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II. Paralipomena

Außer den bisher mitgetheilten sind von Don Luis de Vargas keine Briefe vorhanden. Wir würden daher nicht erfahren können, welches Ende diese Liebe genommen und diese einfache aber leidenschaftliche Geschichte müßte unvollendet bleiben – wenn nicht eine mit allen Begebenheiten wohlvertraute Persönlichkeit den nachfolgenden Bericht abgefaßt hätte.

*

Niemand im Dorf wunderte sich über Pepita's Unwohlsein; ja es kam den Leuten nicht einmal in den Sinn, nach der Ursache zu forschen, von der bis jetzt außer ihr, Don Luis, dem Herrn Dechant und der verschwiegenen Antonnona kein Mensch etwas wußte.

Weit mehr hätte Pepita's fröhliche Lebensweise, die täglichen Abendgesellschaften sowie die Ausflüge aufs Land, die eine Zeit lang dauerten, Verwunderung erregen können. Daß Pepita zu ihrer gewohnten Zurückgezogenheit zurückkehrte, war ganz natürlich.

Ihre geheime, ins tiefste Innere zurückgedrängte Liebe für Don Luis verbarg sich vor den forschenden Blicken Donna Casilda's, Currido's und all der andern Dorfbewohner, welche in den Briefen des Don Luis erwähnt sind. Daß andere Menschen davon hätten erfahren können, war gar nicht zu befürchten. Keinem einzigen wäre es eingefallen, kein einziger hätte es sich vorstellen können, daß »der Theologe«, der »Heilige« – wie Don Luis genannt wurde – der Nebenbuhler seines Vaters sei; daß ihm gelungen wäre, was dem gefürchteten, mächtigen Don Pedro de Vargas nicht geglückt war, nämlich die schöne, elegante spröde, etwas wilde junge Witwe in sich verliebt zu machen.

Trotz der Vertraulichkeit, welche auf dem Lande zwischen der Herrin und ihren weiblichen Dienstboten herrscht, hatte Pepita die ihrigen doch nicht das geringste merken lassen. Nur der Antonnona, die für alles, namentlich aber für das, was ihr Kind betraf, Luchsaugen hatte, war das Geheimnis nicht entgangen.

Antonnona verschwieg Pepita ihre Entdeckung nicht, und Pepita konnte es nicht übers Herz bringen, der Frau, die sie erzogen und förmlich vergötterte, und die, so gern sie auch alles, was im Dorfe vorging, ausforschte und weiter berichtete – denn sie war das Muster einer Klatschbase – ihrer Herrin gegenüber verschwiegen und treu war wie wenige, die Wahrheit zu verläugnen.

Auf solche Weise wurde Antonnona die Vertraute Pepita's der es einen großen Trost gewährte, ihr Herz einem Wesen erschließen zu können, das zwar in seiner Ausdrucksweise gewöhnlich und unfein war, nicht aber in den Empfindungen und Gedanken, denen es Ausdruck gab.

Aus dem Gesagten erklären sich Antonnona's Besuche bei Don Luis, sogar ihre etwas wilden Worte und die wenig respectvollen und schlecht angebrachten handgreiflichen Ermahnungen, durch welche sie zugleich sein Fleisch verwundete und seine Würde verletzte, als sie ihn das letzte Mal besuchte.

Weit entfernt, daß Pepita Antonnona mit dieser Mission bei Don Luis beauftragt hatte – sie wußte nicht einmal, daß sie dort gewesen.

Antonnona hatte ganz auf eigene Verantwortung die Initiative ergriffen; sie hatte in dieser Angelegenheit eine Rolle übernommen; denn so wollte sie es.

Wie schon erzählt, hatte sie mit wunderbarem Scharfsinn alles durchschaut.

Kaum hatte Pepita sich gesagt, sie liebe Don Luis, so war Antonnona schon alles klar. Kaum begann Pepita dem jungen Theologen jene glühenden, heimlichen, unwillkürlichen Blicke zuzuwerfen, welche so viel Unglück anrichteten – Blicke, welche niemand von den Anwesenden bemerkte – als Antonnona, obgleich sie dieselben nicht gesehen, schon mit Pepita von diesen Blicken sprach. Und kaum waren dieselben mit einem süßen Gegenblick vergolten worden, so wußte Antonnona auch das.

Es gab also wenig, was die Herrin einer so scharfsichtigen klugen Dienerin von dem, was in ihrer innersten Seele vorging, hätte anvertrauen können.

*

Fünf Tage nach dem Datum des von uns gelesenen letzten Briefes beginnt unsere Erzählung.

Es war elf Uhr morgens. Pepita befand sich in einem Zimmer des obern Stocks, das an ihren Alkoven und ihr Ankleidegemach grenzte, und das außer Antonnona niemand ungerufen betrat.

Die Möbel dieses Zimmers waren zwar wenig kostbar, aber bequem und schön. Die Vorhänge sowie die Bezüge der Stühle, des Sopha's und der Sessel waren von geblümtem Zitz. Auf einem kleinen Tische aus Anacardienholz befanden sich Papier und ein Schreibzeug, und in einem Schranke aus demselben Holze eine ziemlich große Sammlung von geschichtlichen und Erbauungsbüchern. Die Wände waren mit Bildern geschmückt, welche religiöse Begebenheiten darstellten. Doch diese Bilder waren, und das deutete auf einen seltenen, in einem Dorfe Andalusiens fast unwahrscheinlich guten Geschmack, keine schlechten französischen Lithographien, sondern Erzeugnisse unsrer Kupferstechkunst, welche außer einigen kleinen Veduten nach Raphael und Murillo den heiligen Ildefonsus, die Mutter Gottes, die Empfängnis und den heiligen Bernardus darstellten.

Auf einem alterthümlichen Eichentisch mit orientalischen Säulenfüßen gewahrte man einen mit eingelegten Muscheln, Perlmutter, Elfenbein und Bronze geschmückten Schrank, in dessen zahlreichen Fächern Pepita ihre Rechnungen und andre Schriftstücke aufbewahrte.

Auf demselben Tische standen zwei Porzellanvasen mit vielen Blumen, sowie Blumentöpfe aus Sevillanischem Porzellan mit Geranien und andern Pflanzen; und an der Wand endlich hingen vergoldete Bauer mit Kanarienvögeln und Stieglitzen.

In diesem Zimmer pflegte Pepita sich aufzuhalten, wenn sie sich völlig zurückzog; am Tage durfte niemand es betreten als der Doctor und der Padre Vikar, und in den ersten Abendstunden der Verwalter, wenn er seinen Bericht abstattete. Dieses Gemach war und hieß das Studirzimmer.

Sie saß oder vielmehr lag auf einem Sopha, vor dem ein kleiner mit Büchern bedeckter Tisch stand.

Sie war soeben erst aufgestanden und trug ein leichtes Sommerkleid. Ihr blondes Haar, noch ungekämmt, schien just in seiner Unordnung schöner. Ihr Antlitz, das ein wenig bleich und um die Augen getrübt erschien, zeigte jugendliche Frische und Lebhaftigkeit, und war gerade wegen seiner Blässe besonders anziehend.

Pepita schien ungeduldig: man hätte meinen sollen, sie erwarte jemand.

Endlich trat die erwartete Person ein, ohne sich erst melden zu lasten – es war der Herr Vikar.

Nachdem man die üblichen Grüße ausgetauscht, setzte sich der Padre Vikar auf einen Sessel neben Pepita und begann das Gespräch.

*

»Es freut mich, meine Tochter, daß du mich hast rufen lassen; allein auch ohne daß du dir die Mühe gegeben hättest, mich rufen zu lassen, wäre ich zu dir gekommen. Wie bleich du bist! Fehlt dir etwas? Hast du mir etwas Wichtiges zu sagen?«

Auf diese vielen liebevollen Fragen begann Pepita mit einem tiefen Seufzer zu antworten. Dann sprach sie:

»Errathen Sie denn nicht, was mich peinigt? Haben Sie die Ursache meines Schmerzes nicht entdeckt?«

Der Padre zuckte die Achseln und sah Pepita mit einer gewissen Besorgnis an, denn obgleich er nichts wußte, so flößte ihm doch die Heftigkeit, mit welcher sie sprach, einen gewissen Schrecken ein.

Pepita fuhr fort:

»Ehrwürdiger Vater, ich hätte Sie nicht rufen lassen, sondern in die Kirche kommen sollen, um im Beichtstuhl mit Ihnen zu reden und dort meine Sünden zu bekennen. Unglücklicherweise jedoch bin ich keine reumüthige Sünderin; mein Herz ist im Bösen verhärtet, und ich habe weder den Muth noch die Neigung, mit dem Beichtvater zu reden – ich möchte nur mit dem Freunde sprechen.«

»Was redest du denn da von Sünde und verhärtetem Herzen? Bist du denn von Sinnen? Welche Sünden solltest du begangen haben – du, ein so gutes Wesen?«

»Nein, Vater, ich bin schlecht. Ich habe Sie getäuscht, ja mich selbst getäuscht, indem ich Gott zu täuschen suchte.«

»Nun, nun, beruhige dich nur; sprich vernünftig und laß mir derartige Thorheiten.«

»Aber warum sollte ich's denn nicht sagen, wenn der Geist des Bösen sich meiner bemächtigt hat?«

»Heilige Mutter Gottes! Kind, ängstige dich doch nicht! Siehst du, meine Tochter – drei der Teufel sind die schrecklichsten, welche sich der Seelen bemächtigen, und keiner von ihnen, deß bin ich sicher, wird es wagen, dir zu nahen. Der eine ist Leviathan, oder der Geist des Hochmuths; der zweite Mammon, der Geist der Habsucht, und der dritte Asmodi, der Geist der unreinen Liebe.«

»Und ich bin allen drei zur Beute gefallen; alle drei beherrschen mich.«

»Welch entsetzlicher Gedanke! ... Ich wiederhole dir: beruhige dich. Du bist nur das Opfer eines Deliriums.«

»Wollte Gott, es wäre so! Aber durch meine Schuld ist das Gegentheil der Fall. Ich bin habsüchtig; denn so viele Güter ich auch besitze, ich thue nicht so viele Werke der Barmherzigkeit, als ich sollte; ich bin hochmüthig, denn ich habe viele Menschen verachtet; nicht aus Tugendhaftigkeit, nicht aus Ehrenhaftigkeit, sondern weil ich sie meiner Zuneigung nicht würdig hielt. Gott hat mich gezüchtigt; es hat Gott gefallen, daß auch dieser dritte Feind, von dem Sie sprachen, sich meiner bemächtigt hat.«

»Wie ist denn das gekommen, mein Kind? Welches Teufelswerk ist dir zugestoßen? Bist du vielleicht verliebt? Und wenn es so wäre – was wäre Böses daran? Bist du nicht frei? So heirathe und laß alle Thorheiten fahren. Ich bin überzeugt, daß mein Freund Don Pedro de Vargas dieses Wunder gewirkt hat. Ja, ja, dieser Don Pedro ist ein wahrer Teufel! Ich muß gestehen, das wundert mich nicht wenig. Ich glaubte, die Sache sei noch nicht so weit.«

»Aber wenn es nicht Don Pedro de Vargas wäre, in den ich mich verliebt habe?«

»Wer ist es denn?«

Pepita stand auf, trat an die Thür, öffnete sie, blickte hinaus, um zu sehen, ob draußen niemand lauschte. Dann schloß sie dieselbe, näherte sich dem Padre Vikar und flüsterte ganz verschämt mit bebender Stimme und mit Thränen in den Augen dem wackern Greise leise ins Ohr:

»Ich bin sterblich verliebt in seinen Sohn.«

»In welchen Sohn?« rief der Padre Vikar, der es noch nicht glauben konnte.

»Nun, welcher Sohn soll es denn sein? Ich bin wahnsinnig, über alle Maßen verliebt in Don Luis.«

Bestürzung und schmerzliches Erstaunen waren auf dem Antlitz des aufrichtigen freundlichen Priesters zu lesen.

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann fuhr der Vikar fort:

»Aber das ist ja eine hoffnungslose, eine unmögliche Liebe. Don Luis kann dich ja nicht wieder lieben!«

Durch die Thränen, welche Pepita's schöne Augen füllten, glänzte ein heller Freudenstrahl; ihr schöner frischer, von tiefer Traurigkeit zusammengepreßter Mund öffnete sich, ließ die perlenweißen Zähne hindurchschimmern und lächelte den Vikar freundlich an.

»Er liebt mich,« sprach Pepita mit einem leichten, schlecht verhehlten Ausdruck der Befriedigung, der sich über ihren Schmerz und ihre Zweifel siegreich erhob.

Da wußte der brave Vikar vor Bestürzung und Traurigkeit nicht, was er sagen sollte. Wenn der Heilige, den er am meisten verehrte, vom Altar vor seine Füße herabgestürzt und in tausend Stücke zerbrochen wäre, er würde nicht in solche Betrübnis gerathen sein. Doch sah er Pepita noch immer ungläubig an, als zweifelte er noch an der Wahrheit dessen, was sie ihm sagte, als wäre das alles nur eine weibliche Einbildung. So fest glaubte er an Don Luis' Heiligkeit.

»Er liebt mich,« wiederholte Pepita als Antwort auf diesen ungläubigen Blick.

»Die Weiber sind ärger als der Teufel,« sprach der Vikar. »Selbst den Geriebensten locken sie in die Falle.«

»Sagte ich's Ihnen nicht, daß ich sehr schlecht sei!«

»Gewiß, gewiß! Aber mein Gott! ... Nun, beruhige dich, Gottes Barmherzigkeit ist unendlich. Erzähle mir, wie das alles so gekommen ist.«

»Wie das alles so gekommen ist? Ich liebe, ich vergöttere ihn; und er liebt mich wieder, so sehr er sich auch bemüht, seine Liebe in sich zu ersticken – vielleicht, daß ihm das gelingt; und Sie haben, ohne es zu wissen, an alledem die größte Schuld.«

»Na, das fehlte noch! Wie wäre denn das möglich, daß ich daran die größte Schuld hätte?«

»Weil Sie mit der Ihnen eigenen unendlichen Güte nichts anderes gethan haben, als mir Don Luis zu rühmen, und ich bin überzeugt, daß Sie Don Luis gegenüber stets mein Lob verkündet, so wenig ich das auch verdient habe. Konnte das anders kommen? Bin ich von Stein? Zähle ich nicht zwanzig Jahre?«

»Du hast ganz recht. Ich bin ein Dummkopf. Ich habe zu diesem Werke Lucifers reichlich das meine beigetragen.«

Der arme Vikar war so gut und so demüthig, daß er bei diesen letzten Worten ganz verwirrt und zerknirscht dreinschaute, als wäre er der Verbrecher und Pepita der Richter.

Pepita fühlte, wie selbstsüchtig es von ihr gewesen, den Vikar zu ihrem Mitschuldigen – oder gar zum Hauptschuldigen an ihrem Vergehen zu machen, und so sprach sie:

»Seien Sie nicht so betrübt, guter Vikar; um Gottes willen, seien Sie nicht so niedergeschlagen! Sehen Sie, wie gottlos ich bin! Ich begehe die schwersten Sünden und will den besten und tugendhaftesten aller Menschen dafür verantwortlich machen! Nicht Ihre Lobsprüche auf Don Luis, sondern meine eigenen Augen und mein Mangel an Klugheit haben mich ins Verderben gestürzt. Auch wenn Sie mir niemals Don Luis' Vorzüge, seine Kenntnisse, seine Talente, sein edles Herz gerühmt hätten, würde ich das alles selbst entdeckt haben, indem ich ihn reden hörte, denn so dumm und ungebildet bin ich ja doch nicht. Und zugleich bemerkte ich die Liebenswürdigkeit seiner Person, die natürliche Vornehmheit und ungekünstelte Eleganz seiner Manieren, seinen feurigen klugen Blick – kurz alles, was mir liebens- und begehrenswerth erschien. Ihre Lobreden haben meiner Neigung zu ihm nur geschmeichelt, sie aber nicht erst geweckt. Sie haben mich noch kranker gemacht, weil Sie mit meiner Ansicht übereinstimmten, und gleichsam das schmeichlerische, leise, liebliche Echo dessen waren, was ich dachte. Die beredteste Lobpreisung, die Sie Don Luis widmeten, kam bei weitem nicht der Lobrede gleich, welche ich ohne Worte jede Minute, jede Secunde in meiner Seele auf ihn hielt.«

»Rege dich nicht auf, meine Tochter!« unterbrach sie der Vikar.»

Pepita fuhr in noch erregterem Tone fort:

»Aber welch' ein Unterschied zwischen Ihren Lobreden und meinen Gedanken! Sie sahen in Don Luis das Muster eines Priesters, eines Missionars, eines apostolischen Kämpen, der bald in fernen Welttheilen das Evangelium predigt und die ungläubigen Heiden bekehrt, bald in Spanien herumreist, um das Christenthum neu zu beleben, das gegenwärtig durch die Gottlosigkeit der einen und den Mangel an Tugend, Barmherzigkeit und Wissen der andern so sehr heruntergekommen ist. Vor mir dagegen stand er da als der unvergleichliche, in mich verliebte Mann, Gott vergessend um meinetwillen, mir sein Leben weihend, mir seine Seele hingebend – meine Stütze, mein Halt, mein ergebener Lebensgefährte. Ich wollte einen Gottesraub begehen. Ich träumte davon, ihn Gott und seinem Tempel zu stehlen, wie der Dieb, der Feind des Himmels, welcher den kostbarsten Edelstein aus dem Allerheiligsten raubt. Und um diesen Raub ausführen zu können, habe ich die Witwen- und Waisentrauer abgeworfen und weltliche Prunkgewänder angelegt, – habe mein zurückgezogenes Leben aufgegeben und Gäste zu mir eingeladen – habe mich bemüht, schön zu erscheinen – habe mit teuflischer Sorgfalt diesen ganzen elenden Leib gepflegt, der doch dereinst ins Grab gesenkt und in gemeinen Staub verwandelt wird – habe endlich Don Luis mit herausfordernden Blicken angesehen, und wenn ich ihm die Hand reichte, wollte ich das unauslöschliche Feuer, welches in mir lodert, in seine Adern hinüberleiten.«

»Gott, o Gott, mein Kind! Wie weh thut mir das, was ich da aus deinem Munde vernehme! Wer hätte sich nur so etwas vorstellen können!«

»Das ist noch nicht alles,« fuhr Pepita fort. »Es gelang mir, Don Luis in mich verliebt zu machen. Er erklärte es mir mit seinen Augen. Ja – seine Liebe war so glühend wie die meine. Seine Tugend, sein Streben nach den ewigen Gütern, sein mannhafter Muth suchten diese wahnsinnige Leidenschaft zu besiegen. Ich wußte ihn daran zu verhindern. Einst, als er mehrere Tage nicht hier in meinem Hause gewesen, kam er, um mich zu besuchen und fand mich allein. Als ich ihm die Hand reichte, mußte ich weinen; die Hölle lehrte mich eine stumme fluchwürdige Beredtsamkeit – ich gab ihm zu verstehen, daß ich leide, weil er mich mißachte, weil er mich nicht liebe, weil er eine andere makellose Liebe meiner Liebe vorziehe. Da vermochte er der Versuchung nicht zu widerstehen; sein Mund näherte sich meinem Gesicht, um meine Thränen zu trocknen. Unsere Lippen vereinten sich. Hätte es Gott nicht so gefügt, daß Sie gerade in dem Augenblick eintraten – was würde aus mir geworden sein!«

»Welche Schande, meine Tochter! Welche Schande!« sprach der Padre Vikar.

Pepita verhüllte das Antlitz mit beiden Händen und begann wie eine Magdalene zu schluchzen. Ihre Hände waren in der That sehr schön – weit schöner, als Don Luis sie in seinen Briefen geschildert hatte. Ihre Weiße, ihre klare Durchsichtigkeit, die schlanken Finger, die Rosenfarbe und der schimmernde Glanz der Nägel – das alles war ganz geeignet, einen jeden wahnsinnig zu machen.

Der tugendhafte Vikar begriff trotz seiner achtzig Jahre, daß Don Luis fallen oder doch wenigstens straucheln konnte. »Mädchen!« rief er aus. »du bist ja ganz außer dir! Brich mir doch nicht das Herz! Beruhige dich. Don Luis hat ohne Zweifel seine Sünde bereut. Bereue nun auch du und es ist zu Ende. Gott wird euch verzeihen und euch beide zu Heiligen machen. Wenn Don Luis übermorgen abreist, so ist das ein göttliches Zeichen, daß die Tugend in ihm triumphirt hat, und er fliehet dich, wie es seine Pflicht ist, um Buße zu thun für seine Sünde, um sein Gelübde zu erfüllen, um seiner Berufung zu folgen.«

»Gut,« entgegnete Pepita. »Sein Gelübde erfüllen... seiner Berufung folgen... und mich erst tödten! Warum hat er mich geliebt, warum mir geschmeichelt, warum mich getäuscht? Sein Kuß war ein Stempel, glühendes Eisen, mit dem er mich als seine Sklavin zeichnete; jetzt, da ich gezeichnet worden, da ich seine Sklavin bin, verläßt er mich, verkauft, mordet er mich! Eine schöne That, mit der er da seine Missionen, seine Predigten und evangelischen Triumphe beginnt! Das wird nie und nimmer geschehen! So wahr Gott, das wird nicht geschehen!«

Dieser Ausbruch von Zorn und verliebter Wuth machte den Padre Vikar ganz bestürzt.

Pepita war aufgesprungen. Ihr Antlitz, ihre Gerberden hatten etwas Tragisches. Ihre Augen funkelten wie zwei Dolche, leuchteten wie zwei Sonnen.

Der Padre bewahrte Schweigen und sah sie mit einer Art Schrecken an. Mit großen Schritten ging sie im Zimmer auf und nieder. Sie glich nicht mehr einer scheuen Gazelle, sondern einer wüthenden Löwin.

»Aber,« fuhr sie fort, dem Padre Vikar wieder gegenübertretend, »ich lasse meiner nicht spotten, ich lasse mir das Herz nicht zu Tode verwunden, es demüthigen, unter die Füße treten, nachdem man es mir hinterlistig gestohlen! Er soll meiner gedenken! Ich werde es ihm vergelten! Wenn er so heilig, so tugendhaft ist, warum schaute er mich dann mit Blicken an, die alles verheißen? Wenn er so sehr Gott liebt – warum bereitet er dann einem so armen Geschöpf Gottes solches Weh? Ist das christliche Liebe? Ist das Religion? Nein, das ist herzlose Selbstsucht!«

Pepita's Zorn dauerte nicht lange. Kaum hatte sie diese letzten Worte gesprochen, da brach sie zusammen und sank ohnmächtig hin. Sie fiel auf ein Sopha und weinte noch herzzerreißender als vorhin.

Der Vikar empfand das innigste Mitleiden mit ihr; indeß erlangte er doch bald seine Kraft wieder, als er sah, daß der Feind sich ergeben wolle.

