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Fünftes Capitel.

Wovon man auf dem Wege von Atina nach Trapezunt spricht und was man dabei sieht.

Daß die beiden Verlobten glücklich waren, sich auf diese Weise wenigstens wieder gefunden zu haben; daß sie Allah für diese Hilfe der Vorsehung dankten, die Ahmet nach dem Orte geführt hatte, wo der Sturm die Tartane zerschellen lassen sollte; daß sie eine aus Freude und Entsetzen gemischte Erregung empfanden, welche einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ, ist wohl unnöthig weiter auszumalen.

Man begreift auch, daß Ahmet und sein Onkel Keraban nicht weniger es kaum erwarten konnten zu hören, was seit ihrer Abreise aus Odessa vorgefallen sei, und daß Amasia mit Hilfe Nedjebs sich sofort bequemen mußte, Alles bis in's Eingehendste zu berichten.

Natürlich waren den beiden jungen Mädchen andere Kleider beschafft worden; auch hatte sich Ahmet in das Costüm des Landes gekleidet, und jetzt saßen Alle, Herren und Diener, auf niederen Schemeln vor den knisternden Flammen und bekümmerten sich nicht im mindesten um den Sturm, der noch immer tobte.

Mit welcher Erregung vernahmen Alle, was in der Villa Selim, wenige Stunden nachdem der Seigneur Keraban sie auf die Straßen des Chersones geschleppt, vorgefallen war. Nein, nicht um dem jungen Mädchen kostbare Stoffe zu verkaufen, hatte Yarhud in der kleinen Bai dicht unter der Wohnung des Banquiers Selim Anker geworfen, sondern um einen abscheulichen Raub auszuführen, und Alles ließ vermuthen, daß die ganze Sache von langer Hand vorbereitet gewesen sei.

Nach Ergreifung der jungen Mädchen war die Tartane sofort ausgelaufen. Was aber weder die Eine noch die Andere sagen und sie noch nicht einmal wissen konnten, war, daß Selim ihre Hilferufe noch gehört, und daß der unglückliche Vater in dem Augenblick, wo die »Guidare« an den letzten Felsen der Bai vorübersegelte, von einem, vom Deck der Tartane abgefeuerten Schusse getroffen worden und zusammengestürzt war – vielleicht todt – jedenfalls so schwer verletzt, daß er Niemand von seinen Leuten zur Verfolgung der Räuber auszusenden vermochte.

Ueber ihre Behandlung an Bord hatten die beiden jungen Mädchen nicht viel zu berichten. Der Capitän wie seine Leute erwiesen Amasia, ebenso wie Nedjeb, eine Zuvorkommenheit, welche wohl einer einflußreichen Empfehlung zuzuschreiben war. Die bequemste Cajüte des kleinen Fahrzeuges war ihnen abgetreten worden. Dort aßen und schliefen sie. Sie konnten dabei nach Belieben auf das Deck gehen, bemerkten aber, daß sie dann scharf beobachtet wurden, wahrscheinlich für den Fall, daß sie, von der Verzweiflung getrieben, es vorgezogen hätten, den Tod zu suchen, um dem ihrer harrenden Schicksale zu entgehen.

Schmerzlich berührt hörte Ahmet ihre Schilderungen. Er fragte sich, ob der Capitän bei dieser Entführung wohl auf eigene Rechnung gehandelt habe, um seine Gefangenen auf den Märkten Kleinasiens zu verkaufen – wo ein solcher Menschenhandel auch jetzt noch nicht zu den Seltenheiten gehört – oder ob er im Auftrage irgend eines reichen Anatoliers gehandelt haben möge.

Hierauf konnten freilich, obwohl diese Fragen ihnen direct vorgelegt wurden, weder Amasia noch Nedjeb eine Antwort geben. Allemal, wenn sie in ihrer Verzweiflung bittend und weinend Yarhud darüber befragt hatten, schlug dieser es ab, sie hierüber aufzuklären. Sie wußten also weder, für wen der Capitän der Tartane gehandelt habe, noch – was Ahmet vorzüglich zu erfahren wünschte – wohin sie die »Guidare« hätte bringen sollen.

