof. Sie kamen aber nur langsam weiter, denn überall, fast an jedem Haus, blieb Unnütz stehen und wollte wissen, wie es diesem oder jenem gehe. Und fehlte einer, war das Herzeleid groß.

Sie trugen Kränze und Blumen, die Schwestern, und die Dörflerinnen standen am Weg und staunten sie an.

Auf dem Friedhof bekamen erst die Eltern ihren Kranz. Dann gings zum Grabe der Großmama, neben der Cassalele ruhte.

Plötzlich umfaßte Unnütz ihre Schwestern mit beiden Armen:

»Großmama, Großmama,« rief sie, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen, »sie sind nit vergrate, deine Rebächle – gelt, du weißt es, o gelt, du weißt es –«

Es war einen Augenblick still.

Leithammels Augen waren hinüber zu dem Grabe der Eltern geschweift. Dann meinte sie, indem sie Großmamas Blumenflor noch schöner zu ordnen suchte, als er schon war:

»Was doch ein Mensch vermag! Es ist nicht auszudenken, was aus uns geworden wäre ohne Großmama –«

Krabb sagte nichts, aber insgeheim war sie der Ansicht: ›Von uns dreien hab' aber doch ich's am weitesten gebracht –‹

Und sie sah ein wenig trotzig auf Großmamas Grab herunter: ›Immer hat sie nicht recht gehabt.‹

Sie saßen droben im Schwalbennest, Unnütz und Leithammel. Sie lächelten über die Zeiten, da sie von hier aus so sehnsüchtig nach der Welt jenseits der Rheinebene ausgeschaut. Wie zwei verzauberte Prinzessinnen saßen sie im lichten jungen Grün. Das heißt keine ätherischen, sondern lebenskräftige Gestalten, deren gesunde Fülle einmal Großmamas Stattlichkeit gleichzukommen versprach.

»Heute sieht man 's Münster nicht,« sagte Unnütz, »es ist zu duftig.«

Leithammels Augen hingen sinnend in der Ferne:

»Was nun,« fragte sie nach einer Pause, »wie denkst du dir dein Leben zu gestalten?«

»Ich – ich denke nicht, ich nehm's, wie es kommt. Aus meinem kleinen Erdenwinkel heraus will ich erzählen, wie's die Leute treiben – wie sie leben, wie sie sterben. Von den Träumen will ich erzählen, die man im Wald träumt – Leithammel,« unterbrach sie sich plötzlich und ihre Stimme sank, »als du vor Forhard standest, sah ich's plötzlich deinen Augen an, daß sie lachten – da sah auch ich ihn zum erstenmal in aller Deutlichkeit – So weit war ich noch nicht, als die Geheimrätin mir wieder einmal mitteilte, ich sei ihnen so wohltuend, und plötzlich hinzufügte: ›Ich habe keinen größeren Wunsch, als Sie und Edu würden ein Paar –‹ Ich war wie auf den Mund geschlagen – Eine Angst erfaßte mich wie nie in meinem Leben – Da schrieb ich dir – Und ich habe Forhard geliebt,« sprach sie nach einem tiefen Atemzuge weiter, »eh' ich ihn sah – ich träumte von ihm Tag und Nacht – Seine Briefe lagen unter meinem Kopfkissen – Ich habe ihn so geliebt, daß ich imstande war, die Heimat zu verlassen – Und dann – Begreifst du?«

Leithammel nickte:

»Vielleicht ist es meistens so bei der ersten Liebe, vielleicht ist es gar nicht der Mann, den man liebt, sondern nur die Liebe. Man kennt ihn ja kaum – ja, man braucht ihn, wie es bei dir war, nicht einmal zu sehen. Wie würdest du staunen, wenn der, den ich zu lieben glaubte, vor dir stünde –«

»Wie war er?« fragte Unnütz.

»In allem und jedem das Gegenstück von Forhard.«

Es war eine Weile still.

Dann flüsterte Unnütz:

»Nun bleiben wir für immer beisammen.«

Leithammel schüttelte den Kopf:

»Es ist mir zu eng hier. Krabb und ich kämen uns immer ins Gehege. Bei dir ist das anders, deine und ihre Welt haben nichts miteinander zu schaffen. Krabb wird für dich sorgen wie eine Mutter, denn sie ist tüchtig – nur – Selbständigkeit duldet sie keine neben sich. Ich aber will leben und arbeiten nach meiner Manier. Ich brauche Pflichten, Pflichten,« seufzte sie tief auf.

