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Viertes Capitel.

Die Ansiedler am Strande. – Ayrton und Pencroff beim Retten. – Gespräch beim Frühstück. – Pencroff's Ansichten. – Genaue Untersuchung des Rumpfes der Brigg. – Die unversehrte Pulverkammer. – Neue Schätze. – Die letzten Trümmer. – Ein Stück gesprengten Cylinders.

———

»Sie sind in die Luft gegangen! rief Harbert.

– Ja, aufgesprengt, als ob Ayrton Feuer an die Pulverkammer gelegt hätte! antwortete Pencroff, der sich mit Nab und dem jungen Manne in den Aufzug stürzte.

– Doch, was ist hier vorgegangen? fragte Gedeon Spilett, der über diese unerwartete Lösung noch ganz erstaunt war.

– O, dieses Mal werden wir uns klar werden! erwiderte schnell der Ingenieur.

– Ueber was?…

– Später! Später! Kommen Sie, Spilett; die Hauptsache ist, daß diese Piraten aus dem Wege geschafft sind!«

Cyrus Smith zog den Reporter mit sich und gesellte sich auf dem Strande zu den Andern.

Von der Brigg sah man nichts mehr, nicht einmal die Maste. Nach ihrer Aufhebung durch die Trombe hatte sie sich auf die Seite geneigt, und war gewiß in Folge eines großen Lecks in dieser Lage untergegangen. Da der Canal an jener Stelle jedoch kaum zwanzig Fuß Tiefe maß, so mußten ihre jetzt überflutheten Seitenwände bei niedrigem Wasser unzweifelhaft wieder zum Vorschein kommen.

Einige Gegenstände schwammen auf der Oberfläche des Meeres. Man sah wohl einen ganzen Haufen Mastersatzstücke und Wechselraaen, Hühnerkäfige mit dem noch lebenden Geflügel darin, Kisten und Fässer, die nach und nach, je nachdem sie durch die Luken emporstiegen, auf der Oberfläche erschienen, aber keine eigentlichen Schiffstrümmer, keine Deckbalken oder Bordwände, wodurch das plötzliche Versinken des Speedy sehr schwer erklärbar wurde.

Inzwischen tauchten jedoch auch die beiden Masten, welche einige Fuß über ihrem Schafte abgebrochen waren, nach Zerreißung der Stagen und Strickleitern mit theils aufgezogenen, theils gerefften Segeln auf dem Wasser des Canals auf. Da man der Ebbe nicht die Zeit lassen wollte, die Schätze zu entführen, so sprangen Ayrton und Pencroff schnell in die Pirogue, um Alles, was dort umher trieb, am Ufer der Insel oder des Eilandes zu bergen.

Schon wollten sie abstoßen, als eine Bemerkung Gedeon Spilett's sie noch einen Augenblick zurückhielt.

»Und was wird mit den sechs Verbrechern, die das rechte Ufer der Mercy erstiegen haben?« sagte er.

In der That konnte man jene sechs Mann, welche nach dem Untergange ihres Bootes sich nach der Seetriftspitze zu gewendet hatten, nicht unbeachtet lassen.

Alle spähten nach der bezeichneten Gegend. Kein Flüchtling war sichtbar. Wahrscheinlich entwichen sie, als sie die Zertrümmerung der Brigg im Canal gewahr wurden, mehr in's Innere der Insel.

»Mit ihnen werden wir uns später beschäftigen, sagte endlich Cyrus Smith. Wohl können sie durch ihre Waffen noch gefährlich werden, indessen Sechs gegen Sechs – die Chancen sind gleich. Zunächst also an das Nothwendigste.«

Ayrton und Pencroff schifften sich ein und ruderten mit kräftigen Armen nach den umherschwimmenden Gegenständen.

Das Meer stand jetzt, und zwar, da seit zwei Tagen Neumond war, gerade sehr hoch. Es konnte demnach recht wohl eine gute Stunde vergehen, bevor der Rumpf der Brigg wieder aus dem Canal auftauchte.

