Jules Verne
Die großen Seefahrer des 18. Jahrhunderts. Zweiter Band
Jules Verne

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Drittes Kapitel. Asien und seine Bewohner.

Die Tatarei nach Witzen. – China nach der Darstellung der Jesuiten und dem Pater Du Halde. – Macartney in China. – Aufenthalt in Chu-Sang. – Ankunft in Nanking. – Verhandlungen. – Empfang der Gesandtschaft durch den Kaiser. – Feste und Feierlichkeiten in Zhe-Hol. – Rückkehr nach Peking und Europa. – Volney. – Choiseul Gouffier. – Le Chevalier in der Gegend von Troja. – Olivier in Persien. – Ein halbasiatisches Land. – Rußland nach Pallas.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatte Nikolaus Witzen die östliche und nördliche Tatarei durchstreift und 1692 einen recht interessanten Bericht über diese Fahrt veröffentlicht. Das in holländischer Sprache geschriebene und in keine andere mehr verbreitete übersetzte Werk erwarb seinem Verfasser jedoch nicht das Ansehen, das er wohl verdiente. Mit zahlreichen, zwar künstlerisch ziemlich werthlosen, aber in ihrer Einfalt für die beabsichtigte Treue derselben zeugenden Bildern wurde das Buch im Jahre 1705 noch einmal herausgegeben und von den letzten Exemplaren dieser zweiten Auflage im Jahre 1785 eine neue Titelausgabe veranstaltet. Ein Bedürfniß dafür war freilich kaum vorhanden, denn man besaß zu der Zeit schon weit eingehendere und umfassendere Kenntnisse.

Seit dem Tage, da die Jesuiten im Himmlischen Reiche Fuß faßten, hatten sie mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln dahin gestrebt, Nachrichten aller Art über dieses ungeheuere Reich zu sammeln, das vor ihnen nur durch die wunderbaren Schilderungen Marco Polo's bekannt war. Obwohl China so recht die Heimat des Stillstandes ist und die Volkssitten daselbst sich fast stets gleich bleiben, so waren doch zu viele Ereignisse eingetreten, welche es wünschenswerth erscheinen ließen, etwas genauer über ein Land unterrichtet zu sein, mit dem Europa aller Voraussicht nach in erfolgreiche Wechselbeziehungen treten konnte.

Die Erfolge der Nachforschungen der Patres der Gesellschaft Jesu, welche bisher nur in der kostbaren Sammlung der »Gelehrten Briefe« veröffentlicht waren, wurden nun durch eines der eifrigsten Mitglieder des Ordens, den Pater Du Halde, gesammelt, durchgesehen und vermehrt. Der Leser erwartet gewiß nicht, daß wir hier einen Auszug dieser ungeheueren Arbeit mittheilen; dazu würde kaum ein ganzer Band ausreichen, und überdies besitzen wir heutzutage noch weit vollständigere Nachrichten als die, welche man dem Fleiße und der scharfsinnigen Kritik des Pater Du Halde verdankt, welcher allerdings das erste brauchbare Werk über China zusammenbrachte.

Gleichzeitig mit obigen, höchst verdienstvollen Arbeiten widmeten sich die Jesuiten auch astronomischen Studien, sammelten naturwissenschaftliche Gegenstände für Herbarien und zeichneten Karten, auf die man bis vor nicht langer Zeit bezüglich einiger entlegener Provinzen des Reiches einzig angewiesen blieb.

Gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts veröffentlichte ein Stiftsherr des heiligen Ludwig vom Louvre, der Abbé Grossier, in kürzerer Form eine Beschreibung Chinas und der Tatarei. Er benutzte dabei die Arbeiten seines Vorgängers, des Paters Du Halde, die er berichtigte und zum Theil vervollständigte. Die immerhin umfangreiche Arbeit des Pater Grossier enthält nach einer Beschreibung der fünfzehn Provinzen Chinas und der Tatarei, ebenso wie der Tributärstaaten Korea, Tonking, Cochinchina und Tibet, eine weitläufige Schilderung der Bevölkerung und der Naturgeschichte Chinas. Dann geht der Verfasser zur Beschreibung der Regierungsform, der Religion, der Sitten, Literatur, der Wissenschaften und Kunst der Chinesen über.

In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts sandte die englische Regierung zur Anknüpfung von Handelsbeziehungen mit China Georges von Macartney als außerordentlichen Gesandten dahin.

Dieser Diplomat hatte schon Europa und Rußland bereist, und als Gouverneur der englischen Antillen, als solcher von Madras und als Generalgouverneur von Indien, durch den langjährigen Umgang mit Menschen unter den verschiedensten Breiten und Klimaten, gründliche Erfahrungen über die Motive ihrer Handlungen gesammelt. Der Bericht über seine Reise enthält auch eine Menge Thatsachen und Beobachtungen, welche bei den Europäern eine genauere Vorstellung von den Chinesen erweckte.

Der Leser interessirt sich stets mehr für persönliche Abenteuer und Wahrnehmungen als für eine anonyme Arbeit. Zwar ist das Ich stets widerwärtig, sagt das Sprichwort; doch trifft das nicht in Bezug auf Reisebeschreibungen, und Der, welcher von sich sagen kann: »Ich war dabei, als das und das geschah!« wird stets ein williges Ohr und warme Theilnahme finden.

Ein Geschwader von drei Schiffen, bestehend aus der »Lion«, der »Hindostan« und der »Chacal«, segelte am 26. December 1792 mit Macartney und seinem Gefolge ab. Nach mehrfachem Aufenthalte in Rio de Janeiro, an den Inseln St. Paul und Amsterdam, wo man Seekalb-Jäger traf, ferner in Batavia und Bantam und auf der Insel Java bei Pulo-Condor gingen die Schiffe bei Turon (Han-San) in Cochinchina in einer geräumigen Bai, von der man nur eine sehr unzulängliche Karte besaß, vor Anker. Das Eintreffen der englischen Schiffe erregte anfangs einige Unruhe unter den Cochinchinesen; als sie aber die Gründe erfuhren, welche das Geschwader bestimmt hatten, hier einzulaufen, sendeten sie einen hoben Würdenträger mit Geschenken an Macartney ab, der bald darauf von dem Gouverneur zur Tafel nebst darauf folgender dramatischer Vorstellung eingeladen wurde. Neben einer Beschreibung dieser Festlichkeiten besitzt man noch einige Beobachtungen, die doch in zu kurzer Zeit gemacht wurden, als daß man die darin enthaltenen Schilderungen der Sitten und der verschiedenen Racen der Cochinchinesen für zuverlässig ansehen könnte.

Die Schiffe gingen auf's Neue unter Segel, sobald die Kranken ihre Gesundheit wieder erlangt und man sich die nöthigen Provisionen verschafft hatte. Nach kurzem Aufenthalt an den Diebesinseln begab sich das Geschwader nach der Straße von Formosa, wo es von einem schweren Sturme überfallen wurde, und lief in den Hafen von Chusan ein. Man benutzte diese Rast zur Berichtigung der Karte des Archipels und zu einem Besuche der Stadt Ting-Hai, wo die Engländer ebensoviel Neugier erregten, als sie beim Anblick so vieler unbekannter Dinge selbst empfanden.

