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Die Wiedertäufer.


Eine Erzählung aus der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts.


Hoch, wie im Aetherblau die weiße Taube
die Blicke freudig ziehet himmelan,
schwebt leuchtend über unsrer Erdenbahn
der reine, helle, echte Gottesglaube.

Von Schwärmerei berauscht, befleckt vom Staube
der Unvernunft, wird er zum irren Wahn,
der, schrecklicher als der Hyäne Zahn,
der Menschheit Glück zerfleischt zu seinem Raube!

Weh' denen, die den blut'gen Irrweg wandeln!
Im wüsten Lärme wilder Meinungfehde
verhallt der Wahrheit milde Segensrede.

Lebend'ger Glaube zeige sich im Handeln.
Nur die sind fromm, die ihre Pflichten üben
aus Gottesfurcht und treu die Brüder lieben!


Es war an einem schönen Morgen im Februar den Jahres 1534, als der Huf- und Waffenschmidtgesell Alf Kippenbrock von Coesfeld her auf die kaiserliche freie Reichsstadt Münster zugewandert kam. Schon hatte er Baumberg und Stestendorp im Rücken, und am Rande den Horizontes streckte der Sanct Lambertus-Thurm sein Gigantenhaupt in die Höhe, und die fruchtbare Ebene, in der das alte, ehrwürdige Münster lag, breitete sich allmälig vor dem Wanderer aus, und die andern Thürme und Kirchen tauchten zugleich hervor aus der breiten Fläche, und das Silber des schönen Aaflusses blitzte im Scheine der Morgensonne aus der Ferne herrlich herüber.

Da blieb Alf an einem Steinkreuze am Wege stehen, und ein höheres Roth brannte aus seinen blühenden Wangen, und seine frommen Augen funkelten begeistert nach dem alten Bischofsitze, und er nahm den Hut ab und schwenkte ihn freudig nach der Stadt zu.

Gott grüße dich, werthe Vaterstadt! rief er entzückt. Wohl waren wir lange geschieden, und ich finde die guten Aeltern nicht mehr wieder, die mir vor sieben Jahren das Geleit gaben bis an dieses Kreuz. Aber du schauest mich doch gar hold und freundlich an, als bötest du mir ein herzliches Willkommen. Ja, nichts geht dem Menschen wohl über seine Heimath, und Gott sey Dank, daß ich die meine wieder finde und in ihr den echten, rechten Glauben, in dem ich zu leben und dereinst selig zu sterben gedenke.

Und er setzte den Hut wieder auf und schritt rüstig weiter, immer auf den Lambertus-Thurm zu. Da warf plötzlich der Morgenwind ein dumpfes, vielstimmiges Glockengeläut an des Jünglings Ohr, und zugleich wälzte sich in der wohlbekannten Gegend des St. Mauritius-Klosters eine hohe Dampfwolke empor. Heiliger Gott! da gibt's ein Unglück! rief Alf, und verdoppelte seine Schritte. Indem sah er, wie ihm von der Stadt her ein dickes Menschengewimmel entgegen quoll. Und je näher es kam, desto deutlicher unterschied er die wunderlichen Bestandtheile der Masse, die zu Fuß und zu Roß und zu Wagen geströmt kam. Es schien eine förmliche Völkerwanderung zu seyn. Rathsherren und Domherren, Patrizier und Plebejer, Greise und Sieche, Weiber und Kinder, mit allerlei Habe bepackt, wie sie etwa der Drang des Augenblicks bei einer plötzlichen Feuersbrunst ergreifen läßt, gingen und fuhren und ritten rasch vor dem Wanderer vorüber. Die Männer eiferten mit finstern Gesichtern unter einander, die Weiber weinten, die Kinder schrieen, und der Zug wollte kein Ende nehmen.

Und Alf blieb erstaunt stehen, den Wanderstab unter das schwere Felleisen auf dem Rücken stemmend, und starrte in das bunte Getümmel der Ziehenden. Endlich war alles vorüber, nur noch ein alter Bürger keuchte einzeln den Schaaren nach. Dem trat Alf in den Weg und sprach: Mit Gunst, Vater. Was bedeutet diese allgemeine Flucht? Ist Münster erstürmt von feindlichen Heerschaaren?

Ach schlimmer, antwortete der Greis, und trocknete die Augen: die Wiedertäufer sind Herren der Stadt geworden in dieser Schreckensnacht, und verjagen mit dem Schwerte alles, was nicht zu ihnen gehört.

Gelobt sey Gott! rief Alf mit wilder Begeisterung. Es siegt der wahre Glaube!

Mit zorniger Verachtung sah der Bürger den Jüngling an. Viel Unverstand ist der raschen, unerfahrnen Jugend zu verzeihen, sagte er: doch werdet Ihr gleichwohl dem Herrn Rede stehen müssen für dieß entsetzliche Lob seines Namens!

Er wendete ihm den Rücken und schritt dem Zuge nach. Alf aber rannte in fröhlichen Sprüngen, des Felleisens Wucht nicht mehr fühlend, immer weiter auf Münster zu. Da strömte ihm eine neue Masse Flüchtlinge entgegen, durch die er fast nicht zu dringen vermochte, und der Staub, den Rosse und Wagen und Menschen und die geflüchteten Viehheerden machten, wurde so unerträglich, daß Alf in einem einzelnen Gasthause am Wege abtrat, um das Getümmel vorüber zu lassen.

Als er in der Schenkstube sein Felleisen abgelegt und ein Krüglein Wein begehrt, da ging die Thüre auf und ein hagerer, bleicher Mann im langen, schwarzen Priesterrocke schwankte herein. Ihm folgte ein windiger Bursche mit einem Satyr-Gesichte, der ihm sein Bündel trug.

Ich kann nicht weiter, seufzte der bleiche Mann, und sank auf den nächsten Schemel nieder.

Nun wäret Ihr ja für's erste in Sicherheit, Herr Doktor, sagte sein Begleiter zu ihm, und legte das Bündel auf die Ofenbank. Nun vergönnet, daß ich einen frischen Trunk nehme und mich dann beurlaube von Euch.

Du willst mir also nicht nachfolgen in das gute Hessenland, mein Sohn? fragte ihn der Doktor betrübt.

Nein, antwortete der Bursche: legt es mir nicht ungleich aus. Ich gehe nach Münster zurück. Neu Regiment wird neue Kleider brauchen, weil doch im Rocke ein guter Theil des Amtes steckt. Da wird meine Nadel nimmer feiern dürfen, und ich werde guten Gewinn haben. Obendrein gefällt mir die neue Lehre gar nicht übel, der Satz von der Freiheit und Gleichheit hat mir bald anfänglich eingeleuchtet. Wenn die guten Leute nur nicht immer bald so handgreiflich würden, so wäre gar nichts daran auszusetzen.

Ich glaubte, Du hingest fest am alten Glauben, klagte der Doktor: weil Du so treu bei mir aushieltest.

Nein, ehrwürdiger Herr! versicherte lachend der leichtsinnige Bursche. Ich hing an Euch, weil Ihr mir gutes gethan, und darum konnte ich es nicht über's Herz bringen, Euch in Eurer Noth zu verlassen. Aber nun seyd Ihr wohlgeborgen, und ich kehre zurück an den einzigen Ort, wo unsereins jetzt noch etwas gilt, da ich sonst überall ein Lump bleiben würde mein Leben lang.

Eine Täuschung weniger, seufzte der Doktor und versank in stilles, trübes Nachdenken.

Da trat der Schenkwirth ein mit dem Krüglein Wein für Alf. Aber als er den Doktor erblickte, ließ er den Krug fallen, schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und schrie: Heiliger Gott, auch Ihr seyd verjagt, ehrwürdiger Herr?!

Die treuen Hirten müssen wohl erst vertrieben werden, sprach der Doktor mit schmerzlichem Lächeln: wenn die Wölfe ungestört einbrechen wollen in die unglückliche Heerde. Doch darf ich mich rühmen, daß ich standhaft ausgehalten habe, bis auf den letzten Augenblick, und nur der offenbaren Gewalt gewichen bin.

Wie war das aber möglich in so kurzer Zeit, Herr Doktor? fragte der Schenkwirth. Die Augsburgischen Bekenner waren doch noch sehr mächtig in der Stadt, gleichermaßen die Papisten.

Der entsetzliche Matthäus, erwiederte der Doktor: hatte rings in die Nachbarschaft seine Hirtenbriefe gesandt und alle Anabaptisten gen Münster beschieden. Da strömte alles Gesindel, so daheim nichts zu verlieren hatte, zusammen in die arme Stadt, und in dieser Nacht überrumpelten sie das Arsenal und das Rathhaus und zündeten das Mauritius-Kloster an. Gleich Besessenen rannten sie mit gräßlichem Geheul und Geschrei mit bloßen Schwertern durch die Straßen und brüllten: Thut Buße und lasset Euch taufen! und: Ziehet aus, Ihr Gottlosen! Da galt nicht Stand, noch Alter, noch Geschlecht, kreißende Weiber, Todtkranke wurden unbarmherzig gestoßen aus den Thoren ihrer Vaterstadt, so sie sich nicht bekannten zu dem ketzerischen Heidengräuel. Auch mir blieb nur die Wahl zwischen Tod oder Flucht, oder Apostasie, und weil ich meinte, noch besser nützen zu können durch die Lehre des Wortes bei redlichen Christen, denn durch den Märtyrertod unter den Klauen dieser reißenden Thiere, so schüttelte ich den Staub von meinen Füßen, und entwich, und Gott möge richten!

Ihr thut mir recht aus Herzens Grunde leid, rief jetzt Alf bewegt: denn Ihr habt ein so ehrwürdiges Ansehen, und meint es gewiß recht treu mit Euern Brüdern, wenn Ihr auch im Irrthume wandelt. Aber es ist und bleibt doch ein sträflicher Eigensinn von Euch Lutheranern, daß Ihr so heftig streitet gegen die neue Lehre, die das Recht so klar auf ihrer Seite hat, und die heilige Schrift. Hat nicht unser Herr und Heiland seinen Aposteln ausdrücklich geboten: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie? So muß doch die Lehre der Taufe vorangehen, nach Christi eigenen Worten. Wie dürft Ihr Euch also anmaßen, zu taufen die neugebornen Kinder, die von Gott noch nichts wissen können?

Auch ein Wiedertäufer also? brummte der Schenkwirth und sah den Redner scheel an; und der ehrwürdige Doktor richtete seine Blicke voll rührender Wehmuth auf den Jüngling und seufzte: Wieder ein Lamm, das sich von der Heerde verirrt, und das ich nicht zurückführen kann in den schützenden Pferch. Das thut mir wehe!

Ihr antwortet mir nicht auf meine Frage, sprach Alf mit dem Triumphe des Rechthabens.

Wozu hilft es, den Weg zu zeigen den Blinden, die nicht sehen wollen? rief der Doktor. Ich könnte Euch einwerfen, daß Christi Apostel nur Erwachsene taufen konnten, weil nur diese anfänglich zum Christenthume übertraten, daß aber später des großen Augustinus Flammeneifer den christlichen Aeltern mit Recht die Pflicht an das Herz legte, ihre Kinder schon frühzeitig durch die heilige Taufe in den Bund der Christen einzuweihen, sie dadurch von der Erbsünde zu befreien, und theilhaftig zu machen der Erlösung durch Christum, ehe sie vielleicht ein schneller Tod hinwegrafft in ihrer zarten Jugend. Aber wollte Gott, daß dieses Schisma das einzige wäre, das die Genossen Eures Irrglaubens verfechten mit so fürchterlicher Halsstarrigkeit und Wildheit. Ihr habt wohl noch ganz andere Lehren, welche hinreichen, unsere Erde, diesen schönen Gottestempel, zu einer Mördergrube zu machen. Eure Gütergemeinschaft, Eure Standesgleichheit, Euer Kampf gegen jede weltliche Obrigkeit, führen auf geradem Wege zur gesetzlosesten Verwirrung, zu Raub und Mord und zum unseligen Aufruhr.

Auch die beßre Meinung läßt sich übeldeuten! entgegnete Alf entrüstet. Das Evangelium sieht alle Menschen für gleich an. Der Unterschied, den Geburt, Rang und Güter unter ihnen machen, ist seinem Geiste zuwider. Christen, die seine Lehren zur Vorschrift, und den Geist Gottes zum Führer haben, bedürfen keine Obrigkeit, die unerlaubt eingreift in ihre geistliche Freiheit. Sie können sich selbst regieren nach Gottes Wort, und der heilige Geist wird sie dabei jederzeit leiten, daß sie nicht straucheln auf dem Pfade, den ihnen der Glaube gebahnt hat.

Unglücklicher, bethörter Jüngling! rief der Doktor mit majestätischem Seherblick und Ton. So ziehe denn ein in die unglückliche Stadt, und siehe in des Klosters rauchenden Trümmern, in den blutigen Leichen auf den Straßen, wie der wiedertäuferische Geist Deine Genossen geführt hat zum Raubmorde und Mordbrande! Und ist dieser gräßliche Anblick nicht hinreichend, Dein Herz zu rühren, so denke an das Wort, das ich Dir sage in dieser schweren Stunde im Namen des Gottes, den Euer Treiben lästert. Diese Gräuel werden nur der Anfang Eurer Leiden seyn. Eure Gleichheit wird Euch nur gleiches Verderben, Eure Gütergemeinschaft den Bettelstab bringen, und statt der Obrigkeit, die Ihr vertrieben, werden Bösewichter aus Eurer Mitte aufstehen und mit blutigen Fäusten wühlen in Euern eigenen Eingeweiden, bis der Zorn des langmüthigen Gottes endlich erwacht, bis der Rächer erscheint und Ihr untergeht im gemeinsamen Verderben.

Da kommen Reiter gesprengt! schrie des Doktors Begleiter, der mit seinem Kruge am Fenster stand: und sehe ich recht, so tragen sie unsers Herrn Bischofs Farben. Da möchte es wohl gerathen seyn, daß ich mich nach der Stadt zurück machte.

Des Bischofs Reiter?! seufzte der Doktor. So oft rückt die Rache nur langsam heran, aber dießmal hat ihr der Herr Flügel gegeben, in seinem Grimme.

Des Bischofs Reiter? schrie ängstlich der Schenkwirth. So sey uns Gott gnädig! Die machen keinen Unterschied und scheeren Lutheraner und Wiedertäufer über einen Kamm.

Da sprühten Alfs Augen Flammen. Er riß ein spitziges, zweischneidiges Dolchmesser aus seinem Felleisen, schraubte es auf seinen Wanderstab und hielt sich stoßfertig.

Indem stürmten schon die Reiter in die Schenkstube.

Da ist ja eine ganze Koppel Wiedertäufer bei einander, rief der Wachtmeister. Halftern von den Pferden! wir wollen sie paarweise zusammen binden.

Ich bin der Doktor Theologiae, Theodor Fabritius, rief dieser mit der vollen Würde seines Standes: von den Anabaptisten aus Münster vertrieben, und stehe unter dem besondern Schutze des Herrn Landgrafen von Hessen, Fürstlichen Gnaden.

Was werden wir uns viel um den Ketzer scheeren, schnaubte der Wachtmeister. Macht nicht erst lange Federlesens und unnöthige Discurse und ergebt Euch im Guten, schrie ein Anderer, und packte den armen Doktor beim Kragen.

Da sprang Alf vor und riß die Faust des Reiters kräftig weg. Zurück! rief er, den Dolchspieß vorhaltend. Wer mir den alten Mann anrührt, den steche ich nieder.

Das ist wacker! jubelte der Schenkwirth und trat, mit einem Handbeile bewehrt, an Alfs Seite.

Bürschlein, was ficht Euch an? schrie der Reiter, zurückweichend. Pallasche heraus! der Wachtmeister, und schon flammten die breiten Klingen, da zog neues Pferdegetrappel Aller Augen an das Fenster, und in dem Augenblick drang auch schon ein frischer Haufen Reiter in die Stube.

Gelobt sey Gott! rief Fabritius mit gefalteten Händen. Das ist die Farbe meines Herrn, des Landgrafen!

Was treibt Ihr hier für Unfug, Ihr Bischöflichen? zürnte der Hauptmann, der den neuen Haufen führte.

Darüber werden wir wahrlich keinem Hessen Rede stehen auf unseres Herrn Bischofs eigenem Grund und Boden, polterte der Wachtmeister. Mit größerm Rechte mag ich Euch fragen, wie Ihr Euch auf unser Gebiet wagen mögt mit Wehr und Waffen ohne Geleite?

Unsinniger! rief der Hauptmann. Redet Ihr so mit Euern Verbündeten? Wir sind gesandt von unserm Herrn, dem Euern zu Hilfe gegen die rebellischen Wiedertäufer. Jetzt aber bin ich hierher commandirt zum Schutze der evangelischen Prädicanten, die aus Münster entweichen mußten, und ich werde es nicht dulden, daß Ihr ihrer einen mißhandelt.

Wenn Ihr hofft, daß ich Euch das Alles auf Euer Wort glauben soll, höhnte der Wachtmeister: so irrt Ihr Euch für dießmal. Der Ketzerpriester ist mein Gefangener.

Nichtswürdiger Pfaffenknecht! donnerte der Hauptmann. Wenn des Ritters Wort bezweifelt wird, so hat er keinen Gewährmann weiter, denn sein gutes Schwert. Und er riß den Degen heraus und rief seinen Leuten zu: Haut flach, Kameraden! Und als hätten sich alle Kürschner Münsters versammelt, in der Schenkstube ihre Pelze auszuklopfen, so klatschten die Hessenklingen auf den breiten Rücken der Bischöflichen im gewaltigen Chore, und in einigen Minuten war die Stube leer, und die Hessen saßen hinter den vollen Krügen und machten sich lustig über den leichten, blutlosen Sieg.

Wo wollt Ihr hingeleitet seyn, Herr Doktor? fragte jetzt der Hauptmann höflich.

Ich gedenke gerade gen Kassel, antwortete Fabritius: um dem Herrn Landgrafen Rechenschaft zu geben über meine Mission. So Ihr mir ein Paar Reiter bis Paderborn mitgeben wollt, so werde ich schon zu meinem Ziele gelangen sonder Beschwerde.

Wenn Ihr's vergönnt, Herr Hauptmann, sprach der Schenkwirth: so will ich selber meinen Herrn Beichtvater auf meinem Wäglein führen bis Paderborn.

Ist wohlgethan! antwortete der Hauptmann, und warf jetzt einen Blick auf Alfen, der sein Messer abschraubte vom Stabe und sich zum Weiterwandern anschickte.

Wer bist Du? fragte er ihn mit scharfem Tone.

Ein redlicher Waffenschmidtgesell, antwortete Alf trotzig: der nach Münster einwandert, um Arbeit zu suchen.

Nach Münster? grollte der Hauptmann: zu dem Heerde, an dem der rasende Pöbel das Elend des Landes kocht? und gerade jetzt! so gehörst Du zu ihnen!

Schmach dem Manne, der seinen Glauben verläugnet aus Menschenfurcht! rief Alf. Ja, ich bin ein Taufgesinnter.

Münster braucht jetzt keine Waffenschmiede, entschied der Hauptmann. Kindern und Trunkenen taugt kein scharfes Gewehr. Sie verletzen sich damit und Andere. Du gehst mit uns zurück in's Hauptquartier nach Waldeck.

Nimmermehr! braus'te Alf auf, und zückte sein Messer.

Verzeiht dem Unbesonnenen, bat Fabritius dazwischentretend. Sein Geist liegt danieder in schwerer Krankheit, aber sein Herz ist besser, denn sein Wahnglaube. Er hat sein Leben darangesetzt zu meinem Schutze gegen die Bischöflichen, unbeschadet der Verschiedenheit unserer Meinungen. Laßt ihn ziehen in Frieden.

Ihr wißt nicht, was Ihr bittet, Herr Doktor, sprach unmuthig der Hauptmann. Soll ich es thörig zulassen, daß sich die Rebellen stärken mit dem rüstigen Burschen?

Es sind schon leider der bösen Menschen genug, stellte Fabritius vor: die grimmig wüthen in der unglücklichen Stadt. Glaubt mir, es ist zu wünschen, daß es auch einige gute Seelen unter ihnen gebe, die doch im Stillen so manches Elend lindern, so manches Verbrechen verhüten können. Das ganze Wesen dieses Jünglings sagt mir, daß sein Irrthum nicht lange widerhalten wird gegen die Unthaten, die er sehen wird, und gegen die Stimme der Wahrheit in seinem eigenen Gemüthe, und dann kann er noch ein tüchtiges Werkzeug werden für Gottes Sache. Laßt ihn ziehen um meinetwillen.

So ziehe hin, rief ungeduldig der Hauptmann und ging zum Trinktische.

Gottes Lohn! sagte Alf bewegt und drückte Fabritius Hand an seine Brust. Ihr habt mir einen Mord erspart.

Der Herr erleuchte Dich! sprach Fabritius, zum Valet segnend die Hand auf das Haupt des Jünglings legend: auf daß wir uns dermaleinst freudig wiedersehen.

Ihr sagt das mit so hoher Zuversicht, Herr, rief Alf betroffen: als müsse der Irrthum auf unserer Seite seyn. Ich glaube ihn festiglich auf der Euern. Um Gott, wer hat denn nun Recht von uns beiden in diesem bösen Streite?

Wenn Dir das nicht schon dieser Zweifel selbst sagt, mein Sohn, sprach Fabritius freundlich: so streiche nur den neuen Glauben an dem Probestein Deiner Vernunft und Deines redlichen Herzens, bringe ihn auf die Kapelle der heiligen Schrift, suche die Wahrheit mit Fleiß, und Du wirst sie finden.

Nein, nein! rief Alf im wilden Kampfe seiner Seele. Der göttliche Geist, der aus unsern Sehern spricht, kann nicht trügen. Der Satan selbst hatte mir den frevelhaften Zweifel eingeblasen. Ich reiße ihn aus und werfe ihn von mir, wie ich dem Auge, das mich ärgert, thun soll, nach Gottes Gebot. Hier bin ich noch innerhalb der Grenzen des Antichrists, und seine Macht verdunkelt feindlich meine Blicke. Darum fort in das Reich des Lichtes! Auf, nach dem heiligen Zion!

Und wie ausser sich, stürzte der Schwärmer hinaus, und der ehrwürdige Fabritius sah ihm traurig nach.

Alf wanderte schon mit starken Schritten auf die Stadt zu, da rief es hinter ihm, und der leichte Schneider kam ihm nachgelaufen. Nehmt mich mit, Landesmann, bat er. Ich habe meinen Abschied genommen bei dem Herrn Doktor und möchte gern in guter Gesellschaft nach der Stadt zurück.

Wo waret Ihr denn geblieben bei dem Anfang der Rauferei? fragte ihn Alf.

Hinter dem Ofen, theurer Landesmann, bekannte lachend der Schneider: und als es los ging zwischen den Hessen und Bischöflichen, da kroch ich gar unter den Ofen, damit mich nicht etwa beide Theile für ihren Gegner ansähen und ich doppelte Streiche bekäme.

Schämt Euch, sprach Alf verachtend.

Was ist da zu schämen! plauderte der Schneider. Jeder ehre sein Handwerk. Ein Waffenschmidt mit Beinen und Armen, wie sie Euch der liebe Gott an den Leib geschaffen hat, muß loshämmern auf seine Feinde, wie auf altes Eisen, das ist seine Schuldigkeit. Ein dürftiges Schneiderlein aber, wie ich, hat das Privilegium, davon zu laufen bei solchen Ehrensachen, und ich werde meine Gilde nicht um ihre alten Rechte bringen durch unzeitige Tapferkeit.

Dann begreife ich aber nicht, sagte Alf, wie Euer Hasenherz Euch dulden kann zu Münster, wo es alleweile gar stürmisch und waffenlaut hergeht.

Ei, mir kann kein Haar gekrümmt werden auf meinem Haupte! triumphirte der Schneider. Ich bin ja der alte Zechbruder und Kumpan des zweiten der Propheten, die jetzt gar gewaltig herrschen in der Stadt, und es kann mir nicht fehlen; wenn erst die alte Ordnung vollends auf den Kopf gestellt ist, so werde ich ein hohes Ehrenamt bekleiden, in dem neuen Reiche. Zum Feldherrn weis't mich zwar mein Planet gerade nicht ausdrücklich an, aber einen Kanzlar oder Schatzmeister getraue ich mir vorzustellen, so gut als einer.

Dazu müßt' Euch Gott in seinem Zorne erschaffen, rief Alf mit unwilligem Gelächter.

Weil ich ein Schneider bin? fragte beleidigt der Kanzlar in Hoffnung. Wie blind Euch der Hochmuth macht auf Eure Fäuste, Freund Waffenschmidt! Kommt es denn allein auf feste Knochen an in der Welt? Was ist denn Jan Bockhold von Leiden, unser großer Seher, mehr gewesen, als ein Schneider, und was stellt er Euch jetzt für eine Person vor, und was wird er nicht erst in der Zukunft vorstellen! Es ist noch nicht aller Tage Abend. Er hat einen Kopf für zwanzig, und als wir mit einander herumzogen als Comödianten, weil das Handwerk nicht ging, da hat er Euch die König- und Kaiser-Rollen auf eine Weise herunter geschrien und gefochten, daß alles Respect vor ihm haben mußte. Gebt ihm die Welt, er wird sie Euch regieren, daß es eine Art hat.

Ein Possenreißer um's Brot ist ausersehen, das Werk des Geistes zu treiben in meiner Vaterstadt?! seufzte Alf mit schwerem Bedenken, und eben gingen sie gegen das Thor zu.

Hier wimmelte alles von der Bürger regem Treiben. Die Stadtmauern wurden ausgebessert und erhöht, die Gräben wurden vertieft und mit Pallisaden gespickt, neue Schanzen und Bollwerke stiegen in die Höhe, Hammer und Kelle, Schaufel und Hacke rührten sich rastlos, und die Erdkarren knarrten unaufhörlich. Männer jeden Alters und Standes arbeiteten unermüdet fort gleich Taglöhnern, Weiber und Kinder handlangten, und man sah es deutlich an der Lust und Liebe, mit der hier alles geschah, daß die feurigste Begeisterung die Seele dieses Körpers war.

Nicht wahr, Landesmann, rief der Schneider, Alfen lustig auf die Schulter schlagend, der Bischof wird sich an unsern Mauern noch manchen Zahn ausbeißen, ehe er uns verspeisen kann?

Was bedeutet das? fragte Alf, die Prahlerei überhörend, und zeigte auf zwei große Steintafeln voll Buchstaben, die am Thore hingen.

Das sind die Gebote unsers zweiten Moses, unsers großen Matthäus, erwiederte der Schneider ehrerbietig. Das Volk in der Zucht Gottes zu erhalten, hat er sie in Stein hauen und also an alle Stadtthore hängen lassen, auf daß sich jedermann danach richten möge.

Da rasselten in der Stadt eine Menge Trommeln Allarm, und ein wüstes, durchdringendes Geschrei des tollen Pöbels antwortete dem kriegerischen Rufe, daß es dem festen Alf eiskalt den Rücken herabrieselte, weil es ihm vorkam, als brülle der wüthende Volkslöwe nach Blut.

Die Propheten rufen das Volk zusammen, sprach der Schneider, Alfen fortziehend. Kommt, wir müssen hören, was sie uns zu sagen haben. Wir gehören jetzt auch zum Ganzen, und können unser Wort dazu geben, wenn wir es für gut finden.

Sie eilten dem Markte zu, auf dem das Menschenmeer, wie vom wildesten Sturme bewegt, donnernd und brausend auf und nieder wogte. Um die Lambertuskirche her war das dichteste Gedränge, und die Masse, mit Spießen und Morgensternen und Büchsen bewaffnet, schien hier einen großen Kreis zu bilden, aus dem bisweilen durch den allgemeinere Lärm einige Laute einer einzelnen scheltenden Stimme durchdrangen.

Alf schwang sich auf den Eckstein eines Hauses am Markte, hielt sich an dem eisernen Träger eines Feuerkorbes fest und schaute nach dem Mittelpunkte des Kreises.

Was seht Ihr? rief der Schneider neugierig zu ihm hinauf.

Einen starken Mann, antwortete Alf: in eine grobe, wollene Kotze gekleidet. Kaum vermag ich sein Antlitz zu sehen vor dem wild verworrenen Haupt- und Barthaar. Er schwingt einen mächtigen Spieß gegen einen stattlichen Bürgersmann, der vor ihm auf den Knieen liegt.

Das ist unser großer Matthäus, rief der Schneider.

In dem Augenblicke strömte ein neuer Volkshaufen zu und riß Alfen gewaltsam vom Ecksteine herunter. Der Schneider klammerte sich fest an, um nicht niedergerannt zu werden, und murrte: Es ist doch übel, daß man vor dem Volke nicht dazu kommen kann, zu sehen, was das Volk eigentlich treibt in seiner richterlichen Hoheit.

Gott sey Dank, so finde ich doch einen bekannten Menschen! jammerte ein bleiches, blondes Bürgermädchen, und faßte mit ihren bebenden Händen die Hände des Schneiders. Wenn Ihr ein Menschenherz habt, guter Gesell, so helft uns aus dieser großen Noth. Ihr geltet ja viel bei Jan Bockhold, dem Seher, bittet ihn doch um Gnade für meinen armen Oheim!

Für Euern Oheim, Jungfer Klara? fragte dieser erstaunt: was ist denn dem wackern Meister Trutlinger widerfahren?

Trutlinger, Hubert Trutlinger, der Waffenschmidt? rief Alf bewegt. Mein alter, würdiger Lehrherr? Was ist ihm geschehen?

Ach, sie haben ihn fortgeschleppt vor das Volksgericht! klagte weinend das Mädchen. Er soll die Propheten gelästert haben.

Das wäre ein böser Umstand, meinte der Schneider, und in so schwerem Falle von einer Fürbitte nicht viel zu hoffen.

Doch müßt Ihr die Möglichkeit versuchen, sagte Alf: dem wackern Manne und diesem lieben Kinde zu Gefallen.