Die beiden Seeleute hatten Zeit genug, Masten und Raaen mit einem Tau zu umwinden, dessen Enden nach dem Strande am Granithaus geführt waren. Dann sammelte die Pirogue noch ein, was einzeln umherschwamm, wie die Hühnerkäfige, Fässer und Kisten, und schaffte Alles nach den Kaminen.

Auch einige Leichname kamen jetzt zum Vorschein. Unter anderen erkannte Ayrton den Bob Harvey's, den er seinem Gefährten zeigte und mit bewegter Stimme sagte:

»Das war ich früher, Pencroff!

– Aber Sie sind es nicht mehr, mein wackerer Ayrton!« antwortete der Seemann.

Es erschien sehr auffallend, daß nur so wenig Körper obenauf schwammen. Kaum zählte man fünf bis sechs, welche die eintretende Ebbe nach dem offenen Meere hinaus trieb. Jedenfalls hatten die Piraten, durch das Sinken des Schiffes überrascht, keine Zeit gehabt, zu entfliehen, und da sich das Fahrzeug auf die Seite legte, mochte der größere Theil in den Verschanzungen ertrunken sein. Uebrigens ersparte das zurückweichende Wasser, das die Leichen der Schurken mit wegspülte, den Colonisten die traurige Arbeit, diese in einem Winkel ihrer Insel zu verscharren!

Zwei Stunden lang waren Cyrus Smith und seine Genossen beschäftigt, das Takelwerk auf den Strand zu ziehen und die noch ganz unversehrten Segel von ihren Raaen zu lösen und zu trocknen. Sie sprachen bei der angestrengten Arbeit zwar nur wenig, doch desto mehr Gedanken jagten sich in ihren Köpfen. Der Besitz dieser Brigg oder vielmehr alles dessen, was sie enthielt, war ein großes Glück für sie. Ein Schiff stellt ja in der That eine kleine Welt dar, und erhielt das Material der Ansiedlung heute einen sehr schätzenswerthen Zuwachs an nützlichen Gegenständen. Das war »im Großen« dasselbe, wie der Fund der Kiste an der Seetriftspitze.

»Uebrigens, dachte sich Pencroff, warum sollte es unmöglich sein, die Brigg selbst wieder flott zu machen? Hat sie nur einen Leck, so läßt sich dieser stopfen, und ein Schiff von drei- bis vierhundert Tonnen ist denn doch ein wahrer Riese gegen unseren Bonadventure! O, damit kann man weithin reisen! Reisen, wohin man will. Herr Cyrus, Ayrton und ich, wir werden die Sache näher untersuchen müssen! Sie lohnt ja der Mühe!«

Wenn die Brigg wirklich noch seetüchtig war, so vergrößerte sich damit die Aussicht der Colonisten, in ihr Vaterland zurückzukehren, außerordentlich. Zur Entscheidung dieser wichtigen Frage mußte man freilich erst den Tiefstand des Meeres abwarten, um den Rumpf der Brigg in allen Theilen untersuchen zu können.

Nachdem Alles, was von dem Schiffe umherschwamm, geborgen war, gönnten Cyrus Smith und seine Genossen sich einige Minuten zum Frühstücken, da sie buchstäblich vor Hunger umkamen. Zum Glück lag ja die Speisekammer nicht entfernt, und Nab machte seiner Function als hurtiger Küchenmeister alle Ehre. So aß man gleich neben den Kaminen, und natürlich drehte sich das Gespräch während des Essens vorzüglich um das unerwartete Ereigniß, dem die Colonie ihre wunderbare Rettung verdankte.

»Wunderbar, ja, das ist das rechte Wort, wiederholte Pencroff, denn man muß ihnen nachsagen, daß jene Spitzbuben gerade zur richtigen Zeit in die Luft geflogen sind!

