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Erster Akt

Der Klostergarten. Regelmäßige Blumenbeete, Gesträuch, Lauben, eine Sonnenuhr. Rechts im Vordergrunde der Klostergang, links das romanische Eingangsportal zur Kapelle. Im Hintergrunde Mönche, die mit Kugeln spielen, Netze stricken und die Gartenwerkzeuge instand setzen. Einige von ihnen sitzen vorn auf einer Holzbank und disputieren.

Thomas
Ich sagte Euch doch: Gott kann nicht das Böse sein. Nun aber setzt die Furcht das Böse voraus. Warum also lehrt man: Die Furcht des Herrn ist aller Weisheit Anfang?

Dom Balthasar
Ihr grübelt zu viel!

Thomas
Die Frage ist wichtig. Beantwortet man sie falsch, so wird der ganze christliche Wandel falsch.

Dom Balthasar
Ich sage Euch, Ihr grübelt zu viel!

Dom Marc
Man soll Gott nicht fürchten, man soll ihn lieben.

Thomas
Ihr sprecht wie Basilides, der Erzketzer.

Dom Marc
Ich wie Basilides?

Thomas
Basilides sagt wortwörtlich, was Ihr behauptet.

Dom Marc
Der heilige Augustin sagt es ebenso.

Dom Militien
Dom Marc hat recht. Der heilige Augustin sagt wörtlich: »Liebe und tu, was du willst«.

Thomas
Oh, das ist nicht dasselbe. Der heilige Augustin verwirft nicht die Furcht. Man muß vielfältig sein in Gottes Verehrung, muß gleichzeitig zaghaft und zitternd und inbrunstvoll sein ...

Dom Balthasar ungeduldig.
Ihr grübelt zu viel ... Ihr grübelt zu viel ...

Thomas
Ihr verkennt, mein Bruder, die grenzenlose Mannigfaltigkeit der göttlichen Naturen und Gestaltungen.

Dom Balthasar jäh.
Ich brenne für Gott in verzehrender Glut,
Und die nur versteh ich, die fast mit Wut
Ihn bekennen und lieben, als hätt ihre Seele
Zu seinem Preise nur einen Schrei,
Nur einen, doch einen starken und reinen,
Der heilig macht wie der Taufe Quell!

Ein Schweigen.

Gott will ja keine Deutelei,
Will nicht beschrieben sein und nicht gemessen
In Büchern, die von Hochmut überquellen.

Thomas
Schlicht ist dein Glaube wie die Blumen. Doch er streift
Nur eben an des Gotteswesens erste Schwelle.
In unsern neuen, geistig so erstarkten Zeiten
Verbreiten Gott nur einzig die, die für ihn streiten.

Balthasar heftig.
Gott ist um so mehr Gott, als man ihn nicht begreift.
Nur dann, wenn Liebe und der Glaube müde zagen,
Den Heiland nackt und blutend durch die Welt zu tragen,
Dann erst beginnt man, klug ihn zu beweisen,
Verzettelt Zeit und Kraft mit schwanken Hypothesen.
Er aber lacht, wenn solche Hirngespinste
Von List und Hochmut gierig ihn umkreisen.
Ein Greuel sind ihm diese Rechenkünste,
Die Schacher treiben und die seine Größe
Aus Wort und Zahlen klüglich auferstehen lassen.
Nein, Gott ist größer, als wir je erfassen,
Kein Senkblei taucht hinab in seine Tiefe,
An seiner Fülle schwinden alle Maße,
Und nur die Heiligen, die trunken in Ekstase
Voll Demut, Qual und Lust ihn brünstig riefen,
Gelangten manchmal wirklich an sein Herz.

Dom Militien
Das ist die Wahrheit!

Dom Marc überströmend auf Balthasar zutretend.
Mein Bruder, o mein Bruder!

Thomas wie überrascht.
Wahrlich, wir verdienten gezüchtigt und verworfen zu werden!