Die Fahrt selbst war zuerst ziemlich gut, aber langsam von Statten gegangen, wegen der Windstille, welche mehrere Tage hintereinander angehalten hatte. Sie hatten dabei deutlich genug beobachtet, wie sehr diese Verzögerungen dem Capitän, der seine Ungeduld gar nicht zu bemänteln suchte, unangenehm waren. Die beiden jungen Mädchen hatten daraus geschlossen – und Ahmet und der Seigneur Keraban stimmten ihnen hierin zu – daß Yarhud sich verpflichtet haben mochte, zu bestimmter Zeit irgendwo einzutreffen ... aber wo? ... das blieb natürlich unklar, obwohl es nur eine Hafenstadt Kleinasiens sein konnte, nach welcher die »Guidare« bestimmt gewesen war.

Endlich verschwand die Windstille und die Tartane konnte ihren Weg nach Osten wieder aufnehmen, oder, wie Amasia sagte, die Richtung nach Sonnenaufgang. So segelten sie ohne Unfall zwei Wochen lang hin; manchmal kreuzten sie entweder Segelschiffe, Kriegs- oder Handelsfahrzeuge, oder auch schnelle Dampfer, welche in regelmäßigen Fahrten die ungeheure Fläche des Schwarzen Meeres durchschneiden; dann zwang sie der Capitän aber, nach ihrer Cajüte hinabzusteigen, wahrscheinlich aus Furcht, sie könnten ein Nothsignal geben, das bemerkt würde.

Die Witterung wurde darauf bedrohlich, dann schlecht, endlich abscheulich. Zwei Tage vor dem Scheitern der »Guidare« erhob sich ein heftiger Sturm. Amasia und Nedjeb erkannten aus der Wuth des Capitäns, daß er sich gezwungen gesehen hatte, seinen Curs zu ändern, und daß der Sturm ihn dahin trieb, wohin er gar nicht wollte. So kam es, daß die beiden jungen Mädchen sich fast glücklich schätzten, von dem Sturme fortgeführt zu werden, da er sie gleichzeitig von dem Ziel entfernte, dem die »Guidare« eigentlich zusteuerte.

»Ja, liebster Ahmet, sagte Amasia, am Ende ihrer Erzählung, wenn ich des Schicksals gedachte, das mir bestimmt schien, mich von Dir getrennt sah und dahingeschleppt, wo Du mich nie wieder gesehen hättest – war mein Entschluß schon gefaßt! ... Nedjeb kannte ihn! ... Sie hätte mich nicht hindern können, ihn auszuführen; und bevor die Tartane das gefürchtete Ufer erreichte ... hätte ich mich in die Wogen gestürzt. Da kam der Sturm! Was uns zu vernichten drohte, hat uns gerettet ... Du, mein Ahmet, erschienst mir inmitten der wüthenden Wellen ... nein ... das werd' ich nimmermehr vergessen!

– Liebste Amasia, antwortete Ahmet, Allah wollte es, daß Du gerettet ... und durch mich gerettet wurdest ... Aber wenn ich meinem Onkel nicht zuvorgekommen wäre, würde er auch nicht gezögert haben, Dir Hilfe zu bringen.

– Bei Mohammed, das will ich glauben! rief Keraban.

– Und ein so starrköpfiger Mann sollte ein so gutes Herz haben! murmelte Nedjeb fast wider Willen.

– Ah, die Kleine da wagt es, sich an mir zu reiben! versetzte Keraban. Und doch, liebe Freunde, habt Ihr meinem Starrsinn zuweilen etwas Gutes zu verdanken.

– Zuweilen? fragte Van Mitten sehr ungläubig. Ich möchte doch gerne erfahren ...

– Gewiß, Freund Van Mitten! Hätte ich den Launen Ahmets nachgegeben und wäre auf der Eisenbahn durch die Krim und den Kaukasus gefahren, statt der Straße längs der Küste zu folgen, wäre Ahmet dann im Moment des Schiffbruches bei der Hand gewesen, um seine Verlobte zu retten?