Da fiel ein Schuß im Mittelpunkte des Kreises, und gleich einem gräßlichen Wiederhalle tönte ihm ein tausendstimmiges Volksgeschrei nach. Gott, was war das? rief das Mädchen erschrocken. Ich fürchte, meine Fürbitte kommt zu spät, sprach bedenklich der Schneider. Indem öffnete sich der Kreis, und einige Bürger brachten mit traurigem Schweigen den Gerichteten auf ihren Hellebarden herbei getragen. Aus einer Spießwunde in der Seite, aus der rauchenden Schußwunde in der Brust strömte das Blut, und dennoch war der Unglückliche nicht todt, sondern athmete noch unter unendlichen Schmerzen, und hob die Augen klagend gen Himmel. Nicht einmal sterben können, stöhnte er: Du strafst sie schwer, meine Thorheit, o Gott!

Gib Dich zufrieden, Unglücklicher, rief der entsetzliche Prophet, der ihm gefolgt war. Der Himmel hat es mir offenbaret, die Stunde Deines Todes ist noch nicht gekommen. Gott hat beschlossen, Dir Gnade zu erweisen. Bringt ihn in seine Wohnung, gebot er den Trägern: auf daß ihn die Seinen pflegen. Denn der Herr will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe.

Tragt mich rasch fort, bat der Sterbende seine Träger. Diese Bibelsprüche zerschneiden mir das Herz, denn aus diesem Munde klingen sie mir wie Gotteslästerungen.

Sie trugen ihn fort nach seinem Hause. Erschüttert folgte Alf, unter tausend Thränen die arme Klara, die unterweges vergebens mit ihren Tüchern das Blut der quellenden Wunden zu stillen suchte.

An der Thür des Trutlinger'schen Hauses empfing ein wunderschönes Mädchen den Trauerzug. Um das edle, blühende Antlitz schwamm der schwarzen Locken reiche Fülle; der schwarzen Augen Feuer, höher entzündet durch eine liebliche Schwärmerei, drang tief in das Herz; die hohe Stirn, die fein gebogene Nase, der schlanke majestätische Wuchs gaben der ganzen Gestalt etwas Königliches, das selbst die einfache Bürgertracht, durch des neuen Glaubens Strenge jedes Schmuckes beraubt, nicht verdunkeln konnte. Jetzt erkannte sie erschreckend den unglücklichen Oheim und rang die weißen Hände, helle Thränen entquollen den Augen, die sich mit bitterer Klage zum Himmel erhoben, und selbst durch Schmerz verschönt, stand sie da, eine weinende Madonna. Und die stille, anspruchlose Klara ward ganz verdunkelt von der herrlichen Erscheinung, welche Alf mit wahrhaft andächtigen Blicken anstaunte. Um Gott, was ist Euch widerfahren, Oheim? jammerte sie, die Träger begleitend, die den Dulder in die nächste Unterstube trugen, und dort auf ein Bett niederlegten.

Er hat Gespötte getrieben mit der heiligen Sendung unserer Seher, antwortete einer der Träger. Der Prophet Matthäus hat ihn gerichtet vor der Gemeinde.

Gott sey der armen Seele gnädig! murmelte das nachgedrungene Volk und verlief sich, und bald war Alf allein mit den beiden Mädchen und dem Sterbenden.

Wie hat Euch doch der Geist so ganz verlassen, mein armer Oheim, daß Ihr in so schwere Sünde verfallen? klagte das schöne Mädchen, die mit der stillseufzenden Klara seine Wunden verband.

Schweige, Thörin! zürnte der alte Meister mit der letzten Kraft. Wohl hat mich der Geist verlassen, aber nur der höllische Lügengeist der Bösewichter, die ich für Gottes Propheten hielt in meinem Wahnsinn. Mit meinem rinnenden Blute entflieht die Täuschung, die mich vielleicht meine Seligkeit kostet, und ich erkenne es mit Schaudern, wie meine arme Vaterstadt, von listigen Betrügern verführt, auf dem Wege ist zu ihrem Untergange in der Zeit und Ewigkeit.

Gott, er lästert schon wieder, schluchzte das Mädchen. Wir sind nicht allein, Oheim, erinnerte Klara mit sanfter Bitte.

Da erhob Trutlinger den müden Blick nach dem Jüngling und hielt ihn lange fest auf ihn gerichtet, und als er ihn endlich erkannte, bewegte ein Versuch zum Lächeln den Mund, den der Schmerz verzog. Wenn ich recht sehe, sagte er leise: so ist das ein alter, guter Bekannter, vor dem ich mir keinen Zwang anzuthun brauche. Oder sollte ich mich irren, Gesell, wäret Ihr nicht mein vormaliger wackerer Lehrling, Alf Kippenbrock?

Ich bin es, mein würdiger Meister, sprach Alf, trat zu ihm, ergriff seine Hand, und seine Thränen flossen milde.

Das ist Gottes Finger! rief Trutlinger, und eine schwache Flamme zuckte in seinem Blicke. – Diese Dirnen sind Waisen, ihr letzter Schutz geht mit mir zu Grabe. Der Gedanke, daß ich ihre unerfahrne Jugend unberathen zurücklassen soll in dieser Mördergrube, wird mir meinen Tod sehr erschweren. Ihr waret immer ein guter, tüchtiger Mensch, Kippenbrock. So versprecht es denn Euerm sterbenden Lehrherrn mit Mannes Hand und Wort, daß Ihr die armen Kinder beschirmen und bewahren wollt, nach Euerm beßten Vermögen!

Freundlich sah Alf auf die empfohlenen Schützlinge. Mit einem Glutblick blitzte die schwarzlockige Jungfrau ihn an, schüchtern senkte Klara die Veilchenaugen zur Erde. Das Herz des Jünglings schwoll. Rasch drückte er Trutlingers erkaltende Rechte und rief: Ich verspreche es Euch!

Gottes Lohn! röchelte der Greis, sein Haupt sank zurück, und die zerrissene Brust arbeitete im Todeskampfe. Da öffnete er plötzlich noch einmal die Augen weit. Strahlend hoben sie sich zum Himmel. Ja, rief er stark und freudig: ja, Du hast dem Erdensohne seinen Irrthum verziehen! Ich schaue Deine Klarheit! – und war verschieden.

Herr, gehe nicht mit ihm in's Gericht, betete die Schwärmerin mit frommen Eifer.

Mein zweiter Vater! rief Klara mit sanftem Weinen, bog sich auf den Todten herab und küßte zärtlich seine bleichen Lippen.

Nein, rief Alf mit zürnendem Schmerze: dieß Urtheil ward nicht gefällt und vollstreckt nach Deinem Sinne, Geist der Gnade!

 

Am andern Morgen trat Alf in das Gemach seines Vetters Gerhard Kippenbrock, ihn zu begrüßen. Der gute alte Mann, seines Zeichens ein tüchtiger Fleischer, war bei der Umwälzung aller bestehenden Formen zum zweiten Bürgermeister der kaiserlichen freien Stadt Münster gemacht worden, ohne recht zu wissen, wie das eigentlich zugegangen war. Er schritt dem Ankömmling, in seiner schwarzen Amtstracht mit dem Spitzenkragen und der goldnen Ehrenkette, ungemein stattlich entgegen, und stellte ihn einem großen, starkknochigen, hagern Manne vor, der in einem gleichen Ornate am Tische saß und mit halberloschenen Augen, in denen dann und wann die Blitze eines stillen Wahnsinns spielten, vor sich hinstierte.

Du hast gleich hier die beßte Gelegenheit, Dich der Huld unsers ersten Bürgermeisters, des Bruders Bernd Knipperdolling, zu empfehlen, sprach der alte Kippenbrock zu dem Jüngling; und Alf verneigte sich tief vor dem wunderlichen Manne, der ihm etwas unheimlich vorkam, und stammelte einige Redensarten her.

Knipperdolling stach mit einem prüfenden Blicke nach ihm, und sprach dann hohl und eintönig: Ein wohlgebildetes Rüstzeug des Geistes! Dein Vetter, mein Bruder? Er kann Stadtvogt werden zu Zion.

Gott behüte mich, gestrenger Herr Bürgermeister, protestirte Alf. Ich verstehe durchaus nichts von alle dem, was dieß Amt erheischt, und würde Eurer unverdienten Gnade nur Schande machen. Wer den Geist hat, sprach Knipperdolling entscheidend: der bedarf kein irdisches Wissen.

Auch fesselt mich eine heilige Pflicht! rief ängstlich der Jüngling, dem vor der Bürde der angetragenen Würde graute. Ich habe es dem unglücklichen Trutlinger auf seinem Todbette gelobt, mich seiner verlassenen Nichten anzunehmen. Da werde ich vollauf zu thun haben, denn es arbeiten sechs Gesellen auf der verwaisten Werkstatt, und eine Menge Arbeit ist bestellt.

Laßt ihm seinen Willen, bat der alte Kippenbrock den Collegen. Ich kenne ihn von Jugend auf. Land und Leute zu regieren, dazu ist einmal sein Kopf nicht aufgezäumt; aber er ist ein tüchtiger Waffenschmidt, den wir fast nöthig brauchen in dieser Zeit, wo unser Heil ruht auf der Spitze unserer Schwerter.

Schon getauft? fragte Knipperdolling jetzt.

Euer Glaube ist der meine geworden zu Amsterdam, antwortete Alf: aber die Taufe habe ich mir bis hieher aufgespart, weil ich etwas darauf hielt, in meiner guten Vaterstadt das heilige Bad zu empfangen.

Unser Orator, Bruder Rothmann, wird Dich dazu vorbereiten, sprach Knipperdolling.

Ich hoffe, dieser Bruder hat schon einen guten Grund gelegt, sagte ein Mann in schwarzem Priesterrocke, mit einem klugen, kühnen, scharfgezeichneten Gesichte. In diesen Tagen halte ich große Taufe am Aaflusse und erwarte den Katechumenen vorher in meiner Behausung.

Wir wollen seine Zeugen seyn bei dem heiligen Werke, sprach Knipperdolling mit huldreichem Kopfnicken: ich und mein College Kippenbrock.

Der Täufling stammelte seinen Dank für die unerwartete Ehre, da ward die Thür des Gemaches ungestüm aufgerissen und ein Jüngling von Alfs Alter schritt trotzig herein. Sein Gesicht hätte für schön gelten können, ohne die Leichenblässe und die verzerrten Züge, die es entstellten. Die großen Augen, die er unstät umherrollte; das verworrene, sich emporsträubende Haar; das große, härene Gewand, das kaum die Blöße des Körpers deckte; alles das gab der Gestalt etwas Entsetzliches, und Alf erinnerte sich dabei mit einem geheimen Schauer an das Altarblatt einer Kirche, wo er den Widersacher also abgebildet gesehen, wie er den Heiland in der Wüste versuchet. Und alle Anwesenden standen ehrerbietig auf, und die Hände über die Brust gekreuzt, neigten sie sich tief vor dem Jünglinge.

So spricht der Geist durch Eurer Seher Mund, schrie dieser mit seltsamen Geberden: Lasset ausrufen in allen Straßen von Zion, daß ein Jeder darbringe seine ganze Habe an Gold, Silber und Kostbarkeiten, und lege sie zu den Füßen des großen Propheten Matthäus. Denn keiner sey ferner reich oder arm in der Gemeine, die sich der Herr erwählt hat, und Allen gehöre Alles!

Es geschehe also, riefen die Hörer, und ein leiser Seufzer des reichen Fleischers begleitete den Ruf.

Ein rechter Christ bedarf keiner Gelehrsamkeit, fuhr der Seher fort: das innere Wort gilt mehr denn das äußere. Alle Bücher, die der freche Witz der Menschen geschrieben, sind unnütz, wenn sie Lehren enthalten, die schon in der heiligen Schrift begründet sind, gottlos, wenn sie ihr widersprechen. Darum sollt Ihr alle Bücher, außer der Bibel, aus Zion zusammenbringen auf dem Markt, vor der Lambertuskirche, und sollet sie mit Feuer verbrennen, dem Herrn ein süßes Brandopfer.

Es geschehe also! tönte wieder demüthig aus Aller Munde.

Wer aber sündigt gegen eines dieser Gebote, brüllte der Prophet mit wilden Blicken: der soll des Todes sterben!

Amen! sprach der Chor zitternd, und der Seher schritt stolz zur Thür hinaus.

Wer war das? fragte Alf schüchtern seinen Vetter.

Jan Bockhold, unser zweiter Prophet, antwortete dieser kleinlaut: die rechte Hand des großen Matthäus.

Alle Bücher! seufzte der Orator Rothmann.

Alles Gold und Silber! seufzte der ehrliche Kippenbrock ihm nach, und unwillkührlich hob sich seine Hand zum Kopfe, als wenn sie ihn dort kratzen wollte; aber er besann sich noch zu rechter Zeit, daß diese Bewegung dem neuen Bürgermeister nicht wohl gezieme, und ließ die Hand schnell wieder herabsinken.

Der Herr will es, und seinen Knechten ziemt Gehorsam, sprach Knipperdolling zu Kippenbrock. Laß' die Gebote des Propheten ausrufen, mein Bruder. Ich habe noch viel zu thun mit den Verzeichnissen über der Entwichenen Güter, die der Gemeine verfallen sind.

Er ging. Ihm folgte Rothmann. Alles Gold und Silber! klagte der alte Kippenbrock noch ein Mal, und ging ihnen nach.

Gott verzeihe es mir, wenn dieses Gefühl eine Sünde ist, rief Alf, da er sich allein sah: aber diese Propheten kommen mir entsetzlich vor, und nimmer werde ich ein Herz zu ihnen fassen können!

 

Einige Tage verstrichen, in denen Alf, ohne sich um das Treiben der Stadt zu bekümmern, unermüdet fortarbeitete in der Werkstatt des seligen Trutlingers, in der es bei diesen Zeitläufen unerhört viel zu thun gab. Ihn befeuerte der Gedanke, für die schöne, schwarzlockige Elisa zu wirken und zu schaffen, und ob er gleich der stolzen Dirne kein entscheidendes Zeichen ihrer Gegengunst abzuringen vermochte, so waren doch die freundlichen Blicke, die sie ihm dann und wann schenkte, hinreichend, das Liebefeuer in seinem Herzen immer hellbrennend zu unterhalten, und die arme Klara, deren Augen sich nur dann an ihn wagten, wenn sie sich unbemerkt glaubte, wurde ganz übersehen, wie es dem bescheidenen Veilchen immer zu gehen pflegt in der Nähe der königlichen Rose.

Eines Tages rief der Trommeln wildes Rasseln wieder einmal alles, was Waffen tragen konnte, auf den Markt. Dem Rufe gehorsam, rüstete Alf sich und seine Gesellen aus den Waffenvorräthen der Werkstatt, und bald standen sie alle da in blanken Panzern und Sturmhauben, mit Hellebarden und Schwertern wohl bewehrt. Da traten die beiden Nichten Trutlingers in die Werkstatt.

Ihr zieht in den Streit, Kippenbrock? fragte Elisa, ihm mit holdseliger Freundlichkeit zum ersten Mal die Hand drückend, während Klara still und betrübt von weitem stehen blieb.

Und mit recht freudigem Muthe, theure Jungfrau, antwortete Alf zärtlich: wenn Eure guten Wünsche den neuen Krieger begleiten auf seinem ersten Zuge.

Ihr geht in den Kampf für das Wort! rief Elisa begeistert: der Geist ist mit Euch, Ihr müßt siegen!

Schont Euer Leben! flüsterte die schüchterne Klara kaum hörbar, und Alf eilte mit seinen Begleitern fort.

Auf dem Sammelplatze vor der Lambertuskirche wimmelte es schon von Münsters Einwohnern, die, die verschiedenen Gebote ihrer Propheten zu vollstrecken, erschienen waren. Hier loderte ein großes Feuer zum Himmel, das die armen Bücher der Stadt verzehrte, dort nahmen zwei Diakonen Münsters edle Steine in Empfang. Zwei Wahrsagerinnen, mit den Kleinodien der Stadt wohlbekannt, führten die Aufsicht bei dem Geschäft, und klagten jeden an, der etwas unterschlagen wollte, und manche Perlen, aus schönen Augen, bethauten im Stillen die köstlichen Geschmeide, die dem Geist zum Opfer dargebracht wurden.

Während dem hatte sich die gesammte Waffenmacht der Wiedertäufer gesammelt und aufgestellt, und jetzt erschien Matthäus in seiner dunkelhärnen Kotze, den Spieß in der Hand, an dem noch das Blut des unglücklichen Trutlingers klebte, im grimmigsten Zorne, Schaum vor dem knirschenden Munde. Auf seinen Wink schlossen die Bewaffneten den Ring um ihn.

Der eingeborne Sohn des Antichrist, brüllte er: der verruchte Baalspfaffe, der einst tyrannisch über Euch herrschte, Ihr freien Bürger dieser Stadt, der Bischof, rückt mit seinen Soldknechten gegen unsere Mauern heran. Schon hat er rings seine Lager abgesteckt um die Stadt, und lassen wir ihm Zeit, seine Verschanzungen zu vollenden, so bezwingen uns die Memmen, die sich nicht an uns wagen mögen, Mann gegen Mann, zuletzt durch Hunger. Darum spricht der Geist: Mache dich auf, Matthäus, gürte dein Schwert um deine Lenden, nimm fünfhundert Männer mit dir aus der Gemeinde, ziehe hinaus und vernichte die Gottlosen, denn ich habe sie in deine Hand gegeben an diesem Tage. Drum auf, meine Brüder, wer es treulich meint mit unsrer heiligen Sache, wer seinen Nacken nicht wieder beugen will unter das eherne Joch, das wir erst abgeworfen haben mit kühnem Muthe, der trete hervor aus der Gemeinde, der Herr hat ihn zu seinem Streiter ausersehn, und die Heerschaaren der Feinde werden vor seinem Arm zerstieben, wie die Spreu im Winde. Amen.

Während dieser Rede hatte Alf bei sich einen schweren Kampf gekämpft. Gar zu gern hätte er sich einmal mit den Bischöflichen gemessen, die er wüthend haßte in seinem Fanatismus, und gleichwohl hatte er einen entschiedenen Abscheu gegen den Propheten, unter dem er fechten sollte. – Endlich entschied der Gedanke, welche Aufnahme der heimkehrende Sieger von der schönen Elisa zu hoffen habe, und als das Amen des Propheten erschallte, trat der Jüngling vor in den Kreis. Ihm folgten seine Gesellen, diesen das ganze Gewerk der Huf- und Waffenschmiede. An diese schlossen sich aus Handwerksverwandtschaft die andern Eisenarbeiter an, die Fleischer fielen dem Neffen ihres Oberältesten zu, das Beispiel dieser wirkte thätig weiter fort, und bald waren die fünfhundert Freiwillige überzählig und standen da, zum Kampfe bereit.

Du warst der Erste, der heraustrat, sprach Matthäus zu Alf: drum sey auch der Erste im Heere nach mir, und führe es an als mein Feldoberster.

Und der Orator Rothmann schloß den Jüngling feurig in seine Arme und rief: Du solltest zwar heute aufgenommen werden in unsern Bund durch das heilige Bad, aber ziehe hin zu dem größeren Geschäft, zu dem Dich der Herr berufen. Und solltest Du auch fallen im Kampfe für Gottes Sache, so gewinnest Du dadurch die Bluttaufe, die noch kräftiger ist, nach den Lehren der ältesten Kirche, zur Vergebung der Sünde.

Komm, heil'ger Geist, o Herre Gott! stimmte jetzt Matthäus an, und die ganze Volksmasse fiel brüllend ein, und den Spieß schwingend, mit lauter Stimme singend, mit unbedecktem Haupte, ohne Panzer, zog der Prophet voran, dem Thore zu. – Ihm folgte Alf mit den singenden Schaaren. Sie hatten kaum die letzten Aussenwerke im Rücken, als ihnen schon ein Theil des feindlichen Heeres entgegen kam, der einen Versuch machen wollte, die Stadt durch Ueberrumpelung zu gewinnen. – Die Bischöflichen stutzten nicht wenig, als sie einen so starken Haufen erblickten, der ihnen, wegen der gepanzerten Waffenschmiede in den ersten Gliedern, sehr wohlgerüstet vorkommen mußte.

Nun bitten wir den heil'gen Geist! begann Matthäus von neuem den brüllenden Gesang, in den sein Heer freudig einstimmte. Singend stürzte sich der Prophet mit seinem Spieße in die feindlichen Reihen. Neben ihm focht Alf, der sich, der einmal übernommenen Pflicht mehr als getreu, in seiner Rüstung zum Schilde des Propheten machte gegen die Streiche, die dessen unbeschütztem Körper galten. Singend folgten ihnen die Schaaren mit allem Ungestüm der Schwärmerei. Die geistlichen Söldner, durch den wüthenden Angriff erschreckt, und nicht, gleich ihren Gegnern, durch eine Idee zur Todesverachtung begeistert, leisteten schwachen Widerstand, wichen bald und flohen endlich auf beflügelten Sohlen in das Lager zurück.

Der Geist hat uns erhört, Brüder! schrie Matthäus. Laßt uns jetzt aufjagen aus seiner Höhle das rosinfarbene, siebenköpfige Thier, das voller Namen ist der Lästerung; laßt uns die große Babylon herabstürzen aus ihrem goldenen Sattel, daß sie beide fallen in den feurigen Pfuhl, der mit Schwefel brennt. Dran, dran, dran! Und das Mordlied anstimmend, das einst unter Münzers und Metzlers Befehlen die unglücklichen deutschen Bauern zum wüthendsten Vertilgungkampfe entflammt, rannte der Prophet den Pfaffenknechten nach. Dran, dran, dran! brüllte er unaufhörlich, und sein Spieß triefte von dem Blute der Memmen, die sich lieber schlachten ließen, als fechten mochten. Dran, dran, dran! sang das Heer, das ihm im Sturmschritt folgte, und jetzt standen die Sieger vor den Lager-Verschanzungen, hinter denen es von Bewaffneten wimmelte.

Sieg oder Tod! rief Alf, bei dem der Kampf selbst erst die Kampflust recht entzündet, und stürmte den Wall heran, und bald stand er oben, und seine Hellebarde wurde zur Sense des Todesengels für die Bischöflichen. Von Matthäus unaufhörlich angehetzt, folgten ihm die Haufen, die Vertheidiger wurden zurückgetrieben, und tief in das Lager drangen die Wiedertäufer ein, bis dahin, wo von einem reich geschmückten Gezelt das Panier des Hochstifts wehete.

Das ist die Höhle des Antichrists! schrie Matthäus, und stürmte in das Zelt, während Alf die Feinde vollends aus dem Lager verjagte. Als er zurückkehrte von der Verfolgung, hörte er in dem bischöflichen Zelte ein klägliches Jammergeschrei. Er stürzte hinein und sah den gräßlichen Propheten, wie er erbarmenlos wüthete unter der wehrlosen Dienerschaft des entflohenen Bischofes. Schon lagen mehre Leichen am Boden und zwei schöne Edelknaben des Bischofes knieeten eben mit geschlossenen Augen vor dem Ungeheuer, um den Todesstoß zu empfangen.

Aber Alf fiel ihm kräftig in den aufgehobenen Spieß. Du hast mich zum Führer des Heeres ernannt, Bruder Matthäus, sprach er ernstlich: so darf ich's nicht dulden, daß Du meinen Kriegern ein übles Beispiel gibst durch die Ermordung waffenloser Knaben, die wir besser zu Gefangenen machen können, um sie aufzubewahren als Geißeln, und ihre Seelen für den Himmel zu retten durch das Bad unserer Taufe. Zudem haben wir keinen Augenblick zu verlieren. Die Entflohenen haben den Allarm in die andern Lager gebracht, und neue Haufen dringen rings heran. Laß uns nach Münster zurück, die Beute in Sicherheit zu bringen.

Du hast Recht, Bruder! rief, von der Kühnheit des Jünglings bezwungen, der Prophet. Du verstehst den Krieg. Wir wollen fort. Laß unsere Leute zusammen rufen. Diese junge Drachenbrut aber wollen wir mitnehmen, und Du sollst mir mit Deinem Kopfe für sie haften. Ich will sie morgen selber taufen vor allem Volke.

Die Trommeln riefen die plündernden Wiedertäufer zusammen. – Mit reicher Beute beladen, kehrte das Heer nach der Stadt zurück, und die Schaaren des Bischofes, die dem angegriffenen Quartier des Lagers zu Hilfe eilten, kamen gerade zurecht, die letzten Rotten des Ausfalles zu sehen, die in das Thor von Münster einzogen.

 

Eine zahllose Volksmenge jubelte den rückkehrenden Siegern entgegen. Den Seher Jan Bockhold an der Spitze, in weißen Feierkleidern, grüne Tannenzweige in den Händen, sangen ihnen die Dirnen der Stadt ein lautes, freudiges Hosianna. Es that freilich dem feurigen, gemüthlichen Alf ungemein wohl, also gerühmt zu werden von so schönen Lippen. Als er aber daran dachte, daß dieser Lobgesang einem Matthäus eben so gut gelte, als ihm, so trat ein stiller Aerger an die Stelle des Vergnügens der geschmeichelten Eitelkeit, und finster schritt er vor seinen Schaaren her. Jetzt hielten die Haufen auf dem Marktplatze. Die Beute ward als Gemeingut in die Lambertuskirche geborgen, die Edelknaben wurden dem Orator Rothmann zur Vorbereitung übergeben, die Krieger belobt und entlassen, und der Abend dunkelte schon, als Alf mit dem Rest seiner Gesellen, von denen die Hälfte im Treffen und bei dem Lagersturm geblieben war, nach dem Trutlinger'schen Hause ging.

An der Hausthür, die ein Triumphbogen von Tannenreisern überwölbte, trat ihm, noch in dem weißen Feierkleide des Empfanges, mit zauberischem Lächeln die schöne Elisa entgegen. Willkommen aus Kampf und Sieg, Du tapferer Krieger des Geistes! rief sie, und breitete, jeden Zwang jungfräulicher Schüchternheit von sich werfend, ihre Arme nach dem Jünglinge aus.

Theure Jungfrau! stammelte er in der Seligkeit der Ueberraschung bei dem zweiten, süßern Triumphe, den er hier so unerwartet schnell feierte, und drückte das holde Mädchen fest an seinen Panzer, und trotz der unbequemen Sturmhaube suchten und fanden sich ihre Lippen und brannten auf einander mit der Doppelglut des Fanatismus und der Sinnlichkeit, die beide in ihrer Verblendung für echtes Liebesfeuer hielten.

Da trat aus der Thür der Wohnstube ein kleiner, dürrer, gelber Mann, die zerlumpte Tracht in einen zerrissenen, schwarzen Mantel hüllend. Mit einem freundlichen Grinsen schielte er aus den kleinen, grauen, tückischen Augen auf das Paar, und rief dann, die magere Todtenhand gegen Alf ausstreckend, mit heiserem Geheul: Dich habe ich heute geschaut im Traume, Bruder, streitend und siegend für Gottes Sache, und siehe, mein Gesicht hat sich bewährt und der Herr hat Großes vollbracht durch Dich, seinen Knecht. Drum sey fröhlich und guter Dinge, denn zu noch Größerem hat Dich der Geist erkohren, und sein Name wird verherrlicht werden durch Dich in Zion.

Mit lächerlicher Majestät schritt das kleine Ungethüm zum Hause hinaus. Alf sah ihm nach, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sagte: Manchmal ist mir doch in meiner guten Vaterstadt zu Muthe, als wäre ich innerhalb eines Tollzwingers, wo alle Narren frei herumlaufen. Wer war der wunderliche Mann?

Johannes Tuiskoschirer, antwortete Elisa verweisend: ein verarmter Goldschmidt, aber ein großer Mann, seit der Geist über ihn gekommen. Oft schon hat er die Gemeine erbaut durch hocherhabene Reden und göttliche Weissagungen, und nächst unserm großen Matthäus und Johannes ist er jetzt der erste Prophet zu Münster.

Guter Gott! was für eine Menge Propheten! seufzte Alf, während Elisa ihn in das Zimmer führte.

Hinter der kerzenbeleuchteten, festlich geschmückten Tafel saß die blonde Klara. Aufgelös't flossen die blaßgoldnen Locken auf das weiße Feierkleid herab. Der rechte Arm stützte das bleiche, schmerzvolle Gesicht, und aus den blauen Augen rollten helle Thränen in den weißen Busen hinab.

Und Ihr heißt mich nicht willkommen, liebes Klärchen? fragte Alf freundlich die Trostlose: und feiert unsern Sieg mit so herben Thränen?

Mit wehmüthiger Klage hob Klara den Blick zu dem Jüngling empor. Zürnt mir darum nicht, lieber Alf, bat sie mit sanften Tönen: jeder Bluttropfen, der in diesen unglücklichen Meinungkämpfen fließt, fällt vergiftend auf mein Herz. Noch immer kann ich die Erinnerung an meinen armen Oheim nicht los werden; auch er wurde ja geschlachtet für den neuen Glauben, von dem ich noch immer nicht recht weiß, ob er ein wahrer, echter Gottesdienst, oder ein höllisches Götzenopfer ist.

Laß die Thörin! rief Elisa, Alfen den Becher kredenzend: Ihr Geist ist noch nicht wiedergeboren zum Licht. Er liegt noch gebunden in den Ketten der Finsterniß. Er vermag es noch nicht, jedes Gefühl, auch das heiligste, mit Freudigkeit zu opfern auf dem Altare des ewigen Gottes.

