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Meteor.

Ein ganz leichter Septembernebel über den Häusermassen von Hamburg, mit dem die Morgensonne einen siegreichen Kampf begonnen.

»Nebel ist hier immer!« sagt eine rundliche Dame im Taxanon zu der schlanken Blondine an ihrer Seite, und rußig ist er auch.«

»Hm!«

Die blauen Augen beobachten eben, wie grell das Rot der großen Speicherbauten sich von dem Flattergrau abhebt. Auf dem Rücksitz liegt viel elegantes Handgepäck und zwei Kabinenkoffer stehen neben dem Kutscher. Alles trägt weißgelb-schwarze Zettel der Hamburg-Amerika-Linie.

»Und Nebel mag ich nicht,« meint die Ältere wieder.

»Hm!«

»Scheinst gar nicht zugehört zu haben, Lisi, ich fand –«

»Doch, doch, Tante, du fandest, daß solche weiche Nebelschleier, die sich unter der Sonne lösen, ganz besonders malerisch wirken –« da stockt sie.

»Lisi!«

»Meintest du das nicht?«

»Ganz das Gegenteil.« Die kleine Dame richtet sich gerade in die Höhe und streift das junge Mädchen mit einem mißbilligenden Blick. »Läßt mich einfach sprechen, ohne zuzuhören und erwiderst dann etwas, das – Ich muß dich bitten, möglichst zu vermeiden, daß – nun ja, daß man immer auf Umwegen zu dem gewissen handwerksmäßigen –« »Kunst, willst du sagen. Und wenn ihr mich auch hindert und verschleppt, und zwingen wollt wegen Hans Heinz – die Tatsache, daß es eine Kunst gibt, bringt ihr doch nicht aus der Welt. Und daß ich denke und empfinde, ebensowenig.« Die blauen Augen haben ein energisches Blitzen, der volle rote Mund zuckt und die kleinen Hände ballen sich. »Wenn ich auch ohnmächtig bin, Widerstand zu leisten, vorläufig –« dann bricht sie ab.

Da ist die Sonne voll durch den Nebel getreten und alles plötzlich im Glanz, und nach einer Biegung hält das Gefährt vor einem hallenartigen Durchgang, von dessen Rundbogen Fahnen wehen und unter dem eine Gruppe blaubejackter Menschen steht, die alle nach dem anrollenden Wagen gucken. Und drüben liegt ein Schiff, bunt bewimpelt, in Flaggenparade, ganz weiß und schlank.

»Der Meteor, nicht wahr, das ist der Meteor?« wendet sich die Dame fragend an die Stewards, die herantreten, das Gepäck in Empfang zu nehmen. »Lisi, er ist es wirklich!«

Die hat eine Empfindung, als hätten die ankommenden Passagiere hier an der Halle eine Art von kritischem Spießrutenlaufen durchzumachen. Die Prüfung ihrer Persönlichkeit muß aber gut ausgefallen sein, denn man ist ganz besonders diensteifrig, und wer nicht eins der Stücke hält, die sie von dem Rücksitz hinunterreicht, während die andere den Kutscher bezahlt, der spricht auf sie ein: »Ja, heut is gut! Leicht an Bord gehen! Nich' erst auf'n Tender! Bitte, rechts rum! Hier kommt's Gepäck rauf.«

Langsam geht die Ältere, langsam folgt die Blonde. Auf ihrem gebauschten Goldhaar sitzt ein kleiner weißer Matrosenhut, sie trägt ein fußfreies weißes Wollkleid mit kurzem Jäckchen, die zierlichen Füße stecken in weißen Schuhen. Frisch, wie eine Maiblume sieht sie aus, und das Gesicht, das ein wenig bleich war, belebt sich jetzt mit zarter Röte unter den neuen Eindrücken. Das hübsche Schiff, die behend hin und her huschenden Stewards, die wachehabenden Offiziere, dort drüben der Kapitän, dem sich ein paar Herren vorstellen, die Reisenden, die schon da sind, die Nachkommenden, es ist so bunt und vielgestaltet das alles, daß sie ganz in Anspruch genommen wird.

»Erst unsere Kammern sehen, Lisi!« Da muß sie denn folgen, Treppchen hinab durch Gänge, in denen es von Messing blitzt, über weiche Teppiche, an wegweisenden Stewardessen vorüber.

»Du weißt, ich habe vor zehn Jahren eine Orientreise gemacht und kenne mich aus.«'

Das hat sie nun seit den Wochen, in denen diese Fahrt beschlossen ist, und im Eisenbahnabteil von Hannover nach Hamburg genugsam gehört, sie glaubt es, und sie folgt.

»Zwei und vier, Steuerbord! Außenkammern, sehr gut gelegen. Ja, das sah ich schon auf dem Plan. Wir sind hier hübsch isoliert. Wer mag Sechs haben? Nun, das erfährt man ja alles schon zur Zeit. Du packst wohl gleich aus? Wo mag unsere Stewardeß sein? Ich werde sofort zu dem Obersteward wegen unserer Tischplätze gehen. Finde dich dann hier gegenüber.«

Sie huscht fort, ganz geschäftseifrig. Lisi betrachtet in ihrer Kammer, die ein schmaler Gang von dem Gegenüber, der Behausung der Tante trennt, durch das Bullauge die Gebäude drüben und ihr Gepäck eine Sekunde lang, und eilt dann die Treppe wieder empor. Da klimmt es auch noch immer am Fallreep empor, Männlein und Weiblein, letztere freilich in der Minderzahl, und Koffer und Handtaschen, Eleganz und spartanische Einfachheit, Sicherheit und verlegenes Auftreten, gewandte Reisende, denen man die Globetrotterei ansieht und plump Einhertrappende. Alle möglichen Dialekte werden laut. Lisi ist zu beobachten und zu sehen gewohnt. Das hat sie ja auch gelernt von ihm – der alles sieht mit seinen großen, klugen und hellen Maleraugen.

»Ach!« seufzt sie, an die Bordwand gelehnt und sieht zu wie das voneinander Abschied nimmt, hört, was man sich sagt ringsum, wünscht, noch konventionell plaudert.

Welch schöne, glühende Rosen da eine Dame hält. Sie ist ältlich, respektvolle Verehrung reichte sie ihr wohl dar. Bei ihrem »Ach!« wendet sie sich und sieht ihr gerade, fast forschend in die Augen, als wolle sie ergründen, warum ein so junges, lebensfrisches Ding solch schweren Seufzer ausstößt. Aber noch jemand hat den vernommen, ein Herr, der zwar Zivilkleider trägt, aber unverkennbar ein Offizier ist.

Auch seine Augen forschen, ein bischen keck, belustigt und er dreht mit schlanken Fingern an seinen Schnurrbart, und ganz, ganz leise seufzt er auch. Da fühlt sie etwas, wie Unbehaglichkeit und Zorn und verläßt den Platz.

Signale, Sie hört neben sich sagen, daß das denen gilt, die mit an Bord kommen und nun das Schiff verlassen sollen. Nochmals Umarmungen, Wünsche, Händedrücken. Nun geht die Treppe hoch. Dann beginnt die Musik zu spielen: »Deutschland, Deutschland über alles!« Da stehen Hamburgs Kirchtürme im vollsten Licht. Da ist der Bismarck! Nun kommen die grünen Elbufer. Die Menschen sind alle so freundlich. So muß man allerdings eine Reise antreten. Nicht wie sie, die solch ein schweres Herz hat, daß sie vorhin laut seufzte – die man verschleppt.

Immer breiter wird der Fluß, lieblich sind die Höhen. Welch hübsche Plätze die Hamburger so nah haben.

»Lisi! bitte, Exzellenz, gestatten Sie, meine Nichte, Fräulein von Döhn!«

Ja, nun muß sie sich respektvoll verbeugen. Es sind zwei ganz freundliche, alte Gesichter, die sie wohlwollend anblicken. Die Dame etwas eingemummt und unmodisch, der Herr ziemlich würdevoll in seiner Haltung. »Nämlich unsere Kammernachbarn, mit dir Wand an Wand, Lisi. Auch bei Tisch werden wir die Ehre haben, mit Exzellenzens. Und sogar eine frühere Bekanntschaft, wir trafen uns einmal in Hannover in einer Gesellschaft bei den Leuwardens. Und alle schon tot, die lieben Leuwardens.«

»Ja, alle!« seufzt die alte Dame und nimmt, denn die Sonne meint's gut, den Schal ab, den sie über dem grauen Regenmantel trägt.

»Und so jung kommen Sie schon auf See und wollen die weite Welt sehen?« fragt der alte Staatsrat a. D., »kleines Fräulein?« Sie muckt auf über diese Bezeichnung. Wenn man schon in England war und in einer Genfer Pension und in Wien und Venedig, fliegt man doch nicht zum erstenmal aus dem Nest. Und wenn man eine große, unglückliche Liebe im Herzen trägt, und mit widerwilligen, kurzsichtigen Verwandten zu kämpfen hat, ist man nicht just ein Backfisch mehr.

»Ich wäre jetzt auch,« sagt sie ganz schnippisch, »lieber zu Hause hinter dem Ofen geblieben – wenn er auch kalt ist. Aber ich ›soll‹ ja reisen.«

»Jugend, liebe Jugend!« lacht die Exzellenz; »doch nicht etwa gar schon blasiert?«

»Ach,« seufzt seine Frau und legt ihre in Halbhandschuhen steckenden Finger auf seinen Arm: »Wenn mir das in solcher Frühlingszeit geboten worden wäre. Aber,« sie sieht sich nach einem der Liegestühle, auf denen sich schon Reisende niederlassen, um – »das Wasser wird hier schon so breit. Wäre es nicht geraten, sich auch – Ruhe soll doch das beste Mittel gegen die Seekrankheit sein. Ausgestreckte Lage.«

»Kind, wir sind ja noch in der Elbe!« beruhigt ihr Gatte. »Und dann haben wir die Pillen der Gräfin Saldikow. Die sollen ja ein Präservativ sein. Man nimmt vielleicht jetzt schon, der Vorsicht halber, ein paar davon.«

Er bietet dem älteren Fräulein von Döhn, seiner Gattin und Lisi ein silbernes Büchschen an.

