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I. Briefe meines Vetters

22. März.

Geliebter Onkel und verehrter Lehrer!

Vor vier Tagen bin ich glücklich hier in meinem Geburtsort angelangt, wo ich meinen Vater, den Herrn Vikar und Freunde und Verwandte bei bester Gesundheit getroffen. Die Freude, sie nach so vielen Jahren der Abwesenheit wiederzusehen, wieder mit ihnen sprechen zu können, hat meinen Geist abgelenkt und meine Zeit so sehr in Anspruch genommen, daß ich erst heute dazu komme, Ihnen zu schreiben.

Ich bitte mir das zu Gute zu halten.

Da ich als kleiner Knabe meine Heimat verließ und nun als Mann hierher zurückkehre, so machen alle Gegenstände, die ich noch in der Erinnerung bewahrt habe, einen eigenthümlichen Eindruck auf mich. Alles scheint mir kleiner, viel kleiner, aber auch weit lieblicher, als ich es in der Erinnerung hatte.

Das Haus meines Vaters, das in meiner Phantasie von ungeheuerem Umfange war, ist ohne Zweifel für einen reichen Landmann ein großes Gebäude, aber doch viel kleiner als das Seminar. Was ich jetzt besser begreife und zu würdigen weiß, das sind Feld und Flur. Namentlich die Gärten sind herrlich. Welch schöne Pfade! Auf der einen Seite, ja manchmal auf beiden fließt mit lieblichem Gemurmel kristallklares Wasser. Die Ufer der Bäche sind mit duftigem Grase und tausenderlei Blumen bedeckt, so daß ich in einem Augenblick einen großen Veilchenstrauß zu pflücken vermag. Nuß-, Feigen- und andere Bäume beschatten diese Pfade, während die Maulbeeren, die Rosen, die Granatäpfel und die Gaisblattrauken sich zu Hecken ineinanderschlingen.

Wunderbar ist die Menge der Spatzen, welche diese Felder und Gebüsche beleben.

Die Gärten setzten mich geradezu in Entzücken, und alle Nachmittage verbringe ich mehrere Stunden in denselben.

Mein Vater wollte mir seine Oliven und Weingärten sowie seine Kellereien zeigen; aber bis jetzt habe ich noch nichts gesehen. Ich bin aus dem Dorfe und den herrlichen Gärten, die es umgeben, noch nicht herausgekommen; übrigens lassen mir die vielen Besuche, die ich erhalte, auch keine Zeit.

Alle nennen mich Luisito oder Don Pedros Knaben, obgleich ich bereits volle zweiundzwanzig Jahre zähle. Alle erkundigen sich bei meinem Vater nach dem »Kinde«, wenn ich nicht zugegen bin. Es will mir scheinen, als hätte ich mir ganz unnützerweise Bücher zum Lesen mitgebracht, da mir die Leute keinen Augenblick Zeit lassen.

Die Würde eines Cacique,Eine Art Schulze oder Schultheiß. die mir anfangs komisch vorkam, ist etwas sehr Ernstes. Mein Vater ist der Cacique des Dorfes.

Hier begreift fast niemand meine sogenannte »Manie«, Geistlicher zu werden; und diese guten Leute sagen mir mit ländlicher Aufrichtigkeit, ich solle den Seminarrock in die Ecke werfen, das Geistlichsein sei gut genug für die Armen; ich aber, der Sohn eines reichen Mannes, müßte mir ein Weibchen nehmen und meinem Vater seine alten Tage verschönern, indem ich ihm ein halbes Dutzend hübscher kräftiger Enkel schenke.

Um mir und meinem Vater zu schmeicheln, behaupten Männlein und Weiblein, ich sei ein hübscher, kluger Jüngling, ich gleiche einem Engel, habe schelmische Augen, – und was dergleichen Albernheiten mehr sind, die mich betrüben, mich anwidern und beschämen, obgleich ich gar nicht schüchtern bin und die Erbärmlichkeiten und Narreteien dieses Lebens schon genügend kenne, um mich über nichts mehr zu ärgern und zu entsetzen.

Der einzige Fehler, den sie an mir finden, besteht darin, daß ich von dem vielen Studiren sehr mager geworden bin. Damit ich wieder dick und fett werde, wollen sie mich, so lange ich hier bin, nicht studiren, ja nicht einmal ein Buch zur Hand nehmen lassen, wogegen ich all die Leckerbissen kosten soll, welche hier im Dorfe Küche und Keller zu bieten vermögen. Kurz sie wollen mich mästen. Es giebt hier keine einzige Familie, die mir nicht irgend etwas geschickt hätte. Dieser hat mir eine Bisquittorte, jener einen Käse, ein dritter eine Pyramide aus Mandelteig, ein vierter Obstpasteten geschickt.

Die Aufmerksamkeiten, welche mir die Leute erweisen, bestehen aber nicht blos in diesen mir ins Haus gesandten Geschenken, nein, drei oder vier der angesehensten Personen des Dorfes haben mich auch zum Essen eingeladen.

Morgen speise ich im Hause der berühmten Pepita Jimenez, von der Sie sicherlich schon gehört haben. Hier weiß jedermann, daß mein Vater sich um ihre Hand bewirbt.

Dieser ist trotz seiner fünfundfünfzig Jahre noch so ansehnlich, daß er den Neid der flottesten Burschen im Dorfe erregt. Zudem besitzt er die mächtige, für manche Frauen so unentbehrliche Anziehungskraft seiner früheren Eroberungen und seines Ruhmes, eine Art Don Juan gewesen zu sein.

Ich kenne Pepita Jimenez noch nicht. Alle behaupten, sie sei sehr schön. Ich vermuthe, es wird wohl eine etwas ländliche, bäurische Schönheit sein. Aus dem, was man von ihr erzählt, vermag ich noch nicht den Schluß zu ziehen, ob sie in moralischer Hinsicht gut oder schlecht ist; aber jedenfalls ist sie sehr natürlich. Pepita dürfte etwa zwanzig Jahre zählen; sie ist Witwe; sie ist nur drei Jahre verheiratet gewesen. Sie ist eine Tochter der Donna Francisca Galvez, – Sie wissen doch: der Witwe jenes pensionirten Hauptmanns,

Der nichts ihr hinterließ,
Als seinen blanken Ehrenspieß,

wie der Dichter sagt. Bis zu ihrem vollendeten sechzehnten Jahre lebte Pepita mit ihrer Mutter in der größten Bedrängnis, ja in förmlicher Noth.

Sie hatte einen Oheim, Don Gumersindo, Inhaber eines jener erbärmlichen kleinen Majorate, welche in älteren Zeiten die Leute zu der lächerlichsten Eitelkeit verleiteten. Jede andere Menschenkinder hätten bei einem Einkommen, wie es dieses winzige Majorat abwarf, in fortwährender Verlegenheit gelebt, sich mit Schulden überhäuft und darauf verzichten müssen, sich den Glanz und das äußere Ansehen zu wahren, wie es sich für einen Majoratsherrn schickt; aber Don Gumersindo war ein ganz eigenthümlicher Mensch – ein wahres Spargenie. Man konnte nicht sagen, daß er Reichthümer schaffte, aber er besaß in hohem Grade die Eigenschaft, anderen ihr Vermögen zu entziehen; und was die Verwendung betrifft, so wäre es schwer, auf der ganzen Erde einen Menschen zu finden, dessen Erhaltung und Pflege und Wohlbefinden der Mutter Natur und der menschlichen Gewerbethätigkeit weniger Mühe gemacht hätten; man weiß nicht wie er lebte; aber es ist Thatsache, daß er bis zu seinem achtzigsten Jahre seine Zinsen unverkürzt zurücklegte und sein Capital durch sehr sichere Darlehen anwachsen ließ. Niemand hier im Ort nannte ihn Wucherer, ja man betrachtete ihn sogar als einen wohlthätigen Mann, da er in allem, sogar im Wucher mäßig war, sich nicht mehr als zehn Procent jährlich zahlen ließ, während man sonst in der ganzen Gegend zwanzig, ja sogar dreißig Procent nimmt und dies noch für wenig hält.

Bei diesem Verhalten, bei dieser Betriebsamkeit, bei diesem Bestreben, sein Vermögen stets zu vermehren, es niemals kleiner werden zu lassen, – ohne sich den Luxus zu gestatten, zu heirathen und Kinder zu haben, ja auch nur zu rauchen – gelangte Don Gumersindo in den Besitz eines Vermögens, das ohne Zweifel überall als sehr bedeutend gegolten hätte, hier aber als ungeheuer betrachtet wurde, Dank der Armuth der hiesigen Bewohner und der den Andalusiern eigenthümlichen Neigung zur Uebertreibung.

Uebrigens flößte Don Gumersindo auch als Greis keinerlei Widerwillen ein, da er große Sorgfalt auf sein Aeußeres verwendete.

Seine sehr einfachen Kleider waren zwar etwas abgetragen, aber man bemerkte nicht das geringste Fleckchen daran, sie waren immer sauber gebürstet; und doch trug er seit undenklichen Zeiten denselben Mantel, dieselbe Jacke, dieselben Beinkleider, dieselben Schuhe.

Manchmal fragten sich die Leute, ob denn jemals einer Don Gumersindo in andern Kleidern gesehen habe.

Trotz all dieser Fehler, welche hier wie an vielen anderen Orten als Tugenden, wenn auch als übertriebene Tugenden betrachtet wurden, besaß Gumersindo vortreffliche Eigenschaften; er war leutselig, dienstwillig, mitleidig und hätte sich viertheilen lassen, um anderen nützlich zu sein und wenn ihm das noch so viel Arbeit, Mühe und Unruhe – jedoch keinen einzigen Real Geld – gekostet hätte. Heiteren Sinnes und ein Freund von Scherz und Vergnügungen betheiligte er sich an allen Festlichkeiten und heiteren Vereinigungen, wenn es nichts kostete, und erheiterte die anderen durch seine angenehme Unterhaltung und seine witzigen, wenn auch wenig klassischen Einfälle. Niemals hatte er eine verliebte Neigung für irgend eine Frau gehabt; aber in unschuldiger Weise scherzte er mit allen. Er war in den Augen der Mädchen der eleganteste, scherzhafteste Alte, der auf zehn Meilen in der Runde zu finden war.

Ich sagte bereits, daß er Pepita's Onkel war. Als er nahe an den Achtzigern war, vollendete sie ihr sechzehntes Jahr. Er war wohlhabend, sie arm und verlassen. Ihre Mutter war eine gewöhnliche Frau von kurzem Verstande und groben Empfindungen. Ihre Tochter vergötterte sie; aber fortwährend jammerte sie mit der größten Bitterkeit über die Opfer, die sie ihr bringen müsse, über die Entbehrungen, die sie sich ihretwegen auferlege; über die freudlosen alten Tage und über den traurigen Tod, dem sie bei solcher Armuth entgegensehe. Sie hatte außerdem einen Sohn, der älter war als Pepita; dieser war das schlechteste Subject des Dorfes, Spieler und Raufbold gewesen, und um ihn loszuwerden, hatte man ihn über das Meer geschickt und ihm eine kleine Anstellung in der Habana verschafft. Allein nach einigen Jahren hatte er wegen schlechten Betragens seine Stelle in der Habana wieder verloren und so belästigte er seine Mutter beständig mit Briefen, in welchen er Geld verlangte. Die Mutter, welche für sich und Pepita kaum genug zu leben hatte, war in Verzweiflung, wüthete, fluchte mit wenig evangelischer Geduld auf sich und ihr Geschick, und baute ihre ganze Hoffnung auf eine gute Versorgung ihrer Tochter, um auf diese Weise aus ihrer Bedrängnis befreit zu werden.

Während dieser kümmerlichen Lage pflegte Gumersindo das Haus der Pepita und ihrer Mutter zu besuchen und mit größerem Eifer und weit mehr Ausdauer, als es sonst seine Art war, bei Pepita den Eleganten zu spielen. Aber die Annahme, daß ein Mann, der bereits die Achtzig überschritten, ohne jemals ans Heirathen gedacht zu haben, eine solche Thorheit begehen würde, da er bereits mit einem Fuße im Grabe stand, war so unwahrscheinlich und abgeschmackt, daß weder Pepita's Mutter noch viel weniger Pepita selbst jemals eine Ahnung hatten von dem in der That sehr kühnen Gedanken des Don Gumersindo. Und so kam es, daß beide eines schönen Tages ganz erstaunt, ja wie angewurzelt dastanden, als Don Gumersindo unter allerlei theils scherzhaften, theils ernsthaften Umschweifen urplötzlich mit der größten Feierlichkeit folgende kategorische Frage an Pepita richtete:

»Mädchen, willst du mich heirathen?«

Obgleich diese Frage unmittelbar nach allerlei Scherzen gestellt wurde und deshalb sehr leicht ebenfalls als Scherz gelten konnte und Pepita in weltlichen Dingen ganz unerfahren war, so ahnte sie doch kraft jenes hellsehenden Instinktes, der allen Frauen, namentlich aber allen Mädchen eigen ist, möge sie noch so unschuldig sein, daß es sich hier um eine ernste Frage handelte, und so wurde sie roth wie eine Kirsche und vermochte nicht zu antworten.

Aber die Mutter antwortete statt ihrer:

»Mein Kind, sei doch nicht so unhöflich; antworte deinem Oheim wie es sich ziemt: Oheim, von Herzen gern, wenn Ihr wollt!«

Diese Worte: »Oheim, von Herzen gern, wenn Ihr wollt« wurden denn auch der Mutter nachgesprochen und später verschiedene Male wiederholt, – sie kamen fast mechanisch über Pepita's bebende Lippen; sie fügte sich nur den Ermahnungen, den Ueberredungen, den Klagen, ja dem unbedingten Befehl der Mutter.

Ich sehe, ich werde zu weitschweifig, indem ich Ihnen von dieser Pepita und ihrer Geschichte erzähle; aber sie interessirt mich und ich glaube, sie wird auch Sie interessiren, denn wie man mir hier allgemein versichert, wird sie Ihre Schwägerin und meine Stiefmutter werden. Allein ich werde mich bemühen, nicht zu lange bei Einzelheiten zu verweilen und über Dinge, die Sie vielleicht schon wissen, wenn Sie auch schon seit vielen Jahren nicht mehr hier gewesen, in aller Kürze zu berichten.

Pepita ward Don Gumersindo's Weib. Der Neid machte sich in den Tagen vor der Hochzeit und noch verschiedene Monate nach derselben in jeder Weise gegen sie Luft.

Und in der That, der moralische Werth dieser Ehe ist sehr anfechtbar; erwägt man jedoch, daß das Mädchen sich nur den Bitten, den Klagen, ja sogar den Befehlen der Mutter fügte, – daß sie dieser ihrer Mutter durch ihre Heirath ein sorgenfreies Alter sicherte und ihren Bruder vor Schimpf und Schande bewahrte, indem sie sein Schutzengel, seine Vorsehung wurde, so muß man gestehen, daß sie auf eine mildere Beurtheilung Anspruch erheben darf.

Andererseits – wie vermöchte man in das Innerste des Herzens, in die verborgensten Falten der jugendlichen Seele eines Mädchens zu schauen, das vielleicht in Unkenntnis aller weltlichen Dinge aufgewachsen? Wie kann man wissen, welche Vorstellung sie sich von der Ehe gebildet hatte? Vielleicht glaubte sie, indem sie diesen alten Mann heirathe, widme sie ihm nur ihr Leben als seine Pflegerin, seine Krankenwärterin, um ihm die letzten Jahre zu versüßen, damit er nicht einsam und verlassen von bloßen Söldnerhänden bedient werde, – kurz um ihm seine letzten Tage mit ihrer Schönheit und Jugend gleichsam wie ein Engel, der Menschengestalt angenommen, zu verschönern und zu verklären.