Gott bewahre mich vor dieser Freudigkeit! seufzte Klara leise, und mit raschem, warmen Händedruck zog Elisa den Jüngling auf das Ruhbette neben sich nieder. Seine Mitstreiter setzten sich dem schönen Paare gegenüber, und die Freuden des Mahles begannen. Unter der süßen Erzählung des erfochtenen Sieges und den süßern Lobsprüchen der schönen Elisa glitt der edle Rheinwein des alten Trutlinger schnell und lieblich die Kehlen hinunter und verlöschte nach und nach bei Alfen alle Bedenklichkeiten über das ganze Treiben in Münster, die sich seinem, von Grund aus recht tüchtigen Kopfe und Herzen von Zeit zu Zeit aufdringen wollten. Höher flammte das Roth auf den blühenden Gesichtern des Jünglings und der Jungfrau, immer rascher und strahlender kreiseten ihre Augen, immer feuriger ward der Tausch ihrer Küsse. Die Gesellen, die sich, von der trauernden Klara abgestoßen, nur an den Becher halten konnten, erlagen dem gewaltigen Bacchus und suchten, einer nach dem andern, taumelnd ihre Ruhestätten. Aber Alf und Elisa blieben ruhig sitzen und plauderten und küßten und schäkerten mit einander fort, als ob außer ihnen niemand mehr auf der Welt wäre. Auf ihre Kummersäule gestützt, blickte Klara durch Thränen auf das glückliche Paar hin. Nur bisweilen stahl sich ein halb unterdrückter Seufzer aus ihrem Busen, und sie fuhr dann mit der Hand an das Herz, als ob sie dort ein plötzliches Weh empfinde. Schon klang die zweite Stunde nach Mitternacht vom Lambertusthurme. Das Paar saß noch Arm in Arm verschlungen am Tische und sah sich mit hellen, begehrenden Augen an. Da erhob sich endlich Klara von ihrem Sitze, nahm eine der tief herabgebrannten Kerzen von der Tafel und fragte mit erkünstelter Ruhe: Es ist spät, ich gehe jetzt schlafen. Gehst Du nicht mit, Schwester?

Sie bekam keine Antwort, denn die Lippen Elisa's, die eben fest an Alfs Munde hingen, hatten keine Zeit dazu.

O Gott! stöhnte das arme Mädchen leise, und schlich traurig in ihre einsame Schlafkammer.

 

Brust an Brust, Mund an Mund fand der späten Morgensonne Strahl das schöne Paar auf dem Ruhebette entschlummert. Der Erinnerung lieblichstes Lächeln spielte um die sanft geöffneten Lippen, der vollaufgeblühten Rose tiefster Purpur brannte auf den Wangen, und die Herzen schlugen nur leise in süßer Ermattung. Da weckte endlich ein unruhiges Getümmel auf der Straße den Jüngling. – Lange saß er da beweglos, in dem Anblick der schlafenden Schönheit schwelgend, die so innig sein geworden war. Endlich bog er sich sanft auf ihren ihren Mund herab und weckte sie mit einem Kusse. Lieber Alf! lispelte sie zärtlich, und schlang die weißen, vollen Arme um seinen Nacken und drückte ihn fest an sich.

Indem trat Klara, wie Alf durch das Straßengetümmel geweckt, aus ihrer Schlafkammer, sah die Gruppe, schlug die Hände vor das Gesicht, und verschwand mit einem Ach! des Schreckens und des Schmerzes.

Das war meine Schwester?! rief Elisa, sich erschrocken aufrichtend und die dunkeln Locken aus der Stirn streichend.

Sey deßhalb außer Sorgen, mein geliebtes Leben, bat Alf mit süßen Schmeicheltönen. Gleich nach meiner Taufe soll der Bruder Rothmann unsern Bund segnen, und die Schwachheit, zu der sich die Braut vergessen gegen den Bräutigam, wird einen milden Richter finden in dem Geiste der Gnade, welcher waltet über dem neuen Zion.

Das will ich der Thörin sagen! rief Elisa heftig: damit sie mich nicht wieder beleidige mit ihrem kalten, unerträglichen Schweigen, ihrer gewöhnlichen Waffe, wenn wir irgend nicht einig sind. – Mag sie mich tadeln und beneiden, aber sie soll mich achten, auch in meiner Verirrung!

Sie eilte in die Schlafkammer, Alf aber stand auf, um an sein Tagewerk zu gehen in der Werkstatt. In der Thür begegnete ihm sein Wandergefährte, der Schneider.

Was habe ich prophezeiht? fragte dieser ihn, indem er sich ohne Umstände an der Tafel niederließ, die noch von gestern Abend gedeckt da stand. Was habe ich prophezeiht? fragte er wieder, und schnitt sich ein ansehnliches Stück von dem Schinken los, der ihm entgegenlachte. Dann goß er eine Weinneige aus dem Kruge in einen Becher, den er hinunterstürzte, und fragte zum dritten Male: Was habe ich prophezeiht?

Das weiß der Teufel! rief Alf ungeduldig. Es wird allweile so viel prophezeiht in Münster, daß mir der Kopf schon ganz wüste davon geworden ist.

Ich habe es voraus gesagt, sprach der Schneider mit Pathos: daß mein geliebter Freund und Bruder, der Seher Jan Bockhold, noch dereinst eine große Person vorstellen werde in der Welt. Ihr wolltet das nicht so recht glauben, weil Ihr, im Stolze auf Eure groben Fäuste, einen Schneider in keiner Art für voll ansehen mochtet. Dafür ist jetzt ein Schneider Euer höchstes Oberhaupt geworden, und unumschränkter Herr über Euer Leben und Euern Tod.

Ihr habt den Becher zu jach hinuntergestürzt, zürnte Alf: und nun seyd Ihr trunken und verderbt mir die edle Morgenzeit mit Euern ungewaschenen Mährchen!

Es ist nicht anders, murmelte der Schneider aus vollen, kauenden Backen: und wenn Ihr darüber toll und thörig werdet. Hört nur, wie sich das alles so wunderbar geschickt und gefügt hat. Heute bei Tagesanbruch hatte der Prophet Matthäus die Gemeinde auf den Markt berufen, was Ihr schnöderweise verschlafen haben müßt. Dort hatte er erklärt: er werde ausziehn mit einer Hand voll Leute, wie Gideon, und das Heer der Gottlosen schlagen. Nur dreißig Männer rief er aus aus dem Volke und zog mit ihnen hinaus zu dem Lager des Bischofs. Aber ich weiß nicht, hatte er den Geist nicht recht gefragt, oder hatte ihm der Geist nicht recht geantwortet; kurz, geschlagen wurde wohl, aber nicht das Heer der Gottlosen, sondern der gute Gideon mit seinen dreißig Leuten. Es kam kein Mann davon, und als ich mich endlich auch auf dem Markte einfand, da tönte mir ein klägliches Wehgeheul entgegen. Das Volk war außer sich, daß es so schmählicher Weise um seinen Regenten gekommen war, und hie und da meinten einige Gelbschnäbel, daß der große Matthäus doch seiner Sache nicht recht gewiß gewesen seyn müsse. Da trat aber der noch weit größere Jan Bockhold auf und sprach zur Gemeinde. – Gott, was hat Euch der Mann für Worte gebraucht, um die Gemüther wieder zu beruhigen, zu trösten und zu erheben. – Er hatte auch schon Matthäus Tod voraus gewußt und es im Geiste gesehen, daß er, ein zweiter Makkabäus, fechtend für sein Volk fallen müsse. Daraus konnten wir gleich erkennen, daß alles seine Richtigkeit hatte und daß es gar nicht anders seyn konnte, und gaben uns zufrieden. Den Trostredner aber riefen wir gleich auf dem Markte zu unserm obersten Regenten aus, und er commandirt Euch schon, daß es eine Lust ist, und noch weit herrischer und wilder, als sein Vorfahr Matthäus. Sein Leibspruch ist: Das Hohe soll erniedrigt, das Niedrige soll erhöhet werden! drum sollen wir auch die Kirchen schleifen und der Erde gleich machen, weil sie die höchsten Gebäude in der Stadt sind. Das wird ein bischen langweilig seyn, und wir brauchen auch rüstige Arme zur Vertheidigung der Mauern. Da werden wir vor der Hand blos die Gotteshäuser ein wenig plündern, bis ihre Todesstunde schlagen wird.

Auch die Kirchen zerstört? seufzte Alf. Muß auch das seyn?! Es ist schrecklich!

Indem erhob sich draußen ein wildes Volksgetümmel. Beide eilten an's Fenster. Lärmend und schreiend rannte ein Pöbelhaufen vorüber. – Ihm folgte ein nackender Mann, der, wie von einem Dämon getrieben, gesprungen kam, und unter seltsamen Verrenkungen des Körpers unaufhörlich aus schäumendem Munde brüllte. Der König von Zion kommt! So stürzte er vorüber. Der König von Zion kommt, schrie der nachströmende Pöbel, und Alf trat mit Entsetzen über den tollen Frevel vom Fenster.

Wer war der Wahnsinnige? fragte er nach einer Pause den Schneider.

Kanntet Ihr ihn denn nicht? fragte dieser zurück. Unser oberster Prophet, Jan Bockhold, war es ja selbst. Der Geist war über ihn gekommen. Ich muß ihm doch nachgehen und sehen, was er noch weiter treiben wird.

Er ging. Alf aber sprach mit bangem Zweifel zu sich: Und durch ein solches Haupt soll Münster regiert werden. Das kann nun und nimmermehr glücklich enden.

 

Dieß letzte Probestück fanatischer Raserei war dem guten Alf doch so stark vorgekommen, daß er sich so gar nicht mehr sonderlich nach der Wiedertaufe sehnte, die seine geistige Gemeinschaft mit dem Oberpropheten vollenden sollte. Und weil er, trotz seiner Anhänglichkeit an die neue Lehre, einen geheimen Ekel an den unaufhörlichen Ermahnungen, Offenbarungen und Weissagungen zu fühlen begann, mit denen das Volk in einer ewigen ruhelosen Gährung erhalten wurde, so brauchte er die viele Arbeit für die allgemeine Bewaffnung zum Vorwande, sich den öffentlichen Versammlungen zu entziehen, zu denen das Volk täglich zusammengetrommelt wurde. Er lebte in dieser Zeit nur seiner Werkstatt und seiner Elisa, deren wilde Zärtlichkeit seine heißen Jugendsinne in ein Meer nie geahnter Wonne tauchte. Klara sah, nach ihrer Weise, still und geduldig dem Glück des Paares zu, das sich ihretwegen gar keinen Zwang mehr anthat, und wurde blos dabei alle Tage ein wenig bleicher und magerer. Das fiel doch dem gutmüthigen Alf auf, und als er das arme Kind einmal allein in der Wohnstube am Spinnrocken traf, setzte er sich vertraulich zu ihr, und fragte sie, ihre Hand ergreifend, freundlich: Was fehlt Dir denn noch immer, meine gute Schwester?

Ach, nennt mich nicht also, Kippenbrock, sprach Klara betrübt, und entzog ihm die Hand.

Und warum nicht? rief Alf befremdet. Darf ich Dich nicht Schwester nennen, als Dein Bruder im Glauben und der künftige Ehemann der theuern Elisa?

Da hob das Mädchen die trüben Augen mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes zu ihm in die Höhe. Ihr schlagt recht hart auf mein verwundetes Herz, sprach sie: aber Ihr ahnet es nicht einmal, daß Ihr es thut, und darum will ich es Euch recht herzlich gern verzeihen.

Ich verstehe Dich wieder nicht, sagte Alf. Aber ich sehe Dich immer traurig, und das kann ich nicht länger ertragen. Ich fühle mich so glücklich mit Deiner Schwester, daß ich gern alles um mich her glücklich wissen möchte. Darum vertraue Dich mir, gutes Mädchen, und nimm mein Wort, daß ich thun will, was in meinen Kräften steht, Deinen Kummer zu lindern.

Euch soll ich vertrauen? Euch? rief Klara ausser sich, stand auf und wollte entfliehen.

Aber der starke Jüngling hielt sie fest in seinen Armen. Nein, sprach er: liebe Klara, ich lasse Dich nicht, bis Du Dein Herz gegen mich ausgeschüttet. Bei dem ewigen Gott, ich meine es gut mit Dir.

Ach! seufzte Klara, sah ihn schmachtend an, und unvermögend, ihrem Herzen länger zu widerstehen, sank sie an seine Brust.

Da öffnete sich die Thür, und der gräuliche Tuiskoschirer, tief verhüllt in seinen zerrissenen Mantel, trat herein.

Jesus! schrie Klara, als sie ihn erblickte, riß sich mit Gewalt aus Alfs Armen und entsprang.

Mit schmunzelnden Lippen, die es dem Affen abgeliehen zu haben schien, sah ihr das Männlein nach, trat dann feierlich vor Alf hin, und fragte ihn mit heiserer, heulender Stimme: Willst Du König von Zion werden, Bruder?

Ich König von Zion? fragte dagegen Alf im höchsten Grade befremdet. Wie soll ich das verstehen?

Ich frage Dich, heulte Tuiskoschirer: ob Du König werden willst in dem neuen Zion, so vormals Münster geheißen unter dem Antichrist?

Ich soll nämlich über Münster herrschen, als oberster Regent! rief Alf lachend. Das ist ein wunderlicher Antrag, und es kommt mir überdies vor, als ob wir Beide nicht die Männer wären, ihn durchzusetzen.

Blödsichtiger! zürnte Tuiskoschirer. Weißt Du nicht, daß die Ersten die Letzten, die Letzten die Ersten werden sollen? Wir alle sind nur Thon in der Hand des Töpfers. Eben hat sich der Geist an die Scheibe gesetzt, einen König zu drehen. Da will ich Dich hinauf heben, weil Du ein tüchtiger Kriegsheld bist und ein schöner Jüngling obendrein, und das Regiment mit Kraft und Milde führen würdest zum Heil des Ganzen.

Ach, geht mir mit solchen Possen, sprach Alf. Dazu habt Ihr andere Leute als mich, und Jan Bockhold würde gewaltigen Einspruch thun gegen meine Thronbesteigung.

Jan Bockhold, erwiederte Tuiskoschirer: ist eine Feder im Hauche meines Mundes. Wohl hat er sich selbst anzukündigen geglaubt, als den neuen König dieser Stadt, doch soll er nur Dir gedient haben, wenn Du den Zepter annehmen willst. Ich habe den Seher durchschaut. Er hat viel Wuth, doch keinen Muth, und wir brauchen einen vollkommenen Mann auf diesem eisernen Throne!

Es ist also Dein völliger Ernst mit diesem Vorschlage? fragte Alf. So muß ich wohl auch ernstlich antworten. Ich fühle mich nicht geschickt, Land und Leute zu regieren, und ein Amt zu übernehmen, dem ich nicht gewachsen bin, dafür wolle mich Gott bewahren gnädiglich!

Thor! rief Tuiskoschirer: das Herrschen ist so leicht als süß!

Doch schwer und bitter die Rechenschaft dort oben, über schlechtes Regiment, entgegnete Alf. Nein, suche Dir einen andern König!

Da schlug Tuiskoschirer den zerlumpten Mantel aus einander, und zog eine prächtige Königkrone hervor, aus feinem Golde künstlich geformt, herrlich strahlend von Diamanten und Rubinen, Smaragden und Saphiren, und drehte und wendete sie hin und her im Sonnenlichte, daß die goldnen und farbigen Blitze freudig spielten im Gemach herum, und Alf die geblendeten Augen abwenden mußte.

In dieser Krone steckt meine ganze irdische Habe, sprach Tuiskoschirer pathetisch. Kunstreich habe ich sie verfertigt zur Zeit der schweigenden Nacht, als ein Opfer für den Geist, daß er damit kröne den neuen König von Zion. Dich habe ich dazu ausersehen unter Tausenden. Willige ein, und ich will Dir dieß Kleinod auf das Haupt setzen, und darauf befestigen, als mir Gott helfe!

Einen Augenblick sah der Jüngling auf die schöne Krone, und es war ihm schon, als ob der goldene Glanz in ihm die Herrscherlust erweckte. Da siegte aber plötzlich sein besseres Selbst. Hebe Dich weg von mir, Versucher! rief er heftig, steckte die Reichskleinodie dem Propheten mit Gewalt wieder unter den Mantel, und schob ihn behende zur Thür hinaus.

Du wirst es bereuen! heulte das Männlein und verschwand.

 

Der Zwölfherr Dilbek will mit Euch reden, meldete einige Stunden später der Lehrbursche dem arbeitenden Alf. Erstaunt über den Besuch, dessen Namen und Amt ihm gleich fremd war, ging dieser in die Wohnstube, wo ihm in ehrwürdiger, schwarzer Richtertracht, das lustige Narrengesicht auf einer kolossalen weißen Halskrause, die ganze leichte Figur an einem langen Stoßdegen steckend, der lustige Schneider entgegen stolzirte.

Da ich weiß, daß Ihr an meinem Glücke Theil nehmt, mein guter Gesell, schnarrte und lispelte der neue Zwölfherr auf eine unglaublich vornehme Weise, so konnte ich nicht umhin, Euch in Person zu unterrichten von dem, was mir zu Theil geworden ist durch die Gnade des Geistes.

Was soll der Mummenschanz? rief Alf verdrießlich. Zieht doch die Narrenjacke wieder aus. Sie steht Euch auf mein Wort nicht gut zu Gesichte.

Braucht Respect, mein Freund, mahnte Dilbek ernstlich. Jedwede Amtstracht ziert ihren Mann, und diese bin ich verpflichtet zu tragen, als einer der zwölf Richter über Israel.

Ihr? Ihr wäret ein Richter geworden? lachte Alf. Geht und sucht Euch einen andern Narren, der Euch das glaubt.

Ihr seyd und bleibt der ungläubige Thomas, rief Dilbek ärgerlich: und zweifelt an Allem, was Ihr nicht greifen könnt mit Euren Fäusten. So eben komme ich vom Markte, sage ich Euch, wo die Gemeinde das neue Gericht eingesetzt hat.

Und die Bürgermeister und Rathsherren, die uns bisher regiert? fragte Alf.

Abgesetzt, alle abgesetzt! antwortete der Schneider, der, sich selbst beäugelnd, im Gemache herumstieg. Euer Vetter schlachtet wiederum seine Ochsen und Schweine eigenhändig, und der gute Knipperdolling, der ein Gelehrter, also zu nichts Rechtem zu gebrauchen ist, hat das Scharfrichter-Aemtchen bekommen, damit der arme Mann doch zu leben hat.

Um Gott! rief Alf. Wer hat das nun wieder angestiftet?

Diese weise Umgestaltung unseres Regiments ist ausgegangen von unserm Oberpropheten, belehrte ihn der Schneider-Richter. Seit er, vom Geiste getrieben, im Stande der heiligen Natur durch unsere Straßen gerannt war, hatte er kein Wort gesprochen, sondern nur schriftlich zu erkennen gegeben: Er müsse durch drei Tage stumm bleiben. – Als nun die Zeit verflossen war, da entdeckte er das neue Gebot des Geistes. Gestern legte ein edler Rath gehorsam seine Würden nieder, und heute bin ich installirt worden mit meinen Herren Collegen.

Gott erhalte mir meinen gesunden Verstand! rief Alf. Bei diesem tollen Getreibe, bei diesem ewigen Wechsel der Begebenheiten laufe ich Gefahr, ihn zu verlieren.

Nur Geduld, sprach geheimnißvoll der Schneider: es wird noch besser kommen. Ich habe schon allerlei munkeln gehört. Unser Johannes ist nicht der Mann, der auf halbem Wege stehen bleibt. Denkt an das, was ich Euch sagte auf unserer Wanderung nach Münster. Es ist noch nicht aller Tage Abend! – Für jetzt muß ich von Euch scheiden. Wir Zwölfherren sind zur Hochzeit geladen von dem Oberpropheten. Er vermählt sich heute mit der schönen Witwe seines Vorfahren, des großen Matthäus. – Lebt wohl! Ich werde Euch stets gewogen bleiben, und sollte ich auch in Zukunft noch höher steigen auf der Leiter der Ehre, so werdet Ihr doch immer einen gütigen Gönner an mir haben.

Nach einigen mißrathenen Wendungen brachte der Zwölfherr sich und den neuen Degen glücklich durch die Stubenthür.

Freilich! rief Alf unmuthig: wenn dieser Schneidergeist solches Gesindel sehen will auf die Richterstühle meiner Vaterstadt, so möchte es mich bald gereuen, daß ich die Krone ausschlug, die mir doch die Macht gegeben hätte, manchen Unsinn zu hintertreiben.

 

Einige Zeit darauf saß Alf Arm in Arm mit seiner Elisa in der Wohnstube, und Klara spann still am Fenster und netzte den Faden mit ihren bittern Thränen. Da ward die Thür aufgerissen, und ein rüstiger Reitersknecht klirrte herein und rief fröhlich, Alfen die Hand bietend: Grüße Dich Gott, mein trauter Schulkumpan! Kennst Du mich noch?

Hänslein von der langen Strat? rief Alf, den Jugendgespielen freudig umarmend. Willkommen in Münster!

Hänslein von der langen Strat? fragte die schöne Elisa mit feindlicher Befremdung. Wie ist mir denn, waret Ihr nicht bischöflich?

Allerdings, antwortete Hänslein: mit Leib und Seele bis vorgestern. Da bekam ich Händel beim Trunk mit meinem Wachtmeister und legte ihm die Klinge über den Schädel, daß er wohl daran glauben wird. Mein Leben ist mir so lieb als einem, darum machte ich mich still aus dem Lager weg, ritt zu Euch herüber, ließ mir von Euerm Herrn Orator noch einmal den Kopf waschen, und will mich nun tapfer herum schmeißen mit meinen alten Waffenbrüdern.

Wenn Euch der Oberprophet für würdig hält, aufgenommen zu werden in unsere Gemeinde! bemerkte spitzig Elisa, die sich an den leichtfertigen Reden des Ueberläufers gewaltig ärgerte.

Hat mich schon aufgenommen mit offenen Armen, der edle Schneider, erwiederte Hänslein. Ich bin Hauptmann geworden bei der siebenten Compagnie und einquartirt bei dem Bürgermeister, Scharfrichter Knipperdolling, wo es Wein und Dirnen gibt die Hülle und Fülle.

Unwillig stand Elisa auf und winkte Klaren schweigend, ihr zu folgen. Diese gehorchte, und die beiden Freunde blieben allein.

Ein Paar hübsche Mädche! sagte Hänslein, ihnen lüstern nachschauend. Und Du Glückskind bist wohl Hahn im Korbe bei allen Beiden?

Ich bin der Bräutigam der älteren, erwiederte Alf: und kenne meine Pflicht.

Ein Wiedertäufer! und so zimperlich? lachte der Wildfang. Buhle Du immerfort mit Beiden zugleich auf meine Verantwortung. Wenn Dir jemand deßhalb zu Leibe will, so darfst Du Dich nur getrost auf das Beispiel unseres Oberpropheten berufen.

Nicht möglich? rief Alf mit Abscheu.

Da trat Klara ein, setzte einen Krug Wein und zwei Becher vor Alf nieder und ging wieder fort.

Aufmerksam hatte Hänslein sie betrachtet, und als sie hinaus war, sprach er: Läugne es nur nicht erst, Du heimlicher Jünger, daß die Dirnen beide Dein sind. In den Armen der einen habe ich Dich gefunden, und der lange, freundliche Blick, den die Andere jetzt auf dich warf, beichtete auch hinreichend.

Ich sage Dir, Du bist im Irrthum! rief Alf ungeduldig und schenkte die Becher voll. Laß mich zufrieden mit Deinen Possen und thue mir lieber Bescheid auf den Sieg unserer guten Sache.

Mit Vergnügen! sagte Hänslein anstoßend und den Becher hinabgießend: wenn ich gleich noch nicht recht darüber im Klaren bin, wo die gute Sache denn eigentlich zu finden ist, hier oder drüben im Lager des alten Herrn. Aber, um noch einmal auf mein voriges Thema zu kommen, Du machst Dir recht unnöthiger Weise das Leben schwer, Dir und den armen Dirnen. Mein, so heirathe sie doch alle Beide.

Du bist von Sinnen! zürnte Alf. Wie sollte ich also sündigen gegen Gottes Gebot?!

Zeige mir erst eine Stelle in der Bibel, die die Vielweiberei verbeut, sprach Hänslein: und was nicht verboten ist, das ist erlaubt! Die alten Bärte, die Patriarchen, haben sich jederzeit sehr wohl dabei befunden. Freilich, wenn die Weiber gerade unter einander Händel bekommen, da mag es ein wenig stürmisch hergehen im Hause, davon wußte schon Vater Abraham ein Lied zu singen. Aber Du bist endlich der Mann dazu, den Zügel des Hausregiments kräftig zu fassen und tüchtig drein zu wettern, wenn die Weiber über die Stränge schlagen.

Alf mußte doch lachen über den Plauderer, und sagte endlich: Ich weiß nicht, wie Du auf den rasenden Einfall kommst, den Doppelehen das Wort zu reden. Einem Wildschützen wie Dir müßte es, denke ich, lieber seyn, wenn er überall auf ungehegtes Revier trifft.

Es wird schon noch etwas für mich übrig bleiben, sprach Hänslein: innerhalb des Geheges und ausserhalb, und ein hübscher junger Mensch, wie Du, muß jede neue Mode zuerst mitmachen, zumal wenn sie so angenehme Seiten hat, wie diese.

Der Oberprophet würde uns die neue Mode anstreichen, sagte Alf. Steht doch schon nach unsern alten Rechten schwere Strafe auf der Vielweiberei.

Der Oberprophet? lachte Hänslein. Ist doch die Lehre, die ich Dir jetzt gepredigt, aus seinem eigenen Munde geflossen. Wo hätte ich auch sonst die gewaltige Gelehrsamkeit aufgesungen!

Der Oberprophet? schrie Alf entsetzt.

Nicht anders, erwiederte Hänslein. Als er sah, daß ich ihn erkannt auf seinem Schleifwege, da winkte er mich zu sich, schenkte mir einen Beutel voll Ducaten und hielt mir zur Zugabe eine herrliche Vorlesung über die Pflicht eines jeden Christen, mehr als ein Weib zu nehmen, das sey ein Vorrecht, meinte er, das Gott seinen Heiligen vorbehalten, und er werde darum bei der Gemeinde Vortrag thun und selber eine Mandel Weiber nehmen, des guten Beispiels halber, das er schuldig sey dem Volke zu geben.

Das kann doch nimmermehr angehen! meinte Alf kopfschüttelnd.

Was wäre dem göttlichen Schneider unmöglich! rief Hänslein, den letzten Becher hinunterstürzend. Valet, mein Bruder. Ich muß jetzt zur Waffenübung und morgen früh auf die Wache ziehen. Wenn ich abgelöset bin, wirst Du wohl mit Deinen Dirnen im Reinen seyn, dann bitte ich es mir aus, daß Du mich zur Hochzeit ladest.

Er stürmte fort. Alf aber blieb wie betäubt sitzen. Jetzt auch noch Vielweiberei! seufzte er. Jeder alten guten Sitte Zügel zerrissen? Wie soll das enden?!

 

An der neuen Pforte, wo sich der Aafluß in die Ems ergießt, hatte Alf, als erwählter Hauptmann der Waffenschmiede, die Thorwache. Es war schon finstere Nacht, er lag auf seinem Feldbette, und einander verdrängend gaukelten die Bilder Elisa's und Klara's vor seinen halbgeschlossenen Augen. Da rief der wachhabende Bürger draußen an, und bald darauf trat Hänslein, in einen Mantel gehüllt, in die Officier-Stube.

Was bringst Du mir noch so spät, Bruder? fragte Alf befremdet aufspringend.

Unheil! mein Bruder, flüsterte Hänslein. Ich komme im Namen des Oberpropheten. Vor allen Dingen rufe Deine Schaar still und heimlich unter die Waffen, laß die Büchsen scharf laden, verdopple alle Wachen, und laß starke Patrullen streifen. Die Stadt ist in Gefahr von aussen und innen.

Leise ging Alf in die große Wachstube, den Befehl zu vollstrecken. Dann kehrte er zu seinem Freunde zurück und fragte ihn gespannt: Aber was gibt es denn eigentlich?

Die Vielweiberei, antwortete Hänslein: der wir vorgestern die lustige Seite abgewannen, ist verdammt ernsthaft geworden. Heute früh, Du warst eben auf die Wache gezogen, ließ Johannes die Gemeinde zusammen trommeln, und legte ihr die bedenkliche Frage vor. Ein alter Bürger, der daheim an seinem einen Hauskreuze schon genug haben mochte, meinte trotzig, daß ein solches Beginnen gegen die Bibel und gegen alles Christenthum streite. Darüber wurde Herr Johannes, der nicht viel Widerspruch ertragen kann, rasend, ließ den alten Mann auf der Stelle greifen und durch Freund Knipperdolling um einen Kopf kürzer machen. Eine solche Führung des Gegenbeweises kam doch der Bürgerschaft zu kurz und zu stark vor. – Man steckte hie und da die Köpfe zusammen, und ein Rudel Malcontenten beschloß, in einer geheimen Versammlung, die Stadt noch in dieser Nacht dem Bischofe zu verrathen. Aber Herr Johannes, der überhaupt eine gar feine Nase hat, bekam noch zu rechter Zeit Wind davon. Noch stiller als seine Feinde, hat er seine Maßregeln getroffen, und Knipperdolling wird morgen früh gewiß guten Verdienst haben.

Das immerwährende Schlachten! rief Alf schmerzlich. Fast ist das, was wir errungen haben, des Blutes nicht werth, das schon darum verspritzt worden.

Der Baum der Geisterfreiheit, sprach Hänslein ironisch, die Achseln zuckend: muß tüchtig begossen werden, auf daß er wachse und gedeihe.

Unterdeß waren die Patrullen in die Wachstube zurückgekehrt. Die Freunde gingen zu ihnen hinaus. Alles richtig! war die Meldung von allen Seiten. Nur die Mannschaft, die die Aussenwerke durchstreift, wollte in der Ferne verdächtiges Waffengeräusch vernommen haben.

Und Ihr seyd nicht näher hingegangen, um zu sehen, was es gab? schalt Alf. So muß ich wohl selbst streifen, wenn etwas Ordentliches ausgerichtet werden soll. Vorwärts!

Und ihn und Hänslein an der Spitze, zog die Patrulle durch die kleine Nebenpforte hinaus über die Brücken, in die Nacht hinein. Hier steht lautlos, gebot Alf. Ich will mit dem Hauptmann voran schleichen. Sobald Ihr Lärm hört, rückt Ihr rasch nach.