»Danke, ich bin stets mit Neptun auf gutem Fuße!« sagt das blonde Fräulein und schlüpft davon. Die Tante hat den Rücken gewendet. Dann die Treppe hinauf nach dem Sommerdeck. Und da ist wirklich noch niemand. Hier kann sie angelehnt stehen und weit Umschau halten, elbauf- und elbabwärts. Und ihre Gedanken in alle Welt schicken, ein festes Ziel haben sie ja nicht. Denn sie weiß nicht, wo er sich jetzt aufhält, seit ihm der Bescheid geworden, daß er und sie ein für allemal jede Hoffnung aufgeben müßten. Wo er aber auch ist, die Nachricht, daß sie trotz allem und allem zu ihm halten wird, muß ihn doch irgendwo erreichen. Denn Dina Schneider ist eine treue Freundin und hat versprochen, ihm das Briefchen durch seine Mutter zuzuschmuggeln. Ganz unverfänglich, als schriebe sie ihm ein Gedicht ab, das er haben wollte. Denn sie dichtet. Und sie liebt ihn selber, den schönen lustigen Hans Heinz, der sicher ein großer Maler wird.

Sie liebt ihn unglücklich, freilich, weil er Lisi liebt. Seit drei Jahren ist er der Held von Lisis Träumen, von der Eisbahn her, und wie man sich dann so sah. Dina Schneider stellte ihn vor; die kommt zu seiner Mutter ins Haus. Und Dina sagte, mit Tränen in den Augen: »Ich habe ihn ja damals schon lieb gehabt. Und hätte ich die Nebenbuhlerin in dir geahnt, nie hätte ich gesagt: Fräulein von Döhn muß mit uns laufen, Herr Hans Heinz Schmitt! Ich habe dann Verse gemacht, auf die Schlange, die mein Herzblut getrunken. Lisi, das war kindisch. Jetzt weiß ich, welch eine Größe im Entsagen liegt!« Ob sie Dina am Ende doch nicht trauen sollte?

Unsinn! alles kindische Gebaren Unsinn! Hans Heinz und sie!

So steht Lisi da, bereits beobachtet von Herrn von Haldern, der schon ihren Namen kennt, und weiß, daß sie und ihre Begleiterin, Fräulein Malwine von Döhn, je eine Kammer für zwei Personen bewohnen, Gesamtpreis 1300 und 1200 Mark, was sowohl auf luxuriöse Lebensgewohnheiten wie den nötigen Geldbeutel schließen läßt.

Ein hübsches Bild gibt sie in ihrer gedankentiefen Unbeweglichkeit, mit den aufgestemmten Armen und den ins Weite gehenden Blicken. Und Robert von Haldern, mit der abscheulich angewachsenen Schuldenlast und dem leichten Sinn, der darauf baut, daß sich irgendein Wunder begeben muß und wird, traut sich schon zu, daß er der Kleinen, unbewußt seufzenden, ein Ziel für nebelhafte Sehnsuchtsträume ausfindig machen kann. Und mit einem raschen Ruck wendet er sich. Es wäre nicht klug, jetzt schon zur Attacke zu blasen. Man muß ganz langsam ein Glimmfeuerchen anzünden. Aber in ihrer Nähe, an denselben Tisch will er, gegenüber, daß sie seine Augen sehen muß. Die sind doch mancher schon gefährlich geworden. Also zum Herrn Obersteward: »Das müssen Sie fingern. Am selben Tisch mit dem hübschen Fräulein von Höhn muß ich Platz finden.«

Robert von Haldern stellt sich Exzellenz von Berning, in der Kammer des Oberstewards, der schon tausend Wünsche vernommen und ebenso viele Fragen hat beantworten müssen, vor, und deixelt dann die Sache, was kinderleicht ist, denn »man will doch ein bißchen unter seinesgleichen sein.«

Über zwei vom Tischordner vorgeschlagene Kameraden hüpft er, als wäre er ein wenig schwerhörig, hinweg. Wer wird sich denn Konkurrenz anschaffen? Aber ein adeliger alter Professor, ein Theologe aus Westpreußen und ein russischer Bankier sind ihm recht.

Zu gleicher Zeit erzählt das ältere Fräulein von Döhn, neben dem Liegestuhl der Exzellenz von Werning sich mit einem Korbstuhl anfindend, wie froh sie ist, gleich Anschluß an sympathische und standesgemäße Mitreisende zu erhalten. »Sie denken, es ist hübsch, junges Blut und junge Augen um sich zu haben? Gewiß! Aber auch eine Verantwortung, eine sehr große. Besonders bei Lisi. Hübsch? Ja! lieb? auch! Aber das Kindsköpfchen! Ja, sehn Sie, das sagte mein Bruder: »Malwine, du hast eine schwere, sehr schwere Aufgabe. Aber – du bist stark, bist verläßlich. Ein junges Mädchen, so heißt es im alten Sprichwort –« »Sie entschuldigen, Exzellenz, aber er ist ein wenig drastisch und ich bin wahr. Er sagte: »Ein junges Mädchen ist so schwer zu hüten, wie ein Sack voll Flöhe.« Und die Lisi ist dazu eine Erbin. Eine reiche Erbin. Das macht die Verantwortung noch schwerer. Ihre Mutter, eine Rheinländerin, von der sie die Heiterkeit und das Impulsive hat, starb früh. Ihr Vater reiste viel, das Kind kam aus einer Pension in die andere, war dann mit ihm, dann wieder bei Fremden. Seit er starb, vor vier Jahren, wurde sie unter unseren Augen in Hannover erzogen. Lisi hat manches in sich, das wir zu dämpfen suchen müssen. Sie ist ein gutes Kind – aber es ist schwer.«

»Ich versteh',« sagt die Exzellenz mit dem breiten schwäbischen Ton. »I glaub's!«

Malwine von Döhn streicht an ihrem grauen Reisekleid hinunter; sie muß hübsch gewesen sein. Rückt an dem beschleierten Hut, hebt und senkt die Lorgnette. »Wir sind alter eingesessener Adel. Lisis Mutter war eine Bürgerliche. Blut verleugnet sich nicht.«

»So nit und so nit!« meint die Badenserin. »Aber nix für ungut. Aus einem guten Bürgerhaus stammen wir zwei auch, der Berning und i! Das »von« hat er damals erst kriegt, als er Staatsrat geworden ist. Nur, daß i's auch sag.«

Malwine von Döhn drückt die Hand der neben ihr Liegenden. Sie liebt die ausgestreckte Lage nicht, sie ist zu unruhig dazu. »O, liebe Exzellenz, so war es nicht zu verstehen! Adel und Verdienst, ist für mich eins. Dem Verdienste seine Krone. Womit ich denn wieder auf Lisi komme. Ich bin ja so glücklich, daß wir nebeneinander wohnen, ich hoffe, der Verkehr wird ein angenehmer sein. Das Kind wird gleichsam mit in Ihrer Hut sein. Nicht wahr?«

»Wenn i nit zu arg seekrank sein werd, warum sollt i da meine Augen nit auftun? Ich glaube schon, solch'm netten Goldfischel wird alleweil gleich nachgestellt auf so ei'm Schiff. Das wird schon nit anders sein, wie im Ballsaal.«

»Ach – wenn hier, wo gewiß auch sehr nette junge Herren unter dem Reisepublikum sind, irgendeine Gelegenheit sich fände –« Malwine von Döhn sieht nach den unweit abliegenden Ufern – »das wäre nicht das Unerwünschteste. Denn denken Sie, Exzellenz, sie hat eine Neigung, der wir ganz und gar ablehnend gegenüberstehen müssen!«

»Das arme Dingle!«

Die Hannoveranerin überhört mit viel Haltung den Ausruf. »Ein Maler!« sagt sie nur, der Ton muß das Übrige tun.

»Wenn er was kann!« meint die Badenserin ganz unbefangen.

»Soll er ja! Hat sich in Paris und Rom herumgetrieben. Auf Stipendien!«

»Wenn er die kriegt hat, beweist das doch, daß er was kann.«

Die rundlichen Schultern machen eine abwehrend zuckende Bewegung. »Meinem Bruder, der Lisis Vormund ist, und mir, ist solch ein Weltbummler aber nicht sympathisch. Er bietet gar keine Garantie. Wir gestatten es nicht und hoffen in den zwei Jahren, die ihr noch bis zur Mündigkeit bleiben, wird sie anderen Sinnes. Und der Herr Hans Heinz Schmitt sieht dem Kolibri nach, den er sich langen wollte, mit leeren Händen.«

»Schade!« sagt die Exzellenz, »mir ist's immer leid um zwei junge Menschenherzen, die ihre erste Enttäuschung erleben.«

*

Man ist bei dem Lunch in ganz vergnügter Stimmung; die kleine Tafelrunde zu acht Personen stellt sich vor und kommt zu einem Einklang, der auf Malwine von Döhns Gesicht den Ausdruck der Genugtuung hervorruft. Der Oberleutnant a. D. von Haldern unterhält sich mit ihr, schräg gegenübersitzend, bescheiden und beflissen, über ihre Vaterstadt an der Leine. List gibt er ein paar Höflichkeitsworte. Der Staatsrat begrenzt mit seiner stattlichen Gestalt das junge Mädchen nach der anderen Seite. Der Theologe erweist sich als schwerhörig und der Professor als schweigsam, den russischen Bankier überflutet die Badenserin mit Fragen und Ausrufungen über die russischen Zustände, und Lisi ist froh, daß sie inmitten der Menschen und unter den Klängen der Musik mit sich allein sein kann. Sie sieht noch einmal die vorübergleitenden Schiffe, die stolze »Deutschland«, die draußen lag, es waren alles Bilder gewesen, die sich fest einprägten.