»Pepita, meine Tochter,« sprach er, »so komm doch wieder zur Vernunft; martere dich doch nicht in solcher Weise. Bedenke, wie er gekämpft haben muß, um sich selbst zu besiegen, – daß er dich nicht betrogen, – daß er dich von ganzer Seele liebt, – daß aber Gott und seine Pflicht vorgehen. Das Leben hienieden ist von sehr kurzer Dauer – wie schnell schwindet es dahin! Im Himmel werdet ihr euch vereinen und lieben, wie die Engel sich lieben. Gott wird euer Opfer annehmen und es euch mit Zinsen vergelten. Selbst deine Eigenliebe wird befriedigt werden. Was hätte es dir genutzt, wenn du einen Mann wie Don Luis zum Straucheln gebracht, zur Sünde verleitet hättest! Welch tiefe Wunde wirst du seinem Herzen geschlagen haben! Damit begnüge dich, sei großmüthig, sei tapfer. Wetteifere mit ihm in der Festigkeit. Laß ihn reisen; banne aus deinem Herzen das Feuer unreiner Liebe; liebe ihn wie deinen Nächsten, um der Liebe Gottes willen. Bewahre sein Bild in deiner Seele, aber wie das des Auserkorenen, der den edelsten Theil seiner Seele Gott weiht. Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll, meine Tochter, – mir ist so wirr im Kopf; aber du bist ja so klug und verständig – leise Andeutungen genügen ja, um mich dir verständlich zu machen ... Zudem giebt es ja auch noch sehr triftige weltliche Gründe, welche sich dieser unsinnigen Liebe in den Weg stellen, ganz abgesehen von dem geistlichen Berufe und dem geistlichen Gelübde des Don Luis. Sein Vater wirbt um deine Gunst: er hofft auf deine Hand, auch ohne daß du ihn liebst. Was würde er für Augen machen, wenn wir ihm jetzt erzählten, er habe in seinem Sohn einen Nebenbuhler zu erblicken? Würde der Vater deiner Liebe wegen nicht seinem Sohne zürnen? Bedenke doch, wie entsetzlich das alles wäre und beherrsche dich um des gekreuzigten Jesu und seiner gebenedeiten heiligen Mutter willen!«

»Es ist sehr leicht, Rathschläge zu ertheilen,« entgegnete Pepita ein wenig ruhiger. »Aber wie schwer ist es mir, sie zu befolgen, jetzt, da ein wilder entfesselter Sturm in meinem Kopfe wüthet! Ich fürchte, ich verliere noch den Verstand!«

»Die Rathschläge, welche ich dir ertheile, sind zu deinem Besten. Laß Don Luis abreisen. Die Entfernung ist ein großes Heilmittel für den Liebeskummer. Er wird von seiner Leidenschaft gesunden, indem er sich seinen Studien und dem Altar weiht. Du wirst, wenn du fern von Don Luis bist, nach und nach dich beruhigen, – du wirst ihm ein freundliches, wehmüthiges Gedenken bewahren, das deiner Seele keinen Makel zufügt. Es wird wie eine schöne Poesie sein, welche dein Leben mit ihrem Licht vergoldet. Gingen alle deine Wünsche in Erfüllung – wer weiß? ... Die irdische Liebe ist so unbeständig! Die Phantasie malt sich eine alles bis auf die Hefe kostende Wollust aus – aber was ist sie im Vergleich mit der bittern Enttäuschung? Um wie viel besser ist es nicht, daß eure Liebe jetzt, da sie noch rein und fleckenlos ist, vergehe und in nichts sich auflöse und zum Himmel steige gleich einer Weihrauchwolke, als wenn sie, eine Beute des Hasses, befriedigt dahinsterbe! Habe den Muth, den Kelch, nachdem du kaum den Trank, den er enthält, gekostet, von deinen Lippen zu entfernen. Gieße diesen Trank aus, bringe ihn dem göttlichen Erlöser zum Opfer. Er wird dir dafür jenen Trunk geben, den er der Samariterin reichte –einen Trunk, dessen keiner überdrüssig wird, der den Durst löscht und ewiges Leben bereitet.«

»Mein Vater, mein Vater! Wie gut sind Sie! Ihre heiligen Worte verleihen mir Kraft. Ich werde mich zu beherrschen, zu besiegen wissen. Wie beschämend – nicht wahr, wie beschämend wäre es für mich, wenn Don Luis sich zu beherrschen, zu besiegen verstände und ich zu schwach wäre, um mich besiegen zu können! Er mag gehen, er mag übermorgen reisen. Gott mit ihm. Sehen Sie, hier ist seine Visitenkarte. Gestern war er mit seinem Vater hier, um sich zu verabschieden; ich habe ihn nicht empfangen. Nun sehe ich ihn niemals wieder. Ich will auch nicht jene poetische Erinnerung an ihn bewahren, von der Sie sprachen. Diese Liebe war ein Traum. Ich werfe sie weit von mir.«

»Gut, sehr gut! So sehe ich dich gern, energisch und tapfer!«

»Ach, mein Vater! Gott hat meinen Stolz mit diesem Schlage vernichtet; ich hatte mich übermüthiger Eitelkeit schuldig gemacht, und da bedurfte es der stolzen Mißachtung dieses Mannes, damit ich wieder zur nöthigen Demuth zurückkehre. Kann ich zerschlagener und zerknirschter sein? Don Luis hat recht: ich bin seiner nicht würdig. Wie hätte ich trotz all meiner Bemühungen mich bis zu ihm erheben, ihn begreifen und meinen Geist mit dem seinen in volle Harmonie bringen können? Ich bin ein gewöhnliches, ungebildetes, thörichtes Weib vom Lande; und er – es giebt keine Wissenschaft, in welcher er nicht erfahren, kein Geheimnis, das ihm verborgen wäre, keine Sphäre der geistigen Welt, die so erhaben, daß er sich zu ihr nicht zu erheben vermöchte. So entfalte er denn die Schwingen seines Genius und lasse mich armes, gewöhnliches Weib hier unten auf dieser niedrigen Erde, unfähig, ihm zu folgen, trotz all meines heißen Hoffens und meiner verzweiflungsvollen Seufzer!«

»Aber Pepita, um der Wunden Jesu Christi willen, sprich und denke doch nicht so! Don Luis verachtet dich nicht, weil du eine unwissende Frau bist, noch weil er ein Gelehrter ist, den du nicht verstehst – noch wegen einer sonstigen Narrheit, von der du da phantasirst! Er geht, weil er sein Gott gegebenes Gelübde erfüllen muß; und du mußt dich freuen, daß er geht, weil du dann von deiner Liebe genesen wirst, und Gott dir den Preis für dein so großes Opfer giebt.«

Pepita, die nicht mehr weinte und sich mit dem Tuche die Thränen getrocknet hatte, entgegnete ruhig:

»Gut, Vater, ich will mich freuen; ja, fast freue ich mich schon, daß er geht. Wie verlangt mich darnach, daß der morgige Tag vergangen sein möchte, und daß dann am nächsten Morgen Antonnona mich mit den Worten wecke: ›Don Luis ist fort.‹ Sie wollen sehen, wie dann die Ruhe und Heiterkeit meiner Seele wiederkehrt.«

»Möge es so sein,« sprach der Padre Vikar.

Und in der Ueberzeugung, daß er ein Wunder gewirkt und Pepita von ihrem Liebesleid geheilt habe, verabschiedete er sich von ihr und begab sich nach Hause – nicht ohne gewisse Regungen der Eitelkeit zu empfinden, indem er an den Einfluß dachte, den er auf den edlen Geist dieser herrlichen Frau ausübte.

*

Pepita, welche aufgestanden war, um den Vikar hinauszugeleiten, blieb, sobald sie die Thür wieder geschlossen und sich allein befand, eine Weile unbeweglich mitten im Zimmer stehen, mit starren, ziellos in die Weite blickenden, thränenlosen Augen. Einen Dichter oder Künstler hätte sie an die Gestalt der Ariadne erinnert, wie Catull sie uns schildert, als Theseus sie auf der Insel Naxos verließ. Plötzlich, als wollte sie sich von einer Fessel befreien, welche ihr die Kehle zuschnürte, sie zu ersticken drohte, brach Pepita in schmerzhaftes Schluchzen und Weinen aus, und ihr schöner zarter Körper fiel auf die kalten Fliesen des Fußbodens. Dann das Gesicht mit den Händen bedeckend, Haar und Kleider in Unordnung, fuhr sie laut fort zu schluchzen und zu weinen.

Und sie würde sich noch lange ihrer Verzweiflung hingegeben haben, wenn nicht Antonnona gekommen wäre. Diese hatte ihr Schluchzen gehört und kam eiligst in das Zimmer hereingestürzt. Als sie sie so auf dem Fußboden hingestreckt sah, gerieth Antonnona in furchtbare Wuth.

»Da sehe einer,« sprach sie, »wie dieser Tölpel, dieser alte Dummkopf es versteht, seine Freundinnen zu trösten! Wird diesem herzigen Geschöpfchen wohl irgend eine Rohheit, ein Paar derbe Getränke gereicht haben, – und da läßt er sie mir nun halbtodt liegen! Und er ist in die Kirche zurückgekehrt, um das Nothwendige vorzubereiten zum Misereresingen und dem Besprengen mit Hysop, damit sie nur so mir nichts dir nichts in die Erde gescharrt werde!«

Antonnona mochte etwa vierzig Jahre zählen und war in der Arbeit abgehärtet, feurig und kräftiger als mancher Arbeiter. Gar oft hob sie eine Last von siebzig Pfund Oel oder Wein auf und legte sie auf den Rücken eines Maulthiers – oder sie lud sich einen Sack Getreide auf und trug ihn auf den Boden. Obgleich Pepita nicht sehr leicht war, hob Antonnona sie vom Boden auf, nahm sie wie einen Strohhalm in die Arme und legte sie mit der größten Vorsicht auf das Sopha – so wie man einen kostbaren, leicht zerbrechlichen Gegenstand hinlegt.

»Was ist mir das für eine Dummheit?« fragte Antonnona. »Sicherlich hat dir dieser Tölpel von Vikar eine Predigt an den Kopf geworfen und dir dabei das Herz in Stücke gerissen.«

Pepita fuhr fort zu weinen und zu schluchzen, ohne zu antworten.

»Na, nun laß es genug sein mit dem Weinen und sage mir, was dir fehlt. Was hat der Vikar gesagt?«

»Nichts, was mich verletzen könnte,« entgegnete endlich Pepita.

Als sie jedoch sah, daß Antonnona sie erwartungsvoll anblickte und weitere Mittheilungen erwartete, begann Pepita, die es drängte, sich jemandem anzuvertrauen, der mit ihr sympathisirte und sie verstand, in folgender Weise:

»Der brave Vikar hat mich mit Milde ermahnt, daß ich meine Sünden bereue, Don Luis in Frieden abreisen lasse – ja, mich noch über seine Abreise freue und ihn vergesse. Ich habe zu allem Ja gesagt. Ich habe versprochen mich über Don Luis' Fortgehen zu freuen. Ich wollte ihn vergessen, ja sogar verabscheuen. Aber siehst du, Antonnona, das vermag ich nicht; eine solche Aufgabe geht über meine Kräfte. So lange der Vikar noch hier war, wähnte ich mich stark genug zu alledem; kaum aber war er fort, da war es mir, als hätte Gott seine Hand von mir gezogen, ich verlor alle Kraft und fiel ganz trostlos zu Boden.

»Ich hatte mir ein glückliches Leben an der Seite dieses Mannes, den ich liebe, geträumt; ich sah mich schon zu ihm emporgehoben durch das Wunder der Liebe, sah meinen armen Geist in vollkommenem Einklang mit seinem erhabenen Verstände – meinen Willen ganz eins mit dem seinen – vollständig eins unsere Gedanken, in voller Uebereinstimmung unsere Herzen.

Gott nimmt und entreißt ihn mir und ich bleibe hier allein, ohne Hoffnung und ohne Trost! Nicht wahr, das ist entsetzlich? Die Gründe des Padre Vikar sind ganz vernünftig und stichhaltig ... Für den Augenblick überzeugten sie mich. Aber kaum war er fort, da brach die ganze Beweiskraft dieser Gründe für mich in nichts zusammen. Ein leeres Spiel mit Worten; Lügen, Listen und Spitzfindigkeiten. Ich liebe Don Luis, und dieser Grund wirft alle andern über den Haufen. Und wenn er mich liebt – warum verläßt er dann nicht alles, um mich aufzusuchen, um zu mir zu eilen, – warum bricht er da nicht Versprechungen und Gelübde? Ich wußte nicht, was Liebe war. Jetzt weiß ich's: weder auf Erden noch im Himmel giebt es etwas Gewaltigeres. Was vermöchte ich nicht für Don Luis zu thun? Und er – er thut nichts für mich. Vielleicht liebt er mich gar nicht. Nein, Don Luis liebt mich nicht. Ich habe mich geirrt: die Liebe machte mich blind. Wenn Don Luis mich liebte, würde er mir seine Vorsätze, seine Gelübde, seinen Ruhm, seinen Ehrgeiz, ein Heiliger und eine Leuchte der Kirche werden zu wollen – kurz, alles würde er mir opfern. Gott möge mir verzeihen ... es ist entsetzlich, was ich sage, aber hier, im Innersten meines Herzens fühl' ich es; hier glüht es, hier in der brennenden Stirn; für ihn würde ich sogar meine ewige Seligkeit hingeben.«

»Jesus, Maria, Joseph!« unterbrach sie Antonnona.

»Es ist wahr, schmerzensreiche Mutter Gottes, vergieb mir, vergieb mir ... ich bin wahnsinnig ... ich weiß nicht, was ich sage und lästere Gott!«

»Ja, meine Tochter, du bist außer dir! Um Gottes willen, wie hat dir dieser Galan von Theologe den Kopf verdreht! Wäre ich an deiner Stelle, ich würde nicht mit dem Himmel anbinden– der hat keine Schuld – sondern mit diesem Naseweis von Studenten, – und er sollte mir's heimzahlen! Ich möchte zu ihm gehen, ihn an den Ohren zu dir führen und ihn zwingen, dich um Verzeihung zu bitten und dir knieend die Füße zu küssen.«

»Nein, Antonnona. Ich sehe, mein Wahnsinn wirkt ansteckend und auch du redest irre. Schließlich bleibt mir nichts anderes übrig als das zu thun, was der Padre Vikar mir gerathen. Ja, ich werde es thun, und sollte es mich das Leben kosten. Sterbe ich für ihn, so wird er mich lieben und in seiner Erinnerung mein Bild, in seinem Herzen meine Liebe bewahren; und Gott, der so gut ist, wird es so fügen, daß ich ihn mit den Augen der Seele im Himmel wiedersehe, und daß dort unsere Herzen sich lieben und vereinigen.«

Wie roh und unempfindsam Antonnona auch war, bei diesen Worten fühlte sie, wie ihr die Thränen in die Augen drangen.

» Caramba, Kind,« sprach Antonnona, »es ist dir geglückt, auch mich zum Wimmern und Heulen zu bringen! Beruhige dich und denke nicht mehr ans Sterben und dergleichen. Ich sehe, deine Nerven sind sehr erregt. Soll ich dir eine Tasse Lindenblütenthee holen?«

»Nein, danke. Laß mich allein ... du siehst ja, ich bin schon wieder ruhig.«

»Ich will die Fenster schließen, und dann sieh, ob du nicht schlafen kannst. Wenn du Tage lang nicht schläfst, was soll da aus dir werden? Hol' ihn dieser und jener, diesen Don Luis mit seiner Versessenheit auf das Pastorwerden! Wie manchen Seufzer hat dich das schon gekostet!«

Pepita hatte die Augen geschlossen; sie war still und ruhig; sie begann der Reden Antonnona's überdrüssig zu werden.

Diese, welche sie eingeschlafen glaubte, oder wünschte, sie möchte einschlummern, machte einen Knicks vor Pepita, drückte still einen Kuß auf ihre weiße Stirn, zupfte ihr das Kleid zurecht, schloß die Fensterläden, damit nur ein Halbdunkel im Zimmer herrsche, und ging auf den Zehen hinaus, die Thür ganz geräuschlos hinter sich schließend.

*

Während sich alle diese Dinge in Pepita's Hause ereigneten, befand sich Sennor Don Luis de Vargas auch keineswegs in froher ruhiger Stimmung.

Sein Vater, der fast täglich aufs Feld ritt, hatte ihn mit sich nehmen wollen. Aber Don Luis hatte sich mit Kopfweh entschuldigt, und so war Don Pedro ohne ihn fortgeritten. Den ganzen Vormittag hatte Don Luis allein verbracht, ganz in seine schwermüthigen Gedanken verloren und felsenfest entschlossen, Pepita's Bild aus seiner Seele auszulöschen und sich ganz seinem Gotte zu widmen.

Uebrigens glaube man ja nicht, er hätte die junge Witwe nicht geliebt. Die Briefe haben uns bereits darüber aufgeklärt, wie heftig die Leidenschaft in ihm brannte. Allein er fuhr fort, sie mit denselben frommen Uebungen und erhabenen Bettachtungen zu zügeln, von denen er uns in seinen Briefen reichliche Proben mitgetheilt, und von denen wir, um uns nicht der Weitschweifigkeit schuldig zu machen, hier absehen können.

Vielleicht daß wir, um alle in Betracht kommenden Umstände zu berücksichtigen, noch hinzufügen dürften, daß wider die Liebe zu Pepita in Don Luis' Seele nicht blos das in seinem Innern abgelegte – wenn auch noch nicht äußerlich besiegelte – Gelübde, die Liebe zu Gott, die Hochachtung vor dem Vater, dessen Nebenbuhler er nicht sein wollte, und der Beruf, den er zum geistlichen Stande in sich fühlte, mit einander kämpften: – nein, es gab auch noch andere Gründe von geringerer Bedeutung und etwas gemeinerer Natur.

Don Luis hatte einen festen beharrlichen Sinn: er besaß jene Natur, welche, wenn gut geleitet, das ausmacht, was man Charakterfestigkeit nennt, und in seinen Augen gab es nichts Gemeineres als Veränderlichkeit in Grundsätzen und Anschauungen.

Sein Lebensplan, wie er ihn seinen Freunden und Bekannten auseinander gesetzt – mit einem Wort seine sittliche Persönlichkeit, welche bereits die eines Heiligkeitsaspiranten, eines gottgeweihten Mannes, eines von der erhabensten religiösen Philosophie durchdrungenen Wesens war – dies alles konnte nicht ohne große Schande für Don Luis in sich zusammen stürzen, wie es der Fall sein würde, wenn er sich von seiner Liebe zu Pepita Jimenez hinreißen ließ. Wenn auch der Preis ein ganz bedeutend höherer war, so meinte doch Don Luis, er würde dem Esau gleichen, das Recht seiner Erstgeburt verkaufen und seinen theologischen Ruhm beflecken.

Im allgemeinen pflegen wir Menschen ein Spielzeug der Umstände zu sein; wir lassen uns vom Strom fortreißen und streben nicht ohne Schwanken nach einem bestimmten Punkt. Wir wählen uns nicht einen Beruf, sondern nehmen und thuen das was uns gleichsam in den Schoos fällt, was das blinde Glück uns darbietet. Der Beruf, die politische Parteistellung, das ganze Leben der meisten Menschen hängt von Zufälligkeiten, von unberechenbaren, unerwarteten Schicksalslaunen ab.

Hiergegen empörte sich Don Luis' Stolz mit titanischer Kraft. Was würde man von ihm sagen, und vor allem: was würde er selbst von sich denken müssen, wenn das Ideal seines Lebens, der neue Mensch, den er in seiner Seele geschaffen, wenn all seine Tugendpläne, sein Ringen nach Ehre, ja sogar sein heiliger Ehrgeiz – wenn dies alles in einem einzigen Augenblick vor der Glut eines einzigen Blickes in der flüchtigen Flamme zweier schöner Augen dahinschwände gleichwie der Thau dahin schwindet vor dem noch schwachen Strahl der Morgensonne!

Diese und andere Gründe selbstsüchtiger Art führten im Verein mit den berechtigten und schwerer wiegenden Gründen einen gemeinsamen Krieg wider die junge Witwe. Aber all diese Gründe kleideten sich in dasselbe religiöse Gewand, so daß selbst Don Luis sie nicht zu erkennen und zu unterscheiden vermochte; denn er hielt nicht blos das für Gottesliebe, was in der That Gottesliebe war, sondern auch seine Eigenliebe.

Auch gedachte er des Lebens vieler Heiligen, die noch größeren Versuchungen widerstanden hatten, als die seinen waren, und so wollte er nicht hinter jenen zurückbleiben. Vor allem gedachte er der Festigkeit des heiligen Johannes Chrysostomus, der allen Schmeicheleien einer liebenden guten Mutter, all ihren Thränen, all ihren süßen Klagen, all den einschmeichelnden beredten Worten, mit denen sie ihn davon abzuhalten suchte, Priester zu werden, zu widerstehen wußte – trotzdem sie ihn in ihr eigenes Schlafgemach und an das Bett führte, in welchem sie ihn geboren.

Und nachdem Don Luis hierauf seine Gedanken gerichtet, konnte er es sich nicht verzeihen, daß er die Bitten eines fremden Weibes nicht mißachtet – eines Weibes, das er erst so kurze Zeit kannte, und daß er noch schwankte zwischen seiner Pflicht und den Reizen eines jungen Wesens, das vielleicht weniger verliebt als gefallsüchtig war.

Dann dachte Don Luis an die majestätische Erhabenheit der Priesterwürde, zu welcher er berufen war und die er als über allen Einrichtungen und über allen erbärmlichen Kronen der Erde erhaben dastehend betrachtete; denn nicht ein sterblicher Mensch, nicht eine Laune des wankelmüthigen Pöbels, noch auch ein plötzlich eingewandertes Barbarenvolk, – weder die Gewalttätigkeit herrschsüchtiger Massen noch Engel oder Erzengel, noch irgend eine geschaffene Gewalt – sondern der heilige Geist selbst hatte sie begründet.

Wie hätte er auf den leichtfertigen Antrieb eines Weibes um einer vielleicht erlogenen Thräne willen diese erhabene Würde, diese Gewalt, die Gott nicht einmal den seinem Thron so nahe stehenden Erzengeln verliehen hatte, mißachten können? Wie hätte er zu dem gewöhnlichen Volke herabsteigen, sich unter dasselbe mischen, einer von der Menge werden können, nachdem er sich schon als Seelenhirten geträumt, lösend und bindend auf Erden, auf daß Gott im Himmel löse und binde, – die Sünden verzeihend, mit dem geweihten Wasser und durch den heiligen Geist die Völker wiedergebärend, – im Namen einer unfehlbaren Autorität lehrend, – Urtheile fällend, welche der Herr in der Höhe sofort bestätigte und ausführte – sich als einen in furchtbare, der menschlichen Vernunft nicht zugängliche Geheimnisse Eingeweihten betrachtend und die Macht besitzend, vom Himmel – nicht gleich Elias die Flamme herabflehend, die das Opfer verzehrt, – sondern den heiligen Geist, das fleischgewordene Wort und den Gnadenstrom, der die Herzen läutert und sie rein wie Gold macht.

Wenn Don Luis über dies alles nachgrübelte, dann hob sich sein Geist, er schwang sich empor über die höchsten Gipfel der schneebedeckten Berge in eine himmlische Region und die arme Pepita Jimenez blieb so tief unter ihm, daß er sie kaum noch zu sehen vermochte.

Doch plötzlich zerriß der Schleier seiner Phantasie und Don Luis' Seele kehrte zur Erde und zu Pepita zurück, – zu der anmuthvollen, jugendlich reinen verliebten Pepita, – und dann kämpfte Pepita in seinem Herzen wider die stärksten und festesten Vorsätze, und Don Luis mußte befürchten, daß diese letzteren unterliegen würden.

*

So quälte sich Don Luis mit peinigenden Gedanken, als unverhofft Currido in sein Zimmer trat, ohne ein Wort zu sagen.

Currido, der nicht viel von seinem Vetter hielt, so lange er in ihm nur den Theologen gesehen, verehrte, bewunderte ihn, ja betrachtete ihn fast als ein übernatürliches Wesen, als er ihn hoch zu Roß gesehen.

Die Kenntnis der Gottesgelahrtheit und seine Nichtkenntnis des Reitens hatte Don Luis in Currido's Augen in Mißcredit gebracht; allein als Currido bemerkte, daß er außer der Gelehrsamkeit und namentlich außer denjenigen Dingen, die er selbst nicht verstand, aber für schwierig und schwer begreiflich hielt, auch noch die Fähigkeit besaß, sich so tapfer auf dem Bug eines unbändigen Thieres zu halten, da kannten seine Verehrung und seine Zuneigung für Don Luis keine Grenzen mehr.

Currido war ein Prahlhans, ein Bruder Leichtfuß, ein Schwatzmaul, hatte jedoch ein treues weiches Herz. Dem jungen Theologen, der jetzt Currido's Idol war, erging es, wie es allen edleren Naturen gegenüber den niedriger stehenden Wesen ergeht, welche ihnen ihre Zuneigung widmen. Don Luis ließ sich seines Vetters Liebe gefallen, – das heißt, er wurde von diesem in allen unbedeutenden Angelegenheiten despotisch beherrscht. Und da es für Leute wie Don Luis im gewöhnlichen täglichen Leben fast niemals eine Angelegenheit giebt, so hatte das zur Folge, daß Currido seinen Vetter wie ein Kind überall hinschleppen konnte.

»Ich komme, dich abzuholen,« sprach er. »Du mußt mich ins Casino begleiten; dort geht es heut sehr lebhaft zu; wir finden eine große Gesellschaft vor. Was machst du hier so allein? Phantasirst du etwa?«

Ohne ein Wort zu erwidern und als verstände sich das von selbst, nahm Don Luis Hut und Stock, und mit den Worten: »Gehen wir, wohin du willst,« folgte er Currido, der ihm vorausging und sehr mit dem Einfluß, den er auf ihn übte, zufrieden war.

Das Casino war in der That, dank der Festlichkeit, die am folgenden Tage, dem Johannistage, stattfinden sollte, ganz überfüllt. Außer den Honoratioren des Dorfes waren viele Fremde aus den benachbarten Ortschaften gekommen, um sich an dem Feste und an der Vorfeier zu betheiligen.

Das Centrum der Versammlung bildete der marmorgepflasterte Hof, mit einer von Rosen- und Nelkensträuchern umgebenen Fontaine in der Mitte. Ein Gezelt von Doppelleinwand schützte die Gäste vor den Sonnenstrahlen. Eine von Marmorsäulen getragene Galerie lief rings um den Hof herum; und sowohl auf der Galerie wie in den verschiedenen auf dieselbe mündenden Zimmern waren Spieltische, sowie andere Tische, an welchen man Zeitungen lesen und Kaffee und andere Erfrischungen zu sich nehmen konnte, aufgestellt; um dieselben herum standen Sessel, kleine Bänke und Stühle.

An den schneeweißen Wänden gewahrte man zahlreiche Bilder, welche als Schmuck dienen sollten. Es waren colorirte französische Lithographien, mit zweisprachigen Erklärungen darunter. Die einen stellten das Leben Napoleons des Ersten dar, von Toulon bis St. Helena; andere die Abenteuer von Mathilde und Malek-Adel; wieder andere die Liebes- und Kriegsabenteuer des Templers, der Rebecca, Lady Rovenas und Ivanhoes; noch andere die sündigen Thaten und die Bußübungen Ludwigs des Fünfzehnten und der Frau von Lavallière.

Currido führte Don Luis, und Don Luis ließ sich in das Zimmer führen, in welchem sich die Blüte der Stutzer, der Dandys, der Cocodés des Dorfes und der ganzen Gegend befanden. Unter diesen bemerkten sie in erster Reihe den Grafen von Genahazar aus einer benachbarten Stadt. Er war eine sehr angesehene und wichtige Persönlichkeit. Er hatte längere Zeit in Madrid und in Sevilla gelebt, trug Kleider aus den Werkstätten der berühmtesten Schneider, war zweimal Abgeordneter gewesen und hatte einmal eine Interpellation wegen eines Versehens eines Bürgermeisters an die Regierung gerichtet.

Der Graf von Genahazar mochte einige dreißig Jahre zählen. Er war sehr muthig und das wußte er; und so kam es, daß er beständig in Herausforderungen, Friedensstiftungen und Liebeshändel verwickelt war. Obgleich der Graf hartnäckiger als irgend einer sich um Pepita's Hand beworben, hatte er doch ebenfalls den mit einigem Zuckerwerk gefüllten Korb erhalten, welchen sie an alle diejenigen auszutheilen pflegte, welche um ihre Hand anhielten.

Die Wunde, welche diese harte bittere Pille seinem hochmüthigen Herzen geschlagen, war noch nicht vernarbt. Die Liebe hatte sich in Haß verwandelt, und diesem machte der Graf dadurch Luft, daß er sich Pepita zum Stichblatt seiner anzüglichen Bemerkungen erkor.

Dieser angenehmen Beschäftigung gab sich gerade der Graf hin, als sein Unglück wollte, daß Don Luis und Currido sich dem Kreise näherten, der sich sofort öffnete, um sie in sich aufzunehmen, so daß sie die seltsame verleumderische Rede mit anhörten.