Wenn die Jungfrau dies alles oder auch nur etwas davon dachte und in ihrer Unschuld in andere Geheimnisse nicht hineindrang, so darf man annehmen, daß sie sich dem Greis einzig und allein aus Herzensgüte vermählte.

Wie dem auch sei – und diese psychologische Untersuchung, die ich, da ich Pepita Jimenez nicht kenne, eigentlich nicht machen darf, bei Seite gelassen – so viel ist sicher, daß sie drei Jahre hindurch mit dem Greis ein ruhiges friedliches Leben führte, – daß der Greis glücklicher denn je schien, – daß sie ihn mit bewundernswerther Sorgfalt hegte und pflegte, – und daß sie während seiner letzten schweren Krankheit mit unermüdlichem zärtlichem Eifer bei ihm wachte, bis er in ihren Armen starb und sie als Erbin seines Vermögens zurückließ.

Obgleich bereits mehr als zwei Jahre verflossen, seitdem sie ihre Mutter verloren, und mehr als anderthalb Jahre, seitdem sie Witwe geworden, so trägt Pepita doch immer noch Trauer. Ihr Wesen, ihr zurückgezogenes Leben und ihre Melancholie sind derart, daß man glauben sollte, sie beweine in ihrem verstorbenen Gatten einen schönen Jüngling. Vielleicht aber meint oder muthmaßt dieser oder jener, Pepita's Stolz und die erst später erlangte sichere Erkenntnis von den wenig poetischen Mitteln, wodurch sie reich geworden, peinigten ihr zartes, ungewöhnlich skrupulöses Gewissen und sie suchte, beschämt in ihren eigenen Augen wie in denjenigen anderer Menschen, Trost und Heilung für ihre Seelenwunde.

Hier, wie fast überall, legen die Leute einen großen Werth auf das Geld. Allein es ist wohl nicht richtig, wenn ich sage wie überall: in den volkreichen Städten, in den großen Centren der Civilisation giebt es noch andere Auszeichnungen, nach denen man ebenso sehr oder noch eifriger als nach dem Gelds strebt, weil sie uns die Wege ebnen und zu Ruhm und Ansehen in der Welt verhelfen; allein in kleinen Orten, wo weder literarischer oder wissenschaftlicher Ruhm, noch die Eleganz der Mode, noch die feinen liebenswürdigen Umgangsformen geschätzt oder auch nur verstanden werden, giebt es keine anderen Merkmale für die gesellschaftlichen Unterschiede als der größere oder geringere Besitz von Geld und Geldeswerth.

Und darum wird Pepita, welche nicht blos reich, sondern auch schön ist, und, wie alle behaupten, von ihrem Reichthum einen guten Gebrauch macht, schon jetzt im höchsten Grade geachtet und geehrt. Nicht blos aus unserm Dorf, sondern auch aus allen umliegenden sind die angesehensten jungen Männer herbeigeeilt, um ihr glänzende Heirathsanträge zu machen. Allein wie es scheint, hat sie alle abgewiesen und zwar in der zartesten, feinsten Weise, um sich niemanden zum Feinde zu machen; und so nimmt man an, daß ihre Seele von der glühendsten Frömmigkeit erfüllt sei und daß sie sich beständig mit dem Gedanken trage, ihr ganzes Leben der Ausübung guter, Gott wohlgefälliger Werke zu weihen.

Wie man hier sagt, hat es mein Vater in ihrer Gunst nicht weiter gebracht als die anderen Freier; doch ist Pepita, um nicht wider den Spruch zu verstoßen, daß man den Höflichen und Tapferen nicht zurückweisen dürfe, gar sehr beflissen, ihm die offenste, herzlichste und uneigennützigste Freundschaft zu bezeigen. Sie überbietet ihm gegenüber sich in ehrerbietigen Aufmerksamkeiten; und jedes Mal, wenn mein Vater ihr von Liebe zu sprechen versucht, weist sie ihn geschickt in seine Schranken zurück, indem sie ihm in der liebenswürdigsten Weise eine Rede hält, ihm seine ehemaligen Verirrungen in die Erinnerung zurückruft und ihn von der Welt und ihren Eitelkeiten abzulenken sucht.

Ich muß Ihnen gestehen, ich empfinde eine gewisse Neugier in Bezug auf diese Frau: ich möchte diejenige kennen lernen, von der ich schon so viel gehört habe. Ich glaube nicht, daß meiner Neugier etwas Eiteles oder Sündhaftes zu Grunde liege; ich selbst denke ja so wie Pepita; ich selbst wünsche, daß mein Vater in seinem vorgerückten Alter einen besseren Lebenswandel führe, die Aufregungen und Leidenschaften seiner Jugend vergesse und zu einem ruhigen, glücklichen, geehrten Alter gelange. Nur in einer Beziehung weiche ich von Pepita's Anschauungen ab: ich bin der Ansicht, daß mein Vater weit eher dieses Ziel erreichen mag, wenn er eine würdige, gute, ihn liebende Frau heirathet, als wenn er unvermählt bleibt. Eben aus diesem Grunde wünsche ich Pepita kennen zu lernen, um zu sehen, ob sie vielleicht diese Frau sein könnte, wobei mir allerdings – und dabei ist vielleicht ein gewisser Familienstolz mit im Spiel – die Körbe, welche die erwähnte junge Witwe bereits ausgetheilt hat, wenn auch in noch so liebenswürdiger Weise, ein wenig peinlich sind.

Hätte ich einen anderen Stand gewählt, so würde es mir freilich lieber sein, mein Vater vermählte sich nicht wieder. Ich erbte dann als einziger Sohn all seinen Reichthum und würde, wie bereits angedeutet, hier im Dorfe die angesehenste Persönlichkeit werden; allein Sie wissen, wie fest ich bei meinem Entschluß beharre, Geistlicher zu werden.

Obgleich unwürdig, fühle ich mich doch zu dem Priesterstande berufen, und die Güter dieser Erde haben in meinen Augen nur geringen Werth. Wenn mir jugendlicher Ungestüm und die Gewalt der Leidenschaften, wie sie meinem Alter eigenthümlich, nicht ganz fremd sind, so sollen sie doch zur Quelle einer werkthätigen, fruchtbringenden christlichen Liebe werden. Sogar die vielen Bücher, die Sie mir zum Lesen gegeben und meine Kenntnis der Geschichte und der alten Culturen der Völker Asiens haben in mir nicht blos eine wissenschaftliche Neugier, sondern auch den Wunsch angeregt, den Glauben zu verbreiten, und so fühle ich mich angestachelt als Missionar nach dem fernen Morgenlande zu gehen.

Ich glaube, sobald ich dieses Dorf, nach welchem Sie mich geschickt haben, um hier einige Zeit bei meinem Vater zu verleben, verlassen und die Priesterweihe empfangen habe, – ich glaube, daß ich dann, so unwissend und sündhaft ich auch sein mag, mich durch ein übernatürliches Gnadengeschenk und Dank der besonderen Güte des Allerhöchsten mit der Gewalt begabt weiß, die Sünden zu vergeben, die Völker zu lehren, und daß ich ferner wunderthätigen Segen empfangen habe, mit meinen unreinen Händen den Mensch gewordenen Gott selbst umfangen zu dürfen, – und darum werde ich Spanien verlassen und in ferne Lande gehen, um dort das Evangelium zu predigen.

Nicht irgend welche eitle Regung bewegt mich dazu; ich will nicht über irgend einem Menschen erhaben dastehen. Die Macht meines Glaubens und die Standhaftigkeit, deren ich mich fähig fühle, verdanke ich nächst der Gnade und dem Segen Gottes, der weisen Erziehung, den heiligen Lehren und den guten Beispielen, die Sie, theurer Oheim, mir gegeben haben.

Ich wage es fast nicht, mir selbst ein gewisses Etwas zuzugestehen; allein gegen meinen Willen taucht dieses Etwas, dieser Gedanke, diese schwankende Erscheinung immer von neuem vor meinem Geiste auf, und darum will und muß ich es Ihnen gestehen; es ist mir nicht gestattet, Ihnen irgend etwas zu verheimlichen und wären es meine verborgensten und unwillkürlichsten Gedanken. Sie haben mich gelehrt, das, was in meiner Seele vorgeht, zu untersuchen, dem guten oder bösen Ursprünge meiner Gedanken nachzuforschen, in die verborgensten Falten meines Herzens zu schauen, – kurz die peinlichsten Gewissenserforschungen vorzunehmen.

Ich habe gar oft über die zwei einander gegenüberstehenden Erziehungsmethoden nachgedacht: diejenige, welche darauf abzielt, die Unschuld, d. h. die mit der Unschuld verwechselte Unwissenheit zu bewahren, in dem Glauben, das unbekannte Böse sei leichter zu meiden, als das bekannte, – und jene andere, welche, ohne daß der Schüler erst zu einem reiferen Alter gelangt ist, und ohne auf die zarte Schamhaftigkeit Rücksicht zu nehmen, ihm kühn das Böse in seiner ganzen abschreckenden Häßlichkeit, in seiner ganzen furchtbaren Nacktheit zeigt, auf daß er es verabscheue und meide.

Ich bin der Meinung, man muß das Böse kennen, um besser die unendliche göttliche Güte zu schätzen – dieses ideale, niemals erlangte Ziel all unserer guten Bestrebungen.

Ich weiß es Ihnen herzlich Dank, daß Sie mich, wie die heilige Schrift sagt, mit dem Honig und dem Balsam Ihrer guten Lehren und Unterweisungen nicht blos alles Gute, sondern auch alles Böse kennen gelehrt haben, auf daß ich das eine verwerfe und nach dem anderen mit glühendem Eifer und mit voller Erkenntnis strebe. Ich freue mich, daß ich nicht ganz makellos bin und geraden Wegs nach der Tugend und, soweit dies in menschlicher Macht steht, der Vollkommenheit strebe, wobei ich andererseits aber auch das liebliche leichte, süße, kurz den Blumenteppich nicht außer Acht lasse, der scheinbar den Pfad bedeckt, der zum Verderben und zum ewigen Tode führt.

Noch etwas muß ich mir von Ihnen erbitten: ich meine die strenge, ernste – nicht zärtliche – Nachsicht und Toleranz, welche Sie mir den Fehlern und Sünden der Mitmenschen gegenüber einzuflößen verstanden haben.

Ich sage dies alles, weil ich Ihnen von einer so delicaten, heiklen Sache reden möchte, daß ich kaum weiß, mit welchen Worten ich dieselbe bezeichnen soll. Kurz ich frage mich bisweilen: liegt dieser meiner Absicht wenigstens zum Theil die Beschaffenheit der Beziehungen zu Grunde, welche zwischen meinem Vater und mir bestehen? Habe ich ihm im Innersten meines Herzens sein Benehmen gegen meine arme Mutter, dem Opfer seines Leichtsinns verzeihen können?

Ich forsche mein Herz gründlich aus und finde auch nicht ein Atom von Groll mehr darin. Ganz im Gegentheil, es ist von Dankbarkeit gegen ihn erfüllt. Mein Vater hat mich liebevoll erzogen, er war bestrebt, in mir das Andenken meiner Mutter zu ehren, man möchte sagen, daß er durch seine Liebe, seine Erziehungsweise, seine zärtliche Sorge um mich, als ich klein war, den erzürnten Schatten meiner Mutter zu beschwichtigen suchte – wenn bei ihr, diesem Engel der Güte und Sanftmuth, von Zorn die Rede sein könnte. Ich wiederhole, ich bin von Dankbarkeit gegen meinen Vater erfüllt; und auch das weiß ich ihm Dank, daß er mich im Alter von zehn Jahren zu Ihnen geschickt hat, dem ich alles schulde, was ich bin.

Wenn sich in meinem Herzen irgend welche Anlage zur Tugend birgt, wenn ich Liebe und Neigung zur Wissenschaft besitze, wenn ich nach Gutem und Edlem strebe, so danke ich dies alles nur Ihnen.

Die Zuneigung meines Vaters zu mir ist außerordentlich groß, die Achtung, welche er gegen mich hegt, übersteigt bei weitem mein Verdienst. Vielleicht ist dabei etwas Eitelkeit im Spiel. Die väterliche Liebe hat etwas Egoistisches; sie ist gleichsam eine Fortsetzung des Egoismus. Meinen ganzen Werth – wenn ich überhaupt welchen besitze – betrachtet mein Vater als seine Schöpfung, gleichsam als wäre ich körperlich wie geistig ein Ausfluß seiner Persönlichkeit. Aber immerhin glaube ich, daß er mich liebt und daß in dieser Liebe etwas ist, das von all diesem sündhaften Egoismus unabhängig, – das etwas weit Höheres ist.

Einen großen Trost, eine große Beruhigung gewährt es meinem Gewissen, – und dafür sage ich Gott heißen Dank – wenn ich sehe, daß die Macht des Blutes, jenes geheimnisvolle Band der Natur, das uns vereint, mich anspornt, (ohne jede Rücksicht auf kindliche Pflicht) meinen Vater zu lieben und zu ehren. Schrecklich wäre es, ihn nicht zu lieben, könnte und müßte ich, um ein göttliches Gebot zu erfüllen, mich zur Liebe zwingen. Allein, und darin besteht mein Skrupel, entspringt meine Absicht, Geistlicher oder Mönch zu werden, von dem bedeutenden Vermögen, das mir als Erbe zufällt und das ich schon zu Lebzeiten meines Vaters genießen kann, einzig und allein meiner Verachtung der Dinge dieser Welt, einem wirklichen wahren Berufe für den geistlichen Stand, oder vielmehr dem Stolze, einem geheimen Groll, einem Mißmuth, einem gewissen Etwas in mir, das mich nicht verzeihen läßt, was meine Mutter mit so erhabener Großmuth verziehen? Dieser Zweifel quält und peinigt mich bisweilen; allein ich löse ihn fast immer zu meinen Gunsten, ich glaube, daß ich meinem Vater gegenüber nicht hochmüthig sein kann; ich glaube, ich würde alles annehmen, was er besitzt, wenn ich dessen bedürfte, und ich weiß ihm für das Kleine ebenso freudigen Dank, als wenn ich Vieles aus seiner Hand empfangen hätte.

Leben Sie wohl, Oheim; nächstens will ich Ihnen so eingehend und ausführlich schreiben, wie Sie es mir befohlen haben, wenn auch nicht so ausführlich wie heute, um mich nicht der Weitschweifigkeit schuldig zu machen.

*

28. März.

Ich werde des Lebens hier bereits überdrüssig; mit jedem Tage steigt mein Verlangen, zu Ihnen zurückzukehren, um die heilige Weihe zu empfangen. Doch mein Vater wünscht mich zu begleiten, er möchte bei dieser großen Feierlichkeit zugegen sein und verlangt von mir, daß ich wenigstens noch zwei Monate hier bei ihm bleibe. Er ist so freundlich, so zärtlich gegen mich, daß es mir unmöglich sein würde, ihm nicht in allem seinen Willen zu thun. Ich werde somit noch so lange hier bleiben, als er es wünscht. Um ihm eine Freude zu machen, thue ich mir Gewalt an und gebe mir den Anschein, als fände ich Gefallen an den hiesigen Zerstreuungen, an dem Herumstreifen auf den Feldern, ja sogar an der Jagd – denn überallhin begleite ich ihn.

Ich suche heiterer, fröhlicher zu erscheinen, als ich es von Natur bin. Halb scherzend, halb lobend nennt man mich hier im Dorfe den »Heiligen«, weil ich aus Bescheidenheit den Anschein von Heiligkeit hinter der Tugend des Frohsinns zu verbergen, oder doch abzuschwächen, in menschlicherem Lichte zu zeigen bemüht bin, indem ich eine heitere, anständige Fröhlichkeit zeige, welche weder der Heiligkeit noch den Heiligen jemals unangemessen ist.