Und was Bild ist, leitet ja immer zu ihm, Hans Heinz, von dem sie nicht weiß, wo ihn die vier Winde haben, und von dem sie kein Lebenszeichen empfangen kann, denn die scharfen Augen der Tante würden alles entdecken.

Haldern bringt seine hübschgeformte Hand in das beste Licht, indem er dem Schnurrbart in seiner Straffheit ein wenig nachhilft, wobei auch der Wappenring seine zuständige Beleuchtung erhält. Er drückt die Lider ein und läßt dann einen verloren träumerischen Blick über die weißgekleidete Mädchengestalt gleiten.

»Gnädiges Fräulein haben natürliche einen Kodak mit?« »Nein, den schleppt ja alle Welt genügend umher,« sagt Lisi.

»Dann,« diesmal gilt es der Älteren, »schließen sich die Damen auch wohl nicht für die Landausflüge der Allgemeinheit an?«

»Doch, doch!« kommt es eifrig zurück. »Meinen Erfahrungen nach ist das die beste und richtigste Art, man braucht sich dann selber um nichts zu kümmern. Erproben Sie das nur erst mal, Herr von Haldern!«

Er hat schon daran gedacht, sich mit den Damen und den Exzellenzen zu einer Partie zusammenzuschließen. Das wäre solch unverfängliche Gelegenheit des Annäherns. Jetzt ist er froh, daß er nicht von Herde und Karawane gesprochen hat.

»Ganz meine Überzeugung, Gnädigste!«

»Gnädiges Fräulein werden ein Reisetagebuch führen?« fragt er Lisi dann wieder.

»Vielleicht.«

»Aber gewiß!« sagt Tante Malwine. »Ich tu' es auch immer. Wir Döhns reisen viel. In unserem Archiv in Alten-Döhnen – übrigens einer richtigen Wasserburg – finden sich Reisebeschreibungen, die zweihundert Jahre alt sind. Alten-Döhnen liegt an der Aller – Sie wissen, wo Karl der Große die Sachsen schlug –«

»Hm, selbstverständlich, meine Gnädige.«

»Und viertausend hinrichten ließ, des guten Beispiels halber,« wirft der Professor, zum erstenmal von seinem Teller aufblickend, ein.

»Neu-Döhnen ist eine halbe Stunde davon; das dritte Familiengut ist Döhnhausen. Sie kommen alle drei mal in eine Hand.« Dabei streift ein Blick das schimmernde Goldköpfchen.

»Nun, es ist ja jetzt vielfach gestattet worden, dem alten Namen einen neuen anzuhängen.«

»Schulze-Döhnen, Meier- oder Schmitt-Döhnen klingt gar nicht schlecht, Tante,« lacht Lisi plötzlich in die feierliche Abhandlung hinein.

»Übermut!« und Malwine droht graziös mit dem Finger, an dem eine schwarze Perle als Prunkstück sitzt.

Alle Achtung! Denkt Robert von Haldern, der sich selber immer als einen der schönsten Männer bei eingehenden Spiegelstudien erkennt. Drei Familiengüter hat die Kleine an dem Saum des fußfreien Kleidchens. Was sind meine Schulden denn da? Ein paar ganz winzige Zahlen. Und ehe noch die Früchte gereicht werden, weiß er von dem miteilsamen »Schräg-à-vis«, daß die hübsche Lisi mit dem schwellenden Mund und dem Grübchen, das sich beim Lachen in der linken Wange zeigt, – so selten sind heutzutage schelmische Grübchen – ohne Anhang ist. Denn das eroberte Freifräulein Malwine von Döhn votiert ja schon für ihn, und der Bruder Vormund auf Alt-Döhnen steht sicher unter ihrem Regiment.

Er erzählt denn nun auch von dem Alter seiner Familie, ganz unverfänglich liebenswürdig, und der hohen Verwandtschaft, die sogar bis zu einer Großfürstin hinüberspielt. Und ehe er die Finger in das Metallbecken taucht, um sie abzuspülen, zieht er den kleinen Veilchenstrauß aus dem Knopfloch. Er ist von Mieze, der kleinen roten Choristin, die ihn nach Hamburg begleitete, da wurde der letzte Abschied genommen. Die Blumen gab sie ihm beim Scheiden. »Wirst wenigstens so lange an mich denken, wie sie duften.«

Es soll und muß ja aus sein, denn Mieze's übertriebenen Wünschen kann er nicht mehr nachkommen. Sie hat so viel Verständnis für Brillanten bekommen. Aber sie weiß, daß er sich rangieren muß – auf alle Fälle.

Aber anständig muß der Mensch sein! Fort mit der Erinnerung! Wenn man schon das Glück hat, gleich auf ein solches vielversprechenbes Jagdgebiet zu kommen, dann muß man auch mit der Sentimentalität aufräumen.

Kleine Mieze, ade! Das Scheiden tut weh! Aber sie ist vernünftig, und so viel Finger sie hat, so viel neue Verehrer warten auf sie. Das sagte sie ja selber. Braucht nur zu wählen.

Die Veilchen hängen die Köpfe, das Sträußchen bleibt liegen, als man aufsteht.

»Wie auffallend und wie parfümiert,« spricht Malwine von Döhn hinter einer Russin, die in langschleppendem losen Kleide vorüberrauscht, her.

»Ist auch nicht mein Geschmack!« gesteht Haldern zu, und weiß doch ganz genau, daß er die exotische Schwarze mit dem weichen Gesicht und der biegsamen Gestalt sicher aufs Korn genommen, hätte er nicht Ernsteres zu tun und dürfte keine schwache Stelle zeigen. Seine hübsche Gestalt reckend, bahnt er den Damen den Weg nach oben, reicht den Kaffee, sowie die Deckstewards den braunen Trank eingeschenkt, und fragt, wieviel Zucker man wünscht, mit dem festen Vorsatz, die Zahl sich einzuprägen. Die Erbin von drei Gütern dankt für seine Bemühungen, sie hat gar keinen Durst und ist davon, ehe es ihm gelingt, ein kleines Wortgeplänkel zu eröffnen. Schade! denn er hat ja alle Schlagwörter vom Tage auf Lager. Man kommt doch nicht umsonst aus Berlin.

Später kniet Lisi in ihrer Kammer vor den großen und kleinen Koffern. Endlich muß doch wohl aus ihnen herausgeholt werden, was man braucht und was den kleinen Raum heimisch macht. Damit sie aber auch weiß, wie weit man ist und wie es draußen aussieht, turnt sie von Zeit zu Zeit auf das braunrote Plüschsofa und guckt durch das messingumrahmte Bullauge und sieht Barken und große Fahrzeuge, den Leuchtturm von Neuwerk, ein blutrotes Feuerschiff. Rechts hin, über dem Gang, hört sie die Stimme der Tante, die sich mit Hilfe der Stewardeß einrichtet und ziemlich viel Wünsche dabei kundgibt. Links läßt die dünne Wand die Unterhaltung der Exzellenzen durchklingen. ›Männle, hilf mir auch wieder vom Boden auf! Auf meine alten Tag' ist's Knien kein' leichte Arbeit. Und solches Stübele – i bin schon gespannt darauf, wie du dich mit der Kletterei da 'nauf abfinden wirst? Oder meinst, i sollt's obere Lager nehmen? Ja, nur wenn's mi packt mit der Seekrankheit! Doch wohl ehender, als dich, gelt? Artig ist's bis jetzt auf dem Schiff. Artige Leute auch. Ich versteh' mi als schon mit dem Fräulein von Döhn, wenn's auch norddeutsch ist. Und arg nett ist's jung Mädele, gelt?

Und eine unglückliche Lieb hat's, deshalb schleift's die Tante 'naus in die Welt. Das herzig Dingele, dem könnt' ich's nit abschlage, wenn's auch einen heiraten wollt', der Schmitt heißt. Eh? Alter, du?«

Lisi faßt ganz verstohlen auf den Boden des Koffers und sieht in der Kabine umher, ob sie auch niemand belauschen kann. Und dann kramt sie aus dem unverfänglich aussehenden Ledertäschchen sieben Bilder ihres Hans Heinz, mit und ohne Hut, in Smoking und Malerkittel, und jedes einzelne bekommt einen Kuß. Wie trotzig und lustig zugleich er in die Welt guckt. Da ist kein schmachtender Augenaufschlag, wie bei dem Herrn Leutnant, den Tante Malve so in ihre mütterliche Gunst einschiebt.

Der Hans Heinz weiß, was er will: Seine kleine Lisi – die soll er haben, wenn auch eine ganze Welt sich dagegen stemmt. Sie werden warten müssen. Zwei Jahre. – Eine Ewigkeit freilich. Und wenn Onkel und Tante ihre Drohung wahr machen – bah, sollen sie sie enterben. »Was frag' ich viel nach Geld und Gut,« hat ihr Schatz sie einmal angesungen, »aber, dummer Bursch, ich habe ja auf alle Fälle ein Gut!« mußte sie doch erwidern.

Zum Zeigen und Stolzsein ist er auch, tannenschlank, mit einer braunen Mähne. Just auf dem einen Bild wirft er den Kopf herum, wie sie's gern hat. Das bekommt noch einen Extrakuß. »Bussi! Bussi!« summt sie ganz leise, und dann wird die kleine Tasche in das Netz, das über ihrem Lager hängt, geschoben. Ein Taschentuch darauf, als Schutzdecke. »Tante Malve, das ahnst du doch nicht!«

Am Morgen des dritten Reisetages sitzt Lisi von Döhn an einem der festgemachten Tische vom Achterdeck und schreibt in ein Heft, das sie in Rotterdam erstanden, eifrig, mit glühenden Backen. So entgeht sie wenigstens der Unterhaltung mit der Tante und dem Leutnant an ihrer Seite, dem sie schon den Beinamen der »Ewige« gegeben hat. Ein stilles Betrachten an der Bordwand oder auf Sonnendeck, ein Buch in der Hand, ein Flüchten zu der guten, behaglichen Exzellenz sind keine Schutzmittel gegen ihn.