»So kehrst du wieder in dein Krankenheim zurück?« fragte Unnütz.

»Das möchte ich wohl,« murmelte Leithammel, »aber es geht nicht –«

»Warum nicht?«

»Ich erzählte dir von Renk –«

Leithammels Stimme zitterte.

Da wußte Unnütz genug.

Sie umschlang die Schwester:

»Warum denn kannst du nicht zurück?«

Es kostete Leithammel Ueberwindung, zu sprechen, aber Unnützens Augen hingen so dringend an den ihren.

»Wir sind nicht gut auseinander gegangen,« kam es stoßweise von ihren Lippen, »ich bat um Urlaub – da gab er mir eine schroffe Antwort –«

»Hast du ihm gesagt, wie nötig du mir seist?« fragte Unnütz.

»Nein, ich konnt's nicht herausbringen – ich war auch schroff – da sagte er: ›Machen Sie, was Sie wollen –‹«

»Und nun, was wirst du tun?«

»Nichts. Zuwarten. Man muß nicht immer handeln. Man muß dem Schicksal auch was übriglassen. Ich habe zeit meines Lebens immer zu viel getan –«

»Und ich zu wenig,« sagte Unnütz.

Leithammel hatte wieder ein bitteres Lachen.

»Zu wenig und zu viel verderben das Spiel. Wir sind ausgezogen, um berühmt zu werden. Was haben wir erreicht?«

»Mir kommt vor, ungeheuer viel,« sagte Unnütz, »als müßten wir sehr dankbar sein – als sei es gar nicht zu übersehen, was wir erreicht. Erst wenn die Nebel weichen, ist die Aussicht frei. Wir sind noch im Nebel, Leithammel –«

*

Eines Tages erklärte die älteste der Schwestern:

»Ich habe mir überlegt – Rebach muß Unnütz und Krabb gehören. Ich werde mich mit den Schwestern in Verbindung setzen und ihnen eine Abschlagsumme anbieten. Was meinst du, Hesperus?«

Er war ganz betreten: »Aber du, Leithammel?«

»Ich bin nicht seßhaft – nun, Krabb,« wandte sich Leithammel an diese, »sieh mich nicht so böse an, es ist doch eine schöne Sache, auf eignem Grund und Boden zu sitzen!«

»Es ist noch nicht so weit,« meinte die junge Frau, welche die Eigenmächtigkeit der Schwester kaum ertrug.

Ganz wie früher brachte Leithammel auch jetzt alles fertig, was sie in die Hand nahm.

Die Georginen hatten geschrieben, daß sie bereit seien, auf Rebach zu verzichten, auch ohne Abschlagsumme. Nur bat sich jede von ihnen ein Bild der Großmama aus.

»Sich mal an,« sagte Leithammel zu Unnütz, »das hätte ich nicht geglaubt –«

Mondkälble dagegen verlangte, daß Rebach durch einen Sachverständigen gewertet werde und von diesem die Vorschläge auszugehen hätten.

Nachdem diese Angelegenheit abgetan war, erklärte Leithammel:

»Jetzt geht's an die oberen Räume des Hauses.«

Krabb erstickte fast an dem Bissen, den sie eben im Munde hatte.

»Die oberen – aber die oberen Räume waren ja von jeher geschlossen –«

»Damit ist nicht gesagt, daß sie immer geschlossen bleiben müssen,« sagte Leithammel, »ich will für Unnütz und mich ein paar Zimmer zum Wohnen einrichten. Ihr sollt euch breit machen da unten, Krabb – Platz genug, wozu sich einschränken? Und dann die Bilder – Es müssen eine ganze Anzahl Bilder von Großmama da oben sein. Wir wollen sie aufhängen und unsre Freude dran haben –«

Als Krabb später zu ihrem Mann sagte: »Warum redest du kein Wort? – Das leide ich nicht, daß Leithammel hier tut, was sie mag –«

»Aber Weibele,« lachte sie Hesperus aus, »muß ich dir denn immer wieder sagen – deine Schwestern sind hier so gut im Recht wie du –«

*

Leithammel, hochgeschürzt, mit aufgestülpten Aermeln, griff nach den verrosteten Schlüsseln vor einer der Zimmertüren im oberen Stockwerk.