Trotzdem muß ich gestehen, daß die hier üblichen Scherze und laute Fröhlichkeit mich ein wenig unangenehm berühren. Ich möchte jedoch nicht als Verleumder auftreten, wenn ich Ihnen dieses in aller Heimlichkeit sage: allein es geht mir manchmal der Gedanke durch den Kopf, daß es wohl ein schwieriges Unternehmen wäre, diesen Leuten hier ein wenig mehr Sitte beizubringen, ihnen das Evangelium zu predigen, – daß es aber vernünftiger und verdienstlicher wäre, als nach Indien, Persien und China zu gehen, daheim so viele Landsleute, wenn auch nicht verloren, so doch verderbt zurücklassend. Werweiß! Einige sagen die modernen Ideen, der Materialismus und der Unglaube seien an allem schuld; aber wenn das der Fall, wenn sie so schlechte Früchte tragen, so muß dies auf seltsame, magische, teuflische Weise geschehen, da hier niemand Bücher liest, weder gute noch schlechte, weshalb ich nicht zu begreifen vermag, wie die Leute durch die falschen Lehren, denen man jetzt gleichsam überall begegnet, verderbt werden können. Liegen denn diese falschen Lehren in der Luft wie die Miasmen einer Epidemie? Oder hat vielleicht – diesen bösen Gedanken theile ich nur Ihnen allein mit – oder hat die Geistlichkeit selbst Schuld daran? Steht sie in Spanien auf der Höhe ihrer Mission? Belehrt sie das Volk, erzieht sie es zu sittlichem Wandel? Sind sämmtliche Mitglieder der Geistlichkeit dazu befähigt? Haben diejenigen, welche sich dem religiösen Leben oder der Seelsorge widmen, wahren Beruf dazu, oder ist der geistliche Stand – wie jeder andere – nur ein Mittel, um den Lebensunterhalt zu gewinnen, mit dem Unterschiede, daß sich heutzutage nur die Bedürftigsten, die Hoffnungs- und Mittellosesten ihm weihen – aus dem einfachen Grunde, weil diese Carrière eine weniger glänzende Zukunft eröffnet als jede andere? Sei dem wie ihm wolle, der Mangel an unterrichteten und tugendhaften Geistlichen stachelt in mir immer mehr das Verlangen, Geistlicher zu werden. Ich möchte nicht, daß die Eigenliebe mich täuschte; aber ich fühle wahren Beruf in mir, alle meine Fehler seh' ich ein und viele davon werde ich mit Gottes Hilfe wohl ablegen.

Vor drei Tagen fand im Hause der Pepita Jimenez das Festessen statt, von dem ich Ihnen sprach. Da diese Frau sehr zurückgezogen lebt, so lernte ich sie erst an diesem Tage kennen: sie erschien mir in der That ganz so freundlich, wie die Fama behauptet, und ich bemerkte, daß sie meinen Vater mit einer Liebenswürdigkeit behandelt, daß er sich einigermaßen zu der Hoffnung berechtigt glaubt – wenigstens wenn man die Dinge im allgemeinen betrachtet – daß sie endlich nachgeben und seine Hand annehmen werde.

Da es also nicht unmöglich ist, daß sie meine Stiefmutter wird, so beobachtete ich sie sehr aufmerksam. Sie scheint mir eine eigenthümliche Frau zu sein – eine Frau, deren moralischer Werth mir noch nicht ganz klar geworden. Sie besitzt eine eigenthümliche Ruhe und Gelassenheit, so daß sie sich vollkommen beherrscht, alles berechnet und wenig oder nichts empfindet; vielleicht hat dies in anderen verborgenen Leidenschaften ihrer Seele seinen Grund – und in der Ruhe ihres Gewissens, in der Reinheit ihrer Bestrebungen und in dem Gedanken, daß sie hier im Leben die Pflichten erfüllt, welche die Gesellschaft ihr auferlegt, dabei ihren Geist auf höhere Hoffnungen als sein Endziel richtend.

Das jedoch ist sicher: mag bei dieser Frau alles Berechnung sein und ihr Geist sich nicht zu höheren Sphären erheben, mag sie die Prosa des Lebens und die Poesie ihrer Träume zu einer vollkommenen Harmonie vereinen – sie hat nichts an sich, was in die Umgebung, in welcher sie sich befindet, einen Mißton brächte; und doch besitzt sie eine natürliche Vornehmheit, welche sie über ihre ganze Umgebung erhebt und von derselben scheidet. Sie kleidet sich weder in affectirter Weise nach ländlicher Art, noch sucht sie die städtischen Moden zu beobachten; sie vereint diese beiden Trachten, so daß sie als eine Dame, wenn auch als eine ländliche Dame erscheint. Wie mir scheint, sucht sie die Sorgfalt, welche sie an ihre Person verwendet, eifrig zu verheimlichen; man bemerkt an ihr weder kosmetische Mittel noch Schminke; allein ihre weißen Hände, die wohlgepflegten sauberen Nägel, kurz die ganze Eleganz und Schönheit ihrer Erscheinung beweisen, daß sie auf diese Dinge mehr Sorge verwendet, als man bei einer Person voraussetzen sollte, die auf einem Dorfe lebt und, wie man behauptet, die Eitelkeit verachten und nur an himmlische Dinge denken soll.

Sie hält ihr Haus außerordentlich sauber und alles in vollkommenster Ordnung. Die Möbel sind weder kunstvoll noch elegant; allein sie haben auch nichts Geschmackloses und Anspruchsvolles. Um ihre Zimmer sowie den Hof und die anderen Gemächer und die Galerien poetisch auszuschmücken, stehen dort eine Menge Blumen und Pflanzen umher. Allerdings hat sie keine seltenen Pflanzen; keine einzige exotische Blume; aber ihre Pflanzen und Blumen, wenn auch von der gewöhnlichsten Art, werden mit ganz außerordentlicher Sorgfalt gepflegt.

Verschiedene Kanarienvögel in vergoldeten Bauern beleben mit ihren Trillern das ganze Haus. Man merkt sofort, daß ihre Herrin lebender Wesen bedarf, denen sie ihre Neigung zuwenden kann. Außer einigen weiblichen Dienstboten, welche sie mit besonderer Vorsicht ausgewählt zu haben scheint – denn es kann nicht bloßer Zufall sein, daß sie alle so freundlich sind – hat sie, wie alte Jungfern, verschiedene Thiere, welche ihr Gesellschaft leisten: einen Papagei, ein Schooshündchen mit langhaarigem sauber gewaschenem Pelz und zwei oder drei Katzen, welche so zahm und zutraulich sind, daß sie ihr auf die Schultern springen.

In einer Ecke des Hauptzimmers befindet sich eine Art Oratorium mit einem Jesuskinde aus geschnitztem Holz, weiß und rosig mit blauen, rundlichen Augen. Es ist mit weißem Atlas und blauem Mantel bekleidet, der ganz mit goldenen Sternchen besetzt ist, während man an dem Jesuskinde überall Flitter und Edelsteine bemerkt. Der kleine Altar, auf welchem der Jesusknabe steht, ist mit Blumen geschmückt und zwischen dem Oleander und den Cameliensträußen brennen auf dem Altar, der kleine Stufen hat, eine Menge Wachskerzen. Als ich dies alles sah, wußte ich nicht, was ich denken sollte; doch bin ich geneigt anzunehmen, daß die Witwe sich selbst über alles liebt und zu ihrem eigenen Vergnügen und um diese Liebe auf irgend einen Gegenstand übertragen zu können sich diese Katzen, Kanarienvögel und Blumen, ja sogar das Jesuskind hält, – daß sie aber im Grunde ihrer Seele vielleicht nicht sehr hoch über ihren Kanarienvögeln und Katzen steht. Es läßt sich nicht läugnen, daß Pepita Jimenez ein gutes Wesen ist: kein einfältiger Scherz, keine unverschämte Frage in Bezug auf meinen Beruf, auf die Weihe, die ich in kurzem empfangen soll, ist über ihre Lippen gekommen. Sie sprach mit mir von den Angelegenheiten hier im Ort, von der Feldarbeit, von der letzten Wein- und Oelernte und den Mitteln, wie die Weincultur zu verbessern sei; und von allem sprach sie mit der natürlichsten Bescheidenheit, ohne daß man ihr das Verlangen ansah, etwa für sehr gescheit zu gelten.

Mein Vater war sehr liebenswürdig gegen sie und die Aufmerksamkeiten, welche er der Dame seines Herzens erwies, wurden, wenn auch nicht mit Liebe, so doch mit Dank angenommen.

Ferner waren noch bei dem Mahl anwesend: der Arzt, der Notar und der Herr Vikar, Pepita's Hausfreund und Seelsorger.

Der Herr Vikar muß eine sehr hohe Meinung von ihr haben, da er mir verschiedene Male unter vier Augen von ihrer Mildthätigkeit, von ihren vielen Almosen und ihrer herzlichen Theilnahme gegen jedermann sprach; kurz er behauptete, sie sei eine Heilige.

Nach dem was der Herr Vikar mir anvertraut, und im Vertrauen auf sein Urtheil kann ich nicht umhin, zu wünschen, daß mein Vater Pepita heirathen möchte. Da mein Vater nicht dazu angelegt ist, Buße zu thun, so wäre dies das einzige Mittel, sein bisher so bewegtes stürmisches Leben zu ändern, auf daß er seine Tage, wenn auch nicht musterhaft, so doch geordnet, ruhig und friedlich beschließe. Als wir Pepita Jimenez' Haus verlassen und wieder heimkehrten, theilte mir mein Vater rückhaltlos seine Absicht mit: Er sagte mir, er sei ein sehr lockerer Mann gewesen, er habe ein sehr schlimmes Leben geführt und sehe trotz seiner Jahre kein Mittel sich zu bessern, wenn diese Frau, die seine Rettung sei, ihn nicht liebe und ihn nicht heirathen wolle.

Da er es bei mir als bekannt voraussetzte, daß er einen Antrag machen und sich wieder vermählen wolle, sprach mir mein Vater auch von geschäftlichen Dingen; er sagte mir, daß er sehr reich sei und mich in seinem Testament sehr gut bedenken würde, selbst wenn er noch andere Kinder bekäme. Ich antwortete ihm, zu den Plänen und Zielen, die ich mir gemacht, sei nur sehr wenig Geld nothwendig, und meine größte Freude würde es sein, ihn mit einer Frau und Kindern glücklich zu wissen, nachdem er seine alten Thorheiten vergessen habe.

Jetzt sprach mir mein Vater sofort von seinen verliebten Hoffnungen und Zielen mit einer Aufrichtigkeit und Lebhaftigkeit, daß man hätte meinen sollen, ich sei der Vater und der Aeltere und er ein Jüngling von meinem Alter. Um mir die Vorzüge seiner Braut und die Schwierigkeiten seines Triumphes in ein helleres Licht zu setzen, schilderte er mir die Verhältnisse und die glänzenden Eigenschaften der fünfzehn bis zwanzig Freier, welche um Pepita geworben und Körbe von ihr erhalten hätten. Was ihn selbst anging, so hatte er, seiner eigenen Aussage zufolge, in einem gewissen Sinne ebenfalls einen Korb erhalten; allein er schmeichelte sich, daß derselbe nicht ein definitiver gewesen sei, da Pepita ihn so sehr auszeichne und ihm eine solche Zuneigung beweise, daß, wenn sie auch noch nicht Liebe sei, doch leicht bei längerem Verkehr und der beharrlichen Verehrung, die er ihr widme, sich in Liebe verwandeln könne. Zudem liege der Grund von Pepita's Zurückhaltung meinem Vater gegenüber in etwas eigenthümlich Phantastischem und Sophistischem, das sich schließlich verlieren müsse. Pepita wolle weder in ein Kloster gehen, noch habe sie Neigung zu einem Büßerleben: Trotz ihrer Zurückgezogenheit und ihres religiösen Lebens ließe sie doch sehr deutlich durchblicken, daß sie an Freude und Vergnügungen Gefallen finde. Die ausnehmende Sorgfalt, welche sie auf ihre Person verwende, lasse auf wenig Vorliebe für das Cölibat schließen. Die Ursache von Pepita's abwehrender Haltung sei, so behauptet mein Vater, ohne Zweifel ihr Stolz – ein zum großen Theil wohlbegründeter Stolz: sie sei von Natur eine feine, vornehme Dame, ein Wesen, dem vermöge seines kräftigen Willens und des klaren Verstandes eine hohe Stellung gebühre, so sehr sie das auch durch ihr bescheidenes Verhalten zu verbergen strebe; wie könnte sie also ihr Herz den Gimpeln schenken, welche bis jetzt um sie herumgeflattert seien? Sie bilde sich ein, ihre Seele sei von mystischer Gottesliebe erfüllt, und nur in Gott finde sie Befriedigung – aber einfach deshalb, weil ihr auf ihrem Lebenspfade kein Sterblicher begegnet sei, der ihr klug und angenehm genug sei, um sie ihr Jesuskind vergessen zu machen.

Mag es auch Unbescheidenheit sein, fügte mein Vater hinzu, ich schmeichle mir, dieser glückliche Sterbliche zu werden.

Das, geliebter Oheim, sind die Beschäftigungen und Zerstreuungen meines Vaters hier im Dorfe, – die für mich so seltsamen, meinen Plänen und Gedanken so fremden Dinge, von welchen er mir häufig spricht und über welche er mein Urtheil zu hören wünscht.

Es scheint, daß Ihre außerordentliche Nachsicht mit mir hier meinen Ruf als verständiger Manu verbreitet hat: ich gelte hier förmlich als ein Born des Wissens; alle tragen mir ihre Sorgen vor und bitten mich, ihnen den Weg zu zeigen, den sie einschlagen müßten. Selbst der wackere Herr Vikar, obgleich er damit nichts von dem Beichtgeheimnis offenbart, befragte mich über verschiedene Gewissensfragen, welche ihm im Beichtstuhl vorgelegt wurden.

Einer dieser Fälle, welche der Herr Vikar mir mitgetheilt – wie alle anderen selbstverständlich unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit und ohne mir den Namen der betreffenden Person zu nennen – hat meine besondere Aufmerksamkeit erregt.

Der Herr Vikar erzählte mir, eins seiner Beichtkinder, ein junges Mädchen, hege Gewissensskrupel, weil es sich mit unwiderstehlicher Macht zu einem einsamen beschaulichen Leben hingezogen fühle; aber manchmal befürchte sie, dieser fromme Eifer entspringe nicht wahrer Demuth, sondern werde zum Theil just vom Hochmuthsteufel gestachelt.

Gott über alles lieben, ihn im Innersten der Seele, wo er wohnt, suchen, sich von allen Leidenschaften und irdischen Neigungen läutern, um sich mit ihm zu vereinen, sind gewiß fromme Bestrebungen und gute Vorsätze; allein der Skrupel besteht im Wissen, in dem Grübeln darüber, ob sie in maßloser Eigenliebe ihren Grund haben oder nicht. Vielleicht, so scheint das Beichtkind zu denken, entstehen sie dadurch, daß ich, obgleich unwürdig und sündhaft, mir einbilde, meine Seele habe einen höheren Werth als die meiner Mitmenschen; die innere Schönheit meines Geistes und meines Willens werde durch die Berührung mit den Menschen, die ich kenne und meiner nicht würdig erachte, gestört und getrübt. Ich liebe Gott – nicht unendlich, über alles, sondern nur etwas mehr als die Wenigen, welche ich kenne, verachte und verschmähe, welche mein Herz nicht auszufüllen vermögen. Wenn meine fromme Gesinnung darin ihren Grund hat, so haften an ihr zwei große Fehler: erstens ist sie nicht aus reiner Gottesliebe, die voll Demuth und Barmherzigkeit, sondern dem Stolze entsprungen; und zweitens ist diese fromme Gesinnung nicht stark und fest, sondern auf Luft erbaut, – denn wer wagt zu behaupten, seine Seele gehe auf in der Liebe zu seinem Schöpfer, wenn er ihn nicht unendlicher liebt? Doch giebt es auch kein geschaffenes Wesen, das ich meiner ganzen Liebe würdig erachte.