Die Häuser, die Märkte, die Kleidung der Chinesen, die Kleinheit der Füße ihrer Frauen, lauter Sachen, die wir jetzt lange kennen, erweckten in hohem Grade das Interesse der Fremden. Wir verweilen jedoch bei dieser Gelegenheit nur ein wenig bei der Cultur der Zwergbäume der Chinesen.

»Diese Art verkrüppelter Vegetation«, sagt Macartney, »scheint von den Liebhabern in China sehr geschätzt zu sein, denn man findet solche Exemplare in jedem einigermaßen anständigen Hause. Die Gärtner verwenden alle Mühe darauf, derartige Zwerggewächse zu erzeugen, und überhaupt ist diese Kunst in China zuerst erfunden worden. Abgesehen von dem Verdienste, damit eine natürliche Schwierigkeit zu besiegen, gewährt dieselbe die Möglichkeit, Pflanzen, deren Größe das sonst nicht erlauben würde, im gewöhnlichen Zimmer zu ziehen.

»Die in China gebräuchliche Methode zur Erzielung von Zwergbäumen nun ist folgende: Wenn man einen Baum ausgewählt hat, aus dem man einen Zwerg ziehen will, so bedeckt man seinen Stamm möglichst nahe der Stelle, wo er sich in Zweige spaltet, mit einer gewissen Menge Thon oder Düngererde, die mit einem Stück Hanf oder Baumwollengewebe festgehalten und zur Erhaltung von Feuchtigkeit darin häufig begossen wird. Diese Düngererde bleibt an derselben Stelle oft ein ganzes Jahr über liegen, während welcher Zeit der damit bedeckte Baum zarte, wurzelähnliche Fasern treibt. Darauf wird derjenige Theil des Stammes, aus dem jene Fasern hervorgegangen, mit dem dicht darüber befindlichen Zweige vorsichtig von dem übrigen Baum getrennt und in die Erde verpflanzt, wo die Fasern sich zu wirklichen Wurzeln umbilden und der Zweig den Stengel einer neuen Pflanze vorstellt, die jetzt gewissermaßen metamorphosirt ist. Dieses Verfahren zerstört weder, noch beeinträchtigt es überhaupt die Fruchtbarkeit des Zweiges, welche dieser vor der Ablösung von der Mutterpflanze vorher etwa besaß. Wenn derselbe z. B. Blüthen oder Früchte hatte, so geht die Entwickelung derselben ungestört weiter, wenn er auch nicht mehr auf dem ersten Stamme sitzt. Man entfernt dann immer die Sprößlinge am Ende der Zweige, aus denen man Zwergbäume ziehen will, verhindert sie dadurch, sich weiter zu verlängern, und zwingt sie, andere Sprößlinge und Seitenzweige zu treiben. Diese werden endlich mit Messingdraht festgebunden und nehmen in Folge dessen jede Gestalt an, die ihnen der Gartenkünstler zu geben wünscht.

»Bezweckt man dem Baume ein altes morsches Aussehen zu geben, so wird er wiederholt mit Theriak und Melasse überstrichen, wodurch eine Menge Insekten angelockt werden, welche nicht nur jene Stoffe verzehren, sondern auch die Rinde des Baumes benagen, so daß dieselbe bald die beabsichtigte Wirkung hervorbringt.«

Von Chusan aus segelte das Geschwader in das Gelbe Meer, das bisher noch von keinem europäischen Schiffe besucht worden war. In dieses Meer mündet der Hoang-Ho, der auf seinem langen, gewundenen Laufe eine ungeheuere Menge gelblichen Schlammes entführt, von dem das Meer seinen Namen erhalten hat. Die englischen Schiffe warfen dabei in der Bai von Ten-Chu-Fu Anker, gingen dann nach dem Golfe von Peking und hielten vor der Barre des Pei-Ho an. Da der Wasserstand über derselben zur Zeit der Ebbe kaum noch drei bis vier Fuß betrug, konnten sie dieselbe nicht überschreiten.

Sehr bald trafen hier zwei von der Regierung ernannte Mandarinen mit reichlichen Geschenken zum Empfange des Gesandten ein. Die als Gegengabe für den Kaiser bestimmten wurden auf Dschonken verladen, während der Gesandte in einer für ihn hergerichteten Yacht weiter reisen sollte.

Die erste Stadt, bei welcher der Zug Rast machte, war Taku, wo Macartney den Besuch des Vicekönigs der Provinz und des ersten Mandarinen empfing. Es waren das zwei sehr vornehme und beliebte Männer, ohne jene widerwärtige Speichelleckerei und jene Vorurtheile, denen man hier unter den anderen Classen allenthalben begegnet.

»Man hat gewiß mit dem Ausspruche recht,« schreibt Macartney, »daß ein Volk das ist, was man aus ihm macht, und die Engländer sahen dafür wiederholt die Beweise in der Wirkung, welche die Furcht vor der wuchtigen Hand der Gewalt auf die Leute äußert. Wenn sie sich von jener Furcht frei fühlten, schienen sie heiteren und zutraulichen Charakters zu sein: in Gegenwart ihrer Behörden aber sahen sie ungeheuer furchtsam und verlegen aus.«

Der Strömung des Pei-Ho entgegen, kam man in Folge der unzähligen Windungen des Flusses nur sehr langsam nach Peking zu vorwärts. Die höchst sorgsam angebaute Landschaft, die am Ufer des Flusses oder weiter im Lande zerstreuten Häuser und Dörfer, die Kirchhöfe, ganze Pyramiden von Salzsäcken entrollten vor dem Beschauer ein reizendes, wechselvolles Bild; als dann die Nacht herankam, warfen die vielen verschiedenen, am Top der Masten jeder Dschonke oder Yacht befestigten Laternen ein eigenthümliches Licht über die Umgebung, das ihr ein wirklich phantastisches Aussehen verlieh.

Tien-Tsing bedeutet »Himmlischer Ort«, und es verdankt die betreffende Stadt diesen Namen ihrem angenehmen Klima, dem reinen, ewig heiteren Himmel und der Fruchtbarkeit ihrer Umgebungen. Der Gesandte wurde hier von dem Vicekönig und einem Abgesandten des Kaisers empfangen. Sie meldeten Macartney, daß der Kaiser sich in seiner Sommerresidenz in der Tatarei aufhalte und dort am 13. September seinen Geburtstag begehen wolle. Der Gesandte mußte also bis Tong-Schu, zwölf Meilen hinter Peking, weiter fahren und sich dann zu Lande nach Zhe-Hol, dem Aufenthaltsorte des Kaisers, begeben. Die Geschenke folgten dem Gesandten nach. Wenn die erste Mittheilung Macartney auch zusagte, so war ihm die zweite dafür sehr unangenehm, denn die betreffenden Geschenke bestanden aus sehr feinen Instrumenten, die bei der Abreise auseinander genommen und in einzelnen Stücken eingepackt worden waren. Der Gesandte wollte nicht zugeben, daß diese Geschenke einstweilen an einem Orte niedergelegt würden, von wo sie vielleicht nicht wieder zum Vorschein gekommen wären. Es bedurfte des Eingreifens des Vicekönigs, um »diese Denkmäler des Geistes und der Kenntnisse Europas« zu retten.