Unnütz kam herbei, die Augen groß offen, mit einem Kinderschein drinnen, als stehe sie auf der Schwelle eines Märchenlandes.

Krabb und Ernstin brachten Besen und Kübel, um dem vieljährigen Staub, der sich hier aufgebaut, den Garaus zu machen.

Wie kreischte das Schloß, als Leithammels nervige Hand den Schlüssel darin herumdrehte.

»Ein Schrei wie der eines Menschen, dem man ans Leben geht,« flüsterte Unnütz.

Auf flog's wie eine Wolke unter den Schritten Leithammels. Die andern blieben pustend vor dem dunkeln Raume stehen.

Drinnen – krach, krach – flogen Fenster und Laden auf, und über den alten Hauskram machte sich die Sonne her, als habe auch sie da draußen auf nichts als diesen Augenblick gewartet.

Und nun kam's über alle, die diese so lange verschlossenen Räume betraten, wie Erfüllung. Jeder fand, was er brauchte. Keiner kümmerte sich mehr um den andern. Leithammel entdeckte unter Ausrufungen der Freude ein schönes Bild der Großmama nach dem andern. Alte Möbelstücke entzückten ihr Auge, schwere Brokatvorhänge, uralte Teppiche –

Sie lief von Zimmer zu Zimmer, jeden Fund mit lautem Freudenruf verkündend. Allein niemand hörte sie.

Krabb und Ernstin rissen mit harten Händen, was ihnen an Kisten und Möbeln schlecht und verbraucht erschien, heraus auf den Vorplatz, um Luft zu schaffen, brachen morsche Stühle über den Knien zusammen und freuten sich des tüchtigen Brennmaterials, das es hier aufzuspeichern gab.

Unnütz aber schlich auf leichten Sohlen hinter jenen stillen Schätzen her, die in tiefen Schiebladen verborgen lagen und aus denen die Erinnerungen wie kleine lebendige Vögel aufflatterten, sobald ihre Hand sie berührte. Sie fand im Innern eines alten Schrankes ein grob gezimmertes Kistlein seltsam alter Fassung. Als sie's ans Tageslicht zog, stand auf vergilbtem Papier, mit Oblaten aufgeklebt, folgende Adresse:

»An Frau Grossi Wohlgeboren
Hofschauspielerin in Freyburg
Im Pfauen.«

Sie rief die Schwestern herbei.

Aber nur Leithammel kam. Und sie und Unnütz standen vor dem Kistlein, und wundersam ging's ihnen durch die Seele.

»Ich weiß davon,« flüsterte Leithammel, »Großmama wurde von ihrer Gastspielreise an das Totenbett ihrer Mutter gerufen – Großmama sagte mir, da habe sie das Kistchen gefunden, aber sie könne es nicht aufmachen, sie müsse sich sonst zu Tode weinen. Darum wolle sie lieber noch warten.«

Die Nägel, mit denen das Kistchen zugenagelt war, waren völlig eingerostet. Großmama hatte also das Kistchen niemals aufgemacht.

»Nun werden wir es öffnen,« sagte Leithammel.

»Ich fürchte mich,« flüsterte Unnütz, »warten wir – warten wir –«

»Wie Großmama,« nickte Leithammel.

Was sonst die oberen Räume bargen, war ihnen gleichgültig. Ihre Augen vermochten sich von dem Kistchen nicht zu trennen, von diesen unbeholfenen Schriftzügen, die von dem Leben ihrer Urgroßmutter erzählten, der sie alle entstammten.

*

Und nun war immer von diesem Kistchen die Rede. Sie wollten alle beisammen sein, wenn sie es öffneten.

Aber Unnütz bat: »Nur nicht des Abends, da ist alles doppelt traurig –«

Krabb hatte nie Zeit untertags.

Mittlerweile stand Leithammel auf einer Leiter und tapezierte mit Hilfe des Dorfschreiners die Zimmer des oberen Stockwerks. In aller Frühe schon waren sie beim Handwerk. Sie hatte die Tapeten aus der Stadt geholt, schlug Kloben in die Wände, hing die Bilder auf.

Sie war unermüdlich.

Schon reiften die Aepfel, und gelb blinkten die Birnen aus dem Geäst der Bäume. Der ganze Blumenflor hatte sich umgewandelt im Garten. Immer früher versank der Sonnenball in die bald lichte, bald trübe Ferne der Rheinebene.