– Nein, gewiß nicht! versicherte Van Mitten; doch, Freund Keraban, wenn Sie ihn nicht genöthigt hätten, Odessa zu verlassen, so wär' es zweifelsohne gar nicht zu jener Entführung gekommen und ...

– Aha, so betrachten Sie die Sache, Van Mitten! Sie wollen darüber, wie es scheint, mit mir Streit ...

– Nein, beileibe nicht! ... fiel ihm Ahmet in's Wort, der schon vorausfühlte, daß der Holländer bei einem in dieser Weise heraufbeschworenen Wortwechsel nicht obsiegen könne. Uebrigens ist es schon etwas spät, um noch das Für und Wider zu erörtern, und es scheint mir besser, wir suchen einige Ruhe ...

– Um morgen weiterreisen zu können, sagte Keraban.

– Morgen, lieber Onkel, morgen? ... wandte Ahmet ein. Amasia und Nedjeb müssen doch wohl ...

– Herr Neffe, rief Keraban, nun bist Du wohl gar nicht mehr so eilig, nachdem Du die kleine Amasia an Deiner Seite hast! ... Doch naht das Ende des Monats heran ... das entscheidende Datum ... mit dem ein nicht zu vernachlässigendes Interesse verknüpft ist ... Du wirst also einem alten Kaufmann gestatten, etwas praktischer als Du zu sein. Versuche also jeder zu schlafen, so gut es geht, und morgen, wenn wir irgend ein Transportmittel gefunden haben, begeben wir uns wieder auf den Weg.«

Die Gesellschaft machte es sich in dem Hause des Fischers so bequem als möglich und befand sich hier mindestens ebensogut, wie in einem der Gasthäuser von Atina. Nach den letzten erschütternden Ereignissen bedurften Alle recht sehr einiger Stunden der Ruhe, freilich träumte Van Mitten, daß er noch immer im Wortwechsel mit seinem unfügsamen Freunde wäre, und dieser, daß er sich Auge in Auge gegenüber dem Seigneur Saffar befände, auf den er alle Verwünschungen Allahs und seines Propheten herabrief.

Ahmet allein konnte keine Minute ein Auge schließen. Sein Drang, zu erfahren, aus welchem Grunde Amasia durch Yarhud entführt worden sei, beunruhigte ihn jetzt weniger wegen der Vergangenheit, als wegen der Zukunft. Er fragte sich, ob mit dem Schiffbruch der »Guidare« alle Gefahr vorüber sei. Zwar mochte er glauben, daß kein Mann von der Besatzung das Unglück überlebt habe, aber er wußte eben nicht, daß der Kapitän mit heiler Haut daraus hervorgegangen war. Der Unfall mußte unzweifelhaft bald weiter bekannt werden, und der Mann, in dessen Auftrage Yarhud gehandelt hatte – ohne Zweifel ein Vornehmer, vielleicht irgend ein Pascha der Provinzen von Anatolien, konnte darüber nicht lange in Unkenntniß bleiben. Konnte es ihm aber schwer werden, das junge Mädchen wieder aufzuspüren? War nicht zu befürchten, daß in der menschenarmen Gegend zwischen Trapezunt und Scutari, welche sie durchreisen mußten, sich die Gefahren für sie nur häufen, ihnen Schlingen gelegt oder sie aus dem Hinterhalte überfallen würden?

Ahmet nahm sich also vor, scharf Wache zu halten; er wich nicht mehr von Amasias Seite; er wollte die Führung der kleinen Caravane in der Hand behalten und im Nothfall einen sicheren Führer miethen, der sie auf dem kürzesten Wege längs der Küste leiten konnte.