Zu den andern Mönchen sich wendend, die ihre Spiele unterbrochen haben und zuhören, ohne sich an der Diskussion zu beteiligen.

Dahin gelangten wir also seit dem heiligen Bonaventura und Thomas von Aquin!

Zu Dom Marc und Dom Militien.

Auch das sind Heilige, der euren wahrlich wert,
Diese Apostel, deren starke Stirn und Geister
Heiter und flammend glühten wie ein Gottesschwert.
In sicherm Denken sah ihr Herz die Flamme,
Um andre Seelen rein und mächtig zu begeistern,
Ihr Glauben grub aus der Vernunft den Samen,

Dom Balthasar
Laßt mich, o laßt!
Mein falscher Stolz muß hinab in den Kot,
Meine Sünde beugt mich, sie drängt mich und droht,
O ich sterbe, wenn du nicht Mitleid hast!

Dom Marc
Balthasar, bei unserer Freundschaft, erhebe dich!
Sieh mich doch an! Was ist dir geschehen?
Mein Meister bist du, dein Schüler ich!

Dom Balthasar aufstehend.
Ich wollte, daß alle in Demut mich vor dir sehen!

Dom Militien
Ein solches Beispiel ist groß und würdig und befestigt
durch seine Offenheit unsern Glauben an deine Inbrunst,
Bruder.

Dom Balthasar zu Dom Militien.
Du mußt Erbarmen mit mir haben!

Dom Militien
Unser Gebet ...

Dom Balthasar zu allen.
Ihr müßt unendliches Erbarmen mit mir haben ...

Er entfernt sich, die Mönche bleiben überrascht zurück. Bald folgen ihm Dom Militien und Dom Marc und begleiten ihn durch das Portal. Sie verschwinden alle drei.

Thomas zu den Mönchen, die jeder mit seiner Arbeit beschäftigt sind.
Ist das nicht seltsam? So plötzlich wie ein Windstoß in eine solche Aufregung zu verfallen! Man spricht, man diskutiert, man beweist, und dieser erstaunliche Balthasar bricht plötzlich los und erzwingt einen solchen Ausbruch!

Isebald
Er ist gebieterisch und anmaßend! Er ist stürmisch und wild! Man glaubte, er stünde über uns allen, und plötzlich gibt er sich demütiger, schlichter und niedriger als der Geringste unter den Laienbrüdern ... Niemand kennt sich in ihm aus!

Thomas
Meinst du? ...

Isebald
Die Sicherheit des Klosters erfordert, daß dieser Mönch niemals sein Herr werde!

Thomas
Wer wird ihn dran hindern?

Isebald energisch.
Ich will alle Mönche dazu auffordern!

Thomas höhnisch.
Oh, die sind aus anderm Holz wie er. In seiner Gegenwart bleiben sie geduckt wie Geprügelte.

Isebald
Weil eben die Stunde noch nicht gekommen ist!

Thomas
Aber sie ist gekommen, seit er in diesem Kloster ist. Der Prior unterstützt Balthasar, weil er Herzog und Ritter ist, wie er selbst, wie Dom Marc, wie Dom Militien. Er stößt ihn mit seinen Greisenhänden an unsere Spitze. Seit zehn Jahren sehe ich das, bekämpfe ihn, arbeite ihm entgegen. Und ich will, daß ihr mir heute helft, und ihr bleibt reglos!

Ein Mönch
Niemals werden wir Balthasar anerkennen!

Thomas
So bekämpft ihn! Irgendeine Stimme sagt, daß die Taten zählen werden ...

Isebald
Niemals wird Rom ihn uns aufzwingen.

Thomas
Dom Balthasar ist von erlauchtem Geschlechte,
Sein Name und seine Tugend verflechten
Sich zu einer gemeinsamen Flamme.
Er hat Herren zu Ahnen in seinem Stamme,
Und einer von ihnen,
Der einstmals von Kriegen und heißen Fahrten
Begütert zurück in die Heimat kam,
Gab alles, was er raubte und sparte,
Dem Kloster hier zu Eigen und Spende,
In dem nun wir dem Heilande dienen.