Und Leithammel wartete noch immer auf die Stimme des Schicksals. In ihrem Innern aber redete ihre eigne Stimme:

›Sollte ich nicht das erste Wort sprechen – Hätte ich ihm nicht längst den Grund meiner Reise mitteilen müssen? Er interessierte sich für Unnütz – es machte ihm Freude, wenn ich von ihr erzählte – Oh, warum habe ich damals nicht gesprochen – alles wäre anders –‹

Leithammel, so entschlußfähig, so schnell bereit, mit beiden Händen zuzufassen – Leithammel wurde fast krank unter dieser Unfähigkeit, einen Entschluß zu fassen.

Sie lief ins Dorf und half den Armen und Kranken aus ihrem Schmutz und der erstickenden Luft ihrer engen Kammern.

Sie pflückte im Garten das reife Obst von den Bäumen.

Sie bemerkte nicht das mißvergnügte Gesicht Krabbs, der sie fortwährend ins Handwerk pfuschte, nicht Unnützens plötzliche Unruhe.

Sie schlief nicht mehr, die arme Unnütz. Sie, die Träumerin, hatte gehandelt. An Renk hatte sie geschrieben, alles, alles – wie es gekommen, daß sie damals in großer Not nach der Schwester gerufen und diese ihr geholfen habe.

Und nun, zu jeder Tageszeit, rannte sie hinaus auf die Landstraße oder stand droben auf der Burg und hielt Ausschau.

Und eines Morgens – Sonntag war's –, wie sie da oben war und aus dem wilden Wein herauslugte, der mit seinem leuchtenden Rot die Reste der Burg umspann – da war ihr – Richtig, auf der öden Landstraße segelte einer daher – in wehendem Mantel –

Unnütz, den Boden kaum mit den Füßen berührend, eilte den schmalen Seitenpfad hinunter. Wie ein Kind lief sie auf den Fremden zu:

»Sie sind es, nicht wahr – und, o bitte, verraten Sie mich nicht – ich habe so viel ausgestanden – fünf lange, lange Tage –«

»Das ist Unnütz,« sagte Renk, nahm den Hut ab und schüttelte ihr die Hand, »ich danke Ihnen, daß Sie uns geholfen. Es war hohe Zeit – Aber so schnell geht das nicht bei unsereinem – ich mußte den Sonntag abwarten – ich bin ein armer Pflichtmensch – Ja, ich war böse, ich trotzte, daß sie davonlief und nichts mehr von sich hören ließ – Wir dummen Menschen –«

Sie waren bei dem Gutshause angekommen.

»Wo ist sie?«

»Ich glaube im Garten.«

Unnütz lief voraus ins Haus.

Drin zeigte sie ihm den Weg.

»Vielleicht auf einem Baume,« flüsterte sie ihm lächelnd zu.

Als er in den Garten trat, merkte er sofort an der heftigen Bewegung in der Krone eines Apfelbaumes – dort drin saß sie.

Renk war sehr blaß. Nun kam auch dort oben ein blasses Gesicht zum Vorschein.

»Wollen Sie sich nicht lieber herunterbemühen?« fragte er, »Sie stehen mir zu hoch.«

Kraftvoll schwang sie sich auf die Leiter und stieg an ihr zur Erde.

Beinahe schüchtern standen sie einander gegenüber.

Dann fanden sich ihre Hände.

»Haben Sie denn nicht gewußt,« stieß er schwer atmend hervor, »nicht geahnt –«

Sie konnte nicht sprechen.

Sie gingen tiefer in den Garten.

Erst kurz vor Tisch tauchten sie im Speisezimmer auf und stellten sich als Verlobte vor.

Krabb war außer sich: »Hätte ich das früher gewußt – nun haben wir nichts als unser gewöhnliches Sonntagsessen –«

Hesperus griff nach dem Krug: »Ich will wenigstens von unserm Besten holen, mit unserm Säuerling können wir nicht anstoßen –«

»O doch, doch,« rief der Doktor, »alles lassen, wie es ist – ein neuer Bruder ist gekommen, weiter nichts –«

»Den hat aber der Storch nicht gebracht,« meinte der älteste der Professoren.