Er und Hänslein gingen jetzt leise voran, immer weiter und weiter, behutsam sich hinter den Winkeln der Aussenwerke herumschmiegend. Jetzt hörten sie plötzlich in der Ferne Sporengeklirr, das sich eilend näherte.

Wir drücken uns hinter die Pallisaden nieder, flüsterte Hänslein Alfen zu. Kaum war es geschehen, so kamen die Sporentritte näher. Zwei dunkle Männergestalten wurden in der Finsterniß so eben sichtbar. Als sie schon bei den Freunden vorbei waren, blieben sie stehen.

Das ist die Stelle, sprach eine tiefe Baßstimme. Gebt das Zeichen, Wachtmeister. Und die andere Gestalt hob die Hand zum Munde und ließ drei Mal einen hellgellenden Wachtelschlag ertönen.

Jetzt drauf! rief Alf, sprang hinter den Pallisaden hervor, packte die erste Männergestalt mit Bärenkraft am rechten Arme und setzte ihr das Schwert auf die Brust. Unterdeß hatte Hänslein einen tüchtigen Hieb auf die zweite Gestalt geführt. Jesus Maria! schrie diese und verschwand in der Dunkelheit.

Memme! zürnte der Andre; aber Alf herrschte ihm zu: Keinen Laut und keinen Zuck zur Gegenwehr, sonst muß ich Euch niederstoßen. Ihr folgt uns in die Stadt.

So enden zu müssen! knirschte der Gefangene, und in dem Augenblicke blitzte der erste Strahl des aufgehenden Mondes vom Rande des Horizontes herüber und beleuchtete die gewonnene Beute. Es war ein stattlicher, alter Rittersmann, eine Ehrenkette über dem glänzenden Silberharnisch, mit einem höchst ehrwürdigen Gesicht, aus dem selbst das unglückliche Ereigniß den entschlossenen Muth nicht hatte verscheuchen können.

Alf erschrak ordentlich vor diesem Anblick, der ihm Rührung und Achtung zugleich abzwang. Dann sah er Hänslein fragend an. Dieser gab ihm den Blick zurück, und Beide blieben, wie auf geheime Verabredung, stehen mit ihrem Gefangenen.

Und diese edle Gestalt sollen wir dem entsetzlichen Johannes überliefern? fragte endlich Alf seinen Waffengefährten.

Es würde mir freilich weh thun, dieß Haupt fallen zu sehen unter dem Schwerte des Henkers, meinte Hänslein.

Du denkst und fühlst, wie ich, Bruder, rief freudig Alf. Drum zieht in Frieden Eures Weges, Herr Oberster, oder was Ihr sonst seyn mögt. Wir wollen keinen Theil haben an Euerm Blute!

Wiedertäufern soll ich meine Freiheit danken, und meine Rettung? fragte halb unwillig, halb erstaunt der Ritter.

Nehmt sie immer an, sagte Alf: und mit ihr den Beweis, daß nicht lauter Ungeheuer in Münster wohnen, wie Ihr bisher geglaubt haben mögt. Scheint Euch aber unser Liebedienst dankenswerth, so bezahlt mit Milde, wenn Euch einer unserer Brüder in die Hände fällt.

Das will ich, Gesell, bei meinem Wort, antwortete bewegt der Ritter. Und daß ich Euch meine gute Meinung gleich recht gründlich beweise, so lade ich Euch ein, mir so fort in das Lager zu folgen. Leute Eures Schlages sind nicht an ihrem Platze in der Thiermenagerie dort drinnen, mit der es doch über kurz oder lang ein schmähliches Ende nehmen muß.

Spart Eure Worte, erwiederte Alf. Wir halten fest am Glauben! Und haben noch ausserdem allerlei triftige Gründe, sagte Hänslein, sich bedeutungvoll an den Hals greifend: uns die Ehre zu verbitten vom Herrn Bischofe.

Unsere Leute nahen! rief Alf, nach der Stadt schauend. Macht, daß Ihr fort kommt, Herr Oberst, ehe es zu spät wird.

Gott zeige Euch den rechten Pfad, Ihr armen Verirrten, sprach mitleidig der Ritter und eilte davon.

Scheltend ging Alf seiner Mannschaft entgegen. Solltet Ihr nicht auf den ersten Lärm herbei kommen? zürnte er. Hörtet Ihr nicht, wie ich: drauf! commandirte? War't Ihr zur Stelle, wie es sich gebührte, so hätten wir einen vornehmen feindlichen Feldobersten gefangen. Jetzt ist er entronnen zu seiner Schaar und wir müssen eilen, daß wir in die Stadt zurückkommen, sonst werden wir am Ende gar noch aufgehoben.

Die ehrlichen Münsterer entschuldigten sich auf das Beßte, baten flehendlich, ihr Versehen dem grimmigen Johannes zu verschweigen, und folgten mit gesenkten Häuptern den Freunden zurück in die Stadt.

 

In Münster erhob sich jetzt ein Lärm, als ob die Welt untergehen sollte. Die Glocken stürmten, die Trommeln rasselten, und die bewaffnete Masse lief mit wildem Gebrüll zusammen. Alf bestieg mit Hänslein den Wall über der Thorwache und sah herab auf die Stadt, in deren Straßen jetzt überall die Feuerkörbe angezündet wurden. Vom Markte vor der Lambertuskirche schlug ein großes Feuer seine Lohe gen Himmel, und ein schreckliches Gejauchz' und Geschrei vieler Tausende tönte von dort herüber.

Das ist eine wüste Nacht! sagte Alf finster, sich auf sein Schwert stützend.

Wenn ich sagen wollte, sprach Hänslein: daß es mir sonderlich gefiele in der guten Stadt, so müßte ich es lügen. Wär meine unglückliche Ehrensache nicht, so wäre ich in Gottes Namen mit dem Herrn Obersten in's Lager zurückgewandert.

Endlich schien sich auf dem Markte aus dem wilden Chaos eine gewisse Ordnung zu entwickeln, aber sie war, wie hier alles, von entsetzlicher Natur. Einem kurzen grimmigen Volksgebrüll folgte eine tiefe, schauderhafte Pause, dann knallte eine Büchsensalve, dann trat wieder eine Pause ein, und so wechselten Geschrei, und Pausen, und Schüsse mit einander ab, bis Hänslein gegen zwanzig Salven gezählt hatte.

Was mag das Schießen bedeuten? fragte Alf kleinlaut, als ahne er, was darinnen vorgehe.

Herr Johannes mag allweile eine starke Reinigung unter seiner Heerde vornehmen, meinte Hänslein.

Muß denn das so seyn, rief Alf mit herbem Schmerze: daß bei jeder Umwälzung, wenn sie auch noch so ehrlich gemeint ist, noch so sehr frommt zum Heil des Ganzen, sich Männer an die Spitze stellen, die kein Herz im Leibe haben und schonunglos schalten mit dem Leben ihrer Brüder!

Es scheint so, erwiederte Hänslein. Wer sich an die Spitze stellt bei bürgerlichen Unruhen, muß schon an sich ein verwegener Kerl seyn, der nicht mehr viel zu verlieren hat an Hab' und Gut und an Gewissen. Der setzt dann unbedenklich über jede Schranke, und auf ein Paar Dutzend Menschen kommt es ihm gar nicht erst an. Leute wie Du, mein Bruder, würden recht gute Volksführer abgeben, wozu eigentlich nur Kraft und Redlichkeit und gesunder Sinn gehört; aber gerade die ziehen sich zurück bei solchen Gelegenheiten, aus Mangel an Selbstvertrauen, und lassen den Teufeln freies Spiel, woran sie eigentlich sehr Unrecht thun.

Als Alf dachte dabei an Tuiskoschirers ausgeschlagene Krone und an des alten Fabritius Prophezeihung, rief zuletzt unmuthig: Zur unglücklichen Stunde bin ich in meine Vaterstadt heimgekehrt! und ging nach der Wache zurück.

 

Mit seiner abgelösten Mannschaft zog Alf am andern Morgen über den Markt. Gräßlich war der Anblick, der hier seiner harrte. Der Platz vor der Lambertuskirche hatte sich in einen großen Schlachthof verwandelt, wo das Menschenfleisch wohlfeil war. Eine Menge Unglückliche, an Pfähle gebunden und durchschossen, hatten theils schon ihr Leben ausgeblutet, theils wanden sie sich noch, schlecht getroffen, in den Qualen des Todeskampfes. Andere lagen, theils zerfleischt von Schwerthieben, theils enthauptet, auf dem blutigen Steinpflaster, und der rasende Knipperdolling in seiner neuen Amtstracht, in dem rothen Wams und den aufgestreiften, blutbespritzten Armen, schwang noch immer unermüdet das breite Henkerschwert, und abermals knieete ein Schlachtopfer vor ihn hin, und noch mehrere wurden herzugetrieben von den Bewaffneten.

Links schwenkt! commandirte Alf, die Augen schaudernd wegwendend, und führte seine Schaar in eine Seitenstraße, um auf Nebenwegen zum Waffenplatze der Compagnie zu gelangen.

Als die Leute aus einander gegangen waren und Alf in sein Quartier trat, kam ihm mit rothen Augen, Verzweiflung im Blicke, das arme Klärchen entgegen.

Vergönnt mir ein einsames Gespräch, Kippenbrock, bat sie. Es gilt mein Leben, und wenn Ihr mich schon gering achtet, so ist doch Euer Herz zu gut, um nicht an einer Unglücklichen Theil zu nehmen, die in Euch ihren letzren Hort zu finden glaubt.

Um Gottes willen, was ist hier vorgegangen? fragte Alf erschrocken, während ihn das Mädchen in den Garten am Hause führte. Sprich, liebe Klara, und schütte Dein Herz aus gegen mich. Mein Blut für Dich!

Der Oberprophet und die Zwölfherren, antwortete Klara: haben ein Mandat erlassen, das die Vielweiberei nicht blos erlaubt, sondern befiehlt. Sich dieser geistlichen Freiheit nicht bedienen, heißt ein Verbrechen. Spione durchsuchen die Häuser und ziehen die mannbaren Dirnen hervor, die auf der Stelle heirathen müssen. Ich hoffte, in meiner Unbedeutendheit den Schutz meiner jungfräulichen Ehre zu finden; aber der häßliche Tuiskoschirer hat mich zur dritten der Eheweiber ausersehn, die er heimzuführen gedenkt, und ehe ich mich an der Hand dieses Unsinnigen dem Verderben weihe hier und dort, eher springe ich in den Aafluß, um dort das Ende meiner Leiden zu finden.

Behüte uns Gott! rief Alf. Du sollst weder in den Fluß springen, Klärchen, noch in Tuiskoschirers Arme, in denen es sich wohl noch schlechter ruhen mag. Ist der alte, kleine Alraun rasend, die Augen zu erheben zu einer so schmucken Dirne?

Ein Mittel gibt es noch zu meiner Rettung, sprach Klara. Ihr werdet meine Schwester heirathen, lieber Schwager. Darum bitte ich Euch, schenket auch mir aus Mitleid den Namen Eures Eheweibes, daß er mich schütze vor der Frechheit lüsterner Angriffe. Versteht mich recht, fuhr sie heftig fort: ich begehre nur den Namen Eures Eheweibes. Dieß Verhältniß soll Euch und mir weder neue Pflichten, noch neue Rechte geben, und wendet sich dereinst das Schicksal dieser unglücklichen Stadt, dann sind wir beide an nichts gebunden.

Es ist nur gar schlechtes Vergnügen bei einer solchen Scheinehe von beiden Seiten, wendete Alf ein. Solltest Du nicht eher einen andern jungen, hübschen Burschen finden in Münster, mit dem Du einen ordentlichen, gehörigen Ehestand führen könntest nach Gottes Gebot?

Gott behüte mich vor den Männern! rief Klara, indem eine plötzliche dunkle Purpurröthe die bleichen Wangen überflog. Nach dem, was ich hier erlebt, sind sie mir alle zum Gräuel geworden. Auch Euch wähle ich wahrlich nur aus Todesangst, und weil die Verhältnisse es gerade so fügen, daß ich nach Euch heißen kann, ohne Euch anzugehören.

Die Werbung ist zwar nicht sonderlich verbindlich, mein Klärchen, sagte Alf: aber ehe Du mir in's Wasser springst, muß ich wohl Ja sagen. Wenn ich die Sache nur erst Deiner Schwester mit guter Art beigebracht hätte. Ich weiß nicht, ob sich die hochfahrende Dirne so gutwillig fügen wird in das neue Gesetz der Zwölfherren.

Es gilt ja das Leben ihrer Schwester, rief Klara mit bitterer Wehmuth: die ihr gern Magd bleiben will, nach wie vor, und freudig auf jeden freundlichen Blick ihres Ehegatten verzichtet.

Das wird eine wunderliche Ehe geben, sprach Alf, sich verlegen die Hände reibend. Indeß immer hinein mit Gott. Es wäre gut, wenn es zur Zeit nichts Wunderlicheres gäbe in unserem Münster.

Da kommt der Unhold, schützt mich, Kippenbrock! kreischte Klara, ihr Gesicht an Alfs Brust verbergend.

Dieser sah auf. Von Elisa geführt, trat der würdige Tuiskoschirer in den Garten. Hinter ihm wimmelte ein Haufen zerlumptes, bewaffnetes Gesindel.

Was Du auch thun magst, mein Bruder, heulte der kleine Prophet. Ich kann dennoch nicht von Dir lassen. Unsere Namen müssen neben einander stehen im Buche des Geistes. Du hast die Verbindung schnöde zurück gewiesen, die ich Dir antrug aus gutem Herzen. Dennoch bringe ich heute ein neues Band, uns beide zu verknüpfen in Bruderliebe. Ich werbe um die Schwester Deiner Braut, lieber Schwager, und will sie heimführen als mein christliches Eheweib.

Ich bedaure, mein Bruder, sprach Alf, Klara in seine Arme schließend: daß Du zu spät kommst. Dem neuen Gesetz unsers Oberpropheten gehorsam, habe ich die Dirne so eben gebeten, meine zweite Frau zu werden, und ihr Jawort erhalten.

So?! fuhr die stolze Elisa heraus, biß sich in die Lippen und schoß einen nicht allzu schwesterlichen Blick auf die arme Klara.

Ei! stammelte Tuiskoschirer, auf den der Schrecken und der Zorn schlagähnlich gewirkt hatten.

Ehre dem Propheten, dem großen Tuiskoschirer, seine Werbung geht vor! rief einer aus dem zerlumpten Brautgefolge, sprang auf Klara zu, packte sie bei dem Arme und wollte sie mit Gewalt hinüber reißen zu dem abscheulichen Freier. – Da faßte ihn aber der riesenstarke Alf um den Leib und schleuderte ihn mit gewaltigem Schwunge über die Gartenplanke. Wer will noch was?! rief er dann kräftig und trat gegen den Haufen vor. Erschrocken wich das Gesindel zurück und suchte die Thür. Knirschend sprach Tuiskoschirer: Es war ja nur um einen trotzigen Bescheid zu thun, und folgte seinen Trabanten.

Also Schwester und Schwägerin zugleich? fragte Elisa bitter, auf Klaren zeigend. Das hätte doch wohl billig vorher mit mir besprochen werden müssen! und verließ stürmisch den Garten.

Noth kennt kein Gebot, liebe Elisa! stellte Alf vor, indem er ihr nacheilte.

Es ist eine schwere Pflicht, die ich übernommen, sprach Klara zu sich: gegen den Mann mich kalt zu stellen, den ich mehr liebe, denn alles in der Welt; aber Gott wird mir helfen!

 

Im Laufe der nächsten Woche hatte Alf die zürnende Elisa nothdürftig besänftigt. Sie hatte sich mit schwerem Herzen darein gefunden, mit der ungeliebten Schwester den Namen des geliebten Gatten zu theilen, und Alf ging nun zu seinem ehrlichen Vetter, dem weiland Bürgermeister Gerhard Kippenbrock, um diesen zum Verlobungfeste zu laden. Er fand den guten Mann, ein friedliches Gegenbild seines schrecklichen Excollegen, in dem kurzen, braunen Fleischerwams und der weißen Schürze, die Arme aufgestreift, in der Hausflur stehend und Wurst machend, und das dicke, rothe, zufriedene Gesicht, voll glänzender Schweißperlen, bewies, daß er sein Werk mit recht freudigem Eifer treibe.

Das freut mich, guter Vetter, sprach Alf, ihn begrüßend: daß Ihr Euch so geschwind gefunden habt in den Wechsel irdischer Hoheit.

Ja, Vetter, erwiederte Gerhard vertraulich, während das Wurstmesser ruhte: Dir mag ich es sagen, Du wirst reinen Mund halten, und so bleibt es doch in der Familie. Als ich den Bürgermeisterrock ausziehen mußte und die schöne goldne Kette abthun, da war mir's doch, als hätte mich einer mit dem Beil vor den Kopf geschlagen, wie einen Mastochsen, und ich konnte meinen Ehrenposten in den ersten Tagen gar nicht verschmerzen. Aber als ich nur wieder angriff, da wurde mir allmälig besser zu Sinn, und jetzt ist mir wieder recht wohl. Es war doch eben auch viel Schererei bei dem Amte, und ich wußte mich manchmal gar nicht recht darein zu schicken. Wenn man auf einmal allerlei üben soll, was man in seinem Leben nicht gelernt hat, so stellt man sich gewaltig ungeschickt dazu an, und thut wohl manchmal den Leuten Unrecht, selbst wider Willen. Ein wahres Glück war es noch, daß der College Knipperdolling die gelehrten Spitzfindigkeiten allein zu besorgen hatte, sonst hätte ich gleich am ersten Tage davon laufen müssen. Jetzt lebe ich dagegen wie im Himmel, denn meine Ochsen und Schweine zu schlachten, das verstehe ich aus dem Fundament, meine Würste sind noch immer die beßten in Münster, und es ist doch ein ganz ander Ding, wenn man in dem recht zu Hause ist, was man treibt. Siehst Du, und wenn mich der Oberprophet jetzt auf einmal zu einem noch so großen Thier machen wollte, so wahr ich Gerhard Kippenbrock heiße, ich sagte nein! und bliebe bei meinem Beil und Hackeklotz!

Alf lobte die edle Entsagung des Vetters gebührend, und brachte dann seine Einladung zierlich vor.

Viel Glück dazu! rief Gerhard, dem Vetter treuherzig die Hand schüttelnd. Daß alles Fleischwerk zur Verlobung und Hochzeit meine Sache ist, versteht sich schon von selbst, und ich werde auch sonst noch sorgen für die neue Wirthschaft.

Alf wollte gegen diese Großmuth Einspruch thun. Das muß ich alter Ehekrüppel besser verstehen, als Du junger Guck in die Welt, fuhr ihn der Vetter an. Ich weiß, was mich meine einzige Hausehre gekostet hat, und Du nimmst bald zwei auf einmal. Da kommen die reichen Tellermützen und Lätze, die tuchenen und die seidenen Wämser und Röcke, und die Pelzmäntel, und Schuhe und Strümpfe, und die goldnen Platte mit den Schaustücken, und das Bette und das andere Weißzeug, kurz alles gleich doppelt vor, und, Gott stehe uns bei, am Ende auch das Kindbette und die Wiege. Da wirst Du tüchtig den Hammer führen müssen in der Werkstatt, um nur für das Nöthigste zu sorgen, und der alte Vetter Fleischer wird Dir dabei recht gut zu statten kommen.

Die Hälfte dieser Voraussetzungen niederzuschlagen, erzählte Alf die Art, wie er zu der zweiten Braut gekommen war.

Ei, sieh doch, sieh, sprach Gerhard: das gefällt mir ordentlich von dem Kinde. Zwar ist das Ding gar seltsam gestaltet, und der Oberprophet möchte allerlei dagegen einzuwenden haben, wenn er's erführe; aber ich freue mich recht, daß Du bei der Gelegenheit zu der Dirne gekommen bist, die ich Dir, ehrlich gestanden, am liebsten gegönnt hätte von den beiden Schwestern. Sie hat ein engelgutes Herz. Die Else ist gerade nicht schlimm, aber doch gewaltig herrisch und hochfahrend, und würde Dir manchmal den Kopf nicht schlecht warm machen, besonders, wenn Dir etwa mit der Zeit das Klärchen tiefer in's Herze hinein wachsen sollte.

Alfs Betheuerungen, daß so großes Uebel fern von ihm seyn solle, verklangen in dem wüsten Geschrei, mit dem jetzt die Volksversammlung sich vom Markte in die Straßen verlief.

Wieder einmal Gemeindetag gewesen, brummte Gerhard, durch das Fenster sehend. Und so geht das in einem fort. Da wird zusammengelaufen, und in einem fort geschrieen und gewüthet; und dann und wann einem der Kopf vor die Füße gelegt, und wenn man's beim Lichte besieht, so ist eben auch nicht viel ausgerichtet zu Ruh und Frommen des Ganzen, und dabei schließt uns der Bischof immer enger und enger ein, daß wir bald gar nicht mehr werden vor die Stadt hinaus kommen können. Manchmal habe ich schon die Geschichte recht satt. So lange noch meine Ochsen vorhalten und ich sie austreiben kann auf unsre Hutung, so lange will ich mir den Spaß noch mit ansehen; aber geht es damit zu Ende, Gott verzeihe mir die Sünde, so werde ich bischöflich, so gut als einer!

Schweigt, Vetter! rief Alf, der eben den Zwölfherrn Dilbek vor dem Straßenfenster vorbei gehen sah.

Gerhard schlug sich auf den Mund, und der Schneider tanzte herein und umschlang den dicken Fleischer mit liebender Inbrunst.

Ich grüße Dich, theurer Bruder und Collega! rief er entzückt.

College? murrte Gerhard, und wendete sich wieder zu seinem Wursttische. So weit sind wir nicht.

Was habe ich gesagt, rief Dilbek, Alfen auf die Schulter schlagend: was habe ich zu Euch gesagt auf unserm Gange nach Münster?

Eure Reden haben bei mir nicht so viel Gewicht, daß ich mir sie alle merken sollte, antwortete Alf mürrisch.

Ich habe gesagt, declamirte Dilbek: gebt unserm Propheten, unserm großen Johannes die Welt, er wird sie Euch regieren, daß es eine Art hat. Nun, der Anfang ist gemacht. Johannes der Erste ist König zu Zion, sonst Münster genannt, geworden am heutigen Tage.

König?! schrieen Alf und Gerhard aus einem Munde.

König! wiederholte Dilbek. Und er hat es wieder schlau angestellt, wie gewöhnlich. Heute früh ließ er uns Zwölfherren in seine Behausung berufen. Also spricht der Herr, verkündete er uns: Gleichwie ich vormals, Ihr Richter in Israel, den Saul und nach ihm den David von einem Schafhirten zum Könige über das Volk gesetzt habe, also setze ich Johannes Bockhold, meinen Seher, zum Könige von Zion.

König?! seufzte Alf leise vor sich hin, und dachte noch einmal mit bitterer Reue an Tuiskoschirers Krone.

Ehrlich gestanden, plauderte Dilbek weiter: wir konnten dieser Offenbarung keinen rechten Geschmack abgewinnen, weil sie unsere Amts-Autorität schmälerte, und wir hatten viel dagegen einzuwenden. Aber da kamen wir schön an. Ihr Blödsichtigen! schrie der Prophet, muß ich nicht dieses Amt auf mich nehmen, gegen meinen Willen? Lieber wollte ich ja Pferde und Ochsen hüten, wenn ich mich nicht durch die Hand Gottes gezogen fühlte kräftiglich. Darum danket ab von Eurem Amte zur Stunde und huldigt Euerm Könige.

Der Mann hat eine ordentliche Wuth, die Leute abzusetzen von Amt und Würden, brummte Gerhard im Aerger der Erinnerung.

Wir wollten noch immer nicht daran, erzählte Dilbek weiter: und weil wir uns keinen andern Rath wußten, so schoben wir alles auf die Gemeinde. Das half uns aber nichts. Während Johannes uns in Schweiß setzte, hatte der alte, dürre Fuchs Tuiskoschirer schon das Volk bearbeitet, und als wir Zwölfherren in corpore den Propheten auf den Markt begleiteten, da kam uns schon das Männlein entgegen mit einem mächtigen bloßen Schwerte, das er dem Johannes überreichte. Im Namen Gottes übergebe ich Dir die königliche Würde, Johannes, heulte er. Regiere Dein Volk wohl! – Es lebe der König von Zion! schrie die Gemeinde aus einer Gurgel, und wir Zwölfherren standen da und sahen einander an, als ob uns die Butter vom Brote gefallen wäre. Da ließen aber Ihro Königliche Majestät Gnade für Recht ergehen, und beförderten einen Theil von uns zu hohen Ehren, sich zugleich ihrer alten Mitarbeiter am Reiche Gottes huldreichst erinnernd. Knipperdolling ist hoch gestiegen, vom Büttel zum Gouverneur der Stadt, Barend Rothmann ist königlicher Orator, ich bin Oberhofmeister, vier Zwölfherren sind königliche Räthe geworden, und in Euch, Herr Gerhard, habe ich die Ehre und die Freude den königlichen Schatzmeister zu begrüßen.

Treibt keine Possen! polterte der Fleischer, indem sein Vollmondgesicht in der Verklärung der Freude noch einmal so roth glänzte.

Wie möchte ich mich entblöden, sprach Dilbek: unziemlich zu scherzen mit einem der Großwürdenträger des Reiches zu Zion!

Man möchte verrückt werden über die unaufhörlichen Neuerungen, sagte Gerhard, und ließ sich von Alfen eilig Wasser auf die Hände gießen, und wusch sich Gesicht und Arme sauber ab.

Zugleich, fuhr Dilbek fort: bringe ich dem Herrn Schatzmeister die Einladung Seiner Majestät, sich schleunigst in Dero Palast zu verfügen, um Dero fernere Befehle zu vernehmen.

Mein schwarzes Ehrenkleid, Susanne! schrie Gerhard in die Wohnstube hinein: meinen Mantel, mein Feder-Baret, meine goldne Kette, meinen Degen!

Ihr heißt doch noch Gerhard Kippenbrock? fragte Alf bedeutend, den wankelmüthigen Vetter an die vorige Betheurung zu erinnern.

Halt das Maul! rief der neue Schatzmeister, und fuhr, trotz seiner Wohlbeleibtheit, mit Blitzesschnelle in die Amtstracht, die ihm seine Frau mit freudigem Staunen brachte.

So es Euch gefällig ist, Herr Oberhofmeister, sprach er gravitätisch zu Dilbek: so begebe ich mich jetzt in Eurer Gesellschaft zu des Königs Majestät.

Ich empfehle mich Eurer Gunst, Frau Schatzmeisterin, sprach Dilbek mit einer zierlichen Verbeugung zu der Fleischerin, und die beiden Großen des neuen Königreichs gingen von dannen.

Jetzt ist Münster ganz und gar toll geworden, rief Alf: und mein ehrlicher Vetter dazu. Wenn ich es doch nur auch schon recht vollständig wäre, ich würde mich weit besser befinden, als jetzt in meinen lichten Augenblicken!

 

Einige Zeit darauf kam Alf um Mittag aus der Werkstatt in die Wohnstube. Das Essen rauchte schon auf dem Tische, aber seine zwei Bräute standen am Fenster, neugierig einige Münzen betrachtend, die ihnen Tuiskoschirer vorzeigte. Alf trat hinzu.

Die Gold- und Silbermünzen, die der neue König prägen lassen, sprach Tuiskoschirer freundlich, wie Bleizucker, und legte ihm ein Paar in die Hand. Alf las den Revers:

Das Wort ist Fleisch geworden, und wohnet in uns. Wer nicht geboren ist aus dem Wasser und Geist, kann nicht eingehen in das Reich Gottes. Ein König über uns, ein Gott, ein Glaube, eine Taufe. Zu Münster 1534 In der Urschrift:
Dat Wort is Fleisch geworden, und wanet in uns. We nich gebors is uth de wat un geis, mag nich ingaen int Rike Godes. Ein Konig uper ous, ein Godt, ein Gelove, ein Doepe.
Tho Munster 1534.
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Das walte Gott, daß es bald überall so seyn möge in der Welt! seufzte Tuiskoschirer, und verdrehte fromm die Augen.

Unter diesem Könige werden wir bald zu diesem Gipfel des Heils gelangen! rief Elisa, die Münze aus Alfs Hand umkehrend. Des Sehers wildbegeistertes Gesicht im königlichen Schmucke sprang kühn geschnitten und wohl getroffen in die Augen des Schauenden.

Alf sah in das wilde, zornige Auge des Bildnisses, das in dem meisterhaften Gepräge fast zu rollen schien, dachte an des Urbildes letzte erbarmenlose Menschenschlächterei, und von einem plötzlichen Schauer ergriffen, warf er die Münzen auf den Tisch.

Aber Elisa nahm hastig die größte auf, sich noch einmal an dem gekrönten Bruststück zu weiden. Ja, rief sie endlich, sich vergessend, das ist ein König für die ganze Welt, oder keiner!

Was ficht Dich an, Elisa? fragte Alf befremdet. Mit dieser Vorliebe hast Du ja nie von dem Seher gesprochen?

Kronen verschönern! zischte Tuiskoschirer mit giftigem Lächeln, und der Oberhofmeister Dilbek stürzte in's Zimmer.

An die Fenster, Kinder, wenn Ihr etwas ganz absonderlich Prächtiges sehen wollt. Der König hält seinen ersten Umritt durch die Stadt und wird sogleich hier vorbei kommen.

Der König?! fragte Elisa freudig erschrocken, ein schöner Rosenpurpur floß über ihr Antlitz, und sie eilte aus dem Gemache.

Was bedeutet das? seufzte Alf, ihr bekümmert nachschauend, und trat an's Fenster.

Da ertönte näher und immer näher das Volksgeschrei: Heil dem Könige von Zion! und als Vorläufer des Herrschers ergoß sich ein dichter Menschenstrom durch die Straße.

Jetzt gebt Acht, jetzt kommt der Zug, rief Dilbek. Da braus'ten schon die ersten Rosse des Königs. Voran dem Zuge gingen in köstlichen, goldgestickten Sammetkleidern vier Edelknaben, ein blankes Schwert mit goldenem Griffe, Tuiskoschirers Krone auf einer aufgeschlagenen Bibel, den goldenen Reichsapfel und zwei gekreuzte Schwerter ihrem Herrn vortragend.