– Begreifen Sie, Pencroff, fragte der Reporter, wie das zugegangen ist, und was die Ursache der Explosion der Brigg hat sein können?

– O, Herr Spilett, antwortete Pencroff, das ist höchst einfach. Ein Piratenschiff wird nicht wie ein Kriegsschiff in Acht genommen! Sträflinge sind auch keine Matrosen! Jedenfalls hat bei dem unausgesetzten Feuern die Pulverkammer offen gestanden, und dann genügte irgend ein Dummkopf oder ein Tölpel, um den ganzen Bau zu sprengen.

– Was mich verwundert, Herr Cyrus, fiel Harbert ein, ist, daß die Explosion nicht noch weit heftiger gewirkt hat. Der Knall war nicht sehr stark, und es trieben doch auch nur wenig Trümmer oder Planken umher. Man sollte glauben, das Schiff sei mehr versenkt worden, als in die Luft gesprengt.

– Das verwundert Dich, mein Sohn? fragte der Ingenieur.

– Gewiß, Herr Cyrus.

– Nun, mich nicht weniger, fuhr der Ingenieur fort. Wenn wir den Rumpf der Brigg untersuchen, werden wir ja die Erklärung dafür finden.

– Ei was, Herr Cyrus, sagte Pencroff, Sie nehmen doch nicht etwa an, daß der Speedy einfach untergegangen sei, wie ein Schiff, das gegen eine Klippe stieß?

– Warum denn nicht? fragte Nab; es sind doch Felsen in dem Canal!

– Aber ich bitte Dich, Nab, erwiderte Pencroff, Du hast wohl die Augen zur rechten Zeit nicht aufgemacht. Ich sah, kurz bevor die Brigg verschwand, ganz deutlich, wie sie von einer enormen Woge gehoben bei dem Zusammensinken derselben auf die Backbordseite fiel. Wäre sie nur aufgestoßen, so mußte sie auch ruhig untergehen, wie ein ehrliches Schiff, das auf den Grund versinkt.

– Und das hier konnte man wahrlich nicht ein ehrliches Schiff nennen! bemerkte Nab.

– Wir werden uns ja überzeugen, Pencroff, schaltete der Ingenieur ein.

– Ja wohl, fügte der Seemann hinzu, doch ich wette meinen Kopf, daß im Canal keine Felsen sind. Möchten Sie aber nicht sagen, Herr Cyrus, daß hinter diesem Ereigniß wiederum ein kleines Wunder stecke?«

Cyrus Smith gab keine Antwort.

»Ob Stoß oder Explosion, sagte Gedeon Spilett, Sie werden doch zugeben, Pencroff, daß das Ereigniß gerade im richtigen Augenblicke eintrat.

– Ja… ja…! antwortete der Seemann, doch darum handelt es sich nicht. Ich wollte Herrn Smith nur fragen, ob er hierin wieder etwas Uebernatürliches erblicke.

– Darüber spreche ich mich nicht aus, Pencroff, erwiderte der Ingenieur. Das ist Alles, was ich Ihnen für jetzt antworten kann.«

Pencroff war dadurch keineswegs befriedigt. Er beharrte bei der »Explosion« und wollte davon nicht ablassen. Ihm ging es nicht in den Kopf, daß in dem feinsandigen Canalbette, das er bei niedrigem Wasser so oft überschritten hatte, eine unbekannte Klippe vorhanden sei. Uebrigens war das Meer, als die Brigg zu Grunde ging, gerade hoch, d.h. der Canal bot zur Durchschiffung mehr Wasser als nöthig, um über alle Felsen wegzukommen, die auch bei niedrigem Wasserstande noch nicht einmal unbedeckt waren. Ein Stoß schien also unmöglich. Das Schiff konnte sich keinen Leck zugezogen haben, also mußte es in die Luft gesprengt sein.

Man wird zugeben, daß die Schlußfolgerung des Seemannes etwas für sich hatte.