Da lachten sie alle und setzten sich an den Tisch, und Renk freute sich all der wunderlichen Namen, die er zu hören bekam, sah mit Lust die Hausfrau das saftige Stück Rindfleisch verteilen, und als sie sich entschuldigte und sagte: »Jetzt gibt's nur noch Pfannenkuchen und Zwetschgen«, tröstete er die kleine Frau mit der Versicherung, daß er sich auf der weiten Welt nichts Besseres wünsche.

Hesperus ging herum und füllte die Gläser mit seinem selbstgezogenen Sauern; auch die Professoren unten am Tisch bekamen ihr Glas gefüllt, und Renk trank und trank, alles kam ihm prächtig vor, und nur über eins wunderte er sich – daß die alte Magd, die das Essen brachte, allein von allen mit ihrem wirklichen Namen angeredet wurde.

Da sagte ihm Leithammel: »Die hat auch ihren Uebernamen gehabt – Rauhbein –, aber sie hat ihn überwunden. Ich muß den meinen erst wieder zu verdienen suchen.«

»An der Gelegenheit wird's nicht fehlen,« meinte Renk, »dürfen wir hier einkehren,« fragte er, »wenn wir müde sind von der Arbeit, erschöpft von dem Leid rings um uns her? Denn große Aufgaben erwarten uns. Ich werde ein Heim gründen für Lungenleidende im südlichen Schwarzwald. Seit lange mein Wunsch. Aber jetzt erst, da ich einer so tüchtigen Gehilfin sicher bin, wage ich die Tat.«

»O Leithammel,« nickte Unnütz der freudig erglühenden Schwester zu.

Krabb saß die ganze Zeit in innerm Kampfe da. Die Sprache Renks, die ihr so fremd klang, wie vertraut schien sie den Schwestern zu sein. Eine Ahnung überkam sie, daß irgend etwas sie von diesen trennte, und es fuhr ihr durch den Sinn: ›Am End hat Großmama doch recht gehabt –‹

Unnütz hatte das Zimmer verlassen. Nun kam sie wieder mit dem Kistlein, vor dessen Oeffnen sie sich so sehr gefürchtet hatte. Sie stellte es auf den Tisch mit den Worten:

»Wir sind jetzt alle so glücklich – da hab' ich gedacht, jetzt ist der Moment gekommen –«

Leithammel teilte Renk die Bewandtnis mit dem Kistchen mit, und sie lasen miteinander die in altmodischer Schrift geschriebene Adresse:

»An Frau Grossi Wohlgeboren
Hofschauspielerin in Freyburg
Im Pfauen.«

Hesperus holte die Beißzange herbei und machte sich über die Nägel her. Sie saßen wie für die Ewigkeit eingeschlagen.

Krabb kam flugs mit dem Hackmesser und schob es unter die Decke des Kistchens. Da flog's auf.

Alle umstanden's, eng aneinander gedrängt. Unnütz war tiefblaß.

Obenauf lag ein kleiner ovaler Rahmen.

Es war ein Daguerrotyp.

»Unsre Urgroßmutter mit Großmama,« sagte Unnütz.

Es war ganz still.

Der Doktor hielt das Bildchen in der Hand:

»Diese Frau, so aufrecht, so resolut, so brav –« murmelte er, »ein Charakter – das Kind aber – da ist freilich alles Natur, Leben, Uebermut –«

Das Bildchen ging von Hand zu Hand.

»So war Unnütz als Kind – ganz wie Großmama,« sagte Leithammel.

»Und du bist deine Urgroßmutter,« erklärte Renk.

»Ja, ach ja,« nickte Leithammel, den Blick auf das Bildchen geheftet, »jetzt verstehe ich – jetzt ist mir alles klar –«

»Und ich – ich?« fragte Krabb zum drittenmal.

Eine augenblickliche Stille, dann rief Unnütz:

»O Krabb, Krabb, du hast das Beste – du hast Großmamas sorgende Hand –«

Da stieg etwas Freudiges in die Augen der jungen Frau:

»Ich werde in die Küche gehen und Krapfen zum Kaffee backen,« sagte sie.

»Siehst du, siehst du,« nickte ihr Hesperus zu, »ja, ohne dich ging's uns allen schlecht.«

Jubelnd folgten die kleinen Professoren der Mutter in die Küche.

Zwei Briefe lagen oben auf dem Kistchen, einer von der Hand der Urgroßmutter, einer von Großmama.

Der übrige Inhalt bestand aus völlig zerbröckeltem, zu Stein erhärtetem Gebäck.