Der schöne blondgelockte Knabe, der das große Schwert trägt, ist des Bischofs leiblicher Sohn, flisterte Dilbek Alfen zu, der in den zwei vorderen Pagen die Opfer wieder erkannte, die er dem grimmigen Matthäus aus den Tigerklauen gerissen.

Armer Junge, sprach er: kaum mag ich mich freuen, daß ich Dir das elende Leben gerettet, denn Knechtesdienst bei dem Todfeinde Deines Vaters muß zu einem Geistestode führen, den ich für weit schlimmer achte, als den leiblichen!

Jetzt schnaubte und tanzte der stolze Apfelschimmel heran, der den König trug. Der schöne Jüngling, der sich leicht in die hohe Würde gefunden, und sich leicht in ihr bewegte, bot in dem Fürstenschmucke einen wahrhaft majestätischen Anblick dar. Hohe, weiße Straußfedern wehten von dem Juwelenkleinode des Purpur-Barets. Durch die durchschnittenen Falten des goldstückenen Oberkleides leuchtete das Untergewand von Purpursammet mit goldenen Nesteln geschmückt. Der purpurne Hermelinmantel, der auf die Goldschabracke des edlen Rosses niederwallte, vollendete das schöne Ganze, und selbst Alf, dem innerlich graute vor dem Propheten, konnte seine Bewunderung nicht bergen.

Nicht wahr? Kleider machen Leute, flisterte ihm der Oberhofmeister triumphirend zu. Und alles die Arbeit meiner kunstreichen Nadel. Drei Nächte bin ich nicht in's Bett gekommen, damit alles heimlich und gut in's Werk gerichtet werde. Nun Gott sey Dank, es ist mir alles wohlgelungen, und den will ich sehen, der mir den Meßornat herausfinden will, aus dem ich alles zusammen genäht habe.

Indem war der König vorüber geritten. Hinter ihm kamen der Gouverneur Knipperdolling und der Schatzmeister Kippenbrock hoch zu Rosse. Zwölf Trabanten in den königlichen Farben, aschgrau und grün, gekleidet, auf herrlichen Pferden mit goldenen Sätteln, schlossen. Jetzt hielt der Zug einen Augenblick an. Alf bog sich weit aus dem Fenster, um zu sehen, was es gäbe. Da sah er denn gerade, wie sich der König mit unbeschreiblicher Huld gegen die schöne Elisa neigte, die, alles besser zu sehen, vor die Hausthür getreten war. In süßer Verwirrung dankte das holde Bild dem königlichen Gruße, und als der Fürst endlich seinen Insignienträgern nachgesprengt war, sah sie ihm lange nach.

Das ist eine schnelle und wunderliche Veränderung! rief Alf entrüstet. Ich sehe wohl, daß ich schon morgen Hochzeit machen muß, wenn überhaupt noch etwas daraus werden soll.

Hättest Du damals mein Erbieten angenommen, Bruder, sprach mit freundlichem Hohne Tuiskoschirer: diesen Kummer hättest Du Dir schon erspart, und wer weiß, wie manchen kommenden.

Er schlich fort. Dilbek folgte ihm. Traurig blieb Alf zurück, gedankenlos mit den königlichen Münzen spielend, die auf dem Tische liegen geblieben waren. Ja freilich, murrte er endlich bitter: wer selber Münzen prägen darf, hat ein größeres Gewicht, als der, der sie annehmen muß im Handel und Wandel.

Da näherte sich ihm das arme, sanfte Klärchen. Zürnt der Schwester nicht, bat sie ihn freundlich. Ihr Herz ist im Grunde gut, und wird sie auch dießmal von dem Irrwege zurückführen, auf den sie ihr unglücklicher Stolz geleitet hat.

Gutes Kind! rief Alf, gerührt über die treue Fürsprache der Zurückgesetzten. Warum hat die Undankbare nicht Dein Gemüth, oder Du ihr Aeusseres?! Nichts sollte dann meinem Glücke fehlen! Er eilte hinaus, und Klara ging in ihre Kammer und weinte sich im Stillen recht satt über den gut gemeinten, aber dennoch tief verletzenden Lobspruch des geliebten Mannes.

 

Am andern Morgen kehrte Alf so eben von dem königlichen Orator Rothmann zurück, bei dem er, allen Befugnissen auf einmal ein Ende zu machen, seine Taufe und die Trauung mit beiden Schwestern auf den Nachmittag bestellt hatte. Als er an Trutlingers Haus kam, erstaunte er nicht wenig, vor der Hausthür einige Trabanten in der aschgrauen und grünen Liverei zu finden, die einige ledige Pferde hielten. Ein milchweißer Zelter mit kostbarem Zaumwerk und purpurner, goldgestickter Decke fiel ihm darunter besonders auf, und im höchsten Grade gespannt, wo das hinaus wolle, trat er in die Wohnstube. Hier standen in Feierkleidern der edle Tuiskoschirer und der Oberhofmeister Dilbek.

Heil, Heil, Heil ist Dir widerfahren, mein Bruder! rief der kleine Prophet, den Widerstrebenden inbrünstig umarmend. Gleichwie Abraham gewürdigt ward, dem Herrn das Liebste, das er besaß auf Erden, zum Opfer darzubieten, also gleichermaßen bist Du auch auserwählt und begnadigt unter Tausenden, Dein Herz nicht blos darzubieten, sondern wirklich darzubringen auf dem Altare der Pflicht gegen Deinen König und Herrn.

Der Unsinn fängt schon wieder zum frühen Morgen an, seufzte Alf verdrießlich: und ich verstehe kein Wort davon. Ihr beiden Herren habt nichts zu versäumen und schon Feierabend, wenn Ihr aufsteht. Ich aber bin ein Handwerker, der arbeiten muß, wenn er leben will. Darum sagt mir nur mit kurzen, deutlichen Worten, was Ihr von mir begehrt, damit ich Euch ehrlichen Bescheid geben und dann in meine Werkstatt gehen kann.

Von Deinem Bescheide, mein guter Gesell, ist hier eigentlich gar nicht die Rede, erwiederte Tuiskoschirer mit tückischem Lächeln. Wir erwarten unsern Bescheid von der edlen Jungfrau Elisa, bei der wir so eben geworben für unsern allergnädigsten König, daß sie seine dritte Gemahlin und Königin werde zu Zion.

Mein Gott! stammelte Alf, und lehnte sich erbleichend an die Wand.

Es ist nun einmal nicht zu ändern, Freund, raunte ihm der Oberhofmeister zu: darum fügt Euch in das, was doch ohnehin geschehen muß, mit Anstand, so könnt Ihr noch auf Belohnung Anspruch machen für Eure Bereitwilligkeit.

Hat Elisa schon eingewilligt? fragte Alf mit bebenden Lippen.

Sie ist zuvor in ihr Kämmerlein gegangen, antwortete Tuiskoschirer: sich zu berathen mit dem Geiste. Sobald sie aber heraustritt, werden wir gleich alle im Klaren seyn über ihren Entschluß.

Nein, nein! rief Alf, die Hände ringend. Zu fest hat uns Natur und Liebe verbunden. Sie kann mich nicht verlassen!

Indem ging die Thür der Kammer auf, und die schöne Elisa erschien, im ersten Augenblicke selbst von Alfen unerkannt. Ein Kleid von Silberstück, von einem Juwelen-Gürtel gehalten, rauschte um den schlanken üppigen Gliederbau. Busen und Arme funkelten von reichem Juwelen-Geschmeide, und aus der Locken schwarzer Nacht erhob sich, gleich einem herrlichen Meteor, ein strahlendes Diadem.

Heil unserer Königin Elisa! riefen Tuiskoschirer und Dilbek, und bogen ein Knie vor der majestätischen Gestalt.

Der Geist hat entschieden! sprach Elisa, ihnen die Hand zum Kusse reichend. Ich gehorche seiner Stimme. Geleitet mich zu meinem König und Gemahl.

Elisa! rief Alf im ungeheuersten Schmerze und trat vor die schöne Treulose.

Du hier, Alf? sprach sie mit leichtem Schrecken. Ich hätte Dir gern die Qualen des Abschiedes erspart.

Du bist meine erklärte Braut, mein Weib vor Gott! schrie Alf verzweifelnd: Du kannst, Du darfst mich nicht verlassen!

Vor den großen Weltbegebenheiten müssen die kleinen Verhältnisse des Bürgerlebens versinken, antwortete Elisa pathetisch. Der König Zions begehret mein, auf daß mein Kuß ihm die Last der Regierung versüße. Wie könnte ich da engherzig genug seyn, noch Rücksicht zu nehmen auf die Bande, die mich früher an Dich geknüpft? Israels Volk muß mir mehr gelten, denn Du, und freudig folge ich meinem erhabenen Berufe und der Stimme des Geistes.

Nein, Du hast mich nie geliebt! klagte Alf.

Ich war Dir immer gut, stammelte, von einer plötzlichen Rührung ergriffen, die neue Königin. Doch gleich ermannte sie sich wieder und sprach im Tone der Gebieterin: Auch wenn ich auf Zions Throne sitzen werde, kannst Du Dich meiner Gnade versichert halten.

Sie nahm nun rasch Dilbeks dargebotenen Arm und eilte, ohne einen Blick rückwärts, mit ihm fort. Tuiskoschirer aber fragte noch den Betäubten lächelnd: Bereuest Du es jetzt, mein Bruder, daß Du mich jüngst zurückgewiesen? und folgte dem Paare.

Weiberliebe und Weibertreue! knirschte der unglückliche Jüngling, und griff sich, machtlos wüthend, in die dunkelbraunen Locken.

 

Auf Klara's Bitte war die schon bestellte Trauung wieder verschoben worden. Auch Alfs Taufe, zu der dieser täglich weniger Beruf verspürte, hatte nicht statt gefunden. Den Vorwand zu beiden hatte die Veränderung hergeben müssen, die durch Elisa's plötzliche Standeserhöhung im Trutlinger'schen Hause entstanden. Bei der täglich wachsenden Unordnung und Verwirrung zu Münster, wurden diese Unterlassungen von niemand beachtet, und die halbe Stadt, die, seit dem Poligamie-Gesetz der Zwölfherren, mit den neu gewählten Lieben im Stande der wilden Ehe lebte, fand gar nichts Arges daran, daß Alf und Klärchen dem allgemeinen Beispiele folgten. Diese lebten still und einsam, wie ein verwaistes Geschwisterpaar, mit einander fort, und es war für Alfen eine recht freundliche Gewohnheit geworden, aus den sanften, freundlichen Augen Klärchens Trost zu saugen für seinen schmerzlichen Verlust. Auch das Mädchen, das das Joch und die Kränkungen der stolzen Schwester nicht mehr fühlte, und den geliebten Jüngling wenigstens nicht mehr in den Armen einer Andern sehen durfte, begann sich sichtlich zu erholen und gar lieblich aufzublühen, so daß sie Alf von Tage zu Tage mit wohlgefälligeren Blicken anschaute. Aber die Jungfrau hielt ihre Gefühle für ihn streng verschlossen in ihrem keuschen Busen, und hütete Augen und Lippen, daß sie nicht zu Verräthern ihres Herzens würden. Dabei war sie jedoch jederzeit freundlich und liebreich gegen Alf, und suchte mit holder Emsigkeit allen seinen Bedürfnissen und Wünschen zuvorzukommen. Dieß ruhige Verhältniß, diese süßen Bemühungen riefen auch in ihr Gemüth einen Theil der Heiterkeit zurück, deren sie sich in früheren glücklichen Tagen erfreute. Manch holdes Lächeln flog schon über die sanft gefärbten Rosenwangen; die schönen blauen Augen, die sonst immer durch Thränenschleier den Himmel suchten oder die Erde, blitzten schon manchmal von heiterem Muthwillen, der dem sanften Mädchen doppelt reizend ließ; den schönen Lippen entschlüpfte mancher fröhliche Scherz, so daß Alf, staunend über die Wandlung, die sich unter seinen Augen zutrug, zuletzt seine Blicke gar nicht mehr abwenden konnte von der Dirne, und darüber den Stachel, den Elisa's Untreue in sein Herz gedrückt, täglich weniger fühlte.

Während so der Sturm der wilden Leidenschaft zu entschlafen begann in des Jünglings engem Lebenskreise, brauste das Unwetter, das den neuen Staat bedrohte, immer näher und drohender heran. Die Gräuel und Nichtswürdigkeiten, die die Wiedertäufer bisher getrieben unter dem Schilde eines fanatischen Schisma, hatten das ganze fromme, vernünftige Deutschland empört. Ohne Rücksicht auf den sonstigen Meinungenspalt, waren Katholiken und Protestanten darin mit einander einig, daß dieser Unfug nicht länger zu dulden sey, und, da theologische Belehrungen und milde Ermahnungen bei den Betrügern und Betrogenen ungehört verhallten, mit dem Schwert ausgerottet werden müsse. Die Rheinkreise hielten zu Koblenz einen Convent, dem sich auch Johann Friedrich, der lutherische Kurfürst von Sachsen, freiwillig anschloß, und in diesem Convent wurden dem Bischof von Münster dreihundert Reiter und dreitausend Fußknechte, als Hilftruppen, gegen seine rebellische Residenz bewilligt. Der tapfere Ulrich, Graf von Oberstein, erhielt den Befehl über dieß Heer und zugleich die Leitung der Belagerung.

Aber Münsters Mauern und Thürme und Wälle und Gräben waren durch die Fürsorge seiner Propheten, die hier mit seltenem Vorbedacht gehandelt, in einem so vortrefflichen Zustande, und die fanatische Besatzung zeigte überall so viel Wachsamkeit und Muth, daß Graf Oberstein sich überzeugte, ein Sturm, unter diesen Verhältnissen versucht, könne wohl seine Völker zur Schlachtbank, aber nicht zum Ziele führen. Nachdem nun auch der Versuch, durch Verrath in die Stadt zu dringen, an Johannes Wachsamkeit gescheitert war, begnügte sich der Feldherr, die Stadt von allen Seiten einzuschließen und ihr die Zufuhr abzuschneiden. Darum bekümmerte sich im Anfange das leichtsinnige Volk wenig, weil es die Folgen dieses Beginnens noch nicht unmittelbar fühlte. Aber als der Mangel an Lebensmitteln so drückend wurde, daß die öffentlichen Tafeln, die der König angeordnet, nicht mehr gehörig besetzt werden konnten, als den Pöbel, diesen getreuen Handlanger aller Demagogen, wirklich zu hungern begann, da sank der Muth, und hie und da erschollen Klagen; zwar leise nur, aus Furcht vor dem eisernen Zepter, der den Nacken der freien und gleichen Taufgesinnten niederdrückte, aber der König hörte sie doch, und wohl erkennend, daß hier etwas geschehen müsse, aber ungeneigt, dem Beispiel seines kühnen Vorfahren Matthäus zu folgen, beschloß er, zu versuchen, wie weit sich mit Schwärmerei und List ohne Tapferkeit ausreichen lasse. Nebenbei war ihm daran gelegen, sich einiger Propheten zu entledigen, die den Samuel bei diesem Saul zu spielen, und ihm die Regierungsorgen zu erleichtern suchten; und alle diese Zwecke durch einen Schlag zu erreichen, ersann er eine neue Gaukelei, die wenigstens seiner practisch erworbenen Kenntniß wirkungreicher Schauspielscenen Ehre machte.

 

Vom Hauptkirchhofe her schmetterten die Trompeten, als bliesen sie das jüngste Gericht aus, und in Alfs Werkstatt stürzte Hänslein von der langen Strat in voller Rüstung. – Wie, Kumpan, noch nicht im Zeuge? rief er. Waffne Dich eilig sammt Deinen Leuten. Heute ist die ganze Gemeinde aufgeboten und Keiner darf fehlen.

Ist der Feind schon vor den Thoren? fragte Alf, indem er sich rüstete.

Für dießmal noch nicht, antwortete Hänslein. Ich hoffe auch, daß die ganze Versammlung recht friedlich ablaufen soll. Aber ein großes Ereigniß haben wir immer zu erwarten. Der Prophet Tuiskoschirer hat dem Könige befohlen, auf dem Kirchhofe das Abendmahl zu halten, und dann seine Apostel in alle Welt auszusenden. Der letzte Gedanke ist nicht so übel, denn der Bischof hat uns allbereits verdammt enge eingeschlossen, und gelingt es der Beredtsamkeit unserer Redner nicht, uns schleunige Hilfe von aussen zu verschaffen, so möchte es wohl bald Zeit seyn, an eine anständige Capitulation zu denken.

So lange unsere Mauern stehen, sagte Alf, und unsere Fäuste widerhalten, fürchte ich nichts für die Stadt.

Das ist recht wacker gesprochen, meinte Hänslein: aber ich habe schon hier und da wahrgenommen, daß die Leute zu hungern anfangen. Reißt das einmal ein, so ist dann leicht auszurechnen, wie lange es dauern kann, und wann die Fäuste, auf die Du vertrauest, wehrlos niedersinken werden. So viel weiß ich, daß ich noch heute des Ortes Gelegenheit erkunde, um mich, wenn alle Stricke reißen, noch vor Thores Zuschluß im Stillen zu salviren. Eine gute Katze findet immer noch ein Schlupfloch, und ist es so weit, so werde ich Dich freundlich einladen, mich zu begleiten; denn es ist doch beim Himmel besser, in Zeiten davonzulaufen, als hier zu verhungern, oder am Ende gar mit den Bütteln von Ihro Hochwürden Gnaden in genauere Bekanntschaft zu treten.

Unter diesem Geplauder war Hänslein mit Alf und den Gesellen auf den Kirchhof gekommen, der ganz mit unabsehbar langen, weißgedeckten Tafeln besetzt war, auf welche eben die königlichen Leibdiener die rauchenden Fleischschüsseln auftrugen zum süßen Geruch den Männern Münsters, die, an viertausend Köpfe stark, mit Wehr und Waffen, die hungrigen Magen fest in die Panzer geschnallt, herbeigeeilt waren.

Jetzt erschien der König mit majestätischer Würde, aber ohne königlichen Schmuck, mit einem kurzen seidenen Leibrocke bekleidet. Auf seinen Wink ordneten die Diener die Gemeinde an den Tischen. Nach einem kurzen Gebet voll Salbung winkte er der Versammlung gnädig, zuzulangen, und das Mahl unter freiem Himmel begann.

Nachdem die erste Tracht verzehrt war, wurden die Braten aufgetragen, und die Bierkrüge gingen fleißig in der Runde.

Das ist ein wunderliches Abendmahl, flisterte Alf Hänslein zu, der ihm eben den vollen Krug zubrachte.

Es scheint nur der Eingang zu seyn, flisterte Hänslein zurück: so eine Art Liebesmahl, wie bei den alten Christen üblich gewesen; gedulde Dich nur, das Beßre wird schon noch nachkommen.

Und kaum waren die Bratenschüsseln abgetragen, so nahete sich wieder der König der Versammlung. Ihn begleiteten zwei Edelknaben, auf goldenen Tellern das heilige Brot tragend. Nehmet hin und esset, sprach er mit ernster Feier: und verkündet den Tod des Herrn! und also sprechend und durch die langen Reihen wandelnd, brach er jedem der Männer das Brot, das diese mit großer Andacht empfingen. Nur Hänslein, der die Würdigkeit des neuen Hohenpriesters am beßten kannte, vermochte ein satyrisches Lächeln nicht zu unterdrücken, als die Reihe an ihn kam. Dem Könige folgte die erste Königin, Matthäus schöne Witwe, im einfachen weißseidenen Gewande, den goldenen Kelch in der Hand, begleitet von der zweiten und dritten Königin, die ihr die goldenen Weinkrüge nachtrugen.

Als sie bis zu Alf kam, eben im Begriff, ihm den Kelch zu reichen, wich sie zurück in süßer Verwirrung, von der Schönheit des kräftigen Jünglings überrascht, dessen dunkler Lockenkopf gar lieblich stand zu dem blühenden Gesicht und den treuen deutschen Augen. Auch Alf starrte die nie gesehene wunderschöne Erscheinung beweglos an. Hier war mehr als Elisa's und Klara's vereinte Reize, und der Vollendung Stufe schien erstiegen! Groß, voll und üppig, ein Ideal der Form, stieg die herrliche Gestalt empor. Der königliche Busen, auf dem die braunen Locken sich unruhig schaukelten, beschämte das weiße Gewand, und auf dem Alabasterhalse stand ein Cherubkopf, dessen tiefblaue Augen die freundliche Frage, den leisen Wunsch, die glühende Sehnsucht zugleich auf eine Weise aussprachen, daß Alfs Sinne in lichten Flammen brannten.

Nehmet hin und trinket! flötete die holde Erscheinung, und reichte ihm mit zitternden Händen den Kelch. Durstig leerte ihn der Jüngling, sich mit den Augen festsaugend an der Spenderin, die dadurch so bestürzt ward, daß sie die Schlußworte des Rituals vergaß und, wie mit Blut übergossen, zu dem nächsten Nachbar überging. Während Elisa, ihr nachfolgend, bei Alfs Sitze vorüber rauschte, traf ihn ein seltsamer Blick aus den Augen, die ihn ehemals so selig angelächelt hatten. Es lag viel in diesem Blicke, Reue und Klage und Grimm und Eifersucht, und zwischen durch guckte auch wohl noch ein Blitz der alten Liebe. Aber der Eindruck, den dieser Blick auf Alf machte, war bei weitem nicht stark genug, seine Aufmerksamkeit von der ersten Königin loszureißen, und er verfolgte diese, wie sie die Reihen entlang ging, mit flammenden Augen.

Da fuhr ihm der treue Hänslein mit der Hand über das Gesicht, und sagte leise: Vergiß nicht, Bruder, daß es die erste Königin ist, der Du also nachschauest mit verwegener Begierde, und daß unser Herr König keinen Spaß versteht in solchen Dingen.

Er komme und rechte mit mir! brauste Alf auf. Ich will mich also vertheidigen, daß er mir auf tausend nicht eines antworten soll. Schon im Besitze dieses Meisterwerkes der Schöpfung, hat er, der unter allen Schönheiten Münsters wählen konnte, mir meine Braut gerissen von meinem Herzen, gleich dem unbarmherzigen Reichen in der Bibel, der, trotz seiner stattlichen Heerden, doch noch das einzige Lamm des Armen rauben mußte für seines Herzens Gelüste.

In dem Lobpsalm, mit dessen Gesange die Gemeinde die Nachtmahlfeier schloß, verhallten die wilden Klagen des Jünglings, und mühsam beschwichtigte endlich Hänslein seinen gerechten Zorn.

Und noch einmal trat der König vor die Gemeinde, dießmal im vollen königlichen Ornate, mit allen Zeichen seines hohen Amtes, von seinen Großwürdenträgern und Trabanten umschaart. Und mit lauter Stimme fragte er das Volk, ob es bereit sey, den göttlichen Willen zu vollbringen und für den Glauben zu leben und zu sterben? Und wie das Gemurmel der Meereswogen vor dem Sturm, rauschte ein lautes, feierliches Ja! durch die Menschenmasse hin.

Da drängte sich ein treuer Prophet, Wahrendorf mit Namen, hinter dem Könige hervor. So spricht der Herr, schrie er mit der wilden Glut schwärmerischer Begeisterung: erwählet einige aus meinem Volke zu Zion, lasset sie hinausgehen an alle vier Enden der Welt, Wunder zu verrichten und mein Wort kund zu thun den fremden Völkern. Wer aber diesem göttlichen Gebote nicht gehorsamet, der soll des Todes sterben!

Jetzt zog der Prophet eine Papierrolle aus dem Busen und schickte sich an, die Namen der neuen Missionaire zu verlesen. In seine Nähe trat der Prophet Tuiskoschirer, mit seinem gewöhnlichen tückischen Lächeln zuhorchend, und frohlockend nickte dieser mit dem Kopfe, als die Namen einiger seiner Gegner bald unter den Ersten mit verlesen wurden. Da schrie aber Wahrendorf auf einmal: Johannes Tuiskoschirer! und wie vom Donner gerührt, zuckte der kleine, dürre Mann zusammen, und seine Blicke flogen rothglühend nach dem Könige. Auch ich betrogen also, murmelte er für sich, aber leicht will ich dem Bösewichte seinen Sieg nicht machen!

Du irrst Dich, mein Bruder! heulte er zu Wahrendorf hinüber: und hast Menschenwort für des Geistes Stimme gehalten. Ich hatte erst in verwichener Nacht ein Gesicht, welches mir gebeut, in Zion zu bleiben und diese Heerde zu schützen vor ihren Feinden und Widersachern.

Stille! donnerte der König. In diesem Augenblick hat mir der Vater ein ernstes Geschäft aufgetragen, zu dessen Vollführung ich mich sogleich anschicken muß. Und er winkte seine Trabanten, die, einen Münster'schen Stadtsöldner in Ketten vor ihn schleppten.

Dieser Unglückliche, sprach der König feierlich und bedeutungvoll: hat, ein zweiter Judas, Verrätherei gesponnen gegen Zion, und unvorsichtig seines Herzens böse Gelüste kund gethan durch Ungehorsam gegen die Gebote des Geistes. – Sein Blut auf seinen Kopf!

Und das Schwert des Königs zuckte, das Haupt des Opfers fiel, und mit der blutigen Klinge trat der entsetzliche Mann vor Tuiskoschirer, und fragte ihn: Was hattest Du eigentlich der Gemeinde vorzutragen, mein Bruder?

Daß ich mich beuge unter die Hand des Herrn, antwortete Tuiskoschirer knirschend, und Wahrendorf las das Namenverzeichniß vollends zu Ende.

Es waren im Ganzen acht und zwanzig Sendlinge ernannt; der König vertheilte sie nach Osnabrück, Coesfeld, Wahrendorf und Soest. Verlasset Alles, ermahnte er sie: fürchtet nichts, und verkündet den Glauben. – Amen! riefen sie alle in demüthigem Gehorsam. Amen! schrie die Gemeinde und verlief sich vom Kirchhofe.

 

Alf saß im Zwielicht neben der freundlichen Klara und erzählte ihr eben die seltsame Nachtmahlfeier, der er beigewohnt, der Breite nach. Da kam Freund Hänslein noch einmal zu ihm hereingelärmt.

Was doch alles aus einem Taugenichts werden kann! rief er. Das hättest Du wohl nimmer gedacht, Bruder, daß ich ein Klotz wäre, aus dem Fortuna einen Herzog schnitzen könnte?!

Herzog? fragte Alf erstaunt, und glaubte falsch gehört zu haben.

Herzog! nichts anders! lachte Hänslein. Des Königs Majestät fangen an, in der Mitte Ihrer getreuen Unterthanen einige Beklemmungen zu bekommen, und Ihr theures Leben nicht mehr so ganz sicher zu halten unter ihnen. Darum haben Sie Zion in zwölf Quartiere getheilt, und für jedes aus Ihren Getreuesten einen Herzog ernannt, der, mit hinreichender Waffenmacht versehen, auf Ordnung und Ruhe in seinem Bezirke halten, und jede Volksbewegung gleich in der Geburt ersticken soll. Und so ein Ding bin ich nun auch geworden, weßhalb ich mir den gehörigen Respect zu erweisen bitte.

Was wird dieser heillose König nur alles noch treiben in meiner unglücklichen Vaterstadt! seufzte Alf. –

Dies Klagelied singt blos Dein Neid, scherzte Hänslein, weil Du nicht auch Herzog geworden bist. Indeß beruhige Dich, Du bist auch ersehen zu hoher Würde. Der König hat Dich zum Obersten seiner Leibgarde ernannt, und ich bringe Dir den Befehl, sofort vor ihm zu erscheinen. Du sollst noch heute Deinen Dienst antreten, weil der furchtsame Schneider gern schon diese Nacht ruhig schlafen möchte unter dem Schirm Deines tapfern Schwertes.

Ich Oberster der Leibgarde?! rief Alf unmuthig. Wie ist denn der König gerade auf mich gefallen?

Das hat sich denn so gemacht und geschickt, antwortete Hänslein mit vielsagendem Lächeln, wie sich so manches in der Welt zu machen und zu schicken pflegt. Ich kann mir alles recht gut zusammenreimen, und finde, daß Du mit Deinem Obersten eine viel bessere Nummer gezogen hast, als ich mit meinem Herzoge. Genieße nur Dein Glück hübsch vorsichtig. Ich wünsche gute Geschäfte. Er ging.

Sonderbar! sprach Alf, den kaum abgelegten Panzer wieder umschnallend. Sonderbar! rief er noch einmal, als er das Schwert umgürtete; da fiel sein Auge auf einen kleinen, frischen Weinfleck auf dem Halsstück des Panzers. In dem Augenblick stand auch die reizende Königin mit dem Kelche vor seinem Seelenauge, und eine leise, eitle Vermuthung über den Zusammenhang dieser Begebenheit mit seiner Standeserhöhung jagte ihm eine Flammenröthe in das Gesicht. Sie zu verbergen, drückte er sich den Ritterhelm, den er sich ausgesucht für sein neues Amt, tief in die Stirn, reichte dem guten Klärchen flüchtig die Hand zum Valet, und ging geflügelten Schrittes nach dem königlichen Palaste.

Ein Edelknabe führte ihn sogleich zu dem Könige, der ihm mit einem Anstande entgegen trat, als sey er für den Thron erzogen worden.

Der Ausfall in das bischöfliche Lager hat Dich als einen tüchtigen Krieger bewährt, sprach der König mit stolzer Würde. Ich bin Dir Ersatz schuldig für einen großen Verlust, und Du bist mir auch sonst von so vielen Seiten her gerühmt worden, daß ich beschlossen habe, Dich meiner Person näher zu bringen. Du sollst fortan meine Leibwache, die ich bedeutend verstärkt, als Oberster führen, damit das Haupt, an dem das Heil von Zion hängt, wenigstens sicher schlafe vor dem Meuchelmorde.