Wie vom Teufel selbst dahin gestellt, befand Don Luis sich von Angesicht zu Angesicht dem Grafen gegenüber, während dieser also sprach:

»Sie ist gar nicht so dumm, diese Pepita Jimenez. Phantasievoller und schlauer als die Infantin Micomicona will sie uns vergessen machen, daß sie in der Armuth geboren und darin gelebt, bis sie sich mit jenem Narren, dem alten Drachen, dem verfluchten Wucherer verheirathete und sich seine Füchse aneignete. Das einzig Gute, was diese Witwe Zeit ihres Lebens gethan, besteht darin, daß sie sich mit Satanas verbündete, um diese Vogelscheuche von Ehemann schleunigst in die Hölle zu befördern, und so die Erde von dieser Seuche, dieser Pest zu befreien. Jetzt hat sich Pepita der Tugend und der Keuschheit gewidmet. Das ist alles ganz untadelhaft! Weiß Gott, mit welchem Galan sie sich im Geheimen verständigt hat, um sich über die Welt lustig zu machen, als wäre sie eine Königin Artemisia.«

Aengstliche Personen, die sich nie in ausschließlich aus Männern bestehenden Gesellschaften befunden haben, werden ohne Zweifel über eine solche Sprache aus Rache empört sein; so etwas wird ihnen gemein, brutal, ja sogar unwahrscheinlich vorkommen. Allein diejenigen, welche die Welt kennen, werden mir zugeben, daß solche Reden ganz an der Tagesordnung sind, und daß die besten, liebenswürdigsten, ehrenhaftesten Frauen den niedrigsten, gemeinsten Angriffen preisgegeben sind, wenn sie einen Feind haben, – ja sogar dann, wenn sie keinen Feind haben, weil die Menschen nur zu gern andere verlästern und in den Schmutz ziehen, um dadurch ihre Geistreichigkeit und ihren Witz zu zeigen.

Don Luis, der von Kindheit an daran gewöhnt war, niemanden in seiner Gegenwart unanständige oder auch nur anstößige Reden führen zu hören, da er stets nur mit Untergebenen, Verwandten und Freunden seines Vaters verkehrt hatte – und diese waren immer bestrebt gewesen, sich bei ihm beliebt zu machen – der später im Seminar sowohl als Neffe des Dechant, sowie um seines eigenen Verdienstes willen niemals Unannehmlichkeiten gehabt, sondern nur achtungsvolle, schmeichelhafte Reden gehört – Don Luis empfand eine eigenthümliche Betäubung, er war wie vom Blitz getroffen, als er den unverschämten Grafen die von ihm geliebte Frau in den Schmutz ziehen, ihre Ehre beflecken sah.

Und doch, wie sie vertheidigen? Er wußte sehr wohl, daß er, obgleich weder Pepita's Gatte noch Bruder noch Verwandter, als Edelmann für sie in die Schranken treten konnte; allein er sah den Scandal voraus, der hier entstehen würde, wo niemand Pepita vertheidigte, sondern Alle die anmuthigen Scherze des Grafen belachten. Er, fast schon ein Diener des Friedensgottes, konnte sich nicht in die Sache mischen, sich mit diesem unverschämten Menschen nicht in einen Streit einlassen.

Don Luis that sich Gewalt an, um seine Empfindung zu unterdrücken und sich zu entfernen; aber sein Herz ließ das nicht zu, und während er sich alle Mühe gab, eine würdevolle Haltung zur Schau zu tragen, die weder mit seinen jungen Jahren noch mit seinem Gesicht, noch mit seiner Anwesenheit an diesem Orte vereinbar war, begann er mit wahrer Beredtsamkeit sich wider die Verleumder zu wenden, und dem Grafen mit christlichem Freimuth und strengem Ton die Gemeinheit seiner niedrigen Handlungsweise ins Gesicht zu schleudern. Aber er redete nur tauben Ohren – ja, es war noch schlimmer, als tauben Ohren reden. Der Graf beantwortete seine Homilie mit anzüglichen Hohn- und Witzreden. Die Anwesenden, unter denen es viele Fremde gab, stellten sich auf die Seite des Spötters, obgleich Don Luis der Sohn des Dorfschulzen war, und da selbst Currido, wenn er auch nicht mitlachte, zu feige war, um seinen Freund zu vertheidigen und zu unterstützen, so mußte dieser sich gedemüthigt und beschämt unter lautem Lachen zurückziehen.

*

»Gerade das fehlte mir noch!« murmelte der arme Don Luis zwischen den Zähnen, als er nach Hause ging.

Er zog sich in sein Zimmer zurück; er war ganz betäubt und zerknirscht durch das Vorgefallene, das seine Phantasie noch verschlimmerte und ihm als etwas Unerträgliches darstellte. Ermattet und ganz muthlos sank er auf einen Stuhl, während tausend widerstreitende Gedanken ihm durch den Kopf gingen.

Das Blut seines Vaters, das auch in seinen Adern rollte, brauste zornig in ihm auf und trieb ihn an, das Priesterkleid, wie es ihm so oft angerathen worden, von sich zu werfen, um dem Herrn Grafen die verdiente Lection zu geben.

Doch da sah er, wie die ganze Zukunft, die er sich geschaffen, mit einem Mal zusammenbrach. Er sah den Dechant vor sich, der ihn verläugnete, ja sogar den Papst, der schon die Dispens ertheilt hatte, deren er bedurfte, um vor dem vorgeschriebenen Alter zum Priester geweiht zu werden, – er sah den Bischof vor sich, der ihm die Dispens mit Rücksicht auf seine erprobte Tugend, sein gediegenes Wissen und seine Charakterfestigkeit ausgewirkt hatte, – sie alle erschienen vor ihm, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen.

Dann dachte er an die scherzhafte, von seinem Vater vertretene Theorie, andere zu seiner Ansicht zu bekehren – eine Theorie, welche der Apostel Jakobus, die Bischöfe des Mittelalters, der heilige Ignatius von Loyola und andere Männer befolgt hatten, und diese Theorie erschien ihm jetzt nicht mehr so einfältig, und er bereute es fast, sie nicht zur Anwendung gebracht zu haben.

Dann erinnerte er sich der Gewohnheit eines orthodoxen Kirchenlehrers, eines berühmten zeitgenössischen persischen Philosophen, dessen in einem über dieses Land kürzlich erschienenen Buche Erwähnung geschehen. Die Methode dieses Religionslehrers bestand darin, daß er seine Schüler und Zuhörer mit harten Worten strafte, wenn sie über seine Lehren lachten oder sie nicht anhören wollten, wenn das nicht half; stieg er mit dem Säbel in der Hand von seinem Lehrstuhl herab, um seine Zuhörerschaft mit der Klinge zu züchtigen. Diese Methode war sehr wirksam, namentlich bei religiösen Controversen, und so wendete der genannte Philosoph sie auch einmal bei einem Gegner an, welcher derselben Methode huldigte – und so geschah es, daß er von diesem einen ganz tüchtigen Hieb über das Gesicht bekam.

Trotz seiner Zerknirschung und seiner schlechten Laune mußte Don Luis über das Komische einer solchen Situation lachen; er bedachte, daß es auch in Spanien nicht an Philosophen fehlte, welche mit dem größten Vergnügen diese persische Methode in Anwendung bringen möchten; und wenn er selbst nicht davon Gebrauch machte, so geschah dies wahrlich nicht aus Furcht vor einer Wunde, sondern aus höheren und edleren Rücksichten.

Endlich kehrten wieder bessere Gedanken in seine Seele ein und beruhigten ihn einigermaßen.

»Es war sehr unrecht von mir,« sagte er sich, an einem solchen Orte zu predigen. Ich hätte den Mund halten sollen. Unser Herr Jesus Christus hat gesagt: »Ihr sollt eure Perlen nicht vor die Säue werfen, auf daß dieselben sie nicht in den Schmutz treten und sich wider euch wenden, um euch zu zerreißen.« Aber worüber habe ich mich denn zu beklagen? Daß ich Beleidigungen mit Beleidigungen vergalt? Warum ließ ich mich vom Zorn hinreißen? Viele heilige Väter haben gesagt: »Der Zorn eines Priesters ist noch schlimmer als Unzucht.« Der Zorn der Priester hat viele Thränen fließen gemacht und entsetzliches Uebel angerichtet. Dieser Zorn, dieser furchtbare Rathgeber hat sie vielleicht zu der Ansicht gebracht, es sei nothwendig, daß die Völker Blut schwitzten unter dem göttlichen Druck – dieser Zorn hat vor ihren blutgierigen Augen die Vision des Jesaias erstehen lassen, – er hat ihnen das sanftmüthige Lamm in den unerbittlichen Rächer verwandelt gezeigt, der, voll Stolz über seine Kraftfülle, von der Spitze des Edon herabgestiegen, die Völker zertreten, wie der Presser die Trauben in der Kufe zertritt, hochgeschürzten Gewandes und bis an die Hüften mit Blut bedeckt.

»Ach nein, mein Gott, ich will dein Diener sein; du bist ein Gott des Friedens und meine vornehmste Tugend muß die Sanftmuth sein. Was dein Sohn uns in der Bergpredigt lehrte, muß mir als Richtschnur dienen. Nicht Aug' um Auge, nicht Zahn um Zahn, – nein lieben müssen wir unsere Feinde. Du breitest dein Licht über Gerechte und Ungerechte, und du spendest allen die befruchtende Glut deiner unerschöpflichen Güte. Du bist unser Vater, und wir müssen vollkommen werden wie du, denen vergeben, die uns beleidigen, und dich bitten, daß du ihnen vergeben möchtest, da sie nicht wissen, was sie thun. Ich muß an die mir gewordenen Wohlthaten denken: »Glücklich seid ihr, wenn sie euch verfolgen, euch beschimpfen und böse von euch reden.« Der Priester und diejenigen, welche Priester werden wollen, müssen demüthig, friedfertig und milden Herzens sein, nicht der Eiche gleich, welche stolz in die Lüfte ragt, bis der Blitzstrahl sie zerschmettert, sondern wie die wohlriechenden Gräser der Wälder und die bescheidenen Blümlein der Auen, welche süße angenehme Düfte verbreiten, wenn der Bauer sie mit Füßen tritt.«

Unter diesen und ähnlichen Betrachtungen flössen die Stunden dahin, bis es drei Uhr schlug und Don Pedro, der soeben vom Felde heimgekehrt war, in seines Sohnes Zimmer trat, um ihn zum Essen zu rufen. Die fröhliche Herzlichkeit des Vaters, seine Scherze, seine Beweise von Liebe vermochten Don Luis nicht aus seiner schwermüthigen Stimmung herauszureißen, noch seinen Appetit zu wecken. Er rührte die Speisen kaum an, und sprach fast kein Wort.

Obgleich durch die schweigsame Traurigkeit seines Sohnes, dessen Gesundheit, wenn auch noch so kräftig, leiden konnte, sehr unangenehm berührt, so hinderte das Don Pedro doch nicht, der des Morgens früh aufstand und den ganzen Tag unermüdlich thätig war, sich sobald er nach Tisch eine gute Habana geraucht und dazu eine Tasse Kaffee nebst einem Gläschen Doppelanis getrunken, sich sehr müde zu fühlen und sich seiner Gewohnheit gemäß zurückzuziehen, um seine zwei bis drei Stündchen Siesta zu halten.

Don Luis hütete sich wohl, seinem Vater von der Beschimpfung zu erzählen, die ihm der Graf von Genahazar angethan hatte. Sein Vater, der nicht wie er Geistlicher werden wollte, und von nichts weniger als duldsamer Gemüthsart war, hätte sofort den Racheakt ausgeführt, von dem er selbst hatte abstehen müssen.

Als sich Don Luis allein im Speisezimmer sah, kehrte er in die Verborgenheit seines Gemaches zurück, um sich noch tiefer in seine Gedanken zu versenken.

*

Lange Zeit saß er grübelnd neben seinem Tisch, die Ellenbogen auf diesen und die Wange auf die rechte Hand gestützt, als er in seiner Nähe ein Geräusch hörte. Er hob den Blick und sah Antonnona neben sich, die trotz ihres compacten Umfanges wie ein Schatten eingetreten war, und ihn mit einer Mischung von Mitleid und Wuth aufmerksam anblickte.

Antonnona war in sein Zimmer gedrungen, ohne von jemand bemerkt worden zu sein: sie hatte sich die Zeit zu Nutze gemacht, da die Dienstleute zu Mittag speisten und Don Pedro schlief; die Zimmerthür hatte sie so leise geöffnet und wieder geschlossen, daß Don Luis, auch wenn er nicht so in Gedanken versunken gewesen, sie nicht gehört haben würde.

Antonnona kam in der Absicht, um eine sehr ernste Unterredung mit Don Luis zu führen; aber sie wußte nicht, wie sie ihre Rede beginnen sollte. Indeß hatte sie, sie wußte selbst nicht ob den Himmel oder die Hölle angefleht, ihr die Zunge zu lösen, damit sie nicht in bäurischer und grober Weise, wie es sonst ihre Art war, sondern gebildet, fein und den edlen Gedanken und schönen Dingen, von denen sie reden wollte, entsprechend sich ausdrückte.

Als Don Luis Antonnona erblickte, runzelte er die Stirn und gab durch Geberden zu erkennen, daß dieser Besuch ihm unangenehm sei, und dann fragte er in rauhem Ton: »Was willst du hier? Entferne dich!«

»Ich komme, um Rechenschaft wegen meines Kindes von dir zu fordern,« antwortete Antonnona, ohne sich irgendwie stören zu lassen. »Ich weiche nicht eher von der Stelle, als bis ich diese Rechenschaft erhalten habe.«

Und damit rückte sie einen Stuhl an den Tisch und setzte sich Don Luis ebenso gelassen wie unverschämt gegenüber.

Als Don Luis sah, daß es kein Rettungsmittel gab, unterdrückte er seinen Aerger, waffnete sich mit Geduld und rief in etwas weniger rauhem Ton: »So laß hören, was du mir zu sagen hast.«

»Ich habe dir zu sagen,« fuhr Antonnona fort, »daß das, was du an meinem Kinde verbrochen hast, eine Schlechtigkeit ist. Du benimmst Dich wie ein Bösewicht. Du hast sie verhext, du hast ihr einen Zaubertrank eingegeben. Mein Engel wird mir sterben. Sie ißt nicht und schläft nicht und findet keine Ruhe um deinetwillen. Heut ist sie zwei- oder dreimal in Ohnmacht gefallen, und zwar bei dem bloßen Gedanken, daß du abreisen willst. Da hast du eine schöne That angerichtet, ehe du Geistlicher werden willst. Sage mir, Verdammter, warum bist du hierhergekommen, warum bliebst du nicht da bei deinem Oheim? Sieh, dieses freie Wesen, das thun und lassen konnte, was es wollte, dem sich alle zu Füßen legten und das sich doch von keinem fangen ließ, ist in deine verrätherischen Schlingen gefallen. Diese verlogene Heiligkeit war ohne Zweifel der Köder, dessen du dich bedient hast. Mit deinen Theologien und deiner himmlischen Salbung warst du wie der schändliche hinterlistige Vogelsteller, der die armen Vöglein mit seinem Lockruf heranlockt, bis sie auf seiner Stange festsitzen.«

»Antonnona,« entgegnete Don Luis, »laß mich in Ruhe. Um Gottes willen, martere mich nicht. Ich bin ein schlechter Mensch, das bekenne ich. Ich hätte deine Herrin gar nicht ansehen sollen. Ich durfte sie nicht merken lassen, daß ich sie liebte; aber ich liebte sie, ja ich liebe sie noch von ganzem Herzen; ich habe ihr keinen Zaubertrank gegeben – ich theilte ihr nur die Liebe mit, die ich selbst empfinde. Aber ich muß diese Liebe vergessen, aus meinem Herzen reißen. Gott gebietet es mir. Bildest du dir ein, daß das ungeheure Opfer, das ich bringe, mir so leicht falle? Pepita muß sich mit Muth wappnen und dasselbe Opfer bringen.«

»Nicht einmal diesen Trost giebst du der Unglücklichen,« entgegnete Antonnona. »Du opferst diese Frau, die du liebst, die schon dein, schon dein Opfer ist, freiwillig auf dem Altar. Aber sie – was hat sie dir gethan, daß du sie opfern willst? Welchen Edelstein wirfst du aus dem Fenster, welche herrliche Frucht schleuderst du ins Feuer, welche schlecht belohnte Liebe? Wie willst du Gott geben, was du nicht besitzest? Willst du Gott betrügen und zu ihm sagen: Mein Gott, obgleich ich dich nicht liebe, so gebe ich mich dir dennoch hin.' Aber Gott läßt seiner nicht spotten, und Gott wird deine Gabe verachten.«

Der bestürzte Don Luis wußte nicht, was er auf diese Beweisführung Antonnona's, die noch grausamer war, als ihre früheren Faustschläge, antworten sollte. Zudem widerstrebte es ihm, mit dieser Dienstmagd sich in philosophische Auseinandersetzungen über die Liebe einzulassen.

»Lassen wir diese zwecklosen Reden bei Seite,« sprach er. »Ich vermag deine Herrin nicht von ihrem Leiden zu heilen. Was soll ich beginnen?«

»Was du beginnen sollst?« entgegnete Antonnona etwas milder und mit einschmeichelnder Stimme. »Ich will dir sagen, was du beginnen sollst. Wenn du mein Kind nicht von seinem Leid heilen kannst, so vermagst du doch wenigstens seinen Kummer zu lindern. Bist du denn nicht so heilig? Die Heiligen sind ja mitleidig und auch muthig. Sie entfliehen nicht, ohne Abschied zu nehmen wie ein roher Feigling. Komm und besuche mein krankes Kind. Thue dieses Werk der Barmherzigkeit.«

»Und was hätte denn dieser Besuch für einen Zweck? Ihr Uebel würde sich, statt sich zu mildern, nur noch verschlimmern.«

»Ach was! Du redest nur um die Sache herum. Du gehst zu ihr, und mit den süßen Reden, die dir eigen sind, und diesen Lippen, die Gott dir gegeben hat, flößest du ihr Beruhigung ein, und du sollst sehen, sie wird sich trösten lassen, und wenn du ihr sagst, du liebst sie und nur um Gottes willen gingest du von ihr, so wird wenigstens ihre weibliche Eitelkeit sich nicht mehr beleidigt fühlen.«

»Was du mir da vorschlägst, heißt Gott versuchen, – das ist gefährlich für mich und für sie.«

»Und warum heißt das Gott versuchen? Da Gott die Reinheit und Aufrichtigkeit deiner Absichten sieht, wird er dir da nicht seine Gunst und seine Gnade zuwenden, auf daß du in der Gefahr, in die du dich aus diesem Grunde begiebst, nicht umkommst? Müßtest du nicht fliegen, um mein Kind aus ihrer Verzweiflung zu reißen und sie auf den rechten Weg zu leiten? Wenn sie aus Gram darüber, daß sie sich verschmäht steht, stürbe, oder aus Verzweiflung einen Strick nähme und sich an einem Balken aufhinge – glaube mir, dann wird deine Reue dich ärger peinigen als die Pech- und Schwefelflammen in Lucifers Höllenkesseln.«

»Wie entsetzlich! Ich will nicht, daß sie verzweifle! Ich werde mich mit meinem ganzen Muthe waffnen – ich will sie besuchen!«

»So sei gesegnet! Mein Herz sagt es mir: ja, du bist ein guter Mensch!«

»Wann soll ich zu ihr gehen?«

»Heut Abend Punkt zehn Uhr. Ich werde dich an der Hausthür erwarten und dich zu ihr bringen.«

»Weiß sie, daß du jetzt zu mir gegangen bist?«

»Nein. Ich habe alles aus freien Stücken gethan; aber ich habe sie auf feine Weise vorbereitet, damit sie über deinen Besuch vor Ueberraschung und unerwarteter Freude nicht ohnmächtig werde. Du versprichst mir doch zu kommen?«

»Ich werde kommen.«

»Gehab dich wohl. Halte mir aber ja Wort. Punkt zehn Uhr. Ich werde an der Hausthür sein.«

Und Antonnona lief eiligst die Treppe hinunter und war mit wenigen Sprüngen auf der Straße.

*

Es läßt sich nicht läugnen, daß Antonnona sich bei dieser Gelegenheit sehr klug benahm und selbst ihre Reden waren so würdevoll und höflich, daß man sie für apokryph hätte halten können, wenn das, was hier berichtet wird, nicht ganz offenkundig gewesen, und wenn es ferner nicht feststände, welcher Wunder der erfinderische Geist einer Frau fähig ist, wenn ein Interesse oder eine große Leidenschaft ihr Sporn ist.

Ohne Zweifel war Antonnona's Zuneigung für ihr Kind sehr groß und als sie dies so verliebt und so verzweifelt sah, mußte sie unbedingt auf Mittel sinnen, um sie von ihrem Leiden zu heilen.

Der Besuch, zu dem sie Don Luis veranlaßt hatte, war ein unverhoffter Triumph, und um einen recht großen Vortheil aus diesem Triumph zu ziehen, wußte Antonnona mit tiefer Menschenkenntnis es so einzurichten, daß alles ganz unerwartet kam.

Antonnona hatte für das Stelldichein die zehnte Abendstunde bestimmt, weil dies die Stunde war, an welchem das aufgehobene oder aufgeschobene Kränzchen stattfand, in welchem Don Luis und Pepita sich zu sehen pflegten. Dann ferner, um Gerede und Skandal zu vermeiden, weil sie einen Prediger hatte sagen hören, nach dem Evangelium gebe es nichts Schlechteres als Skandal und daß diejenigen, welche einen solchen veranlaßten, besser thäten, sich einen Mühlstein an den Hals zu hängen und sich ins Meer zu stürzen.

Somit kehrte Antonnona ganz selbstzufrieden in das Haus ihrer Herrin zurück, fest entschlossen, die Sache fein einzufädeln, damit das Heilmittel, zu dem sie ihre Zuflucht genommen, auch seine Wirkung übe und Pepita's Leiden nicht etwa verschlimmere, statt sie davon zu heilen.

Pepita selbst gedachte sie erst im letzten Augenblick in Kenntnis zu setzen, – sie wollte ihr dann sagen, Don Luis habe sie plötzlich ersucht, die Stunde für die Abschiedsvisite zu bestimmen und so habe sie denn die zehnte Abendstunde bezeichnet.

Damit über Don Luis' Besuch kein Gerede entstände, gedachte sie es so einzurichten, daß die Leute ihn nicht eintreten sahen, und zu diesem Zweck hielt sie die zehnte Stunde und die Lage des Hauses für sehr günstig. Gegen zehn Uhr war die Straße sicherlich ganz voller Menschen, die sich nach dem Abendgottesdienst begaben und so würden sie weniger auf Don Luis achten, wenn er vorüber ging. Das Eindringen in den Hausflur war das Werk einer Sekunde, und dann wollte sie, da sie Don Luis dort erwartete, ihn in das Studirzimmer führen, ohne daß er von irgend jemand bemerkt würde.

Alle, oder doch die meisten Häuser der reichen Dorfbewohner Andalusiens bestehen gewissermaßen aus zwei Häusern, statt aus einem einzigen und so war es auch mit Pepita's Haus. Jeder dieser Häusertheile hat seine eigene Thür. Durch die Hauptthür gelangt man auf den gepflasterten und von Säulen umgebenen Hofraum, zu den Zimmern und den übrigen herrschaftlichen Räumlichkeiten; durch die andre Thür kommt man in die Kuh- und Pferdeställe, in die Küche, die Mühle, zum Speicher und dem Keller, in welchem die Oliven bis zum Auspressen aufbewahrt werden; ferner befinden sich dort die Oelfässer, der Most, der gährende und der fertige Wein, der Branntwein und der Essig.

Dieses zweite Haus, oder dieser Theil des Hauses wird, selbst wenn es mitten in einem von zwanzig bis fünfundzwanzigtausend Seelen bewohnten Orte steht, das Feldhaus genannt. Hier vereinigen sich des Abends der Verwalter, der Feldhüter, der Maulthiertreiber und die im festen Dienste der Herrschaft stehenden Hauptarbeiter; im Winter um einen ungeheuren Kamin in der großen Küche, im Sommer im Freien oder in gut gelüftetem, kühlem Zimmer, und hier ruhen sie sich aus und verplaudern die Zeit, bis die Herrschaft sich zur Ruhe begiebt.

Antonnona meinte, die Unterredung und Auseinandersetzung, welche sie zwischen ihrem Kinde und Don Luis herbeizuführen suchte, erforderten besondere Ruhe und die beiden dürften nicht gestört werden, und so bestimmte sie, daß an diesem Abend, dem Vorabend des Johannisfestes die Mädchen, welche in Pepita's Dienste standen, von ihren Amtspflichten dispensirt würden und sich im Feldhaus im Verein mit den ländlichen Arbeitern bei Gesang und Tanz und andern Vergnügungen belustigten.

Auf diese Weise wurde das Herrenhaus fast ganz verlassen und still, und es befand sich niemand darin als sie und Pepita, wodurch dann die Feierlichkeit und ungestörte Ruhe, welche für die vorbereitete Zusammenkunft unbedingt nothwendig waren – denn von dieser Zusammenkunft hing ja vielleicht, nein ganz gewiß das Schicksal dieser beiden bedeutenden Persönlichkeiten ab – erzielt wurden.

*

Während Antonnona im Geiste all diese Dinge erwog, bereute es Don Luis, sobald er sich allein befand, daß er so leicht nachgegeben und so schwach gewesen, Antonnona die erbetene Zusammenkunft zu bewilligen.

Don Luis stellte über Antonnona's Bedingung ernste Betrachtungen an und dieselbe erschien ihm schwieriger als die der Onnone und der Cölestine. Deutlich sah er die ganze Gefahr vor sich, der er sich freiwillig aussetzte, und dieselbe erschien ihm keineswegs geringer dadurch, daß der Besuch bei der schönen Witwe heimlich und verstohlen stattfinden sollte. Sie wiedersehen, um doch noch zurückzuweichen und sich in ihren Netzen zu fangen, seine Gelübde zu vergessen, den Bischof, der sein Gesuch um Dispens unterstützt und sogar den Papst, der dasselbe bewilligt, erzürnen, und dann endlich nicht Priester zu werden, das erschien ihm als eine ungeheure Schmach. Zudem war es auch ein Verrath an seinem Vater, der Pepita liebte und sich mit ihr vermählen wollte. Sie besuchen, um ihr ihre Illusionen vollständig zu rauben, erschien ihm als eine noch größere, raffinirtere Grausamkeit, als ein Fortreisen ohne Abschied.

