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7.

Es ist am Ende des Hochsommers. Ernst Rupert wandert durch den Burggarten, Terrasse auf, Terrasse ab. Die Burgfrauen früherer Zeiten hatten gewiß auch einen bunten Blumenflor auf den Beeten und Rabatten gezogen, auf denen Eineles Gemüse lustig emporwuchs.

Die Burgfrauen von damals, – die Schloßherrin von heute! Gräfin Klara Windeck, ihm jetzt so fern gerückt, wie sie ihm einst nahe war, – damals die jüngste Solotänzerin des Hoftheaters, er ein junger Studiosus der Baukunst.

Gegenüber hat sie ihm gewohnt, sie mit ihrer alten Mutter. Gedichte hatte er ihr gesandt und sie ihm dafür mit einem Lächeln zwischen den Fenstervorhängen hindurch gedankt; nachbarliche Gespräche hatten sich dann entwickelt; er trug oft der alten Handwerkersfrau den Marktkorb die Stiege hinauf, und sie fand den jungen, höflichen Mann so ungefährlich, daß sie ihm gestattete, der Tochter Bücher zu bringen und ihr daraus vorzulesen. Während Klara Tanzschuhe flickte, las ihr Ernst Rupert aus guten Büchern vor; sie hatte einen lebhaften Wissensdurst und Bildungstrieb.

Von Liebe wurde zwischen den jungen Leuten nicht geredet; daß sie einander gut waren, verstand sich von selbst.

Plötzlich nahm diese glückliche Zeit ein Ende. Ernst Rupert errang mit einer Arbeit ein Reisestipendium, und die Tänzerin wurde in die Lage versetzt, ein anderes Engagement suchen zu müssen. Sie wollten einander schreiben; aber nicht oft wechselten sie Briefe, und ein Jahr war noch nicht um, da hielt der junge Architekt ein gedrucktes Blatt in der Hand, auf dem Klaras Verlobung mit dem Grafen Windeck zu lesen war.

Er hatte es nicht leicht genommen. Jahre waren vergangen; er kam wieder in die Residenz seines Vaterlandes. Er war ein gesuchter Baumeister, der Professortitel ihm sicher, – da erhielt er eines Tages ein Billett mit schlanken Schriftzügen: Gräfin Klara Windeck lud ihn zu einer Besprechung ein. Er übernahm die Restaurierung der alten Burg Windeck.

Freilich hatte er diese Bereitwilligkeit seitdem oft bereut; die alten süßen Träume tauchten wieder auf; Hoffnungen regten sich, zu denen er doch den Kopf schütteln mußte. Die arme kleine Tänzerin hatte nur zu schnell ihres treuen Anbeters vergessen, – was konnte er einer Gräfin Klara Windeck, der vollendeten Weltdame, sein?

Hätte er nur einen Ausweg gewußt, ohne ihr zeigen zu müssen: sieh, ich fliehe; das alte Gefühl ist doch stärker, als ich.

Unmutig rüttelt er an einem Rosenstrauche. Als er aufblickt, steht die Gräfin Windeck vor ihm, lächelt schalkhaft, indem sie fragt:

»Nicht wahr, die Luft ist erquickend?«

»Köstlich!« entgegnet er und stößt einen Seufzer aus.

»Sie haben eine unzufriedene Miene, Herr Rupert. Wissen Sie wohl, meine gute Mutter pflegte, wenn sie solche Miene an Ihnen wahrnahm, tüchtig zu zanken?«

»Unzufrieden, – was denken Sie, gnädige Gräfin? Ich bin heiter!«

»Dann drücken Sie das jetzt anders aus, als früher, Herr Rupert,« sagt Gräfin Klara mit leisem Spott.

Damals, – früher! Eine zornige Aufwallung überkommt ihn. »Sollten Sie nicht wissen, Frau Gräfin, daß sich die Menschen gründlich verändern können?« fragt er hart. Sie pflückt eine weiße Rose, befestigt sie an ihrer Brust und erwidert: »Freilich, – aber mag man sich äußerlich, auch in seinen Ansichten viel verändern, – der Kern bleibt doch immer derselbe.«

Ihre Ruhe erbittert ihn. »Ich habe nichts mehr von dem alten Menschen, – von einst in mir!«

Sie lächelt überlegen. »Sind Sie dessen so sicher?«

Während er noch nach einer Antwort sucht, sieht er vom Hofraume her Päule herankommen und sagt: »Da ist Ihr Burg-Dornröschen!«

»Wirklich, ein liebliches Kind!« erwidert die Gräfin.

»Natürlich, frisch, gutmüthig. Sie wäre ein Geschöpf –« Er vollendet seine Rede nicht.

»Soll ich Ihnen helfen?« fällt die Gräfin ein und wendet ihm das Gesicht zu. »Ein Geschöpf, – einen Mann zu beglücken, der der großen Welt und der Frauen in ihr müde ist. Hab' ich's getroffen?«

»Wahrhaftig, Gräfin, es ist so. Dieses bildungsfähige Wesen wäre zu gut für einen Bauer!«

Die Gräfin Windeck atmet rascher, und ihre nervösen Finger greifen nach einer zweiten Rose. »Was, Herr Rupert, hindert Sie denn, dieses Dornröschen zu wecken, das Mädchen einem bessern Schicksal zuzuführen?«

Es flammt heiß über sein Gesicht: nein, ihr Spott soll ihn nicht treffen.

»In der Tat, Frau Gräfin, Sie haben recht. Wir Künstler brauchen Natur; nur mit ihr können wir etwas erreichen ... helfen Sie mir weiter!«

»Sie sind wohl keiner Hilfe bedürftig!« sagt sie, langsam neben ihm hergehend.