Ueber diese Gewissensfrage, die für eine Landbewohnerin sehr fein und subtil ist, fragte mich der Herr Vikar um meinen Rath. Ich wollte nichts sagen und entschuldigte mich, indem ich mich auf meine Unerfahrenheit und meine Jugend berief; aber der Herr Vikar drängte so hartnäckig in mich, daß ich nicht umhin konnte, mich über die Frage auszulassen. Ich sagte – und es würde mich sehr freuen, wenn Sie meine Ansicht billigten – für dieses vom Gewissen gequälte Beichtkind sei es die Hauptsache, daß es die es umgebenden Menschen mit größerem Wohlwollen betrachte, und statt ihre Fehler aufs eingehendste zu untersuchen und mit der Brille der Kritik zu betrachten, sie mit dem Mantel der Liebe bedecken und alle ihre guten Eigenschaften erspähen solle, um sie zu lieben und zu achten; die Dame müsse sich bemühen, in jedem menschlichen Wesen einen der Liebe würdigen Gegenstand, einen wirklichen Mitmenschen – mit einem Wort, ihres Gleichen zu erblicken, in dessen Seele ein Schatz von vorzüglichen Eigenschaften und Tugenden ruhe, kurz ein Wesen, das nach Gottes Ebenbilde geschaffen sei. Wenn wir auf solche Weise die uns umgebenden Geschöpfe erheben, lieben und achten als das, was sie sind, oder auch als noch mehr, wenn wir bemüht sind, uns in nichts höher zu achten, vor allem aber das Innerste unseres Gewissens zu ergründen trachten, um unsere eigenen Fehler und Sünden zu entdecken und so eine heilige Demuth und Geringschätzung unserer selbst uns aneignen – dann wird unser Herz von Menschenliebe erfüllt werden und Menschen und Dinge nicht verachten, sondern schätzen und lieben lernen; und wenn dann auf diesem Fundament die göttliche Liebe fest begründet ist mit unbesiegbarer Kraft, dann brauchen wir nicht zu befürchten, diese Liebe sei aus übertriebener Selbstschätzung, aus Stolz oder ungerechter Verachtung des Nächsten entsprungen, sondern aus reiner Betrachtung der unendlichen Schönheit und des Guten hervorgegangen.

Wenn, wie ich vermuthe, Pepita Jimenez diejenige ist, welche den Herrn Vikar über ihre Zweifel und Bedrängnisse um Rath gefragt hat, so scheint es mir, daß mein Vater sich nicht mehr schmeicheln kann, sehr geliebt zu sein; wenn jedoch der Herr Vikar ihr meinen Rath mittheilen und sie denselben annehmen und im praktischen Leben befolgen sollte, so könnte sie wohl eine Maria Agreda oder etwas Aehnliches werden, oder, was noch wahrscheinlicher, alles mystische Wesen und Grübeln aufgeben und sich damit begnügen, die Hand und das Herz meines Vaters anzunehmen, der in keiner Beziehung unter ihr steht.

*

4. April.

Ich beginne der Einförmigkeit meines Lebens in diesem Dorfe ganz überdrüssig zu werden; nicht als ob mein Leben an anderen Orten in körperlicher Beziehung ein thätigeres gewesen wäre, ganz im Gegentheil, ich gehe und reite hier viel spazieren, begebe mich aufs Feld und besuche meinem Vater zu Gefallen die geselligen Zusammenkünfte, kurz ich komme aus meiner Sphäre und meinen Gewohnheiten ganz heraus.

Mein geistiges Leben jedoch ist gleich null; ich lese kein einziges Buch, kaum daß man mir einen Augenblick Zeit gönnt, um ruhig nachzudenken und Betrachtungen anzustellen; und da der Zauber meines Lebens in diesen Betrachtungen, in diesem Sinnen besteht, so erscheint mir mein jetziges Leben sehr einförmig. Dank der Geduld jedoch, welche Sie mir für alle Fälle empfohlen haben, vermag ich es zu ertragen.

Ein anderer Grund dafür, daß mein Gemüth gegenwärtig ganz ruhig ist, ist der Wunsch, den ich mit jedem Tage lebhafter empfinde, in den Stand zu treten, zu welchen ich mich seit Jahren ganz besonders hingezogen fühle. Mir ist, als sei es eine Entheiligung, meinen Geist jetzt, da ich der Verwirklichung jenes beständigen Traumes so nahe bin, auf andere Dinge zu lenken. Dieser Gedanke quält mich so sehr und beschäftigt mich derart, daß meine Bewunderung für die Schönheit der geschaffenen Dinge, für den in diesen reinen Frühlingsnächten und in dieser Gegend Andalusiens so mit Sternen besäeten Himmel, für diese lachenden, jetzt mit grüner Saat bedeckten Fluren, und für diese frischen, schönen Gärten mit den schlanken, schattigen Pappelhainen, mit den sanft murmelnden klaren Bächen, und den heimlichen Plätzchen, mit den zahlreichen musicirenden Spatzen und mit den Blumen und wohlriechenden Pflanzen: daß, sage ich, meine Bewunderung und Begeisterung, welche mir zu anderer Zeit ganz mit der religiösen Empfindung, die meine Seele erfüllte, zu harmoniren schien und sie veredelte und noch steigerte, statt sie herabzudrücken – heut erscheint mir das als eine sündhafte Zerstreuung, als ein unverzeihliches Vergessen des Ewigen gegenüber dem Zeitlichen, des Unerschaffenen, Übersinnlichen gegenüber dem Sinnlichen und Erschaffenen.

Obgleich ich in der Tugend nur geringe Fortschritte gemacht habe, obgleich mein Geist von Phantasten der Einbildungskraft niemals frei ist, obgleich mein Gemüth nicht unempfänglich ist gegen äußere Eindrücke, und obgleich ich unfähig bin, mich mit Hilfe der Willenskraft auf die einfache Erkenntnis, auf das rein Geistige zu beschränken, um dort die des Bildes und der Form entkleidete göttliche Wahrheit und Güte zu schauen, so versichere ich Ihnen doch, daß ich mich fürchte, aus der Welt der Einbildungen herauszutreten, wie es einem rein physischen und noch so wenig erprobten Manne wie mir eigen ist.

Aber auch das einfache vernünftige Grübeln flößt mir Besorgnis, ein. Ich möchte keine Betrachtungen anstellen, um Gott zu erkennen, noch Gründe der Liebe hervorsuchen, um ihn zu lieben. Ich möchte mich wie im Fluge zu der Betrachtung seines innersten Wesens aufschwingen. Wer giebt mir Schwingen gleich der Taube, um mich hinaufzuheben in den Schoos dessen, den meine Seele liebt? Aber welches sind denn meine Verdienste und worin bestehen sie? Wo sind die Bußübungen, das anhaltende Gebet und die Fasten? Was, o Gott, habe ich gethan, daß du mir deine Gunst zuwenden solltest? Ich weiß sehr wohl, daß die Gottlosen der jetzigen Zeit ohne irgend welchen Grund unsere heilige Religion anklagen, sie lehre die Seelen, alle Dinge der Welt zu verabscheuen, die Natur zu mißachten, ja sie vielleicht gar zu fürchten, als sei ihr etwas Teuflisches eigen, um dann alle ihre Liebe, alle ihre Neigung auf das zu concentriren, was sie die ungeheuerliche Selbstsucht der göttlichen Liebe nennen, da sie wähnen, die Seele liebe sich selbst, indem sie Gott liebe.

Ich weiß sehr wohl, daß es nicht so ist, daß dies nicht die wahre Liebe ist; daß die göttliche Liebe zugleich Menschenliebe und daß Gott lieben, Alles lieben heißt, weil Alles in Gott ist und Gott auf unerklärliche und erhabene Weise in Allem lebt und webt. Ich weiß sehr wohl, daß ich keine Sünde begehe, wenn ich die Dinge um der Liebe zu Gott willen liebe, das heißt, richtiger: um ihrer selbst willen; denn was sind sie anderes als die Offenbarung, das Werk der Liebe Gottes? Und dennoch weiß ich nicht, welche seltsame Furcht, welcher eigenthümliche Skrupel, welche kaum merklichen und unerklärlichen Gewissensbisse mich jetzt quälen, wenn, wie in den alten Tagen meiner Jugend, ja, wie in meiner Kindheit, ein Ausbruch von Rührung, ein gewisses Entzücken der Begeisterung mich erfaßt, so oft ich unter einem schattigen Laubgang lustwandele, im Schweigen der Nacht den Schlag der Nachtigall vernehme, dem Zwitschern der Schwalben lausche, das verliebte Girren der Tauben höre und Blumen und Sterne betrachte. Bisweilen bilde ich mir ein, in Allem liege ein sinniger Reiz, ein Etwas, das mich wenigstens auf einen Augenblick höhere Bestrebungen vergessen mache. Ich will nicht, daß in mir der Geist wider das Fleisch sündige; aber ich will auch nicht, daß die Schönheit der Materie und ihre Reize, mögen sie noch so feiner, zarter, ätherischer Art sein, mögen wir sie auch mehr durch den Geist als durch den Körper in uns aufnehmen – dies leise Lispeln der mit den frischen Düften der Felder erfüllten Luft, gleich dem frischen Gesang der Vögel, gleich dem majestätischen ruhigen Schweigen der Nacht, in diesen Gärten mich abziehen von der Betrachtung höherer Schönheit und auch nicht für einen Augenblick meine Liebe zu demjenigen, der dieses harmonische Weltgebäude erschaffen, erkalten lassen.

Ich verhehle mir nicht, daß diese materiellen Dinge den Lettern eines Buches gleichen; sie sind wie die Zeichen und Charaktere, in welche der aufmerksam auf die Lectüre gerichtete Geist einen tiefen Sinn zu ergründen und die Schönheit Gottes zu lesen und zu entdecken vermag.

In diese Unterscheidung versenke ich mich zuweilen, um meine Skrupel zu bannen, denn ich sage mir: liebe ich die Schönheit der irdischen Dinge als das was sie sind, so liebt man sie zu sehr, zu abgöttisch; ich muß sie lieben als ein Zeichen, als eine Darstellung einer verborgenen göttlichen Schönheit, die tausend Mal mehr Werth ist und unendlich über allem erhaben dasteht.

Vor einigen Tagen habe ich mein zweiundzwanzigstes Jahr vollendet. Bis jetzt ist mein religiöser Eifer derart gewesen, daß ich keine andere Liebe empfunden habe als die makellose Liebe zu Gott und seiner heiligen Religion, welche ich zu verbreiten suche, und welche ich in allem triumphiren sehen möchte. Ich bekenne, daß sich etwas Weltliches in diese reine Empfindung gemischt hat. Sie wissen es, und ich sage es Ihnen tausend Mal; indem Sie mich mit der Ihnen eigenen Nachsicht ansahen, antworteten Sie mir, der Mensch sei kein Engel, und schon das Streben nach einer solchen Vollkommenheit sei falsch; ich müsse diese Empfindung mäßigen, ohne sie jedoch ganz zu ersticken.

Die Liebe zur Wissenschaft, die Liebe zu dem eigenen durch die Wissenschaft selbst erworbenen Ruhm, ja sogar eine günstige Meinung von sich selbst – dies Alles, mit Mäßigung empfunden, verschleiert und gedämpft durch christliche Demuth, enthalte ohne Zweifel etwas Selbstsüchtiges; aber es könne als Sporn zu besseren edleren Bestrebungen dienen.

Nun ist der Skrupel, der mich heut peinigt, nicht ein Skrupel des Hochmuths, – als hätte ich ein zu starkes Vertrauen zu mir selbst, als verlangte ich nach weltlichem Ruhm, oder als strebte ich nach Wissenschaft, – es ist nichts von alledem, nichts was mit der Selbstsucht in Verbindung stünde, sondern im gewissen Sinne das Gegentheil. Ich empfinde eine Schlaffheit, eine Erlahmung, ein Nachlassen des Willens, eine sehr große Neigung zum Weinen; wie leicht vergieße ich Thränen der Rührung, wenn ich ein schönes Blümchen erblicke, oder den geheimnisvollen, zarten Strahl eines fernen Sternes betrachte, – ja, so leicht weine ich, daß mir fast Angst darum wird.

Sagen Sie mir, was Sie von alledem denken; und ob in dieser Gemüthsstimmung etwas Krankhaftes liegt.

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8. April.

Die Ausflüge aufs Feld, an denen ich mich wider Willen betheiligen muß, finden immer noch statt.

Ich habe meinen Vater bei der Besichtigung seiner Ländereien begleitet, und er und seine Freunde zeigen sich erstaunt, daß ich in landwirthschaftlichen Dingen nicht ganz und gar unwissend bin. Es scheint, daß in ihren Augen das Studium der Theologie, dem ich mich gewidmet, die Kenntnis aller anderen natürlichen Dinge ausschließt. Wie haben sie meine Gelehrsamkeit bewundert, als sie mich in den Weinbergen, in welchen die Knospen kaum sich zu entfalten beginnen, die Weinreben des Pedro Jimenez von denen des Don Bueno zu unterscheiden wußte. Wie haben sie mich ferner angestaunt, daß ich bei der jungen Saat die Gerste nicht mit dem Weizen und den Anis nicht mit den Bohnen verwechselte, daß ich viel Obst- und Laubbäume kenne und auch von den Kräutern, welche auf den Feldern wachsen, verschiedene mit Namen nennen und ihre Eigenschaften und Vorzüge angeben kann.

Pepita Jimenez, die von meinem Vater erfahren hat, wie sehr mir die Gärten hier gefallen, hat mich eingeladen einen ihren Gärten, den sie in geringer Entfernung von unserem Dorfe besitzt, zu besuchen, um dort die ersten frühen Erdbeeren zu essen, welche darin wachsen.

Dieser Eifer Pepita's, meinem Vater, der um sie wirbt und den sie nicht erhört, eine Höflichkeit zu erweisen, schien mir eigentlich eine Art Koketterie, die tadelnswerth sei; allein als ich dann Pepita sah und sie so natürlich, so freimüthig und einfach fand, verging mir dieser schlechte Gedanke und jetzt bin ich der Ansicht, daß sie alles in der aufrichtigsten Weise thut, daß sie keine andere Absicht dabei hat als die gute Freundschaft, welche sie mit unserer Familie vereint, zu erhalten.

Wie dem auch sein mag: vorgestern besuchten wir am Nachmittag Pepita's Garten. Er ist sehr schön gelegen, an der prachtvollsten malerischsten Stelle, welche sich denken läßt. Der Bach, der in tausend Wasseradern vertheilt fast alle diese Gärten berieselt, fließt neben demjenigen hin, den wir besuchten. Es bildet der Bach dort ein Wehr, aus welchem das zur Berieselung abfließende Wasser sich in ein tiefes Becken ergießt, dessen beide Ufer mit Weiß- und Schwarzpappeln, Weiden, blühenden Lorbeerbäumen und anderen laubreichen Baumarten besetzt sind.