Ein Mönch
Ach, das ist eine alte Legende!

Thomas
Doch ist es genug, daß man sie glaubt!

Isebald träumerisch.
Wir andern, wir sind nur die Schreiber, die bürgerlichen Schreiber! Balthasar ... Comte d'Argonne, Duc de Rispaire ...

Thomas
Er ist am wenigsten geneigt, der Zeit vorauszugreifen,
Und nie um streitbar starke Wissenschaft bekümmert.
Er sieht nicht, wie – weit hinter unsern Klostermauern! –
Schon Blitze auf dem dunklen Himmel schimmern.
Er kann niemals das Ringen dieser Zeit begreifen,
Von dessen Wut selbst Gott beinah erschauert.
Hier die vier Wände sind für ihn die Welt,
Indes rings draußen Tag und Nächte sich empören
Und so mit Donnerhall der Kampf der Zeiten gellt,
Daß man, um diesen Aufruhr nicht zu hören,
Von Stein sein muß oder nicht lebend sein!
Ihn sorgt nur dies, mit uns in dem aszetisch starren
Traum langverjährter Regeln eisern zu verharren,
Um drei Jahrhunderte kam er zu spät auf diese Erde,
Nutzlose Leidenschaft schrumpft seine Seele ein,
Nichts weiß er, nichts als unsre Litanein!
Und eben, weil er so ist, wird er Prior werden!

Ein Mönch
Ihr solltet es sein!

Thomas
Das hängt nur von euch ab! Ihr seid die neue Kraft die man noch nicht kennt, die sich erst Bahn brechen muß. Wendet euch an den Papst, schreibt nach Rom!

Isebald zögernd.
Ihr solltet wohl ernannt werden!

Thomas Isebald scharf ansehend.
Und Ihr ... Ihr ...

Isebald Gleichgültigkeit heuchelnd.
Ach ich ... ich ...

Thomas mit Festigkeit.
Rom hat allein zu entscheiden! Der Erzbischof ist mir günstig gesinnt. Er verabscheut den Prior. Er wird außerhalb des Klosters für mich tätig sein, vorsichtig dabei, ohne Gewalt, ohne Anstoß, wie es sich ziemt. Aber ihr, um Gottes Gnade, rührt euch doch auch!

Ein Mönch
Ihr müßt uns sagen, was wir tun sollen!

Thomas
Ahnt ihr es denn nicht? Eure Worte, euer Benehmen, die Wünsche, die ihr ausdrückt und die ihr verschweigt, die man aber doch ahnt, eure Briefe – alles muß Balthasar bekämpfen. Man muß ihn in der Meinung des Priors herabsetzen. Man muß ihn vor seinen eigenen Augen erschüttern, damit er an ihm schwankend werde. Wie soll ichs euch sagen! Ihr selbst müßt es wissen!

Isebald
Nie schien mir Balthasar so gefährlich wie heute!

Thomas zu Isebald.
Er macht eine Krise des Gewissens durch.

Theodul zu den Mönchen.
Jeder von uns wird für ihn beten.

Thomas zu Theodul.
Betet erst für ihn, wenn das Kloster gerettet ist!

Theodul
Für mich bleibt Balthasar ein würdiges Vorbild.

Thomas
Der Geist Gottes ersteht von Jahrhundert zu Jahrhundert neu, so wie einst sein Leib. Bei jeder Wandlung erstehen neue Zeugen seines Ruhms. Heute sind wir es.

Theodul
Und der Prior? Und Dom Marc? Dom Militien?

Thomas
Ihr versteht nichts von dem, was wir hier alle gemeinsam wollen. Ihr seid ein abgestorbener Ast des Lebensbaumes, den Gott einst in diesem Kloster pflanzte und nun blühen läßt.

Theodul
Unsere Pflicht ist, zu gehorchen!

Thomas
Wir vertreten die Mehrheit, das Wissen und das Verdienst.
Ihr werdet es eines Tages schon begreifen.