Gegen einundeinhalb Uhr schifften sich die Colonisten in der Pirogue ein und begaben sich nach dem Orte des Unterganges. Es war bedauernswerth, daß die beiden Boote der Brigg nicht gerettet wurden; das eine aber ging, wie erzählt, nahe der Mercy-Mündung in Stücken und mußte völlig unbrauchbar sein, das andere verschwand bei dem Versinken der Brigg, war von dieser gewiß zerdrückt und jedenfalls nicht wieder zum Vorschein gekommen.

Eben jetzt stieg der Rumpf des Speedy wieder langsam aus dem Wasser empor. Die Brigg lag nicht mehr auf der Seite, denn nachdem beim Fallen die Masten durch den Druck des umher geworfenen Ballastes gebrochen waren, bildete jetzt der Kiel des Schiffes den obersten Theil. Durch jene unerklärliche, aber furchtbare unterseeische Kraft, die sich gleichzeitig durch das Emporheben einer kolossalen Wasserhose zu erkennen gab, war jenes thatsächlich umgekehrt worden.

Die Colonisten ruderten um den Rumpf des Schiffes herum, und je weiter das Meer sank, desto mehr konnten sie, wenn auch nicht die Ursache der Katastrophe, so doch deren Umfang erkennen.

Im Vordertheile sechs bis sieben Fuß vom Ansatzpunkte des Vorderstevens zeigten sich die Planken auf eine Länge von mindestens zwanzig Fuß aufgerissen. Dort gähnten also zwei so große Lecks, daß sie nicht wohl zu verschließen waren. Außer der Kupferverkleidung und den Planken sah man auch keine Spur mehr weder von dem Rippenwerke, noch von den eisernen und hölzernen Pflöcken, die dasselbe früher verbanden. An der ganzen Länge des Rumpfes, bis nach dem verjüngteren Hintertheile, hielt das Bretterwerk nicht mehr. Der Nebenkiel mußte mit ungeheurer Gewalt losgerissen sein, und der Kiel selbst, der an mehreren Punkten von dem Kielschwein getrennt erschien, war seiner ganzen Länge nach gebrochen.

»Tausend Teufel, rief Pencroff, das Schiff wird nur schwer wieder flott zu machen sein!

– Oder überhaupt gar nicht, sagte Ayrton.

– Jedenfalls, bemerkte Gedeon Spilett dem Seemanne, hat die Explosion, wenn eine solche stattgefunden hat, merkwürdige Wirkung gehabt. Sie hat den Schiffsrumpf zertrümmert, statt das Verdeck und die Theile über Wasser in die Luft zu sprengen. Diese weiten Oeffnungen scheinen doch mehr durch den Anprall an eine Klippe, als durch Entzündung der Pulverkammer entstanden zu sein.

– Im Canal ist aber keine Klippe! versetzte der Seemann. Ich will zugeben, was Sie wollen, nur nicht das Anstoßen an einen Felsen!

– Wir wollen versuchen, in's Innere der Brigg zu gelangen, sagte der Ingenieur. Vielleicht klärt uns das über die Zerstörungsursache auf.«

Auf jeden Fall erschien das am gerathensten, da man sich doch auch über die Reichthümer an Bord unterrichten und das Nothwendige zu deren Bergung vorbereiten mußte.

In das Innere des Schiffes gelangte man ohne Schwierigkeit. Das Wasser sank noch weiter, und die unteren Theile des Verdecks, welche nach der Umkehrung des Fahrzeuges nach oben gewendet lagen, waren bequem zu betreten. Der aus schweren Eisenbarren bestehende Ballast hatte dasselbe an mehreren Stellen durchschlagen, so daß man das Wasser durch die Spalten rauschen hörte.

Mit der Axt in der Hand drangen Cyrus Smith und seine Genossen auf dem halbzerbrochenen Fußboden vor. Dort lagen ganze Haufen von Kisten aller Art, deren Inhalt bei der kurzen Zeit, während welcher sie nur im Wasser gelegen hatten, wohl noch unversehrt sein konnte.