Alf wagte einige bescheidene Zweifel gegen seine Tüchtigkeit zu diesem Amte.

Du bedarfst nichts dazu, entschied der König: als Wachsamkeit, Muth und Treue. Ich verlange keinen Eid von Dir. Christus sagt: Eure Rede sey Ja Ja, Nein Nein, was drüber ist, das ist vom Uebel. Darum gieb mir blos den Handschlag des Mannes, daß Du mein treuer Leibwächter seyn willst.

Zuckend reichte Alf dem König seine Rechte, denn ihm schauderte, sich diesem Manne persönlich verbindlich zu machen, ihm schauderte, die Hand zu berühren, die schon so viel Blut vergossen.

Die Trabanten sind bereits an Dich gewiesen, fuhr der König fort. Jetzt wirst Du Dich der ersten Königin vorstellen. Er winkte ihm gnädig das Zeichen der Entlassung zu, und Alf ging mit hochschlagendem Herzen nach den Gemächern der Königin.

Herein! herein! rief eine Silberstimme im Gemache, vor dessen Thüre Alf Namen und Würde der diensthabenden Kammerfrau kund that. Er trat ein. Auf einem erhöheten Goldsessel saß in voller Pracht die Königin, das göttergleiche Weib, und aus ihren schönen liebefeuchten Augen strömte dem geblendeten Jünglinge ein Meer von Licht und Glut entgegen, daß er kaum die andern beiden Königinnen bemerkte, die auf niedrigern Sesseln zu beiden Seiten der Herrin saßen.

Ihr seyd es also, junger Mann, sang die Zauberin mit süßen Tönen: dem wir hinfort die Sicherheit unserer Tage und die Ruhe unserer Nächte verdanken sollen?

Alf verneigte sich stumm.

Hütet Euch nur, fuhr die Königin mit einem reizenden Lächeln fort: daß Ihr nicht den Frauen des Palastes die Ruhe raubt, die Ihr beschützen sollt.

Der verlegene Alf wußte darauf in der Geschwindigkeit keine Erwiederung zu finden, und Königin Elisa sprang heftig von ihrem Sessel auf und eilte an's Fenster.

Ihr seyd schon verheirathet? fragte die Königin.

Erst Bräutigam – war ich – stammelte Alf sehr unverständlich: bin es auch noch – zur Hälfte.

Und die andere Hälfte? fragte die Königin lose, und Elisa senkte die brennenden Blicke zur Erde.

Vergönnt mir, darüber zu schweigen, Frau Königin! bat Alf mit schonender Bescheidenheit.

Guter Mensch! lispelte das schöne Weib, und reichte ihm mit einer fast zärtlichen Bewegung die Hand zum Kuß.

Alf ergriff diese hastig, drückte seine Lippen in einem endloslangen Kusse auf den weichen, warmen, entgegenschwellenden Sammet, glaubte einen leisen Druck der schönen Finger zu fühlen, las, als er fragend aufschaute, in den holden Augen der Gebieterin die Bestätigung, und breitete, im Entzücken darüber alles vergessend, die Arme aus, als wolle er ihr um den Hals fallen.

Da blitzte ihn aber ein strenger Blick zurück. Mit diesem Blick im Widerspruch sprach die Königin im weichsten, freundlichsten Tone: Wir werden uns bald wiedersehen, und gab das Entlaßzeichen.

Berauscht, betäubt, keines zusammenhängenden Gedankens fähig, entfernte sich der Jüngling.

 

In der Nacht, die diesem Tage folgte, saß Alf, den neuen Beruf einzuweihen, in voller Rüstung in einem Armsessel vor der Thüre des königlichen Schlafgemaches. Eben war er ein wenig entschlummert, und ein wohlbekanntes Kleeblatt schöner Weiber tanzte, von dem Traumgott geführt, bei ihm vorüber; da blendete ihn ein Lichtstrahl, der plötzlich auf sein Gesicht fiel. Er erwachte, sprang auf und griff zum Schwerte.

Laß stecken, Bruder! flisterte ihm eine heisere Stimme zu, und der würdige Tuiskoschirer im Reiserocke, das Bündel auf dem Rücken, stand mit einer Diebeslaterne vor ihm.

Was willst Du noch hier? fuhr ihn Alf an. Solltest Du, nach des Königs Befehl, nicht schon auf dem Wege gen Osnabrück seyn mit Deinen Gefährten?

Ja, antwortete Tuiskoschirer mit stechendem Lächeln: so hat es der große König befohlen, der überhaupt ein gar gestrenger und gewaltiger Herr geworden ist, und die Leiter, die ihm treulich aufs den Gipfel geholfen, verächtlich zurückgestoßen hat, weil er sie nicht mehr braucht. Zum Glück hatte er mir doch noch einige Stunden Frist gelassen zum Auswandern, und einen solchen Zeitraum kann ein kluger Kopf schon nützen!

Jetzt sag' es kurz, was Du bei mir willst, zürnte Alf: und packe Dich dann von hinnen, daß Dein Geschwätz nicht den König weckt.

Ei behüte, zischte Tuiskoschirer: wer wird das schlafende Pantherthier wecken?! So lange es schläft, würgt es wenigstens nicht. Eher möchte ich seinen holden Schlummer verlängern bis hinüber in die Ewigkeit.

Mensch, was führst Du im Schilde? fragte Alf, dem gräßliche Dinge ahneten.

Du hast schon einmal meinen guten Willen von Dir gewiesen, antwortete Tuiskoschirer: und seit dieser undankbare Tollhäusler auf dem Throne sitzt, auf den ich Dich erheben wollte, wirst Du Deine Thorheit mehr als einmal bereuet haben. Ich habe Dich heute genau beobachtet und kenne den Magnet, mit welchem vielleicht noch zu wirken ist auf diesen starren, unbeweglichen Eisenberg. Darum habe ich mein Leben in meine Hand genommen, und mich noch einmal gewagt in die Mörderhöhle, um Dir des Lebens höchste Blüthe zu bieten, die nur der Thor ungepflückt läßt, wenn sie ihm entgegen strahlt und duftet in ihrer reichen Farbenpracht. Widersprich mir jetzt nicht, bat er, als Alf reden wollte: Du sollst blos mit mir gehen, sehen, hören, und dann beschließen, was Dir gut dünkt.

Wohin willst Du mich führen? fragte Alf, unruhig sich weigernd.

Ahnest Du es nicht? fragte dagegen Tuiskoschirer lächelnd; und Alf, dem jetzt plötzlich ein Licht zu dämmern begann, folgte entzückt dem Versucher, der ihn durch die dunkeln, schweigenden Gänge nach den Gemächern der Königin führte.

Wir sind am Ziele! sprach jetzt Tuiskoschirer vor einem Gemache, dessen verschlossene Thür er mit einem Dietrich öffnete. Beide schlichen hinein und durch einige Gemächer, in denen Kammerfrauen schlummerten, in das Schlafgemach der ersten Königin.

Siehe! sprach Tuiskoschirer mit lakonischer Kraft, indem er den Strahl seiner Laterne auf das Bett fallen ließ, in dem das schöne Weib schlief.

Alf trat näher, sah, und wünschte sich tausend Augen, um tausend Mal zu sehen, was er erblickte. Ein himmlisches Lächeln spielte auf dem holden Gesicht der Königin, das ein gesunder Schlaf noch lieblicher geröthet; üppig schienen die Rosenlippen einem Kusse entgegen zu schwellen, und ein seliges Schmachten leuchtete aus den halbgeöffneten Augen. Alf stand, wie eingewurzelt, da und sah, und hielt den Athem an, um durch kein Geräusch die Schlummernde zu stören und sich um den Genuß dieses köstlichen Anblicks zu bringen.

Indem schien ein holder Traum durch die Seele der Schläferin zu fliegen. Noch süßer lächelte sie. Endlich breitete sie die vollen Alabaster-Arme aus und flisterte glühend: An mein Herz, theurer Alf!

Das war mein Name! jubelte Alf, und wollte zu ihr hinstürzen; aber gewaltsam zog ihn Tuiskoschirer zurück. Willst Du alles verderben? raunte er ihm zu: und Dich selbst um das höchste Erdenglück bringen durch Deinen Ungestüm? Das schöne Weib soll Dein seyn, aber jetzt ist es noch nicht an der Zeit. Solche Waare will um hohen Preis erkauft werden, über den wir erst mit einander sprechen müssen. Hier solltest Du für dießmal nur sehen, jetzt sollst Du mich hören, beschließen und dann handeln, rasch und kräftig, wie es dem Manne geziemt, um das Ziel Deiner Wünsche zu erringen.

Unter diesen Vorstellungen zog er den Jüngling mit sich fort durch die Gemächer, verschloß das letzte wiederum mit seinem Dietrich, und sie gingen nun mit einander in das königliche Vorgemach zurück. Tuiskoschirer, dem, von Alfen unbemerkt, ein höllischer Triumph aus den kleinen, trüben Augen funkelte, verriegelte die Aussenthür von inwendig, winkte Alfen, leise zu gehen, öffnete behutsam die Thür zum Schlafgemach des Königs, ging auf den Zehen, mit lang vorgestrecktem Halse, hinein, und winkte dann noch einmal zur Nachfolge.

Alf gehorchte, und Beide standen jetzt vor dem Lager des Königs, vor dem auf Sammetpolstern die Krone sammt den andern Reichsinsignien lagen. Tuiskoschirer zog den schweren purpurseidnen, goldbefranzten Vorhang zurück, und sie sahen den Schlafenden liegen, blaß, mit starren, offenen Augen, Schweiß auf der Stirne, Schaum vor dem Munde, mit geballten Fäusten, ein gräulicher Anblick.

Der König ist krank und muß bald erwachen, sagte Alf besorgt.

Nicht doch! beruhigte ihn Tuiskoschirer. Seit der Schlaf die Nächte des Mörders flieht, geht er nie ohne einen Schlaftrunk zu Bette. Freilich kann er den Träumen nicht entrinnen, die ihn dann recht ungestört peinigen; aber das ist gut, auf daß er doch in einer Spanne seines Lebens das Geisterreich erkenne, das dunkel und schwer über ihm waltet und schon die Arme nach ihm ausstreckt zur gräßlichen Vergeltung.

Kniee nieder! knirschte der Schlummernde jetzt. Nieder! Ich muß Blut sehen, Blut! und sein rechter Arm focht herum, als führe er so eben das fürchterliche Richtschwert.

Ich habe Dir vorher den Lohn gezeigt, sprach Tuiskoschirer zu Alf. Hier ist die That, den Lohn zu verdienen. Hier schläft das feige, wollüstige, kalt würgende, grausame Ungeheuer. Noch Tausende wird es verderben, wenn ihm das Leben bleibt und die Macht. Braucht es noch eines Wortes zu Deinem Entschlusse, Jüngling? Zum dritten Mal kehrt Dein gutes Glück nicht wieder, wenn Du es zwei Mal von Dir gestoßen. Hier lehnt des Königs Schwert, von unschuldigem Blute trunken, ein kräftiger Stoß damit – wir breiten aus, daß er sich selbst entleibt – Münster ist erlös't von seinem Tyrannen, Du besteigst den erledigten Thron, Dein wird die herrliche Gertraut, die treulose Elisa und der andern schönen Weiber Schaar, und daß die Krone fest stehe auf Deinem Haupte, dafür laß den alten Tuiskoschirer sorgen, der sie Dir aufsetzen wird vor der Gemeinde.

Alf stand da auf dem schmalen Scheidewege, blickte mit funkelnden Augen auf den schlafenden Wütherich, und seine Hand griff schon nach dem Schwerte.

Nur drauf! hetzte Tuiskoschirer. Jeder Augenblick Zögerung kostet Menschenleben. Willst Du alle die Gräuel auf Dich nehmen, die dieser Bösewicht noch in Zukunft verüben wird, wenn Du ihn jetzt schonest aus thöriger Gewissenhaftigkeit?

Aber in dem Augenblicke siegte in dem reinen Gemüthe des Jünglings die deutsche Treue. Er hat meinen Handschlag, sprach er zu sich. Auf mich vertrauend, hat er sich schlafen gelegt. Dann wendete er sich zu dem giftigen Männlein, im stillen Grimm über die wilden Flammen, die dieser, eigener Rachlust zu fröhnen, in seiner Brust entzündet, packte ihn plötzlich und schweigend am Genick und trug den Zappelnden, wie ein kleines, um sich beißendes Raubthier, durch alle Gemächer und Säle die Treppen hinab, bis vor das Thor des Palastes, wo er ihn unsanft niedersetzte. Dorthin geht Dein Weg! rief der Jüngling, auf die Straße gen Osnabrück zeigend: und bist Du mit Sonnenaufgang noch in Münster, so melde ich Dich dem Könige, daß er über Dich richte nach Verdienst.

Und nach Luft schnappend, mit ängstlichem Gewinsel, taumelte der Versucher fort, in die dunkle Nacht hinein.

 

Münster fuhr fort, sich mit einer Entschlossenheit zu vertheidigen, die einer bessern Sache werth gewesen wäre. Auf dem Reichstage zu Worms, den der römische König Ferdinand im April 1535 eröffnen ließ, wurden zwar dem belagernden Bischofe bedeutende Summen zur Fortsetzung des Krieges bewilligt, aber die Zahlungen gingen höchst unordentlich ein, und dieser Geldmangel entzündete einen Aufruhr unter den Soldknechten des Belagererheeres, die das, nach dem sie hießen, nicht länger borgen wollten. Nur mit großer Mühe, und unter Lebensgefahr der Anführer, ward diese Empörung gedämpft; aber mit so schwierigen Truppen angriffweise zu verfahren, schien nicht rathsam, und so blieb es denn für das Erste bei der Blokade, die sich, gleich der baummörderischen Liane, in immer engeren Kreisen um die unglückliche Stadt zusammenschnürte, und ihr so immer mehr und mehr Kraft und Nahrungsäfte raubte.

Die Folgen davon äußerten sich immer trauriger. Der ärmere Pöbel, der sich schon mit Wurzeln, Kräutern, Rinde und Baumblättern behelfen mußte, umschwärmte mit bleichen, hohläugigen Gesichtern den König, wenn er in seiner Pracht und Herrlichkeit durch die Straßen zog, und heulte um Brot, und selbst das königliche Hofgesinde mußte auf schmale Portionen gesetzt werden, damit nur der König mit seinen vierzehn Weibern und den Großen seines Reichs im Ueberflusse schwelgen konnte.

Vergebens foderte der Bischof, unter Verheisung völliger Amnestie, die Bürgerschaft auf, die Stadt zu übergeben, und nur den König sammt seinen nächsten Spießgesellen auszuliefern. Die Furcht vor dem entsetzlichen Johannes war stärker, als die Sehnsucht nach der Erlösung, die doch jetzt in manchem Herzen aufzusteigen begann. Vergebens mahnte der Landgraf Philipp von Hessen seine ehemaligen Glaubensbrüder durch eine besondere Gesandtschaft zur Vernunft. Der König, um zu zeigen, wie viel mehr er sey, als der Landgraf, weigerte seinen Gesandten die Audienz, und sie mußten unverrichteter Sache abziehen.

Während dem waren die acht und zwanzig Propheten in den Städten ihrer Bestimmung angekommen, und hatten dort den gewöhnlichen wiedertäuferischen Unsinn mit schwärmerischer Wuth gepredigt. Aber die Obrigkeiten, durch Münsters Beispiel gewarnt, waren wachsam und strenge. Die Schreier wurden überall verhaftet, über ihre Lehre vernommen, und da sie halsstarrig dabei beharrten, ohne weiteres hingerichtet. Nur einer von ihnen, Heinrich Hilversum, ward dadurch gerettet, daß er in die Gefangenschaft des Bischofs von Münster gerieth. Mit dem Versprechen, die Stadt zu verkundschaften, erkaufte er seine Freiheit, und kehrte nun zu dem Könige zurück. Diesem erzählte er: Auf den Tod gefangen sitzend, habe ihn ein Engel befreiet, und ihm geboten, dem Könige zu verkünden, daß Amsterdam, Wesel und Deventer in seine Macht kommen würden, wenn er noch mehre Propheten dahin sende.

Das war den Ohren Johannes ein süßer Klang. Er sendete sogleich einige Propheten, unter ihnen Johann von Kempen und Johann von Geelen, aus, um diese schönen, wichtigen Städte völlig zu bekehren und für sich zu gewinnen. Den glattzüngigen Hilversum aber nahm er in seinen Palast auf, kleidete ihn in seine aschgraue und grüne Hofliverei, schenkte ihm den goldenen Ring, den seine Hofbeamten zu tragen pflegten, und vertraute ihm bedeutende Summen an, mit denen Unterstützung von aussen erkauft werden sollte.

Mit diesen Geldern ging Hilversum bei der nächsten günstigen Gelegenheit zum Bischofe über, und ein Schreiben, das hierauf von ihm zu Münster einlief, ermahnte die Bürger, den Betrüger zu verlassen, und zu ihrem rechten Herrn und zur alten Lehre zurückzukehren.

Diese Begebenheit traf den König auf der empfindlichsten Stelle, da sie den Glauben an die Unfehlbarkeit seiner Inspiration bei denen, die noch sehen konnten, vernichtete. Einem Theil der Einwohner der bedrängten Stadt fing es jetzt an klar zu werden, daß sie die Sklaven eines heillosen Betrügers geworden, der sie in's Verderben führe; aber die Furcht vor dem Ungeheuer war dennoch stärker als diese richtige Erkenntniß, und Johannes, der es einsah, daß dieser Hebel fast das Einzige sey, was ihm übrig geblieben, brauchte ihn fleißig, und schrieb, wie Drako, seine Gesetze fortan nur mit Blut. Auf dem leisesten Ungehorsam gegen seine Befehle stand nichts Geringeres als der Tod. So viel Alf in seiner neuen Stellung auch zu mildern, zu schützen, zu retten suchte, so fielen doch täglich neue Opfer, und knechtisch zitterte die Bevölkerung einer großen Residenz vor dem feigen, tyrannischen Schneiderkönige.

 

Unterdeß fuhr Alf fort, seinen Wächterposten treu und unsträflich zu verwalten, ob er gleich, nachdem die erste Einrichtung getroffen worden, die persönliche Wache vor des Königs Schlafgemach den Hauptleuten überließ, und nur allnächtlich revidirte; und der grausame Johannes verschlief seine Nächte unter so gutem Schutze, als wären Engel mit feurigen Schwertern seine Leibtrabanten geworden. Da aber sein Amt den Jüngling jetzt täglich in den Palast führte, so konnte es auch nicht fehlen, daß er der herrlichen Gertraut oft begegnete auf seinen Wegen und ihr dabei tiefer in die Augen schaute, als zu seinem Heil gut war, bei den Flammen der Erinnerung, die seit jener Prüfungnacht in ihm fortloderten. Darum brannten seine Blicke immer durstiger und begehrender in den ihren, und sprachen die Wünsche seines sinnlichen Herzens immer rücksichtloser aus. Gertraut, ihres Schneiderkönigs herzlich müde, dessen Gunst sie noch mit dreizehn Genossinnen theilen mußte, liebte den schönen, kräftigen Jüngling, wie ein wollüstiges Weib ohne Grundsätze überhaupt lieben kann, und ihre Sehnsucht, ihm ganz anzugehören, hatte nur noch mit der Furcht vor dem Sultan dieses Harems zu kämpfen, bei dem freilich die Entdeckung der kleinsten Untreue das Todesurtheil über beide Schuldige gesprochen hätte. Doch die gewaltigste Leidenschaft hienieden besiegte endlich auch diese Furcht.

Bei einem der rauschenden Hoffeste, mit denen der König sich und seine Umgebungen zu betäuben suchte, stand Alf, nach einem raschen Tanze, verschnaubend da und hatte die Hände auf den Rücken gelegt. Da fühlte er plötzlich einen warmen, weichen Druck in seiner Rechten, ein Zettel blieb darin zurück, und in dem Augenblick rauschte die erste Königin hinter ihm hervor und warf ihm einen bedeutungschweren Blick zu. Er ging sogleich hinaus und las bei der nächsten Lampe des Corridors die süßen Worte:

»Eine Stunde nach Mitternacht im obern Seitengange links, die erste Thür.«

Entzückt küßte er die holde Anweisung und verschlang sie, jede Entdeckung unmöglich zu machen, auf der Stelle. Dann eilte er in den Tanzsaal zurück, und seine glühenden Wangen, seine blitzenden Augen, seine hochschlagende Brust, sein triumphirender Gang verriethen es sogleich der schönen Syrene, daß er gelesen und verstanden habe.

Indem schlug die Mitternachtstunde. Plötzlich bekam Gertraut heftige Kopfschmerzen und ließ sich von ihren Frauen nach ihren Gemächern begleiten. Der König flisterte Elisen mit lüsternem Lächeln einige Worte zu, die diese mit gesenkten Augen und einer Purpurröthe auf den Wangen beantwortete. Die Versammlung ging aus einander, und Alf, in süße Träume verloren, nach seiner Wohnung.

Er fand das treue Klärchen noch geduldig seiner harrend bei dem Schein der Lampe am Spinnrocken, und ihre jetzt immer so klaren Augen waren ein wenig trübe, ohne daß er recht unterscheiden konnte, ob von der Nachtwache, oder vom Weinen, oder von beiden zugleich.

Ich glaubte schon, Ihr würdet heute gar nicht nach Hause kommen, sagte das gute Mädchen in einem freundlichen Tone, der gar wehmüthig klang.

Der Tanz dauerte heute ungewöhnlich lange, warf Alf hin, und nebenbei einen Blick in den Spiegel, um sich selbst sagen zu können, daß er der schönen Königin wohl werth sey, und drückte sich das reichgefiederte Baret noch unternehmender in die Augen.

Indem hatte Klara an der Lampe das Licht angezündet, mit dem er sich in seine Schlafkammer leuchten sollte, und reichte es ihm hin.

Ich gehe sogleich wieder fort, liebe Klara, sprach Alf mit einiger Verlegenheit. Ich kam blos, Dir das anzusagen, damit Du nicht etwa die ganze Nacht meinetwegen aufbleiben solltest.

Ihr geht wieder fort? fragte Klara gespannt. Das ist ja sonst nicht die Zeit Eurer Wachtgänge?

Der heutige Tag hat alles aus seiner Ordnung gebracht, stammelte Alf noch verlegener. Ich muß heute wirklich noch einmal in den Palast.

Da ergriff Klara mit ihren Händchen seine Rechte und sah ihn mit den sanften, treuen Augen recht durchdringend an. Das böse Gewissen hieß ihm die seinen niederschlagen. Kippenbrock, rief da Klärchen, plötzlich erschreckend: Ihr geht doch nicht etwa auf bösen Wegen?

Du träumst schon mit wachenden Augen, mein Kind; lege Dich hübsch bald schlafen, scherzte Alf, und bog sich herab, das Mädchen zur guten Nacht zu küssen, eine Sitte, die er seit einiger Zeit zu seiner großen Ergötzlichkeit eingeführt hatte. Aber Klara bog sich zurück und sagte ernsthaft: Heute nicht, lieber Kippenbrock, es ist nicht alles, wie es seyn sollte.

Du bist eine kleine Thörin! rief er, halb unwillig, und ging eilig fort, als wolle er dem unbehaglichen Gefühl entrinnen, das diese sanften Mahnungen ihm gegeben hatten, und als das dritte Viertel der ersten Stunde nach Mitternacht schlug, stand er, im Feuerofen der Begierde glühend, dicht in seinen Mantel gehüllt, im obern Seitengange des Palastes und bewachte bei dem düstern Schein der Lampe, die an dessen Ende brannte, die erste Thür links mit Luchsaugen.

Da schlug endlich die volle Stunde aus, und noch wollte sich jene Thür nicht aufthun. Lust und Langweile machten den Jüngling ungeduldig, und dieser Unmuth führte ihn aus einem seltsamen Widerspruche in dem menschlichen Herzen plötzlich zu tugendhaften Betrachtungen.

Es ist doch im Grunde höchst unrecht, daß ich hier stehe, sprach Alf zu sich selbst. Der König mag nun seyn und gelten, was er will, so habe ich ihn doch einmal für meinen Herrn erkannt, und diese Gertraut ist seine angetraute Gemahlin. Dazu ist es gerade mein Amt, die Ordnung aufrecht zu erhalten im königlichen Palast, die ich im Begriff bin, so schnöde zu verletzen. Endlich aber kränke ich auch noch die Rechte der guten Klara, die mich so still und heimlich liebt, und die ich doch von Rechts wegen für meine verlobte Braut ansehen muß. Wüßte sie, daß ich hier stände und auf das Knarren dieser Thür wartete, sie weinte sich die Augen aus dem Kopfe. Und sie schien sogar etwas zu ahnen von meinem Liebeshandel. Sie kam mir bei dem Abschiede ganz sonderbar vor. Guter Gott! mit welcher Stirn soll ich morgen früh vor ihr erscheinen, wenn ich – Nein! es ist beschlossen, die schöne Gertraut mag meiner vergebens harren, so erspare ich mir eine Sünde und ihr dazu. –

Und plötzlich raffte er sich auf und wollte davon gehen. Da kam auf einmal ein helles Licht von dem Seitengange zur Rechten her. Eine hohe, majestätische Frauengestalt im blendend weißen Nachtgewande schwebte den Gang entlang, immer näher und näher, einen silbernen, Armleuchter mit Doppelkerzen in der Hand. Jetzt erkannte sie Alf und rief mit seltsamer Bewegung: Elisa!

Die schöne Frau schrak zusammen, als sie die Stimme erkannte. Dann faßte sie sich und sprach mit stolzem Tone: Wie? Ihr seyd es, Oberster? Wie kommt Ihr an diesen Ort zu dieser Stunde?

Meine Dienstpflicht berechtigt mich dazu, gnädige Frau, antwortete Alf.

Fest hatte Elisa die Blicke auf des Jünglings Gesicht geheftet, und es schien aus den schwarzen Augen ein Strahl der alten Liebe hervorbrechen zu wollen. Aber plötzlich fuhr sie zusammen, legte mit einem leisen Seufzer die weiße Hand an die Stirn, wendete sich, rief Alfen über die Achsel zu: Gute Verrichtung, Oberster! und bog mit wankenden Schritten in den Hauptgang ein. Alf sah ihr nach, sah, wie sie sich den Gemächern des Königs näherte, wie die poststehenden Trabanten ihr die Thür öffneten, Johannes ihr mit offenen Armen entgegen trat, die Thür sich wieder hinter ihr schloß, dachte an das Flistern des Königs am Ende des Hoffestes, welches mit diesem Besuche in einer sehr natürlichen Verbindung zu stehen schien, und stampfte wild mit dem Fuße vor Zorn und Eifersucht.

Vortrefflich! knirschte er: der Wüstling schwelgt mit der Dirne, die meine Braut war vor Gott und der Welt, und die er mir entrissen hat gegen alles Recht. Ungerührt von meinem Anblick, sinkt das treulose Weib in seine Arme, und ich stehe hier, einem Kinde gleich, das vor der Ruthe zittert, und scheue mich, dem Tyrannen das Unrecht, das er mir gethan, zu vergelten, da es in meiner Macht steht. Auge um Auge, Zahn um Zahn, das ist die alte Regel und ich will, beim Himmel, keine Ausnahme machen!

Da knarrte die erste Thür des linken Seitenganges, und mit einer Kerze in der Hand, trat die schöne Gertraut im tiefsten Nachtkleide heraus und winkte dem Jünglinge mit holdseligem Lächeln. – Rache! sprach er zu sich, und stürzte in ihre Arme; und die Thür fiel hinter dem Paare zu.

 

Am Morgen nach dieser Nacht stand Alf, in Erinnerungen schwelgend, im Vorzimmer des Königs, seine Befehle für den Tag erwartend. Da kam der Stadtvoigt Krechting, ein wüthender Schwärmer und treuer Jünger Johannes, mit einigen Soldknechten, die zwei königliche Edelknaben gebunden herbei schleppten. Alf erkannte in den Gesichtern, von Hunger und Kummer gebleicht und abgemagert, die beiden Pagen, die er aus den Händen des Propheten Matthäus gerettet, und fragte den Stadtvoigt mitleidig, was die armen Kinder verbrochen hätten?

In den Aussenwerken haben wir sie gefangen, rief Krechting grimmig: als sie überlaufen wollten zu ihrem alten Herrn, dem Bischofe. Melde uns bei dem König, Bruder Oberst.

Ach, lieber Herr, sprach weinend der eine Knabe: wir hätten es ja gern nicht gethan, aber wir konnten es nicht länger aushalten vor Hunger.

Ihr könntet wohl die Sache unterdrücken, meinte Alf. Die Kinder bei dem Könige melden, heißt sie tödten, und diese Blutschuld mag ich nicht auf mein Gewissen laden!

Da schielte ihn Krechting mit einem giftigen Gesichte an und schritt hastig in des Königs Schlafgemach. Bald winkte er hinaus, und die Soldknechte schleppten ihm die Knaben nach. Dann ging es drinnen laut her. Zornig schalt der König, kläglich weinten und baten die Knaben, und dazwischen rief Elisa's flehende Stimme: Um unserer Liebe willen, Johannes. Nur dießmal laß Gnade für Recht ergehen! Doch fast zugleich ertönte des einen, dann des andern Knaben Jammergeschrei. Alf hörte zwei harte Fälle auf den Fußboden, und als risse ihn jemand mit Gewalt hinzu, stürzte er in das Schlafgemach.

Das Gräßliche war schon geschehen. Die beiden Knaben lagen todt am Boden, der König stand mit bloßem Schwerte vor ihnen, zu seinen Füßen lag Elisa, die eben ihre Arme von seinen Knieen losriß und aufsprang. Empört durch die Grausamkeit ihres Gemahles, wie durch die Fehlbitte, die sie bei ihm gethan, rief jetzt das stolze Weib im bittersten Tone: Ich glaube nicht, Johannes, daß unserem Gott mit dem Elende gedient ist, das Du über dieß Volk gebracht hast!