Das Papier und die Feder muß er wenigstens respektieren. Sie liebt das Geschreibsel nicht, sie plaudert lieber, noch viel lieber denkt sie – an ihn. Und da stört sie jedes fremde Mannsbild ganz gewaltig. Und sie wird noch böse dazu, aus lauter Sehnsucht nach dem Fernen, während ein fremder Mann an ihrer Seite steht und mit ihr auf das Spiel der Wellen und den Glanz der Lichter und die lustig sich tummelnden Delphine schauen kann. Für Hans Heinz wäre das alles frische, künstlerische Ausbeute. Hier ist es nur ein Modevergnügen. Und dazu soll sie vom Tanzen und von Gesellschaften sprechen und hören!

»Der erste Tag war heiß,« schreibt sie nieder. »Er war auch nicht angenehm für viele, die sich wie in einem Lazarett in den Decklauben auf den Liegestühlen aneinandergereiht hatten. Darunter sehr hingegeben Exzellenz von Berning, der ihre Vorsichtspillen gar nicht geholfen; unbehaglich für Tante Malwine, die blasse und grüne Farbentöne hatte und nicht vom Stuhl aufstand. Sowie wir draußen in der See waren, begann's mit den Angsthasen. Mit dem Außersichtkommen des letzten Feuerschiffs schwand auch ihr Mut – sie mußten seekrank werden. Ich war gesund, wie ein Fisch und wandelte auf und ab und gab den – wahrhaftig ganz leisen – Bewegungen des Schiffes nach. Das heißt, sich Seebeine anschaffen, wie Oberleutnant von Haldern sagte, der mit mir rannte. Dazu war er mir recht. Sonst weiß ich noch gar nicht, wie er aussieht. Tante Malve findet ihn allerliebst. Was geht mich der an und die ganze Welt!?

Am folgenden Morgen hatten wir den Blick auf Scheveningen mit seinen stolzen Bauten, man konnte von Bord aus das Strandleben ganz genau beobachten. Dann bogen wir in die Maas ein. An Schiedam glitten wir vorbei; liebliche holländische Landschaftsbilder zeigten sich. Hierauf fuhren wir in den Hafen von Rotterdam ein. Ein bewegtes, großartiges Schiffsleben entrollte sich. Und es war behaglich, daß wir am Pier festmachten. Viel Aufhebens war bei den Einwohnern, die durch die grünen Anlagen herüberkamen, über das deutsche Schiff nicht. Wir aber konnten vergnüglich Königin Wilhelminens Lande die erste »Stippvisite« abstatten.

»Delphine! Schweinsfische!« ruft eine Stimme. Man eilt von allen Seiten herbei, um da, wo sie erklungen, auch auf die wie kleine braune Boote auftauchenden und unterschießenden, lustig das Schiff umspielenden Meerbewohner zu blicken.

»Lisi, Lisi!« kommandiert Fräulein von Döhn. Ratlos steht sie vor ihrem Buch, legt die Feder hin, dann stellt sie das Tintenfaß mitten auf das letzte, nur mit einigen Zeilen beschriebene Blatt. Da erbarmt sich der taube Theologe, er nickt ihr aus seinem Sessel zu.

»Ich werde von hier aus achtgeben!«

Ein sonniges Lächeln belohnt ihn. Fräulein Malwine aber sagt: »Immer fehlst du, wenn etwas zu sehen ist. Vorhin auch! Herr von Haldern suchte dich auf dem Sonnendeck und im Schreibzimmer. Man reist doch eigentlich um zu sehen.«

»Und die Döhns beschreiben das, was sie erblickt, – ich bin noch in Rotterdam, liebe Tante,« antwortet sie mit einem demütig ergebenen Ton, aber das Grübchen, dem Haldern so viel Aufmerksamkeit zuwendet, beginnt zu erscheinen.

»Ich habe mir die Pflicht auferlegt, das Archiv von Alt-Döhnen um ein neues Manuskript zu bereichern, damit nach wieder zweihundert Jahren –«

Fräulein Malwine ist unsicher, ob dies moderne Kind nicht gar sagen wird: Meine Nachkommen sich daran erfreuen. Sie schneidet mit einem Gewaltstreich ab.

»Herr von Haldern, kann ich mir eine gehorsamere Nichte wünschen?«

»Erstklassig, außerordentlich liebenswürdig; mein gnädiges Fräulein – –«

Er sieht Lisis zierliche Gestalt, die ein lichtblaues, spitzenbesetztes Kleid trägt, das wellige Haar ganz unbeschützt der Seeluft preisgibt, und die kleinen schmalen Hände auch, strahlend an, und versetzt seiner weißen Jacke einen Ruck. Gut werden sie einmal nebeneinander aussehen, das ist sicher. Eine Bewegung drüben – die Feder eines photographischen Apparats knackt. »Mein gnädiges Fräulein, da hat man uns soeben miteinander geknipst. Ein reizender Überfall – ich werde dem betreffenden Herrn Doktor Firnhaber die Buße auferlegen, uns seinerzeit ein Bildchen zu dedizieren.«

»Ja, ja!« meint das ältere Fräulein. Aber Lisi steigt eine Blutwelle ins Gesicht.

»Das ist mir aber gar nicht angenehm! Der fremde Mensch tut das so hinterlistig, und mit einem fremden Menschen so – so –« Sie fühlt, sie hat sich verhaspelt, tritt ungeduldig gegen den weißen Poller und verschlimmert noch, was sie vorher gesagt:

»Man soll da nun so gemeinsam auf einem Blatt Papier durch die Welt laufen, das ist's!«

»Lisi!«

»Mein gnädiges Fräulein!«

Haldern ist ganz strammer Haltung und bewegt sich etwas rückwärts. »Doch nicht meine Schuld! Und unter dem gnädigen Schutze Ihres Fräulein Tante bin ich, als einer Ihrer Tafelrunde, doch auch wohl nicht wie der erste beste von der Landstraße zu betrachten.« Sehr formell, sehr gemessen, sehr korrekt, denkt er.

Da lacht sie silbertönig.

»Aber Herr von Haldern, ich dachte doch natürlich, ob Ihnen das so ganz recht sein könnte. Wer weiß denn?« Da ist er versöhnt und macht eine Verbeugung.

»Für mich eine Ehre und ein Glück, mein gnädiges Fräulein!«

»Na, na!« und unter dem Lächeln der Tante huscht sie davon, dem Tisch auf dem Achterdeck wieder zu. Richtig, der gute Herr Pastor sitzt noch auf seinem Platz, ein treuer Hüter, und sie faßt wieder nach der Feder:

»Von Bord ging's anderen Tages in die Wagen, eine große moderne Karawane bildeten wir durch die Stadt. Trägerinnen von Goldhäubchen mit den weißen Faltenschleiern schritten einher und Mynheers mit ernsten Gesichtern. Dann kam eine Bahnfahrt nach dem Haag. Man ging zu Rembrandt und Rubens und Potter und Netscher und Memling, und all den anderen herrlichen Malern, die sich dem Zuge dieser Großen anschließen, ins Mauritshuis. Ach – ich hätte da wohl jemanden neben mir haben mögen, der nicht mit gewöhnlichen Menschen-, sondern mit Maleraugen sah – und mir erklären konnte, warum ich so viel stille Andacht und Freude empfand!

Ob ich den Döhn-Nachkommen für künftige Zeiten hier gestehe, daß dieser Wunsch auf eine Gestalt mit lieben warmen Augen und einer so guten Stimme ging?

Nach dem Schloß »ten Bosch«, wo die Friedenskonferenz getagt. Die Straßenbahn führte uns dann nach dem so nahen Schevenigen ins moderne Badeleben; es fügt sich an wie ein Vorort. Große Terrassen, ein riesiges Kurhaus und viele Hotels und buntes Strandleben und internationales Getriebe, Familienbäder, Eleganz und Einfachheit, Konzert des philharmonischen Orchesters aus Berlin. Tante Malve will alles sehen und hören. Sie hat einen cavaliere servente, der ihr einen ganz wunderbaren Strauß schenkte. Huldvoll wie eine Fürstin nahm sie ihn entgegen und dann sagte sie zu mir: »Der muß ja an solchem Ort ein kleines Vermögen gekostet haben! Spricht dafür, daß er vermögend ist!«

»Oder – nicht rechnet!« schloß ich.

Sie blickte böse.

Ich bekam von Tantes Ritter drei wunderschöne Rosen. Ihr Strauß schmückt unsere Tafel. Meine Blumen warf ich im Mondschein durch das Bullauge auf die silberglitzernden Wellen.

*

Rasselnd geht der Anker im Hafen von Ostende nieder, unweit all der Dampfer, die hier den Verkehr mit England vermitteln. Die Stadt gibt ein buntes Bild mit farbigen Häusern, Bahnhöfen, über denen die Dampfwolken lagern, Piers, ragenden Kirchtürmen, alten Giebeln und mächtigen Speichern.

» La reine des plages!« Dies ist erst der Vorhang vor der Szene,« sagt Herr von Haldern.

»Die Herrlichkeit des Strandes sehen wir nach Durchquerung der Stadt.«

»Ich fürchte,« seufzt Malwine von Döhn, »ich werde gar nichts davon sehen. Meine Migräne zeigt sich an. Meine Schläfen klopfen –,« sie sieht bleich aus und die Lider sind leicht gerötet. »Ach, und dann kann ich zwei Tage aus dem Reiseprogramm streichen. Du weißt ja, Kind.«

Es ist nach dem Lunch! Lisi blüht frühlingsfrisch in einem weißen Kleid und großem Hut mit Rosen. Für Ostende haben auch die eleganten Damen an Bord besondere Toilette gemacht.