Man ging also daran, die ganze Ladung an sicherem Orte unterzubringen, und da ein Steigen des Meeres vor Verlauf einiger Stunden nicht zu erwarten war, so machte man sich diese noch möglichst zu Nutze. Ayrton und Pencroff hatten über der Oeffnung im Rumpfe eine Zugwinde angebracht, welche dazu diente, die Fässer und Kisten empor zu heben. Von dort empfing sie die Pirogue und schaffte dieselben sofort an den Strand. Man raffte Alles ohne Unterschied zusammen, in der Absicht, später eine Auswahl zu treffen.

Die Ansiedler überzeugten sich zu ihrer großen Befriedigung, daß die Brigg eine sehr verschiedenartige Ladung führte, eine Sammlung von Gegenständen jeder Art, Geräthe, Manufacturproducte, Werkzeuge, wie sie Fahrzeuge mitzunehmen pflegen, welche in Polynesien Küstenhandel treiben. Wahrscheinlich fand man hier von Allem Etwas, und man wird zugeben, daß das der Colonie der Insel Lincoln besonders gelegen sein mußte.

Uebrigens hatte – wie Cyrus Smith mit stillschweigendem Erstaunen bemerkte – nicht allein der Rumpf der Brigg, wie vorher beschrieben, außerordentlich von der Gewalt gelitten, welche die Katastrophe herbeiführte, sondern auch die inneren Theile, vorzüglich nach vorn zu. Zwischenwand und Deckstützen waren zerschmettert, als ob ein furchtbares Sprenggeschoß im Innern explodirt wäre.

Die Colonisten konnten, nach allmäliger Beseitigung der Kisten, ungehindert den ganzen Raum durchlaufen. Schwere Ballen fanden sich übrigens nicht vor, deren Fortschaffung allzu schwierig gewesen wäre, sondern einfache Collis, welche in Unordnung umherlagen.

So gelangten die Colonisten auch in das Hintertheil der Brigg, über dem sich früher das Oberdeck befunden haben mußte. Dort hatte man nach Ayrton's Angaben die Pulverkammer zu suchen. Nach Cyrus Smith's Meinung, daß die Explosion von hier nicht ausgegangen sei, durfte man hoffen, noch einige Fässer zu finden, in denen das Pulver, da jene gewöhnlich mit Metall ausgeschlagen sind, auch durch das Seewasser nicht gelitten haben konnte.

So war es auch wirklich. Inmitten eines großen Vorrathes von Geschossen fand man gegen zwanzig kupferbeschlagene Tonnen, die mit größter Vorsicht herausbefördert wurden. Pencroff überzeugte sich nun mit eigenen Augen, daß die Zerstörung des Speedy von einer Explosion nicht herzuleiten war. Derjenige Theil des Rumpfes, der die Pulverkammer enthielt, hatte am wenigsten gelitten.

»Alles ganz schön! sagte der starrköpfige Seemann, aber ein Felsen befindet sich doch nicht im Canale.

– Nun, und wie ist das sonst gekommen? fragte Harbert.

– Ich weiß es nicht, erwiderte Pencroff, Herr Cyrus auch nicht, und Niemand weiß es jetzt oder wird es später wissen!«

Während dieser Untersuchungen verflossen einige Stunden, und schon machte sich die Fluth wieder bemerkbar. An ein Wegtreiben des Schiffskörpers durch das Meer war nicht zu denken, da dieser so fest lag, als wenn er verankert wäre.

Man konnte also ruhig die nächste Ebbe abwarten, um das Uebrige zu holen. Das Fahrzeug selbst erwies sich freilich so weit zerstört, daß man eilen mußte, die Trümmer des Rumpfes zu bergen, da diese unter dem beweglichen Sande des Canals gewiß bald verschwunden wären.