Isebald
Laßt uns nur handeln!

Ein Mönch
Ihr unterordnet euren Ehrgeiz einem andern!

Ein anderer Mönch zu Isebald und Thomas.
Balthasar macht euch allein einig gegen ihn. Ihr würdet um seine Stelle kämpfen, sobald er sie verloren hätte.

Thomas zu den Mönchen.
Wir wollen euch den alten Fesseln entreißen, euch erwecken und stärken. Seid nicht eure eigenen Feinde!

Ein Schweigen entsteht, da man den Prior nahen sieht.

Isebald halblaut.
Laßt uns nur handeln ... laßt uns nur ...

Der alte Prior, auf seinen Stock gestützt, nähert sich langsam. Thomas tritt lebhaft auf ihn zu. Die andern entfernen sich nach und nach und verschwinden schließlich ganz.

Thomas zum Prior.
Ich habe, mein Vater, die Kommentare zu Tertullian vollendet. Darf ich sie an Seine Heiligkeit den Erzbischof senden und das ›Approbatur‹ erbitten?

Der Prior
Seine Eminenz setzt große Hoffnungen in Euch. Er bewundert Euch, Bruder Thomas!

Thomas
Seine Eminenz ist sehr nachsichtig.

Der Prior
Und glaubt Ihr, daß ich Euch nicht auch Achtung zolle?

Thomas
Ich habe mein ganzes Werk unter Euern Schutz gestellt.

Der Prior
Ihr tragt vor Gott in starker Hand die Flamme,
Das Dunkel unsrer Zeit rings zu erleuchten,
Und ohne Euch und solche, die Euch gleichen,
Sank dies Jahrhundert morsch in nichts zusammen.
Ernste Gelehrte, klare Stirnen sind notwendig,
Daß ihre Demut Gottes ew'gem Worte diene,
Doch über ihnen
Müssen beständig
Die Rassen, die starken, Jahrhunderte alten,
Als Herrscher und kraftvolle Führer schalten.

Thomas
Trotz meiner Ehrfurcht wag ich zu bemerken:
Wer stark ist in der Wissenschaft, hat wohl auch Stärke,
Um anderen Gehorsam aufzuzwingen.
Er könnte auch in den lebend'gen Dingen ...

Der Prior
Glaubt mir: solang es hier auf dieser Erde
Adelsgeschlechter gibt, so lange werden
Sich Eure Hoffnungen niemals erfüllen!
Die wahre Kraft, die unerschütterliche,
Ist also ehern ihren Händen eingeschweißt,
So tief verwurzelt dort in Wuchs und Willen,
Daß Leben für sie einzig nur Beherrschen heißt.
Und solang sie, die einzig sie ererbten,
Die Kraft nicht selber müßig sinken lassen,
Wird nie der Euren einer sie erringen.
So wills die Ordnung, und ich hoff, Ihr werdet,
Klug, wie Ihr seid, ihre Notwendigkeit erfassen!

Dom Balthasar, der plötzlich herantritt.
Mein Vater, ich wünschte Euch zu sprechen ... unter vier Augen ...

Der Prior zu Thomas.
Verlaßt uns!

Thomas entfernt sich. Dann hält er noch einmal inne. Der Prior sieht ihn an. Er verschwindet.

Dom Balthasar zum Prior.
Gestern hat mir einer im Beichtstuhl gesagt: »Vor fünf Monaten wurde Nol Harding getötet. Man klagte seinen Sohn des Mordes an und verhaftete ihn. Man sprach ihm das Urteil, er ist verloren. Und doch ist er unschuldig, ich weiß es, denn ich selbst bin der Mörder.«

Ohne zu überlegen, nur der innern Stimme des Gewissens folgend, habe ich diesen Mann gedrängt, sofort vom Beichtstuhl sich zu erheben und sich als schuldig zu bekennen. Er sagte mir: »Alles entschuldigte mich; Nol Harding hat meinen Vater getötet, er hat ihn vergiftet.«

Ich jagte ihn fast weg von mir, diesen Menschen, nur daß er sich rascher den Richtern überliefere. Und nun, versteht Ihr mich, mein Vater?

