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Viertes Capitel.

In welchem Seigneur Keraban, noch starrköpfiger als sonst, sogar den Beamten der Hohen Pforte entgegentritt.

Inzwischen war der Kajiktschi angelangt und hatte dem Seigneur Keraban gemeldet, daß sein Kajik ihn unten an der Treppe erwarte.

Dieser Kajiktschis giebt es auf den Gewässern des Bosporus und des Goldenen Hornes Tausende. Ihre Boote laufen am Vorder- wie am Hintertheile gleichmäßig spitz aus, um in beiden Richtungen bequem fahren zu können, und haben etwa die Form fünfzehn bis zwanzig Fuß langer Schlittschuhe, welche aus einigen mit Bildhauerarbeit und im Inneren mit Malereien geschmückten Planken von Buchen- und Cypressenholz gezimmert werden. Es ist überraschend zu sehen, mit welcher Schnelligkeit diese schlanken Boote dahingleiten, einander kreuzen oder überholen in der herrlichen Meerenge, welche das Ufer beider Continente trennt. Die einflußreiche Zunft der Kajiktschis versieht diesen Dienst vom Anfang des Marmarameeres bis zu dem Schlosse Europas und dem Asiens, welche sich im nördlichen Theile des Bosporus gegenüberstehen.

Es sind im Allgemeinen hübsche Gesellen, bekleidet mit dem »Burudjuk«, einer Art seidenem Hemd, mit lebhaft gefärbtem und mit Goldstickereien verziertem »Yelek«, einem kurzen Beinkleid aus weißer Baumwolle, wozu sie einen »Fez«, und, während Schenkel und Arme nackt bleiben, an den Füßen selbst »Yemenis« tragen.

Daß der Kajiktschi des Seigneur Keraban – d.h. der Schiffer, welcher Letzteren jeden Abend nach Scutari und jeden Morgen zurückfuhr – daß dieser Kajiktschi wegen seines etwas zu langen Ausbleibens einen ziemlich üblen Empfang fand, ist wohl unnöthig hier hervorzuheben. Der phlegmatische Seemann ließ sich davon freilich nicht besonders berühren, denn er wußte recht gut, daß man einem so vortrefflichen Kunden auch etwas zu Gute halten müsse, und so begnügte er sich, nur nach seinem am Fuße der Treppe liegenden Boote zu zeigen.

Seigneur Keraban wollte sich eben in Begleitung Van Mitten's und gefolgt von Bruno und Nizib nach dem Fahrzeug hinabbegeben, als in der Menge auf dem Top-Hane-Platze plötzlich eine gewisse Bewegung entstand.

Seigneur Keraban hielt ein.

»Was giebt's denn da?« fragte er.

Da erschien der Polizeihauptmann des Stadtviertels von Galata, umgeben von Gardisten, welche das Volk auseinanderdrängten, auf dem Platze. Ein Trommelschläger und ein Trompeter begleiteten ihn. Der Erstere schlug einen Wirbel, der Andere blies ein Signal, und allmählich wurde es ruhig unter der sehr heterogenen, aus Asiaten und Europäern zusammengewürfelten Menschenmenge.

»Doch wieder eine ungerechte Proclamation«, murmelte Seigneur Keraban im Tone eines Mannes, der überall und immer auf seinem Rechte zu bestehen gewillt ist.

Der Polizeihauptmann zog ein mit den vorschriftsmäßigen Siegeln bedecktes Document hervor und verlas mit weithin schallender Stimme folgende Verordnung:

»Auf Befehl des Muzir und Präsidenten der Polizeiverwaltung wird hiermit und von heute an eine Abgabe von zehn Paras Jedermann auferlegt, der über den Bosporus fährt, um von Constantinopel nach Scutari oder von Scutari nach Constantinopel zu gelangen; sowohl mittels Kajik, wie mittels jedes anderen Segel- oder Dampffahrzeuges. Wer diese Abgabe verweigert, wird mit Haft und mit Geldstrafe belegt.

Gegeben im Palaste am 16. hujus.

Gezeichnet: Der Muzir. «

Ein Murmeln der Unzufriedenheit empfing diese neue Auflage, welche per Kopf etwa vier Pfennige betrug.

»Schön, wieder eine neue Steuer! rief ein alter Türke, der doch die Finanzlaunen des Padischah schon seit Langem kennen mußte.

– Zehn Paras, jammerte ein Anderer, das ist ja der Preis für eine halbe Tasse Kaffee!«

Der Polizeihauptmann schickte sich in dem Bewußtsein, daß man in der Türkei zwar murrt, aber doch bezahlt, schon an, den Platz zu verlassen, als der Seigneur Keraban auf ihn zutrat.

