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Er

»Nein, nicht ein Tisch mehr ... Aber wenn der Herr nur 5 Minuten warten will, Tisch Nr. 1 wird sogleich frei werden, dort, linker Hand... Der Herr sieht ... Sie sind bereits beim Kaffee ...«

Ich überflog mit unzufriedenem Blick die gedrängt sitzende Schar der Speisenden im Halbschatten des Gartens, die kleinen Lichter der vergoldeten Kandelaber, welche die Weiße der Tischtücher gegen die abendliche Dämmerung zur Geltung brachte.

»Pst! Pst!« rief mich da jemand, ganz nahe neben mir, an.

Ich näherte mich und ich erkannte meinen Freund Lacquin. Meinen Freund, das wäre zuviel gesagt. Freunde sind Leute von der Art wie Sie, Die Anrede bezieht sich auf Etienne Grosclaude, dem diese Skizze gewidmet ist. welche unter denselben Sorgen, denselben Schwächen, denselben Mühen leiden, und die man mit einer Beimischung von Mitleid, mit barmherziger Hingebung liebt, aus den nämlichen Gründen, welche bewirken, daß man sich selbst liebt.

Nein, Lacquin war nicht mein Freund, aber an jenem Abende für mich etwas höchst Angenehmes, höchst Beruhigendes. Ich hatte mich mit ihm das Jahr zuvor im Bade liiert und er hatte mir just gefallen mit seinem gutmütig-selbständigen Wesen und der sicheren, leichten, ungezwungenen Haltung, die er in seiner Art zu handeln oder zu denken zur Schau trug. Kein ehrgeiziges Berufs-Streben; hatte er doch schon seit seinen jungen Jahren es vorgezogen, seinem Vater in einem solid fundierten Ledergeschäft nachzufolgen – keine Geldsorge, in Anbetracht der reichlichen Einkünfte, die sein Geschäft brachte – kein gesellschaftlicher Snobismus, denn der Zwang des Salons oder des Klubs erschien ihm unerträglich – er war wahrhaft glücklich, wahrhaft frei von allen jenen kleinen Plagen, die das Leben trüben und das Urteil fälschen. Mit solchen Leuten muß man von Zeit zu Zeit verkehren; das wirkt wohlthuend nach dem Verkehr mit den anderen, mit jenen, die uns nur immer vom Bedürfnis nach Geld, Ruhm, Beziehungen verzerrte, gebleichte Gesichter zeigen – das wirkt wohlthuend nach dem Verkehr mit jenen, die unaufhörlich Haß oder Groll, wie einen vergifteten Betel, beim Sprechen kauen.

»Geht's gut? – Sie teilen doch meinen Tisch mit mir? ... Ich bin gerade erst beim Anfangen ...«

»Aber gewiß! ...«

Und wir begannen zu speisen.

Lacquin hatte im Laufe des verflossenen Jahres nichts von seiner guten Laune, von seinem fidelen und gescheidten Naturell verloren, die es mir so sehr angethan hatten. Er war derselbe wackere, intelligente, allen eiteln Schein verachtende Mensch geblieben, derselbe mit unnützen Bemerkungen zurückhaltende Plauderer, der wohl informiert war über das, was er erzählte, wie über das, was er beurteilte, mein selber Lacquin vom vergangenen Jahre, mit etwas mehr jovialer Ungezwungenheit vielleicht, etwas mehr Kordialität, was daher rührte, daß dank den Bädern seine Diabetes gänzlich geschwunden war.

Aber urplötzlich, mitten im schönsten Erzählen einer Jagdgeschichte, unterbrach er sich und warf mir einen Blick zu, der sich sofort einer großen Blondine zuwandte, die von einem Herrn mit langem, gleichfalls blondem Schnurrbart begleitet war und welchen beiden der Oberkellner an einem benachbarten Tische Plätze anwies.

»Wie finden Sie die Person?« lispelte Lacquin mit vertraulicher Stimme.

Ich sah prüfend hin.