Es war jetzt fünf Uhr Abends, und ein angestrengtes Tageswerk vollbracht. Allen mundete das Essen vortrefflich, doch trotz ihrer Ermüdung ließ es ihnen keine Ruhe, die Kisten und Kasten aus der Ladung des Speedy zu untersuchen.

Der größte Theil derselben enthielt fertige Kleidungsstücke, welche natürlich hoch willkommen geheißen wurden. Der Vorrath reichte für die ganze Colonie, Schuhwerk fand sich für jeden Fuß.

»Da sind wir ja auf einmal reich! rief Pencroff, doch was fangen wir mit dem Allen an?«

Immer und immer wieder ertönte das lustige Hurrah des Seemannes, wenn er da Fässer mit Zuckerbranntwein, Packete mit Tabak, Feuergewehre und blanke Waffen, Baumwollenballen und Ackerbaugeräthe, Zimmermanns-, Tischler- und Schmiedewerkzeuge, Säcke mit Saatkörnern jeder Art, welchen der kurze Aufenthalt im Wasser nicht geschadet hatte, zum Vorschein kommen sah. O, zwei Jahre vorher, welchen Werth hätten diese Sachen da gehabt! Doch auch jetzt, da die Colonisten sich mit eigenen Kräften geholfen hatten, so gut es anging, mußten diese Schätze ja ihre Verwendung finden.

In den Magazinen des Granithauses fehlte es zwar nicht an Platz, wohl aber an diesem Tage an der nöthigen Zeit, um Alles einzubringen. Auch durfte man nicht vergessen, daß sechs Ueberlebende vom Speedy auf der Insel Fuß gefaßt hatten, ohne Zweifel Landstreicher erster Sorte, vor denen man sich hüten mußte. Waren auch die Brücke der Mercy und die übrigen Stege aufgezogen, so setzte das jene Sträflinge wahrscheinlich nicht in besondere Verlegenheit, und von der Verzweiflung getrieben, konnten die Schurken noch furchtbare Feinde werden.

Was in dieser Hinsicht zu thun sei, wollte man später überlegen; zunächst erschien es nothwendig, die neben den Kaminen angehäuften Kisten und Collis zu bewachen, wobei sich die Colonisten die Nacht über der Reihe nach ablösten.

Die Nacht verging indessen, ohne daß die Sträflinge einen Angriff zu unternehmen wagten. Meister Jup und Top, beide auf Wache am Fuße des Granithauses, hätten ihr Erscheinen gewiß schnell kund gegeben.

Die drei folgenden Tage, der 19., 20. und 21. October, wurden zur Rettung alles dessen angewendet, was entweder von der Ladung oder der Ausrüstung der Brigg selbst nur irgend von Werth oder Nutzen zu sein schien. Während der Ebbe räumte man den Schiffsraum aus, während der Fluth schaffte man die geborgenen Gegenstände nach Hause. Man schälte auch einen großen Theil vom Kupferbeschlag des Rumpfes ab, der mehr und mehr im Sande versank. Noch bevor dieser aber die schwereren Gegenstände vollständig begrub, tauchten Ayrton und Pencroff wiederholt bis zum Grunde des Canals und fanden daselbst die Ketten und Anker der Brigg, viele Eisenbarren vom Ballast und auch die vier Kanonen, welche von leeren Tonnen getragen an das Land bugsirt werden konnten.

Man erkennt, daß das Arsenal der Colonie keinen geringeren Zuwachs erhielt, als die Vorrathskammern und Magazine des Granithauses. Pencroff, der von jeher gern weitaussehende Projecte zu Tage förderte, sprach schon davon, eine Batterie zu errichten, die den Canal und die Flußmündung beherrschen sollte. Mit den vier Kanonen verpflichtete er sich, jede »noch so mächtige Flotte« am Einlaufen in die Gewässer der Insel Lincoln zu verhindern.