Da schrie Krechting vor Entsetzen laut auf über die verwegene Aeusserung, der König aber sah Elisa blos mit einem kalten Höllenblick an und sagte ruhig: Auf dem Markte werde ich Dir darauf antworten. Dann wendete er sich zu Alf: Laß meine Gemahlinnen sammt meinem ganzen Hofe hieher entbieten, befahl er ihm. Auch meine Trompeter und Pfeifer sollen sich versammeln. Wir werden auf den Markt ziehen, wo ich heute mein Richteramt zu üben habe vor der Gemeinde. Du begleitest mich, Kippenbrock, mit Deiner ganzen Schaar.

Alfen wollte von dieser sonderlichen Feierlichkeit allerlei Böses ahnen, und er ging mit schwerem Herzen, dem königlichen Gebote zu gehorchen.

 

Auf dem Markte wimmelte die Gemeinde, der neuen Dinge harrend, die da kommen sollten. Da ertönte von fern ein feierlicher Trauermarsch von Trompeten und Zinken, und Herzog Hänslein von der langen Strat zog mit seinen Soldknechten einen weiten Kreis, damit Raum werde für den König und seinen Hofstaat.

Jetzt kam der Zug. Hinter der Musik Alf mit einer Abtheilung seiner Trabanten, dann der König und Krechting. Zwischen ihnen, noch im Nachtgewande, bleich und wankend, mit zerstreuten Haaren und gefalteten Händen, Elisa. Dieser folgte die hohe Gertraut und der Troß der übrigen Weiber sammt dem Hofgesinde. Trabanten schlossen.

Jetzt winkte der König, Krechting trat ehrerbietig zurück, und die dreizehn Weiber schlossen einen Kreis um den Herrscher und Elisen. – Knieet nieder, Ihr Reinen! donnerte der König, und der Weiberkreis stürzte auf seine Kniee nieder, und in dem Augenblicke blitzte des Königs Schwert, und Elisa's Haupt flog vom blutenden Rumpfe.

Verfluchter Mörder! schrie Alf, rasend vor Schrecken und Schmerz über den ganz um erwarteten Tod des einst so heißgeliebten Weibes, und stürzte mit hochgeschwungenem Schwerte vor, um den König niederzuhauen: aber der treue Hänslein sprang ihm entgegen und umklammerte des Wüthenden Arme. Der gute Oberst, rief er: war schon gestern fieberkrank. Jetzt kehrt der Anfall wieder. Helft mir ihn überwältigen und nach Hause bringen, damit er in gute Pflege komme. Da griffen die Trabanten von allen Seiten zu, und trotz seines unbändigen Widerstandes ward Alf entwaffnet und fortgeschleppt.

Die Gerichtete hat den Geist gelästert, der ausgegossen worden über ihren König und Gemahl, sprach Johannes zu dem Volke: sie hat demnach geistiger Weise die Ehe gebrochen, und ihre Strafe wohl verdient. Gebt Gott die Ehre!

Da standen die dreizehn Weiber auf und sangen mit hellen Stimmen: »Ehre sey Gott in der Höhe!« Jauchzend fielen Zinken und Trompeten ein; der König ergriff Gertrauts Hand und begann mit ihr auf offenen Markte einen lustigen Reigentanz; die andern Weiber und das Hofgesinde folgte dem erhabenen Beispiele; das arme bethörte Volk schloß sich gleichfalls an den tanzenden Zug und sprang weidlich herum mit leerem, bellendem Magen, und aus Aller Munde ertönte der Jubelruf: »Ehre sey Gott in der Höhe!«

 

Die Krankheit, die Hänslein im wohlgemeinten Rettungeifer Alfen angedichtet, hatte Ernst gemacht. Die ewige Unruhe des Gemüthes, in der der Jüngling durch die verschiedensten, fast immer entsetzlichen Ereignisse erhalten worden; der Sturm so mannigfaltiger Leidenschaften, die sein Herz recht aus dem tiefsten Grunde aufgewühlt; vor allem die sich täglich mehr aufdringende Ueberzeugung von der Heillosigkeit der wiedertäuferischen Lehre, an der er so fest gehangen, und die Gewissensbisse über den Antheil, den er bisher an diesem Unfuge genommen; alles das hatte doch endlich die frische Jugendkraft gebrochen, und nur die Spannung, in der ihn die neuen Gräuel jedes Tages erhielten, hatte ihn noch künstlich aufrecht gehalten. Aber Johannes letzte That, die zärtliche Theilnahme, die Alf noch immer für die Gemordete fühlte, und die Vereitelung der gerechten Rache an dem schändlichen Mörder, hatte den armen Jüngling mit unwiderstehlicher Gewalt niedergeworfen, und er lag mehrere Wochen in schweren Fieberkämpfen in Trutlingers Hause, von der bleichen, traurigen Klara treulich gepflegt und gewartet.

Endlich siegte die geschonte Jugend über den tückischen Feind. Die Kräfte kehrten, nachdem einmal die Krankheit gehoben war, so schnell zurück, als sie entflohen waren, und eben verließ Alf zum ersten Male das Zimmer, um sich in der lieblichen Sommerluft zu sonnen, als ihm Freund Hänslein entgegenstürmte, ihn trotz aller Gegenwehr herzlich umarmend, und ihm zu seiner Genesung Glück wünschend.

Gehe Deines Weges! zürnte Alf. Mit dem Beschützer des Tyrannen habe ich nichts mehr zu schaffen in diesem Leben.

Immer übereilt, lachte Hänslein, und immer das Herz mit dem Kopfe davonlaufen lassen. Das war schon Deine Art als Knabe. Ich habe es besser mit Dir gemeint als Du selbst. Die arme Königin war einmal todt, der konnte nicht mehr geholfen werden. Mit dem Könige wärest Du wohl fertig geworden, aber die eingefleischten Schwärmgeister aus dem Volke hätten Dich dafür auf der Stelle in Stücken zerrissen; das war die Majestät wahrhaftig nicht werth, und für Münster wurde auch nichts dadurch gebessert. Knipperdolling und Compagnie hätten sich des Regiments bemächtigt, und es wäre eben damit eine Scharfrichterei geblieben, nach wie vor. So habe ich Dich aufgespart für größere Dinge, an die wir baldmöglichst gehen wollen, da ich Dich wiederum so rüstig auf den Beinen sehe.

Fragend sah Alf seinen Freund an, und ließ sich von ihm nach der Wohnstube zurückführen und auf einen Schemel niederdrücken.

Es steht schwach mit der Stadt, sprach Hänslein. Die Hungersnoth nimmt überhand, und ich sehe den Augenblick sehr nahe, wo die volle Verzweiflung ausbrechen wird unter dem unglücklichen Volke. An Entsatz ist nicht zu denken. Zu Bolswart in Friesland hatte sich der Wiedertäufer stärkste Macht versammelt, und wäre uns wohl ehestens zu Hilfe gezogen; aber der Landvoigt von Friesland hat den Ort mit Gewalt angegriffen, nach viermaligem Sturmlaufen gewonnen und fast die ganze Bevölkerung über die Klinge springen lassen. In Amsterdam haben die Hänse von Kempen und von Geelen das Ihrige gethan, um uns Entsatz zu bringen. Als der Rath und die Großbürger von der Kreuzzunft ein Mahl gefeiert auf dem Rathhause, haben unsere Leute das Rathhaus gestürmt, niedergehauen, was sich widersetzte, und die Bürgermeister Peter Colyn und Simon Bute sind auf dem Platze geblieben; aber der Bürgermeister Goswin Rekalf sammelte die Bürgerschaft, es kam zum harten Treffen, die Unsern wurden erschlagen, oder gefangen und hingerichtet, wie der arme Kempen, der sich schon Bischof von Amsterdam hatte schelten lassen. Geelen aber stellte sich auf den Thurm des Stadthauses, ließ sich durchschießen und stürzte todt hinunter auf den Markt. Mit ihm starb unsere letzte Hoffnung.

O Gott, werden denn diese Gräuel nimmer enden? seufzte Alf gen Himmel.

Hier vielleicht bald, meinte Hänslein: aber es wird ein Ende seyn mit Schrecken. Die Stadt muß in kurzem übergehen, und dann möchte der Herr Bischof Franziskus wohl nicht glimpflicher mit uns hausen, als bisher der Herr König Johannes. Ich absonderlich habe dann am wenigsten Pardon zu hoffen, und darum bin ich mit mir Raths geworden, schon jetzt zu meinem alten Herrn zurückzukehren. Ich habe einen Winkel gefunden, aus dem es sich bequem entwischen läßt. Auf demselben Wege getraue ich mir ein Heer nach Münster einzuführen, und mit diesem Geheimnisse denke ich meinen Frieden zu schließen mit dem Bischofe. Willst Du nun mit, so wollen wir uns noch in dieser Nacht auf die Strümpfe machen. Die Schildwachen pflegen jetzt auf den Nachtposten ihren Tageshunger zu verschlafen und werden uns nicht hindern.

Meines Vaters Haus ist ein Bethaus, sprach Alf nach langem Sinnen düster vor sich hin: Ihr aber habt es gemacht zur Mördergrube. Ja, der Taufgesinnten ursprünglich reine Lehre mochte vielleicht ein herrliches Geschenk seyn aus der Gnadenhand Gottes, aber die Ungeheuer, die sie uns predigen und umgestalten nach ihres bösen Herzens Gelüst, haben so viel Blut und Koth darauf geworfen, daß niemand mehr das edle Bild erkennt. Eine Lehre, die einen Johannes berechtigt zu wüthen unter den Menschen, gleich einem reißenden Wolfe unter der Heerde wehrloser Lämmer, kann nicht von Gott kommen. Ich entsage ihr. Möge mir nur Gott verzeihen, daß auch ich gewirkt habe und gefochten für eine Sache, die böse seyn muß, weilt sie die Schlechten hebt und die Guten verdirbt.

Du begleitest mich also? fragte Hänslein, und hielt ihm die Hand zum Einschlagen hin.

Wenn uns Klara begleiten kann und will, antwortete Alf. Ich habe es ihrem Oheim gelobt, sie zu schützen, und kann sie nicht in einer Stadt zurück lassen, über die bald alle Schrecknisse der Eroberung kommen werden.

Eben trat Klara herein, dem Gaste vorzusetzen, was das Haus vermochte, zu einer Zeit, wo die Lebensmittel schon mit Golde aufgewogen wurden, einen Becher Wasser und einige Brotschnitten mit Salz.

Ihr kommt so zutraulich zu uns, Jungfrau, scherzte Hänslein zulangend: und wir haben gerade recht Arges vor mit Euch. Wir wollen Euch aus Münster entführen.

Ach, wollte Gott! seufzte das Mädchen.

Der Scherz ist Ernst, sprach Alf. In dieser Nacht weiche ich mit diesem Freunde aus Münster, wenn Du mich anders begleiten magst, Klärchen.

Durch die ganze Welt! rief Klara mit rührender Innigkeit. Wen habe ich denn noch auf ihr, ausser Euch?

So wäre denn das Spiel gemacht! rief Hänslein. Rüstet Euch zur Reise, beschwert Euch aber nicht mit unnöthigem Gepäcke. Keine Rüstung, Alf. Ein kurzes Schwert für den schlimmsten Fall reicht hin. Klärchen würde sich in Mannskleidern am beßten ausnehmen. Es wird hie und da etwas zu klettern geben, und dabei darf uns nichts hindern. Haltet Euch bereit, mit dem letzten Schlage der Mitternacht hole ich Euch ab. – Er ging, und über die Freude der Nähe der Erlösung berauscht, umarmte Klara den Jüngling herzlich, und rief: Mit Euch aus dieser Hölle, lieber Alf! Jetzt fange ich zum ersten Mal zu hoffen an, daß mir noch dereinst wieder recht wohl werden kann auf der Erde!

 

Bei schlafenden Schildwachen vorbeischleichend, über Mauern und Wälle kletternd, durch der Graben seichte Stellen wadend, waren die drei Flüchtlinge in der entscheidenden Nacht endlich unaufgehalten in's Freie gekommen, und wanderten nun frisch und getrost den bischöflichen Lagerfeuern zu.

Da rasselten plötzlich Waffen in ihrer Nähe und eine barsche Stimme rief: Wer da?!

Ich habe nicht Lust, mich hier fangen zu lassen, flisterte Hänslein Alfen zu: sonst wird mir am Ende meine freiwillige Rückkehr nicht angerechnet, die ich doch brauche, wegen dem alten Kerbholze. Darum werde ich sehen, wie ich mich seitwärts zu des Bischofs Zelt durchschnüre. Ihr geht getrost gerade aus.

Wer da?! schrie die Stimme um vieles lauter.

Gut Freund! antwortete Alf, während Hänslein mit großer Behendigkeit rechts abfuhr: Ueberläufer aus Münster! Und in dem Augenblick war er sammt der zitternden Klara von einem Haufen Kriegesleute umgeben.

Ueberläufer? fragte der Rottenmeister, der den Haufen führte: das fragt sich noch sehr, ob Euch der Titel das Leben retten wird? In diesen Tagen sind an tausend Münsterer ausgewandert, Männer, Weiber und Kinder, und ein guter Theil der Männer wurde gleich von vornherein niedergehauen auf des Herrn Bischofs Gebot.

Das ist der Fluch, rief Alf schmerzlich: der auf diesen Meinungkämpfen ruht, daß auch der, auf dessen Seite das Recht ist, durch den Frevel des Gegners hinabgezogen wird zur ungerechten Rachbegierde. Dann gebiert ein Verbrechen das andere, und die Gräuelkette schließt den Kreis, das Glück der Menschen schonunglos zu vernichten, und des Mitleids fromme Triebe zu ersticken in ihrer Brust.

Ihr redet ja so zierlich, höhnte der Rottenmeister: als wäret Ihr einer der Propheten aus Münster. Vor allen Dingen gebt Euer Schwert ab und folgt uns in's Lager sammt Euerm Knaben. Der Bischof mag über Euch entscheiden.

Vorher werdet Ihr mich zu Euerm Feldherrn führen, sprach Alf in festem Tone. Ich habe ihm wichtige Dinge zu entdecken.

Ihr sprecht ja, als ob Ihr unser Hauptmann wäret, statt unsers Gefangnen, brummte der Rottenmeister. Es wird sich übrigens erst finden, ob der Herr General geruhen wird, Euch vorzulassen. Für jetzt vorwärts, marsch!

Gott schütze uns! lispelte die bange Klara, und drängte sich fest an ihren Beschützer.

Sey getrost, mein Klärchen, beruhigte sie Alf: es wird alles gut gehen. Und sie gingen mit den Kriegesmännern rasch fort nach dem Lager.

 

Der schöne Junius-Morgen war über dem Lager aufgegangen, Alf und Klara standen wartend mit ihren Hütern vor dem Zelte des Feldherrn. Da kam ein langer, hagerer Prädicant in seinem schwarzen Amtskleide auf das Zelt zu, stutzte, als er den Jüngling sah, und fragte den Rottenmeister: Wer sind diese Leute? Ueberläufer aus Münster, antwortete dieser: die wir heute Nacht eingefangen haben. Sie wollen durchaus mit dem Feldherrn reden.

Und scharf betrachtete der Prädicant Alfen, der in Gedanken versunken dastand. Dann ging er auf ihn zu und sprach, ihm freundlich die Hand bietend: Als Ueberläufer sehe ich Euch wieder? Dafür sey der Herr gepriesen, so ist doch meine Prophezeihung eingetroffen!

Herr Doktor! rief Alf mit froher Ueberraschung, da er den guten Fabritius erkannte.

So ist Euch doch endlich des Unwesens zu viel geworden in dem neuen Zion? fragte dieser. Ich wundere mich nur darüber, daß Ihr nicht schon längst zur Erkenntniß gekommen, daß Herz und Kopf durch eine so geraume Zeit geschwiegen haben bei Euch zu den Heidengräueln.

Wenn sich der Deutsche einmal einem selbstgewählten Herrn angeschlossen hat, ehrwürdiger Herr, antwortete Alf: so muß man ihn mit Keulenschlägen losreißen, sonst bleibt er festhangen bis zum Tode.

Und die Keulenschläge sind nicht ausgeblieben, merke ich, sprach Fabritius. So seyd Ihr wieder Einer der Unsern geworden?

Aus vollem Herzen! antwortete Alf mit raschem Feuer.

Das weitere im Beichtstuhl, in dem ich Euch wohl nächstens erwarten kann, sagte Fabritius. Für jetzt werde ich nur dahin trachten, Euch bei dem Feldherrn eine gute Aufnahme zu bereiten.

Er schüttelte Alf noch einmal traulich die Hand und ging in das Zelt. Eine Weile darauf wurde der Jüngling und der Mädchenknabe hinein entboten. Graf Oberstein saß mit dem Doktor hinter dem Feldtisch am Frühtrunk.

Näher! befahl der Feldherr mit finsterern Ernste. Was hast Du mir zu entdecken?

Die Stimme des Fragenden vollendete Alfs Gewißheit, daß er der Oberst sey, den er in jener Nacht hatte entrinnen lassen; aber er ließ sich nichts merken.

Dem Elende der Stadt ein Ende zu machen, antwortete er: bin ich bereit, Euren Soldaten den Weg nach Münster zu zeigen, auf dem ich daraus entflohen.

Auch die Stimme trifft zu! rief jetzt Oberstein aufspringend, und trat vor den Jüngling hin. Wir sind schon einmal auf einander getroffen in diesem Leben, sprach er zu ihm, und zwar in den Aussenwerken vor der neuen Pforte, bei Mondenschein. Ihr waret der Officier, der mich gefangen nahm und dann laufen ließ? Nicht also?

Es that mir recht wohl, erwiederte Alf: einen so alten, freudigen Kriegeshelden zu retten, da es in meiner Macht stand.

Und jetzt wollt Ihr mir die Stadt übergeben? fuhr Oberstein heiter fort: dem langen Gräuel ein kurzes Ende machen? Ihr macht mich zu Euerm doppelten Schuldner, Euer Lohn soll groß seyn.

Von mir soll hier überall am wenigsten die Rede seyn, sagte Alf. Meine Bedingungen sind nur Pardon für mich und meine Begleiter, und daß der Sieger in der gewonnenen Stadt die Bösewichter scheide von den Verirrten, und diese schone.

Das müssen wir schon Kraft des Wormser Reichstagschlusses, sprach Oberstein. Wer nicht zu den Häuptern gehört und uns nicht bewaffnet entgegen tritt, dem ist das Leben geschenkt und die Freiheit.

Dann hätte aber auch der Herr Bischof, wendete Alf mit keckem Muthe ein: die Gnade bei den unglücklichen Flüchtlingen sollen walten lassen, die sich in diesen Tagen aus der Stadt gerettet.

Der Bischof war durch alles, was vorgegangen, übermäßig gereizt, erwiederte der Feldherr achselzuckend: und des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist.

Jetzt fiel sein Auge auf Klara, die sich schüchtern neben der Thür in einen Winkel des Zeltes gedrückt hatte.

Wer ist der feine Knabe? fragte er: etwa einer der Edelknaben des Bischofs? Das wäre höchst erwünscht. Bei dem Ausfall, den die Wiedertäufer im Anfang der Belagerung gemacht, wurden zwei Pagen von ihnen gefangen mit fortgeschleppt. An einem von ihnen besonders hing der hochwürdige Herr mit wahrhaft väterlicher Liebe.

Diese Knaben sind auch gefallen als ein Opfer der Grausamkeit des Königs, antwortete Alf. Diese Dirne ist die Schwester der Königin Elisa, die ihre Klage um die ermordete Unschuld mit ihrem Haupte bezahlen mußte.

Großer Gott, welche Masse von Verbrechen! rief Oberstein, und Fabritius rügte mit aufgehobenem Zeigefinger: Ein Mädchen habt Ihr Euch mit heraus gebracht in männlicher Kleidung? Sollte das nicht etwa noch ein Ueberrest seyn von dem alten anabaptistischen Sauerteige, der bei Euch drinnen den ganzen Teig alter, guter Zucht und Sitte eingesäuert hat für Zeit und Ewigkeit?

Alles in Ehren, Herr Doktor, betheuerte Alf: und werde ich Euch ersuchen, mich sobald als möglich ehelich zusammen zu geben mit dieser unbescholtenen Jungfrau, welche meine verlobte Braut ist.

Das ist ein anderes, sprach Fabritius, Klara's seidene Wangen liebevoll streichelnd. Gott ehre mir die alte Ordnung.

Des Herrn Bischofs Hochwürden und fürstliche Gnaden, sprach eintretend ein bischöflicher Hauptmann: lassen den Herrn General höflichst ersuchen, sich baldigst zu ihnen zu verfügen. Ein gefangener Wiedertäufer hat wichtige Dinge vorgebracht, über die schleunig Rath gepflogen werden soll.

Begleite mich dahin, sagte Oberstein zu Alf. – Wo bleibe aber ich? flisterte Klara ängstlich dem Bräutigam zu.

Darf ich das Mädchen Eurer Obhut anvertrauen, ehrwürdiger Herr? fragte Alf den Doktor bittend.

Ich will sie hegen und pflegen, gleich einer leiblichen Tochter, versicherte Fabritius, der Dirne Hand ergreifend; und mit leichtem Herzen folgte der Jüngling dem Feldherrn.

 

Glühend vor Grimm und Schmerz schritt Franz Graf von Waldeck, Bischof von Münster, in seinem goldenen Zelte auf und nieder. An der Thür stand mit einem bleichen armen Sünder-Gesicht Hänslein von der langen Strat in Ketten, von Trabanten umgeben. Eben trat Oberstein mit Alfen ein.

Dieser Schurke, rief der Bischof dem Feldherrn entgegen: erbietet sich, sein Sündenleben durch Verrath der Stadt zu erkaufen. Er hat aber drei Mal den Tod verwirkt. Vormals Reiter in meinem Heere, verwundete er seinen Vorgesetzten, ging zu den Feinden über und schwor seinen Glauben ab. Ich bin der Meinung, ihm den Weg nach Münster peinlich abzufragen, und ihn dann aufzuknüpfen; denn es wäre gegen alle göttlichen und menschlichen Rechte, wenn er das Leben davon brächte.

Das größte Recht ist oft das größte Unrecht, sprach der General begütigend. Allzu scharf macht schartig, und mit Ewr. fürstlichen Gnaden Erlaubniß, wenn die geistlichen Herren nicht vormals immer allzu hart und steif auf ihren alten Rechten und Unrechten gehalten, und den Stab Wehe nicht allzu rüstig geschwungen hätten, so wäre wohl viel von dem Unheil unterblieben, worüber jetzt das gesammte christliche Deutschland aller Confessionen so gerechte Klagen gen Himmel sendet. Ich stimme für die Milde.

Ihr habt nichts Theures verloren durch diese Ungeheuer! rief der Bischof, seine Thränen gewaltsam zurückdrängend. Ich habe gewisse Nachricht, daß der verworfene Schneider meine beiden Edelknaben ermordet hat, weil sie sich retten wollten aus seinen Klauen.

Das ist höchst traurig, sprach Oberstein theilnehmend. Wenn Ihr aber auch alle diese Gräuel überbieten wollt durch andere, so könnt Ihr wohl dadurch Euern Fürstenruhm beflecken, aber nichts gutmachen, was geschehen ist. Mein Rath ist, dem Ueberläufer den verlangten Pardon zu bewilligen, und dadurch einen treuen Wegweiser in die Stadt zu erkaufen, an deren schleuniger Uebergabe Euch doch am meisten gelegen ist. Die Frage auf der Folter ist mir an sich höchlich zuwider, wie sie es wohl jedem tüchtigen Manne seyn muß, und überdies hier ein höchst unsicheres Mittel zum Zweck.

Ihr mögt Recht haben, sagte nach einer Pause der Bischof, den der kräftige Ton und die ruhige Vernunft des würdigen Greises etwas zu besänftigen begannen.

Einen zweiten zuverlässigen Führer nach Münster bringe ich Euch, fuhr Oberstein fort und stellte Alfen vor: und wir werden auf diese Weise unsere Schaaren weit sicherer vertheilen und dirigiren können.

Dieser ist es? schrie der Bischof plötzlich mit wüthenden Blicken. Bösewicht! Gott sey Dank, daß ich Dich habe. Du sollst es mit Entsetzen erfahren, daß Du in meine Hände gefallen bist!

Was ficht Euch an, Herr Bischof? fragte der General befremdet. Was kann der Jüngling gegen Euch verbrochen haben, den Ihr vielleicht heute zum ersten Mal seht in Euerm Leben?

O ich kenne ihn nur allzu wohl, tobte der Bischof. Als der Lügenprophet Matthäus mein Lager überfiel im vorigen Jahre, da hat dieser Bube die Anabaptisten als Oberster angeführt unter ihm. Ich sah ihn noch heranstürmen an der Spitze seiner Bande, als ich mich auf mein Roß warf, um der nahen Gefangenschaft zu entrinnen.

Ei, so seyd doch nicht wieder so entsetzlich strenge! mahnte Oberstein. Verführt, gleich den Tausenden in der Stadt, denen Ihr längst General-Pardon angeboten, hat der junge Mensch blos das erfüllt, was er damals für seine Glaubens- und Waffenpflicht hielt. Jetzt ist er aber des Schneider-Regiments überdrüssig geworden und freiwillig zu uns herausgekommen.

Und bei diesem Ueberfall wurde mein unglücklicher Zögling gefangen genommen mit seinem Gespielen! rief der Bischof. Wer hat ihn also zum Tode geschleppt, als die verruchten Führer jenes wahnsinnigen Haufens?! Matthäus ist schon gerichtet. Diesen haben die Heiligen in meine Hand gegeben, und ob Gott vom Himmel herab: Gnade! riefe, so müßte er dennoch sterben!

Solche Reden ziemen keinem Fürsten, noch minder einem geistlichen Herrn, sprach Oberstein mit finsterem Ernste. Uebrigens zwingt mich dießmal die Pflicht der Dankbarkeit, Euch ein Verbrechen zu ersparen. Dieser Jüngling hat mein Leben gerettet. Ich gebe ihn nimmer Eurer Rachsucht Preis.

Vergeßt nicht, Herr Graf, rief der Bischof gereizt: daß ich Fürst bin auf diesem Boden und Ihr nur General des Heeres!

Der Reichs-Execution! fiel Oberstein heftig ein: nicht der Eurige, und ausdrücklich befehligt, treulich zu halten über den Beschlüssen des Wormser Reichstages. Da Ihr diese ganz vergessen zu haben scheint, so ist es meine Pflicht, Euch daran zu erinnern.

Unerhört! knirschte der Bischof. Es gilt also, zu entscheiden, ob ich noch Landesherr bin zu Münster. – Und mit rollenden Augen winkte er den Hauptmann an der Thür zu sich heran, als wolle er ihm einen ernsthaften Auftrag ertheilen.

Erspart Euch Schritte, Fürstliche Gnaden, die Ihr zurückthun müßtet, warnte Oberstein; und in dem Augenblick trat der Leibdiener des Bischofs, ein frommes, redliches Silberhaupt, herein mit dem Frühmahl.

Jesus Maria! schrie der Leibdiener, als er Alfen erblickte, ließ die rauchende Schüssel fallen, stürzte sich dem Jünglinge zu Füßen und umarmte seine Kniee. So hat mir doch Gott noch die Gnade. verliehen, Euch zu danken, mein Lebensretter! rief er schluchzend.

Lebensretter? rief der Bischof gespannt.

Ihr seyd im Irrthume, Vater, rief Alf, den Greis abwehrend. Ich kenne Euch gar nicht.

Ich bin meiner künftigen Seligkeit nicht gewisser, sprach der alte Leibdiener. Wißt Ihr nicht, Herr Oberster, oder was Ihr sonst seyn mögt, wie Ihr mit dem gräulichen Matthäus eingefallen waret in unser Lager, und Ihro Fürstlichen Gnaden hatten sich so eben entfernt, und Matthäus war eingebrochen in dieß Gezelt, und hatte schon den Leibkoch niedergestochen und zwei Lakayen, und die beiden Edelknaben knieeten vor ihm, und er hob schon den Goliathspieß gegen sie aus. Ich stand im Winkel und harrte zitternd, wann die Reihe auch an mich kommen würde. Da stürmtet Ihr gewaltig herein in das Gezelt und fielet dem Unholde in den aufgehobenen Arm, obschon er Euer Vorgesetzter war, und schaltet ihn, und gabt ihm harte Worte, und zwanget ihn, daß er den Knaben das Leben schenken mußte, und sie als Gefangene mit fort nahm gen Münster. Und dann schlepptet Ihr ihn gleich mit fort, sammt den Knaben, ich aber wischte aus meinem Winkel hervor und knieete hier auf dieser Stelle nieder und betete ein andächtiges Ave Maria für mich und zwei zum Heil Eurer armen Seele, auf daß Gott sie retten möge vor dem ewigen Tode, wie Ihr mich gerettet hattet vor dem ewigen Hinscheiden.

Wie nun, Herr Bischof? fragte Oberstein im strafenden Tone. Der Jüngling hat denen das Leben gerettet, deren Blut Ihr an ihm rächen wolltet. Sein Verbrechen ist, daß er nicht jeden Augenblick um sie seyn konnte, sie zu hüten vor den Raubthieren jener Höhle.

Kannst Du es auf die Hostie beschwören, fragte der Bischof strenge den Leibdiener: daß dieß der Mann ist, der hier der Knaben Leben rettete?

Als Gott mir helfe zu einer guten Sterbestunde! antwortete dieser, mit der Hand auf dem Herzen.

Da brach sich der Grimm in des Bischofs Zügen. Er trat zu Alf und sprach schmerzlich: Du hast es gut gemeint, mein Sohn, aber Gott wollte es anders. Und zu Oberstein gewendet, fuhr er fort: Ich überlasse Euch beide Ueberläufer, so wie die weitern Anordnungen. Auch will ich von Euch Vorschläge erwarten, was ich etwa zum Frommen dieses Jünglings thun kann. Unser Mißverständniß von vorhin werdet Ihr freundlich vergessen, wenn Ihr erwägt, von wie vielen Seiten ich verletzt worden bin, bis in mein tiefstes Innere durch alles dieß Unwesen, als Mensch und Vater, als Fürst des Landes und als Fürst der Kirche.