»Nicht übel! ... Sie hat Rasse! ...«

»Rasse! ... Sie können sogar sagen: Vollblut-Rasse! Nicht wahr, sie ist nicht übel? ... Nun! 's ist meine Frau! ...«

Ich stammelte:

»Ah! Ah! Sehen Sie doch an, ist das aber merkwürdig! Ja, ja, sie ist nicht übel! ...«

Dann hielt ich mit Sprechen inne, aus Furcht, etwas zu sagen, was nicht angebracht war. Von diesem ehelichen Abenteuer kannte ich nur den Ausgang: die Scheidung. Als mir Lacquin eines Tages mitgeteilt hatte, er sei nicht verheiratet, nein, aber geschieden seit 2 Jahren, hatte ich ihn, aus Diskretion, nicht nach Einzelheiten gefragt; er hatte, aus Reserve, keine gegeben und unsere Unterhaltung hatte nach kurzem Stillschweigen ihren Fortgang genommen, wie es am Ende unter natürlichen, zartfühlenden Leuten üblich ist. Übrigens ein leicht zu durchdringendes Geheimnis, eine auf der Hand liegende Lösung: sie eine Dirne, oder aber er ihrer überdrüssig, und sie hatten sich verständigt, mit einander zu brechen. Doch dieser letztere Fall, der mir zuerst damals im Bade als der wahrscheinlichere erschienen war, schien mir jetzt, da ich sie sah, um vieles unwahrscheinlicher. Nein, diese großen Blauaugen, diese braun umschatteten Augenlider mit den schwarzen Winkeln, dieses üppige Goldhaar, die mußten im Unrecht gewesen sein. Und ich betrachtete sie, wie sie ihre Handschuhe mit den geschmeidig-lässigen Gesten einer Frau auszog, die stets, auch noch in der Öffentlichkeit, die schmachtende Anmut einer Liebenden bewahren will – und ich wiederholte dabei mit einer gewissen Zurückhaltung:

»Ja, sie ist hübsch, sehr hübsch ...«

Lacquin fixierte sie einen Augenblick, dann, wie ihre Blicke sich begegnet waren, wandte er sich ruhig ab zu mir:

»Ja, sie ist hübsch ... Aber sie hat mich höllisch leiden lassen, das Weibsbild! ... Um 3 Jahre hat sie mich gebracht, weiter will ich Ihnen nichts sagen ... Sie wissen, ob ich ein gemütlicher, harmloser Kerl bin... Nun! durch sie war ich ein ganz schrecklicher Misanthrop, Hypochonder geworden ... Ein wahrer Wolf, eine wahre Bestie ... Unsere Scheidung ist nämlich keine gewöhnliche gewesen! ... Sie ist lange gereift, jawohl, 3 Jahre lang, wie ich Ihnen sagte ... Ach! welch' eine Zeit! ...«

Ich schwieg beharrlich, da ich ihm durchaus keine Konfidenzen entlocken wollte. Er fuhr fort:

»Bah! Ich kann Ihnen wohl die Geschichte erzählen ... Ich kenne sie ja nicht, kenne sie nicht mehr, die Dame da drüben... Sie ist mir nichts ... Sie ist für mich, was sie vor unserer Heirat war, eine beliebige Dame, ein beliebiges Fräulein; Fräulein Legoin, nichts weiter! ...«

Er lehnte sich ein wenig auf seinem Stuhl hintenüber, mit gerunzelter Stirn, wie um seine Erinnerungen zu sammeln, und begann wieder:

»Ja, es sind nun etwa 5 Jahre her ... Eines Tages kam ich gegen 3 Uhr nach Hause ... ich hatte meine Geschäfte eher erledigt als gewöhnlich und machte mir eine besondere Freude daraus, Marie zu überraschen – sie heißt Marie – sie zu überraschen, bevor sie noch ausgegangen wäre ... Wir wären zusammen ins Wäldchen gefahren oder wir hätten weiter geplaudert, geschwatzt ... was sie nur immer gewollt hätte! ... Ich muß Ihnen bemerken, daß ich sie sehr, sehr liebte ... Offenbar nicht so wie man eine Geliebte liebt, nein, eine gute Gattenliebe war's, eine sehr zärtliche Liebe, die ich in den 2 Jahren der Ehe nicht ein einziges Mal hatte schwächer werden, unter bösen Versuchungen hatte erliegen fühlen ... Und Marie ihrerseits war sehr gut zu mir, von ihrer Schönheit gar nicht zu reden... Nicht kokett bei alledem, nicht flirtsüchtig, voll zarter Aufmerksamkeiten, voll sichtlicher Beflissenheit, mich zufrieden zu stellen, mir zu gefallen ... Nein, ich hatte ihr nichts, rein nichts vorzuwerfen. Allenfalls, das ist wahr, hätte ich sie ein wenig intelligenter gewünscht und intelligent ist auch nicht mal das rechte Wort... Ein wenig schlauer, ein wenig geschickter, wissen Sie! die Welt, die Leute zu beurteilen... Aber pah! um sich ernsthaft zu unterhalten, hat man ja seine Freunde... Und wenn man sich verheiratet, will man doch etwas anderes, will man mit einer liebevollen Frau gemütlich zusammenleben, nicht wahr?«