Der Prior
Ihr habt getan, was Ihr tun mußtet!

Dom Balthasar
Und ich? Ich selbst, der ich vor zehn Jahren meinen Vater getötet habe, und den Ihr hier bei Euch, fast ohne ein Wort zu sagen, aufgenommen habt?!

Der Prior
Wollte denn dieser Mann so inbrünstig wie Ihr
Ins Kloster treten und auf beiden Knien
Mit seiner Buße Tag und Nacht die Tür
Zur ew'gen Gnade sich erringen?

Dom Balthasar
Ich denk nicht an ihn.
Seit gestern sehe ich fürchterlich
Klar in mir selber.

Der Prior
Euer Verbrechen ist tot, es zählt nicht mehr,
Ich sprach Euch ledig, und Rom tats durch mich.
In dem Jahrzehnte, das Ihr hier seid,
Ward es Staub und Vergessenheit.
Comte d'Argonne, Duc de Rispaire,
Ihr werdet rein durch Büßen und Beten
Aus Eurer letzten Stunde zu Gott hintreten!

Dom Balthasar
Nein, ich will meine Sünden allen in die Ohren gellen,
Sie lebt in mir, rauscht auf in finstern Wellen
Und reißt meinen wahnsinnigen Willen hinein!
Ich will sühnen, will meine Buße verdienen,
Laut will ichs in alle Winde schrein!

Der Prior
Mein Sohn!

Dom Balthasar
Die ganze Nacht hab ich gerungen,
Sie zu ersticken, zu dämmen, zu brechen;
Ich habs nicht vermocht. In brennenden Bächen
Ist ihre Flut in mir aufgesprungen.
Meine Augen waren nicht genug groß,
Um zu sehen, wie das lebendige Leben
Aus der reglosen Brust meines Vaters floß,
Wie sehr seine Glieder vom Blute troffen.
Seine Wunden schienen mir weiter offen
Wie damals, als ich ihm den Tod gegeben,
Und mir war, als ob sie noch mehr sich vertieften,
Als ob sie noch wuchsen, indessen ich schaute,
Wie das Blut von ihnen triefte und triefte.

Der Prior
Ihr habt geträumt!

Dom Balthasar
Nein, es war Blut, war rauchend heißes Blut,
Ich fühl es noch, es klebt, es lebt an meinen Händen,
Oh, ich bin rot davon bis tief in meine Seele,
Es strömt in mir, wie eine böse Glut
Durchrinnts mein Mark, in allen Gliedern fühl ichs schwelen.
Ich riechs an mir, ich schmecke es in Luft und Wind,
Und das Licht und alle Dinge sind
Rotschimmernd davon, ich schaure vor allem,
Was plötzlich auffunkelt, blinkt und sich rührt.
Mein Denken und mein Gebet sind verwirrt,
Und wie ein eiserner Schraubstock umschnürt
Das Schweigen mein Herz, wenn es dunkel wird.

Der Prior
Mein Sohn, Euere Träume sind von Wahngebilden trächtig,
Nicht Gott, nein, Satan ist es, der verrucht
Sich Eures Denkens böswillig bemächtigt.
So hat er einst die Heiligen versucht,
So nahte Paulum und Antonius einst der Teufel,
Da sie in Wüsten flohen, um dort Gott zu dienen.
Ihr seid verstört, das Fieber glimmt in Euren Mienen,
Vergebens wendet Ihr den Blick von unsern reinen Höhn.
Ja, Ihr vergeßt, daß Mißtraun und der Zweifel
An Gott das ärgste ist von allen irdischen Vergehn.

Dom Balthasar
Mein Vater!