Die Cascade mit ihrem klaren durchsichtigen Wasser fließt schäumend durch die Tiefe und setzt dann ihren gewundenen Lauf fort durch einen von der Natur selbst gebildeten Canal, dessen Ufer tausend Kräuter und Bäume schmücken und die sich gerade jetzt mit einer unzähligen Menge Veilchen bedeckt haben. Der im Hintergrunde aufsteigende Theil des Gartens ist ganz mit Nuß-, Feigen-, und anderen Bäumen besetzt, während der ebene Theil in Bete abgetheilt ist, auf welchen Erdbeeren, Tomaten, Früchte und Gemüse gezogen werden; nur eine kleine Abtheilung ist für die Blumen bestimmt, welche in den hier vorkommenden Arten in großer Fülle wachsen. Namentlich giebt es hier sehr viele Rosen und zwar von allen möglichen Arten. Das Gärtnerhaus ist schöner und sauberer als man sie in der hiesigen Gegend zu finden gewohnt ist und neben demselben befindet sich ein anderes kleines Gebäude, das für den Besitzer des Gartens bereit gehalten wird; und in diesem Gebäude bewirthete uns Pepita mit einem glänzenden Abendessen, zu welchem die Erdbeeren den Vorwand gegeben: sie seien es in erster Linie gewesen, daß sie uns hierher geführt. Die Menge der Erdbeeren war für die frühe Jahreszeit ganz erstaunlich groß und sie wurden uns mit Milch servirt – denn Pepita besitzt auch Ziegen. An diesem Ausfluge betheiligten sich auch der Arzt, der Notar, meine Tante, Donna Casilda, mein Vater und ich; übrigens fehlte auch der unvermeidliche Herr Vikar nicht, Pepita's geistlicher Vater, – ja noch mehr als das, ihr beständiger Lobredner.

Ein etwas sybaritisches Raffinement war es, daß weder der Gärtner noch seine Frau, noch irgend ein sonstiges ländliches Wesen uns bediente, sondern zwei hübsche Mädchen, Dienerinnen oder vielmehr Vertraute Pepita's. Ihre Costüme waren zwar von ländlichem Schnitt, aber von außerordentlicher Schönheit und Eleganz. Sie trugen buntfarbige, kurze, enganschließende Kattunröcke, ihre Schultern bedeckten seidene Tücher und das unbedeckte glänzende schwarze dichte Haar war in schweren Flechten zu einem hammerförmigen Knoten zusammengenommen und nach vorn in Locken mit Nadeln geordnet, welche man hier Caracoles nennt. Auf dem Haarknoten trug jedes der Mädchen einen frischen Rosenzweig. Abgesehen von der schwarzen Farbe und dem reicheren Stoff war Pepita ebenso ländlich costumirt. Ihr wollenes Kleid hatte denselben Schnitt wie das ihrer Wienerinnen, und wenn es auch nicht sehr kurz war, so wurde es doch nicht unanständiger Weise durch den Straßenstaub gezogen. Ein bescheidenes Tuch von schwarzer Seide bedeckte ihr ebenfalls nach der hier herrschenden ländlichen Sitte Schultern und Busen, und auf dem Haupte hatte sie weder Haube, noch Blumen, noch Juwelen, sondern weiter keinen Schmuck als ihr eigenes blondes Haar. Das einzige Besondere an Pepita, worin sie von der ländlichen Sitte abwich, war, daß sie Handschuhe trug. Man merkt, daß sie auf ihre weißen zarten Hände mit den glänzenden rosigen Nägeln eine Sorgfalt verwendet, die vielleicht nicht frei von Eitelkeit ist; allein diese Eitelkeit läßt sich wohl durch die menschliche Schwäche entschuldigen; und übrigens wenn ich mich nicht sehr irre, so glaube ich, daß die heilige Theresa in ihrer Jugend dieselbe Eitelkeit besaß, was sie jedoch nicht hinderte später eine große Heilige zu werden.

Und in der That, ich vermag mir diese sündhafte Eitelkeit, obgleich ich sie nicht entschuldige, sehr wohl zu erklären. Es ist so vornehm, so aristokratisch, eine schöne Hand zu haben! Manchmal bilde ich mir sogar ein, es liege darin etwas Symbolisches. Die Hand ist das Instrument unserer Thätigkeit, das Zeichen unseres Adels, das Mittel, durch welches der Geist seine künstlerischen Gedanken in Formen kleidet, und den Schöpfungen seines Willens Leben verleiht und die Herrschaft ausübt, die Gott dem Menschen über alle Creaturen gegeben hat.

Die rauhe, nervige, starke, bisweilen auch schwielige Hand des Landmanns und des Arbeiters beweist in edeler Weise diese Herrschaft, doch nur den rauheren mechanischen Theil derselben. Dagegen sind die Hände dieser Pepita, die fast durchsichtig scheinen wie Alabaster, von einem so rosigen Hauche, daß man das reine, feine Blut, das ihren Adern eine bläuliche Farbe verleiht, rollen zu sehen glaubt, – diese Hände, sage ich, diese Hände mit den schlanken schön geformten Fingern, scheinen das Symbol einer magischen Kraft zu sein, jener geheimnisvollen Herrschaft, welche der menschliche Geist ohne materiellen Kraftaufwand über alle sichtbaren unmittelbar von Gott geschaffenen Dinge ausübt, welche Gott mittels des Menschen immer wieder vervollkommnet. Es scheint mir unmöglich, daß wer Hände hat wie Pepita, eines unreinen Gedankens, einer gemeinen Empfindung, einer niedrigen Absicht fähig sei, da dieselbe in Widerspruch ständen mit den reinen Händen, welche sie ausführen müßten.

Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß mein Vater wie immer sich sehr in Pepita verliebt zeigte, während sie zwar liebenswürdig und freundlich gegen ihn war, aber ihre Freundlichkeit schien mir doch mehr eine kindliche, als eine solche zu sein, wie mein Vater sie sich wünscht. Das jedenfalls ist sicher, mein Vater behandelt, trotzdem er im Rufe steht in der Regel wenig achtungsvoll sich gegen die Frauen zu verhalten, diese mit einem Respect und einem Anstand, daß selbst Amadis gegen seine Dame Oriana zur Zeit der größten Verschämtheit ihrer Liebe keine größere Ehrerbietung zur Schau getragen haben kann; nicht ein unpassendes Wort, nicht ein ungehöriger Einfall, nicht ein verliebter Scherz von jener Art, wie sie die Andalusier sich so oft erlauben. Kaum daß er es wagt Pepita zu sagen, sie habe schöne Augen; und das ist die Wahrheit, denn sie hat große grüne Augen wie die Circe; und was ihnen noch mehr Werth verleiht, ist, daß es scheint, als wisse sie das nicht, da sie nicht die geringste Absicht zeigt, zu gefallen, oder jemand mit ihren süßen Blicken anzulocken.

Offenbar glaubt sie, die Augen seien dazu da, um damit zu sehen, zu weiter nichts. Das gerade Gegentheil von dem, was, wie ich gehört habe, der größte Theil der jungen schönen Frauen meint, die aus ihren Augen eine Kriegswaffe, einen elektrischen blitzenden Apparat machen, um Herzen zu besiegen und gefangen zu nehmen. Wahrlich, dazu gebraucht Pepita ihre Augen nicht; aus ihnen strahlt eine himmlische Reinheit und Ruhe. Und doch könnte man sagen, sie schauten einen mit kalter Gleichgiltigkeit an; aber nein, sie sind voll Liebe und Sanftmuth. Sie richten sich freundlich auf einen Lichtstrahl, eine Blume, ja sogar auf irgend einen leblosen Gegenstand; aber noch liebevoller, zärtlicher und wohlwollender richten sie sich auf den Mitmenschen, ohne daß dieser, so jung und keck und selbstbewußt er auch sein mag, es wagt etwas Anderes in diesen sanften Blicken zu sehen, als reine Nächstenliebe oder höchstens freundschaftliche Vorliebe.

Manchmal denke ich darüber nach, wenn dies Alles studirt wäre; wenn diese Pepita eine große Komödiantin wäre. Aber dann wäre die Täuschung so vollendet, und die Komödie so geschickt gespielt, daß ich Alles für Natur halten würde. Die Natur selbst dient diesen Augen als Leiterin und Führerin.

Ohne Zweifel hat Pepita zuerst ihre Mutter geliebt und dann in Folge der Umstände aus Pflichtgefühl ihre Liebe auf Don Gumersindo als ihren Lebensgefährten übertragen; und darum erlosch ohne Zweifel alle Leidenschaft in ihr, welche ihr irgend ein irdischer Gegenstand einflößen konnte, und sie liebt Gott, und alle Dinge aus Liebe zu Gott, und somit befindet sie sich in einem friedlichen, ja beneidenswerthen Gemütszustande, an welchem vielleicht nur das zu tadeln ist, daß es ein Egoismus ist, über den sie sich selbst keine Rechenschaft giebt. Es ist sehr bequem in dieser sanften Weise zu lieben, ohne sich mit der Liebe zu quälen; keine Leidenschaft haben, die man bekämpfen muß; aus der Liebe und Zuneigung zu den Mitmenschen einen Anhang, eine Ergänzung zur eigenen Liebe zu machen.

Bisweilen frage ich mich selbst, ob ich, wenn ich in meinem Inneren Pepita wegen dieser Anschauungsweise tadele, ich mich nicht selbst tadeln müsse. Was weiß ich von dem was in der Seele dieser Frau vorgeht, um sie tadeln zu können? Vielleicht schaue ich, während ich in ihre Seele zu blicken meine, in meine eigene Seele! Ich habe nie eine Leidenschaft zu besiegen oder zu bekämpfen gehabt: alle meine so wohl geordneten Neigungen, alle meine Triebe, die guten und die bösen, richten sich Dank Ihren weisen Lehren, ohne einem Hindernis zu begegnen, geraden Wegs auf dasselbe Ziel; und erreiche ich dieses, so werden nicht blos meine edelen selbstlosen Wünsche sondern auch meine egoistischen Wünsche, meine Liebe zum Ruhm, mein Wissensdrang, mein Verlangen fremde Länder zu sehen, meine Begierde mir Ruhm und einen bedeutenden Namen zu erwerben, befriedigt. Dies Alles wird mir zu Theil, wenn ich das Ende der unternommenen Laufbahn erreiche. Von diesem Standpunkt aus gesehen, komme ich mir manchmal tadelnswerther vor als Pepita, selbst wenn eine Rüge nicht unverdient sein sollte.

Ich habe bereits die niederen Weihen empfangen; ich habe aus meiner Seele die Eitelkeit der Welt gebannt; mein Haupt zeigt die Tonsur; ich habe mich dem Altar geweiht und dennoch bietet sich mir eine ehrgeizige Zukunft und mit Vergnügen sehe ich, daß ich sie zu erreichen vermag, und ich gefalle mir darin, meine zur Erreichung dieses Zieles nothwendigen Fähigkeiten auszubilden, während ich zugleich die Bescheidenheit zu Hilfe rufe, damit ich nicht ein zu großes Vertrauen auf meine Kräfte setze.

Diese Frau dagegen – wonach strebt sie, was wünscht sie sich? Ich mache es ihr zum Vorwurf, daß sie mit zu großer Sorgfalt ihre Hände pflegt; daß sie vielleicht mit Wohlgefallen ihre Schönheit betrachtet; ja ich mache ihr fast ihre Schönheit, die Anmuth, mit der sie sich kleidet, ja sogar diese Art von Koketterie zum Vorwurf, welche just in dieser Bescheidenheit und Einfachheit liegt, mit der sie sich kleidet. Nun denn – soll die Tugend sich etwa vernachlässigen? Muß die Heiligkeit im Schmutz gehen? Darf eine reine, makellose Seele sich nicht auch eines reinen Körpers freuen?

Dieses Uebelwollen, mit welchem ich Pepita's Vorzüge und Anmuth betrachte, ist gar seltsam! Hat es vielleicht darin seinen Grund, daß sie meine Stiefmutter werden soll? Aber wenn sie meine Stiefmutter nicht werden will! Wenn sie meinen Vater nicht liebt! Es ist wahr, die Frauen haben einen wunderlichen Sinn; wer weiß, ob sie im Grunde ihres Herzens sich nicht schon geneigt fühlt, meinen Vater zu lieben und sich mit ihm zu vermählen und mit Rücksicht auf den Spruch, was viel Werth ist, kostet auch viel, sich vorgenommen hat – verzeihen Sie mir dieses Wort – ihn zuvor mit ihrer spröden Haltung mürbe zu machen, sich ihn zu unterjochen, die Standhaftigkeit seiner Neigung auf die Probe zu stellen, um dann schließlich gelassen ihr »Ja« zu geben. Nun wir wollen sehen.

Jedenfalls war das Gartenfest sehr unterhaltend; man sprach von Blumen, Früchten, Pfropfreisern, Pflanzen und tausend anderen auf die Landwirthschaft bezüglichen Dingen, wobei Pepita ihre agronomischen Kenntnisse im Gespräch mit meinem Vater, mit mir und dem Herrn Vikar glänzen ließ. Dieser Letztere sitzt stets mit offenem Munde da, so oft Pepita ein Wort spricht und schwört, während seiner sechszig und einiger Jahre auf seinen weiten Wanderungen, auf denen er fast ganz Andalusien durchstreift hat, niemals eine Frau kennen gelernt zu haben, welche so gescheidt, so unterrichtet und verständig gewesen, wie Pepita.

Als wir von einem dieser Ausflüge zurückkehrten, drang ich wieder in meinen Vater, mich doch zu Ihnen, theurer Oheim, zurückzusenden, damit endlich der ersehnte Augenblick nahe, da ich mich in den Priesterstand erhoben sehen kann. Aber mein Vater ist so glücklich darüber, daß er mich in seiner Nähe hat, und es gefällt ihm so herrlich hier im Dorfe, wo er seine Besitzungen bewirthschaften und sein vielseitiges Amt als Schultheiß verwalten kann, wo er Pepita verehrt und bei Allem wie seine Nymphe Egeria um Rath fragt, daß er noch stets einen stichhaltigen Vorwand gefunden, um mich hier zurückzuhalten und wahrscheinlich noch einige Monate hindurch finden wird. Jetzt muß er den Wein – ich weiß nicht wie viele Tonnen – klären; dann muß derselbe in andere Tonnen umgefüllt werden; bald gilt es die Weinstöcke zu beschneiden oder die Olivengärten umzuackern oder die Wurzeln der Oelbäume zu lockern, – kurz er hält mich hier wider meinen Willen zurück und doch sollte ich nicht sagen wider meinen Willen, denn es macht mir viel Freude mit meinem Vater, der so gut gegen mich ist, zusammenzuleben.

Das Schlimmste dabei ist nur, daß ich befürchte, bei einem solchen Leben mir zu materialistische Anschauungen anzueignen: mir ist, als empfände ich eine gewisse Trockenheit während des Gebets; mein religiöser Eifer läßt nach; das gewöhnliche Leben übt mehr und mehr seinen Einfluß auf mich und dringt immer tiefer in mein innerstes Wesen ein. Wenn ich bete, ziehen mich leicht Zerstreuungen ab; bei meinen einsamen Betrachtungen, wenn die Seele sich zu Gott erheben soll, vermag ich mich nicht mehr so ausschließlich in mich selbst zu versenken, wie ehedem, dagegen gewinnt die Weichheit meines Herzens, das sich nicht auf einen würdigen Gegenstand richtet und sich nicht mit dem befaßt und in dem aufgeht, mit dem es sich beschäftigen sollte, bisweilen die Oberhand und läßt sich zu Dingen herab, die sehr kindischer Art sind, die mir lächerlich erscheinen und deren ich mich schämen muß. Wenn ich tief im Schweigen der Nacht erwache und irgend einen verliebten Jüngling vom Lande zu den Tönen seiner verstimmten Guitarre eine Strophe des Fandango oder ein sonstiges Gejodel singen höre – das weder besonders geistreich, noch poetisch, noch zartfühlend ist – dann werde ich so gerührt, als vernehme ich die herrlichsten Himmelsmelodien.