»Also, begann dieser, eine neue Steuer, welche allen Denen auferlegt wird, die über den Bosporus gehen wollen?

– Auf Befehl des Muzir,« antworte der Polizeihauptmann.

Dann setzte er hinzu:

»Wie? Das ist der reiche Keraban, welcher Widerspruch erhebt?

– Ja, der reiche Keraban.

– Und es geht mit Ihnen gut, Seigneur Keraban?

– Ganz gut ... ebensogut wie mit der Steuer. Diese Bekanntmachung tritt sofort in Kraft?

– Gewiß, mit deren öffentlicher Verlesung.

– Und wenn ich mich heut' Abend ... in meinen Kajik begeben will, wie das alle Tage geschieht? ...

– So werden Sie dafür zehn Paras erlegen.

– Und da ich jeden Morgen und jeden Abend über den Bosporus fahre?

– So macht das zwanzig Paras den Tag, antwortete der Polizeihauptmann. – Eine nicht nennenswerthe Kleinigkeit für den reichen Keraban.

– Wirklich?

– Mein Herr wird sich eine böse Geschichte auf den Hals laden, flüsterte Nizib Bruno zu.

– Er wird schon nachgeben müssen.

– Er? Da kennen Sie ihn schlecht!«

Seigneur Keraban hatte die Arme gekreuzt, dann sah er den Beamten Auge in Auge fest an und sagte mit scharfer Stimme, aus der man seine Gereiztheit heraushörte:

»Nun, da ist mein Kajiktschi, der mir meldet, daß sein Kajik für mich bereit steht; und da ich einen Freund, den Herrn Van Mitten, dessen Diener und den meinigen mitnehme ...

– So macht das vierzig Paras, erklärte der Beamte. Ich wiederhole, daß Sie ja die Mittel haben, bezahlen zu können ...

– Daß ich Mittel genug besitze, vierzig Paras zu zahlen, unterbrach ihn Keraban, auch hundert und tausend und hunderttausend oder fünfhunderttausend, wäre schon möglich, aber ich zahle nichts und werde schon hinübergelangen.

– Ich bedauere, dem Seigneur Keraban widersprechen zu müssen, erwiderte der Polizeihauptmann, aber er wird, ohne zu zahlen, nicht über das Wasser kommen.

– Er wird hinüberkommen, ohne Zweifel!

– Nein!

– Doch!

– Freund Keraban ... sagte Van Mitten in der löblichsten Absicht, dem störrischsten aller Menschen Vernunft beizubringen.

– Lassen Sie mich zufrieden, Van Mitten, antwortete Keraban grimmigen Tones. Die Auflage ist ungerecht, eine Schmach! Man darf sich derselben nicht unterwerfen! Niemals, nein, niemals hätte die Regierung der Alttürken gewagt, die Kajiks des Bosporus mit einer Steuer zu belasten.

– Zugegeben; die Regierung der Jungtürken, welche Geld braucht, hat nicht gezögert, es zu thun, antwortete ruhig der Beamte.

– Wir werden ja sehen! rief Keraban.

– Gardisten, wandte der Beamte sich an die ihn begleitenden Soldaten, Ihr werdet über die Befolgung der neuen Verordnung wachen.

– Kommen Sie, Van Mitten, lautete Keraban's Antwort, mit dem Fuße auf den Boden stoßend, kommen Sie, Bruno, und Du, Nizib, folge uns nach.

– Das wären vierzig Paras ... sagte der Polizeihauptmann noch einmal.

– Vierzig Stockschläge!« versetzte Seigneur Keraban, dessen Wuth jetzt zum Höchsten gestiegen war.

In dem Augenblicke aber, als er sich nach der Treppe von Top-Hane begab, umringten ihn die Soldaten und er mußte wohl oder übel umkehren.

»Laßt mich! rief er sich vertheidigend. Daß mich Keiner anrührt, nicht mit einer Fingerspitze! Ich komme hinüber, beim Barte des Propheten! Ich komme hinüber, ohne daß ein Para aus meiner Tasche kommt!

– Ja, wegkommen werden Sie schon, aber nur durch die Thür des Gefängnisses, antwortete der Polizeihauptmann, der auch allmählich warm wurde, und werden eine hübsche Strafe erlegen, um wieder hinauszukommen!

– Ich werde nach Scutari gelangen.

– Ueber den Bosporus niemals, und da es nicht möglich ist, auf anderem Wege dahin zu gelangen ...