Die Flottille, welche Macartney und sein Gefolge trug, berührte Tien-Tsing. Diese Stadt erschien fast ebenso ausgedehnt wie London und zählte nicht weniger als 700.000 Seelen. Am Ufer drängte sich eine große Menschenmenge, um die Gesandtschaft vorüberkommen zu sehen, und auf dem Strome tummelte sich die ganze Wasserbewohnerschaft der Dschonken auf die Gefahr hin, in den Fluß zu fallen.

Die Häuser sind aus blauen Backsteinen gebaut – rothe trifft man nur selten – und einzelne haben zwei Stockwerke, entgegen der allgemeinen Gewohnheit. Die Gesandtschaft sah hier auch zum erstem Male jene Karren mit Segeln in Thätigkeit, deren Vorhandensein lange Zeit geleugnet wurde. Es sind Doppelkarren aus Rohrgeflecht mit einem großen Rade in der Mitte.

»Fehlt es an dem nöthigen Wind, um den Karren fortzubewegen,« heißt es in dem Berichte, »so zieht ihn ein richtig daran gespannter Mann vorwärts, während ein zweiter ihn im Gleichgewicht hält und mit fortschiebt. Bei günstigem Winde wird diese Arbeit überflüssig. Das Segel besteht übrigens aus einer an zwei Stöcken befestigten Matte.«

Die Ufer des Pei-Ho sind an manchen Stellen mit Schutzmauern aus Granit eingefaßt, um den Ueberschwemmungen vorzubeugen; in denselben sieht man da und dort auch mit Schleusenthoren geschlossene Durchlässe, mittelst derer man die auf der Rückseite der Steindämme gelegenen Felder bewässern kann.

Obwohl diese Gegend sehr sorgsam angebaut erschien, wird sie doch in Folge von Ueberschwemmungen von grausamer Hungersnoth heimgesucht, welche auch nicht selten durch die Verheerungen von Heuschrecken erzeugt wird.

Bis jetzt schiffte die Gesandtschaft inmitten der ungeheueren Alluvionsebenen von Pe-Tche-Li. Erst am fünften Tage nach der Abfahrt aus Tien-Tsing bemerkte man am fernen Horizont eine blaue Linie von Bergen. Man näherte sich nun Peking. Am 6. August 1793 warfen die Yachten zwei Meilen von dieser Hauptstadt und eine halbe Meile von Tong-Chu-Fu Anker.

Hier mußte man an's Land gehen, um in einem Palaste mit dem Namen »der Garten des ewigen Grün«, die Geschenke niederzulegen, welche nicht ohne Gefahr bis Zhe-Hol geschafft werden konnten. Das schon durch den Anblick der Engländer erweckte Erstaunen der Bewohner von Tong-Chu-Fu erreichte seinen Gipfel durch das Erscheinen eines schwarzen Dieners.

»Seine kohlschwarze Haut, das Wollhaar, der seiner Race eigenthümliche Gesichtsausdruck waren in diesem Theile Chinas etwas bisher ganz Unbekanntes. Man erinnerte sich nicht, jemals etwas Aehnliches gesehen zu haben. Einige Zuschauer sprachen ihre Zweifel aus, ob ein solches Wesen überhaupt zum Geschlechte der Menschen gehöre, und die Kinder schrieen jederzeit ›ein Fanker‹, das ist ein schwarzer Teufel. Die Gutmüthigkeit des Mannes versöhnte die Leute jedoch bald mit seiner fremdartigen Erscheinung, so daß sie ihn später ohne Furcht und Abscheu betrachteten.«

Am meisten fiel den Engländern an einer Mauer die Abbildung einer Mondfinsterniß auf, welche in den nächsten Tagen eintreten sollte. Sie bemerkten auch, daß das Gold für die Chinesen eine Handelswaare sei, denn sie haben keine geschlagenen Münzen und bedienen sich nur kleiner Zaime mit einem, das Gewicht derselben bezeichnenden Stempel. Die auffallende Aehnlichkeit zwischen den Ceremonien des Fo-Cultus und der christlichen Religion konnte den Engländern natürlich nicht entgehen. Macartney erinnert daran, daß einige Schriftsteller behaupten, der Apostel Thomas sei nach China gekommen, während der Missionär Premore die Ansicht ausspricht, das sei nur ein Possen, den der Teufel den Jesuiten gespielt habe.

Man brauchte neunzig kleine Karren, vierundvierzig jener Segelkarren, über zweihundert Pferde und mehr als dreitausend Menschen, um die Geschenke der britischen Regierung fortzuschaffen.

Der Gesandte und drei andere Engländer folgten dem Zuge in einem Palakin; die anderen Gesandtschaftsmitglieder, ebenso wie die Mandarinen begleiteten die letzteren zu Pferde. Ueberall wo dieser Aufzug vorüberkam, lief eine zahllose Menge zusammen. Bei der Ankunft an den Thoren von Peking wurde der Gesandte durch eine Geschützsalve empfangen; nach Ueberschreitung der Mauern befand er sich in einer breiten, nicht gepflasterten, aber an beiden Seiten mit ein oder zwei Stockwerke hohen Häusern besetzten Straße. In derselben erhob sich ein hübscher Triumphbogen aus Holz mit drei Durchgängen und hohen, reichlich verzierten Dächern.

Die Gesandtschaft lieferte, sagt man, den Erzählungen, welche darüber im Munde des Volkes waren, reichlichen Stoff. Man sprach z. B. aus, die Geschenke, welche dem Kaiser dargebracht wurden, umfaßten alle Seltenheiten fremder Länder, die in China noch nicht bekannt seien. Man versicherte ganz ernsthaft, unter den zu diesen Seltenheiten gehörenden Thieren befinde sich auch ein Elephant von der Größe eines Affen, aber der Wildheit eines Löwen, und ein Hahn, der sich von Kohle nähre. Alles, was von England stammte, mußte nun einmal mit den Dingen in Peking in Widerspruch stehen und den an dortigen bekannten ganz entgegengesetzte Eigenschaften besitzen.

Man gelangte so an die, durch ihre gelbe Farbe hinlänglich gekennzeichnete Wohnung des Kaisers. Jenseits des Thores sah man da künstliche Hügel, Seen, Flüsse mit kleinen Inseln und allerlei phantastische Gebäude zwischen den Bäumen verstreut.

Am Ende einer im Norden an den Mauern der Stadt endigenden Straße bemerkten die Engländer ein gewaltiges Gebäude von beträchtlicher Höhe, das eine Glocke von überraschender Größe enthielt. So durchstreiften sie die Stadt von einem Theile zum anderen. Der Gesammteindruck, den sie davon empfingen, war kein besonders günstiger und sie gewannen die Ueberzeugung, daß ein Chinese, der etwa London mit seinen Brücken und Plätzen, seinen unzähligen Schiffen, Squares und öffentlichen Denkmälern zu Gesicht bekäme, einen besseren Eindruck von der Hauptstadt Britanniens mit hinwegnehmen müßte, als sie von Peking.

Als man nach dem Palaste kam, wo die Geschenke des Königs von England aufgestellt werden sollten, verständigte sich Lord Macartney mit dem Gouverneur über die Art und Weise der Anordnung und Classificirung der verschiedenen Gegenstände. Diese wurden übrigens in einem großen, reich geschmückten Saale untergebracht, in dem sich außer dem Thron nur einige Vasen von altem Porzellan befanden.