Gleichzeitig beschloß Ahmet, den Banquier Selim, den Vater Amasias, von Allem zu unterrichten, was sich seit der Entführung seiner Tochter zugetragen hatte. Zunächst mußte Selim erfahren, daß Amasia gerettet war und daß er dafür Sorge tragen werde, zur bestimmten Zeit, das heißt binnen vierzehn Tagen in Scutari einzutreffen. Ein von Atina oder Trapezunt abgesandter Brief hätte aber bis Odessa zu lange Zeit gebraucht. Ahmet entschied sich also, ohne seinem Onkel etwas davon zu sagen – dem das Wort Telegramm ja alle Haare emporgesträubt hätte – an Selim eine Depesche durch den Draht von Trapezunt abgehen zu lassen. Er wollte ihm auch andeuten, daß noch nicht alle Gefahr beseitigt sei und daß Selim der kleinen Caravane so schnell als möglich entgegenkommen solle.

Am folgenden Morgen, als Ahmet das junge Mädchen wieder begrüßte, theilte er ihr sein Vorhaben wenigstens theilweise mit, ohne der Gefahren zu erwähnen, denen sie vielleicht noch ausgesetzt sein könne. Amasia fand in der ganzen Sache nur das Eine, daß ihr Vater so schnell als thunlich beruhigt werden sollte. Deshalb konnte sie es selbst kaum erwarten, nach Trapezunt zu kommen, um das Telegramm ohne Vorwissen des Onkel Keraban abgesendet zu sehen.

Nach einigen Stunden Schlaf waren Alle auf den Füßen, Keraban ungeduldiger als je, Van Mitten im Voraus allen Launen seines Freundes nachgebend, während Bruno in den zu weit gewordenen Kleidern Alles zusammenschnürte, was von ihm noch übrig geblieben war, und seinem Herrn nur noch mit einsilbigen Lauten antwortete.

Zuerst hatte Ahmet Atina durchsucht, einen wenig bedeutenden Ort, der – wie sein Name angiebt – früher das Athen des Pontus Euxinus hieß. Auch jetzt fanden sich daselbst noch einige dorische Säulen, die Reste eines Tempels der Pallas. Wenn diese Ruinen aber Van Mitten interessirten, so ließen sie doch Ahmet völlig kalt.

Wie viel lieber hätte dieser ein weniger unbequemes Fuhrwerk aufgefunden, als den Karren, den sie an der russisch-türkischen Grenze erlangt hatten. Leider mußten sie wieder mit der Araba vorlieb nehmen, welche den beiden jungen Mädchen eingeräumt wurde. In Folge dessen sahen sich Herren und Diener genöthigt, Pferde, Esel oder Maulesel zu benützen, um Trapezunt zu erreichen.

Wie beklagte sich jetzt der Seigneur Keraban, wenn er der an der Eisenbahn von Poti zertrümmerten Postchaise gedachte, und wie drohte und warf er dem Seigneur Saffar, den er für alles Unheil verantwortlich machte, seine grimmigsten Verwünschungen an den Kopf.

Für Amasia und Nedjeb gab es hingegen gar nichts Angenehmeres, als diese Fahrt in einer Araba. Ja, das war etwas Neues, Unerwartetes. Sie hätten diesen elenden Karren gegen keine Staatscarrosse des Padischah vertauscht! Wie wohl befanden sie sich unter der undurchlässigen Plane auf einem frischen Strohsitze, den sie auf jedem Relais erneuern konnten. Von Zeit zu Zeit boten sie darin auch einen Platz dem Seigneur Keraban, dem jungen Ahmet oder Van Mitten, an. Und dann die Reiter, die sie eskortirten, wie Prinzessinnen! ... O, das war ja reizend!

Es versteht sich von selbst, daß derartige Betrachtungen von der Närrin Nedjeb ausgingen, welche so geneigt war, alle Dinge von der besten Seite anzusehen. Amasia dagegen fiel es wieder deswegen nicht ein, sich zu beklagen, weil jetzt ja Ahmet bei ihr war und diese Reise unter ganz anderen Umständen und in kurzer Zeit vollendet werden sollte. Dazu gelangten sie damit ja nach Scutari ... nach Scutari!