Der Prior
Ihr müßt die Herzensklarheit wiederfinden,
Laßt Ruhe an des Ingrimms Stelle treten,
Zerbrecht den Zorn, beginnt die bösen Keime, die
In Euch noch wuchern, aus der Brust zu jäten.

Dom Balthasar
Niemals vermag ichs! Nie!

Der Prior
Ich gebiet es Euch!

Mit milderem Ton, nach einer Pause.

Mein Sohn, bedenk, daß du zehn Jahre bei uns weilst,
Der Fasten Zehrung liebst, des Kelchs gefährlich süße
Ekstase, daß du alles mit uns teilst,
Dies unser tägliches und selbstgewolltes Sterben,
Das wir erwählt, um uns des Himmels Leben zu erwerben.
Du bist des Heilands Lust. Mit seiner herben
Und starken Liebe küßt er deiner Wundenmale
Geronnen Blut, das du für ihn verströmen ließest,
Und Engel jauchzen den Triumph im Himmelssaale,
Wie rein, wie glühend du die sündigen Taten büßest.
Du darfst dein Schicksal Gott nicht unbedacht entziehen,
Da du sein Priester bist und sein Verkünder,
Sein anbegonnen Werk aus Unverstand vernichten.
Du darfst nicht vorwitzig jetzt zwischen dich, den Sünder,
Und Christus, dem dich deine Buße noch verpflichtet,
Die Schranke eigener Gerechtigkeit errichten!

Dom Balthasar gequält.
Mein Vater! Mein Vater!

Der Prior
Höre mich noch an!

Dom Balthasar
O mein Vater!

Der Prior
Dir steht es frei, den Weg der Buße selbst zu wählen,
Allein dein Anbeginn war schon so schlicht und schön,
Daß Gott wohl selbst in dieser Stunde dein Vergehn
Verzeiht und liebt, weil eben durch dein Fehlen
Du dich erst höchster Gnaden würdig wiesest.
Es hieße Gottes Absicht frevlerisch verderben,
Wenn du dein Herz die Sünde nicht verschweigen ließest,
Revolte war es, seines Willens schmählichste Verhöhnung!
Denn wohl galt Christi Leben nur dem Recht, allein sein Sterben,
Das noch viel höher zählt, verheißt dir die Versöhnung.

Dom Balthasar
Mein Vater!

Der Prior
Und dann, mein Sohn, bedenk in dieser Stunde das,
Wie sehr wir alle für dein Fehlen büßten,
Wenn wir den Gottesleugnern hin zu Lust und Fraß
Dich als den Schuldbeladnen überliefern müßten!
Denk an die rote Art der irdischen Gerichte,
Die dich nicht treffen darf, weil du ihr nicht verpflichtet,
Denk auch, mein Sohn, an mich, denk an die Macht,
Die dir nach meinem Tode zugedacht!
Du bist von edlem Blut und bist erkoren,
Dies Kloster zu beherrschen. Dir gedacht ichs zu!
Gott wußte wohl, warum gerad zu diesen Toren
Er dich dereinst aus deines Herzens Rausch und Ruh
Demütig, doch mit ungebeugtem Herzen sandte.

Dom Balthasar
Mein Vater, Mitleid brauch ich, oh, so viel Erbarmen!

Der Prior
Nein, nein, raff dich auf, lieg nicht mehr brach,
Ersteh als neue Saat aus unfruchtbarem Wehe!
Vor uns, wenn du es willst, bereue, beichte deine Schmach,
Damit dein Büßen deinen Ruhm nur noch erhöhe!

Dom Balthasar
O wenn ich all dies Böse, das mich peinigt,
Ein letztes Mal vor meinen Brüdern beichten könnte!

Der Prior
Nach altem Brauche ist es dir vergönnt.
Faß den Entschluß und brauch ihn wie ein Schwert!
Nichts ist hier unter Brüdern dir verwehrt,
Sobald du glaubst, daß es dich klärt und reinigt.