Manchmal bemächtigt sich meiner ein einfältiges krankhaftes Mitleid. Als vor einigen Tagen die Söhne unseres Verwalters ein Spatzennest ausnahmen und ich die kleinen noch nackten Thierchen erblickte, welche auf so gewaltsame Weise von ihrer liebenden Mutter getrennt waren, da erfaßte mich ein unendlich banges Gefühl und – ich muß es offen bekennen – die Thränen stürzten mir aus den Augen. Einige Tage zuvor brachte ein Bauer ein kleines Kalb vom Felde, das sich ein Bein gebrochen hatte; er brachte es zum Schlächter und kam dann zu meinem Vater, um ihn zu fragen, ob er etwas davon für seinen Tisch haben wolle: mein Vater nahm einige Pfund, den Kopf und die Beine. Ich wurde beim Anblick des Kalbes ganz gerührt und stand im Begriff, es dem Manne ganz abzukaufen und zu sehen, ob es sich nicht kuriren und am Leben erhalten lasse – allein die Scham verhinderte mich mein Vorhaben auszuführen.

Nun, geliebter Oheim, man muß das große Zutrauen haben, das ich wirklich zu Ihnen hege, um eben diese Proben verirrter, unbestimmter Empfindsamkeit zu erzählen und Ihnen so zu beweisen, daß ich zu meinem früheren Leben, zu meinen Studien, meinen geistlichen Betrachtungen zurückkehren muß, um endlich Geistlicher zu werden, um dem Feuer, das meine Seele verzehrt, diejenige gute Nahrung zu geben, welche es erheischt.

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14. April.

Noch immer führe ich dasselbe Leben, noch immer werde ich durch meines Vaters Bitten zurückgehalten.

Abgesehen von der Freude, mich hier bei meinem Vater zu befinden, macht es mir ein ganz besonderes Vergnügen, mich mit dem Herrn Vikar unterhalten zu können, mit dem ich oft lange, einsame Spaziergänge unternehme. Es scheint mir fast unmöglich, daß ein Mann von seinem Alter – denn er muß bereits nahe an den Achtzigern sein – ein so kräftiger gewandter Fußgänger sein kann. Ich war eher müde als er; und es giebt keine einsame Hütte, kein einsames Dorf, noch einen steilen Berggipfel hier in der Nähe, die wir nicht aufgesucht hätten.

Der Herr Vikar versöhnt mich fast vollständig wieder mit der spanischen Geistlichkeit, über welche ich mich in meinen Gesprächen mit Ihnen manchmal nicht sehr schmeichelhaft ausgesprochen habe, indem ich sie der Unwissenheit anklagte. Um wie viel besser, sage ich mir oft, ist dieser Mann mit seiner unbegrenzten Aufrichtigkeit und seinem Willen, mit seiner Liebe und Unschuld als so viele Andere, welche viele Bücher gelesen haben und in deren Herzen das Feuer der Liebe nicht so kräftig brennt, als in dem seinen, in welchem es sich mit dem aufrichtigsten, reichsten Glauben paart!

Glauben Sie ja nicht, der Herr Vikar sei ein ganz gewöhnlicher Kopf: sein Geist ist nicht sehr gebildet, aber wachsam und klar. Manchmal bilde ich mir ein, diese Meinung, die ich von ihm habe, rühre von der Aufmerksamkeit her, mit welcher er mir zuhört; aber wenn es nicht so ist, scheint es mir, daß er alles mit bemerkenswerthem Scharfsinne auffasse und die Liebe zu unserer heiligen Religion mit hoher Achtung vor all den guten Dingen zu vereinen wisse, welche die moderne Cultur uns bietet. Vor Allem bin ich entzückt über die Einfachheit, die Nüchternheit gegenüber allen übertriebenen Beweisen von Empfindsamkeit, kurz die Natürlichkeit, mit welcher der Herr Vikar die schwierigsten Werke der Barmherzigkeit übt. Es giebt kein Unglück, für das er nicht ein Heilmittel wüßte, keinen Unglücklichen, den er nicht tröstete, keinen Gedemüthigten, den er nicht zu erheben bemüht wäre, keine Armuth, welcher er nicht Trost und Hilfe spendete.

Bei alledem hat er, das darf ich nicht vergessen, einen mächtigen Bundesgenossen an Pepita Jimenez, deren Frömmigkeit und mitfühlendes Herz er stets in die Wolken erhebt.

Diese Art von Verehrung, welche der Vikar Pepita widmet, geht aufs Innigste Hand in Hand mit der Ausübung von tausend guten Werken, wie dem Almosengeben, dem Gebet, der praktischen Religion und Unterstützung der Armen und Nothleidenden. Pepita giebt nicht blos den Armen, sondern auch zu allen möglichen Kirchenfesten. Wenn die Altäre der Dorfgemeinde manchmal mit den schönsten Blumen geschmückt sind, so verdankt man diese Blumen der Freigebigkeit Pepita's, die sie aus ihrem Garten hat pflücken lassen, und wenn die schmerzensreiche Mutter Gottes statt des alten, abgenutzten und schadhaften Mantels jetzt ein prachtvolles Gewand aus schwarzem Sammet mit Silberstickerei trägt, hat wiederum Pepita die Kosten getragen.

Diese und andere gute und edele Werke werden von dem Vikar in einem fort gelobt und gepriesen. So kommt es, daß, wenn ich nicht von meinen Plänen, meinem Beruf, meinen Studien rede – was alles dem Herrn Vikar ein ganz besonderes Vergnügen macht, so daß er gleichsam an meinen Lippen hängt – und er das Wort führt und ich den Zuhörer mache, die Unterhaltung nach allerlei Umwegen stets wieder auf Pepita Jimenez kommt. Und wovon sollte der Herr Vikar denn schließlich auch reden? Sein Verkehr mit dem Arzt, dem Apotheker, den reichen Bauern hier am Ort vermag dem Gespräch nur einen sehr dürftigen Unterhaltungsstoff zu liefern.

Da der Herr Vikar die bei einem Provinzbewohner sehr seltene Eigenschaft besitzt, kein Freund von Klatschereien und Ohrenbläsereien zu sein, so bleibt ihm eben nichts anderes übrig, als von dieser Frau zu sprechen, die er so häufig besucht, und mit welcher er, wie man behauptet, höchst vertrauliche Gespräche führt.

Ich weiß nicht, welche Bücher Pepita Jimenez liest, oder wie es mit ihren Kenntnissen bestellt ist; aber nach dem zu urtheilen, was der Herr Vikar mir erzählt, scheint es, daß sie einen unruhigen, grübelnden Geist hat, der sich mit tausend Fragen und Problemen beschäftigt, über die er Klarheit haben, die er sich lösen möchte, – und darum legt sie dieselben dem Herrn Vikar vor, den sie dadurch in eine komische Verlegenheit setzt.

Dieser ländlich erzogene Mann, dieser Priester der Bösen und der Guten, wie man im gewöhnlichen Leben sich auszudrücken pflegt, hat zwar einen offenen Kopf für jedes Licht der Wahrheit; allein es gebricht ihm an Initiative; und darum öffnen ihm Pepita's Probleme und Fragen neue Horizonte und neue Wege – mögen diese auch nebelhaft und unbestimmt sein – von deren Vorhandensein er nicht einmal eine Ahnung hatte; er wagt es nicht, mit festem Fuß auf diesem Wege zu wandeln; allein ihre geheimnisvolle Schönheit und Neuheit entzücken ihn.

Der Herr Vikar weiß sehr wohl, daß dies etwas sehr Bedenkliches hat und daß er sowohl wie Pepita sich der Gefahr aussetzen unbewußt einer heretischen Ansicht zu verfallen. Doch fühlt er sich nicht beunruhigt; denn ist er auch weit entfernt, ein großer Theologe zu sein, so kann er doch seinen Katechismus am Finger hersagen und zudem baut er sein Vertrauen auf Gott, der ihn erleuchten wird, und er hegt die Hoffnung, daß er nicht auf Irrwege gerathe, und ist fest überzeugt, Pepita werde seine Rathschläge befolgen und niemals vom rechten Wege abweichen.

Und so ersinnen sich die Beiden tausend Poesien über die Geheimnisse unserer Religion und unserer Glaubensartikel, die, wenn auch formlos, doch sehr schön sind. Unendlich groß ist ihre Verehrung für die allerheiligste Gottesmutter, unsere liebe Frau; und ich bin oft ganz erstaunt, wenn ich sehe, wie sie die volksthümliche Darstellung von der Jungfrau Maria mit den erhabensten theologischen Gedanken zu verbinden weiß.

Nach dem zu schließen, was mir der Herr Vikar mittheilt, vermuthe ich, daß Pepita's Herz, trotz ihrer scheinbaren Ruhe und Heiterkeit, an einer heftigen schmerzhaften Wunde leidet; es mag wohl eine reine Liebe bergen, welche ihr früheres Leben geknickt hat. Pepita liebte Don Gumersindo wie einen Freund, wie einen Wohlthäter, – als den Mann, dem sie alles dankte; allein die Erinnerung daran, daß dieser Don Gumersindo ihr Gatte war, peinigt sie, erfüllt sie mit Scham.

In ihrer Verehrung der Jungfrau Maria offenbart sich eine gewisse schmerzhafte Demuth, ein Gram, welchen die Erinnerung an ihre unwürdige und unfruchtbare Ehe in ihrem Geist hervorgerufen.

Selbst in ihre Anbetung des Christuskindes, das auf dem kostbar geschnitzten Bilde, das sie im Hause hat, dargestellt ist, mischt sich diese gegenstandslose Mutterliebe – jene Mutterliebe, welche ihre Empfindungen auf ein Wesen übertragen möchte, das nicht aus Unkeuschheit und Sünde hervorgegangen ist.

Der Herr Vikar sagt, Pepita bete das Christuskind an wie ihren Gott; aber sie liebt es zugleich mit jenen mütterlichen Empfindungen, mit denen sie einen Sohn lieben würde, wenn sie einen hätte und wenn die Geburt eines Kindes nicht etwas gewesen wäre, dessen sie sich hätte schämen müssen. Der Vikar bemerkte, daß Pepita in ihren an die Jungfrau Maria gerichteten Gebeten und während sie den schön geschnitzten Christusknaben schmücke, von einer idealen Mutter und einem idealen Sohne träume, die beide unbefleckt seien.

Ich versichere Ihnen, ich weiß nicht was ich von all diesen Seltsamkeiten halten soll. Ich kenne ja die Frauen so wenig! Was der Herr Vikar mir da von Pepita erzählt, setzt mich in Erstaunen, und wenn ich auch vollkommen überzeugt bin, daß Pepita gut und nicht böse ist, so erfaßt mich doch bisweilen ein gewisser Schrecken um meinen Vater. Trotz seiner fünfundfünfzig Jahre glaube ich, daß er verliebt ist, und Pepita, so gut sie auch ist, mag ohne Ueberlegung und Berechnung ein Werkzeug des bösen Geistes sein, mag ohne Absicht eine instinktive unbesiegbare Koketterie besitzen, die vielleicht noch wirksamer und verhängnisvoller ist als eine Koketterie aus Ueberlegung und Berechnung.

Wer weiß, frage ich mich manchmal, ob nicht trotz der guten Werke Pepita's, ihrer Gebete, ihres frommen zurückgezogenen Lebens, ihrer Almosen und ihrer Geschenke an die Kirche, kurz alles dessen, wodurch sie sich die Zuneigung des Herrn Vikars erworben, – wer weiß, ob nicht trotz alledem ein weltliches Zauberwerk, etwas wie eine diabolische Magie unter diesem glänzenden Aeußeren sich versteckt, mit dem sie sich umgiebt und mittels dessen sie die Aufmerksamkeit dieses unschuldigen Vikars aus sich lenkt und ihn entzückt, ihn förmlich verzaubert, so daß er an niemand mehr denkt, von niemand mehr spricht als von ihr?

Selbst die Macht, welche Pepita auf einen so ungläubigen Mann, wie meinen Vater, auf eine so männliche und wenig sentimentale Natur ausübt, hat in der That etwas höchst Seltsames.

Auch vermögen Pepita's gute Werke noch nicht ganz die Achtung und Liebe zu erklären, welche sie diesen Landleuten im allgemeinen einflößt. Die kleinen Kinder laufen herbei, um sie zu sehen und ihr die Hand zu küssen, so oft sie – was allerdings nur selten geschieht – auf die Straße hinauskommt; die jungen Mädchen lächeln ihr zu und grüßen sie mit der größten Freundlichkeit; die Männer ziehen sammt und sonders den Hut, wenn sie vorübergeht und verneigen sich mit vollständig unwillkürlicher Ehrerbietung und der aufrichtigsten, natürlichsten Sympathie vor ihr.

Pepita Jimenez, welche so viele ihrer Landsleute als kleines Kind gekannt, die sie alle im Elend gesehen, als sie noch mit ihrer Mutter lebte, die sie dann als die Gattin des altersschwachen geizigen Don Gumersindo gekannt, mögen dies alles vergessen. Sie erscheint als ein Wesen, das als Pilgerin aus irgend einem fremden Lande, aus einer höhern lichten Sphäre gekommen und nöthigt alle ihre Landsleute zu liebevoller Anhänglichkeit, zu einer Art schwärmerischer Bewunderung.

Ich sehe, daß ich mich vergesse und in denselben Fehler verfalle, den ich an dem Herrn Vikar tadele – daß ich Ihnen von nichts Anderem rede als von Pepita Jimenez. Allein das ist ganz natürlich. Hier spricht man eben von nichts anderem, man sollte meinen, das ganze Dorf sei von dem Geist, dem Gedanken, dem Bildnis dieser merkwürdigen Frau erfüllt, von der ich immer noch nicht zu sagen vermag, ob sie ein Engel oder eine raffinirte Kokette ist voll instinktiver Verschlagenheit. Ich bediene mich all dieser Ausdrücke, obgleich sie sich einander zu widersprechen scheinen. Nach dem zu urtheilen, was ich selbst sah, bin ich in meinem innersten Gewissen überzeugt, daß diese Frau keine Kokette ist, noch daran denkt, sich die Zuneigung der Menschen zu gewinnen, um ihre Eitelkeit zu befriedigen.

Pepita Jimenez ist ein Wesen voll größter Offenheit und Aufrichtigkeit. Man braucht sie nur zu sehen, um das zu glauben. Ihr würdevoller, gemessener Gang, ihre schlanke Gestalt, ihre reine strahlende Stirn, das sanfte, helle Licht ihrer Blicke, – alles bildet sich zu einem so schönen Ganzen, alles vereint sich zu so vollkommener Harmonie, daß man nicht eine einzige disharmonische Note zu entdecken vermag. Wie bedrückt es mich, daß ich hierher gekommen bin und hier so lange Zeit verbleibe; ich hatte mein Leben in Ihrem Hause und im Seminar verbracht; ich hatte weiter niemand gesehen, mit weiter niemand verkehrt, als mit meinen Mitschülern und Lehrern; die Welt kannte ich nur aus Büchern; und da sehe ich mich mit einem Mal mitten in die Welt hinausgeschleudert – und wenn es auch nur ein Dorf ist – und von meinen Studien, meinen Betrachtungen und Gebeten durch tausend profane Dinge abgelenkt.

*

20. April.

Ihre letzten Briefe, theuerster Oheim, waren meiner Seele ein großer Trost. Wohlwollend wie immer ermahnen und belehren Sie mich mit nützlichen, klugen Winken.