»Ich glaube bestimmt, sagte Nedjeb öfters, indem sie sich auf den Zehen erhob, daß man es von hier aus schon sehen kann!«

Unter der kleinen Gesellschaft gab es wirklich nur zwei Personen, welche in unangenehmerer Stimmung waren, den Seigneur Keraban, der wegen Mangels eines schnelleren Fuhrwerkes eine Verzögerung fürchtete, und Bruno, den eine Wegstrecke von fünfunddreißig Lieues – fünfunddreißig Lieues auf dem Rücken eines Maulesels – noch von Trapezunt trennten.

Dort erst würde es, wie ihm Nizib versicherte, ein Leichtes sein, sich ein, für die weiten Ebenen Anatoliens geeigneteres Transportmittel zu beschaffen.

Au diesem Tage, dem 15. September, verließ die ganze Caravane die kleine Ortschaft Atina gegen elf Uhr Morgens; der Sturm war so heftig gewesen, daß er nicht lange hatte andauern können. Jetzt herrschte eine fast vollständige Windstille. Die nach den höheren Luftschichten aufgestiegenen Wolken hingen regungslos am Firmament, erschienen aber alle zerfetzt von dem Toben des Orkans. Zeitweilig sandte die Sonne einige Strahlen herab, welche der Landschaft mehr Leben verliehen. Nur das noch hochgehende Meer schlug donnernd an den Felsengrund des Ufers.

Der Seigneur Keraban und seine Begleiter zogen jetzt die Straße des westlichen Lazistan hinab und beeilten sich nach Kräften, um noch vor Anbruch des Abends das Paschalik Trapezunt zu erreichen.

Die Straßen hier waren nicht verlassen.

Lange Caravanen belebten dieselben mit Hunderten von Kameelen, die Ohren wurden fast betäubt von den Tönen der Schellen, Glöckchen und wirklichen Glocken, welche jene am Halse trugen, während das Auge sich an den lebhaften, wechselnden Farben ihrer Kopfzierden und mit Muscheln geschmückten Haarflechten ergötzte. Diese Caravanen kamen entweder von Persien oder zogen dahin zurück.

Die Küste war ebensowenig menschenleer wie die Landstraßen, denn hier strömten eine Menge Fischer und Jäger zusammen. Bei Anbruch der Nacht fingen die Fischer hier, auf Booten, an deren Hintertheil harzige Aeste entzündet werden, sehr viele der unter dem Namen »Khansi« bekannten Sardellen, welche auf der ganzen Küste Anatoliens ein Lieblingsgericht bilden und auch in den mittleren Provinzen Armeniens vielfach verzehrt werden. Die Jäger wieder haben keine Ursache, die Fischer zu beneiden, denn sie finden hier das von ihnen gesuchte Wild in Ueberfluß. Abertausende von Seevögeln von der Gattung der Silbertaucher, »Kukarinas« genannt, siedeln an den Ufern dieses Theiles von Kleinasien, und zu Hunderttausenden gewinnen Jene die beliebten Federbälge derselben, deren ziemlich hoher Preis die Reisekosten, den Zeitaufwand und die Mühe, von dem zur Jagd selbst verbrauchten Pulver zu schweigen, hinreichend deckt.

Gegen drei Uhr Nachmittags machte die kleine Caravane Halt in dem Flecken Mapavra, an der Mündung des gleichnamigen Flusses, dessen klares Wasser sich mit der übelriechenden Flüssigkeit einer Petroleumquelle vermischt, die aus der Nachbarschaft herabfließt. Zu dieser Stunde erschien es zwar noch etwas zeitig, um zu essen, da das Nachtquartier aber nur ziemlich spät erreicht werden konnte, zog man es vor, hier etwas Nahrung zu nehmen. Das war wenigstens Brunos Ansicht, und dieser wußte der schlaue Bursche schon Geltung zu verschaffen.

Daß es an der Gasthofstafel, an der der Seigneur Keraban und die Seinigen Platz genommen hatten, Khansi in großer Menge gab, versteht sich von selbst. In den benachbarten Paschaliks Kleinasiens bilden sie eben das landesübliche Gericht. Dieselben wurden übrigens zur beliebigen Auswahl gesalzen und frisch aufgetragen; doch gab es auch substantiellere Speisen, denen man herzhaft zusprach. Dazu herrschte unter den Tischgenossen eine ungetrübte Heiterkeit, welche ja stets die beste Würze eines Mahles abgiebt.