Durch solche Gedanken aufgeregt, beschloß Don Luis anfangs gar nicht zu kommen – und zwar ohne sich zu entschuldigen und ohne sein Nichterscheinen anzuzeigen. – Antonnona würde dann vergebens im Hausflur auf ihn warten, aber Antonnona hatte ihrer Herrin sicherlich seinen Besuch angezeigt, und so machte er sich nicht blos gegen Antonnona sondern auch gegen Pepita einer unverzeihlichen Unhöflichkeit schuldig, wenn er nicht hinging.

Da kam er auf den Gedanken, Pepita einen ganz liebevollen und verständigen Brief zu schreiben, in welchem er seine Abreise entschuldigen, sich wegen seines Benehmens rechtfertigen, sie trösten, ihr seine zärtlichen Empfindungen offenbaren – wobei er jedoch hervorheben könnte, daß seine Pflichten gegen den Himmel allem andern vorgingen – und Pepita Muth einflößen wollte, auf daß sie dasselbe Opfer brächte, das er sich auferlegte.

Vier bis fünf Mal schickte er sich an diesen Brief zu schreiben. Er verdarb sehr viel Papier, strich dann aber das Geschriebene wieder aus und der Brief wollte ihm gar nicht nach Wunsch gelingen. Bald fand er ihn trocken, kalt und pedantisch wie eine schlechte Predigt; bald war aus dem Inhalt eine knabenhafte, lächerliche Furcht herauszulesen – als wäre Pepita ein Ungeheuer, das ihn zu verschlingen drohe; dann wieder enthielt das Schreiben andre Fehler, oder er machte Tintenkleckse, die ebenso ärgerlich waren. Kurz der Brief kam nicht zu Stande, obgleich er durch seine Versuche einen ganzen Haufen Papier verdorben hatte.

»Es geht nicht,« sagte sich Don Luis. »Der Würfel ist gefallen, nur Muth gefaßt – wir müssen hingehen.« Don Luis tröstete sich mit der Hoffnung, daß er eigentlich doch noch sehr ruhig sei und daß Gott seinen Lippen eine Beredtsamkeit verleihen würde, wodurch er Pepita, die ja doch so gut war, soweit überreden könnte, daß sie selbst ihn ansporne, sein Gelübde zu erfüllen, indem sie sich würdig jenen heiligen Frauen zur Seite stellte, welche es sich versagt hatten, nicht blos mit einem Bräutigam oder Geliebten, sondern auch mit einem Gatten sich zu vereinigen, sondern mit demselben wie mit einem Bruder lebten – wie uns dies z.&nbsp;B. in der Lebensgeschichte des heiligen Eduard, des Königs von England, berichtet wird. Nachdem Don Luis dies alles bedacht hatte, fühlte er sich einigermaßen ermuthigt und getröstet und er kam sich bereits wie ein zweiter heiliger Eduard vor, während Pepita ihm als die Königin Edith erschien, und unter der Idealgestalt dieser jungfräulichen Königsgattin zeigte sich ihm Pepita immer mehr in einem holden, schönen, poetischen Lichte.

Trotzdem fühlte Don Luis sich doch nicht ganz so sicher und ruhig, wie er es hätte sein müssen, nachdem er sich entschlossen, dem heiligen Eduard nachzueifern. Er fand an diesem Besuch, der ohne Wissen seines Vaters stattfinden sollte, noch immer etwas verbrecherisches und er war nahe daran, den Vater aus seiner Siesta zu wecken, um ihm alles zu enthüllen.

Zwei, drei Mal sprang er vom Stuhle auf, um sich zu seinem Vater zu begeben; aber er blieb sofort wieder stehen, da ihm eine solche Mittheilung doch als eine unwürdige Kinderei erschien, der er sich schämen müsse. Seine eigenen Geheimnisse konnte er offenbaren, aber diejenigen Pepita's enthüllen, um sich mit seinem Vater auf einen guten Fuß zu stellen – das wäre doch eine häßliche That. Und die Häßlichkeit und das Komische und Erbärmliche dieser That steigerten sich noch dadurch, daß er sich sagen mußte, nur Furcht vor Mangel an Widerstandskraft seien die eigentliche Triebfeder.

Don Luis bewahrte also Schweigen und theilte seinem Vater nichts von seinen Absichten mit.

Außerdem fehlte ihm ganz die Ungezwungenheit und Sicherheit, welche nöthig war, um mit seinem Vater über diesen geheimnisvollen Besuch sprechen zu können. Er war in Folge der Leidenschaften, welche in seiner Seele kämpften, so erregt, so ganz und gar außer sich, daß ihm sein Zimmer zu eng wurde, es war ihm als fliege er, mit drei, vier Schritten durchmaß er den ganzen großen Raum, so stürmisch daß er fast mit dem Kopfe an die Wand stieß. Dann schließlich war es ihm, obgleich durch den offenen Balkon die Sommerluft hereindrang, als müßte er wegen Luftmangels ersticken und als wollte ihm die Decke den Kopf erdrücken, als bedürfe er der ganzen Atmosphäre zum Athmen, und eines ungeheuer weiten Raumes zum Durcheilen, und als dürfte er, um die Stirn zu erheben und seine Seufzer auszuhauchen und seine Gedanken zu befreien, nichts über sich haben als das unendlich weite Himmelsgewölbe.

Von diesem Bedürfnis getrieben, nahm er Hut und Stock und ging hinaus auf die Straße. Dort angelangt eilte er, alle bekannten Personen fliehend und die Einsamkeit suchend aufs Feld hinaus und wanderte durch die dichtesten Gebüsche, auf den abgelegensten Wegen durch die Gärten und Pflanzungen, welche in einem Umkreise von mehr als einer halben Meile in der entzückendsten Weise das Dorf umgaben.

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Bisher haben wir wenig von dem Aeußern des Don Luis gesagt. Wir müssen daher melden, daß er ein hübscher Bursche war in der ganzen Bedeutung des Wortes: groß, schlank, wohlgebaut, mit schwarzem Haar und schwarzen Augen voll Feuer und Sanftmuth. Die weißen Zähne, die feinen, wenn auch etwas vollen Lippen gaben seiner ganzen Erscheinung trotz der geistlichen Gelassenheit und Milde etwas keckes, männliches und trotziges. Endlich lag in der Haltung und dem ganzen Wesen des Don Luis jenes unbeschreibliche Gepräge von Vornehmheit und Ritterlichkeit, das mit Unrecht eine Privateigenschaft, ein besonderes Privilegium der aristokratischen Familien zu sein scheint.

Wenn man Don Luis ansah, mußte man gestehen, daß Pepita Jimenez instinktmäßig der Aesthetik kundig war.

Don Luis durchwanderte nicht blos, nein er durchlief jene Feldwege, sprang über Gräben und sah sich kaum um, gleich einem von der Bremse gestochenen Stier. Die Bauern, denen er begegnete, und die Gärtner, die ihn vorüber eilen sahen, hielten ihn vielleicht für verrückt.

Endlich ermüdet durch das zwecklose Umherschweifen setzte er sich eine halbe Meile weit vom Dorfe am Fuße eines steinernen Kreuzes nieder, das in der Nähe der Ruinen eines alten Franziskanerklosters stand, und dort versank er von neuem in Grübeleien, die aber so wirr waren, daß er selbst sich keine Rechenschaft darüber zu geben wußte, was er dachte.

Der Klang der Kirchenglocken, welche von fern herüber tönten und bis in diese Einsamkeit drangen, um die Gläubigen zum Gebet aufzufordern und an des Engels Gruß und die heilige Mutter Gottes zu mahnen, weckten Don Luis aus seiner Betäubung und riefen ihn in die wirkliche Welt zurück.

Die Sonne hatte sich hinter den riesigen Gipfeln der nahen Gebirge verborgen, die Pyramiden, Zacken und zerrissenen Obelisken der höchsten Spitzen von einem purpurnen Hintergrund abhebend, denn als solcher erschien der von der untergehenden Sonne vergoldete Himmel. Die Schatten begannen sich über die Ebene zu breiten, und auf den Bergen, die denen gegenüber lagen, hinter welchen die Sonne zur Ruhe gegangen, leuchteten die höchsten Spitzen wie glühendes Gold und brennender Krystall.

Die Fensterscheiben und die weißen Mauern der fernen, der Schutzpatronin des Dorfes, der Mutter Gottes geweihten Kapelle, welche, einem kleinen Tempel oder einer Einsiedelei gleichend, auf dem Gipfel eines Hügels erbaut war, schimmerten noch, von den letzten schrägen Strahlen der untergehenden Sonne getroffen, wie zwei Rettung verheißende Leuchtthürme.

Es lag eine schwermüthige Musik in dieser Natur, welche im Verein mit der gedämpften Musik, die dem Geist vernehmbar war, einen Hymnus an den Schöpfer anzustimmen schien. Der langsame, durch die Entfernung gedämpfte, halb verhallende Glockenton störte das Schweigen der Erde nur wenig und lud zum Gebet ein ohne zugleich die Sinne durch Geräusch zu stören. Don Luis entblößte sein Haupt, kniete vor dem Kreuze nieder, dessen Sockel ihm als Ruhebank gedient hatte und betete mit tiefer Andacht das » Angelus domini

Die nächtlichen Schatten breiteten sich schnell immer mehr aus; aber indem die Nacht ihren Mantel entfaltete und damit Feld und Flur verhüllte, schmückte sie sich freundlich mit den hellsten Sternen und dem klarsten Monde. Das azurblaue Himmelsgewölbe verwandelte sich nicht in tiefes Schwarz, es bewahrte sein Blau, nur gab es demselben eine etwas tiefere Färbung.

Die Luft war so durchsichtig und klar, daß Millionen auf Millionen Sterne aus dem unendlichen Aether hervorleuchteten. Der Mond färbte die Wipfel der Bäume mit silbernem Glanze und spiegelte sich in den Wellen der Bäche; in dem niedrigen Grase und zwischen den wilden Blumen leuchteten gleich Diamanten und Rubinen in unzählbarer Menge die Leuchtkäferchen. Viele noch in Blüte stehende Fruchtbäume, zahlreiche Akazien und Rosensträucher mischten ihre balsamischen Düfte mit den süßen Wohlgerüchen der Felder.

Don Luis fühlte sich beherrscht, verführt, besiegt von dieser wollüstigen Natur und er begann an sich selbst zu zweifeln. Und doch mußte er sein gegebenes Wort einlösen und sich zu dem Stelldichein einfinden.

Obgleich er einen weiten Umweg über ganz abgelegene Pfade machte, obgleich er noch zuweilen schwankte, ob er nicht an dem Flüßchen hinauf bis zu dessen Quelle gehen sollte, welche am Fuße des Gebirges aus einem Stein lebendig hervorsprang und dessen krystallhelles Wasser die Gärten berieselte, wanderte Don Luis doch endlich, langsamen, zögernden Schrittes auf das Dorf zu.

Und je näher er demselben kam, um so größer wurde sein Schrecken vor dem was er zu thun entschlossen war. Er drang in das dichteste Dickicht der Gebüsche ein, in der Hoffnung, hier irgend ein schreckliches Wunder, irgend ein Zeichen, ein Merkmal zu sehen, das ihn veranlasse, sich zurückzuziehen. Deutlich erinnerte er sich des Lisardo und auch ihn verlangte danach, seinem eigenen Begräbnis beizuwohnen.

Aber der Himmel lächelte mit seinen Millionen Lichtern und lud zur Liebe ein; die Sterne schauten sich einander liebevoll an; die Nachtigallen sangen Liebeshymnen; sogar die Grillen stimmten auf ihren klangvollen Zithern Liebeslieder an, gleich dem Troubadour, wenn er bei einer Serenade singt, die ganze Erde schien in Liebe zu schwelgen in dieser ruhigen, schönen Nacht.

Keine Warnung, kein Zeichen, kein Leichenzug; alles Leben, Frieden und Wonne. Wo war der Schutzengel geblieben? Hatte er Don Luis als ein verlorenes Wesen verlassen, wollte er ihn nicht von seinem Glauben abbringen – von dem Glauben, er setze sich keiner Gefahr aus? Wer weiß?

Vielleicht sollte er aus dieser Gefahr triumphirend hervorgehen ... Der heilige Eduard und die Königin Edith traten Don Luis wieder vor die Seele und bestärkten ihn in seinem Vorsatz.

Mit diesen Selbstgesprächen beschäftigt, verzögerte Don Luis seine Schritte und er befand sich noch in ziemlich weiter Entfernung vom Dorfe, als die Uhr der Pfarrkirche die zehnte Abendstunde – die für das Stelldichein festgesetzte Stunde schlug. Diese zehn Glockenschläge trafen sein Herz wie zehn Stiche. Er fühlte sie geradezu körperlich, so daß er einen mit verräterischer Unruhe und süßer Wonne gemischten Schmerz empfand.

Don Luis beschleunigte seine Schritte, um nicht zu spät zu kommen, und bald hatte er das Dorf erreicht.

Hier ging es sehr lebhaft zu. Die noch unversorgten Mädchen gingen nach dem Brunnen, um sich das Gesicht zu waschen, damit denen, welche einen Geliebten hatten, dieser treu bliebe und diejenigen, welche keinen Schatz hatten, einen solchen bekämen. Frauen und Kinder kehrten von allen Seiten von dort zurück, wo sie Verbenen, Rosmarinzweige und andere Pflanzen gepflückt, um Zauberräucherwerk daraus zu bereiten.

Ueberall ertönten Guitarrenklänge.

Ueberall hörte man verliebte Zwiegespräche, überall erblickte man glückliche Liebespärchen. Die Sankt-Johannisnacht, wenngleich ein katholisches Fest, hat sich einen gewissen Rest von Heidenthum und alten, natürlichen Sitten bewahrt. Vielleicht liegt der Grund in dem Zusammentreffen dieses Festes mit der Sommersonnenwende – jedenfalls hatte alles ein weltliches und kein religiöses Aussehen. Alles war Liebe und Lebenslust.

In unsern alten Romanzen und Sagen raubt der Maure stets das schöne Christenmädchen und erlangt der christliche Ritter allzeit die Gunst der Maurenprinzessin während der Johannisnacht oder früh am Morgen des Johannistages, und in unserem andulusischen Dorfe schienen sich die Ueberlieferungen der alten Romanzen erhalten zu haben.

Die Straßen waren voll Menschen. Die ganze Bevölkerung befand sich im Freien; selbstverständlich auch die zum Feste anwesenden Fremden. Die Marionetten-Theater und die Buden mit Eßwaaren, wo alte und junge Zigeunerinnen kochten und brieten und die Luft mit Oelgeruch erfüllend bald ihre Kunden bedienten, bald mit Grazie die Scherzreden der vorüberwandernden Freier beantworteten und ihnen Glück prophezeiten, erschwerten das Gehen ganz ungemein.

Don Luis war soviel wie möglich bemüht, keinem seiner Freunde zu begegnen und wenn er sie von fern erblickte, trat er bei Seite. So gelangte er endlich, ohne angeredet oder aufgehalten zu werden, bis an die Thür von Pepita's Haus. Heftig begann ihm das Herz zu pochen und er mußte einen Augenblick stehen bleiben, um sich zu beruhigen.

Er blickte auf seine Uhr, es war bereits halb Elf.

»Um Gottes willen,« sagte er, »sie hat schon eine halbe Stunde auf mich warten müssen.«

Dann eilte er schnell in den Hausflur. Die Hängelampe, welche denselben sonst hell erleuchtete, verbreitete an diesem Abend sehr wenig Licht. Kaum war Don Luis eingetreten, als sich eine Hand oder vielmehr ein Schraubstock um seine Hand klammerte.

Es war Antonnona, die in leisem Tone sagte: »Verwünschter Seminarist, Undankbarer, Narr, Ungeheuer, ich glaubte schon, du würdest nicht kommen. Wo bist du denn gewesen, du Schurke? Wie kannst du's wagen, auf dich warten zu lassen, während sie vor Sehnsucht nach dir vergeht und die Sonne der Schönheit deiner harrt?«

Während Antonnona in dieser Weise ihrem Unmuth Luft machte, zog sie den Seminaristen, den sie immer noch am Arm festhielt, verwirrt und stumm mit sich fort.

Sie kamen durch die Gitterthür, daß Antonnona sorgfältig wieder schloß, gingen dann über den Hof, stiegen die Treppe hinan, schritten durch mehrere Gänge und zwei Zimmer und gelangten endlich an die Thür des Studirzimmers, welche verschlossen war.

Im ganzen Hause herrschte das tiefste Schweigen. Das Studirzimmer lag nach dem Hofraum zu und so konnte der Lärm der Straße nicht bis dorthin dringen. Kaum daß wirr und gedämpft das Geräusch der aufsteigenden Raketen und die Töne der Guitarren und ein dumpfes Gemurmel hereindrang, welches von Pepita's Dienerschaft herrührte, die sich in dem Feldhause auf ihre Weise die Zeit vertrieb.

Antonnona öffnete die Thür des Studirzimmers, stieß Don Luis hinein und meldete ihn gleichzeitig in folgender Weise an:

»Kindchen, da hast du den Sennor Don Luis, der von dir Abschied nehmen will.«

Nachdem die wackere Antonnona also mit gehöriger Förmlichkeit den Besuch angemeldet hatte, zog sie sich zurück, überließ den Besucher und ihr Kindchen ihrem Schicksal und schloß die Thür hinter sich wieder zu.

*

An diesem Punkte angelangt, können wir nicht umhin, aus den authentischen Charakter der vorliegenden Geschichte hinzuweisen und die gewissenhafte Genauigkeit desjenigen, der sie niederschrieb, zu bewundern. Denn käme in diesen »Paralipomena« etwas erfundenes vor – wie in einem Roman – so leidet es wohl keinen Zweifel, daß, um eine so wichtige Zusammenkunft wie die der Pepita und des Don Luis herbeizuführen, weniger gewöhnliche Mittel als die hier benutzten angewendet worden wären.

Vielleicht hätten sich unsere Helden auf einem neuen ländlichen Ausfluge von einem Unfall oder einem furchtbaren Gewitter überraschen lassen, so daß sie genöthigt gewesen, sich in die Ruinen irgend eines alten Schlosses oder maurischen Thurmes zu flüchten, das in dem Rufe gestanden hätte, daß dort Gespenster oder ähnliches Gelichter hausten.

Möglicherweise auch wären unsere Helden irgend einer Räuberbande in die Finger gefallen, aus denen sie Dank der übernatürlichen Kaltblütigkeit und Kühnheit des Don Luis befreit worden, indem sie sich im Nothfall während der Nacht ganz allein in einer Höhle oder Grotte versteckten.

Oder endlich, der Dichter hätte den Gang der Ereignisse so gelenkt, daß Pepita und ihr schwankender Bewunderer eine Seereise hätten machen müssen, – und obschon es heutzutage keine Seeräuber und tunesischen Korsaren mehr giebt, so wäre es doch nicht schwierig gewesen, einen ordentlichen Schiffbruch zu erfinden, bei welchem Don Luis Pepita gerettet hätte, um sich mit ihr auf eine verlassene aber schöne Insel, oder an einen andern abgelegenen und zugleich poetischen Ort zurückzuziehen.

Jedes dieser Abenteuer hätte mit der größten Kunst auf das leidenschaftliche Zwiegespräch der beiden jungen Liebenden vorbereitet und Don Luis würde dann gerechter dagestanden haben. Wir glauben jedoch, daß wir dem Verfasser, statt ihn deshalb zu tadeln, daß er zu solchen Mitteln nicht seine Zuflucht genommen, Dank wissen müssen, daß er so gewissenhaft gewesen und der Treue des Erzählten den wunderbaren Effect geopfert hat, den er erzielt haben würde, wenn er die Kühnheit gehabt, seine Geschichte mit Abenteuern und Episoden auszuschmücken und zu verbrämen. Wenn schon Antonnona's Eifer und Geschicklichkeit, und die Schwäche, mit welcher Don Luis das compromittirende Versprechen gab, sich bei dem Stelldichein einzufinden, hinreichen – wozu da noch lästige Zufälle schmieden und die beiden Liebenden wie vom Schicksal gestoßen herbeischleppen, damit sie sich unter den bedenklichsten Gefahren für ihre Tugend und ihren Ruf allein sehen und sprechen könnten? Nichts von alledem! Wenn Don Luis sich gut oder schlecht aufführt, indem er sich zu einem Stelldichein begiebt, oder wenn Pepita Jimenez, welcher Antonnona gesagt hatte, daß Don Luis ganz aus freiem Antriebe sie besuchen würde, gut oder schlecht handelt, indem sie sich auf diesen etwas geheimnisvollen und unzeitgemäßen Besuch freut, so müssen wir die Schuld nicht auf den Zufall, sondern auf die Personen, welche in dieser Geschichte auftreten, und aus die sie beherrschenden Leidenschaften wälzen.

Pepita gefällt uns sehr, aber vor allem die Wahrheit, diese dürfen wir nicht verläugnen, selbst wenn wir dadurch unsere Heldin in eine schiefe Stellung bringen.

Gegen acht Uhr sagte ihr Antonnona, daß Don Luis kommen würde, und Pepita, die vom Sterben sprach, die geschwollene und vom Weinen ein wenig entzündete Augen hatte und sich in ziemlich unfristirtem Zustande befand, dachte von diesem Augenblick an nichts anderes, als sich auf den angekündigten Besuch vorzubereiten.

Sie wusch sich das Gesicht mit lauem Wasser, damit die Thränenspuren wenigstens so weit verschwänden, daß sie dadurch nicht entstellt würde, ohne jedoch die Erinnerung an die Thränen vollständig zu verwischen. Dann ordnete sie ihr Haar in einer Weise, die nicht eine sorgfältige Pflege, sondern eine gewisse künstlerische Sorglosigkeit verrieth, ohne in eine vielleicht nicht ganz anständige Unordnung zu verfallen. Dann bürstete sie sich die Nägel, und da es sich nicht schickte, Don Luis im Negligé zu empfangen, zog sie ein einfaches Hauskleid an.

Kurz sie sah instinktmäßig darauf, daß alle Einzelheiten ihrer Toilette dazu beitrügen, sie schöner und anmuthiger erscheinen zu lassen, ohne jedoch im Mindesten die auf diese Sorgfalt verwendete Kunst, Mühe und Zeit zu verrathen – alles mußte sich als etwas ganz Natürliches und Unbeabsichtigtes darbieten – als etwas, das ihrer Person eigenthümlich sei, trotz ihrer durch die Heftigkeit ihres Schmerzes verursachten Selbstvergessenheit.

Soviel wir haben ermitteln können, verwendete Pepita länger als eine Stunde auf die sorgfältige Ausschmückung ihrer Person, die darauf berechnet war, einen besonderen Effect hervorzubringen. Nachdem sie die letzte Hand an ihr Werk gelegt, warf sie mit schlecht verhehlter Befriedigung noch einen Blick in den Spiegel und nahm dann endlich – es war inzwischen halb zehn Uhr geworden – ein Licht und begab sich hinunter in das Zimmer, in welchem sich das Christuskind befand.

Zunächst zündete sie die Kerzen auf dem kleinen Altar an, welche bereits gelöscht waren. Mit einer gewissen Traurigkeit bemerkte sie, daß die Blumen bereits welk geworden. Sie bat das heilige Bildnis um Verzeihung, daß sie dasselbe so lange vernachlässigt habe, warf sich auf die Knie und betete aus tiefstem Herzen und mit jenem vertrauensvollen Freimuth, wie ihn uns jemand einzuflößen vermag, der sich schon seit vielen Jahren als Gast in unserem Hause befunden.

Von einem Jesus aus Nazareth, mit dem Kreuz auf der Schulter und der Dornenkrone auf dem Haupte, von einem » Ecce homo«, dem Verhöhnten und Mißhandelten, den Stock als Scepter zum Spott in den stark gefesselten Händen haltend, oder von einem gekreuzigten, blutenden und sterbenden Christus hätte Pepita das nicht zu erbitten gewagt, was sie von Jesus dem noch kleinen, frischen schönen Kinde mit den gesunden rothen Wangen sich erbat.

Pepita bat ihn, er möchte ihr Don Luis lassen, – er möge nicht gestatten, daß er sich von hier entferne, da er, der Christusknabe, der so reich und mit allem so wohl versehen, ohne große Opfer diesen Diener wohl entbehren und ihr abtreten könne.

Nachdem all diese Vorbereitungen, die wir wohl als kosmetische, indumentarische und religiöse classificiren und eintheilen dürfen, beendet waren, begab Pepita sich in ihr Zimmer und erwartete dort Don Luis' Ankunft mit fieberhafter Ungeduld.

Antonnona hatte sehr wohl daran gethan, daß sie den Besuch erst kurz vor der festgesetzten Stunde angemeldet hatte. Hätte sie diese Vorsicht nicht gebraucht, die arme Pepita wäre, Dank der Verspätung ihres Galans, vor Beängstigung und Unruhe gestorben, und hätte nicht eher ihr Gebet an den Christusknaben richten können, als bis sie den andern Knaben in ihr Zimmer treten gesehen.

*

Die Unterhaltung begann in höchst ernster, ceremonieller Weise. Die üblichen Begrüßungsformeln wurden auf der einen wie auf der andern Seite ganz mechanisch gesprochen, und nachdem Don Luis aufgefordert worden, sich zu setzen, nahm er auf einem Sessel Platz, ohne Hut und Stock bei Seite zu legen – und zwar in nicht geringer Entfernung von Pepita.

Pepita saß auf dem Sopha. Neben ihr stand ein Tischchen mit Büchern und dem Licht, dessen Schein ihr Antlitz erhellte. Außerdem brannte noch eine Lampe auf dem Schreibtisch. Da jedoch das Zimmer ziemlich groß war, so ließen beide Lichter den größten Theil desselben in Halbdunkel gehüllt.

Ein großes Fenster, das nach einem kleinen, hinter dem Hause gelegenen Garten ging, war wegen der Wärme geöffnet, und obgleich die Oeffnung von einem Netz aus Kletterrosen und Flieder verhüllt war, so bahnten sich doch die hellen Mondstrahlen durch das Grüne und die Blumen einen Weg hindurch, drangen in das Zimmer und begannen einen Kampf mit dem Lampen- und Kerzenlicht.