Wir gehen nicht näher auf die endlosen Verhandlungen ein, die das Verlangen der Chinesen, der Gesandte solle sich vor dem Kaiser zur Erde werfen, hervorriefen, welche beabsichtigte Demüthigung übrigens schon dadurch hinlänglich angedeutet wurde, daß sich über der Flagge der Yachten und über den Karren eine Inschrift mit den Worten befand: »Ein Gesandter, der den Tribut Englands bringt«.

In dem chinesischen Stadttheile von Peking liegt auch das Feldstück, das der Kaiser, einem althergebrachten Gebrauche gemäß, jedes Frühjahr besäet. Hier befindet sich der »Tempel der Erde«, wohin sich der Herrscher im Augenblicke des Sommersolstitiums begiebt, zur Anerkennung der Macht jenes Gestirnes, das die Welt erleuchtet, und zum Dankgebet für dessen wohlthätigen Einfluß.

Peking ist übrigens nur der Sitz der Regierung des Reiches und hat weder Fabriken, noch einen Hafen oder größere Handelsthätigkeit.

Die Bevölkerung wird von Macartney auf drei Millionen Seelen geschätzt. Die einstöckigen Häuser der Stadt scheinen aber für eine solche Volksmenge nicht zu genügen; doch darf man dabei nicht vergessen, daß hier oft ein einziges Haus das Obdach für Familien aus drei Generationen bildet. Diese Dichtigkeit der Bevölkerung erklärt sich auch durch die Sitte des frühzeitigen Heirathens. Solche vorzeitige Verbindungen betrachten die Chinesen als Maßnahme weiser Vorsicht, da die Kinder, und vorzüglich die Söhne, verpflichtet sind, für den Unterhalt der Eltern zu sorgen.

Am 2. September 1793 verließ die Gesandtschaft Peking wieder. Macartney legte den letzten Theil der Reise im Postwagen zurück, und wahrscheinlich rollte ein solches Gefährt damit zum ersten Male auf den Landstraßen der Tatarei dahin.

Je mehr man sich von Peking entfernt, destomehr steigt der Weg bergan, der Boden wird sandiger und enthält weniger Thon und Dammerde. Bald sieht man dann ungeheuere Strecken bepflanzt mit Tabak; nach Macartney ist der Gebrauch dieser Pflanze nicht von Amerika hierher gekommen, und die Gewohnheit zu rauchen selbst auf asiatischem Boden entsprossen.

Mit der Verschlechterung des Erdbodens verminderte sich auch die Bevölkerung, was man bald gewahr wurde. Gleichzeitig vermehrte sich die Zahl der Tataren und verwischten sich die Unterschiede in den Sitten der Chinesen und ihrer Besieger mehr und mehr.

Am fünften Reisetage bekamen die Engländer die schon fast sagenhaft gewordene große Mauer zu Gesicht.

»Alles, was das Auge von dieser befestigten Mauer erblickt,« schreibt Macartney, »wie sie das Gebirge und dessen höchste Gipfel übersteigt, in die tiefsten Thäler hinabreicht, die Flüsse in schönen Bogen überspannt, wie sie sich zur Erschwerung des Uebersteigens da und dort verdoppelt, verdreifacht und von hundert zu hundert Schritten noch mit Thürmen oder wirklichen Bastionen besetzt ist, alles das, sage ich, macht den Eindruck eines über alle Maßen großartigen Unternehmens.

»Erstaunen und Bewunderung erregt es vorzüglich, wenn man die unendlichen Schwierigkeiten bedenkt, welche die Herbeischaffung von Material verursachen mußte, um eine Mauer an Stellen aufzubauen, die an und für sich kaum zugänglich erscheinen. Einer der höchsten Berge z. B., welche die große Mauer überschreitet, hat nach einer Messung eine Höhe von 5225 Fuß.

»Dieses eigenthümliche Festungswerk, denn der einfache Name Mauer giebt keine rechte Vorstellung von dessen Construction, diese Befestigung hat, sage ich, eine Längenausdehnung von tausendfünfhundert Meilen; freilich ist sie nicht überall gleichmäßig stark. Diese tausendfünfhundert Meilen bezeichnen die Ausdehnung der Grenzen, welche die civilisirteren Chinesen von den umherschweifenden Tatarenstämmen trennen. Heutzutage hängt freilich das Loos der Völker, welche mit einander in Krieg gerathen, von derartigen Hindernissen nicht im Geringsten mehr ab.

»Einige der kleineren Werke inmitten dieses ungeheueren Gürtels erliegen schon jetzt dem Zahne der Zeit und zerfallen in Ruinen; andere sind wieder ausgebessert worden, die Hauptmauer scheint aber fast überall mit solcher Sorgfalt und Geschicklichkeit hergestellt zu sein, daß sie sich, ohne weiter Hand daran zu legen, schon zweitausend Jahre erhalten konnte und ebensowenig einem baldigen Untergange entgegensieht wie die Felsenscheide, welche die Natur selbst zwischen China und der Tatarei errichtet hat.«

Jenseits der Mauer verrieth es selbst die Natur schon, daß man ein anderes Land betrat. Die Temperatur ist daselbst niedriger, die Wege werden unebener, die Berge entbehren des reichen Baumschmuckes. Die Anzahl der Kropfkranken wuchs in den Thälern der Tatarei und erreichte, nach Doctor Gillan, dem Arzte der Gesandtschaft, wohl den sechsten Theil der Bevölkerung. Derjenige Theil der Tatarei, in dem diese Krankheit allgemein ist, bietet eine auffallende Aehnlichkeit mit einigen Cantons der Schweiz und Savoyens.

Endlich erreichte man das Thal von Zhe-Hol, wo der Kaiser einen Sommerpalast mit prächtigem Garten besitzt. Die Residenz heißt: »Heimat der angenehmen Frische« und der Park »der Garten der unzähligen Bäume«.

Die Gesandtschaft wurde mit militärischen Ehren empfangen inmitten einer gewaltigen Volksmenge, unter der man viel gelb gekleidete Leute erblickte. Es waren das niedere Lamas oder Mönche von der Secte Fo's, zu der auch der Kaiser selbst gehört.

Die schon in Peking beliebten Verhandlungen wegen des Niederwerfens des Gesandten vor dem Kaiser begannen hier auf's Neue. Endlich geruhte Tchien-Lung, sich mit der Ehrenbezeugung zu begnügen, welche die Engländer ihrem Herrscher gegenüber beobachten. Der Empfang geschah darauf mit allem Pompe, unter ganz unglaublichen Ceremonien und dem Beitritt unzähliger Höflinge und Beamter.

»Bald nach Anbruch des Tages«, heißt es in dem Bericht, »verkündete der Ton verschiedener Instrumente und ein verworrenes Getöse aus der Ferne die Annäherung des Kaisers. Bald darauf kam er zum Vorschein, und zwar von der Rückseite eines hohen, baumbekrönten Berges her, als trete er aus einem heiligen Haine, vor ihm aber eine Menge Menschen, welche mit lauter Stimme seine Tugenden und seine Macht priesen. Er selbst saß auf einem offenen, thronähnlichen Stuhle, den sechzehn Männer trugen. Seine Leibgarde, die Officiere des Hauses, Fahnenträger, Sonnenschirmträger und Musikanten bildeten sein unmittelbares Gefolge. Er war mit dunkelseidenem Rocke bekleidet und trug eine Sammetmütze, welche ihrer Form nach sehr an die der Bergschotten erinnerte. Auf seiner Stirn sah man eine große Perle, den einzigen Schmuck, den er an sich hatte.«

Beim Eintritt in das Empfangszelt begab sich der Kaiser über die nur für ihn bestimmten Stufen der Vorderseite nach dem Throne. Der Groß-Colao (etwa Premier-Minister) Ho-Choo-Taung und zwei seiner ersten Hausofficiere hielten sich in seiner Nähe und sprachen mit ihm nie anders, als auf den Knieen liegend. Nachdem die Prinzen des kaiserlichen Hauses, die der tributpflichtigen Länder und die hohen Staatsofficiere je nach dem Range Platz genommen hatten, führte der Groß-Ceremonienmeister Macartney bis links an die Stufen des Thrones, eine Seite, welche nach heimischer Sitte als Ehrenplatz angesehen wird. Den Gesandten folgte sein Page und sein Dolmetscher. Ein bevollmächtigter Minister begleitete ihn.