Ergeben steht Lisi da. Sie weiß, wenn diese Vorrede kommt, ist die Tante in wenigen Minuten an ihrem Lager, um sich in Stille und Dunkelheit auszustrecken, und mit Schlafmitteln gegen den bohrenden Schmerz zu kämpfen.

Just im Hafen; gerade hier, denkt sie, und daß den Döhns der Zukunft nun dieses Blatt in ihrem Reisebericht wird fehlen müssen.

» La reine des plages,« spricht sie dem Leutnant nach, der in Erinnerungen an Erlebnisse, Begegnungen und Spielverluste in Ostende versunken, da lehnt, kokett angezogen, auch beste Nummer aus seinem Koffer; jedenfalls tipp topp bis auf die Krawatte und Nadel. Dem kann kein prüfender Blick etwas anhaben.

»Aber,« Malwine sieht Frau von Berning mit Regenmantel und Schirm eben aus dem Türrahmen des Treppensalons auftauchen. »Da ist ja eine Rettung! Liebe Exzellenz, dürfte sich heute Lisi Ihnen anschließen? Ich sagte schon frühmorgens, ich fühle meine Migräne kommen –«

Die liebenswürdige Frau läßt sie gar nicht zu Ende reden.

»Heute! Morgen! Wann Sie wollen! Ein herziges Töchterle kriegen wir da, das Männle und ich.«

»So dankbar, so sehr dankbar. Ich halte mich schon nicht mehr auf den Füßen! Und wenn du zurückkommst, Kleine, – gar nicht mehr nach mir schauen. Ruhe, nichts als Ruhe brauche ich!«

Sie geht, Herr von Berning spricht auch seine Freude aus, mit allem Bedauern für das arme Fräulein, daß er Pflegevater sein darf.

»Auch ich biete meine Ritterdienste,« sagt Haldern.

»Ei, schau auch, als Schutzengel!« lacht die Badenserin. »Nein, vorerst langt's schon noch bei meinem Alten mit der Kavalierspflicht, eh?«

Die kleinen, schnellen Pinassen gleiten die kurze Strecke vom Meteor bis zum Landungssteg und befördern die Reisetruppe in Schnelle. Bernings gehören nicht zu den Eiligsten und Drängenden. Aber dann klettert man doch endlich die feuchten Holzstufen hinauf und ist nach wenigen Schlitten in die Stadt hinein.

Herr von Berning bekehrt die Damen, daß die vielen Kneipen andeuten, daß der Alkoholverbrauch in Belgien im Vergleich zu den anderen Ländern den Rekord schlägt. Nicht weit von einer Gruppe Mädchen, die das Bindfadenfilet mit köstlicher Handgeschicklichkeit ausführen, sitzt ein Maler vor seiner Staffelei.

Frau von Berning macht Lisi aufmerksam: »Das muß sicher ein gutes Bildle geben.« Und sie ist mit einer ungewohnt raschen Wendung hinter dem Mann mit dem schwarzen Strohhut, und will ihm über die Schulter blicken. Unwillig scheint er die Störung abwenden zu wollen, aber nach einer nur halben Drehung springt er auf, und macht eine einladende Handbewegung. Ein Fragen, ein Leuchten, ein Begreifen liegt zu gleicher Zeit in seinen Zügen, aber ein Ausruf scheint auf seinen Lippen gebannt zu werden.

»Danke schön, das interessiert mich arg. Die Gruppe hätt' ich mir auch just ausgesucht, mein' i! Und ein fein's Bildle, ein gar nett's, wird's, soviel seh' i auch schon. Denn ein bißle tu i selber mal'n und verstehn.« Das spricht die Exzellenz lebhaft und vergleichend und betrachtend. Ihr Mann und Herr von Haldern stehen eine Strecke entfernt vor einem Korb frischer, zum Verkauf getragener Fische und erfragen die Namen.

»Mein' Dank!« sagt Frau von Berning nach einem Weilchen, und auch Lisi grüßt den höflichen Maler, der sich anschickt, seinen Platz wieder einzunehmen.

Langsam schlendert die Gruppe weiter, dann kommt eine Drehung – man ist an der großartigsten Digue der Welt.

Herr von Halern ist zerstreuter als an Bord. »Es liegt in dieser Luft etwas,« und als der Staatsrat ihn fragend ansieht, meint er rasch: »Belebendes, Stärkendes! Der kräftigste Wellenschlag, die salzreichste Luft, da gibt's gar keine Konkurrenz!« Die Luxusbadekarren zeigt er und berichtet, daß sie bei einmaliger Benutzung zehn und fünfzehn Franken kosten.

»Schauderhafte Verschwendung!« sagt der sparsame Staatsrat.

»Nicht satt sehen kann man sich,« meint Frau von Berning. Im Wasser wimmelt es, man badet überall »Familie«. Auf der Digue wimmelt es, man zeigt Toiletten, starrt auf das Meer, das in allen Farben herrlich erglänzt. Bekannte grüßen sich, und es werden Bekanntschaften gemacht. Da sind die großartigen Hotels aneinandergereiht, und die schmalen Häuser mit den reizenden, eingebauten Balkons. Herr von Haldern konstatiert, daß die Russin vom Bord des Vergnügungsdampfers selbst hier mit ihrer exotischen Erscheinung ausfällt. Endlich setzt man sich für zwei Sous auf Stühle und schaut dem Badetreiben zu. Herrn von Haldern fällt es ein, daß ein paar Freunde von ihm just hier sind, nach denen er doch sehen muß, und so beurlaubt er sich für ein Weilchen.

Die drei werden stiller, das Sehen macht müde. Die lebhafte Frau hat weniger Bemerkungen, nur einmal meint sie, den höflichen Maler in der Ferne zu sehen.

»Kann auch ein anderer sein; hierher werden schon genug kommen. Da möcht' man halt alles malen. Dort ist just solch ein kecker Hut, wie der'n hatte, wieder, aber seine großen Augen, die schauten anders. Ein hübscher Bursch war's und so artig. Nit jeder leidet's, daß man ihn stört!« lobt sie. Und dann betritt man das Innere des Kurhauses mit dem sich nach oben verjüngenden, gewaltigen Konzertsaal, in dem alle zwei Stunden eine neue musikalische Darbietung erfolgt. Jetzt brausen Orgeltöne durch den Raum, und Orgelspiel liebt die Exzellenz, wenn sie auch allemal weinen muß.

Der Gatte wählt einen Platz außen auf der Terrasse. »Geh schon! All die schönen und geschmückten Frauen sind heut' keine Gefahr mehr für dich!« gibt sie ihm als Geleitwort mit. Sie und Lisi finden noch just zwei Plätze. Als Hüterin des Lämmleins mußte sie eigentlich hinter ihm sitzen, aber das läßt die liebe Kleine absolut nicht zu. Und so lauscht sie versunken, und trocknet sacht ihre Tränen, und hört wieder zu, ganz beglückt. Sie vergißt Ostende und die Menschenmenge und den Gatten draußen; ihr Herz flattert auf den Tonwellen in die Höhe, sie ist ganz Ergriffenheit und Frömmigkeit.

Ach, da sagt eben in der Pause eine frische, süße Stimme in ihr Ohr: »Nicht wahr, Exzellenz? – ich kenne das, Tante hat morgen sicher noch Migräne – ich darf doch wieder mit Ihnen herkommen? Ich bin doch brav gewesen?«

»Brav wie'n Engele.« Denn nach solchen Tönen kann sie nur himmlische Vergleiche machen.

»Ja, ganz gewiß komm ich wieder mit, bis zum Abend!«

Und nun nickt sie nur noch, denn eine neue Fuge beginnt, und faltet die Hände über dem Regenmantel auf dem Schoß. Und nur ab und an das Rauschen des Programms hinter ihr, das fällt und von der Kleinen wieder aufgehoben wird, ist ein irdisches Geräusch für Frau von Berning.

Als nach dem Diner im Kursaal, bei dem Herr von Haldern zugegen war, und abendlichem Vokalkonzert, wo er verschwand, weil ihn seine Freunde mit Beschlag belegt, die drei zu Fuß zur Landungsstelle gehen, bezeichnet Frau von Berning todmüde, aber glückselig, diesen Tag mit als einen der schönsten ihres Lebens.

»Männle, daß du mir das gezeigt hast!« sagt sie warmherzig.

Und der graue Herr schmunzelt: »Ja, gesehe muß eins so etwas schon haben.«

Lisi bedankt sich. Sie wird nicht mehr, wie geboten, zu der Tante hineinschlüpfen. Sie ist so herzig und sieht so glücklich aus, daß die schutzbereite Pflegemutter ihr beide regenmantelbekleideten Arme um die Schulter legt und sie an sich zieht. »Liebes Töchterle, es war uns ja eine Freud'.«

Am folgenden Tage ist es das gleiche gute Wetter und Fräulein von Döhns Migräne ist gleich schlimm. Und alles schwärmt vom Schiff aus, in den goldenen Sonnenschein. Lisi trägt einen bescheidenen Mantel auf dem Arm, und das sieht Frau von Berning mit Vergnügen. »Nit vorsichtig genug kann eins sein!« Sie streift Herrn von Haldern mit einem forschenden Blick. Der muß mit seinen Freunden arg gekneipt haben, denn er sieht blaß aus und müde, und hat sich beim ersten Frühstück Anchovis geben lassen.