Außerdem drang durch das blumengeschmückte Fenster der ferne wirre Lärm der fröhlichen Gesellschaft im Feldhause, das nebenan lag, sowie das einförmige Gemurmel einer in dem Gärtchen befindlichen Fontaine, und die Düfte des Flieders und der Rosen, welche das Fenster umrahmten, vermischt mit den Wohlgerüchen der Akazien, der Nelken und anderer Pflanzen und Blumen, welche das Gärtchen schmückten.

Es entstand eine lange Pause, – ein Schweigen, das ebenso schwer zu ertragen, als zu unterbrechen war. Keiner von den Beiden fand den Muth, zuerst das Wort zu nehmen. Es war in der That eine höchst peinliche Situation.

Allein so schwer es den Beiden wurde, die Unterhaltung zu beginnen, ein ebenso schwieriges Unternehmen ist es für uns, das Gespräch wiederzugeben. Aber es bleibt uns kein Ausweg, wir müssen uns in unser Schicksal ergeben. Lassen wir die Beiden selbst reden und begnügen wir uns damit, ihre Reden wörtlich nachzuschreiben.

*

»Endlich also geruhen Sie zu mir zu kommen, um sich vor Ihrer Abreise zu verabschieden,« sprach Pepita. »Ich hatte schon die Hoffnung verloren.«

Die Rolle, welche Don Luis spielte, war sehr schwierig, und zudem pflegen nicht blos diejenigen, welche in derartigen Zwiegesprächen noch ganz neu sind, sondern auch die, welche bereits Erfahrung und Geschick darin haben, im Anfang Dummheiten zu begehen. Man wird deshalb Don Luis nicht verdammen, daß er zu Beginn eine Thorheit zum Besten gab.

»Ihre Beschwerde ist ungerecht,« sprach er. »Ich war bereits mit meinem Vater hier bei Ihnen, um mich zu verabschieden, und da wir nicht das Vergnügen hatten, von Ihnen empfangen zu werden, ließen wir unsere Visitenkarten zurück. Man sagte uns, Sie seien ein wenig unwohl, und wir schickten täglich hierher, um uns nach Ihrem Befinden zu erkundigen. Wie groß war unsere Freude, als wir hörten, Ihr Zustand habe sich gebessert. Und befinden Sie sich jetzt wohl?«

»Ich möchte Ihnen fast antworten: nein, ich befinde mich nicht wohl,« entgegnete Pepita; »allein, da ich sehe, daß Sie als Abgesandter Ihres Vaters kommen, und da ich einen so vortrefflichen Freund nicht betrüben möchte, so ist es nur billig, daß ich Ihnen sage – und bitte, wiederholen Sie das Ihrem Vater – daß ich mich ganz wohl fühle. Es scheint mir seltsam, daß Sie allein kommen. Don Pedro muß sehr viel zu thun haben, daß er Sie nicht begleitet hat.«

»Mein Vater hat mich nicht begleitet, gnädige Frau, weil er nicht weiß, daß ich Sie besuche. Ich bin allein gekommen, denn mein Abschiedsbesuch ist ernster, feierlicher Natur – vielleicht sehen wir uns zum letzten Mal; sein Abschiedsbesuch dagegen ist ganz anderer Art. Mein Vater wird in einigen Wochen wiederkommen; ich kehre wahrscheinlich niemals wieder, und sollte es dennoch der Fall sein, so werde ich wahrscheinlich als ein ganz Anderer wiederkehren.«

Pepita vermochte nicht mehr an sich zu halten. Die Zukunft voll Glückseligkeit, von der sie geträumt, verschwand wie ein Schatten. Ihr unerschütterlicher Vorsatz, um jeden Preis diesen Mann, den einzigen, den sie je im Leben geliebt, den einzigen, den sie zu lieben sich fähig fühlte, zu besiegen – war ein vergeblicher Vorsatz gewesen.

Don Luis ging fort. Pepita's Tugend, Anmuth, Schönheit, Liebe – das alles vermochte nichts über ihn. Sie war in einem Alter von zwanzig Jahren und mit solcher Schönheit zu ewiger Witwenschaft, zu ewiger Einsamkeit, und zu der Strafe verdammt, einen Mann lieben zu müssen, der ihre Liebe nicht erwiederte. Jede andere Liebe war für sie völlig ausgeschlossen. Pepita's Charakter war derart, daß alle Hindernisse ihren Widerstand verstärkten und belebten, – daß ein einmal gefaßter Entschluß alles aus dem Wege räumte, bis sie sich am Ziele sah, – daß sie zur höchsten Kraftentfaltung aufgestachelt wurde und alle Zügel zerriß. Sie mußte sterben oder siegen. Die gesellschaftlichen Rücksichten, die althergebrachte Gewohnheit, die Gefühle zu verheimlichen und zu verhehlen, wie man sie sich in der großen Welt aneignet, und welche den Ausbrüchen der Leidenschaft einen Damm entgegensetzen und die heftigste Explosion der nicht mehr zu unterdrückenden Empfindungen in zweideutigen Phrasen und Periphrasen verdunsten lassen, versagten bei Pepita ihre Wirkung, da sie wenig von der großen Welt wußte und halbe Mittel nicht kannte, da sie nur ihrer Mutter und ihrem ersten Gatten blindlings gehorcht und über alle andern menschlichen Wesen despotisch geherrscht hatte.

Und so kam es, daß Pepita bei dieser Gelegenheit sich ganz so zeigte, wie sie war. Ihre Seele mit allem, was sie leidenschaftliches barg, nahm in ihren Worten gleichsam greifbare Gestalt an, und ihre Worte dienten nicht dazu, ihr Denken und Empfinden zu verbergen, sondern ihnen einen seelenvollen Körper zu verleihen. Sie sprach nicht wie eine unserer Salondamen gesprochen haben würde: mit einer gewissen Zurückhaltung und in abgeschwächten Ausdrücken, sondern mit jener idyllischen Offenheit, wie Chloe mit Daphne sprach und mit jener Hingebung und Demuth, mit der sich Noemi's Schwiegertochter dem Boas hingab.

Pepita sprach:

»Sie bestehen also auf Ihrem Entschluß? Sind Sie sich denn auch sicher, daß Sie würdig sind, Priester zu werden? Fürchten Sie nicht, ein schlechter Diener Gottes zu werden? Sennor Don Luis, ich muß mir Gewalt anthun; ich will für einen Augenblick vergessen, daß ich ein ungebildetes Weib bin; ich will alle meine Gefühle zurückdrängen; ich will kaltblütig sprechen als, handelte es sich um ein mir vollkommen gleichgiltiges Geschäft. Es ist dies eine Angelegenheit, welche man von zwei Seiten bettachten kann. Und in jeder Beziehung sind Sie im Unrecht. Ich will Ihnen meine Gedanken näher auseinander setzen. Wenn die Frau, welche es mit ihrer wahrlich nicht sehr auffallenden Koketterie, fast ohne ein Wort mit Ihnen zu reden, in den wenigen Tagen, die sie mit Ihnen verkehrte, dahin gebracht hat, Sie an sich zu ziehen, Sie dahin zu bringen, daß Sie sie mit Blicken anschauten, die eine sehr weltliche Liebe verhießen – wenn sie Sie sogar dazu veranlaßte, ihr einen Beweis Ihrer Liebe zu geben – was bei jedem Menschen, ganz besonders aber bei einem Priester ein Vergehen, ja eine Sünde ist – wenn dabei diese Frau, wie sie es in Wirklichkeit ist, nur eine gewöhnliche Dorfbewohnerin ohne Bildung, ohne Talent und ohne feine Manieren ist – was muß dann von Ihnen nicht befürchtet werden, wenn Sie in den großen Städten andere, tausend Mal gefährlichere Frauen sehen, sie besuchen und mit Ihnen verkehren? Sie werden wahnsinnig werden, wenn Sie mit den großen Damen verkehren, welche in Palästen wohnen, auf weichen Teppichen wandeln, von Diamanten und Perlen blitzen und sich in Seide und Sammet und nicht in Perkal und Musselin kleiden, die ihren weißen, schön geformten Hals entblößen und ihn nicht mit einem bescheidenen plebejischen Tüchlein verhüllen, die so ungemein geschickt sind im Anblicken und Verwunden; die gerade vermöge ihres großen Gefolges und des Pompes, mit dem sie sich umgeben, begehrenswerther sind, da sie unzugänglich erscheinen, welche von Politik, Philosophie, Religion und Literatur reden, die singen wie Kanarienvögel, welche wie in eine Wolke von Wohlgerüchen, Anbetung und Huldigung auf einem Piedestal von Triumphen und Siegen gehüllt scheinen, vergöttert durch das Blendwerk eines berühmten Namens, sich in goldstrotzenden Salons oder in wollustathmenden Cabinetten aufhaltend, in welche nur die Glücklichen dieser Erde gelangen, welche nur von den Intimsten Pepita, Antonnita oder Angelita, von der übrigen Menschheit aber Ihre Durchlaucht die Frau Herzogin oder Ihre Hoheit die Frau Marquesa genannt werden. Wenn Sie am Vorabend der Priesterweihe einer einfachen Dame vom Lande nicht widerstehen konnten, sondern sich mit ganzer Begeisterung hingaben, oder wenn Sie sich nur von einer flüchtigen Laune leiten ließen – habe ich da nicht recht, Ihnen zu prophezeien, Sie würden ein verabscheuungswürdiger, unreiner, weltlich gesinnter, unglückseliger Priester werden! Ein Priester, der bei jedem Schritte fallen wird? Glauben Sie mir, Don Luis – und halten Sie mir's zu gute – in dieser Voraussetzung würden Sie auch nicht zum Gatten einer ehrenhaften Frau taugen. Wenn Sie einer Frau die Hände mit dem Feuer und der Zärtlichkeit eines wahnsinnig Liebenden gedrückt; wenn Sie diese Frau mit Blicken angeschaut, welche einen Himmel, eine Ewigkeit von Liebe verhießen, wenn Sie eine Frau, welche Ihnen nur ein Gefühl einflößte, für das ich keinen Namen habe, auch noch – küssen konnten: dann gehen Sie in Gottes Namen, dann heirathen Sie nur ja nicht diese Frau.

»Wenn sie gut ist, wird sie Sie weder zum Gatten noch zum Geliebten begehren – aber um Gottes willen werden Sie auch nicht Geistlicher! Die Kirche bedarf anderer, ernsterer, tugendhafterer Männer zu Dienern des Allerhöchsten. Wenn Sie dagegen eine große Leidenschaft für die Frau, von welcher wir sprechen, empfunden haben, obgleich sie derselben wenig würdig ist – warum sie dann mit solcher Grausamkeit verlassen und verrathen? So unwürdig sie sein mag, hat sie diese große Leidenschaft einzuflößen vermocht; glauben Sie nicht, daß dieselbe sich auch ihr mittheilen und sie ihr zum Opfer fallen konnte? Denn wenn die Liebe groß, erhaben, heftig ist, läßt sie sich da nicht übertragen? Tyrannisirt und unterjocht sie nicht in unwiderstehlicher Weise den geliebten Gegenstand? Nach dem Grade und der Macht ihrer Liebe müssen Sie die ihrer Geliebten ermessen und warum nicht für sie fürchten, wenn Sie sie verlassen? Hat sie die männliche Kraft, die Standhaftigkeit, welche die in den Büchern enthaltene Weisheit einflößt, den Durst nach Ruhm, die Menge erhabener Pläne und alles das, was ihr gebildeter und hoher Geist enthält, um sie ohne grausame Gewaltsamkeit von jedem andern irdischen Liebesgefühl oder Liebesempfindung zu entfernen oder abzuhalten? Begreifen Sie denn nicht, daß sie vor Schmerz sterben wird und daß sie, dazu ausersehen, übermenschliche Opfer zu bringen, damit beginnen wird, erbarmungslos diejenigen zu opfern, welche sie am meisten liebt?«

»Sennora,« entgegnete Don Luis, eine große Anstrengung machend, um seine Aufregung und das Beben seiner Stimme zu unterdrücken: »Sennora, auch ich muß mir Gewalt anthun, um Ihnen mit der Kaltblütigkeit eines Mannes zu antworten, der wie in einem gelehrten Streit Gründe wider Gründe vorbringt. Aber die Anklage, welche Sie gegen mich erhoben haben – verzeihen Sie, daß ich es so nenne – ist von so sophistischer Art, daß ich sie mit Gründen widerlegen muß.

»Ich glaubte nicht, daß ich hier mich auf eine Discussion einlassen und meinen unzulänglichen Verstand zu solchem Zweck schärfen müßte. Aber Sie verurtheilen mich dazu, wenn ich nicht für ein Ungeheuer gelten will. So will ich denn aus die beiden einander gegenüberstehenden Sätze des grausamen Dilemmas, das Sie zu meiner Verdammung aufgebaut haben, antworten. Obgleich ich an der Seite meines Oheims und im Seminar erzogen ward, wo ich keine Frauen gesehen habe, so wollen Sie mich doch nicht für so unwissend und so phantasiearm halten, daß ich mir nicht im Geiste vorzustellen vermöchte, was die Frauen Schönes und Verführerisches besitzen können, Im Gegentheil, meine Phantasie geht in diesem Punkte über die Wirklichkeit hinaus. Durch die Lectüre biblischer Gesänge und profaner Dichter erhitzt, stellt sie sich die Frauen eleganter, anmuthiger und klüger vor, als sie es in der wirklichen Welt für gewöhnlich sind. Und somit kannte ich den Preis des Opfers, das ich brachte, sehr wohl – ja ich überschätzte ihn sogar, als ich der Liebe zu den Frauen entsagte, in dem Glauben, mich zur Priesterwürde zu erheben. Ich wußte sehr wohl, wie ein reicher Kleider- und glänzender Juwelenschmuck den Zauber einer schönen Frau zu heben vermag, – wie sie sich mit den Vorzügen einer raffinirten Cultur und all der Reichthümer zu umgeben weiß, welche die unermüdliche Hand und der nimmer rastende Geist des Menschen schaffen. Auch wußte ich sehr wohl, wie sehr der Umgang mit den bedeutendsten Männern der Wissenschaft, die Lectüre guter Bücher, ja sogar der Anblick blühender Städte mit ihren Denkmalen und ihren Erinnerungszeichen an einstige Größe, die natürliche Begabung und den Geist einer Frau zu läutern und zu blendendem Glanze zu heben vermögen. Das alles stellte ich mir mit solcher Lebhaftigkeit vor, schaute es in solcher Schönheit, daß ich sicherlich, sobald ich diese Frauen, von denen Sie mir sprachen, kennen lerne, weit entfernt, der Anbetung und der Thorheit zu verfallen, die Sie mir prophezeien, mich wahrscheinlich enttäuscht fühlen werde beim Anblick der großen Kluft zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen den leibhaftigen und den Phantasiegebilden.«

»Was Sie da sagen, sind nur Sophismen!« unterbrach ihn Pepita. »Wie können Sie sagen, das was Ihnen Ihre Phantasie vorgeführt, sei schöner als das was in Wirklichkeit existirt? Und wie können Sie ferner behaupten, die Wirklichkeit sei weniger verführerisch als das Erträumte und im Geiste Geschaute? Das unbestimmte, ätherische Gebild, so schön es auch sei, vermag sich nicht mit dem zu messen, was die Sinne in Wirklichkeit bewegt. Ich begreife, daß in Ihrer Seele die frommen Bilder über die weltlichen Träumereien den Sieg davon getragen haben, allein ich fürchte, die frommen Bilder werden die gemeine Wirklichkeit nicht zu besiegen vermögen.«

»Befürchten Sie das nicht, Sennora,« entgegnete Don Luis. »Meine Phantasie ist in ihren Schöpfungen mächtiger als das ganze Universum in allem, was dieses mir durch die Sinne vermittelt – von Ihnen abgesehen.«

»Warum von mir allein abgesehen? Das regt einen andern Verdacht in mir an. Sollte es vielleicht die Vorstellung sein, die Sie von mir haben – die Vorstellung, die Sie lieben, – eine Schöpfung dieser so mächtigen Phantasie, eine Illusion, die mir in nichts gleicht?«

»Nein, so ist es nicht, ich bin der Ueberzeugung, daß diese Vorstellung Ihnen vollkommen gleicht. Wer vielleicht ist sie in meiner Seele entstanden; vielleicht lebt sie in ihr, seitdem sie von Gott geschaffen wurde; vielleicht ist sie ein Theil ihrer Natur; vielleicht ist sie der reinste und reichste Theil ihrer Wesenheit, gleich wie es der Duft der Blumen ist.«

»Eben das befürchtete ich! Jetzt bekennen Sie es selbst. Sie lieben mich nicht. Was Sie lieben, ist die Natur, der Duft, der reinste Inhalt Ihrer Seele, welcher eine mir ähnliche Gestalt angenommen hat.«

»Nein Pepita, machen Sie sich doch nicht das Vergnügen, mich zu quälen. Was ich liebe sind Sie, und Sie sind ganz so, wie Sie eben sind, aber es ist so schön, so rein, so zart, was ich liebe, daß ich mir nicht zu erklären vermag, wie das alles auf rohe Weise durch die Sinne bis zu meinem Geiste gelangen kann. Ich nehme daher an – ja ich glaube fest, ich bin überzeugt, daß es schon früh drin verborgen war. Es verhält sich damit wie mit der Gottesidee, welche meine Seele barg und die sich in ihr vergrößerte und entwickelte und dennoch ihren wirklichen, erhabenen, unendlich über der Idee erhaben dastehenden Gegenstand hat. Wie ich glaube, daß Gott existiert, so glaube ich auch, daß Sie existiren, und daß Sie einen tausendmal höheren Werth haben als die Vorstellung, die ich mir von Ihnen gebildet habe.«

»Es bleibt mir noch ein anderer Zweifel. Konnte nicht die Frau im Allgemeinen und nicht ich allein und ausschließlich das Wesen sein, das diese Vorstellung in Ihnen gebildet hat?«

»Nein Pepita. Die magische Gewalt, der Zauber einer Frau mit schöner Seele und herrlichem Leib waren, schon ehe ich Sie kennen lernte, in meine Phantasie gedrungen. Es giebt keine Herzogin, keine Marquise in Madrid, keine Kaiserin in der ganzen Welt, keine Königin, keine Prinzessin auf dem ganzen Erdball, deren Werth den idealen Phantasiegebilden gleich käme, mit denen ich verkehrte, – denn sie erschienen mir in den herrlichen, mit dem glänzendsten Luxus ausgestatteten Schlössern, welche ich während meiner Jünglingsjahre erbaute und die ich meinen Lauren, Beatricen, Julien und Eleonoren oder meinen Cynthien und Lesbien zur Wohnung anwies. Ich krönte sie im Geiste mit Diademen und morgenländischen Mitren, – ich hüllte sie in Mäntel von Purpur und Gold, – ich umgab sie mit königlicher Pracht wie Esther und Wasti, ich lieh ihnen die bukolische Herzenseinfalt des patriarchalischen Zeitalters, wie sie der Rebekka und der Sulamith eigen gewesen, – ich gab ihnen die sanfte Demuth und Frömmigkeit der Ruth, – ich hörte sie mit einander reden wie Aspasia und Hypatia, diese Meisterinnen der Beredsamkeit, – ich stellte sie mir in den kostbarsten Gewändern vor und sah in ihnen die Nachkommen berühmter Geschlechter von edelstem Blut: als wären sie die stolzesten und edelsten Patriziermatronen des alten Roms gewesen, – ich sah sie als leichte, gefallsüchtige, fröhliche Wesen voll aristokratischer Ungezwungenheit wie die Damen in Versailles zur Zeit Ludwig des Vierzehnten und ich schmückte sie bald mit den züchtigen Gewändern des Alterthums, welche Hochachtung und Verehrung einflößten, bald mit der leichten und feinen Tunika und dem Peplon, deren luftige Falten die ganze plastische Vollkommenheit der herrlichen Formen hervortreten ließen, – bald mit der durchsichtigen Koa der schönen Courtisanen Athens und Korinths, auf daß durch das nebelhafte Schleiergewand das rosige Weiß des schöngeformten Körpers hindurch leuchte. Aber was bedeuten die Wonnen der Sinne, was bedeutet aller Glanz, alle Herrlichkeit der Welt, wenn eine Seele brennt und sich verzehrt in der Liebe zu Gott, wie ich – vielleicht mit zu großem Hochmuth – glaubte, daß die meine brenne und sich verzehre? Ungeheure Felsen und Bergriesen, wenn sie verhindern, daß das im Schooße der Erde plötzlich auflodernde Feuer herausbreche an die Oberfläche, werden in tausend Stücke zerrissen in die Lüfte geschleudert und müssen dem entzündeten Pulver der Mine oder der flammengewordenen Materie des Vulkans weichen, damit sie sich in donnerähnlichem Ausbruch entladen. So, ja noch mit größerer Gewalt warf mein Geist die ganze Last des Universums und der geschaffenen Schönheit von sich, welche ihn gefangen hielt und ihn abhalten sollte, Gott, seinem natürlichen Mittelpunkt zuzustreben.

»Nein, nicht aus Unwissenheit habe ich allem irdischen Glück, allem Ruhm entsagt: ich kannte und schätzte alles hoch über seinen Werth, als ich alles um eines andern größeren Ruhmes, um eines andern erhabeneren Glückes willen verschmähte. Die weltliche Liebe der Frau bot sich meiner Phantasie nicht nur mit allem was sie verlockendes hat sondern auch mit jenem natürlichen fast unwiderstehlichen Zauber der gefährlichsten Versuchung, mit jener Versuchung, welche die Moralisten die jungfräuliche nennen, wenn die Seele noch unenttäuscht durch die Erfahrung und die Sünde, sich das Glück der Liebe als eine unendliche, alle Wirklichkeit und alle Wahrheit übertreffende Wonne vorstellt. Seitdem ich liebe, seitdem ich Mann bin, seit vielen Jahren – denn so ganz jugendlich bin ich doch nicht mehr – habe ich all diese Larven und Schattenbilder der Lust und Schönheit verachtet, da ich in das Urbild der Schönheit verliebt war und nach einer erhabeneren Wonne strebte.

»Ich suchte in mir abzusterben, um in dem geliebten Gegenstand zu leben; ich habe nicht blos meine Sinne sondern auch die Gefühlskräfte meiner Seele, aller weltlichen Neigungen, Vorstellungen und Bilder entäußert, um mit Recht sagen zu können, daß nicht die Liebe sondern Christus in mir lebt. Vielleicht habe ich durch zu große Anmaßung und Selbstvertrauen gesündigt und Gott hat mich bestrafen wollen. Da traten Sie mir in den Weg, um mich von demselben abzulenken und auf Ihre Pfade zu leiten. Jetzt verspotten Sie mich und klagen mich der Leichtfertigkeit und Schwachheit an; aber durch diesen Spott beschimpfen Sie sich selbst, indem Sie annehmen, eine jede beliebige andere Frau hätte mich ebenfalls zur Sünde verleiten können. Ich will nicht, wo es mir ziemt demüthig zu sein, durch Stolz sündigen, indem ich mich vertheidige. Wenn Gott zur Strafe meines Hochmuths mir seine Gnade entzogen hat, so ist es sehr wohl möglich, daß die unbedeutendste Veranlassung mich zum Wanken und zum Falle bringen könnte.

»Trotz allem möchte ich Ihnen sagen, daß mein Geist doch vielleicht in einer Selbsttäuschung befangen ist und es in ganz anderer Weise auffaßt. Es wird wohl die Folge meiner ungezügelten Hoffahrt sein; allein ich wiederhole daß ich es in anderer Weise auffasse. Ich vermag mich nicht zu überzeugen, daß gemeine, niedrige Gesinnung die Ursache meines Falles sei. Ueber alle Träume meiner jugendlichen Phantasie ging die Wirklichkeit, die ich in Ihnen erblickte; über allen Nymphen, Königinnen und Göttinnen sah ich Sie schweben; hoch über meinen idealen Schöpfungen, welche durch die göttliche Liebe zertrümmert, zerbrochen, vernichtet sind, erhob sich in meiner Seele das getreue Abbild der lebendigen Schönheit, welche Sie schmückt und welche die Wesenheit dieses Körpers und dieser Seele ist. Vielleicht ist sogar etwas geheimnisvolles, übernatürliches hierbei im Spiel, da ich Sie liebte von dem ersten Augenblick an, da ich Sie sah – ja fast noch bevor ich Sie gesehen. Ich liebte Sie schon lange bevor ich mir dessen bewußt war. Man möchte sagen, daß dabei ein Zauber mitgewirkt habe, daß es so in den Sternen geschrieben, daß es mir so bestimmt gewesen.«

»Und wenn es also bestimmt, wenn es so in den Sternen geschrieben gewesen,« unterbrach ihn Pepita, »warum ihnen sich nicht unterwerfen? Warum widerstehen? Opfern Sie Ihre Bedenken unserer Liebe auf. Habe ich ihr nicht ebenfalls viel geopfert? Und sogar in diesem Augenblick, indem ich Sie bitte, und mich bemühe, Ihren Trotz zu besiegen – bringe ich da nicht meinen Stolz, mein Anstandsgefühl und meinen guten Namen zum Opfer? Auch ich glaube, daß ich Sie liebte, ehe ich Sie gesehen. Jetzt liebe ich Sie aus ganzem Herzen und ohne Sie giebt es für mich kein Glück. Freilich können Sie in meinem bescheidenen Verstande keinen so mächtigen Nebenbuhler finden wie ich ihn in dem Ihren habe. Weder mit dem Geiste, noch mit dem Willen, noch mit meiner Liebe vermag ich mich sofort bis zu Gott zu erheben. Weder von Natur noch durch Gnade kann ich es wagen, mich zu so erhabenen Gedanken emporschwingen zu wollen. Meine Seele jedoch ist voll religiöser Frömmigkeit und ich kenne und liebe Gott und bete ihn an, allein ich sehe seine Allmacht und bewundere seine Güte nur in den Werken, welche aus seinen Händen hervorgegangen sind. Selbst mit meiner Phantasie vermag ich mir solche Traumgestalten, von denen Sie mir sprechen, nicht zu schaffen. Und dennoch träumte ich von einem Wesen, schöner, klüger, poetischer und liebevoller als die Menschen, welche bis jetzt um mich geworben; von einem vornehmeren und herrlicheren Liebhaber als all' die Anbeter dieses Dorfes und der umliegenden Orte sind, auf daß ich ihn liebe und er mich wieder liebe und ich ihn zu meinem Herrn und Meister wählte. Dieser Jemand waren Sie. Das ahnte mir, als man mir von Ihrer Ankunft im Dorfe erzählte – ich erkannte Sie, als ich Sie zum ersten Mal erblickte. Allein da meine Phantasie so unfruchtbar ist, so konnte das Bild, das ich mir von Ihnen gezeichnet, sich nicht entfernt mit demjenigen messen, welches mir die Wirklichkeit bot.