– Das glauben Sie? antwortete Seigneur Keraban, die Hand ballend und im Gesichte hochroth, als wenn ihn ein Schlaganfall bedrohte. Das glauben Sie? ... Nun wohl, ich werde nach Scutari kommen, ohne über den Bosporus zu gehen, und werde nicht bezahlen ...

– Das möcht' ich sehen!

– Und müßt' ich ... ja ... und müßt' ich rings um das ganze Schwarze Meer fahren!

– Siebenhundert Lieues um zehn Paras zu sparen! rief der Polizeihauptmann, mit den Achseln zuckend.

– Siebenhundert Lieues, tausend, zehntausend, Hundertausend Lieues, antwortete Keraban, und wenn sich's nur um fünf, um zwei, nur um einen einzigen Para handelte!

– Aber, lieber Freund ... sagte Van Mitten zuredend.

– Noch einmal, lassen Sie mich in Ruhe! entgegnete Keraban, seine Einmischung abweisend.

– Schön, da hat er seinen Zehnten! sagte Bruno leise.

– Und ich werde die Türkei hinaufgehen, werde den Chersones durchziehen, über Kaukasien reisen und durch Anatolien fahren, und damit nach Scutari gelangen, ohne nur einen Para Eurer ungerechten Steuer entrichtet zu haben!

– Wir werden ja sehen, versetzte der Beamte.

– Ist schon so gut wie gesehen! erwiderte Keraban, der jetzt wüthend wurde, und noch heute Abend werde ich abreisen.

– Teufel, flüsterte Capitän Yarhud dem Scarpante zu, der so wie er kein Wort dieser unerwarteten Unterhaltung verloren hatte, das könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen.

– Freilich, stimmte Scarpante ein. Wenn dieser Trotzkopf auf seinem Vorhaben beharrt, kommt er über Odessa und könnte da im Vorübergehen die Trauung vornehmen lassen ...

– Aber, ... begann noch einmal Van Mitten, der seinen Freund Keraban von einer solchen Thorheit abhalten wollte.

– Lassen Sie mich, sag' ich Ihnen!

– Und die Hochzeit Ihres Neffen Ahmet?

– Wird gefeiert, wann sich's eben macht!«

Scarpante nahm Yarhud bei Seite.

»Wir haben keine Stunde zu verlieren, erklärte er.

– In der That, antwortete der maltesische Capitän, und ich denke auch schon morgen früh mit dem ersten Zuge über Adrianopel nach Odessa abzufahren.«

Beide zogen sich hierauf zurück.

Eben hatte sich Seigneur Keraban heftig erregt nach seinem Diener umgewendet.

»Nizib! rief er.

– Mein Herr?

– Folge mir nach dem Comptoir.

– Nach dem Comptoir? antwortete Nizib.

– Und Sie auch, Van Mitten, sagte Keraban.

– Ich?

– Und Sie auch, Bruno.

– Damit wir ...

– Damit wir zusammen abreisen.

– Au! rief Bruno, die Ohren spitzend.

– Ja. Ich habe Sie eingeladen, in Scutari zu speisen, wandte Seigneur Keraban sich an Van Mitten, und, beim Barte des Propheten, Sie werden in Scutari speisen ... natürlich bei unserer Rückkehr.

– Doch das wird nicht geschehen vor ... antwortete der durch diesen Vorschlag in größte Verlegenheit gesetzte Holländer.

– Nicht vor Ablauf eines Monats, eines Jahres oder vielleicht vor zehn Jahren! antwortete Keraban in einem Tone, der keinen Widerspruch zuließ. Sie haben einmal zugesagt, bei mir zu speisen, und Sie werden an meinem Diner theilnehmen.

– Nun, das wird Zeit genug haben, kalt zu werden, murmelte Bruno.

– Erlauben Sie, Freund Keraban ...

– Ich erlaube nichts, Van Mitten. Kommen Sie!«

Seigneur Keraban machte einige Schritte nach rückwärts über den Platz.

»Es ist unmöglich, diesem Teufel in Menschengestalt Widerstand zu leisten, sagte Van Mitten heimlich zu Bruno.

– Wie Mynheer, Sie wollen einer solchen Laune nachgeben?

– Ob ich nun hier bin oder anderswo, Bruno, wenn ich nur nicht in Rotterdam sein muß.

– Aber ...

– Da ich meinen Freund Keraban begleite, wirst Du schon nicht anders können, als Dich mir anzuschließen.

– Das wird eine schöne Geschichte!

– Vorwärts!« drängte Seigneur Keraban.

Dann wandte er sich noch einmal an den Polizeihauptmann, dessen spöttisches Lächeln wohl dazu angethan war, ihn außer Fassung zu bringen.