Ich pflichtete mit einem Kopfnicken bei. Lacquin fuhr fort:

»Also ich komme heim, ich öffne die Flügelthüre ganz sacht, die Salonthüre ebenfalls ganz sacht, schlage eine Portière zurück und was sehe ich? Marie, die am Fenster steht und einen Brief lies, bald innehält, um den Brief zu küssen, bald wieder weiter liest, und dann regnet es Küsse und immer wieder närrische Küsse auf den Brief, Küsse, wie sie mir noch niemals welche gegeben hatte... Ich springe auf sie zu, will ihr den Brief entreißen; sie hält ihn zurück, preßt die Hand krampfhaft um das zerknitterte Papier und ruft: »O! Heinrich, ich bitte Dich ... Ich bitte Dich!« Ich höre nicht, ich zerre, kneife, endlich habe ich das Papier und fange zu lesen an: »Meine süße Geliebte ... Ich glaube eine Hallucination zu haben ... Aber das ist ja die Handschrift meiner Frau, jawohl, von Anfang bis zu Ende ihre Handschrift! ... Es ist ein vollständig von ihrer Hand geschriebener Liebesbrief, ein Brief, worin ein Mann ihr erklärt, daß er seit gestern unaufhörlich geweint habe, daß er sein Gesicht in ihrer goldigen Haarflut baden möchte, daß er tausend Qualen erleiden wollte, dürfte er ihr nur wenigstens in das zart korallenrote Ohrläppchen beißen ... Ein Wust sentimentaler oder abgeschmackter Stupiditäten. Und sie saß da und schluchzte in einemfort, den Kopf ins Taschentuch gepreßt: »O! das ist schlecht, Heinrich! das ist schlecht, Heinrich! Mir stand der Verstand stille ... Ich fühlte mich von wirren, niedrigen, beängstigenden Gedanken bestürmt. Ich neigte mich zu meiner Frau, und an mich haltend, bat ich sie mit der zärtlichsten, nachsichtigsten Stimme: »Komm her, Marie, Marie, hatte Vertrauen zu mir ... Du weißt, wie sehr ich Dich liebe! ... Erkläre mir doch, was bedeutet dieser Brief, was bedeuten diese Thorheiten, die darin stehen?«

Sie gab keine Antwort. Sie murmelte nur unter heftigen Schluchz-Anfällen: »Nein, nein, nein! ... Endlich, mit einemmale, schien sie sich zu entscheiden... Sie erhob sich, ging an ihre Schreibmappe, zog einen Briefumschlag daraus hervor, worauf ihre Adresse geschrieben stand, auch diese von ihrer Hand – Frau Heinrich Lacquin, Lafayette-Straße 27 – und mit vor Thränen erstickter Stimme sagte sie: »Da, Du wirst nicht böse werden ... Du wirst Dich nicht über mich lustig machen ... Ich hatte so sehnliches Verlangen, einmal einen Liebesbrief zu bekommen ... Und da hab' ich mir den Spaß gemacht, mir einen zu schreiben! ... Ja, mein Lieber, sie schrieb sich selbst, daß sie sich liebte! Was sagen Sie dazu?«

Ich gab zögernd zur Antwort:

»Ich sage, mein Gott ... ich sage, das ist ja reizend, das ist ja reizend naiv ... An Ihrer Stelle ...«

Lacquin unterbrach mich:

»Ja, das dachte auch ich im ersten Moment ... Ich schloß Marie in meine Arme. Ich tröstete sie, überhäufte sie mit Küssen, mit Liebkosungen, dabei schalt ich freundlich, dabei neckte ich sie mit ihren Beziehungen zu diesem liebeglühenden Korrespondenten ... Dann ließ ich anspannen und wir fuhren ins Wäldchen ... Sie war ganz lustig, ganz wieder aufgeheitert, und von Zeit zu Zeit lachte sie wie ein Kind laut auf, was zu hören mir recht wohl that: »Bin ich dumm, hm? ... Hm, bin ich aber dumm gewesen!« Und ich versetzte lächelnd: »Ja, ja, Du hast Deine Mucken! ...« Aber wie wir mit hereinbrechender Dunkelheit heimkehrten, sah ich sie plötzlich nachdenklich – o! nachdenklich bis zu dem Grade, daß sie nicht gewahr wurde, wie ich sie betrachtete ... Woran, an wen dachte sie nur? Ich empfand, wie sich mein Herz heftig zusammenkrampfte ... An wen sie dachte? Nun, doch an »ihn«, sicherlich, natürlich, notwendig an »ihn«, den unbekannten Geliebten; den sie ersehnte, den sie erhoffte, nach dem ihre kleine, phantastische Person, die mich nicht mehr liebte, Verlangen trug ... Ja, sie mußte mich doch wohl nicht mehr lieben, da sie diesen häßlichen Brief, diese abscheulichen Phrasen erfunden hatte, da sie die Schweigsamkeit des wesenlosen, ersehnten Liebhabers, der nicht schrieb, der nicht kam, trotzdem daß er erwartet wurde, mit Gewalt brach! ... Pfui! ... Ich hatte Lust, ihr zu gestehen, daß sie mir Ekel einflößte. Aber nein, es war klüglicher für mich, zu schweigen, jenem liebenswürdigen, drohenden Wesen, von dem noch niemand laut gesprochen hatte, durch Worte nicht noch mehr Wirklichkeit zu verleihen ... Ich beobachtete sie also weiter, beobachtete weiter, was ihre großen Augen wohl denken mochten, die so traumverloren dreinblickten ... Allein am Abend, nach beendetem Diner, konnte ich meiner Lust nicht widerstehen ... Und ich fing meine Scherze vom Nachmittag wieder von vorn an. Ich fragte sie, ob »er« blond oder brünett sei, ob »er« ein hübscher Kerl wäre, ob »er« rauchte, ob »er« ritt ... Sie wehrte zuerst ab: »O! Heinrich, Du hattest mir doch versprochen, Dich nicht lustig zu machen! ...« Dann gab sie nach, ging auf den Scherz ein – und sie wurde Feuer und Flamme für dieses Spiel, das sie entzückte, das seit Monden unzweifelhaft das geheime Lieblingsspiel ihrer Seele gewesen. Sie schilderte »ihn« körperlich und geistig, sie sagte mir beinahe haarklein, wie er vom Kopf bis zum Fuß aussehe ... Und ich lachte und lachte, that mein Möglichstes um zu lachen, obgleich es mir das Herz zerriß, sie so bereitwillig auf alle die Fragen eingehen zu sehen, so vertraut mit dem zu sehen, was derjenige war, der noch gar nicht existierte... Ja, ja, »er« war es noch nicht, aber »er« würde es sein, »er« war im Begriff, es zu werden! ... Ja, »er« war im Begriff, der Geliebte meiner Frau zu werden! ... Und von diesem Abend an ward es für uns zur Gewohnheit, von ihm zu plaudern, o! immer aus Spaß, aber doch von ihm zu plaudern, lange und oft ... Wir nannten ihn »er« ... Am Morgen fragte ich meine Frau, ob sie »ihn am Nachmittag sehen würde, und am Abend: wie es »ihm« ginge, ob sie »ihn« in der Gesellschaft, im Theater zu treffen gedachte, ob sie einen Brief von »ihm« erhalten halte, und das immer, immer lachend... Ungeschick, Unverstand, werden Sie sagen?... Du lieber Himmel, es war eben stärker als ich ... Ich vermochte es nicht, nicht von »ihm« zu sprechen, ich spürte ihn zu Hause bei mir, an meinem Tische, in unserem Zimmer, überall wo ich mit Marie zusammen war, spürte ich »ihn« zwischen uns ... Ach! auf einen Herren, zwei Herren, 10 Individuen Verdacht zu haben, und nicht zu wissen, das ist schrecklich! ... Aber stellen Sie sich nun erst vor, was es heißt, zu hassen, Eifersucht zu empfinden, wenn es sich um ein ungreifbares, nicht existierendes Wesen, wenn es sich um ein nahes, in der Bildung begriffenes Wesen handelte, das mir meine Frau nehmen wollte, ich war dessen sicher, da sie es ja erwartete, da sie ihm sogar die Mühe, sich zu erklären, die Mühe zu schreiben, abgenommen hatte.