»Auch ich habe einige Geschichten und Gedichte gelesen; doch aus all den Bruchstücken, welche mir davon in der Erinnerung geblieben, gelang es mir niemals ein Bild zusammenzustellen, das nur irgendwie an das heranreichte, welches ich in Ihnen erblicke, seit ich Sie kenne. Und so ward ich denn besiegt und gefangen und vernichtet vom ersten Tage an. Wenn das Liebe ist, was Sie Liebe nennen, wenn man in sich absterben muß, um in dem Geliebten zu leben, so ist meine Liebe eine wahre, echte, denn ich bin in mir abgestorben und lebe nur noch in Ihnen und für Sie. Ich wollte diese Liebe, da ich sie nicht erwiedert wähnte, von mir werfen; allein es war mir nicht möglich. Inbrünstig flehte ich zu Gott, er möchte mich doch von dieser Liebe befreien oder mich sterben lassen – Gott wollte mich nicht erhören. Ich betete zur heiligen Jungfrau, auf daß sie aus meiner Seele Ihr Bild auslösche – das Gebet war fruchtlos. Ich habe meinem Namensheiligen Gelübde gethan, damit ich nicht anders an Sie denke, als er an seine benedeite Gattin, die heilige Jungfrau Maria dachte, – der Heilige ist mir nicht zu Hilfe gekommen. Da hatte ich die Kühnheit, den Himmel anzuflehen, er möge doch gestatten, daß ich Ihren Sinn besiege, – er möge doch verhindern, daß Sie Geistlicher würden, – er möchte in Ihrem Herzen eine Liebe anfachen, so tief wie sie in meinem Herzen brenne. Don Luis, sagen Sie mir offen, ist der Himmel auch gegen diese meine letzte Bitte taub geblieben? Oder genügt vielleicht, um eine kleine, verzagte und schwache Seele wie die meine zu unterjochen, eine kleine Liebe, – während, um eine Seele wie die Ihre, welche durch so erhabene und starke Gedanken geschützt und geschirmt ist, zu unterjochen, eine mächtigere Liebe erforderlich ist, als ich sie einzuflößen würdig und zu empfinden oder auch nur zu begreifen fähig bin?«

»Pepita,« entgegnete Don Luis, »nicht das ist der Grund, daß Ihre Seele kleiner wäre als die meine, sondern weil dieselbe nicht durch Gelübde gebunden ist, wie es bei mir der Fall. Die Liebe, welche Sie mir eingeflößt haben, ist eine so unendliche; aber wider diese Liebe kämpfen meine Pflicht, meine Gelübde und die Pläne meines ganzen Lebens an, welche der Verwirklichung so nahe sind. Warum soll ich es nicht sagen, ohne befürchten zu müssen Sie zu beleidigen? Wenn Sie mir Ihre Liebe darbieten, so demüthigen Sie sich nicht. Wenn ich mich von Ihrer Liebe besiegen lasse, so demüthige und erniedrige ich mich. Dann verlasse ich den Schöpfer um des Geschöpfes willen, zerstöre das Werk meines unablässigen Wollens, vernichte das Bild Christi, das ich in meinem Herzen barg, und der neue Mensch, den ich unter so großen Opfern in mir geschaffen hatte, verschwindet, weil der alte Mensch neugeboren wird. Warum, statt mich bis zur Erde, zur unreinen Welt, die ich früher verachtete, herabzuziehen, erheben Sie mich nicht durch die Gewalt eben dieser Liebe, die Sie zu mir hegen, indem Sie sie von allem Makel reinigen? Warum sollen wir uns denn nicht ohne Schande, ohne Sünde, ohne Flecken lieben? Gott durchdringt mit dem reinen und läuternden Feuer seiner Liebe die geheiligten Seelen und erfüllt sie so ganz und gar, daß sie sind wie ein aus dem Glutofen herausströmendes Metall, das Metall bleibt, obgleich es leuchtet und ganz Feuer ist – so entzünden die Seelen sich in Gott, gehen ganz in Gott auf, sind ganz von Gott durchdrungen eben durch die Gnade der göttlichen Liebe. Diese Seelen lieben sich und erfreuen einander, als lebten sie nur Gott, weil sie mit Gott Eins sind. Steigen wir im Geiste vereint diese mystische und schwierige Stufe hinan; mögen unsere Seelen sich zu jener Glückseligkeit erheben, welche noch in diesem irdischen Leben möglich ist; allein dazu ist es nöthig, daß unsere Körper sich trennen, – daß ich gehe wohin meine Pflicht, mein Gelübde und die Stimme des Allerhöchsten mich rufen, der über seinen Knecht verfügt und ihn dem Dienst der Altäre bestimmt hat.«

»Ach Sennor Don Luis,« entgegnete Pepita ganz trostlos und zerknirscht, »jetzt erkenne ich, wie gemein das Metall ist, aus dem ich geschaffen bin, und wie unwürdig es ist von dem göttlichen Feuer durchdrungen zu werden. Ich will alles bekennen und sogar das Schamgefühl überwinden. Ich bin eine höllische Sünderin. Mein gemeiner, ungebildeter Geist vermag diese Feinheiten, diese Unterscheidungen, dieses Raffinement der Liebe nicht zu fassen. Mein rebellischer Wille empört sich wider das, was Sie mir vorschlagen. Ich vermag Sie mir nicht einmal ohne leibhaftige Persönlichkeit vorzustellen. Ihr Mund, Ihre Augen, Ihr schwarzes Haar – die verlange ich mit meinen Händen zu liebkosen; Ihre süße Stimme und der bezaubernde Klang Ihrer Worte – die entzücken mein Ohr; kurz Ihre ganze körperliche Gestalt verführt und verlockt mich zur Liebe, – und nur durch diese zeigt sich mir der unsichtbare Geist – dieser unbestimmte geheimnisvolle Geist! Meine Seele, die so widerspänstig und dieser geheimnisvollen Verzückungen so unfähig ist, wird Ihnen niemals in die Regionen zu folgen vermögen, wohin Sie sie mit sich nehmen möchten. Schwingen Sie sich in dieselben hinaus, so werde ich allein, verlassen und in tiefster Trauer zurückbleiben. Dann möchte ich lieber sterben. Ja und ich verdiene den Tod und wünsche ihn mir. Vielleicht daß meine Seele, wenn sie im Tode diese Ketten, welche sie jetzt fesseln, abstreift, der Liebe würdig wird, mit der wir uns – wie Sie verlangen – lieben sollen. Aber zuvor tödten Sie mich, damit wir uns wirklich so lieben; tödten Sie mich zuvor – und dann werde ich Ihnen mit meinem befreiten Geiste durch alle Regionen folgen und unsichtbar an Ihrer Seite durch die Welt wandern, über Ihren Schlaf wachend, Sie mit Entzücken betrachtend, in Ihre verborgensten Gedanken eindringend, in Wirklichkeit Ihre Seele schauend, ohne die Vermittelung der Sinne.

»Aber so lange ich lebe, vermag ich das nicht. Ich liebe in Ihnen nicht blos Ihre Seele, sondern auch den Leib, ja sogar den Schatten dieses Leibes und das Abbild dieses Leibes im Spiegel und im Wasser, und den Namen und den Zunamen und das Blut und alles das, was diesen Don Luis de Vargas ausmacht; das Metall der Stimme, die Geberden, den Gang und ich weiß nicht was sonst noch. Ich wiederhole, Sie müssen mich tödten. Tödten Sie mich ohne Erbarmen. Nein – ich bin keine Christin, sondern eine heidnische Materialistin.«

Hier machte Pepita eine lange Pause. Don Luis wußte nicht was er entgegnen sollte und schwieg. Die Thränen stürzten Pepita über die Wangen und schluchzend fuhr sie fort:

»Ich begreife, Sie verachten mich – und Sie thun wohl daran mich zu verachten. Mit dieser gerechten Verachtung werden Sie mich leichter tödten, als mit einem Dolche, ohne Ihre Hände und Ihr Gewissen mit Blut zu beflecken. Leben Sie wohl. Ich werde Sie von meiner verhaßten Gegenwart befreien. Leben Sie für ewig wohl.«

Und mit diesen Worten erhob sich Pepita und ohne das thränenüberströmte Gesicht abzuwenden, stürzte sie außer sich mit hastigen Schritten nach der Thür, welche zu den innern Gemächern führte. Don Luis empfand eine unbesiegbare Zärtlichkeit, ein verhängnisvolles Mitleid. Es erfaßte ihn die Furcht, Pepita möchte wirklich den Tod suchen. Er folgte ihr um sie abzuhalten. Doch es war schon zu spät. Pepita hatte bereits die Schwelle überschritten. Ihre Gestalt verlor sich in der Dunkelheit. Wie von übermenschlicher Macht fortgerissen, wie von unsichtbarer Hand vorwärts gestoßen, drang Don Luis Pepita nach in das dunkle Zimmer.

*

Das Studirzimmer blieb leer.

Der Ball der Dienerschaft mußte zu Ende sein, denn man hörte nicht das leiseste Geräusch mehr. Das schwache Plätschern des Springbrunnens im Gärtchen war das einzige, was die Ruhe störte.

Nicht der leiseste Windhauch unterbrach das erhabene Schweigen der Nacht. Durch das Fenster drangen der Duft der Blumen und die Strahlen des Mondes. Nach langer Zeit tauchte Don Luis wieder aus der Dunkelheit auf und erschien wieder in dem Zimmer. Auf seinem Gesichte malte sich Schrecken, etwas von der Verzweiflung des Judas.

Er sank auf einen Stuhl, verhüllte das Gesicht mit beiden Händen und blieb so länger als eine halbe Stunde, ohne Zweifel in bittere Gedanken versunken.

Jeder, der ihn so gesehen hätte, wäre auf die Vermuthung gekommen, er hätte soeben Pepita ermordet. Allein bald darauf kam auch Pepita wieder zum Vorschein. In den Zügen tiefe Melancholie, Antlitz und Blick zu Boden gesenkt, näherte sie sich dem Stuhl, auf welchem Don Luis saß und sprach also:

»Jetzt da es zu spät ist, erkenne ich die ganze Schlechtigkeit meines Herzens, die ganze Verworfenheit meines Betragens. Zu meiner Vertheidigung vermag ich nichts vorzubringen. Aber ich will nicht, daß du mich für nichtswürdiger hältst, als ich es bin. Sieh, du mußt nicht glauben, ich habe dich durch Künste und Berechnungen oder Fallstricke ins Verderben gestürzt. Ja, es war eine entsetzliche aber unwillkürliche Schlechtigkeit, eine Schlechtigkeit, die mir vielleicht durch den höllischen Geist, der mich beherrscht, eingegeben. Um Gottes willen, verzweifle nicht, sei nicht so betrübt. Du bist nicht schuld daran. Es war ein Delirium – eine Geistesverwirrung hatte sich deiner edlen Seele bemächtigt. Du hast dich nur einer sehr läßlichen Sünde schuldig gemacht. Die meine aber ist schwer, entsetzlich, schändlich. Jetzt bin ich deiner weniger würdig denn je. Gehe, ich, ja ich bitte dich jetzt zu gehen. Gehe hin und bereue. Gott wird dir verzeihen. Gehe hin und lasse dich von einem Priester von deiner Sünde lösen. Und wenn du wieder von allem Makel gereinigt, so folge deinem Drange und werde ein Diener des Allerhöchsten. Durch ein arbeitsvolles und heiliges Leben wirst du nicht blos die letzten Spuren dieses Falles auslöschen, sondern auch, nachdem du mir das Böse verziehen, das ich dir zugefügt, vom Himmel meine Vergebung erlangen. Kein einziges Band fesselt dich an mich und giebt es ein solches, zerreiße und zerbreche ich es. Du bist frei. Es soll mir genügen, daß ich den Morgenstern durch Ueberraschung zu Fall gebracht; ich will, ich darf, ich kann ihn nicht für mich behalten. Ich errathe, ich sehe deutlich an deiner Haltung, welche Gedanken dich bewegen, jetzt verachtest du mich mehr denn je, und du hast ein Recht mich zu verachten. Ich bin ein Weib ohne Ehre und Tugend und Scham.«

Und mit diesen Worten sank Pepita auf die Kniee und neigte sich so tief zur Erde, bis sie mit der Stirn den Boden berührte. Don Luis verblieb in der früheren Haltung und in diesem verzweifelten Schweigen verharrten sie mehrere Minuten.

Endlich nahm Pepita mit heiserer Stimme, aber ohne das Gesicht vom Boden zu erheben, wieder das Wort.

»Gehe jetzt fort, Don Luis, und bleibe nicht aus beleidigendem Mitleid noch längere Zeit hier bei diesem erbärmlichen Weibe. Ich werde die Kraft finden, deine Abwesenheit, dein Verschmähen, ja sogar deine Verachtung, die ich so wohl verdient habe, zu ertragen. Ich werde ewig deine Sklavin bleiben, – aber fern, ganz fern von dir, um dir die große Sünde dieser Nacht nicht in die Erinnerung zurückzurufen.«

Bei diesen Worten erstickte das Schluchzen Pepita's Stimme.

Don Luis vermochte sich nicht mehr zu beherrschen. Er sprang auf, trat zu Pepita, hob sie in seinen Armen auf, drückte sie ans Herz, strich, zärtlich aus ihrem Antlitz das goldbraune Haar, das in Unordnung darüber gefallen war und bedeckte es mit leidenschaftlichen Küssen.

»Meine Seele,« sprach endlich Don Luis, »Leben meiner Seele, Geliebte meines Herzens, Licht meiner Augen, erhebe deine geneigte Stirn und erniedrige dich nicht mehr vor mir. Der Sünder, der Schlechte, der Elende, der lächerliche Thor bin ich und nicht du. Die Engel und die Teufel müssen mich zugleich verlachen. Ich war ein gefälschter Heiliger, der es nicht verstand, dir von Anfang an zu widerstehen und dich über mich aufzuklären, wie es meine Pflicht gewesen wäre. Und jetzt verstehe ich es wieder nicht, ein ritterlicher Liebhaber zu sein, der die Gunst seiner Dame zu schätzen weiß. Ich begreife nicht, was du in mir erblickst, um mir derart deine Liebe zuzuwenden. Niemals besaß ich wahre Tugend, sondern nur schülerhafte Scheingelehrsamkeit und Pedanterie, der die Gebet- und Erbauungsbücher wie Romane gelesen und sich daraus einen einfältigen Roman voller Missionen und Betrachtungen zusammengeschmiedet hatte. Hätte ich wahre Tugend besessen, so würde ich dich über mich aufgeklärt haben und weder ich noch du hätten gesündigt. Die wahre Tugend fällt nicht so leicht. Trotz aller deiner Schönheit, trotz deiner Vorzüge, trotz deiner Liebe zu mir wäre ich nicht gefallen, wenn ich in Wahrheit tugendhaft gewesen, wenn ich einen wirklichen Beruf für den geistlichen Stand hätte, Gott, der alles vermag, würde mir seine Gnade verliehen haben. Ohne Zweifel wäre ein Wunder, etwas Uebernatürliches nothwendig gewesen, um deiner Liebe zu widerstehen; allein Gott hätte das Wunder gewirkt, wenn ich desselben würdig gewesen. Mit Unrecht giebst du mir den Rath, ich möchte Priester werden. Ich erkenne meine Unwürdigkeit. Es war nur Stolz und Hochmuth, was mich leitete. Weltlicher Ehrgeiz – wie jeder andere! Er war noch schlimmer, es war ein heuchlerischer, gotteslästerlicher, simonistischer Ehrgeiz.«

»Richte dich doch nicht mit solcher Härte,« entgegnete Pepita schon etwas ruhiger und lächelte unter Thränen. »Ich will nicht, daß du dich so verurtheilst, und wenn du mich deiner nicht unwürdig achtest, will ich dein Weib werden; aber ich will, daß du mich aus Liebe, ganz frei wählst, nicht um ein Vergehen wieder gut zu machen, nicht weil du etwa in eine Falle gerathen seist, von der du vermuthen könntest, sie sei dir hinterlistigerweise gelegt. Gehe fort, wenn du mich nicht liebst, wenn du einen Argwohn gegen mich hegst, wenn du mich nicht achtest. Nicht eine einzige Klage wird über meine Lippen kommen, wenn du mich auf immer verläßt und meiner niemals mehr gedenkst.«

Don Luis' Antwort vermag die beschränkte, armselige menschliche Sprache nicht wiederzugeben. Er zerriß den Faden von Pepita's Rede, indem er ihre Lippen mit den seinen schloß und sie von neuem umarmte.

*

Ziemlich spät betrat Antonnona das Zimmer, wobei sie jedoch zuvor stark mit den Füßen auftrat und hustete.

»Na ist mir das eine lange Unterhaltung!« sprach sie. »Die Predigt, welche dir der junge Seminarist gehalten, könnte ja für die ganze Fastenzeit aushalten. Es ist Zeit, daß du gehst, Don Luis. Es ist gleich zwei Uhr Morgen.«

»Gut,« sprach Pepita. »Er wird gleich gehen.«

Antonnona verließ wieder das Zimmer und wartete draußen.

Pepita war ganz verwandelt. Die Heiterkeit, die ihr als Kind fremd gewesen, die Freude und Zufriedenheit, die sie in den ersten Jahren ihrer Jugend nicht gekannt, die überschäumende Lebenslust, welche bis dahin eine zanksüchtige Mutter und ein alter Gatte im Bann gehalten, und in ihr zurückgedrängt hatten – man hätte meinen sollen, das alles sei plötzlich in ihrer Seele hervorgebrochen, gleichwie die grünen Blätter an den Bäumen hervorbrechen, wenn der Schnee und Frost eines strengen langen Winters ihr Keimen und Sprossen zurückgehalten haben.

Eine mit dem gesellschaftlichen Anstand wohl vertraute Stadtdame wird das, was ich von Pepita berichtet, seltsam, ja tadelnswerth finden; allein Pepita, wenn auch in ihrer Weise eine feine Dame, war ein vollständiges Naturkind, das die lästige Verstellungskunst und all die Vorsicht, welche die große Welt anwendet, nicht kannte. Daher kam es, daß, als die Hindernisse beseitigt waren, welche sich ihrem Glück entgegenstellten, als sie Don Luis den ihren nennen konnte, und sein vom Drange der Gefühle erzeugtes Versprechen hatte, daß er sie zu seinem rechtmäßigen Weibe nehmen wolle, – als sie sich mit Recht geliebt und angebetet glaubte und zwar von einem, den sie so sehr liebte und anbetete, – da brach sie in lautes, freudiges und doch so kindliches und unschuldiges Lachen und Jubeln aus...

Don Luis mußte gehen. Pepita holte einen Kamm und ordnete ihm liebevoll das Haar und drückte einen Kuß darauf.

Dann knüpfte sie ihm wieder die Cravatte zurecht.

»Lebe wohl, mein Geliebter. Lebe wohl, du süßer König meiner Seele. Ich werde deinem Vater alles sagen, wenn du dich dessen nicht getraust. Er ist gut – er wird uns verzeihen.«

Endlich schieden die beiden Liebenden.

Als Pepita sich allein sah, verschwand die übermüthige Lustigkeit und ihr Antlitz nahm einen ernsten, nachdenklichen Ausdruck an.

Pepita dachte über zwei gleich ernste Dinge nach, das eine von weltlichem, das andere von etwas höherem Interesse. Zunächst bedachte sie, daß ihr Verhalten während dieser Nacht, nun die Liebestrunkenheit vorüber, sie in Don Luis Meinung herabsetzen könnte. Allein sie stellte eine strenge Gewissenserforschung an und da sie erkannte, daß sie nicht etwas zuvor geplantes Böses gethan und daß alles aus einer unwiderstehlichen Liebe und aus edlen Gefühlen hervorgegangen sei – und da meinte sie, daß Don Luis sie nicht mißachten könne und beruhigte sich in dieser Beziehung.

Allein, obgleich ihre aufrichtige Selbstbeichte nicht die rein geistige Liebe widerspiegelte, und obgleich ihre Flucht in das dunkle Zimmer nur aus unschuldigstem Instinkt – ohne daß sie die Folgen voraus gesehen – geschehen war, so konnte Pepita doch nicht läugnen, daß sie später gegen Gott gesündigt habe und in diesem Punkte fand sie keine Rechtfertigung. Daher empfahl sie sich aus ganzem Herzen der heiligen Jungfrau, auf daß sie ihr verzeihe, sie gelobte ihrem Bildnis, das sich in dem Nonnenkloster befand, sieben schöne goldene Schwerter von feiner Arbeit zu kaufen, um damit ihre Brust zu schmücken, und nahm sich vor, am folgenden Tage beim Herrn Vicar zu beichten und sich der strengsten Buße zu unterwerfen, welche er ihr auferlegen würde, um die Vergebung der Sünden zu verdienen, kraft deren sie die Hartnäckigkeit des Don Luis besiegt, der sonst unrettbar Priester geworden wäre.

Während Pepita in solcher Weise in Gedanken das Vorgefallene erwog, und mit solcher Leichtigkeit ihre Seelenangelegenheiten ordnete, stieg Don Luis in Antonnona's Begleitung die Treppe hinunter.

Bevor er sich verabschiedete, sprach er ohne Umschweife:

»Antonnona, da du alles weißt, so sage mir, wer ist der Graf von Genazahar und welcher Art sind die Beziehungen, in welchen er zu deiner Herrin gestanden?«

»Du fängst sehr früh an, eifersüchtig zu werden.«

»Es ist nicht Eifersucht, sondern nur Neugier.«

»Das ist auch weit besser. Es giebt nichts Aergerlicheres, als die Eifersucht. Deine Neugier will ich befriedigen. Dieser Graf ist ein rechter Prahlhans, ein Taugenichts, Spieler und schlechtes Subject; ist aber eitler als Don Rodrigo am Galgen. Er hat es darauf abgesehen, daß mein Kind ihn lieben und heirathen möchte; und da mein Kind ihm wohl tausend Körbe gegeben hat, so wurmte ihn das. Dieses hält ihn aber nicht ab, mehr als tausend Duros für sich zu behalten, welche Don Gumersindo ihm vor Jahren geliehen – ohne Hypothek und sonstige Papiere – blos weil Pepita, die besser ist als das liebe Brot, sich für ihn ins Mittel legte. Der Dummkopf von Graf glaubte sicherlich, Pepita, die als verheiratete Frau so gut gewesen, ihm das Geld zu verschaffen, müsse nun auch als Witwe so gut sein, ihn zum Manne zu nehmen. Aber da hatte er sich arg verrechnet und darum wurde er wüthend auf sie.«

»Gute Nacht, Antonnona,« sprach Don Luis und trat auf die dunkle, schweigsame Straße hinaus.

Die Lichter an den Jahrmarktsbuden waren ausgelöscht, die Menschen hatten sich zurückgezogen und schlafen gelegt, mit Ausnahme der Besitzer von Spielwaarenbuden und anderem armseligem Jahrmarktskram, die unter freiem Himmel neben ihrer Waare schliefen.

An einigen Fenstern standen noch einige unermüdliche, hartnäckige Liebhaber im traulichen Gespräche mit ihren Liebsten. Die Meisten waren jedoch schon verschwunden.

Als Don Luis Pepita's Haus im Rücken hatte, überließ er sich seinen Gedanken. Sein Entschluß war gefaßt, und all sein Sinnen und Denken vermochte ihn nur in seinem Entschluß zu bestärken. Die Aufrichtigkeit und Glut der Leidenschaft, die er Pepita eingeflößt, ihre Schönheit, die jugendliche Anmuth ihres Körpers und die frühlingsfrische Fröhlichkeit ihrer Seele traten ihm lebhaft vor das geistige Auge und machten ihn vollkommen glücklich.

Doch regte sich in ihm etwas wie verwundete Eitelkeit, indem er an die Veränderung dachte, welche mit ihm vorgegangen war. Was wird der Dechant sagen? Welch ein Schrecken wird sich des Bischofs bemächtigen? Vor allem aber, welch ernstlichen Anlaß zu strengem Tadel hatte er seinem Vater gegeben? Seine Unzufriedenheit, seinen Zorn, sobald er erfuhr, welches Band Luis mit Pepita vereinte, malte er sich in den lebhaftesten Farben.

Was jedoch das anging, was er, bevor er gefallen, seinen Fall genannt, so müssen wir bekennen, daß derselbe ihm nach seinem Falle weder sehr tief, noch sehr schrecklich erschien. Sein Mysticismus kam ihm, nachdem er denselben mit dem neugewonnenen Lichte etwas näher ins Auge gefaßt, als etwas schattenhaftes, seelenloses vor, – als ein künstliches, hohles Product seiner Lectüre, seines knabenhaften Ungestüms und seines gegenstandslosen, unschuldigen, schülerhaften Liebesbedürfnisses.

Und indem er bedachte, daß er manchmal geglaubt, übernatürliche Gnaden und Gaben empfangen zu haben und mystische Worte zu vernehmen, und innere geistige Selbstgespräche geführt, und fast schon den Weg betreten, der zur Vereinigung mit Gott, zur Ruhe des Gebetes, in die tiefsten Abgründe der Seele und auf die höchsten geistigen Höhen führt – da lächelte Don Luis und er hatte sich im Verdacht, daß er nicht vollständig bei gesundem Verstande gewesen. Es war alles nur geistige Hoffahrt gewesen. Er hatte weder Buße gethan, noch lange Jahre in geistiger Beschaulichkeit gelebt, noch sich solche Verdienste erworben, daß Gott ihn durch besondere Gnadenbeweise auszeichnen konnte. Der beste Beweis, den er in dieser Beziehung sich selbst lieferte, das sicherste Merkmal dafür, daß die übernatürlichen Gaben, die er genossen, nur sophistische Einbildungen, nur bloße Erinnerungen an die gelesenen Schriften gewesen, ging daraus hervor, daß von allem nichts so sehr seine Seele mit Seligkeit erfüllt hatte, wie Pepita's »Ich liebe dich«, – wie die leiseste Berührung von Pepita's Hand, als sie mit den schwarzen Locken seines Hauptes spielte.