Macartney hielt nach Anordnung des Ceremonienmeisters mit beiden Händen das große, prachtvolle, viereckige und reich mit Diamanten verzierte Goldetui mit dem Schreiben des Königs von England über seinem Kopf empor. Dann bestieg er die wenigen Stufen bis zum Throne, neigte ein wenig das Knie und machte eine kurze Verbeugung, worauf er dasselbe seiner kaiserlichen Majestät darbot. Der Monarch nahm es gewandt aus seinen Händen, setzte es an seine Seite und sagte, »daß er eine lebhafte Befriedigung über den Beweis von Achtung und Wohlwollen empfinde, den ihm Seine britannische Majestät durch die Absendung einer Gesandtschaft mit einem eigenhändigen Schreiben und werthvollen Geschenken bezeuge; daß er seinerseits dieselben Gefühle für den Herrscher Britanniens hege und auf ein immerwährendes Einverständniß zwischen den Unterthanen beider Reiche hoffe«.

Nach einer kurzen persönlichen Unterhaltung mit dem Gesandten machte diesem der Kaiser, ebenso wie dem bevollmächtigten Minister einige Geschenke. Darauf wurden die Würdenträger nach Kissen geleitet, die vor großen, reichlich mit Fleisch und Früchten besetzten Tischen lagen. Der Kaiser aß selbst mit und überhäufte die Gesandten mit Zeichen seiner Achtung und Werthschätzung, welche das Ansehen der englischen Regierung in den Augen der Allgemeinheit wesentlich steigerten. Ja, Macartney und sein Gefolge wurden sogar eingeladen, die Gärten von Zhe-ho zu besuchen. Während sie das thaten, begegneten sie dem Kaiser, der sofort stehen blieb, um ihren Gruß entgegen zu nehmen, und sie durch seinen, von aller Welt als Vice-Kaiser betrachteten ersten Minister und mehrere andere Personen führen zu lassen.

Die Chinesen unterzogen sich der Mühe, den Gesandten und sein Gefolge durch die weiten, außer dem eigentlichen Parke angelegten Lustgärten zu begleiten. Ein kleiner Theil war den weiblichen Personen der kaiserlichen Familie vorbehalten, und der Eintritt in denselben den chinesischen Ministern ebenso wie der englischen Gesandtschaft auf's strengste untersagt.

Macartney lernte dabei ein in üppigem Grün prangendes Thal mit vielen Bäumen und vorzüglich auffallend großen Weiden kennen. Zwischen den Bäumen wucherte dichtes Gras, das weder von Vieh abgeweidet, noch von einem Mäher entfernt wurde. Am Ufer eines ansehnlichen Sees angelangt, bestiegen die chinesischen Minister und die Engländer daselbst liegende Yachten und fuhren bis zu einer Brücke, die den See an seiner schmalsten Stelle überspannte und auf deren anderen Seite derselbe sich in nebelgraue Fernen zu verlieren schien.

Einige Tage später, am 17. September, wohnten Macartney und sein Gefolge der Ceremonie bei, welche bei Gelegenheit des Geburtstages des Kaisers gefeiert wurde. Am nächsten und während der folgenden Tage gab es dann öffentliche, glänzende Feste, bei denen sich der Kaiser mit seinem ganzen Hofstaate betheiligte. Da producirten sich Seiltänzer, Equilibristen, Taschenspieler, deren Geschicklichkeit lange Zeit nicht ihres Gleichen fand, und Kämpfer Einer nach dem Anderen; dann traten Einwohner der verschiedenen Provinzen des Reiches in ihrem Nationalkostüme auf und brachten die mannigfachen Erzeugnisse ihrer Heimat dar. Hierauf ließen sich Musiker hören, bei deren Tönen flinke Tänzer die Menge ergötzten, und endlich machte ein Feuerwerk, obwohl man es am hellen Tage abbrannte, doch einen sehr schönen Effect.

»Bekamen die Engländer hierbei auch neue Erfindungen zu sehen?« heißt es in dem Bericht. »Nur eine einzige. Es wurde nämlich ein großer Kasten in beträchtlicher Höhe gebracht und als sich dessen Boden, wie zufällig, öffnete, entfielen demselben eine Menge Papierlaternen. Zuerst waren diese zusammengefaltet, bald aber nahmen sie ihre eigentliche Gestalt an und entfernten sich von einander.

»Jede zeigte zuletzt eine regelmäßige Form, und plötzlich sah man sie von Lichtern wunderbar gefärbt . . . Die Chinesen schienen die Kunst zu verstehen, das Feuer nach Belieben zu färben. An jeder Seite des größeren Kastens befanden sich noch kleinere ähnliche, welche sich in derselben Weise öffneten und einen Feuerregen in wechselnder Form, glühend wie geschmolzenes Kupfer und bei jedem Windhauch wie ein Blitz aufleuchtend, aussprühten. Das Ganze beschloß der Ausbruch eines künstlichen Vulcans.«

Sonst belustigte sich der Kaiser nach der Feier seines Jahrestages gewöhnlich mit der Jagd auf die wilden Thiere der Tatarei; da Tchien-Lung sein hohes Alter aber diesen anstrengenden Sport verbot, beschloß er nach Peking zurückzukehren, wohin die englische Gesandtschaft vorausgehen sollte.

Macartney sagte sich inzwischen, daß es nun Zeit sei, an die Beendigung seiner Mission zu denken. Einerseits herrschte damals noch nicht die Sitte des beständigen Aufenthaltes einer Gesandtschaft am chinesischen Hofe, andererseits veranlaßten ihn die dem Kaiser zufallenden großen Unkosten für den Unterhalt derselben, sein Verweilen möglichst abzukürzen. Er erhielt auch bald von Tchien-Lung eine Antwort auf den Brief des Königs von England, die Geschenke, welche man ihm zur Uebermittelung an denselben mitgab, ebenso wie die für ihn und alle Beamten seines Gefolges ausgewählten Gaben. Man rüstete sich also zum Aufbruch.

Auf dem Kaiser-Kanal gelangte Macartney nach Tong-chu-fu zurück. Während der Reise sahen die Engländer den merkwürdigen Vogel »Leut-ze« für seinen Herrn Fische fangen. Dieser gehört zu der Gattung der Seeraben. Er läßt sich so gut abrichten, daß man ihn zuletzt nicht mehr mit einer Leine am Halse zu fesseln oder ihm einen Ring um den Hals zu legen braucht, um ihn am Verschlingen seines Fanges zu hindern.