»Nun, Van Mitten, fragte Keraban, beklagen Sie immer noch den Starrsinn – den ganz gerechtfertigten Starrsinn – Ihres Freundes und Correspondenten, der Sie gezwungen hat, an einer solchen Reise Theil zu nehmen.

– Nein, Keraban! Nein! antwortete Van Mitten, ich würde sie, wenn es Ihnen beliebt, von vorn anfangen.

– Wir werden's ja sehen, Van Mitten! – Und Du, meine kleine Amasia, was denkst Du von dem bösen Onkel, der Dir Deinen Ahmet entführte?

– Daß er, was ich von jeher wußte, der beste aller Menschen ist! sagte das junge Mädchen.

– Und der fügsamste! setzte Nedjeb hinzu. Es scheint mir, der Seigneur Keraban setzt seinen Kopf lange nicht mehr so auf, wie früher.

– Sehr gut! Die kleine Thörin will meiner spotten! rief Keraban mit gutmüthigem Lächeln.

– O, nein, Seigneur, nein!

– Und doch, Du Kleine! ... Bah, hast ja ganz recht! ... Ich bestreite es gar nicht; ich habe den Trotzkopf abgelegt! Selbst meinem Freunde Van Mitten würde es nicht mehr gelingen, mich zu reizen!

– O ... das müßte man doch erst sehen! ... meinte der Holländer, ungläubig den Kopf schüttelnd.

– Das ist schon so gut wie geschehen, Van Mitten!

– Wenn man Sie aber auf gewisse Capitel brächte?

– Sie täuschen sich! Ich schwöre ...

– Schwören Sie nicht!

– Und doch! ... Ich werde darauf schwören! ... erwiderte Keraban, der etwas lebhafter wurde. Warum sollte ich nicht schwören können?

– Weil es oft sehr schwer fällt, einen Schwur zu halten.

– Weniger schwer, als den Mund zu halten, Van Mitten, denn es liegt auf der Hand, daß Sie jetzt nur, um mir zu widersprechen ...

– Ich, Freund Keraban?

– Ja, Sie! ... Und wenn ich wiederholt erkläre, entschlossen zu sein, niemals eigensinnig bei etwas zu beharren, so bitte ich auch Sie, das zu thun und mir nicht aus bloßem Trotz zu widersprechen ...

– Ja, ja, Sie haben Unrecht, Herr Van Mitten, sagte Ahmet, dieses Mal sehr Unrecht.

– Vollständig Unrecht! ... fügte auch Amasia hinzu.

– Ganz und gar Unrecht!« erklärte selbst Nedjeb.

Da der würdige Holländer die Majorität gegen sich sah, hielt er es für besser, zu schweigen.

Doch war der Seigneur Keraban, trotz Allem was vorgefallen war, trotz der erhaltenen Lectionen vorzüglich auf dieser so unbesonnen unternommenen Reise, die so schlecht hätte ablaufen können, wirklich so umgewandelt, wie er es glauben machen wollte? Das mußte sich ja zeigen; im Grunde jedoch huldigten eigentlich Alle der Ansicht Van Mitten's. Daß die Auswüchse des Starrsinns an diesem Eisenkopfe so völlig verschwunden wären, durfte man wohl mit Recht bezweifeln.

»Nun vorwärts! sagte Keraban nach beendigter Mahlzeit. Das war ja ein nicht zu verachtendes Abendessen, aber ich weiß doch ein noch besseres.

– Und welches? fragte Van Mitten.