Dom Balthasar
O wie gewiß bin ich dessen!
Im offnen Saal, vor meiner Brüder Reihn,
Werd ich die rote Qual aus meinem Herzen reißen
Und sie ertränken in der Flut ihrer Gebete.
Oh, fromm beglückt und glühend will ich vor sie treten,
Mein Herz wird von der Angst und Qual wie blühend sein.
An ihrem reinen Rate wird mein Herz aufleben,
All meinen Zweifel, meine Hoffnung, meine Pein
Will ich demütig ihren sichern Händen geben,
Alles, o alles will ich gestehn.
Mein Vater, wollt Ihr mir Beistand leihn?

Der Prior
Sei nur getrost, ich werde mit dir gehen!

Der Prior entfernt sich. Balthasar eilt auf Dom Marc zu, der seit einer Weile sie beide von der Ferne aus betrachtet hatte.

Dom Balthasar
Mein Bruder, endlich werde ich wieder auferstehen, wird mein Herz nicht mehr nächtig sein. Ich werde wieder der sein von einst, der, den du liebtest ...

Dom Marc
Nie bist du der nicht gewesen, niemals hast du unsere Liebe nicht verdient.

Dom Balthasar, der wieder düster wird.
O schweige! Ich schäme mich, noch zu leben und es dir glauben.

Dom Marc
Was immer du getan hast, ich habe so großes Vertrauen in deine erprobte Tugend ...

Dom Balthasar
O schweige, schweige! Sprich nicht zu mir, ehe ich nicht entsühnt bin!

Dom Marc
O mein Freund, mein Lehrer, warum bin ich
Nur ein so Schlichter und gar so Geringer!
Doch mein ganzes Wesen breitet sich
Ungestüm deinem Schmerze entgegen,
Den ich fühle und den ich doch nicht begreife!
O wolltest du ihn meiner Seele doch geben!
Ich bin ja nichts, doch ich habe zwei Hände,
Um sie zu falten, ich habe zwei Füße,
Sie vor die Heiligen kniend zu schleifen,
Und ich hab eine Seele, deren lodernde Chöre
Dich als Sämann der ewigen Liebe grüßen.
Ich lieb dich so sehr,
Als Gott es den Menschen verstatten kann,
Nach deinen Schmerzen hab ich Begehr,
All deine Qual, ich will sie für mich,
Ich will dein Leid, dein Kreuz für dich tragen,
In meinem Fleische möge der Zahn
Der grimmigen Qual und Empörung nagen,
Und der Speer,
Der dich durchbohrt, er durchbohre mich!

Dom Balthasar
Du Kind!

Dom Marc
Ich fühl ein Geheimnis dich dunkel umnetzen.
Auch der Beste in unseren Reihen vergißt
Sich manchmal vor unseren Ordensgesetzen.
Doch wenn dein Makel auch furchtbar ist,
Und wenn die Blitze der Hölle jetzt vor dir aufstiebten,
Ich glaub, daß ich dich nur noch glühender liebte!
O sieh, meine Augen sind heute und stet
Von deiner Glut und Ekstase belebt,
Du bist der Magnet,
Der mein Herz in die heiligen Himmel erhebt.
Nach Jesus Christus weiß ich mehr keinen,
Der so sehr in mir den Glauben erhält,
Daß die Welt voll Güte und Gnade sei!
O mein Bruder, du bist zu Großem erwählt,
Zerbrich deine Trauer, mache dich frei
Von den Fesseln, die du dir selber schmiedest!
Sei wieder wie einst von Vertrauen beseelt,
Denn nie bist du schöner, als wie wenn du gebietest!

Dom Balthasar
O du Sanfter, Inniger, o du Trauter,
Wie ich immer und selbst in aufschäumender Qual
Dich doch so unendlich liebhaben muß!
Du lehrtest mich erst das reine Vertrauen,
Eine endlose Güte läßt du mich schauen,
Die heiligsten Stimmen läßt du mich hören,
Und ich pflück sie von deinem kindkeuschen Munde
Und vermeng sie mit meiner, die trübe klingt.
O ich glaube an alles, was aus deiner Seele
An Ahnung und dunklem Gefühle dringt,
Denn ich weiß, daß du ohne Irrtum und Fehle
Gottes Willen prophetisch verkündest,
Ich weiß dich klar von jedem Gelüst
Und weiß, daß du rein von Eifer und Sünde
Und jungfräulich wie ein Opfer bist.