»Auch Migräne?«

»Ein heranziehender Schnupfen jedenfalls!« sagt er etwas hinfällig. »Ich muß um Entschuldigung bitten, wenn ich mich nicht gleich anschließe.«

Verschnupft! Gewiß ist er das, über die Tücke des Schicksals, das ihn beim Spiel, zu dem er naturgemäß nicht viel Überredung von anderer Seite brauchte, verlieren ließ.

Ja, das bißchen Jeuen hat enorm viel Franken verschlungen. Sehr spät hat ihn der Graf Lattin aufgegriffen, und in den Cercle privé eingeführt. Oh, welch ein Gewimmel und Rauschen und Duften und Blitzen von Frauenaugen und Brillanten das war! Und wieviel blasierte und gespannte Männergesichter; das muß man auch kennen gelernt haben! Gewiß! Und Lattin hat ihn nach seinem Vertust vertraulich auf die Schulter geklopft. »Lieber Freund, du findest mich morgen da und da!« Mit ein wenig Schläfereiben und Kopfzerbrechen wird er ja wohl noch die Adresse herausfinden. Und Lattin ist ein Mensch, der ihm auch aus der Klemme hilft, dem er sich anvertrauen kann.

Herr von Haldern will einen tiefen Blick in Lisis schöne Augen tun, aber die sind weggewandt. Das Zerstreute der Kleinen am heutigen Morgen wird doch nicht etwa ein Schuldkonto seinerseits bedeuten? Sie fühlt sich am Ende vernachlässigt? Ums Himmels willen! Läßt sich ja aber gutmachen. Zusammenreißen! ruft er sich zu und stürmt die Treppe hinunter. Kandare anlegen! Er darf sich selber nicht durchgehen. Im ersten Gang trifft er die Stewardeß der Döhnschen Damen.

Wie geht es der Gnädigen? Wollen meine Empfehlungen ausrichten! Ich bin noch ein paar Stunden an Bord. Vielleicht, daß sich die Gnädige entschließt, hier oben etwas Luft zu schöpfen. Stände ganz zu Diensten, bitte zu bestellen.«

»Ach nein,« sagt die in ihrem volltönenden Hamborgsch, »Fräulein von Döhn sieht und hört nichts, und wollte selbst das junge Fräulein nicht sehen. Aber, wenn sie mal klingelt, kann ich ja das alles nachholen.«

Er spitzt die Lippen, pfeift jedoch nicht. Heute fällt er selbst mit den sogenannten Höflichkeiten herein. Da kommt sein Kammersteward, der auch zugleich der der Damen ist.

»Na, Rotmar, wissen Sie eigentlich, wann und wie ich nach Hause gekommen bin? Mir ist's nicht ganz erinnerlich. Pinasse nich mehr da drüben, das weiß ich – sonst – hm!«

»Ja, bis morgens fünf Uhr bleiben die auch nich liegen.« Es ist wieder gut Hamborgsch und ein Vollmondgesicht lacht ihn dabei an. »Ich war schon auf und sah, daß der Herr Leutnant mit drei anderen Herren in einem Boot kamen. Und wie sie da alle Viere nich ganz gut mit den beiden Vlämischen oder was sie sonst waren, fertig werden konnten. Endlich ging es ja aber und der Herr Professor zahlten für alle.«

»So, denn bin ich dem also –«

»Der weiß das gewiß noch weniger wie der Herr Oberleutnant. Dem habe ich Haferschleim in die Kammer gebracht und auf den Kopf Umschläge machen müssen.« Und er lacht blank und gutmütig. »Das ist Unsereins ja gewohnt. Das wissen wir schon. An so'n Plätzen, wie der hier, da geraten die Jungen und die Alten gern en Büschen aus'm Gleise. Das kommt bannig oft vor. Un' das Fragen hinterher, das kennen wir genau auch. Da haben denn viele en swaches Gedächtnis von den Ereignissen. Wer denn ohne Familie da sind, wie der Herr Oberleutnant – da geht ja denn das keinen was an, und is weniger schenierlich.«

Haldern lacht, obwohl's ihm weh tut.

»Drüber reden woll'n wir nicht gerade, Rotmar, – für das Hinunterschleifen in meine Kammer, das hatten Sie wohl übernommen?«

»Kam mir ja zu, war Pflicht und Schuldigkeit, Herr Oberleutnant.«

»Danke sehr, danke! Na – und also schweigen? Mein engster Kreis, Damen, wie Fräulein von Döhn zum Beispiel –«

»Ja, Damens, die haben ja für so was kein menschliches Vers–tändnis!« gibt der Steward zu. Und als er ein Dreimarkstück in seiner Hand fühlt, dankt er mit einer Verneigung, sagt aber: »Wär gar nicht nötig gewesen, Herr Oberleutnant. Sweigen ist bei uns 'ne gelernte Anstandspflicht.«

Die Badenser sind, wie alle Süddeutschen, sparsam, lassen die verschiedenen Gruppen in Wagen an sich vorüberrollen und schlagen den Weg von gestern ein.

Das Leben vor den Türen und auf der Straße im Schifferviertel ist wieder ebenso lebhaft. Bunte Gruppen und ein Hin und Her, Schreien und Gestikulieren, und in die frische Seebrise mischt sich der Geruch eben gefangener und anderer, schon trocknender Fische.

»Im Wandern und Stehenbleiben,« sagt der Staatsrat, »lernt man die Menschen und die Städte viel besser kennen und nimmt manches Kleine und Hübsche wahr.«

Die lebhaften Äugen seiner Gattin suchen. »Ob der Maler wieder – nein, dort saß er, ich weiß es ganz genau. Er bummelt also heute! Schade! ich hätte gerne gesehen, wie weit die Skizze gediehen war! Fräulein Lisi, ich glaube, er steht da drüben bei den Fischern. Der Hut und das Blonde und die Haltung? Nun guckt er her! Wirklich! Aber, vielleicht ist's nur eine Ähnlichkeit. Der von gestern hätte uns gewiß gegrüßt. Ach, welch reizende Kinder! Nein, dort die dicke Frau, ein Rubens, Berning, ein ganzer Rubens.«

Und so geht es langsam dem Anfang der Digue zu, das Kurhaus ist wieder da in seiner flimmernden Pracht, das Gekrabbel am Strande. In den Fluten lebt es, vor den Badekutschen rennt es hin und her, oben auf der Promenade wogt es, unten auf dem Sand stehen Gruppen.

Da kommt plötzlich Frau von Berning ganz dicht an ihren Mann heran. »Lockt's dich nit auch, Männle? In dem Wellenschlag, da möcht ich schon mittun –;« und langsamer: »Wenn du mittätest, Alterle. Letztjahr haben wir doch im Bodensee täglich vier Wochen auch mitgetan«

»Was denkst, Fraule?« Aber er guckt ganz begehrlich.

»In Scheveningen hat's mir nit so angetan gehabt. Aber gestern hört ich einen sagen, der war viel älter als du, Gustävle, daß er auf der Tour an jedem Platz baden wollt. Das hätt' er sich vorgenommen.«

»Und du denkst, Mariele?«

»Denn könnt man doch ebenso gut vermeinen, man wär überall ein paar Wochen gewesen. In Trouville nachher und in Biarritz und so weiter.«

»Bei dem herrlichen Sonnenschein,« sagt der Staatsrat. Und sie nickt; er hat genau solche Lust wie sie.

»Mariele?«

»Gustävle, wir machen's.«

»Aber« –

»Ja, wenn man's sich getrauen sollt! Aber, ob's der Tante recht wär? Und der Herr von Haldern könnt dazu kommen, und ob man's da nicht schenierlich fänd für das Fräulein Lisi. Halt nur unser anvertrautes Kind –«

Lisi wird rot; sie war all die Zeit schweigsam. Jetzt sagt sie hastig, drängend: »Aber, Exzellenz, Sie dürfen nicht an mich denken. Der Tante wäre es sicher nicht recht. Da tu ich's lieber nicht; solche Lust ich auch hätte!«

»Armer Schneck, denn lassen wir's besser – Sie –« Lisi schüttelt energisch den blonden Kopf. »Darum! Sehen Sie doch nur, wieviel Damen überall allein sitzen und das Gewimmel betrachten? Das kann ich doch auch.« Ganz dringend, ganz bittend. »So brav will ich auf einem Stuhl hocken und mich nicht rühren. Na, bei der Treppe, an der Balustrade, Gelt?« sagt sie, das oft gehörte Wort betonend. Sie will nach Regenmantel und Schirm greifen.

»Und das hüte ich.«

»Nein, könnt ich brauchen, wenn ich aus dem Wasser komm. Eh, Gustävle?«

Und noch ein wenig zögernd, aber Lisi nickt eifrig, und hat solch lieblich bittende Miene. Da rückt der Staatsrat ihr den Stuhl, auf dem sie sitzen soll, zurecht, und dann steigt endlich, nach ein paar Reden hin und her, das ältliche Paar die nächste Treppe hinab. Immer nach einigen genommenen Stufen dreht sich Frau von Berning um und nickt Lisi zu.

Allmählich erst verschwinden die beiden unter den Gruppen da unten.

Die Sonne ist in voller Mittagsglut, die blauen Wogen beginnen zurückzurollen vom seinen weißen Sand, den sie bis zu herkömmlicher Höhe überflutet hatten, drei volle Stunden sind vergangen. Da steigt das Paar langsam auf den gleichen Stufen wieder empor und das Winken beginnt, wie vorher. Und Lisi nickt und schwenkt ein Zeitungsblatt, und steht dann auf und kommt den Exellenzen entgegen.

»Herrlich war's,« sagt Frau von Berning. »Aber lang' hat's gedauert. Das erlebt eins ja gar nit, daß es eine Karre kriegt, solch ein Andrang. Armes Ding! hat sich wohl sehr gelangweilt das Fräulein Lisi?«

»Aber gar nicht, gar nicht!« ist die eifrige Versicherung.