Don Luis nahm seine Zuflucht zu einer andern Art christlicher Demuth, um mit seinen Augen das zu rechtfertigen, was er nicht mehr seinen Fall, sondern seine Umwandlung nennen wollte.

Er sagte sich, daß er unwürdig sei Priester zu werden, und ergab sich in das Geschick, ein Laie, irgend ein verheiratheter, dunkler, guter Landbewohner zu sein, seinen Wein und seine Oliven bauend, seine Kinder erziehend – denn jetzt wünschte er sich auch Kinder – und an der Seite seiner Pepita als Musterehemann durchs Leben gehend.

*

Als verantwortlicher Herausgeber und Verbreiter dieser Geschichte sehe ich mich in der Nothwendigkeit, hier einige Betrachtungen und Aufklärungen aus meiner eigenen Feder einzuschieben.

Ich sagte zu Beginn, ich sei geneigt anzunehmen, daß dieser erzählende oder »Paralipomena« betitelte Theil von dem Herrn Dechant verfaßt sei, da er das Gemälde hätte vervollständigen und die Ereignisse, welche in den Briefen nicht berichtet wären, mittheilen wollen; aber damals hatte ich das Manuskript noch nicht mit Aufmerksamkeit gelesen. Jetzt da ich sehe, mit welcher Freiheit und Ausführlichkeit gewisse Dinge behandelt sind, möchte ich bezweifeln, daß der Herr Dechant, dessen moralische Strenge über jeden Zweifel erhaben dasteht, das geschrieben haben könnte, was hier dem Leser mitgetheilt worden. Trotzdem liegt kein genügender Grund zu der Annahme vor, daß der Herr Dechant nicht der Verfasser der Paralipomena sei.

Dieser Zweifel konnte wohl entstehen, obschon die Geschichte im Grunde nichts enthält, was wider die katholischen Wahrheiten oder die christliche Moral verstieße. Im Gegentheil, wenn man genauer hinsieht, wird man finden, daß sie mit dem exemplarischen Strafgericht an der Person des Don Luis eine Verwarnung enthält wider die Stolzen und Hochmüthigen. Diese Geschichte könnte ohne weiteres als Anhang zu den »mystischen Enttäuschungen« des Paters Arbiol benutzt werden.

Was jedoch die Behauptungen von zwei oder drei klugen Freunden angeht, welche meinen, der Herr Dechant hätte, wäre er der Verfasser, anders erzählt, er hätte nicht »Don Luis«, sondern »mein Neffe« gesagt und ab und zu moralische Betrachtungen eingeflochten – so halte ich diesen Einwand nicht für sonderlich schwerwiegend. Der Herr Dechant wollte etwas Geschehenes erzählen und keine These beweisen, und so hütete er sich wohl, moralische Abschweifungen zu machen. Auch that er meines Erachtens sehr wohl daran, seine Person zu verstecken und nicht in der ersten Person zu reden, was nicht blos seine Demuth und Bescheidenheit, sondern auch seinen guten literarischen Geschmack beweist, denn die epischen und die historischen Dichter – welche wir als unsere Muster betrachten müssen – sprechen niemals in der ersten Person, auch wenn sie von sich selbst reden, und sie selbst die Helden und handelnden Personen in den berichteten Ereignissen sind.

Uebrigens hat der Herr Dechant doch Glossen und Bemerkungen erbaulichen Inhalts eingeflochten, wenn diese oder jene Stelle es nothwendig machte. Aber ich habe dieselben hier unterdrückt, weil Romane mit Anmerkungen und Commentaren nicht mehr Mode sind und dieses Werkchen sonst zu umfangreich geworden wäre.

Doch will ich an dieser Stelle eine einzige Ausnahme machen und des Herrn Dechants Bemerkung über die schnelle Verwandlung des Don Luis aus einem Mystiker in einen Nichtmystiker hier in den Text einschalten. Die Bemerkung ist nicht blos an und für sich eigenthümlich, sondern verbreitet auch über das Ganze ein ziemlich Helles Licht.

Diese Umwandlung meines Neffen, sagte er, hat mich nicht überrascht. Ich sah sie voraus, nachdem ich seine ersten Briefe erhalten hatte. Ich täuschte mich anfangs über Luisito. Ich glaubte, er habe wahren Beruf, mußte dann aber erkennen, daß er ein hohler Dichterkopf ist; der Mysticismus war gleichsam nur die Triebfeder seiner dichterischen Träumereien, bis sich diesen eine andere, mehr entsprechende Triebfeder bot.

Gott sei Lob und Dank, daß es ihm gefallen hat, Luisito noch bei Zeiten zur Erkenntnis kommen zu lassen! Das wäre ein schlechter Priester geworden, wäre Pepita Jimenez ihm nicht gerade im rechten Augenblick begegnet! Selbst seine Ungeduld, mit einem Sprunge zur Vollkommenheit zu gelangen, würde mich argwöhnisch gemacht haben, wenn die Liebe des Onkels mich nicht verblendet hätte. Oder ist etwa die himmlische Gnade auf einmal zu erlangen? Ist kommen gleichbedeutend mit siegen?

Ein Freund von mir, ein Seemann, erzählte mir, als er als junger Bursch in gewisse amerikanische Städte gekommen sei und mit anmaßender Hast sich um die Gunst der Damen beworben habe, hätten diese ihm in einem eigenthümlich phlegmatisch-amerikanischen Tone gesagt: Kaum sind sie angekommen und wollen schon lieben! ... Machen Sie sich erst verdient, dann wollen wir sehen!

Wenn diese amerikanischen Damen so reden konnten, was wird erst der Himmel zu den Verwegenen sagen, die ohne Verdienste und im Handumdrehen Anspruch darauf erheben? Es bedarf vieler guter Thaten, gründlicher Läuterung, strenger Bußübungen, um Gott wohlgefällig dazustehen und seine Gnadengaben zu genießen.

Selbst nach den eitlen falschen philosophischen Lehren, die noch etwas mystisches enthalten, giebt es ohne kräftige Anstrengung und schwere Opfer keine übernatürliche Gunst und Gnade.

Jamblichus besaß nicht die Macht, die Genien der Liebe zu beschwören und sie aus dem Jungbrunnen Edgadara aufsteigen zu lassen, bevor er seinen Leib durch Studien und Entbehrungen und Fasten kasteit hatte. Und von Apollonius von Tyana nimmt man an, daß er sich erst ordentlich folterte, bevor er seine falschen Wunder wirkte. Und in unsern Tagen sollen die Jünger des Philosophen Krause, welche nach ihrer eignen Versicherung Gott leibhaftig schauen, zuvor die ganze »Analytik« des Sanz del Rio lesen und studiren müssen – was weit schwieriger ist und mehr Geduld und Standhaftigkeit beweist, als strenge körperliche Geißelung und Abtödtung des Fleisches. Mein Neffe wollte so mir nichts dir nichts ein vollkommener Gottesmann werden, und ... da sehen Sie nun, meine Herren, was aus ihm geworden ist!

Jetzt kommt es einzig darauf an, daß er ein guter Ehemann werde, und da er zu Erhabenem nicht mehr brauchbar ist, so möge er etwas im Kleinen und Häuslichen leisten, nämlich diese junge Frau glücklich zu machen suchen, welche doch schließlich weiter keine Schuld trifft, als daß sie sich wie toll und mit der Aufrichtigkeit und dem Ungestüm einer Wilden in ihn verliebt hat.

*

Soweit die Anmerkung des Herrn Dechant, die ganz mit der unschuldigen Offenherzigkeit geschrieben ist, als sei sie lediglich für ihn allein bestimmt ... Nun, der Aermste konnte ja auch nicht entfernt ahnen, daß ich den schlechten Einfall haben würde, sie dem Publikum vorzulegen.

Jetzt fahren wir in unserer Erzählung fort.

*

Don Luis dachte also, wie bereits oben mitgetheilt, mitten auf der Straße, um zwei Uhr Nachts, über sein Leben nach, das er bisher der »Goldenen Legende« würdig erachtet, und das sich jetzt in ein glückseliges, nimmer endendes Idyll verwandelt hatte.

Er war nicht im Stande gewesen, dem Zauber der irdischen Liebe zu widerstehen. Er hatte sich nicht die zahllosen Heiligen, unter ihnen den heiligen Vincenz von Ferrer, zum Muster genommen, der einer gewissen sittenlosen Dame aus Valencia Widerstand geleistet. Uebrigens lag ja hier auch die Sache etwas anders. Und wenn die Flucht des h. Vincenz vor jener teuflischen Sirene ein heroischer Tugendakt war – so wäre seine Flucht vor der Unterredung mit Pepita, vor ihrer unschuldigen Aufrichtigkeit und hingebungsvollen Sanftmuth etwas so Ungeheuerliches und Herzloses gewesen, wie wenn Boos, da Ruth sich zu seinen Füßen gelegt und zu ihm gesprochen hatte: »Ich bin deine Sklavin, breite deinen Mantel über deine Magd aus,« ihr einen Fußtritt gegeben und sie fortgejagt hätte.

Don Luis hatte also, als Pepita sich ihm in die Arme warf, gleich Boos ausgerufen:

»Gesegnet seist du dem Herrn, meine Tochter, daß du eine noch bessere Freundlichkeit gethan hast, denn vorhin!«

In solcher Weise rechtfertigte sich Don Luis, daß er nicht dem h. Vincenz und anderen weniger strengen Heiligen nachgeeifert war.

Was seinen Mißerfolg in Bezug auf die projectirte Nachahmung des h. Eduard betrifft, so war er ebenfalls bemüht, sich von jeder Schuld zu reinigen. Der h. Eduard hatte sich aus Staatsgründen, weil die Großen des Reiches es verlangten, und nicht aus Neigung für die Königin Edith mit dieser vermählt; allein weder Pepita Jimenez noch er brauchten weder auf den Staat, noch auf große oder kleine Leute irgend eines Reiches Rücksicht zu nehmen – sondern nur auf ihre beiderseitige innige Liebe.

Trotz alledem mußte sich Don Luis sagen – und das verlieh seiner Freude einen leisen Anflug von Schwermuth – daß er sein Ideal zerstört habe, daß er besiegt worden sei. Diejenigen, welche kein Ideal haben oder je gehabt, vermögen einen solchen Schmerz nicht zu empfinden; allein Don Luis fühlte ihn tief. Auch war er sofort darauf bedacht, sein altes erhabenes Ideal durch ein anderes bescheideneres und leicht erreichbares zu ersetzen. Und wenn er sich auch ungern Don Quijote's erinnerte, als dieser, von dem Ritter vom weißen Mond besiegt, sich vornahm, Hirt zu werden–so gedachte er doch mit Pepita Jimenez in unserem prosaischen und ungläubigen Zeitalter das herrliche und höchst erbauliche Beispiel von Philemon und Baucis nachzuahmen, indem er in dem lieblichen Andalusien ein patriarchalisches Leben mit ihr führte. Er wollte in dem Dorfe, welches ihn geboren, einen häuslichen Herd gründen, so voll religiösen Sinnes, daß er zugleich eine Zufluchtsstätte der Bedürftigen, der Mittelpunct gebildeten und freundschaftlichen Verkehrs und der klare Spiegel wäre, in welchem die Familien sich beschauen könnten, und endlich wollte er die eheliche Liebe mit der Liebe zu Gott vereinen, auf daß dieser ihre Heimstätte heilige und besuche, und sie noch zu einem Tempel mache, in welchem die beiden als Gottes Priester und Diener schalteten, bis es dem Himmel gefallen würde, sie vereint in ein besseres Leben abzurufen.

Der Erreichung dieses Zieles stellten sich jedoch zwei Schwierigkeiten entgegen, welche zuvor beseitigt werden mußten, und Don Luis schickte sich an, dieselben aus dem Wege zu räumen.

Die eine dieser Schwierigkeiten war der Aerger, vielleicht der Zorn seines Vaters, den er um seine theuersten Hoffnungen betrogen hatte. Die zweite Schwierigkeit war ganz anderer Art und in gewissem Sinne viel bedenklicher.

Don Luis hatte als zukünftiger Geistlicher es ganz seiner Rolle angemessen gefunden, Pepita nicht gegen die rohen Beschimpfungen des Grafen von Genazahar zu vertheidigen – er hatte nur mit einer Moralpredigt erwidert, und wegen der hämischen, verächtlichen Bemerkungen, mit denen seine Predigt begleitet worden war, keine Rache genommen.

Allein jetzt, da er das Priestergewand abgeworfen und öffentlich bekannt machen wollte, daß Pepita seine Braut sei und daß er sich mit ihr zu vermählen gedenke, da fand es Don Luis trotz seines friedfertigen Charakters, seiner Träume von edler Humanität und seines Glaubensbekenntnisses, das nach wie vor fest in seiner Seele wurzelte, und das jedes gewaltsame Mittel verurtheilte, mit seiner Würde unangemessen, dem unverschämten Grafen nicht den Hals zu brechen. Uebrigens wußte er sehr wohl, daß das Duell eine barbarische Sitte ist, daß Pepita des gräflichen Blutes nicht bedurfte, um von allen verleumderischen Flecken gereinigt zu werden, und daß selbst der Graf nur darum sich so unanständiger Reden bedient hatte, weil er ein roher, schlecht erzogener Mensch war, und nicht, weil er an seine Schimpfreden etwa selbst glaubte.

Trotz all dieser Erwägungen jedoch mußte Don Luis sich sagen, daß er nicht sein ganzes Leben hindurch so etwas geduldig hinnehmen könne, und daß er mithin niemals ganz und voll die Rolle des Philemon spielen würde, wenn er nicht damit beginne, die des Fierabras zu übernehmen, und dem Grafen gäbe, was ihm zukomme – indeß bat er doch Gott, daß er ihn nicht ein zweites Mal in eine solche Situation bringen möchte.

Dieses bei sich erwägend, beschloß er, die Angelegenheit sofort zu erledigen. Und da es ihm lächerlich erschien, Zeugen zu schicken, welche in die Nothwendigkeit kämen, von Pepita's Ehre zu sprechen, fand er es am vernünftigsten, unter irgend einem andern Vorwand einen Streit anzufangen.

Er wußte, daß der Graf als Fremder und leidenschaftlicher Spieler höchst wahrscheinlich noch in dem Casino zu finden sein würde, trotz der sehr vorgerückten Stunde, und so begab sich Don Luis unverzüglich nach dem Casino.

Dasselbe stand noch offen, aber die Lichter im Hofe und in den Zimmern waren fast alle ausgelöscht. Nur ein Saal war noch erhellt. Dorthin begab sich Don Luis, und gleich in der Thür bemerkte er den Grafen von Genazahar, der bei einer Partie Landsknecht die Bank hielt. Nur fünf Personen pointirten. Zwei davon waren, wie der Graf, von auswärts, die drei andern waren der mit der Remonte beauftragte Hauptmann, Currido und der Arzt. Bequemer konnte es Don Luis gar nicht finden. Ohne von den ganz in Anspruch genommenen Spielern bemerkt zu werden, konnte Don Luis sie beobachten, und nachdem er sie sich betrachtet, verließ er das Casino und eilte schnell nach Hause.

Ein Diener öffnete ihm die Thür. Don Luis fragte nach seinem Vater, und als er erfuhr, dieser schlafe, begab sich Don Luis, um nicht aufzufallen, mit einem Lichte auf den Zehen in sein Zimmer, nahm etwa dreitausend Realen in Gold, die er dort aufbewahrte, und steckte sie zu sich. Hierauf ließ er sich vom Diener wieder die Hausthür aufschließen und begab sich nach dem Casino zurück.

Diesmal trat Don Luis sehr geräuschvoll und mit herausfordernder Miene in den Saal. Die Spieler geriethen bei seinem Anblick in sprachloses Erstaunen.

»Du hier um diese Stunde!« sprach Currido.

»Woher kommen Sie, junger Pastor?« bemerkte der Arzt.

»Wollen Sie mir wieder eine Predigt halten?« rief der Graf.

»Ach was Predigt,« entgegnete Don Luis mit großer Ruhe. »Der schlechte Erfolg, den ich mit meiner letzten Predigt erzielte, hat mir klar bewiesen, daß ich für diese Laufbahn nicht bestimmt bin, und so habe ich mir eine andere erwählt. Sie, Herr Graf, haben meine Bekehrung zu Stande gebracht. Ich habe das geistliche Kleid abgeworfen; ich will mich amüsiren; ich befinde mich in der Blüte der Jugend und gedenke sie zu genießen.«

»Das ist ja sehr schön von Ihnen,« antwortete der Graf; »aber geben Sie wohl Acht, mein Sohn, wenn die Blüte zart ist, kann sie leicht Schaden nehmen und früh ihre Blätter verlieren.«

»Darauf werde ich schon achten,« erwiderte Don Luis. »Ich sehe, hier wird gespielt. Das stachelt auch mich. Sie halten Bank. Wissen Sie auch, Herr Graf, daß ich Lust hätte, die Bank zu sprengen?«

»Daß Sie Lust hätten, he? Sie haben wohl gut zu Abend gespeist?«

»Ich habe so gespeist, wie es mir beliebte.«

»Der junge Mann wird keck.«

»Das ist ganz meine Sache.«

»Himmeldonner– –« begann der Graf, und das Gewitter war nahe daran, auszubrechen, als der Hauptmann sich ins Mittel legte und den Frieden wieder herstellte.

»Gut denn,« sprach der Graf, wieder freundlich und beruhigt, »ziehen Sie Ihr Kleingeld hervor und versuchen Sie Ihr Glück.«

Don Luis setzte sich an den Tisch und schüttete sein ganzes Geld aus. Bei diesem Anblick wurde der Graf wieder vollständig heiter, denn diese Summe schien noch größer zu sein, als die, welche er in der Bank hatte, und schon glaubte er sie dem Novizen abgewonnen zu haben.

»Dieses Spiel scheint nicht viel Kopfzerbrechens zu machen,« sagte Don Luis, »mir ist, als verstände ich's schon. Ich lege Geld auf eine Karte und kommt die Karte auf meiner Seite heraus, so gewinne ich, kommt sie auf der andern heraus, so gewinnen Sie.«

»So ist es, mein Lieber, Sie besitzen eine sehr leichte Fassungsgabe.«

»Ich besitze nicht blos eine sehr leichte Fassungsgabe, sondern auch einen sehr guten Willen, und trotzdem bin ich noch sehr weit entfernt, mit so geschickten Spielern, wie Sie hier, mich zu messen.«

»Sie sind sehr gut aufgelegt.«

Don Luis schwieg, er spielte einigemal und hatte so gutes Glück, daß er fast immer gewann.

Der Graf begann ärgerlich zu werden.

»Wenn mich der junge Mann rupfte,« sprach er. »Der liebe Gott nimmt die Unschuld in seinen Schutz.«

Während der Graf immer hitziger ward, fühlte Don Luis, wie er mit einem Mal ganz müde und abgespannt wurde. »Machen wir der ganzen Geschichte ein Ende,« sagte er: »Wir wollen einmal sehen, ob ich Ihr Geld dort einstecke oder Sie das meine. Nicht wahr, Herr Graf?«

»Sehr schön.«

»Denn warum sollen wir hier die ganze Nacht durchwachen? Es ist schon spät, und um Ihren Rath zu befolgen, muß ich mich zusammennehmen, damit die Blüte meiner Jugend nicht Schaden nehme.«

»Was soll das heißen? Wollen Sie sich zurückziehen? Suchen Sie einen Vorwand?«

»Ich suche keineswegs einen Vorwand. Im Gegentheil. Vetter Currido, sage mir, ist diese Summe hier vor mir nicht größer als die, welche in der Bank steht?«

Currido sah sich die Summe an und entgegnete:

»Unzweifelhaft.«

»Wie habe ich das zu nennen,« fragte Don Luis, »wenn ich auf einmal diese ganze Summe gegen die in der Bank befindliche setze?«

»Daß nennt man: va banque,« antwortete Currido.

»Also Va banque,« sprach Don Luis, sich an den Grafen wendend. » Va banque, ich setze alles auf diesen Pique-König, dessen Genosse sicherlich eher zum Vorschein kommen wird, als seine Feinde, die drei.«

Der Graf, welcher sein ganzes bewegliches Vermögen in der Bank hatte, wurde ganz erschreckt, als er es in solcher Gefahr sah, aber er konnte nicht umhin es anzunehmen.

Ein volksthümliches Sprichwort sagt, diejenigen, welche Glück hätten in der Liebe, hätten Unglück im Spiel; allein das Gegentheil scheint in der Regel der Fall zu sein. Wem das Glück in irgend einer Richtung lächelt, dem ist es auch gewöhnlich in jeder andern hold, und ebenso verhält es sich auch mit dem Unglück.

Der Graf mischte die Karten. Seine Erregung war sehr groß, so sehr er sie auch zu verbergen suchte. Endlich entdeckte er hinter dem Packet die Kronenspitze des Treffkönigs und zauderte.

»Ziehen Sie nur hervor,« sprach der Hauptmann, »dagegen giebt es kein Mittel. Es ist der Treffkönig.«

»Verfluchte Karte! Der Pastor hat mich gerupft. Da nehmen Sie das Geld.«

Und wüthend warf der Graf die Kasse auf den Tisch.

Gleichgültig und gelassen nahm Don Luis das ganze Geld an sich.

Dann sprach der Graf nach kurzem Schweigen:

»Junger Pastor, Sie müssen mir Revanche geben.«

»Ich sehe die Nothwendigkeit nicht ein.«

»Mir scheint doch, unter Cavalieren –«

»Dann käme das Spiel ja nie zu Ende; dann wäre es das Beste, sich die ganze Mühe des Spielens zu sparen.«

»Geben Sie mir Revanche,« erwiderte der Graf, ohne auf die angeführten Gründe zu achten.

»Es sei, ich will großmüthig sein.«

Der Graf begann von neuem die Karten zu mischen.

»Halt,« sagte Don Luis, »zuvor wollen wir uns verständigen. Wo ist das Geld für Ihre neue Bank?«

Der Graf wurde verwirrt und verlegen.

»Ich habe hier kein Geld bei mir,« antwortete er; »aber ich sollte doch glauben, daß mein Ehrenwort genügt.«

Da sprach Don Luis in ernstem gemessenem Ton:

»Herr Graf, ich würde durchaus nicht anstehen, dem Worte eines Cavaliers zu vertrauen und sein Gläubiger zu werden, müßte ich nicht befürchten, seine soeben erst erworbene Freundschaft dadurch zu verlieren; allein da ich heute Morgen sah, mit welcher Grausamkeit Sie einige meiner Freunde behandelten, welche Ihre Gläubiger sind, so möchte ich Ihnen gegenüber mich nicht desselben Vergehens schuldig machen. Ich würde mir Ihren Zorn zuziehen, wenn ich Ihnen Geld borgte, das Sie mir ja nicht zurückzahlen würden – just wie Sie das, welches Sie Pepita Jimenez schulden, nicht anders als mit Beschimpfungen zurückgezahlt haben.«

Die Beleidigung war um so größer, als die Behauptung eine Thatsache war. Der Graf wurde blau vor Wuth, und indem er aufsprang, den Studenten mit den Händen zu packen, sprach er mit heiserer Stimme:

»Du lügst, Verleumder! Ich zermalme dich, du Sohn der –!«

Diese letzte Schmähung, welche Don Luis an den Makel seiner Geburt erinnerte und die Ehre derjenigen verletzte, deren Andenken ihm das Theuerste und Ehrwürdigste auf Erden war, konnte nicht mehr ausgesprochen werden, gelangte nicht mehr an sein Ohr.

Mit wunderbarer Geschicklichkeit und Kraft bog Don Luis den rechten, mit einem schmiegsamen Stöckchen bewaffneten Arm über den Tisch und schlug den Grafen so nachdrücklich ins Gesicht, daß eine blutunterlaufene Schramme zum Vorschein kam.

Man hörte weder schreien noch lärmen. Wenn die Hände ihre Arbeit beginnen, pflegen die Zungen zu schweigen. Der Graf würde sich auf Don Luis gestürzt und ihn erwürgt haben, wenn er es gekonnt hätte; allein die öffentliche Meinung hatte seit dem vorhergehenden Morgen eine große Schwenkung gemacht, und war jetzt Don Luis günstig. Der Hauptmann, der Doctor und sogar Currido gaben sich alle Mühe, den Grafen zurückzuhalten, der wie ein Wilder mit ihnen rang, um sich zu befreien.

»Laßt mich los, laßt mich los, ich schlage ihn todt – ich schlage ihn todt!« sagte er.

»Ein Duell will ich nicht zu verhindern suchen,« sprach der Hauptmann; »das Duell ist unvermeidlich. Ich will nur zu verhindern suchen, daß ihr hier mit einander ringt, wie zwei Straßenräuber. Ich würde meinen militärischen Rang beschimpfen, wenn ich euch einen solchen Kampf in meiner Gegenwart gestattete.« »Dann Waffen her,« rief der Graf; »keine Minute gezögert ... auf der Stelle – sofort, hier!«

»Wollen Sie sich mit Säbeln schlagen?« fragte der Hauptmann.

»Mir ist's recht,« antwortete Don Luis.

»So holt Säbel,« sprach der Graf.

Alle sprachen in leisem Ton, damit niemand auf der Straße etwas hören möchte. Selbst die Kellner des Casino's, welche in der Küche und im Hofe auf Stühlen schliefen, wachten nicht auf.

Don Luis wählte sich als Secundanten den Hauptmann und Currido, der Graf die beiden Fremden. Der Doctor blieb, um seines Amtes zu walten und entfaltete die Binde des rothen Kreuzes.

Es war noch Nacht. Man kam überein, den Spielsaal in ein Schlachtfeld zu verwandeln, und verschloß die Thür.

Der Hauptmann begab sich nach Hause, um die Säbel zu holen, und schon nach wenigen Minuten kehrte er mit den Waffen unter dem Mantel zurück.

Wir wissen bereits, daß Don Luis in seinem ganzen Leben noch keine Waffe in der Hand gehabt hatte. Zum Glück war der Graf ebenfalls nicht viel geschickter im Fechten, obgleich er niemals Theologie studirt und auch nie daran gedacht hatte, Geistlicher zu werden.

Die Bedingungen des Duells liefen im Wesentlichen daraus hinaus, daß jeder der beiden Kämpen, sobald er einmal den Säbel in der Hand habe, thun möge, was Gott ihm eingebe.