– Das, welches uns in Scutari erwartet!«

Gegen vier Uhr ging die Reise weiter, und etwa um acht Uhr Abends gelangte die Gesellschaft ohne Unfall nach dem kleinen Flecken Rize, dessen Uferrand dicht mit Klippen übersäet ist. Hier mußten sie die Nacht in einem recht erbärmlichen Khan verbringen, so daß die jungen Mädchen es vorzogen, unter der Plane der Araba zu bleiben. Vor Allem kam es indeß nur darauf an, daß Pferde und Maulesel sich von ihrer Anstrengung erholen konnten, und an frischem Stroh und Hafer fehlte es glücklicherweise nicht. Auch der Seigneur Keraban und die Uebrigen mußten sich mit einem Lager auf frischem Stroh begnügen. Die nächste Nacht sollten sie ja in Trapezunt zubringen und daselbst jede Bequemlichkeit finden, welche das beste Hôtel der Stadt ihnen zu bieten vermochte.

Ahmet fragte gar nicht danach, ob er ein gutes oder schlechtes Lager bekommen könnte. Fortwährend von gewissen Gedanken geplagt, hätte er doch nicht schlafen können. Er fürchtete immer für die Sicherheit des jungen Mädchens und sagte sich, daß mit dem Untergange der »Guidare« noch nicht alle Gefahr vorüber sein werde. So wachte er denn, gut bewaffnet, an der Araba vor dem Khan.

Ahmet that sehr wohl daran; er hatte Ursache für seine Befürchtung.

Im Laufe des Tages nämlich hatte Yarhud die kleine Caravane niemals aus den Augen verloren. Immer folgte er ihrer Spur, aber so, daß er nie gesehen werden konnte, da er ja Ahmet ebensogut, wie den beiden jungen Mädchen von Person bekannt war.

So spionirte er, entwarf Pläne, die ihm entwischte Beute wieder zu erlangen, und schrieb auf jeden Fall auch an Scarpante. Dieser Intendant des Seigneur Saffar mußte nach einer in Constantinopel getroffenen Verabredung schon seit einiger Zeit wieder in Trapezunt sein. Deshalb bestellte ihn Yarhud für den nächsten Tag zu einem Zusammentreffen nach der Caravanserai von Rissar, ohne ihm vorläufig etwas vom Schiffbruche der »Guidare« und von den schlimmen Folgen dieses Unfalls mitzutheilen.

Ahmet hatte also alle Ursache wachsam zu sein. Seine Ahnungen täuschten ihn nicht. Yarhud gelang es während der Nacht sogar, so nahe heran zu schleichen, daß er sich davon überzeugte, daß die beiden jungen Mädchen in der Araba selbst schliefen. Zum Glück für ihn bemerkte er, daß Ahmet scharf Wache hielt, und er konnte sich noch entfernen, ohne gesehen worden zu sein.

Statt aber im Rücken der Caravane zu bleiben, begab sich der Maltesercapitän jetzt nach Westen, auf den Weg nach Trapezunt. Es kam ihm nur darauf an, den Seigneur Keraban und seine Begleiter zu überholen. Vor ihrer Ankunft in der Stadt wollte er mit Scarpante jedenfalls Rücksprache genommen haben. Einen kleinen Umweg einschlagend, trieb er das Pferd, welches ihn seit dem Aufbruche aus Atina trug, schnell auf die Caravanserai von Rissar zu.

Allah ist groß! Zugegeben; aber er hätte gewiß noch weiser gehandelt, wenn er auch den Kapitän Yarhud jene Mannschaft von Schurken nicht überleben ließ, die bei dem Schiffbruche der Tartane zugrunde gegangen war.

Am folgenden Tage, dem 16., war Alles mit dem Morgenrothe und in bester Laune auf den Füßen – mit Ausnahme Brunos, der sich die Frage vorlegte, wie viel Pfund er noch bis zur Ankunft in Scutari verlieren werde.

»Meine kleine Amasia, sagte der Seigneur Keraban, sich die Hände reibend, komm' lass Dich umarmen.

– Gern, lieber Onkel, sagte das junge Mädchen, vorzüglich wenn Sie mir gestatten, Ihnen schon jetzt diesen Namen zu geben.

– Ob ich Dir das gestatte, meine liebe Tochter? Du kannst mich sogar Deinen Vater nennen, denn ist Ahmet nicht etwa mein Sohn?