»Und nun, hab ich 'n Hunger – Gustävle, einen argen!«

Der Staatsrat wischt mit dem Tuch über sein Gesicht, das in der kurzen Zeit, in der er am Strand und im Wasser den grellen Sonnenstrahlen ausgesetzt war, krebsrot geworden ist.

»Dann wollen wir sein unsern Hunger stillen,« meint er bedächtig und zieht den Bädeker hervor, um den zu fragen.

»Nun kann mer doch sagen, daß man eine Badekur in Ostende gemacht hat – was?« lacht die heitere Frau. Man steht geduldig neben den Stühlen, um nicht für die wenigen Minuten zu zahlen. Ein bißchen umständlich sucht Herr von Berning und als er endlich gefunden, meint er: »Jetzt führ ich euch in die Stadt. Auch da muß mer gegessen haben, sollt ich meinen.«

»Und der Herr von Haldern hat sich nicht blicken lassen?«

Lisi zögert, nickt dann und gesteht: »Gesucht hat er schon, vor etwa' einer Viertelstunde, ganz nah hier herum. Da saßen so viele Leute – na, und dann – ich konnte doch nicht rufen und winken, nicht wahr?«

»Und wenn man vielleicht auch grad das hübsche Näsle in die Zeitung gesteckt gehabt hat? Was steht denn auch drin? Wenn i denk, daß ich mir als junges Mädle eine Zeitung sollt gekauft haben? Ja, heut ist mer anders – ganz modern!«

Nach dem Frühstück verlaufen die nächsten Stunden wie die am Tage vorher. Man nimmt den Kaffee in einem hübschen Restaurant, betrachtet die Menschen, grüßt Mitreisende, und dann verlangt Frau von Berning wieder das Orgelkonzert zu hören.

»Du, Männle, magst deine Studien von gestern fortsetzen, eh? 's ist halt meine Passion, weißt's ja!«

Und wieder sitzt er draußen und sie drinnen, und wieder, nur daß es auf der andderen Seite ist, Lisi hinter ihrer Beschützerin, die genau wie vierundzwanzig Stunden vorher, die Hände über Mantel und Schirm faltet. Und neben ihr rauscht und fällt Lisis Programm, als einzig irdisches Geräusch, denn auf den Orgeltönen schweben das Herz und die Gedanken der Exzellenz in höhere Regionen und von Zeit zu Zeit gleitet ein klarer Tränentropfen auf den Spitzenkragen, mit dem sie sich geschmückt hat. »So gleich 'nein in den Himmel möcht eins steigen!«

Als man beim Diner sitzt, kommt ein Piccolo mit einem riesigen Blumenstrauß und einer Entschuldigungskarte von Herrn von Haldern an die Exzellenz, und drei Rosen läßt er zu Fräulein von Döhns kleinen, schnellen Füßen niederlegen. Er hat vergeblich die Herrschaften auf der Digue und im Kursaal und in den Restaurants gesucht, und nun kann er zu seinem größten Leidwesen nicht erscheinen. Freundschaftsdienst, Pflichten. Glücklicherweise werden die ihn an den anderen Plätzen nicht erwarten.

»Hm!« sagt der Staatsrat.

»Aber höflich ist der junge Mann und aufmerksam. Nein, solch ein Strauß, Männle!«

Eine Stunde später, während des Vokalkonzerts, sieht Frau von Berning, die ihre kostbaren Blumen hütet, daß Lisi die Rosen eine nach der andern zerpflückt hat.

»Ja, liebes Kind –,« und sie lacht schelmisch, »wenn's nit ein Orakel bedeutet, ist's wohl ein Bissel arg zerstreut.«

»Orakel? Vielleicht!«

Als man später durch das nächtliche Dunkel hinüber sieht nach dem Anlegeplatz des Meteors, stößt die Badenserin einen Freudenruf aus. Ganz herrlich, über Topp illuminiert, alle Linien lichtumflossen, alle Bullaugen in Helle erstrahlen lassend, liegt das Schiff zur Parade für die Ostender Welt da.

»Uns zur Freude!« sagt Frau von Berning.

Ein ganzer Trupp Meteorreisender, der auf die Pinasse wartet, hat sich schon eingestellt, als die drei durch die sehr schwarze Nacht zur Landungsstelle kommen. Ein Drängen und Schieben, die Ermüdeten streben alle heim, denn in der Morgenfrühe fährt der Dampfer.

»Fräulein Lisi, sind Sie auch da? Haben Sie Platz?« erklingt die Stimme der Beschützerin.

»Ich komme in die andere Pinasse, warten Sie aber oben nicht auf mich, Exzellenz! Vielen Dank! Gute Nacht!« erschallt's zurück. Schon arbeitet die kleine Maschine über das in schwachem Lichtschein aufblitzende Wasser. Und wirklich, Marie von Berning ist so müde, daß sie auf der kurzen Strecke bis zum Deutschen Schiff ihren Kopf an die breite Schulter ihres Gatten stützen muß. »Männle, wie bin ich müd'. Nun wird mir die enge Koje wie ein großes Paradebett vorkommen, gleich 'nunter, gelt?«

Und ihren Strauß haltend, klettert sie das Fallreep hinauf und nickt dem Steward zu. »Da wär'n wir!« Denn die einzelnen Kammerstewards haben die Pflicht, vor der Abfahrt Kontrolle zu halten, ob ihre Nummern ankommen. Und der Staatsrat, der schon in Rotterdam über diese verantwortungsvolle Aufgabe belehrt ist, setzt hinzu: »Fräulein von Döhn ist in der nächsten Pinasse.«

»Da sind meine komplett!« sagt der Steward zu einem Kollegen, »lauter solide Leute.«

Der andere seufzt, es ist der Hamburger mit dem breiten Vollmondgesicht. »Könnt' ich von meinen nicht sagen; die werden ja wohl die letzten sein müssen.«

Man huscht in den Gängen hin und her, müde von dem Tagewerk, dem Vergnügen. Der Branden, der Stewardesse, bestellt Exzellenz noch Grüße für das kranke Fräulein.

»Darf ich erst morgen ausrichten, will nicht gestört sein.«

»Weiß schon! Die Kleine schlüpft auch gleich in ihre Kammer. Ein liebes Töchterle war's gewesen, gar lieb, sagen Sie auch!«

Und das Anker aufnehmen, kurz vor Sonnenaufgang, stört den Schlaf derjenigen nicht, die schon früh heimgekehrt – und die in Booten im letzten Augenblick kommen, hören, ein wenig traumselig und übernächtig, das Signal zur Abfahrt. »Ja, geht es denn schon los?«

*

Ein wenig trübe der nächste Morgen, aber Fräulein Malwine von Döhns Antlitz ist sonnig. Die Migräne ist fort. Nun hat sie neue Lebenskraft und Lust, und einen wahren Höllenappetit. Den beweist sie beim Frühstück. Sie trägt, bereits für Trouville gekleidet, kupferbraun mit grünen Passamentverzierungen. Es sitzt alles an ihr tadellos. Sie hat nach überstandener Migräne immer gute Laune. Exzellenz von Berning lobt Lisi, die sich heute als Langschläferin bewährt, ihr Pflegetöchterchen, und Malwine sieht nach dem Platz Halderns, der auch noch leer ist. Seine teilnahmsvollen Empfehlungen sind ihr ausgerichtet. Ja, wohlerzogene Menschen!

Viele Herren sind unpünktlich heute, die stärksten Erstfrühstücksmenschen, das kann sie konstatieren.

Die zu solider Zeit an Bord Gekommenen, schauen nach der französischen Küste, der man nun schon näher ist, hinüber.

»Na, Trouville und alle anderen Plätze müssen mich für das, was ich versäumte, entschädigen!« sagt die Hannoveranerin.

Haldern begrüßt die Bekannten. Er sieht blaß und grünlich, wie am Tage vorher aus.

»Eh, ist der Schnupfen noch da?« fragt die Exzellenz.

Er legt die Hand auf die Brust und verneigt sich. »O, rühret, rühret nicht daran,« und sie versteht und sagt nichts von dem großen Kater, der wohl schlimmer miaut und sich eingekrallt hat als der gestrige. Wenn ein Oberleutnant auf dem Wege ist, eine Schwiegertante zu erobern, muß man kein lästiger Störenfried werden.

»Und dem gnädigen Fräulein, das zu sehen ich noch nicht das Vergnügen hatte, ist Ostende auch gut bekommen?« erkundigt er sich beflissen.

»Ja, die wird jetzt beim Frühstück sein.«

»Aber die Zeit ist doch wohl schon vorüber?«

»Unerhört!« Dann lacht Malwine. »Die Branden wird sie auch nicht in der Kammer verhungern oder dursten lassen und ihr schon etwas eingeschmuggelt haben. Und die kleine bequeme Person hat sich den Umstand zunutze gemacht, daß ich am Abend und in der Früh nicht besucht sein wollte.«

Da kommen von der einen Seite der Obersteward und der Kammersteward auf Malwine von Döhn zu. Der eine hat ein ganz banges Gesicht, der andere ein sehr ernstes, von rechts nähert sich der Assistent des Funkentelegraphisten.

»Gnädiges Fräulein, ich muß es doch sagen. Fräulein von Döhn hat diese Nacht ihre Kammer nicht betreten – und ist bereits auf dem ganzen Schiffe gesucht und nicht gefunden.« Und sie greift nach dem Arm der Exzellenz, um nicht zu fallen.

»Nicht da? nicht gefunden? Ich versteh' nicht – sie kann doch nicht –« ihre laut aufschlagenden Zähne bekunden, daß sie von einer tödlichen Angst überfallen ist und ihre irrenden Blicke suchen den blauen Meeresspiegel, von dem sie eben noch so geschwärmt hat, und dann deckt sie schaudernd die Hände über die Augen.