Ja, in der That: meine Heftigkeit ist tadelnswerth. Ich will das Ende erreichen, ohne die Mitte zurückgelegt zu haben; ich will an das Ziel meiner Tagereise gelangen, ohne Schritt für Schritt den steilen Pfad zu wandeln.

Ich beklage mich über die Trockenheit meines Geistes beim Gebet, über Zerstreuung, über die Verschwendung meiner Liebe an kindische Dinge; mich dürstet darnach, zum innigen Verkehr mit Gott, zur wirklichen Anschauung mich emporzuschwingen, und ich mißachte das geistige Gebet, Vernunft und Ueberlegung. Wie kann ich, ohne ganz rein zu sein, ohne das Licht zu schauen, zu dem Genusse der Liebe gelangen?

Ich bin von Stolz und Hochmuth erfüllt, ich muß bestrebt sein, mich in meinen eigenen Augen zu demüthigen, auf daß der Geist des Bösen mich nicht demüthige, von Gott dazu beauftragt – zur Strafe für meine Anmaßung und meinen Stolz.

Trotz alledem glaube ich nicht, wie Sie andeuten, daß mich wirklich im Ernst ein häßlicher, unvorhergesehener Fall bedrohe. Ich setze mein Vertrauen nicht auf mich, sondern auf Gottes Barmherzigkeit und Gnade, und ich hoffe, daß dies nicht geschehe.

Dennoch thun Sie mir nicht Unrecht, indem sie mich vor allzugroßer Freundschaft mit Pepita Jimenez warnen; aber ich bin ja noch weit davon entfernt, mit ihr auf vertraulichem Fuße zu stehen.

Es ist mir sehr wohl bekannt, daß die gottesfürchtigen Männer und Heiligen, welche uns als Muster und Vorbild dienen müssen, schon hoch bejahrt oder sehr erprobt und durch Bußübungen gebrochen waren, wenn sie in ein freundschaftliches und liebevolles Verhältnis zu Frauen traten, oder daß ein bemerkenswerther Unterschied im Alter bestand zwischen ihnen und den frommen Freundinnen, welche sie sich erwählten, wie uns von dem heiligen Hieronymus und der heiligen Paulina, von dem heiligen Johannes vom Kreuze und der heiligen Therese berichtet wird.

Und selbst in diesem Falle, selbst wenn die Liebe rein geistiger Art ist, kann sie, wie ich sehr wohl weiß, in Folge zu großer Heftigkeit sündhaft werden. Denn niemand anders als Gott darf unsere Seele besitzen als ihr Gebieter und Bräutigam, und jedes andre Wesen, dem wir Raum darin gewähren, darf darin nur unter dem Titel eines Freundes oder Dieners oder einer Creatur des himmlischen Bräutigams wohnen.

Glauben Sie darum nicht, daß ich mich der Unbesiegbarkeit rühme, die Gefahr mißachte, sie herausfordere oder gar suche. Wer die Gefahr sucht, kommt darin um. Wenn selbst der königliche Prophet, dessen Herz dem des Herrn glich, und wenn Salomon trotz seiner übernatürlichen Weisheit in Versuchung kamen und sündigten, weil Gott sein Antlitz von ihnen abwandte, – wie sollte ich armer Sünder, ich junger, in den Listen des Teufels noch unerfahrener Mensch, der noch so wenig fest und sicher ist in den Geboten der Tugend, nicht dasselbe zu fürchten haben?

Erfüllt von einer heilsamen Gottesfurcht und voll schuldigen Mißtrauens zu meiner Schwachheit, werde ich Ihre weisen Rathschläge und Ermahnungen nicht vergessen, mit Inbrunst beten und über die göttlichen Dinge nachdenken, um alles, was die Welt Sündhaftes hat, zu verabscheuen; aber ich versichere Ihnen, bis jetzt vermag ich, so sehr ich mich auch in mein Gewissen versenke, so umsichtig ich seine verborgensten Falten erforsche, nichts zu entdecken, was mich das befürchten ließe, vor dem Ihnen bangt.

Wenn in meinen früheren Briefen Lobsprüche über das gute Herz Pepita's enthalten sind, so ist das die Schuld meines Vaters und des Herrn Vikars, nicht die meine; denn anfangs war ich so weit entfernt, gegen diese Frau eine wohlwollende Gesinnung zu hegen, daß ich sogar ein ungerechtes Vorurtheil gegen sie empfand.

Was dann Pepita's körperliche Schönheit und Anmuth angeht, so glauben Sie, daß ich dies alles mit voller Herzensreinheit beobachtet habe, und obgleich es mich schwer ankommt, es zu sagen, und obgleich es Ihnen einen Schmerz bereiten wird, so muß ich Ihnen doch bekennen, daß wenn irgend etwas einen leichten Fleck auf den reinen hellen Spiegel meiner Seele geworfen, der Pepita's Bild widerstrahlt, so ist dies Ihr rauher Verdacht gewesen, der mich für einen Augenblick fast an mir selbst zweifeln ließ.

Aber nein. Was habe ich gedacht, was geschaut, was an Pepita geliebt, wodurch jemand auf den Verdacht kommen könnte, daß ich geneigt wäre, für sie etwas zu empfinden, das nicht Freundschaft und jene unschuldige, lautere Bewunderung sei, die ein Werk der Kunst einflößt, – um wie viel mehr, wenn dies Werk eine Schöpfung des höchsten Kunstmeisters und nichts Geringeres ist als sein Tempel?

Andererseits, geliebter Oheim, muß ich in der Welt leben, mit den Menschen verkehren und sie sehen, – ich kann mir meine Augen doch nicht ausreißen. Tausendmal haben Sie mir gesagt, Sie wünschten mich in dem thätigen Leben zu sehen, das göttliche Gesetz predigend und in der Welt verbreitend, – und ich solle mich nicht in einsamer Abgeschlossenheit einem beschaulichen Leben hingeben. Gut; wenn dem also ist, wie soll ich mich verhalten, um Pepita Jimenez nicht zu begegnen? Wenn ich mich nicht lächerlich machen und in ihrer Gegenwart die Augen nicht verschließen soll, so kann ich nicht umhin, die Schönheit der ihrigen, ihren reinen weißen und zugleich rosigen Teint, die Ebenmäßigkeit und den Schmelz ihrer Zähne zu sehen und zu beachten, ihr Lächeln, die frischen, purpurnen Lippen, ihre reine zarte Stirn und tausend andere Reize, die Gott ihr verliehen, zu bemerken.

Freilich leidet es keinen Zweifel, daß für denjenigen, in dessen Seele der Keim leichtfertiger Gedanken, der Gährungsstoff des Lasters ruht, jeder Eindruck, den Pepita hervorruft, dem Schlage des Eisens auf den Stein gleichen muß, der den alles entzündenden und verzehrenden Funken aufspringen läßt; aber ich, der ich wider diese Gefahr gewarnt bin, und mich mit dem Schild der christlichen Klugheit gerüstet und gewappnet habe, – ich habe sicherlich nichts zu befürchten. Und zudem, wenn es verwegen ist, die Gefahr zu suchen, so ist es andererseits auch Feigheit, sie sich nicht unterwerfen zu können und vor ihr zu fliehen, wenn sie uns entgegentritt.

Zweifeln Sie nicht, daran: ich sehe in Pepita Jimenez nur eine schöne Schöpfung Gottes und liebe sie durch Gott wie eine Schwester. Wenn ich einige Neigung für sie empfinde, so hat das in den Lobreden seinen Grund, welche ich aus dem Munde meines Vaters, des Herrn Vikars, ja fast aller Bewohner dieses Dorfes beständig zu ihrem Preise hören muß.

Aus Liebe zu meinem Vater möchte ich wünschen, daß Pepita ihre Gedanken und ihre Pläne in Bezug auf ein zurückgezogenes Leben aufgebe und sich mit ihm vermähle; wenn ich jedoch sehen müßte, daß meinen Vater nur eine Laune und nicht wahre Leidenschaft bestimmte, so würde es mich freuen, wenn Pepita fest bei ihrer keuschen Witwenschaft beharrte, und daß ich, wenn ich einst weit, weit von hier weile in dem fernen Indien oder Japan oder auf anderen, noch gefahrvolleren Missionen, den Trost hätte, ihr von meinen Wanderungen und Mühsalen schreiben zu können. Und wenn ich dann als alter Mann in dies mein Heimatsdorf zurückkehrte, so würde mir ein vertrauter Verkehr zur innigen Freude gereichen, – auch sie würde dann bereits eine alte Frau sein, und ich hielte dann geistige, vertrauliche Gespräche mit ihr, nach Art derjenigen, welche jetzt der Herr Vikar mit ihr führt. Allein jetzt, da ich noch jung bin, komme ich Pepita nicht sehr nahe: kaum, daß ich mit ihr rede. Lieber möchte ich für einen Narren, einen Dummkopf, für einen schlecht erzogenen, abstoßenden Menschen gelten, als die geringste Veranlassung geben, nicht etwa der Thatsache, daß ich für sie empfände, was ich nicht empfinden darf, sondern schon zu dem Verdacht oder zu böser Nachrede.

Was Pepita angeht, so gebe ich auch nicht im entferntesten das zu, worauf Sie als eine unbestimmte Gefahr hindeuten. Welche Absichten sollte sie denn hegen in Bezug auf einen Mann, der in zwei, drei Monaten Priester wird? Warum sollte sie, die so vielen einen Korb gegeben, sich in mich verlieben? Ich kenne mich sehr wohl und weiß, daß ich glücklicherweise keine Leidenschaft einzuflößen vermag. Zwar behauptet man, ich sei nicht häßlich; aber ich bin schwerfällig, linkisch, von schwerem Geist, wenig angenehm im Umgange; ich weiß sehr wohl, was ich bin: nur ein bescheidener Student. Was bin ich denn im Vergleich zu jenen glänzenden, wenn auch etwas ländlichen jungen Freiern, welche um Pepita's Hand geworben, – zu diesen gewandten, klugen, in der Unterhaltung so geschickten jungen Herren, – Jägern wie Nimrod, geübt in allen körperlichen Anstrengungen, als tüchtige Sänger bei allen Festen Andalusiens berühmt, dazu anmuthige, elegante, vollendete Tänzer!

Wenn Pepita diesen allen Körbe gegeben, wie könnte sie jetzt mir ihre Gunst zuwenden und auf den noch teuflischeren Plan gerathen, den Frieden meiner Seele zu stören, mich meinem Berufe abwendig zu machen, und mich vielleicht gar zu Grunde zu richten? Nein, das ist unmöglich. Ich halte Pepita für ein gutes Wesen und mich – ich sag's ohne falsche Bescheidenheit – mich halte ich für einen ganz unbedeutenden Menschen, das heißt, verstehen Sie mich recht: ich halte mich für zu unbedeutend, um ihr Liebe einzuflößen, nicht aber, um ihr Freund zu werden; nicht, daß sie eines Tages eine gewisse Neigung für mich fasse, wenn ich mich dieser Neigung durch ein heiliges, arbeitsvolles Leben würdig gemacht.

Verzeihen Sie mir, wenn ich mich mit etwas zu großem Eifer gegen gewisse in Ihrem Briefe enthaltene Andeutungen vertheidige, – Anspielungen, welche wie Anklagen und düstere Prophezeiungen klingen.

Ich beschwere mich nicht über diese Anspielungen; Sie geben mir kluge Rathschläge, von denen ich viele annehme und zu befolgen gedenke. Wenn Sie in Ihren Befürchtungen ein wenig über das gerechte Maß hinausgehen, so kommt das ohne Zweifel von der Theilnahme, welche Sie für mich hegen, und für die ich Ihnen von ganzem Herzen dankbar bin.

*

4. Mai.

Es ist seltsam, daß ich schon so viele Tage nicht Zeit gefunden habe, Ihnen zu schreiben; aber es ist wirklich so: ich fand keine Zeit dazu. Mein Vater läßt mir keine Ruhe, und ich werde von Besuchen förmlich bestürmt.

In den großen Städten ist es leicht, niemand zu empfangen, sich abzuschließen, sich zu vereinsamen, sich eine thebanische Wüste mitten im Lärm der Welt zu schaffen. In einem Dorfe Andalusiens, und namentlich, wenn man die Ehre hat, ein Sohn des Schultheiß zu sein, muß man in der Oeffentlichkeit leben. Man dringt nicht blos bis in das Zimmer vor, in welchem ich schreibe, sondern sogar bis in mein Schlafgemach, ohne daß jemand es wagt, sich ihnen in den Weg zu stellen: der Herr Vikar, der Notar, mein Vetter Currido, ein Sohn der Donna Casilda und tausend andere, die mich wecken, wenn ich schlafe, und mich führen, wohin es ihnen beliebt.

Das Casino besucht man hier nicht blos des Abends zur bloßen Zerstreuung, sondern auch während sämtlicher Tagesstunden. Von elf Uhr morgens an ist es voller Menschen, welche schwatzen, irgend eine Zeitung lesen, um die Neuigkeiten zu erfahren, und Tresillo spielen. Es giebt Leute, welche zehn bis zwölf Stunden täglich bei diesem Spiel zubringen. Kurz, es giebt hier eine Lustbarkeit, wie sie nicht verführerischer sein kann. Es giebt der Zerstreuungen sehr viele, um diese Lustbarkeit aufrecht zu erhalten. Außer dem Tresillo spielt man auch oft Timbirimba und Monte. Auch Dame, Schach und Domino werden nicht vernachlässigt. Endlich haben die Leute hier eine besondere Leidenschaft für die Hahnenkämpfe.

Dies alles im Verein mit den Besuchen, den Wanderungen auf das Feld hinaus, um nach den Arbeiten zu sehen, das Prüfen der Rechnungen des Verwalters am Abend, das Besuchen der Weinstuben, das Klären, Umfüllen und Veredeln der Weine, das Feilschen mit den Zigeunern und Händlern beim Kauf und Verkauf von Pferden, Maulthieren und Eseln, oder mit den Leuten aus Jerez, die unsere Weine gegen die ihrigen austauschen, das nimmt hier die ganze Tageszeit der Hidalgos, Sennoritos, oder wie sie sich nennen wollen, in Anspruch. Bei besonderen Gelegenheiten giebt es hier auch noch andere Beschäftigungen, welche alles in noch größere Bewegung bringen, wie die Kornernte, die Weinlese und das Sammeln der Oliven, – oder wenn die Ferien kommen und die Stiergefechte hier oder in einem benachbarten Dorfe abgehalten werden, oder wenn eine Wallfahrt nach irgend einem wunderthätigen Bildnis der Mutter Gottes stattfindet, woran sich dann viele aus Neugierde betheiligen; von den jungen Männern manche auch, um ihren Freundinnen Bildnisse und Skapuliere mitzubringen; die meisten jedoch wallfahrten aus Frömmigkeit oder um ein Gelübde zu erfüllen.

Es giebt hier einen Wallfahrtsort aus dem Gipfel eines der höchsten Berge, und doch fehlt es nicht an zarten Frauen, welche barfuß hinaufwandern und sich an dem Gestrüpp, den Dornen und den Steinen des schlechten steilen Weges verwunden.

Das Leben hat hier einen gewissen Zauber. Für denjenigen, der nicht von Ruhm träumt, der keine ehrgeizigen Pläne hegt, mag das hier wohl ein sehr friedliches, süßes Leben sein. Sogar die Einsamkeit vermag man sich hier mit einiger Mühe zu schaffen. Allein da ich mich hier nur für einige Zeit aufhalte, darf und mag ich mich nicht abschließen; wenn ich jedoch hier beständig wohnen müßte, so würde es mir nicht schwer fallen, mich, ohne jemanden zu verletzen, abzuschließen und mich durch viele Stunden oder auch den ganzen Tag völlig zurückzuziehen, um mich meinen Studien und Betrachtungen zu widmen.