»Auf jedem Boote oder Flosse befanden sich zehn bis zwölf solcher Vögel, die auf ein gegebenes Zeichen ihres Herrn zusammen untertauchen. Nicht ohne Erstaunen sieht man dann die gewaltigen Fische, welche diese Vögel fangen und in ihrem Schnabel geschleppt bringen.«

Macartney erwähnt auch eine besondere Methode, wilde Enten oder Wasservögel überhaupt zu jagen. Man läßt dabei leere Wasserkrüge oder Kürbisflaschen mehrere Tage ruhig auf dem Wasser schwimmen, bis sich die Vögel an deren Anblick gewöhnt haben. Dann watet ein Mann in's Wasser, bedeckt den Kopf mit einem solchen Kruge, geht langsam vorwärts und erfaßt die Vögel, die er erlangen kann, an den Füßen, erstickt sie unter dem Wasser und setzt diese Jagd ohne jedes Geräusch so lange fort, bis er einen mitgenommenen Sack vollständig gefüllt hat.

Der Gesandte begab sich nach Canton, von da nach Macao und kehrte von hier aus nach England zurück. Wir haben indeß keine Ursache, ihn auf dieser Fahrt zu begleiten.

Wir beschäftigen uns nun mit einem anderen Theile Asiens, den man Inner-Asien nennen könnte. Der erste Reisende, der uns hier entgegentritt, ist Volney.

Es giebt unter den Gebildeten wohl nur Wenige, die sein Buch über die »Ruinen« nicht in der Hand gehabt hätten; doch steht sein Bericht über eine Reise in Aegypten und Syrien ungleich höher. In diesem findet sich nichts von pomphaften, leeren Phrasen, sondern ein klarer, bestimmter, knapper Styl; Alles in Allem eines der besten und lehrreichsten Werke, welche man nur lesen kann. Die Theilnehmer der Expedition nach Aegypten fanden darin die werthvollsten Fingerzeige neben einer verläßlichen Schilderung des Klimas, der Bodenerzeugnisse und der Sitten der Bewohner.

Volney hatte sich für diese Reise auch ganz besonders vorbereitet. Für ihn war das ein großes, gewagtes Unternehmen, bei dem er dem Zufall so wenig als möglich Spielraum lassen wollte. Kaum in Syrien eingetroffen, überzeugte er sich, daß es ihm nie gelingen werde, das Leben des Volkes auch in seinen tieferen Schichten ordentlich kennen zu lernen, wenn er sich nicht dazu bequemte, durch Aneignung der Sprache selbst mit Jedermann verkehren zu können. Er zog sich also nach dem Kloster Mar-Hanna am Libanon zurück, um arabisch zu studiren.

Um die Lebensweise der in den Wüsteneien nomadisirenden Stämme kennen zu lernen, schloß er sich später einem Scheik an, gewöhnte sich eine Lanze zu führen, ein Pferd zu tummeln und setzte sich in den Stand, jene Stämme bei ihren Zügen durch die Wüste zu begleiten. Dem Schutze dieser Stämme verdankte er die Gelegenheit, die Ruinen der ausgestorbenen Städte Palmyra und Balbeck zu besichtigen, von denen man jener Zeit kaum noch die Namen kannte.

»Seine phrasenlose und deshalb freilich etwas gar zu nüchterne Ausdrucksweise«, sagt Saint-Beuve, »zeichnet sich durch klare Darstellung und markige Strenge aus.« Wenn er uns aber die Eigenthümlichkeiten des Bodens von Aegypten und dessen Unterschied von dem der Wüste erklärt, diesen »schwarzen, fetten und doch leichten Moorboden«, den der Nil mit sich führt und absetzt; wenn er uns die Natur der heißen Wüstenwinde schildert, ihre brennende Hitze, von der man den Eindruck empfängt, »als befände man sich vor der offenen Thüre eines Backofens, wenn das Brot herausgezogen wird«, den beklemmenden Zustand der Atmosphäre, wenn sich der Wind erhebt, jener »Luft, welche nicht neblig, sondern grau, pulverartig und wirklich erfüllt ist mit feinem vertheilten Staube, der sich nirgends niederschlägt, aber Alles durchdringt«; die Sonne, »welche nur noch als bläuliche Scheibe leuchtet« – so erreicht Volney bei allen diesen Schilderungen, deren Objecte man eigentlich an Ort und Stelle selbst kennen lernen muß, wirklich eine gewisse Schönheit, übertrifft Andere weit nach Seiten der physikalischen und gewissermaßen medicinischen Belehrung, die er bietet und welche fast an Hippokrates in dessen Abhandlung »von der Luft, der Erde und dem Wasser« erinnert.

Verdankt man Volney auch keine neue geographische Entdeckung, so muß man ihn doch als den ersten Reisenden ansehen, der stets das Bewußtsein von der Wichtigkeit seiner Unternehmung vor Augen hatte. Er suchte vor Allem den »wahren« Eindruck der von ihm besuchten Oertlichkeiten wiederzugeben, was als nicht geringes Verdienst anzuerkennen ist, vorzüglich zu einer Zeit, wo sich kein Forscher scheute, seinen Bericht auszuschmücken, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, welche Verantwortlichkeit er damit übernehme.

Durch seine Beziehungen zur besseren Gesellschaft und seine wissenschaftliche Stellung begann der Abbé Barthélemy, der im Jahre 1788 seine »Reise des jüngeren Anacharsis« veröffentlichte, Griechenland und dessen Nachbarländer wieder sozusagen in die Mode zu bringen. Offenbar erwuchs aus seinen Vorträgen auch z. B. de Choiseul's Liebe zur Geschichte und Alterthumskunde.

Zum Gesandten in Constantinopel ernannt, nahm er sich vor, die Muße, welche ihm seine Functionen ließen, zu einer Reise durch das griechische Land Homer's und Herodot's zu benützen. Dieser Versuch sollte ganz mächtig zur weiteren Ausbildung des jungen, kaum vierundzwanzig Jahre zählenden Gesandten beitragen, der, wenn er sich auch selbst kannte, doch der Menschenkenntniß noch sehr entbehrte.

De Choiseul scheint auch selbst die ihm anhaftenden Mängel geahnt zu haben, denn er umgab sich mit anerkannten Gelehrten und Künstlern und zog z. B. den Abbé Barthélemy, den Hellenisten Ansse de Villoison, den Dichter Delille, den Bildhauer Fauvel und den Maler Cassas dazu heran. Die einzige Rolle, die er bei der Veröffentlichung seiner »Pittoresken Reise durch Griechenland« spielt, ist die des freigebigen Mäcens.

Als Privatsecretär hatte de Choiseul-Gouffier einen Professor, den Abbé Jean Baptiste Le Chevalier engagirt, der der Sprache Homer's vollständig kundig war. Dieser begab sich, nach einem Abstecher nach London, wo ihn persönliche Angelegenheiten de Choiseul's lange genug aufhielten, um sich auch die englische Sprache anzueignen, nach Italien, wurde hier aber von einer schweren Krankheit befallen, die ihn sieben Monate lang an Venedig fesselte, so daß er mit Choiseul-Gouffier erst in Constantinopel zusammentreffen konnte.