Leithammel verglich die Daten der Briefe.

»Du mußt den von Großmama zuerst lesen,« sagte sie zu Unnütz, »ja du, dann ist's, als hörten wir Großmama sprechen –«

Unnütz las:

»Liebe Mutter!

Du kannst mir glauben, es tut jedem leid, daß ich schon verheiratet bin. Schon zwei Prinzen haben mir ihre Hand auf links angeboten. ›Hopsa,‹ hab ich gesagt, ›bedank mich schön, bin eine von Nummer Rechts.‹

Als ich hier zum Intendanten sagte: ›Wissen Sie, wir müsse unser Hochzeitsreis' rausspiele,‹ hat er sich halbtot gelacht. Dann hat er gesagt: ›Wie alt sind Sie?‹ ›Achtzehn bis zum zwanzigsten dieses.‹ ›Lieben Sie Ihren Mann?‹ fragte er. ›Heillos.‹ ›O weh!‹ ruft er. Da hab ich ihn ausgelacht.

Gelt, Mutter, ich bitt Dich, sei nur ganz ruhig über meine Moral. Dein – Rechtschaffe, Rechtschaffe – tönt mir den ganzen Tag in den Ohren. Wenn ich die großen Leidenschaften seh in den Dramen und im Leben, so weiß ich, so eine bin ich nicht. Aber ich guck jeden gern freundlich an, und das ist unser Ehstreit. Wie ein Mannsbild in Sicht ist, soll ich ein finstres Gesicht machen. Allmächtiger Gott, ich kann so wie so nix Finstres leiden. Wenn er dann so wütend ist, macht er grad ein Gesicht wie damals in der Kleinkinderschul. Und ich kann nicht anders, ich muß Vagabümmele zu ihm sagen, darob er vollends fuchsteufelswild wird. In diesem Zustand haben wir gestern abend in der ›Minna von Barnhelm‹ gespielt. Er: Tellheim, ich: Franziska. 's Theater brechend voll. Kein einziges Billett mehr zu haben. Eine Atmosfähre zum Ersticken. Aber gespielt haben wir! Erst voller Wut übereinander, immer mit schiefem Blick über die Minna weg. Und dann, ich weiß selber nicht, wie 's kommen ist, plötzlich war aller Groll fort, und wir haben uns ganz unbeschreiblich gut gefallen und dem Publikum auch. Da haben wir uns, was meinsch, Mutter, auf dem Heimweg eine Flasch Schampagner mitgenommen und eine Menge Konditorsach, hauptsächlich Mohreköpfle. Soll mir der Abend gedenke, solang ich leb. Ich auf seinem Schoß und angestoßen und gesungen, und war uns das Leben so hold. Ueberschüttet hat es uns, als sei die Göttin des Glücks über uns wegkutschiert und habe ihr Füllhorn über uns ausgeschüttet bis aufs letzt Brösele. Wir sind um den Tisch herumgegangen, jeder mit seinem Gläsle, und haben wie am Spieß Halleluja gesungen. Da war mir zum Heulen dankbar zumut, und ich hab zu ihm gesagt: ›Wir wollen Gott ein Opfer bringen.‹ Worauf er schnell die Flasche zukorkte und vor's Fenster stellte. Flugs packte ich die Gutsele zusammen.

Hierauf sahen wir zum Sternenhimmel empor, und mein Männle seufzte:

›Ach Liesele, wenn du mich doch nie mehr eifersüchtig machen wolltest!‹

›Und du nicht mehr eifersüchtig sein wolltest‹, seufzte ich. Und nach einer Weil: ›Lieber, so streich mich in Gottes Namen gelb an, dann gefall ich keinem Menschen mehr.‹

Das hat er aber doch nicht gewollt.

Und so, Mutterle, wird unser Lebensweg immer wieder von ein paar Wolken verdüstert werden, und Gott weiß, wohin es führt. Aber es fallt mir nicht ein, zu verzweifle, sondern ich sag wie's Vaderle selig: 's geht alles. Und darum gräm Dich nicht, wenn ich gern ein paar Mohreköpfle eß und ein Naschmaul bin. Eine böse Zung ist noch viel ärger. Ich erfreu mich halt an allem, was gut ist. Nicht nur an der Tugend. Ein paar Fehlerle müsse wir Mensche in Gottes Namen haben. Daß ich nicht vergeß – von allen guten Sachen auf der Welt sind und bleibe Deine Butterbackisle das Allerbest – was eine leise Mahnung sein soll wegen meinem Geburtstag am Zwanzigsten. Da sind wir nämlich in Freiburg. Alsdann kommen noch zehn Gastspiel in aller Herren Länder und – o Mutterle, und dann haben wir den Beutel voll und Du sollst leben wie Gott in Frankreich. Amen. Amen.