Die Thür des Saals wurde verschlossen.

Die Tische und Stühle wurden in eine Ecke geschoben, um Platz zu gewinnen, die Lichter in entsprechender Weise aufgestellt. Don Luis und der Graf zogen die Röcke aus, und als sie in Hemdsärmeln dastanden, ergriffen sie die Waffen. Die Secundanten stellten sich auf eine Seite. Auf ein Zeichen des Hauptmanns begann der Kampf.

Zwischen zwei Personen, welche weder zu parieren, noch sich zu vertheidigen verstehen, kann der Kampf nur von sehr kurzer Dauer sein, und so war es auch hier.

Die Wuth des Grafen, die einige Minuten lang zurückgedrängt war, machte ihn blind. Er war von sehr starkem Körperbau, besaß ein paar eiserne Fäuste, und so griff er seinen Gegner mit einem Regen von Säbelhieben ohne Ordnung und Bedacht an.

Viermal wurde Don Luis getroffen, glücklicherweise stets mit flacher Klinge. Der Graf zielte nach seinen Schultern, vermochte ihn aber nicht zu verwunden. Indeß gehörte die ganze Kraft des jungen Theologen dazu, um unter den furchtbaren Schlägen und bei dem Schmerz der Contusionen nicht zu fallen. Da traf der Graf Don Luis zum fünften Mal, diesmal auf den linken Arm, und zwar mit der Schneide des Schwertes, wenn auch in schräger Richtung. Don Luis' Blut begann in Strömen zu fließen, allein der Graf, weit entfernt, sich davon ein wenig zurückhalten zu lassen, griff mit noch größerer Wuth von neuem an, er stürzte sich fast unter den Säbel des Don Luis. Dieser, statt zu parieren, ließ seinen Säbel mit großer Wucht auf ihn niederfallen, und brachte dem Grafen eine Wunde am Kopfe bei. Ungestüm sprang das Blut hervor und überströmte ihm Stirn und Augen. Durch den Schlag betäubt, fiel der Graf mit dem ganzen Körper zu Boden.

Die ganze Schlacht war das Werk weniger Minuten.

Don Luis war ruhig gewesen wie ein stoischer Philosoph, den das harte Gesetz der Nothwendigkeit gezwungen hat, sich ähnlichen kritischen Zufälligkeiten auszusetzen, so wenig sie auch mit seinen Gewohnheiten und seiner Denkart harmoniren mögen; aber kaum sah er seinen Gegner wie todt und blutüberströmt am Boden liegen, so ergriff Don Luis eine ungeheure Angst und er befürchtete ohnmächtig zu werden. Er, der nicht im Stande war, einen Sperling umzubringen, hätte beinahe einen Menschen ermordet. Er, der noch vor fünf oder sechs Stunden den Vorsatz gehabt hatte, Priester, Missionar, ein Diener und Verkünder des Evangeliums zu werden, hatte im Handumdrehen alle möglichen Verbrechen begangen, alle Gebote des göttlichen Gesetzes übertreten – oder klagte sich wenigstens dieser Uebertretung an. Es gab keine Todsünde mehr, die er nicht begangen. Zuerst waren seine Vorsätze einer heldenmüthigen, vollkommenen Heiligkeit in nichts zerronnen. Und dann waren auch seine Vorsätze einer leichteren, bequemen, »bürgerlichen« Heiligkeit dahingeschwunden. Der Teufel hatte alle seine Pläne zu nichte gemacht. Es war ihm höchst ärgerlich, daß er nicht einmal ein christlicher Philemon werden könne, denn es war doch kein guter Anfang eines ewigen Idylls, seinem Mitmenschen den Kopf zu spalten.

Nach all den Aufregungen dieses Tages und dieser Nacht befand sich Don Luis in dem Zustande eines Menschen, der das Gehirnfieber hat.

Currido und der Hauptmann nahmen ihn in die Mitte und brachten ihn nach Hause.

*

Don Pedro de Vargas sprang erschreckt aus dem Bett, als ihm gesagt wurde, man habe seinen Sohn verwundet nach Hause gebracht. Er eilte zu ihm, untersuchte die Contusionen und die Wunde am Arm und überzeugte sich, daß keine Gefahr vorhanden sei; doch stieß er einen lauten Fluch aus und gab sich das Wort, für diese Beschimpfung Rache zu nehmen, und er beruhigte sich nicht eher, bis er den ganzen Hergang erfahren und wußte, daß Don Luis trotz seiner Theologie sich selbst zu rächen verstanden habe.

Bald darauf kam der Arzt, um Don Luis in Behandlung zu nehmen. Er prophezeite ihm, daß er in drei, vier Tagen wieder ausgehen könne, als sei nichts geschehen. Der Graf dagegen würde mehrere Monate an das Krankenlager gefesselt sein. Doch gäbe sein Zustand zu ernsten Befürchtungen keinen Anlaß. Er sei aus seiner Ohnmacht wieder erwacht und habe gebeten, man möge ihn auf sein etwa eine Meile von dort entferntes Gut bringen. Man habe einen Miethswagen herbeigeholt, und jetzt schaffe man ihn fort, in Begleitung seines Dieners und der beiden Fremden, die seine Secundanten gewesen.

Vier Tage nach dem Duell gingen die Prophezeiungen des Doctors wirklich in Erfüllung, und Don Luis, obgleich von den Hieben noch geschwächt und an offner Wunde leidend, befand sich in einer Verfassung, daß er wieder ausgehen konnte, so daß seine vollständige Wiederherstellung sehr bald zu erwarten war.

Die erste Pflicht, welche Don Luis nach seiner Genesung erfüllen zu müssen glaubte, war, dem Vater seine Liebe zu Pepita zu gestehen und ihm seine Absicht, sie zu heirathen, mitzutheilen.

Don Pedro war während der Krankheit seines Sohnes nicht aufs Feld hinausgeritten, noch hatte er irgend eine andere Beschäftigung vorgenommen – die Pflege seines Sohnes hatte ihn ganz in Anspruch genommen. Er saß fast ununterbrochen bei ihm und überhäufte ihn mit eigenthümlichen Zärtlichkeitsbeweisen.

Am Morgen des siebenundzwanzigsten Juni, als der Arzt sich entfernt hatte und Don Pedro sich mit seinem Sohn allein befand, da erfolgte die für Don Luis so schwierige Beichte in folgender Weise:

*

»Lieber Vater,« sprach Don Luis, »ich darf dich nicht länger täuschen. Heute will ich dir meine Fehler und meine Heuchelei bekennen.«

»Lieber Sohn, wenn du eine Beichte ablegen willst, so dürfte es wohl das beste sein, du ließest den Padre Vikar holen. Mein Kopf ist nicht sehr bei der Sache, und ich würde dich von allen Sünden absolviren, ohne daß meine Absolution dir irgendwie nützen könnte. Wenn du mir jedoch, als deinem besten Freunde, ein ganz besonderes Geheimnis bekennen willst, so fange an – ich höre.«

»Was ich dir zu bekennen habe, ist ein sehr schweres Vergehen, und ich schäme mich –«

»Schäme dich doch nicht vor deinem Vater, rede frisch von der Leber weg.«

Da erröthete Don Luis über das ganze Gesicht, und mit sichtlicher Verwirrung sprach er:

»Mein Geheimnis besteht darin, daß ich – in Pepita Jimenez verliebt bin, und daß sie –«

Don Pedro unterbrach seinen Sohn mit lautem Lachen und entgegnete:

»Und daß sie in dich verliebt ist, und daß du in der Johannisnacht bis zwei Uhr Morgens eine süße Unterredung mit ihr gehabt hast, – und daß du ihretwegen Streit mit dem Grafen von Genazahar gesucht und ihm fast den Hals gebrochen hast. Na, siehst du wohl, mein Sohn, welch schönes Geheimnis du mir zu beichten hast. Alle Spatzen im Dorfe pfeifen es bereits von den Dächern. Das einzige, was sich möglicherweise noch verheimlichen ließ, war der Umstand, daß die Unterredung bis zwei Uhr Morgens gedauert hat; aber ein paar Zigeunermädchen, die mit Conditorwaaren handelten, haben dich aus dem Hause kommen sehen, und die hatten keine Ruhe, bis sie's aller Welt anvertraut. Zudem macht Pepita selbst kein Geheimnis mehr daraus – und daran thut sie wohl, denn das noch geheim zu halten, wäre vollständig vergebliches Bemühen ... Seitdem du krank darniederliegst, kommt Pepita zwei- bis dreimal täglich hierher, und fernere zwei- bis dreimal schickt sie Antonnona, um sich nach deinem Befinden zu erkundigen. Und wenn sie nicht zu dir hereingekommen ist, so hat das nur darin seinen Grund, weil ich mich dem widersetzte, um dich nicht aufzuregen.«

Don Luis' Verlegenheit und Verwirrung schwand bald, als er den Vater die ganze Geschichte in so lakonischer Weise erzählen hörte.

»Wie groß wird deine Ueberraschung und dein Erstaunen gewesen sein!« sprach er.

»Weder Ueberraschung noch Erstaunen, mein Sohn. Im Dorfe spricht man seit vier Tagen von nichts anderem, und die Wahrheit zu sagen, deine Verwandlung hat alle geradezu verblüfft. ›Seht doch einmal diesen stillen verschwiegenen Pastor, diesen Heiligen an, ein netter Gesegneter des Herrn!‹ riefen die Leute; ›wie er da auf einmal die Maske abgeworfen hat!‹ Namentlich der Padre Vikar ist geradezu starr vor Staunen. Noch immer macht er das Kreuzzeichen, wenn er bedenkt, wie sehr du in der Nacht vom 23. auf den 24. im Weinberge des Herrn gearbeitet hast, und wie verschiedenartig deine Arbeiten in dieser Johannisnacht gewesen sind. Aber von deiner Wunde abgesehen, hatten die Nachrichten für mich nichts Ueberraschendes. Wir Alten sehen ja das Gras wachsen. Es ist nicht leicht, daß das Küchlein die Henne hintergeht.«

»Das ist wahr, ich wollte dich hintergehen. Ich war ein Heuchler.«

»Sei kein Narr, ich sage das nicht, um dich zu beschämen. Ich sage es nur, um dir zu beweisen, wie scharfsinnig ich war. Aber reden wir frei und offen mit einander, ich habe Grund, ein wenig zu prahlen. Seit zwei Monaten wußte ich ganz genau, welche Fortschritte Tag für Tag deine Liebe zu Pepita machte, aber hauptsächlich wußte ich es darum, weil dein Onkel, der Dechant, dem du alle deine Eindrücke geschrieben, mir alles mitgetheilt hat. Höre den Anklagebrief deines Oheims, und dann höre auch die Antwort, welche ich ihm gab – ein höchst wichtiges Document, von dem ich mir eine Abschrift aufbewahrt habe.«

Und Don Pedro zog einige Papiere aus der Tasche und las:

Brief des Dechanten.

»Geliebter Bruder!

Ich fühle mich verpflichtet, Dir eine schlimme Nachricht mitzutheilen; allein ich vertraue zu Gott, daß er Dir Geduld und Entsagung genug verleihen werde, damit Du Dich nicht allzusehr erzürnst und härmst. Luisito schreibt mir seit einiger Zeit gar seltsame Briefe, in welchen er mir in einer mystisch-exaltirten Sprache eine sehr irdische und sündhafte Neigung zu einer gewissen verschmitzten, sehr verderbten und koketten jungen Witwe bekennt, die in eurem Dorfe wohnt. Bisher hatte ich mich so sehr in ihm getäuscht, daß ich fest an Luisito's geistlichen Beruf glaubte, und ich schmeichelte mir damit, in ihm der Kirche einen weisen, tugendhaften Musterpriester schenken zu können. Aber die besagten Briefe haben meine Illusionen zerstört. Luisito zeigt sich darin mehr als Poet denn als ein wahrhaft frommer Mann, und die Witwe, die aus dem Stoffe der Barbara sein muß, wird bald ganz nach Belieben mit ihm schalten. Obgleich ich Luisito schrieb und ihn ermahnt habe, er möchte die Versuchung fliehen, so bin ich doch fest überzeugt, daß er ihr erliegen wird. Das darf mich jedoch nicht betrüben, denn wenn er fallen und ein Weiberverehrer werden soll, so ist es besser, daß seine böse Neigung noch bei Zeiten, bevor er Priester geworden, sich offenbare. Ich würde also insofern kein großes Unglück darin sehen, wenn Luisito geprüft und geläutert würde am Prüfstein eines solchen Liebeshandels, auf daß die junge Witwe ihm als Reagens diene, wodurch das reine Gold seiner geistlichen Tugenden, oder das gemeine Metall, das diesem Gold beigemischt ist, zum Vorschein komme; doch können wir mit unserm Plane Unglück haben, wenn besagte Witwe, welche wir als Prüfstein benutzen müssen, Deine Heirathscandidatin oder sogar Deine Geliebte wäre. Es würde mich sehr betrüben, wenn Dein Sohn als Dein Nebenbuhler aufträte. Das würde einen entsetzlichen Skandal geben, und um das bei Zeiten zu vermeiden, schreibe ich Dir das heute, damit Du Luisito sobald wie möglich unter irgend einem Vorwande herschickst oder bringst.«

Don Luis hatte schweigend und mit gesenkten Augen zugehört. Sein Vater fuhr fort:

»Auf diesen Brief des Dechanten habe ich Folgendes geantwortet:

Antwort.

»Geliebter Bruder und ehrwürdiger geistlicher Vater!

Ich danke Dir tausendmal für die mir gesandten Nachrichten, Winke und Rathschläge. Für so klug ich mich auch halte, hier muß ich meine Kurzsichtigkeit eingestehen. Die Eitelkeit machte mich blind. Pepita Jimenez bewies mir seit der Ankunft meines Sohnes eine so liebenswürdige Freundlichkeit, daß ich mir schon alles Glück prophezeite. Erst Dein Brief hat mir die Binde von den Augen genommen. Jetzt begreife ich, daß diese Spitzbübin Pepita mit all ihren Freundlichkeiten und Festen und Einladungen nicht mich, sondern nur den Papa des unbärtigen Theologen im Auge hatte. Ich kann es Dir nicht verhehlen, diese Enttäuschung hat mich im ersten Augenblick ein wenig betrübt und gewurmt; allein nachdem ich alles reiflich erwogen, haben sich meine Betrübnis und mein Aerger in Freude verwandelt. Luisito ist ein ganz vortrefflicher Junge. Seitdem er hier bei mir ist, habe ich ihn immer mehr lieb gewonnen. Ich trennte mich seinerzeit von ihm und vertraute ihn Dir an, damit Du ihn erziehen möchtest, denn mein eigenes Leben war nicht sehr musterhaft, und hier im Dorfe wäre er aus diesen und anderen Gründen wie ein Wilder aufgewachsen. Du gingst noch über meine Wünsche hinaus und hättest aus Luisito beinahe einen Kirchenvater gemacht. Einen heiligen Sohn haben – das hätte meiner Eitelkeit geschmeichelt, aber ich würde es doch tief empfunden haben, hätte ich ohne einen Erben meines Vermögens und meines Namens sterben müssen – ohne einen Nachkommen, der mir für hübsche Enkel sorgte, und der nach meinem Tode meine Güter verzehrt, die mein Stolz sind – denn die habe ich mir durch meine Arbeit und meine Umsicht erworben, und nicht durch Gaunereien und Schwindeleien.

»Vielleicht war die Ueberraschung, daß es dagegen kein Mittel mehr gebe, daß Luisito die Chinesen, die Indianer und die Neger Mittelafrika's bekehren wolle, die Veranlassung, daß ich mich wieder zu verheirathen beschloß, um für anderweitige Nachkommenschaft zu sorgen. Natürlich fiel mein Auge auf Pepita Jimenez – denn sie ist nicht aus dem Stoffe der Barbara, wie Du meinst, sondern ein ganz ausgezeichnetes Wesen; dabei frömmer als eine Nonne und noch leidenschaftlicher als gefallsüchtig.

»Ich habe eine so gute Meinung von Pepita, daß wenn sie sechszehn Jahre zählte und eine tyrannische Mutter hätte und ich achtzig Jahre alt wäre, wie Don Gumersindo – das heißt bereits mit einem Fuß im Grabe stände – ich Pepita zu meiner Frau nehmen würde, damit sie mich beim Sterben anlächle, als wäre sie mein Schutzengel, der Menschengestalt angenommen, und damit ich ihr mein Vermögen und meinen Namen hinterlassen könnte. Aber Pepita zählt nicht sechszehn, sondern zwanzig Jahre; auch steht sie nicht mehr unter der Fuchtel einer Rabenmutter, und ich bin nicht achtzig, sondern erst fünfundfünfzig Jahre alt. Ich befinde mich im schlechtesten Alter, denn ich fühle so nach und nach, daß ich altere; ich habe ein wenig Asthma und viel Husten, ziemlich viel rheumatische und andere Leiden, und dennoch wünsche ich den Tod zu allen Teufeln.

»Ich glaube, daß ich wenigstens noch zwanzig Jahre leben werde, und da ich Pepita ebenso viele entziehen würde, so bedenke, welch schreckliche Zukunft ihrer an der Seite eines so hartlebigen alten Mannes bevorstände; nach wenigen Jahren ehelichen Zusammenlebens mit mir müßte sie mich ja, so gut sie auch ist, gründlich verabscheuen. Ohne Zweifel eben nur darum, weil sie gut und klug ist, hat sie mich nicht zum Manne haben wollen, trotz der hartnäckigen Ausdauer, mit welcher ich um sie warb.

»Wie freue ich mich jetzt darüber! Sogar die durch ihren Stolz verwundete Eitelkeit beruhigt sich bei der Erwägung, daß sie, wenn sie auch nicht mich selbst, so doch mein Blut liebt. Wenn diese frische heitere Epheuranke sich nicht um den alten, schon wurmstichigen, hinfälligen Stamm schlingen wollte, so geschah das nur, sage ich mir, weil sie lieber den zarten grünen blühenden Sproß umfangen mochte. Möge Gott sie beide segnen, und diesem Liebesbund alles Glück schenken. Weit entfernt, Dir meinen Jungen zum zweitenmal zu bringen, werde ich ihn hier bei mir behalten – wenn's sein muß mit Gewalt. Ich bin entschlossen, mich wider seinen geistlichen Beruf zu verschwören. Im Geiste sehe ich ihn bereits als Ehemann, und mich sehe ich ganz verjüngt, indem ich dies hübsche und liebe vereinte Paar betrachte. Und wenn sie mir erst eine kleine Schaar Enkelchen schenken? Statt Missionar zu werden, und mir aus Australien oder Madagascar oder Indien verschiedene unterschiedliche, pechschwarze oder safrangelbe Neophyten mit Eulenaugen mitzubringen, – wird es da nicht besser sein, daß Luisito hier zu Hause predigt und mir eine Anzahl goldlockiger, rosenwangiger Taufcandidaten schenkt, die Augen haben wie Pepita und die Cherubim ohne Flügel gleichen? Die Täuflinge, die er mir aus den heidnischen Ländern hierher bringen könnte, müßte ich mir in respectvoller Entfernung halten, damit sie mich nicht beschmutzten; diese dagegen werden den Paradiesrosen gleichen, sie werden mir auf die Kniee klettern, mit mir spielen, mich küssen, mich Großpapa nennen und mit ihren kleinen Patschhändchen mir den jetzt schon entstehenden Kahlkopf streicheln. Was willst Du? Als ich noch in meiner vollen Manneskraft dastand, da dachte ich nicht an häusliche Freuden; aber jetzt, da ich an der Schwelle des Alters stehe, wenn ich es auch noch nicht erreicht habe, gefalle ich mir darin, – in der Hoffnung, daß ich kein Mönch werden möchte – die Rolle eines Patriarchen spielen zu können.

»Es ist durchaus nicht meine Absicht, ruhig zuzusehen und zu warten, bis der hier im Entstehen begriffene Ehebund zu Stande kommt, nein, ich werde mein Möglichstes thun, damit die Beiden recht bald ein Paar werden. Um mich Deines Gleichnisses zu bedienen, werde ich, auf daß Pepita sich in ein Filtrum und Luis in Metall verwandle, einen Zunder oder Blasebalg suchen (eigentlich habe ich ihn schon gefunden), und damit das Feuer so schüren, daß das Metall bald flüssig werde. Dieser Blasebalg ist Antonnona, Pepita's Amme, eine sehr geschickte, verschwiegene und ihrer Herrin außerordentlich zugethane Frau. Antonnona hat sich bereits mit mir verständigt, und von ihr weiß ich, daß Pepita sterblich verliebt ist. Wir sind übereingekommen, daß ich nichts sehe oder höre und mich stelle, als wüßte ich von nichts. Der Padre Vikar, diese Gottesseele von wahrhaft heiliger Einfalt, dient meinen Zwecken ebenso sehr oder eigentlich noch mehr als Antonnona, ohne es jedoch selbst zu merken; denn bei Pepita redet er beständig nur von Luis und bei Luis nur von Pepita. Auf diese Weise hat dieser vortreffliche geistliche Herr, der auf jeder Schulter ein halbes Jahrhundert trägt, sich – o Wunder der Liebe und Unschuld! – in eine Brieftaube verwandelt, mit deren Hilfe ohne ihr Wissen die beiden Liebenden sich gegenseitig ihr Lieben und ihr Seufzen übermitteln. Eine solche Vereinigung natürlicher und künstlicher Hilfsmittel muß ein unfehlbares Resultat herbeiführen. Ich werde Dir dasselbe mittheilen, wenn ich Dich zur Hochzeit einlade – denn Du mußt bei der Feier persönlich zugegen sein oder den Brautleuten Deinen Segen nebst einem schönen Hochzeitsgeschenk senden.«

Als Don Pedro seinen Brief zu Ende gelesen, und sich nach seinem Sohne umblickte, sah er, daß dieser ihm mit thränengefüllten Augen zugehört hatte, und Vater und Sohn umarmten sich auf das herzlichste.

*

Gerade einen Monat nach dieser Unterredung und dieser Vorlesung feierten Don Luis de Vargas und Pepita Jimenez ihre Hochzeit.

Da der Herr Dechant befürchtete, sein Bruder möchte sich über den Mysticismus Luisito's zu sehr lustig machen, und da er außerdem einsah, daß die Rolle, welche er in dem Dorfe zu spielen habe, nicht sehr glänzend sein würde, – denn sicherlich zogen ihn alle auf wegen seiner Geschicklichkeit, Heilige zu erziehen – entschuldigte er sich mit seinen vielen Beschäftigungen und zog es vor, nicht zu kommen; doch sandte er außer seinem Segen als Geschenk für Pepita Ringe und ein prachtvolles Geschmeide.

Auf diese Weise hatte der Padre Vikar die Freude, das junge Paar zu trauen.

Die Braut erschien allen in ihrem Hochzeitsstaat über alle Beschreibung schön.

Am Abend gab Don Pedro einen großartigen Ball im Hofe seines Hauses und den anstoßenden Sälen. Diener und Herren, Edelleute und Bauern, alle Damen und Dämchen und jungen Mädchen des Dorfes waren anwesend und nahmen an dem Feste theil, – wie in dem märchenhaften ersten Zeitalter der Welt, das man, ich weiß nicht warum, das goldene nennt. Vier geschickte – oder wenn nicht geschickte so doch unermüdliche – Guitarrenspieler spielten den Fandango. Ein Zigeuner und eine Zigeunerin, wackere Sänger, sangen die zärtlichsten und für eine solche Festlichkeit geeigneten Liebeslieder. Und der Dorfschulmeister trug ein im heroischen Versmaß geschriebenes Hochzeitsgedicht vor.

Für die gewöhnlichen Gäste gab es Kuchen, Back- und Zuckerwerk, Torten und Wein, soviel sie trinken wollten. Die Herrschaften wurden mit Zuckerwasser, Chokolade, Pomeranzenblütenhonig, Königshonig und verschiedenen aromatischen, sehr feinen Erfrischungen regalirt.

Don Pedro war wie neugeboren; witzig, galant und übersprudelnd von Lebenslust. Das, was er in seinem Briefe an den Dechanten von Rheumatismus und anderen derartigen Unannehmlichkeiten geschrieben, schien gar nicht wahr zu sein. Er tanzte mit Pepita, mit seinen schönsten Dienstmädchen und sechs oder sieben anderen jungen Mädchen den Fandango. Eine jede erhielt, wenn sie müde war und er sie auf ihren Platz zurückführte, die vorgeschriebene Umarmung, die ziemlich stürmisch ausfiel, und diejenigen, welche etwas schelmisch dreinschauten, kniff er in die Wangen, obgleich das nicht im Ceremoniell vorgeschrieben war. Don Pedro trieb seine Galanterie bis aufs äußerste – er forderte nämlich Donna Casilda zum Tanz auf, welche, da sie den Antrag nicht abschlagen konnte, bei ihren hundert Kilogramm Gewicht und der Julihitze aus jeder Pore einen Strom von Schweiß vergoß. Schließlich ließ Don Pedro Currido so springen und so oft die Gesundheit des jungen Paares trinken, daß ihn schließlich der Müller Dientes, sinnlos betrunken, wie er war, auf einer Karre, wie ein Weinfaß nach Hause schaffen mußte, damit er seinen Rausch ausschlafe.

Der Ball dauerte bis drei Uhr Morgens; allein das Brautpaar verschwand in discreter Weise schon vor elf Uhr und begab sich nach Pepita's Hause. Jetzt trat Don Luis bei hellem Lichte und mit Pomp und Majestät, und als Herr und geliebter Gebieter in jenes schöne Schlafgemach, in welches er vor einem Monat voll Verwirrung und Angst im Dunkeln gedrungen war.

Obgleich im Dorfe die niemals außer Acht gelassene Sitte herrschte, jedem Witwer oder jeder Witwe, die sich zum zweitenmal verheirathet, in der ersten Nacht eine Serenade mit Feuerzangen, Schaufeln und Kochtöpfen zu bringen, so waren doch Don Pedro so geehrt, und Pepita und Don Luis so beliebt, daß man von einem solchen Vergnügen Abstand nahm und in dieser Nacht nicht den geringsten Mißton zu hören bekam; ein seltener Fall, der als solcher in den Annalen des Dorfes aufgezeichnet worden ist.


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