Larquin dämpfte die Stimme und sagte mit einem Lächeln:

Na, ich muß Ihnen aber wunderlich vorkommen! ... Ich muß wohl wieder die Stimme haben, die ich vor 2 Jahren hatte, muß wohl wieder wie ein Wolf aussehen! ... Es machte mich nämlich verrückt, all dieses Denken, und während ich es Ihnen wiedererzähle, werde ich wieder ein wenig zu dem wilden Menschen von ehedem ... Aber fahren wir fort ... Dieses Leben in verheimlichten Qualen, in unbeweisbarem Verdacht, in einer Gewißheit, die sich nicht eingestehen ließ, dauerte nun seit 2 ½ Jahren, als ich eines Morgens bei einem Spaß, den ich über »ihn« gemacht hatte, o! einem sehr unartigen, sehr geschmacklosen Spaß, die Bemerkung machte, daß Marie nicht antwortete, daß ihr Gesicht sich verfinsterte ... Ich scherzte weiter ... Sie wurde böse: »Mein lieber Freund, mir scheint, dieses abgeschmackte Gerede hätte nun lange genug gedauert ... wenn es Dich noch immer amüsiert, mich hat es nachgerade aufgehört zu amüsieren ... Nein, ich finde das ganz und gar nicht mehr drollig!« Sie fand das nicht mehr drollig! ... Sie können sich gar nicht vorstellen, mein Lieber, welche Erleichterung ich empfand, als ich dies Geständnis hörte ... Sie wollte nicht mehr, daß man sich über ihn lustig machte, daß man schlecht von »ihm« redete! ... Das hieß also, »er« existierte endlich, »er« hatte sich eingefunden, sie hatte endlich einen Liebhaber! ... Ja, an Stelle des stechenden Schmerzes, den ich gefürchtet hatte, trat Linderung, Ruhe ein, das Gefühl eines zu Ende gehenden Übels... Man hätte meinen sollen, ich hätte von der Ungewißheit zuviel gelitten, als daß ich noch von der Gewißheit hätte leiden können ... Oder aber auch war es die Freude, nicht mehr gegen einen Schatten kämpfen zu müssen, die mich ausrichtete, mich aller Pein entrückt hatte ... Und von nun ab dachte ich nur noch daran, »ihn« zu entdecken, ihn zu erwischen, ihn zu fassen, diesen infamen »ihn«, der den Mut besaß, jetzt leibhaftig zu existieren, nicht mehr das feige, flüchtige Phantom zu sein, von dem ich auch nicht einen Schimmer in den träumerischen Augen meiner Frau entdeckte ... Ihnen erzählen, wie ich den beiden nachspüren ließ, wie ich die Bestätigung der Thatsache erhielt, wie ich die Scheidung durchführte, würde zu weit führen, wäre ohne Interesse ... Mein Martyrium war beendet ... Seit 2 Jahren liebte ich meine Frau nicht mehr und ich nahm nun das ordentliche, regelmäßige Leben wieder auf, das ich vor diesen fürchterlichen Jahren der Qual lebte ... Ach! ein amüsantes Detail will ich Ihnen doch noch erzählen ... Meine Frau hatte mir immer gesagt, daß »er« einen kleinen braunen Bart hätte oder haben würde ... Das war bei ihr eine fixe Idee, gegen die sich nichts weiter sagen ließ! ... Aber Sie sehen, wie man sich über sein Schicksal täuscht ... Da ist der Kerl, den ich am Tage der Bestätigung in ihren Armen gefunden habe! ...«

Und Lacquin bezeichnete mit dem Blick den Herrn mit langem blonden Schnurrbart, der seiner Frau gegenübersitzend dinierte.

Ich wandte die Augen nach jener Seite und sah die ex-Frau Lacquin, mit dem Ellbogen nachdenklich auf den Tisch gestützt, das Gesicht ein wenig in der Richtung nach ihrem früheren Gatten hin gewandt und lächelnd.

»Ei, sehen Sie doch! man sollte wirklich meinen, sie lächelt Ihnen zu ... Sollten jetzt zufällig Sie ihr »er« sein?«

Lacquin versetzte in geringschätzigem Tone:

»Pah! sie würde nur ihre Zeit verlieren ... Nein, nicht sie wird mich noch ferner lieben; eine andere wird es sein, für die ich meinerseits den »er« abgeben werde ... Denn sehen Sie, man ist doch nun einmal im Leben stets der »er« irgend jemandes, der unvergleichliche, erhoffte Liebhaber einer Frau, die einen vergöttert und einen doch nicht kennt.«

*


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