Dein Liesele.

Ach, wie oft hab ich Dir in der Kindheit von den Butterbackisle gestohlen. Warum hast Du mir nie was gesagt, Mutter, denn Du hast es wohl gewußt. Verzeih mir!

Dein Liesele.«

Unnütz legte den Brief weg. Als sie aufsah, begegnete sie lauter lächelnden, frohen Augen.

»Nicht wahr,« sagte sie, »man möcht auch um den Tisch herumgehen und Halleluja singen? Mir war so angst – ich fürchtete, das Kistle berge nur Trauriges, Dunkles, Schmerzliches –«

»Und nun ist alles Leben, Leben, Leben –« rief Renk aus.

Unnütz griff nach dem Brief der Urgroßmutter.

Diese schrieb:

»Gott segne Dich meine liebe Dochter zu Deinem neunzehnten Geburtstag und schicke Dir mein Bild auf daß Du nicht vergessesch Deiner Mutter und diesen Deinen Hochzeitsbrieff, damit du alleweyl Dein Glück vor Augen haben mögest, hebbe ihn gut auf. Gott will vielleicht auch solche Koschtgänger haben wie ihr es treibt und will ich es nicht besser wissen wollen, obwohl ihr Schampagner trinkt, ein sonderbar Erlebniß in meinem bescheidenen Leben, wo ich Dir einstens nicht genug Falten hab in Dein Röckle nähen können aus Spahrsamkeit.

Aber mit Zufriedenheit erfahre ich, daß Dein Mann seine Krafft mit redlichem Willen in seinen Beruf setzet und Dich ermannet zum Ernst. Also ein wackerer brafer Sohn, eine tobbelte Freude muß daß der Mutter seyn da Du von Kindheit an gar so gern über die Schnurr gehaut, so daß ich oft gebettet, Gott solle Dich doch nicht vergraten lassen. Und so kann ich jetzt wieder betten daß er mir die Haubtsorge abgenommen weil Dein Mann spahrsam und ernsthaftig ist.

Es hat mir's mein seeliger Alter noch auf dem Dodenbett gedanket, daß ich alleweyl so tapfer mit seinem angebohrenen Leichtsinn hab gestreittet wie der Erz-Engel Gabriel mit dem Luzziffer. Wie eine Ladd sei ich, die lieber bricht als sich biegt, hat er gesagt.

Als ich jedoch heut früh auf den Markt gewollt, bin ich auf der Trebb in die Knii gebrochen, was die Kribbe ist, die anjetzt herumgeht. Gott Lob Hab ich aber noch Eier genug im Haus gehabt, so daß ich Dir die Butterbakkisle noch schnell hab backen können, damit Du nicht alleweyl so viel Geld für den Konditer ausgiebst. Es wird mir aber das Schreiben recht sauer so daß ich schließe.

Ja, ich freue mich über Euch Beyde, über meine Dochter daß sie so geblieben wie ich sie lerte und über meinen Sohn, der mir die schröckliche Sorge von der Seele genommen. Bleibet rechtschaffen, nur rechtschaffen, das walte Gott!

Das Kistle wird mir die Nachbarin auf die Bost tragen. Wenn es genagelt ist, will ich mich legen und schwittzen. Das Bescht.

Warum ich Dir nichts gesagt, wenn Du mir Butterbakkisle aus der Schublad genommen? Wohl hab ich's gemerkt. Aber so haben das Kinder. Ich bin auch meiner Mutter hinter die Aepfel gegangen. Was soll man da sagen? Es geht vorbei wie die Masern. Und so sag auch ich amen und laß sie dir schmecken und bleib braf.

Deine Mutter.«

Es war einen Augenblick still. Dann schlug Unnütz groß und hell die Augen auf:

»O Leithammel, jetzt weiß ich, warum die Rebächle nicht ›vergraten‹ sind –«

Renk nickte:

»Ist die Wurzel heilig, sind es auch die Zweige.«

 


 


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