»Ich reise ab, sagte er, und trotz aller Eurer Verordnungen werd' ich mich nach Scutari begeben, ohne den Bosporus überschritten zu haben.

– Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihrer Heimkehr beizuwohnen, wenn Sie eine so merkwürdige Reise zurückgelegt haben, antwortete der Beamte.

– Und mir wird es ein ganz besonderes Vergnügen sein, Sie bei meiner Heimkunft anzutreffen, erwiderte Seigneur Keraban.

– Doch mache ich Sie darauf aufmerksam, fügte der Beamte hinzu, daß wenn diese Steuer noch in Geltung ist ...

– Nun?

– Daß ich Sie nicht rückwärts über den Bosporus nach Constantinopel fahren lasse, ohne daß Sie für die Person zehn Paras erlegen.

– Und wenn Ihre ungerechte Steuer noch nicht wieder aufgehoben ist, erklärte Seigneur Keraban in demselben Tone, werd' ich schon Mittel und Wege finden, nach Constantinopel zu gelangen, ohne daß Ihnen ein Para in die Tasche fällt.«

Mit diesen Worten nahm Seigneur Keraban seinen Freund Van Mitten am Arm und machte Bruno und Nizib ein Zeichen nachzufolgen. Dann verschwand er in der Menge, welche diesen unerschütterlichen Parteigänger der Alttürken, der seine Rechte so hartnäckig vertheidigte, mit Jubelrufen begrüßte.

Eben dröhnte in der Entfernung ein Kanonenschuß. Die Sonne war unter dem Horizont des Marmarameeres untergegangen, das Ramadanfest war für heute vorüber, und die getreuen Unterthanen des Padischah konnten sich schadlos halten für die Entbehrungen des langen Tages.

Plötzlich, wie durch den Zauberschlag eines Genius, verwandelte sich nun Constantinopel. Auf die Stille auf dem Top-Hane-Platz folgte lautes Jubelrufen und Hurrahgeschrei. Cigarretten, Tschibuks, Narghiles wurden in Brand gesetzt, und die Luft erfüllte sich mit wohlriechendem Dufte. Die Cafés strotzten bald von hungrigen und durstigen Gästen.

Gebratenes aller Art, »Yaurth«, geronnene Milch, »Kaimak«, eine Art heißer Créme, »Kebab«, Lammfleisch in feinen Scheibchen, Brotkuchen von »Baklava«, die frisch aus dem Ofen kamen, mit Weinblättern umwickelte Fleischklöschen, Schüsseln voll gesottenem Mais, ganze Fässer mit Oliven, Caviartonnen, Pilaws von Huhn, in Fett gebackene kleine Kuchen mit Honig oder Syrup gefüllt, Sorbets, Eis, Kaffee, alles was man im Morgenlande nur zu essen und zu trinken pflegt, erschien auf den Tafeln der Läden, während kleine, an Kupferfäden hängende Lampen auf und niederschwankten, da die Cawadjis unablässig an dieselben stießen.

Dann erglänzte die alte wie die neue Stadt bald in magischem Lichte. Die Moscheen der heiligen Sophie, der Suleïmanieh, des Sultan Ahmed, alle öffentlichen, religiösen und profanen Gebäude vom Seraï-Burnu bis zu den Hügeln von Eyub bedeckten sich mit vielfarbigen Laternen. Leuchtende, von einem Minaret zum anderen reichende Streifen zeigten Sprüche aus dem Koran am dunklen Himmel. Der Bosporus, dessen Wellen zahllose, mit hin und her schaukelnden Papierlaternen geschmückte Kajiks durchfurchten, glitzerte wirklich, als wenn die Sterne des Firmaments in sein Bett herabgefallen wären. Die Paläste am Ufer, die Landhäuser an den Küsten Asiens und Europas, Scutari, das alte Chrysopolis und seine amphitheatralisch über einander liegenden Häuser boten unendliche Feuerlinien, welche durch den Widerschein im Wasser verdoppelt schienen.

Von weither dröhnte die baskische Trommel, erklangen die »Luta« oder Guitarre, der »Taburka«, der »Rebel« und die Flöte, vermischt noch mit frommen Gesängen, die den scheidenden Tag begleiteten. Und von der Höhe der Minarets sangen die Muezzins mit einförmiger, nur drei Töne wiedergebender Stimme über die festlich-glänzende Stadt das letzte kurze, aus einem türkischen und zwei arabischen Wörtern bestehende Abendgebet: » Allah, hoekk kebir!« (Gott, Gott ist groß!)


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