Oberstein nahm mit einer ehrerbietigen Verbeugung die dargebotene Friedenshand des Bischofs, der mit gesenktem Haupte in das hintere Gemach des Zeltes schlich. Auf einen Wink des Feldherrn fielen Hänsleins Fesseln.

Dießmal ging es hart am Galgen vorbei, rief dieser, sich schüttelnd. Es soll mir eine Warnung seyn, mich zu hüten vor den geistlichen Herren. Ich hatte mich gefürchtet, mich bei dem General zu melden, der nach meiner Meinung gar keinen Spaß verstehen würde. Darum ging ich zum Herrn Bischofe, und gerade der Krummstab, unter dem ich gut zu wohnen gedachte, hätte mir beinahe den Schädel eingeschlagen.

Am Ende ist das auch ein alter Bekannter! sagte Oberstein, den Schwätzer lächelnd betrachtend. Jetzt kommen mir seine Züge wieder. Die Todesangst hatte sie vorhin ein wenig in die Länge gezogen.

Allerdings, rief Hänslein, seine Hand küssend: und Ihr, lieber ehrwürdiger Kriegsfürst, habt so mannlich gesprochen für die Rettung des unbekannten Anabaptisten, ohne es zu ahnen, daß Ihr ihm von damals noch ein wenig verpflichtet wäret.

Jetzt folgt mir, Kinder! sprach der biedere Feldherr: in meinem Zelte die ausgestandene Angst zu vergessen, und der Angst des zagenden Bräutchens ein Ende zu machen.

Mit tausend Freuden! jubelte Hänslein. Hier ist ohnehin nicht gut Hütten bauen. Und mit einem mächtigen Satze war er zur Zeltthüre hinaus. Die andern folgten.

Wollt Ihr Euch vielleicht heute noch trauen lassen mit Eurem Mädchen? fragte unterweges Oberstein Alfen liebreich. An Mönchen und Prädicanten ist kein Mangel im Lager. Die Hochzeit richte ich aus, und vom Bischof habt Ihr auf ein stattliches Hochzeitgeschenk zu rechnen.

Bis die Stadt übergegangen ist, erwiederte dieser: möchte ich die heilige Handlung wohl aussetzen. Wenn ich bei dem Ueberfall bliebe, so würde mein Weib doch eine gar zu frühe Witwe, und unglücklicher, als wenn nur die Braut den Bräutigam zu beweinen hat. Dazu kann ich nicht eher ruhig seyn, geschweige denn mich recht gründlich freuen an dem höchsten Feste meines Lebens, als bis meine arme Vaterstadt befreit seyn wird von der Herrschaft der Teufel, die sie jetzt zerfleischen mit ihren Krallen. Wenn das gute Münster Ruhe gefunden hat, so will ich sie mir auch suchen für meinen kleinen Hausstand.

Du hast einen guten Glauben, mein Sohn, rief Oberstein, gerührt von der Selbstverläugnung des Jünglings.

Indem standen sie vor dem Generalszelt, und süß lächelnd trat an Fabritius Hand ihnen das holde Klärchen, schon im züchtigen Mädchengewande, entgegen.

 

Noch einmal die Milde versuchend, sandte der edle Oberstein Boten in die Stadt, die sie zur Uebergabe ermahnen mußten und zur Rettung des verhungernden Volkes. Aber die Antwort, die der Orator Rothmann in Gegenwart des Königs ertheilte, war, gleich den vorigen, eine zurückweisende, begleitet von einer Paraphrase über die Stelle im Propheten Daniel von dem vierten vor allem grimmigen Thiere, in dessen Schilderung sich der Bischof leicht erkennen konnte.

Da war denn der letzte Sand der Gnadenuhr verronnen, und der Ueberfall ward auf die nächste Nacht bestimmt. Es war am 13. Junius 1535, eine Stunde vor Mitternacht, als Hänslein von der langen Strat fünfhundert Freiwillige in größter Stille durch die seichten Stellen der Graben auf den Wall führte. Die schlafenden Schildwachen wurden niedergehauen, und der Haufen gelangte ungehindert zu der kleinen Pforte. Diese ward erbrochen, und die Soldaten stürzten in die Stadt. – Jetzt aber wurde Lärm, die bewaffneten Bürger liefen zusammen, warfen die letzten der eindringenden Haufen zurück, verschlossen und besetzten die Pforte, und griffen nun die schon Eingedrungenen mit doppelter Wuth an. Anderthalb Stunden währte das Blutbad in der dichten Finsterniß, bis sich Hänslein mit dem Rest seiner Schaaren bis zu dem nächsten, schwach besetzten Thore durchschlug. Vor diesem harrte, von Alf geführt, der Feldherr mit dem Kern des Heeres, und als, von innen gesprengt, die Thorflügel aufflogen, strömten, unter lautem Sieggeschrei, die hellen Haufen der Bischöflichen in die Stadt. Aber der Sieg war darum noch nicht errungen. Jeden Fußtritt Raum verkauften die halbverhungerten Fanatiker um Blut, und da endlich Oberstein mit unwiderstehlicher Gewalt sie zurückdrängte, wichen sie nur, um ihm am Markte, an der Lambertuskirche, noch einmal die Spitze zu bieten. Hier war der König, so eben dem Bette entsprungen, mit seinen beßten Leuten, und es galt frisch zu streiten. Blutig stieg über dem Gemetzel das Morgenroth empor, und der Kampf, bei dem sich Freund und Feind jetzt erst recht erkennen konnten, wurde regelmäßiger, wobei natürlich die Wiedertäufer nichts gewannen. Alf hielt sich immer an des Feldherrn Seite, nur diesen, oder das eigene Leben vertheidigend, da es ihm weh that, das Schwert zu führen gegen seine Vaterstadt. Jetzt aber erblickte er im Getümmel den schändlichen Johannes, wie er die Seinen anspornte zum wüthendern Schlachten. Da entbrannte der Zorn des Jünglings in mächtiger Lohe. Elisa! rief er und warf sein Roß dahin, wo der König hielt. Links und rechts stürzten die Fußkämpfer zur Erde vor den Hufen des springenden Hengstes, und schon war er am Ziele. – Elisa! rief er noch einmal, als er den König erreichte, und, als halte er das Ungeheuer nicht der ritterlichen Klinge werth, stieß er es mit dem Degengefäß so gewaltig auf die gepanzerte Brust, daß es zusammensank auf dem goldgeschmückten Rosse. Und mit starker Faust riß er den ohnmächtigen König aus dem Sattel, nahm ihn, gleich einer entführten Dirne, vor sich auf den Sattelknopf, und sprengte zurück zum Feldherrn. Hier bringe ich Euch die Fackel dieses heillosen Krieges, sprach er. Schaltet damit, wie es Euch gefällt.

Der Bischof hat sich ausdrücklich vorbehalten, antwortete Oberstein mit trübem Ernste: selbst über das Schicksal der Häupter dieses Aufruhrs zu entscheiden. Drum nehmt Euch hinreichende Mannschaft, laßt den Elenden gleich scharf schließen und haltet ihn in genauer Obhut. Ich werde ihn Euch abfodern zu seiner Zeit. Eures Lohnes könnt Ihr Euch getrösten.

Bis jetzt hatte das Gefecht fortgedauert. Der Orator Rothmann, der des Königs Gefangennahme gesehen und am Glück des Tages verzweifelte, stürzte sich, um den Bischöflichen nicht lebendig in die Hände zu fallen, mit dem Schwert in der Faust, in den dicksten Haufen der Feinde, und fiel, ritterlich kämpfend, ehrenvoller, als er gelebt hatte. – Knipperdolling und Krechting waren verschwunden, der Rest der Wiedertäufer, seiner wüthendsten Häuptlinge beraubt und durch das lange Blutbad erschreckt, warf die Waffen weg und bat um Pardon, den der Feldherr sogleich bewilligte. Wehmüthig blickte der edle Greis auf die Leichen und Sterbenden, die den Markt mit ihrem Blut überschwemmten, und auf die magern, gelbbleichen, von den ausgestandenen Qualen verzerrten Gesichter der Uebriggebliebenen, und sprach mit herzlichem Mitleid: Arme Thoren, diesen Pardon hättet Ihr wohlfeiler haben können!

 

Am andern Morgen zog der Bischof, an der Spitze von funfzehnhundert Reitern, in die beruhigte Stadt. Alle Häuser wurden scharf durchsucht. Dabei ward noch mancher tolle Schwärmergeist gefunden, und nicht immer respectirten die wüthenden Reiter den bewilligten Pardon. Auch Knipperdolling und Krechting wurden in ihren tief verborgenen Schlupfwinkeln entdeckt und hervorgezogen. Aber ihr Leben ward mit grausamer Berechnung geschont, um es dem Blutgerüst aufzusparen. Alfs Zeugniß von der gänzlichen Thatenlosigkeit und Unschädlichkeit des Vetter Fleischer-, Bürger- und Schatzmeisters, und des Schneiders, Zwölfherrn und Oberhofmeisters, rettete Beide von Haft und Tod. Dafür belastete Alf den erstern mit dem Auftrage, sein kleines Vermögen, so wie das der Trutlinger'schen Nichten, bei der nächsten günstigen Gelegenheit zu versilbern und einzuziehen, und ihm nachzusenden an den Ort seines künftigen Aufenthaltes; denn nach dem, was er darin erlebt, widerte ihn seine Vaterstadt an, und auch der Bischof hatte ihm, trotz der Gnade am Schluß der Audienz, nicht so wohl gefallen, daß er unter seinem Zepter hätte wohnen wollen.

Auch dem Bischofe wollte es noch nicht recht heimisch werden in der Residenz seines Episcopates. Er verließ sie noch am Tage seines Einzuges und zog nach dem Schlosse Dülmen, drei Meilen von Münster gelegen. Dadurch gewann Oberstein den gewünschten Spielraum, die Beschlüsse des Reichstags von Worms zu vollstrecken in der unglücklichen Stadt, ungestört durch die Erbitterung ihres Beherrschers. Er that nach Kräften, um das grenzenlose Elend des Volkes zu lindern. Reichliche Zufuhr machte den Hungerqualen ein Ende. Eine allgemeine Begnadigung, die blos den König, Knipperdolling und Krechting ausschloß, und die der Bischof sich nicht entbrechen konnte zu unterzeichnen, befreite die Münsterer von der unaufhörlichen Angst, daß auch sie noch das Schwert des Richters erreichen könne. Jeder, Protestant oder Katholik, Belagerter oder Auswanderer, erhielt sein Gut zurück aus dem gemeinen Säckel, wohin es die Propheten gezogen. Die Geflüchteten kehrten wieder, insonderheit die verjagten Bürgermeister und Rathsherren, die sofort ihre vormaligen Funktionen wieder begannen, und es gewann den Anschein, als ob die Stadt nach und nach in die alte Ordnung zurückkehren wollte, wobei sie sich recht wohl zu befinden schien.

So waren drei Tage verstrichen; am vierten frühzeitig ließ Oberstein Alfen zu sich entbieten. Ich habe auch die Sanct Lambertuskirche ein wenig renoviren und ausputzen lassen, sprach der Feldherr zu ihm. Es war so leer und wüste in dem großen, geplünderten Gewölbe, als ob die Zihim und Ohim darin hausen sollten, und das arme Volk muß doch wahrlich etwas Aeusseres haben bei seinem Gottesdienste. Es muß in etwas für seine Sinne gesorgt werden, eben weil es sich mit seinen Gedanken und Gefühlen nicht sonderlich weit erstrecken kann. So es Euch beliebt, mein junger Freund, so wollen wir mit einander betrachten, was die Staffirer und Maler für ein Meisterstück geschaffen haben in der kurzen Zeit. Alf ging mit dem alten Helden nach der Kirche und äusserte sein Befremden, als er die Seitengänge ganz öde fand und ungeschmückt.

Nur Geduld, daß Beßre kommt noch, tröstete Oberstein lächelnd und bog in den nächsten Seitengang. Dann wendeten sie sich rasch und standen plötzlich vor dem frischglänzenden, wohlstaffirten Hochaltare. Der Doktor Fabritius im Amts-Ornat, die Agende in der Hand, stand davor. Den Myrtenkranz im blonden Haar, im einfachen, weißen Gewande, die Augen niedergeschlagen, die Wangen glühend von Liebe und Glück und Scham, schwebte das treue Klärchen dem Jüngling entgegen, und Glück wünschend nahten, als Trauzeugen, der Vetter Gerhard, Hänslein von der langen Strat und der alte Leibdiener des Bischofes.

O mein Gott! rief Alf entzückt und überrascht; und der edle Oberstein geleitete das Paar selbst vor den Prädicanten.

Das Ja war gesprochen, der Segen ertheilt, und Alf faßte die Hand seines jungen Weibes, sie aus der Kirche zu führen; da stürzte ein bischöflicher Hauptmann herein, der dem General ein Schreiben seines Gebieters überbrachte.

Oberstein erbrach, las, und stampfte mit dem Fuße. Keine Freude ohne Störung! rief er. Länger als ein Jahr haben wir uns gelangweilt vor diesen Unglücksmauern, ohne die geringste Unterbrechung des ewigen Einerlei. Heute ist der erste heitere Tag, den ich hier zu verleben gedachte, und auch dieser soll mir verdorben werden durch solche Büttel-Commissionen! Ich kann Euch nicht helfen, mein lieber Bräutigam, fuhr er, zu Alfen gewendet, fort: der Bischof befiehlt, daß Ihr den armseligen Schneiderkönig, den Ihr gefangen, auch selbst gleich auf der Stelle hinausbringen sollt nach Dülmen unter guter Bedeckung.

Könnte nicht meine Hochzeit zur Entschuldigung gnügen? fragte Alf unmuthig.

Bei dem Bischof schwerlich, raunte ihm Oberstein zu. Herrendienst geht bei dem stolzen Prälaten vor Gottesdienst, und wir haben schon, der armen Münsterer wegen, alle Ursache, ihn bei Gutem zu erhalten. Glücklich, wenn sich sein Grimm auf den Elenden beschränkt, den Ihr ihm bringen sollt.

Armes Klärchen, seufzte Alf, und drückte einen sehnsüchtigen und wehmüthigen Kuß auf die Lippen des Mädchens.

Euch nennt er bei dieser Klage, und sich meint er! scherzte Oberstein. – Um indeß das Meine zu thun, daß die Braut den Bräutigam wieder erhält vor dem Abend, und nicht morgen aufwachen darf als ein wunderliches Mittelding zwischen Mädchen und Frau, so will ich selbst mitreiten nach Dülmen, um Euch den Sponsen baldigst wieder loszueisen von dem Herrn Bischofe.

Ihr seyd sehr gütig! lispelte das Bräutchen und verbarg seine Scham über das Geständniß, das in diesen Worten lag, in einem Tochterkusse auf die Hand des heitern Greises.

 

Zu Dülmen im Herrensaale saß auf seinem goldenen Thronsessel der Fürstbischof. Zu beiden Seiten hatten sich seine Räthe und Hauptleute gereihet. Am rothbehangenen Tische saßen zwei Schreiber mit eingetauchten Federn. Oberstein hatte eben den Schneiderkönig angemeldet und sich nach kurzem Gespräch mit dem Bischof zu seiner Rechten gestellt. Da winkte der Bischof. Der Trabant an der Thür öffnete, und in Alfs Begleitung trat Johannes herein, bleich, mit Ketten beladen, aber mit stolzer, würdevoller Haltung, die wilden, trotzigen Augen frech herumwerfend in der Versammlung.

Das ist also der Mörder meines Sohnes! seufzte der Bischof leise zu Oberstein, und hielt sich vor Schmerz und Entsetzen die Hände vor das Gesicht.

Denkt, daß Ihr hier nur Fürst seyn dürft, und nicht Parthei! raunte ihm dieser zurück.

Mühsam ermannte sich der Bischof. Unseliger Mensch! rief er jetzt dem Verbrecher heftig zu: warum hast Du mein armes Volk also verderbt?

Ich habe Dir um keinen Strohhalm zu kurz gethan, Priester! antwortete Johannes mit einem Hochmuthe, als stände Zions Krone noch auf seinem Haupte. Ich habe eine feste Stadt in Deine Hand gegeben, die gegen jede Gewalt bestehen kann. Hätte ich Dir jedoch gleichwohl einigen Schaden zugefügt, so habe ich Mittel genug, ihn Dir zu erstatten, ja Dich zu einem reichen Manne zu machen, sofern Du nur meinem Rathe folgen willst.

Elender! knirschte der Bischof: wie willst Du einen Tropfen des unschuldigen Blutes bezahlen, das durch Dich in Strömen vergossen wurde?

Menschenblut, sprach Johannes höhnisch: kommt nicht in Ansatz in den Rechnungen der Könige. Hier kann nur von Gelderstattungen die Rede seyn. Darum sperre mich in einen eisernen Käfig, wie Tamerlan den Bajazeth, führe mich im Lande herum, und zeige mich für Geld, so wirst Du mehr für mich erhalten, als die ganze Belagerung gekostet hat.

Die ganze Versammlung brach in ein lautes Geschrei des Erstaunens und Unwillens aus, über die beispiellose Frechheit des Verbrechers, dessen Leben am Augenwink seines Richters hing. Dieser war fast erstarrt über die Höhe der Ruchlosigkeit, auf welche dieß Ungeheuer sich geschwungen; doch faßte er sich bald und betrachtete ihn lange schweigend mit einem schrecklichen Lächeln.

Um Gott, murmelte Alf, als er dieß Lächeln sah. Das wird gräßlich enden.

Du hast wohl gerathen, weiser Salomo, sprach jetzt der Bischof mit großer Ruhe. Dir geschehe nach Deinen Worten. Liefert ihn an den Schloßvoigt ab, gebot er Alfen. Er soll ihn in den Blutkeller werfen, bis auf weitere Ordre, und Ihr bringt den Schmieden zu Münster meinen Befehl, auf der Stelle drei eiserne Käfige zu machen von Manneshöhe. Darin soll dieser Mann mit seinen Spießgesellen herumgeführt werden im Lande, wie er selbst verlangt hat, und dem Volke gezeigt werden, wie man ein reißendes Thier zu zeigen pflegt. Was dann weiter zu beschließen seyn wird über die edeln Drei, darüber werden wir zu seiner Zeit das Urtheil finden im Blutgericht.

Mit unverändertem Trotz ließ sich Johannes von Alfen fortführen. Der Bischof entließ die Versammlung. Nur Oberstein blieb zurück; und jetzt kam Alf wieder, um zu melden, daß er den Gefangenen in den Blutkeller abgeliefert habe.

Ihr habt mir die Hyäne gefangen, die meine Kinder zerriß, rief ihm der Bischof mit gräßlicher Freude entgegen: Euch verdanke ich den Genuß, das Blut aller seiner Schlachtopfer an ihm zu rächen! O daß er nur ein Leben hat! Sprecht, was begehrt Ihr zum Lohn Eurer That?

Ein solcher Lohn wäre Blutgeld, meinte Alf: und dafür soll mich Gott bewahren!

Wollt Ihr ein gutes Krieges- oder Friedens-Amt an meinem Hofe? fragte ihn der Bischof in seiner Dankbegierde.

Ich bin Protestant, Hochwürdigster, antwortete Alf: und denke bei dem Evangelio zu sterben. Wenn ich aber etwas bitten soll und muß von Euch, so bitte ich Euch, laßt mir mein und meines Weibes Vermögen ausfolgen sonder Umstände und Beschwer an den Ort, wo ich mich niederlassen werde.

So wollt Ihr ganz fortziehen aus meinen Landen? fragte der Bischof empfindlich.

Ich denke ihm eine Hauptmannstelle bei Chursachsen zu verschaffen, fiel Oberstein ein, um Alfs kurzer, herber Zurückweisung einen mildern Anstrich zu geben.

Verzeiht, Herr Graf, sprach Alf: daß ich auch diese Gnade ehrerbietig ablehne. Ich habe in der letzten Zeit so viele Leute befehlen gesehen, und so viel Unheil ist aus dem vielen Befehlen entstanden, und ich selbst habe in meiner Einfalt durch mein eigenes Befehlen so viel Unheil angerichtet, daß es mir ganz zuwider geworden ist. Ich mag durchaus nirgend mehr commandiren, als in meinem Hause und in meiner Werkstatt. Darum habe ich den Herrn Doktor Fabritius gebeten, mir ein ruhiges Plätzchen auszusuchen zu Hessen-Kassel, und ich will dort als ein ehrlicher Waffenschmidt handiren, und mich meines Weibes freuen, und der Kinder, die mir Gott schenken wird, bis an mein seliges Ende.

Meint Ihr nicht, daß er das beßte Theil erwählt hat? fragte Oberstein den Bischof, indem er sich von ihm beurlaubte.

Ach, daß ich hundert Bürger zu Münster fände, wie diesen, der mich verläßt! sprach der Bischof, und legte, sich vergessend, seine Hand segnend auf des Ketzers Haupt.

Gedenkt meiner im beßten, Hochwürdigster! sagte Alf, verneigte sich tief und verließ mit seinem Beschützer das Gemach.

 

Als am ersten Ehemorgen die überglückliche Klara die Veilchen-Augen aufschlug, sah sie ihren jungen Gatten schon erwacht aufrecht im Bette sitzen, als ob er über etwas recht ernstlich nachsönne. Sie schlang ihren runden, milchweißen Arm um seinen Nacken, küßte ihn feurig und fragte ihn, worüber er so scharf nachdenke?

Ueber mein künftiges Schicksal und meinen Berufsweg, liebes Weib, antwortete er mit scheinbarem Ernste. Ich habe gestern so viele Anträge erhalten, daß ich gar nicht weiß, zu welchem ich greifen soll. Des Herrn Bischofs fürstliche Gnaden wollen mich mit Gewalt an ihren Hof ziehen, nach meinem Belieben als Kriegeshelden oder Hofschranzen, zu welchem letztern ich mich absonderlich wohl schicken würde. Auch kann ich zu jeder Stunde Hauptmann bei Chursachsen werden.

Und Du nimmst doch gewiß keines von allen an? rief Klärchen bänglich. Um Gott, laß Andern die hohen Ehren und Würden, und begnüge Dich mit dem stillen Hausglück, was Deiner harret und was Deinem guten, anspruchlosen Gemüthe gewiß am beßten zusagen wird. Bleibt fein das, was Du so vollkommen bist, ein guter Waffenschmidt! Nur diesem habe ich meine Hand gereicht zum ewigen Bunde vor Gottes Altar. Wenn Du mir jetzt auf einmal zum Hauptmann wirst oder zum fürstlichen Rathe, so hast Du mich gleich bei der Trauung getäuscht, und das wäre wahrlich nicht fein gewesen von dem Bräutigam.

Gottlob! jubelte Alf und umarmte sein Klärchen inbrünstig: das wollt' ich blos von Dir hören, liebe Klara. Ich habe Dich nur auf die Probe gestellt, ob wir wohl einstimmig denken über die wichtigsten Lebensfragen. Und siehe da, wir passen zusammen mit unsern Gedanken und Wünschen, als ob wir für einander gemacht wären!

Ach, das war mir schon klar, als ich Dich zum ersten Male sah, stammelte Klara erröthend: und es hat mich damals wohl recht tief geschmerzt, als Du nur Augen hattest für meine unglückliche Schwester.

Friede sey mit ihrem Staube! sprach Alf gerührt: aber jetzt erkenne ich es recht lebendig, daß sie kein Weib für mich gewesen wäre. Was Gott thut, das ist wohlgethan.

Da begann draußen, von den Hochzeitgästen angestellt, ein stattliches Morgenständchen, und der einfallende Chor sang den Neuvermählten mit Martin Luthers Worten:

Wohl dem, der in Furcht Gottes steht,
und stets auf seinen Wegen geht.
Dein eigen Hand dich nähren soll,
so lebst du recht und geht dir wohl.

Dein' eigne Hand dich nähren soll! sprach das junge Ehepaar in einem und demselben Augenblicke fröhlich zu einander, und Alf rief lächelnd: Jetzt leben wir wenigstens noch ein Jahr bei einander, mein Klärchen, weil wir zugleich denselben Gedanken hatten!

Und wieder sang der Chor:

Dein Weib wird in dein'm Hause seyn,
wie Reben voll Trauben fein,
und deine Kinder um den Tisch,
wie Oelpflanzen gesund und frisch.

Da drückte Alf, in der Ahnung der künftigen Vaterfreude, das geliebte Weib feurig an sich, und Klara verbarg die schamrothe Wange an der Brust des Gatten. Und mit gefalteten Händen hörten sie dem schönen Liede weiter zu, und als der letzte Vers kam, da sangen sie mit in frommer, stiller Begeisterung und in dankbarer Erinnerung an Alles, was Gott schon an ihnen gethan:

Ehr' sey dem Vater und dem Sohn,
sammt heil'gen Geist in einem Thron,
welches ihm auch also sey bereit
von nun an bis in Ewigkeit.

 

Mit einem ehrenvollen Abschiede als Hauptmann der Reichsexecutionstruppen entlassen, ließ sich Alf mit seinem jungen Weibe, unter dem Schatten von Fabritius Flügeln, zu Kassel als ein ehrsamer Huf- und Waffenschmidt nieder. – Das Vermögen aus Münster, das ihm unverkürzt ausgefolgt wurde, mit den höchst reichen Hochzeitgeschenken des Bischofs und des Grafen Oberstein, machte ihn zu einem sehr wohlhabenden Bürger; er genoß die Segnungen des goldenen, erwerbenden Mittelstandes in einem überschwenglichen Maße, und die schmerzliche Erinnerung an das, was er erlebt, gethan, gelitten, ging nach und nach unter in dem Gefühl der Ruhe, und in dem Genusse stiller, redlich verdienter Freuden.

Unterdeß begann der erbitterte, um die Zukunft besorgte Bischof das arme Münster vollends unter das Joch zu beugen, auf daß es ihm nie mehr einfalle, den Kopf zu hoch empor zu heben. Zwei Kastelle stiegen in der Stadt empor, aus denen er die Bürgerschaft bei jeder Unruhe leicht zu bezwingen hoffen durfte, und die wohl nebenbei gelegentlich die Verließe der alten Münsterschen Reichsfreiheit geworden wären. Aber die Gesandten des Kreises, die plötzlich in Münster erschienen, halfen diesem Uebelstande und manchem andern kräftig ab. Die friedlichen Bürger Münsters, die noch allerlei Plackereien erdulden mußten, wurden geschützt, die Fortificationen der Wiedertäufer so gut, wie die Kastelle des Bischofs, geschleift, und dieser ward genöthigt, endlich durch Urthel und Recht entscheiden zu lassen über das Schicksal des Schneiderkönigs und seiner Genossen, die bis dahin zu Spott und Hohn in ihren Käfigen durch alle Nachbargauen Deutschlands geschleppt worden waren. Der Februar des Jahres 1536 führte endlich die drei Verbrecher auf das Blutgerüst; aber die Grausamkeit ihrer Hinrichtung erschien, so groß ihre Schuld auch war, doch unwürdig der heiligen Strafgerechtigkeit und des geistlichen Fürsten, von dem die Milderung des Bluturtheils allein abhing, der aber mit unerbittlicher Härte dessen pünktliche Vollstreckung befahlJohannes Sleidanus erzählt in seinem Commentar: de statu religionis et Republicae, Carolo quinto, Caesare, Libr. X. den Hergang also:
Decimo tertio deinde Calendas Februarii Monasterium reducuntur (Rex, Knipperdolling et Krechting) et singulis contribuitur custodia separatim. Eodem etiam die venit illuc Episcopus, et cum eo Coloniensis archiepiscopi et principis Clivensis legati. Quod sequutum est biduum, piis admonitionibus datum est, ut ab errore deducerentur. Et rex quidem agnovit peccatum, ac precibus ad Christum confugit, reliqui duo nec ullum fatebantur delictum et obstinate sua defendebant. Postridie Rex locum editiorem productus, alligatur palo. Aderant bini carnifices ac forcipes igniti. Ad treis primos morsus conticuit: deinde misericordiam Dei continenter implorans, quum horam et amplius ad hunc modum laceratus esset, transacto demum per pectus mucrone decessit: idem suplicium et socios ejus perculit. Extincti caveis ferreis illigantur singuli, et summam turrim urbis (Ecclesine St. Lamberti) exponuntur pensiles, rex quidem, medius, et quanta est hominis statura, sublimius illis..

Heiliger Gott! rief Meister Alf, als er das Ende der Unglücklichen erfahren. Wohin führt die Schwärmerei, sey es in geistlichen oder weltlichen Dingen, und die Einfalt, die grübeln und meistern will an Dingen, denen sie nicht gewachsen ist! Wohl dem, der sein Wirken beschränkt auf den engen Kreis seines Hauses und Gewerbe, und über dem Gebet die Arbeit nicht vergißt, die das beßte Gegengift ist gegen allerlei unnütze Gedanken. – Dreimal Heil aber dem Manne, dem Gott ein gutes Weib bescherte, die ihn, unbewußt, mit sanfter Gewalt nach und nach immer abzieht von dem wilden Treiben der Aussenwelt, und ihn mit Blumenketten an den eigenen Heerd bindet. Unter diesem Heerde liegt eigentlich der wahre Schatz des Lebens vergraben, den so Wenige Lust und Glück haben zu heben. Wir haben ihn gehoben, nicht wahr, mein Klärchen? und wenn erst die frischen Oelpflanzen um uns stehen, die uns Doktor Luther verheißen hat, was wird uns dann noch fehlen?!

Damit reichte er seine Hand freundlich seinem jungen Weibe hinüber, die jenseit des Tisches fleißig spann. Eine feine Röthe verjagte bei ihr auf Augenblicke die liebliche Blässe, welche die Mutter in Hoffnung verrieth. Mit sanftem Lächeln ergriff sie anfänglich nur des geliebten Mannes Hand, dann konnte sie aber doch seinen liebevollen Blicken nicht widerstehen, warf die Spindel weg, sprang um den Tisch und fiel ihm um den Hals, und: Herr Gott, wir danken Dir! rief der Ueberglückliche unter ihren Küssen mit der Glut der Liebe und Dankbarkeit.



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