Während dieser Arbeiten trat, als von der Brigg nur noch ein ziemlich nutzloses Gerippe übrig war, schlechtes Wetter ein, das dessen Zerstörung vollends beendigen mußte. Cyrus Smith hatte zwar vorher die Absicht gehabt, dasselbe zu sprengen und die Trümmer womöglich an der Küste zu sammeln, doch ein kräftiger Nordwestwind mit schwerem Seegange erlaubte ihm, das Pulver zu sparen.

Wirklich wurde die Brigg in der Nacht vom 23. zum 24. gänzlich aus den Fugen gerissen und strandete ein Theil der Trümmer auf dem Ufer.

Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß Cyrus Smith von Schiffspapieren trotz der sorgfältigsten Nachsuchung keine Spur vorfand. Offenbar hatten die Sträflinge Alles, was über den Kapitän oder den Rheder des Speedy Auskunft geben konnte, vernichtet, und da auch der Name des Hafens, zu dem es gehörte, nicht wie gebräuchlich am Hintertheile angeschrieben stand, so vermochte man die Nationalität des Schiffes auf keine Weise zu bestimmen. Aus den Formen seines Vordertheiles glaubten Ayrton und Pencroff jedoch abnehmen zu können, daß es ein englisches Bauwerk sei.

Acht Tage nach der Katastrophe oder vielmehr der glücklichen, aber unerklärbaren Veränderung der mißlichen Lage, der die Colonie ihre Rettung verdankte, sah man selbst bei niedrigem Wasser von dem Schiffe nichts mehr. Seine letzten Trümmer waren in alle Winde verstreut, und das Granithaus fast um Alles, was es vorher trug, reicher geworden.

Das Geheimniß seiner sonderbaren Zerstörung wäre aber wohl niemals gehoben worden, wenn Nab nicht am 30. November, als er am Ufer dahin schlenderte, das Ueberbleibsel eines starken eisernen Cylinders gefunden hätte, der deutliche Spuren einer Explosion zeigte. Dieser Cylinder war verbogen und an seinen Rändern zerrissen, so als ob er der Einwirkung einer explosiven Substanz ausgesetzt gewesen wäre.

Nab brachte das Bruchstück seinem Herrn, der sich mit seinen Gefährten eben in der Werkstatt der Kamine beschäftigte.

Aufmerksam betrachtete Cyrus Smith den Cylinder und wandte sich dann an Pencroff.

»Nun, Freund, sagte er, Sie bleiben immer noch dabei, daß der Speedy nicht durch Aufstoßen zu Grunde gegangen sei?

– Gewiß, Herr Cyrus, erwiderte der Seemann. Sie wissen ja so gut wie ich, daß im Canal keine Felsen verborgen sind.

– Wenn er aber an dieses Eisenstück gestoßen wäre, fragte der Ingenieur und zeigte den gesprengten Cylinder.

– Wie, an dieses Stück Rohr? rief Pencroff im ungläubigsten Tone.

– Erinnert Ihr Euch, meine Freunde, fuhr Cyrus Smith fort, daß die Brigg vor dem Versinken hoch auf einen Wasserberg hinauf gehoben wurde?

– Ja wohl, Herr Cyrus, antwortete Harbert.

– Nun, wenn Ihr erfahren wollt, was diesen Wasserberg emporgetrieben hat, so seht, das Ding hier war es, sagte der Ingenieur, auf seinen zerbrochenen Cylinder weisend.

– Das Stückchen Eisen? versetzte Pencroff'

– Gewiß! Dieser Cylinder ist das Ueberbleibsel eines Torpedo.

– Eines Torpedo! riefen verwundert die Gefährten des Ingenieurs.

– Und wer soll den dort versenkt haben? fragte Pencroff der sich noch immer nicht ergeben wollte.

Ja, ich kann nur sagen, daß ich es nicht selbst gewesen bin! antwortete Cyrus Smith, da gewesen ist er aber, und von seiner unvergleichlichen Gewalt habt Ihr Euch mit eigenen Augen überzeugen können.«


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