»Nein, nein!« beruhigt Frau von Bering. Was denken Sie denn nur? Solch ein frisches, gesundes Mädel!«

»Aus Liebe – aus unglückseliger Neigung – die moderne Jugend! Ach, da hätt' ich tausendmal lieber doch – hätt' ich doch nicht entgegen sein sollen!« stöhnt die Hannoveranerin.

Der Funkenmann steht steif da, die Depesche, die sie nicht sieht, ihr entgegenhaltend. Der Staatsrat nimmt sie, auf seinem wohlwollenden Gesicht liegt nicht die geringste Besorgnis. Da wird's wohl die Aufklärung geben. Bitte, ganz unauffällig, Fräulein von Döhn. Was braucht alle Welt zu hören und zu wissen, daß die Romantik nicht ausgestorben ist.«

Und nur die kleine Gruppe der Bekannten und der Obersteward vernehmen, was da gefunkt ist.

»Mit Hans Heinz Schmitt nach London gefahren. Vor zwölf Uhr werden wir ein Paar sein. Bereit, dich auf irgendeiner Reise-Station zu treffen, um deinen Segen zu erbitten. Onkel benachrichtigen ebenso. Charing Croß Hotel. Lisi und Hans«

»Mich trifft der Schlag!« flüstert Malwine von Döhn.

»Nein, Sie werden schon Kraft und Haltung genug haben, gute Miene zu zeigen! – I kenn Sie schon so, gelt?« spricht die Exzellenz.

Ihr Mann nickt ihr zu. Das ist die rechte Art.

Herr van Haldern, noch grüner und blasser als zuvor, macht eine stumme Verbeugung und geht.

»Wenn's der noch gewesen wäre,« seufzt Malwine, »aber Schmitt, denken Sie, Schmitt – und ein Maler! Und wie ist das nur zugegangen?« Sie faßt an ihre Stirn. Der Anker geht nieder und ein Dampfer kommt von Trouville, das nun nahgerückt scheint, die Reisenden überzunehmen. So achtet niemand auf die Bestürzung der kleinen Gruppe.

»Und nichts kann man tun? nichts hindern?«

Der Staatsrat sieht auf seine Uhr. »Es ist dreiviertel vor Zwölf.«

»Furchtbar.« Ihre eiskalten Hände drücken die warmen der Frau von Berning. »Lassen Sie mich hinuntergehen, Exzellenz, ich fühle meine Migräne wiederkommen. Ich muß allein sein, ich begreif's nicht – was, wer, wie konnte das denn geschehen? Nein, allein, ganz allein!«

Frau von Berning übergibt die Leidende der Stewardeß und kommt zu ihrem Mann zurück. »Du, Gustävle, i begreif's schon!« sagt sie ganz niedergeschlagen. »Wenn's nur der Maler mit dem Strohhut nit gewesen ist?«

»Aber sicher!«

»Und's Mädele tat so unschuldig! Und blieb zurück gestern und ist mit ihm auf dem Dampfer 'rüber nach Dover. Ganz einfach!«

»Ganz einfach.«

»Eine schöne Hüterin bin i gewesen.« Dann lacht sie. »Aber, weißt, i hätt' auch lieber den hübschen Maler genommen, als den grünweißen Schwerenöter, der so viel Freunde in Ostende hat. Und der Maler, der wird sie schon glücklich machen, der Hans Heinz Schmitt, der so schneidig ist.«

»Und nun komm, 's wird Zeit zum Einsteigen,« mahnt ihr Gatte. »Muß i nit am Ende hier ...?«

»Ei, bewahre!« er zieht sie am Arm »Der Oberleutnant und sie können sich miteinander trösten.«

Ein wenig schuldbewußt sitzt die Exzellenz auf dem Orion, der den Kurs nach der Landungsbrücke von Trouville nimmt. Hätte sie nicht ihrer Passion nachgegeben und alles Irdische im himmlischen Orgelkonzert vergessen, und den Mann nicht unter die Seidenrauschenden auf der Terrasse geschickt, der schneidige Hans Heinz hätte keine Gelegenheit gehabt, auf das Programm zu schreiben und Pläne zu schmieden. Denn so kam's. Das weiß sie jetzt gewiß.

Herr von Haldern steht auf dem Achterdeck des Meteor und sieht nicht nach Trouville hinüber, sondern auf's Meer. Er mag jetzt nichts Freudiges und Lebenslustiges erblicken. Und so weit und unbestimmt und ohne Grenzen liegt sein Leben vor ihm. Was nun? Wäre er der Kleinen nicht von der Seite gewichen, statt seine alten, leichtsinnigen Wege zu gehen, konnte doch so etwas gar nicht passieren! Und seinen Gedanken-Monolog beschließt er mit dem laut gesprochenen Wort: »O, ich Esel!«

*

Über eins ist Malwine von Döhn sehr zufrieden mit sich gewesen auf der weiten Reise: daß sie ihr Scharfblick in den prächtigen Bernings nicht getäuscht hat. Man hat sich vernünftigerweise darüber ausgesprochen, daß Hans Heinz Schmitt ganz bewußt zu Lande hinterher gekommen ist. Es mag ja ohne besonderes Wissen Lisis gewesen sein, und die Entführung hätte, wenn hier nicht, so bei der ersten anderen Gelegenheit, die sich bot, stattgefunden. Und dann haben die beiden Exzellenzen dafür gesorgt, daß es nichts weiter als ein kleines Gezischel an Bord des Meteor gegeben hat über die kurze Teilnahme des jungen blonden Fräuleins an der Reise. Sie ist einfach in Ostende Freunden überliefert, in deren Gesellschaft sie nach London reiste, um sich dort zu vermählen. Ein wenig romantisch, aber das kommt ja vor! Und die Menschen haben so viel mit Sehen und Unruhe des Aus- und Einbootens in dem Wiedergeben von Eindrücken zu tun, daß sie schnell die hübsche Kleine vergessen haben. Haldern huldigt jetzt der Russin. Malwine hat das liebliche San Sebastian gesehen und das seltsame Bayonne am Ausfluß des Adouro, ist von der Eleganz von Biarritz entzückt gewesen, und beglückt, als man den Golf von Biskaya so ruhig durchqueren konnte.

»Da hat der Himmel doch ein Einsehen,« meint die Exzellenz, diesmal nicht von der Seekrankheit geworfen.

Bei schönstem Wetter umfährt man nach dem Ausbooten das Kastell Mont Orgueil auf der Insel Jersey, um in den Hafen von St. Helier zu kommen. So viel zu sehen! Helfende Hände strecken sich ihr entgegen auf der schmalen Steintreppe, die zur Höhe des breiten Piers führt, der englisch solid gebaut, die Hafenrundung umschließt. Und wie sie dort, das Ehepaar Berning erwartend, umblickt, sieht sie drei Personen auf sich zukommen: ihr Bruder hat ein lächelndes, blondes Wesen am Arm und zur andern Seite einen stattlichen Menschen, der den Hut hält. Ganz wehrlos, ganz betäubt ist sie, etwas zurückgezogen von der Menge, umarmt mit lieben Worten überflutet, und gebeten und umschmeichelt, und als sie spricht, ist Hans Heinz noch damit beschäftigt, ihre Hände zu küssen.

»Malwine, Tante! – gnädigste Schwiegermutter!«

»Das ist ja ein Überfall!« stammelt sie. »Du, Bruder, du selber!«

»Ich bin nachgereist und habe hübsche Tage da mit den jungen Leuten auf Wight verlebt. Könnt' ich denn anders, als ja sagen, nachdem das von dir so schlecht gehütete Lamm dem Wolf in die Fänge gelaufen war? Mein Herzblatt war's ja doch!«

Und der etwas gebeugte Mann richtet sich auf, und ein frisches Lächeln belebt sein Gesicht.

»Schuldig, unachtsam war ich gewiß nicht,« entgegnet sie mit beleidigter Miene. Aber nur halb gelingt's, denn Herr von Döhn lacht nun laut.

»Wenn du das alles gewesen wärst, stiftete ich dir noch eine Dankadresse dazu. So lieb hab ich – den da gewonnen, eh?«

Und der küßt nochmals beide Hände des Fräuleins und seine blauen Augen blitzen. »Ich tu's nicht wieder! Ich hab die Lisi, ein für allemal.«

Da wischt Malwine mit dem Taschentuch ihre Augen und öffnet die Arme und Lisi fällt hinein.

»Na, abgemacht! Das hätte ich mir schwerer gedacht!« sagt Herr von Döhn.

»Exzellenz! ach bitte, Sie sind die nächsten dazu!« Aber eine feierliche Vorstellung des Hauptes der Familie und des jungen Paares wird es nicht. Die Damen küssen sich, dem Maler schüttelt Frau von Berning die Hand. Natürlich, er war's! »Wir sind ja alte Bekannte! Und während ich da halb die Himmelsleiter hinaufgeklettert bin beim Orgelkonzert, haben die Schelme hinter meinem Rücken ein recht irdisches Davonlaufen geplant! Ja, ja!«

»Wir fahren insgesamt mit dem Meteor nach Hause,« sagt Herr von Döhn.

»Der Nam' hat's an sich,« meint die Badenserin. Auftauchen und verschwinden! Das Plötzliche heftet sich daran. – Erst die kleine Lisi. Dann in Trouville ohne Adieusagen der Herr von Haldern – futsch. Jetzt kommt ein junges Paar in die Erscheinung. Das ist auch so'n Blitzgestirn – wie heißt's doch gleich, was Goethe von dem Meteor meint? Nu bin ich schön blamiert – weiß nicht wer und was!«

Da fliegt ein Zug rechter Genugtuung über Malwinens Gesicht: »Epilog zur Glocke: ›Wie Meteor verschwindend, unendlich Licht mit seinem Licht verbindend‹ – «

»Dank schön! Ob's paßt oder nit. Die beiden stehn jetzt im Licht, gelt?«


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