– Er ist es so sehr, Onkel Keraban, sagte Ahmet, daß er sich sogar erlaubt zu befehlen, wie es zuweilen das Recht des Sohnes gegenüber dem Vater sein kann.

– Zu befehlen? Und was?

– Daß wir sofort abreisen. Die Pferde sind bereit, und wir müssen nothwendig heute Abend in Trapezunt sein.

– Da werden wir auch sein, sagte Keraban, und am folgenden Tage mit dem Aufgang der Sonne wieder weiter fahren. – He, Freund Van Mitten, es stand ja wohl geschrieben, daß Sie noch eines Tages Trapezunt sehen sollten?

– Ja, Trapezunt! ... Welch' schöner Name! antwortete der Holländer. Trapezunt und seine Hügel, was die zehntausend Spiele und gymnastischen Kämpfe unter dem Vorsitze des Dracontius feierte, wenn ich meinem Reiseführer vertrauen darf, der mir sehr gut redigirt scheint. Wahrhaftig, Freund Keraban, ich bin nicht böse darüber, Trapezunt sehen zu sollen.

– Gestehen Sie also zu, Freund Van Mitten, daß Sie von dieser Reise recht angenehme Erinnerungen mit heimbringen werden?

– Sie hätten nur weniger lückenhaft sein sollen!

– Nun, Alles in Allem haben Sie sich gewiß nicht zu beklagen.

– Wir sind noch nicht am Ende! ...« murmelte Bruno seinem Herrn in's Ohr, gleich einem Unheil kündenden Wahrsager, dessen Amt es ist, überall an die Unbeständigkeit menschlicher Dinge zu erinnern.

Die Caravane verließ den Khan um sieben Uhr Morgens, das Wetter besserte sich mehr und mehr, der Himmel klärte sich auf und die Sonne saugte den Morgennebel bald weg.

Zu Mittag hielt man in den Flecken Of, dem Ophis der Alten, wo die berühmten Familien Griechenlands herstammen. Hier wurde unter Inanspruchnahme der Vorräthe in der Araba, welche fast zu Ende gingen, in einem bescheidenen Gasthofe gefrühstückt.

Ueberdies hatte der Gastwirth hier halb den Kopf verloren und zeigte gar kein Bestreben, sich um seine Gäste zu bekümmern. Die Frau des braven Mannes war nämlich schwer erkrankt, und hier draußen gab es keinen Arzt. Einen solchen von Trapezunt herkommen zu lassen, das war für einen armen Gastwirth entschieden zu theuer.

Unterstützt von seinem Freunde Van Mitten, glaubte der Seigneur Keraban die Rolle des »Hakim« oder Doctors übernehmen zu sollen, und verschrieb einige ganz einfache Droguen, welche in Trapezunt leicht zu haben sein mußten.

»Allah segne Sie, Herr, rief der sparsame Gatte der Wirthin, doch was kann diese Arzenei wohl in der Stadt kosten?

– Etwa zwanzig Piaster, antwortete Keraban.

– Zwanzig Piaster! wiederholte der Gastwirth verdutzt. Ach, für einen solchen Preis könnte ich mir ja eine neue Frau kaufen ...«

Damit ging er davon, ohne sich weiter für den guten Rath seiner Gäste, den er gewiß nicht zu befolgen gedachte, zu bedanken.

»Das ist ein praktischer Ehemann! lachte Keraban. Sie hätten sich hier zu Lande verheiraten sollen, Van Mitten.

– Vielleicht!« meinte der Holländer.

Um fünf Uhr Abends machten die Reisenden um zu essen, in dem Flecken Surmaneh Halt, und brachen um sechs Uhr wieder auf, da sie Trapezunt noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen wünschten. Da gab es aber eine Verzögerung. Zwei Lieues vor der Stadt und gegen neun Uhr Abends brach ein Rad der Araba. Die Gesellschaft sah sich also genöthigt, in einer an der Straße liegenden Caravanserai zu übernachten, eine Caravanserai übrigens, welche den Reisenden in diesem Theile Kleinasiens ziemlich bekannt ist.


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