Le Chevalier's Studien wiesen ihn hauptsächlich auf die Gegend von Troja. Mit der Iliade sehr gründlich vertraut, suchte Le Chevalier und glaubte er auch alle in jenem Heldengedichte genannten Oertlichkeiten wiederzufinden. Diese geistvolle historisch-geographische Arbeit führte gleich nach ihrem Erscheinen zu zahlreichen Controversen. Die Einen, wie Bryant, erklärten des Verfassers Entdeckungen einfach für illusorisch, auf die Annahme hin, daß Troja und der zehnjährige Krieg nur eine Erfindung Desjenigen seien, der es so herrlich besang. Andere und vorzüglich die englischen Archäologen, stimmten den Anschauungen des Franzosen bei. Man hielt diese Frage schon lange für erschöpft, bis ihr Schliemann's Ausgrabungen in unserer Zeit plötzlich wieder neues Leben einhauchten.

Guillaume Antoine Olivier, der gegen Ende des letzten Jahrhunderts einen großen Theil des Orients durchstreifte, konnte sich eines besonderen Schicksals rühmen. Von Berthier de Sauvigny zur Abfassung einer Statistik der Generalität von Paris berufen, sah er sich durch die ersten Stürme der Revolution sowohl seines Beschützers, als auch des Preises seiner Arbeit beraubt. Bestrebt, seine Kenntnisse der Naturgeschichte fern von Paris auszunützen, erhielt Olivier vom Minister Roland den Auftrag, die entferntesten und am wenigsten bekannten Gebiete des ottomanischen Reiches zu bereisen, wobei man ihm noch einen Naturforscher, Namens Bruguière, zur Begleitung gab.

Von Paris gegen Ende 1792 abgegangen, warteten die beiden Freunde vier Monate lang in Marseille auf ein passendes Schiff und kamen erst Ende Mai des folgenden Jahres mit ihrem an de Semonville gerichteten Empfehlungsschreiben nach Constantinopel. Dieser Abgesandte war inzwischen jedoch abberufen worden. Sein Nachfolger, de Saint-Croix, hatte von ihrer Reise noch nichts gehört. Was sollten sie nun während der Zeit beginnen, wo de Saint-Croix erst noch einmal Instructionen von Paris einholte?

Müßig konnten die beiden Gelehrten nicht bleiben. Sie entschieden sich also dafür, die Küsten Kleinasiens, einige Inseln des Archipels und Aegypten zu besuchen. Da der französische Minister sehr triftige Gründe hatte, ihnen nur wenig Geld zur Verfügung zu stellen und ihre eigenen Mittel auch ziemlich beschränkt waren, so konnten sie jene merkwürdigen Länder nur ganz flüchtig in Augenschein nehmen.

Bei ihrer Rückkehr nach Constantinopel trafen Olivier und Bruguière wieder einen neuen Gesandten, Verninac an, der den Auftrag hatte, sie nach Persien zu senden, um womöglich bei der dortigen Regierung Sympathien für Frankreich zu erwecken und dieselbe zu einer Kriegserklärung gegen Rußland zu bestimmen.

Persien litt damals unter der trostlosesten Anarchie, bei der sich die Usurpatoren zum größten Nachtheile des Landes auf dem Fuße folgten. Zur Zeit hatte Mehemet-Khan den Thron inne. Er führte eben einen Krieg in Khorassan, als die beiden Reisenden in Teheran eintrafen. Man veranlaßte sie, den Schah in jenem Lande aufzusuchen, das noch kein Forscher betreten hatte. Der Gesundheitszustand Bruguière's hinderte sie leider an der Befolgung dieses Rathes und hielt sie vier volle Monate in einem unbekannten, im Gebirge verlorenen Dorfe zurück.

Im September 1796 kehrte Mehemet nach Teheran zurück. Seine erste Sorge war es da, hundert am Ufer des Kaspischen Meeres gefangene russische Matrosen abschlachten und deren zuckenden Glieder an den Thoren seines Palastes annageln zu lassen. Wahrlich, ein eines solchen Henkers würdiges Unternehmen!

Im folgenden Jahre wurde Mehemet ermordet, und ihm folgte, wenn das auch nicht ohne neue Kämpfe abging, sein Neffe Fehtah-Ali-Schah. Bei diesem unaufhörlichen Wechsel der regierenden Personen wurde es Olivier natürlich schwer, den von der französischen Regierung erhaltenen Auftrag auszuführen. Mit jedem neuen Fürsten mußte er auch neue Verhandlungen beginnen. Die beiden Naturforscher und Diplomaten-Reisenden erkannten, daß bei dieser Unbeständigkeit der Dinge hier nichts auszurichten sei, da kein Schah im Stande war, die Gewalt zu behaupten; sie wandten sich also nach Europa zurück und überließen es besseren Tagen oder geschickteren Händen, eine Allianz zwischen Frankreich und Persien zu Stande zu bringen. Ihren Rückweg nahmen sie übrigens über Bagdad, Ispahan, Aleppo, Cypern und Constantinopel.

Welche Ergebnisse hatte aber dieser lange Aufenthalt. War deren diplomatischer Zweck auch vollständig verfehlt, bezeichnet sie auch keinerlei neue Entdeckung oder merkwürdige Beobachtung, so versichert Cuvier doch in seinem Nekrologe Olivier's, daß dieselbe bezüglich der durch sie erhaltenen naturhistorischen Aufklärungen doch nicht als werthlos zu betrachten sei. Man muß das wohl für richtig halten, denn drei Monate nach seiner Rückkehr wurde Olivier an Stelle Daubenton's zum Mitgliede des Instituts ernannt.

Was seinen in drei Quartbänden veröffentlichten Bericht angeht, sagt Cuvier in akademischem Style, so erfreut sich dieser allgemein einer ausgezeichneten Aufnahme.

»Man hat wohl ausgesprochen,« fährt er dann fort, »daß derselbe noch fesselnder ausgefallen sein würde, ohne die strenge daran geübte Censur; doch es fanden sich zu viel Anspielungen darin vor, und es war nicht immer erlaubt, Alles zu sagen, was man wußte, nicht einmal über Thamas-Kuli-Khan.

»Olivier selbst legte auf diese Anspielungen auch nicht so viel Werth, um sich deshalb Verlegenheiten zu bereiten; er strich bereitwillig Alles, was man für anstößig hielt, und beschränkte sich ohne Widerspruch auf den einfachen ungeschmückten Bericht seiner Beobachtungen und Erlebnisse.«

Von Persien nach Rußland ist der Uebergang nicht gar zu schroff und war es zu Ende des 18. Jahrhunderts noch weniger als heute. Eigentlich nimmt Rußland ja erst seit Peter dem Großen eine Stelle im europäischen Concert ein. Bis dahin gehörte das Land seiner Geschichte, seinen Handelsbeziehungen und den Sitten seiner Bewohner nach vielmehr nach Asien. Erst unter Peter dem Großen und Katharina II. öffneten sich neue Wege für dasselbe, gewann sein Handel an Ausdehnung, seine Marine an Bedeutung und vereinigten sich die vereinzelten russischen Stämme zu dem Begriffe einer Nation. Schon damals erreichte das dem Czar unterworfene Gebiet eine gewaltige Ausdehnung. Noch immer erweiterten es dessen Herrscher durch wiederholte Eroberungszüge. Sie thaten auch noch mehr. Peter der Große entwarf Karten, schickte nach allen Richtungen Expeditionen aus, um sich über das Klima, die Erzeugnisse und die Volksclassen seiner Provinzen genau zu unterrichten; endlich entsendete er Behring, zur Aufsuchung der Meerenge, welche den Namen dieses Seemannes erhielt.