Dom Marc in Ekstase.
Balthasar! ... Balthasar!

Dom Balthasar
Du zarte Seele,
Hätt ich nicht Furcht, den Schmelz deiner weißen
Unschuld rauh und roh zu entblättern,
Ich würde den Schrei meines roten und heißen
Gewissens dir drohend entgegenschmettern,
Dir zuerst würd ichs, ehe den andern, sagen,
Mein Verbrechen, das man mir längst verzieh,
Das lange schon tot ist. Und doch fühle ich, wie
Es mit gierigen Krallen und Blut im Gesicht
Aus dem bösen Dunkel vergangener Tage
In meinen Leib, meine Seele kriecht,
Und dort seine gefährliche Drohung grollt.

Dom Marc
Sage mir nichts, ich will nicht, daß du erniedrigt
Hier allein vor mir dastehen sollst!

Dom Balthasar
Vor allen meinen Brüdern will ich beichten,
Da sollst du es hören und sollst mir sagen,
Was noch erübrigt,
Damit mein Herz von Qualen frei
Und all seiner Sünden entledigt sei.

Dom Marc
All meine Seele
Wird sich zur lodernden Flamme entfachen,
Um brennend über dein Leid zu wachen.
All meine Liebe wird dein Herz in den Nöten
Wie ein Linnen, das Tränen trocknet, umschlingen,
Die heiligsten Waffen, Fasten und Beten,
Will ich in meinen Händen hochschwingen,
Um des Herzens Ruhe für dich zu erringen.
Und wenn die Madonna, um ihn zu erfüllen,
Wie einst meines Herzens Wunsch und Willen
Zu wissen begehrt, so will ich zu ihr schrein:
»O Mutter, Reine und Makellose,
Heile mit deinen Strahlen und Rosen
Meines Bruders Reue und Pein!
Sei ihm das Kleid
Von Güte und Gnade und großem Verzeihn,
Des alle wir, die wir auf Erden wallen,
Bedürftig sind,
Damit Gottes Auge, das selige, klare,
Ohne Mißfallen
Unsere irdische Bresthaftigkeit
Gewahre!

Dom Balthasar
Mein sanfter Bruder!

Dom Marc
Ich begreife das himmlische Heil
Und die göttlichen Pforten nicht mehr ohne dich!
Ich will deine Seele mit meiner erretten,
Ich will sterben, damit uns der gleiche Teil
An Glück und an Gluten ewig gehöre,
Ich will, daß unsre Geschicke so sehr sich verketten,
Daß mein Mund und deiner nur einer scheint,
Daß unser Beten und Gottes Lobsingen
So sehr in einen Hymnus verrausche,
Daß Christus und all seiner Engel Schar
Unser Wesen vertausche,
Wenn unsre Liebe, in Gott vereint,
Geläutert und klar
Aufrauscht mit ihren feurigen Schwingen.
O mein Bruder! Mein Bruder Balthasar!

Er wirft sich an Balthasars Brust. Die Glocken beginnen zu klingen.

Dom Balthasar
Sei unbesorgt und habe Dank!
Durch deine Reinheit ward mir neue Kraft beschieden,
Mit solcher Hilfe kann ich ohne Wank
Der Hölle Schauern stark entgegentreten.
Nun naht die fromme Stunde der Gebete,
Die Glocken klingen ihren sanften Frieden
In unsre schmerzhaften Verworrenheiten,
Und selig naht mir gute Zuversicht,
Daß wir auf Gottes rechtem Wege schreiten ...
Sei unbesorgt ... Doch bete, bete viel für mich!

Sie trennen sich. Der Vorhang fällt.


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