Päule ist mittlerweile, in Gedanken versunken, an einem großen runden Steintisch stehen geblieben; erst als die beiden ganz nahe sind, gewahrt sie sie und fährt zusammen.

»Ja, bist denn so schreckhaft, Mädele du?« fragt Rupert vertraulich.

»O, i hab denkt –«

»An was? Wie schön die Welt ist, und daß man recht hat, vergnügt zu sein?«

»Das gerad nit. I hab' denkt, da unten die Eichenmühl, die hat ein' größern Garten, und's Gemüs soll dort üppiger wachsen!«

»Praktisch gedacht!« lächelt die Gräfin und lehnt sich mit untergeschlagenen Armen an eine Linde.

Der Architekt steht neben Päule, die eine Hand auf den runden Steintisch stützt. Zu ihren Füßen liegt ein Beil, mit dem der Kastellan vorher dürre Äste abgehauen. Ungesehen von den dreien, ist aber noch ein vierter anwesend, der junge Sägemüller, der über die Mauer herüberschaut.

»Praktisch, das ist gut!« wiederholt der Architekt; »eine rechte Hausfrau gibt's Päule schon. Wenn nur erst der Liebste gefunden ist.«

»I will kein' finden!«

»Das sagen alle Mädchen, – daran glauben wir nicht! Päule, zu Zwei'n sein ist besser! Denk' dir auch, du kannst neben deinem Mann sitzen, und er liest dir gar Schönes aus Büchern vor. Würdest du dich da nicht freuen?«

Sie lacht: »I bin nit gelehrt!«

»Aber lernen magst?«

»O je! Zu arg gelobt hat mi der Schulmeister nit!«

Aber Rupert gibt den Versuch noch nicht auf. »Päule, willst mich einmal anschau'n?«

»Warum nit?«

Er tritt näher heran und faßt ihren Arm.

»Den Peter sollst nicht, – du bist gar lieb und brav,«– und dabei macht er eine Bewegung, als will er das Mädchen an seine Brust ziehen.

Da raschelt es über die Mauer, mit einem Sprunge hat Peter das Beil ergriffen und schmettert es auf die Steinplatte nieder, das die Stücke weit abspringen.

»Hand fort, sag i! Der Peter will's Dirndel, und 's Mädel will ihn, – da hat keiner was dreinzureden! Hand weg von der Dirn, oder i mach's wie's auf dem Brett da drüben zu lesen ist! Mein' Freud mein' Frieden soll mir niemand antasten!«

»Der Peter!« ruft Päule und springt dem Burschen gerade um den Hals. »Mi willst? Und das i di will, woher weißt denn das? Wer hat dir denn das verraten?« jubelt sie und läßt es geschehen, daß der Bursch sie fest an sich preßt.

Gräfin Klara hat einen lauten Schrei ausgestoßen, sucht mit den Händen nach einer Stütze und fleht: »Ernst, Ernst, retten Sie sich! Er ist wahnsinnig!«

Der Architekt umfaßt mit einem Arm die Wankende, nimmt mit der andern Hand das Beil, wiegt es darin und spricht:

»Ei, Peter, darum habe ich Euch neulich nicht die Erklärung gegeben, daß Ihr solche Nutzanwendung davon macht. Ich brauche meine Hand noch recht sehr!«

Ob der Ruhe des anderen beschämt und über die schnelle Erklärung Päules erfreut, steht Peter eine Weile verdutzt da.

»Herr Rupert! Die Hitz ist mir kommen! I bin dem Mädel vom ersten Augenblick gut gewesen, und es hat nit nachgeben wollen, – und die Gefahr war da, wenn's nun Ja gesagt hätt'!«

»O, du dummer Tropf!« ruft Päule zwischen Lachen und Weinen.

Der Kopf der Gräfin lehnt noch an Ruperts Schulter. »Ernst« hat sie zu ihm gesagt, mit dem alten, lieben Tone. Es flutet ihm warm durchs Herz. »Klara»!« flüstert er mit tiefer Bewegung. Sie stößt einen leisen Freudenruf aus und blickt ihm leuchtenden Auges ins Antlitz: »Ernst, – endlich bekehrt?«

»Gräfin!« stammelt er. Da schüttelt sie energisch den Kopf: »Nicht so, – Klara, – Klara, wie einst. Und daß du's nur weißt, deine zukünftige Professorin kommt arm zu dir. In dem Testament heißt es: ›Wenn sie den Witwenstuhl verrücken sollte, fällt alles Hab und Gut, das ihr zugedacht ist, an die Windecker zurück.‹«

Lautlos schließt er sie in seine Arme.

Peter zaust voll Übermut das Päule an den blonden Zöpfen und kneift sie in die Wangen, daß sie aufschreit. »Hihihi,« ruft es da über die Mauer, und Arturles Kopf taucht empor, »hihihi, wann ist denn nun die Hochzeit?« »Dem Arturle muß was Gut's geschehn,« sagt Päule; »der hat mit seinem Spruch die Wahrheit getroffen, und der Peter und das Päule kommen wirklich zusammen.«– –

Als das erste Herbstlaub fällt, werden die zwei Paare im Dorfkirchlein getraut; so hat es die Gräfin gewollt, die nun als glückstrahlende Professorin den Altar verläßt. In dem Glasstuhl der Herrschaft, an der Seite des Eichenmüllers, sitzt Ginele in ihrer schönsten Haube.

Unter dem Orgelspiel flüstert sie dem Nachbar zu: »Den Architektr tu i der Gräfin vergönnen, aber nur weil's eine Gräfin ist.«


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