Katharina II. trat in die Fußstapfen des großen Kaisers, des eigentlichen Schöpfers des Reiches. Sie zog Gelehrte nach Rußland und suchte Beziehungen zu allen hervorragenden Geistern der Welt. Sie wußte zu Gunsten ihres Volkes eine mächtige Agitation anzuregen. Da erwachte in Europa die Neugier und das Interesse und lenkte die Augen des Abendlandes auf Rußland. Man fühlte es, daß hier eine große Nation am Vorabend ihrer Geburt stehe und verheimlichte sich keineswegs, aber mit einiger Unruhe, die Bedeutung und die Folgen ihres vielleicht nicht abzuwendenden Eingreifens in die Angelegenheiten Europas. Schon arbeitete sich Preußen empor, und sein von Friedrich II. in die Wagschaale geworfener Degen veränderte alle früheren Grundlagen des europäischen Gleichgewichts. Rußland besaß aber noch ganz andere Hilfsquellen an Menschen, Geld und theils unbekannten, theils unausgebeuteten Schätzen aller Art.

Alles, was über jene Gebiete in die Oeffentlichkeit drang, wurde dann auch mit gleichem Interesse gelesen von den Staatsmännern und allen Denen, die ein Herz für ihr Vaterland haben, wie von Denen, welche nur nach Kenntniß der von den unserigen so verschiedenen, und selbst unter einander abweichenden Sitten fremder Völker streben.

Kein bis dahin erschienenes Werk übertraf nun das des Naturforschers Pallas, dessen »Reise durch mehrere Provinzen des russischen Reiches« von 1778 bis 1793 in's Französische übersetzt wurde. Keines hatte einen solchen Erfolg, und, wir müssen das noch heute zugestehen, keines hatte ihn auch so verdient wie dieses.

Peter Simon Pallas ist ein deutscher Naturforscher, den Katharina 1768 nach Petersburg berufen und sofort ihrer Akademie zugetheilt hatte, während sie ihn überhaupt mit Wohlthaten aller Art überhäufte. Aus Erkenntlichkeit bearbeitete er sehr bald seine »Denkschrift über die fossilen Knochenablagerungen in Sibirien«. England und Frankreich rüsteten eben Expeditionen zur Beobachtung des bevorstehenden Venus-Durchganges aus. Rußland wollte nicht zurückbleiben und sendete eine ganze Gesellschaft Gelehrter, darunter auch Pallas, nach Sibirien.

Sieben Astronomen und Geometer, fünf Naturforscher und mehrere Studenten sollten das ungeheuere Gebiet durchreisen. Sechs volle Jahre mühte sich Pallas ab, durchforschte Orenburg am Jaïk, den Sammelplatz der Nomadenhorden, welche das salzige Ufer des Kaspischen Meeres umschweifen: Gouriel, an demselben Meere oder vielmehr an diesem großen See, der täglich weiter austrocknet; die Berge des Ural und die zahlreichen Eisengruben, welche er enthält; Tobolsk, die Hauptstadt von Sibirien; das Gouvernement Koliwan, am nördlichen Abhange des Altaï; Krasnojarsk, am Jeniseï; den großen Baikel-See und Daurien, das bis zu den Grenzen von China reicht. Dann setzt er seine Studien fort in Astrachan, am Kaukasus, mit seinen so verschiedenen interessanten Volksstämmen, ferner am Don und kehrt am 30. Juli 1774 nach Petersburg zurück.

Man darf Pallas nicht für einen gewöhnlichen Reisenden halten. Er reist nicht allein als Naturforscher. Stets ist er ein ganzer Mensch und nichts ist ihm fern, was die Menschheit angeht. Erdkunde, Geschichte, Botanik, Handel, Religion, schöne Künste, Wissenschaften, Alles hat für ihn Interesse; das zeigt sich so auffallend, daß man seinen Reisebericht nicht lesen kann, ohne die Vielseitigkeit seiner Kenntnisse zu bewundern, ohne seinem erleuchteten Patriotismus alle Achtung zu zollen und ohne den Scharfblick einer Herrscherin anzuerkennen, die einen Mann von solchem Werthe an ihre Seite zu fesseln wußte.

Nachdem sein Bericht geordnet, geschrieben und veröffentlicht war, dachte Pallas keineswegs daran, auf seinen Lorbeeren auszuruhen oder sich von dem Weihrauch seines sich ausbreitenden Ruhmes einschläfern zu lassen. Ihm galt die Arbeit als Erholung und er betheiligte sich sofort wieder bei den nothwendigen Vorbereitungen zum Entwurfe einer Karte von Rußland.

Bald drängt ihn sein allezeit lebhafter Geist, sich eingehender dem Studium der Botanik zu widmen, und auch in diesem Fache sichern ihm seine Arbeiten einen ehrenvollen Platz unter den Naturforschern des russischen Reiches.

Eines seiner letzten Werke enthält die Beschreibung des südlichen Rußlands unter dem Titel »Physikalisches und topographisches Bild von Tauris«, ein Band, den Pallas in französischer Schrift herausgab und selbst in's Deutsche und Russische übersetzte. Bezaubert von dem Lande, das er 1793 und 1794 besuchte, äußerte er den Wunsch, sich dort niederzulassen. Die Kaiserin schenkte ihm sofort einige der Krone gehörende Ländereien und der gelehrte Reisende siedelte nebst Familie nach Simpheropel über.

Pallas benützte diesen Umstand zu einer wiederholten Reise in die südlichen Provinzen des Reiches, nach den Steppen der Wolga und den Gebieten zwischen dem Kaspischen Meere und dem Kaukasus; endlich durchstreifte er die Krim nach allen Richtungen hin. Vor zwanzig Jahren schon hatte er einen Theil dieser Länder gesehen und konnte jetzt tief einschneidende Veränderungen constatiren. Wenn er sich über die sinnlose Ausbeutung der Wälder beklagt, so muß Pallas doch anerkennen, daß sich an manchen Stellen der Ackerbau entwickelt hat, daß verschiedene Mittelpunkte einer industriellen Thätigkeit entstanden sind und daß das Land mit einem Worte in die Bahnen des Fortschrittes eingelenkt ist. Die Eroberung der Krim gehört erst der jüngsten Zeit an, doch machen sich auch dort schon eingreifende Veränderungen bemerkbar. Was versprechen diese Gebiete nicht für die nächste Zukunft!

Der für die letztere Provinz so eingenommene gute Pallas mußte an seinem neuen Aufenthaltsorte leider allerhand Quälereien der Tataren ausstehen. Seine Frau verstarb in der Krim, und als er endlich den Geschmack an Land und Leuten hier verloren hatte, kehrte er nach Berlin zurück, wo er am 8. September 1811 seine Tage beschloß.

Seine Hinterlassenschaft bildeten zwei Werke von hervorragender Bedeutung, aus denen der Geograph, der Staatsmann, der Naturforscher und der Kaufmann gleich verläßliche und bestimmte Nachrichten über jene, bis dahin so wenig bekannten Länder schöpfen können, deren eigene Schätze und Bedürfnisse die Verhältnisse des europäischen Marktes sichtbar verändern sollten.


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