Ihr letzter Brief hat mich ein wenig betrübt. Ich sehe, Sie bleiben bei Ihrem Verdacht, und ich weiß nicht, was ich Ihnen anderes zu meiner Rechtfertigung antworten soll, als was ich Ihnen bereits gesagt habe.

Sie sagen, bei einer gewissen Art von Schlacht bestehe der größte Sieg eben in der Flucht: fliehen heiße da siegen. Wie könnte ich dem widersprechen, was der Apostel und so viele Kirchenväter und -Lehrer gesagt haben? Allein vor allem wollen Sie nicht aus den Augen lassen, daß das Fliehen nicht von meinem Willen abhängt. Mein Vater will nicht, daß ich abreise; er hält mich wider Willen zurück, und ich habe ihm zu gehorchen. Ich muß also auf andere Weise als durch die Flucht siegen.

Damit Sie sich beruhigen, wiederhole ich Ihnen, daß der Kampf kaum begonnen hat; Sie sind der Ansicht, die Dinge seien weiter vorgeschritten, als es der Fall ist.

Es giebt nicht das geringste Anzeichen dafür, daß Pepita Jimenez mich liebt. Und selbst wenn sie mich liebte, so würde dies in anderer Weise geschehen, als die Frauen lieben, auf die Sie als abschreckende Beispiele hinweisen. Eine wohlerzogene, ehrenhafte Dame ist in unserer Zeit nicht so leicht zu entflammen und nicht so zügellos, wie es jene Weiber waren, von denen die alte Geschichte so viel zu erzählen weiß.

Die Stelle, welche Sie mir aus dem heiligen Johannes Chrysostomus anführen, ist sehr beachtenswerth, allein sie paßt durchaus nicht auf den vorliegenden Fall. Die große Dame, welche in Of, Theben oder Diospolis Magna sich in den Lieblingssohn Jakobs verliebte, muß sehr schön gewesen sein; nur so ist es begreiflich, was der Heilige versichert: der Umstand, daß Joseph nicht in Liebe entbrannt sei, wäre ein größeres Wunder gewesen, als die Unversehrtheit der drei Jünglinge, welche Nabuchadonosor in den Feuerofen werfen ließ.

Ich bekenne aufrichtig, daß ich, was den Schönheitspunkt betrifft, mir nicht vorzustellen wage, daß Pepita Jimenez die Frau jenes egyptischen Fürsten, Hausmeiers oder dergleichen am Hofe der Pharaonen übertreffe, allein ich bin ja nicht wie Joseph mit so vielen Gaben und Vorzügen geschmückt, und Pepita ist keine Frau ohne Religion und Anstand, und wenn dies auch der Fall wäre, selbst alle diese Gräuel vorausgesetzt, vermag ich mir doch die Ansicht des heiligen Johannes Chrysostomus nicht anders zu erklären, als daß er in der verderbten, halb heidnischen Hauptstadt des byzantinischen Reiches lebte – an jenem Hofe, dessen Laster er so ungemein herb tadelte, und wo die Kaiserin Eudoxia selbst in der Sittenverderbnis und dem Scandal mit ihrem Beispiel voranging. Aber heutzutage, da die evangelische Moral tief in alle Kreise der christlichen Gesellschaft eingedrungen ist, erscheint es mir übertrieben, wenn ich die keusche Zurückweisung des Sohnes Jakobs für wunderbarer halten soll, als die Unverbrennbarkeit der drei Jünglinge zu Babylon.

Sie berührten in Ihrem Briefe noch einen anderen Punkt, der mich ermuthigt und mir außerordentlich schmeichelt. Sie verdammen, wie es sich gehört, die übertriebene Empfindsamkeit und die Neigung zur Rührung und zum Weinen aus kindischer Veranlassung, woran ich, wie Sie sagen, bisweilen leide.

In diesen letzten Tagen habe ich Gelegenheit gehabt, meine Geduld reichlich zu üben und meine Eigenliebe in der grausamsten Weise zu verwunden.

Mein Vater wollte Pepita ihr Gartenfest erwiedern und lud sie zu einem Besuche seiner Besitzung am Pozo de la Solana ein. Die Expedition fand am einundzwanzigsten April statt. Niemals werde ich dieses Datum vergessen.

Der Pozo de la Solana liegt zwei Meilen von unserem Dorfe entfernt und man kann den Weg nicht anders als zu Pferde zurücklegen. Wir mußten also alle reiten. Ich, der ich niemals reiten gelernt, hatte meinen Vater bei allen früheren Ausflügen auf einem kleinen, sehr zahmen Maulthier begleitet, das nach Dientes, des Maulthiertreibers, Behauptung das friedfertigste Geschöpf auf Erden war. Auch auf dem Ausfluge nach dem Pozo de la Solana bediente ich mich dieses Thieres.

Mein Vater, der Notar, der Apotheker und mein Vetter Currido hatten gute Pferde. Meine Tante Casilda, die mehr als hundert Kilogramm wiegt, saß aus einer ungeheuren, kräftigen Eselin mit Sattel und Kreuz. Der Herr Vikar ritt wie ich ein zahmes, friedfertiges Maulthier.

Was Pepita angeht, so glaubte ich, sie würde ebenfalls eine Eselin mit Sattel und Kreuz besteigen, da ich nicht wußte, daß sie reiten kann; und so war ich sehr erstaunt, als ich sie auf einem grauen, sehr lebhaften feurigen Rosse, das sie mit bemerkenswerther Geschicklichkeit und Anmuth lenkte, als Amazone gekleidet daher sprengen sah.

Es freute mich, Pepita so kühn hoch zu Roß zu sehen; allein sofort dachte ich mit Beschämung an die abscheuliche Rolle, welche ich neben der compakten Tante Casilda und dem Herrn Vikar zu spielen hatte, – wir drei bildeten nämlich als friedliche ruhige Reisige den Nachtrab, während die glänzende Cavalkade voltigirte, Galopp und Trab ritt und tausend Evolutionen und equilibristische Kunststücke ausführte.

Plötzlich war es mir, als ob Pepita mich mitleidig anblickte – sie mußte das jämmerliche Gesicht bemerkt haben, das ich vermutlich auf meinem Maulthier machte.

Mein Vetter Currido sah mich mit spöttischem Lächeln an und begann mich dann zu necken und zu quälen.

Ich nahm alle meine Ergebung und Geduld zu Hilfe. Ich nahm alles mit gutem Anstand hin, und bald wurde Currido es müde, seinen Witz an mir zu üben, da er bemerkte, daß ich unverwundbar war. Aber wie litt ich innerlich! Sie sprengten und galoppirten, flogen uns vorauf und kehrten wieder zu uns zurück. Aber der Herr Vikar und ich blieben so heiter und ruhig wie die Maulthiere; wir ließen uns nicht ein einziges Mal aus dem Schritt bringen und wichen Tante Casilda nicht von der Seite. –

Ich hatte nicht einmal den Trost, mit dem Herrn Vikar sprechen zu können, dessen Unterhaltung mir so angenehm ist; ja ich konnte mich nicht einmal in mich selbst verschließen und phantasiren und träumen; auch war es mir versagt, still die schöne Gegend zu bewundern, durch welche wir ritten. Tante Casilda besitzt eine furchtbare Schwatzhaftigkeit und wir mußten sie geduldig anhören.

Sie theilte uns ihren ganzen Vorrath an volksthümlichen Anekdötchen mit, schilderte uns ihre sämmtlichen Vorzüge und setzte uns auseinander, wie sie Würstchen und Hirnpasteten mache und Eingemachtes und tausend andere herrliche Sachen bereite. Niemand, so versicherte sie, übertreffe sie in Küchenangelegenheiten außer Antonnona, die Amme Pepita's, die jetzt ihre Beschließerin und Haushofmeisterin sei. Ich kenne diese Antonnona bereits, da sie in Geschäften in unser Haus kommt, und in der That, sie ist sehr geschickt; ganz so schwatzhaft wie Tante Casilda, aber tausendmal klüger.

Der Weg nach Pozo de la Solana ist herrlich; aber ich befand mich in so abscheulicher Stimmung, daß ich gar nicht dazu kam, mich desselben zu freuen. Als wir die Besitzung erreicht hatten und abstiegen, fiel eine große Last von mir, als hätte ich das Maulthier getragen und nicht das Maulthier mich.

Wir wandern zu Fuß auf der Besitzung umher; sie ist prachtvoll, reich an allerlei Erträgnissen und sehr ausgedehnt. Es lagen dort mehr als hundert Fanegas alten Weines und ebenso viel Oel; endlich ist hier ein Eichenwald mit den größten Bäumen, die es in ganz Andalusien giebt.

Das Wasser des Pozo de la Solana bildet einen klaren, ziemlich tiefen Bach, zu welchem sämmtliche Spatzen der Gegend kommen, um zu trinken, und wo sie zu Hunderten mit Leimruthen oder Netzen gefangen werden, – in diese letzteren setzt man Lockvögel, damit diese ihre Genossen rufen. Hier gedachte ich all der Freuden meiner Kindheit – wie oft war ich hier als Knabe, um in der beschriebenen Weise Spatzen zu fangen.

Dem Laufe des Baches folgend, stößt man auf zahlreiche Pappeln und andere hohe Bäume, welche mit dem Unterholz und den Gräsern ein undurchdringliches Labyrinth und ein Dickicht mit tiefem Schatten bilden. Tausend duftige Waldpflanzen schießen hier wie Pilze aus der Erde, und schwerlich läßt sich etwas Romantischeres finden, als dieser wahrhaft einsame, friedlich schweigsame Ort. Während der heißen Mittagsstunden, wenn die Sonne in Strömen ihr Licht von einem wolkenlosen Himmel herabsendet, während der glühenden stillen Nachmittagsstunden herrscht dort das geheimnisvolle, schauerliche Schweigen der Mitternacht. Dort versteht man das Leben der alten Patriarchen und der ersten Helden und Hirten, und die Erscheinungen von Nymphen und Göttinnen und Engeln, welche sich ihnen am hellen Mittage zeigten.

Als ich in dieses urweltliche Dickicht eindrang, geschah es einen Augenblick – ich weiß nicht wie – daß Pepita und ich uns allein befanden. Auf einmal stand ich neben ihr. Die anderen waren zurückgeblieben. Da fühlte ich, wie ein Schauer meinen ganzen Körper durchrieselte. Es war das erste Mal, daß ich mich mit dieser Frau allein sah, und noch an einem so abgelegenen Orte, – da dachte ich an die bald unheimlichen, bald holdseligen, aber immer übernatürlichen Erscheinungen am hellen Mittag, welche in alten Zeiten den Menschen geworden.

Pepita hatte ihr langes Reitkleid in der Meierei gelassen und schritt in einem kurzen Costüm dahin, das die anmuthige Leichtigkeit ihrer Bewegungen noch mehr hervortreten ließ. Auf dem Haupte hatte sie ein sehr hübsches andalusisches Hütchen. In der Hand hielt sie die Reitgerte, in welcher ich den Stab zu sehen wähnte, mit welchem diese Hexe mich bezaubern könnte.

Ich trage kein Bedenken, hier noch einmal bewundernd ihrer Schönheit zu erwähnen. An diesem wilden Orte erschien sie mir noch herrlicher. Das Schutzmittel, welches und die Asceten empfehlen, nämlich uns die Schönheit durch Jahre und Krankheiten entstellt zu denken, uns einzubilden, das blühende Weib sei todt, verwest, von Leichengeruch umgeben, mit Würmern bedeckt, kam mir wider Willen in die Erinnerung; ich sage wider Willen; denn ich glaube nicht, daß eine so schreckliche Vorsichtsmaßregel unerläßlich sei. Kein unreiner, sinnlicher Gedanke, keine Eingebung des bösen Geistes trübte in diesem Augenblick meine Vernunft oder vermochte meinen Willen und meine Sinne zu beflecken.

Was mir durch den Kopf ging, war ein Argument wider die Wirksamkeit dieser Vorsichtsmaßregel. Die Schönheit, ein erhabenes göttliches Kunstwerk, kann hinfällig, vergänglich sein, in einem Augenblick in nichts zerfallen, aber ihre Idee ist ewig, und einmal wahrgenommen lebt sie im Geiste des Menschen ein unsterbliches Leben. Die Schönheit dieses Weibes, so wie sie sich stets mir offenbart, wird in wenig Jahren verschwinden: dieser herrliche Leib, diese schlanken Formen, dieses edle Haupt, das so vornehm von den stolzen Schultern getragen wird – alles wird eine Beute häßlicher Würmer werden; aber wenn auch die Materie sich verwandeln muß, wer vermag die Form, den künstlerischen Gedanken, die Schönheit selbst zu zerstören? Ruht sie nicht im göttlichen Geiste? Von mir wahrgenommen und erkannt – wird sie nicht in meiner Seele fortleben, und über das Alter, ja sogar über den Tod triumphiren?

Also grübelte ich, während Pepita sich mir näherte. Auf diese Weise beruhigte ich mein Gemüth und beschwichtigte die Besorgnis, welche Sie mir einzuflößen verstanden haben.

Ich wünschte und wünschte auch wieder nicht, daß die anderen uns einholen möchten. Es freute und betrübte mich zu gleicher Zeit, allein mit dieser Frau zu sein.

Pepita's Silberstimme unterbrach das Schweigen und riß mich aus meinen Betrachtungen.

»Wie schweigsam und traurig sind Sie, Don Luis,« sagte sie. »Es beängstigt mich, wenn ich bedenke, daß vielleicht durch meine Schuld – oder doch wenigstens zum Theil Ihr Vater Ihnen heut eine Unannehmlichkeit bereitete, indem er Sie mit in diese Einsamkeit nahm und Sie einer anderen noch abgeschlosseneren Einsamkeit entriß, wo nichts Sie Ihrem Gebet und Ihrer frommen Lectüre abwendig zu machen vermag.«

Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte. Sicherlich erwiderte ich irgend etwas Dummes, denn ich war sehr verwirrt; und ein Compliment mochte ich Pepita nicht machen, indem ich ihr profane Schmeicheleien sagte; andererseits wollte ich aber auch nicht in unhöflicher Weise antworten.

Sie fuhr fort.

»Sie müssen es mir zu Gute halten, wenn ich zudringlich bin – aber ich glaube, noch etwas anderes als der Aerger darüber, daß Sie sich heut von Ihren Lieblingsbeschäftigungen trennen mußten, ist schuld an Ihrer üblen Laune.«

»Und was wäre dieses andere?« sprach ich, »da Sie einmal alles entdecken oder zu entdecken glauben.«

»Dieses andere,« entgegnete Pepita, »ist nicht ein Gefühl, wie es jemandem eigen ist, der in kurzem Priester werden will, sondern eine Empfindung, wie sie zweiundzwanzigjährigen Jünglingen bekannt ist.«

Als ich diese Worte vernahm, fühlte ich, wie das Blut mir ins Gesicht stieg und wie mir dieses brannte. Ich stellte mir tausend seltsame Dinge vor, und ein Schwindel ergriff mich. Ich glaubte mich von Pepita herausgefordert; ich wähnte, sie wolle mir zu verstehen geben, sie wisse, daß sie mir gefalle. Da verwandelte meine Schüchternheit sich in starren Stolz und ich schaute sie fest an. Es mußte wohl etwas Lächerliches in meinem Blick liegen. Aber entweder bemerkte das Pepita nicht, oder sie war so wohlwollend und klug, es nicht bemerken zu wollen, denn sie sagte in dem aufrichtigsten Ton:

»Nehmen Sie mir's nicht übel, ein Verbrechen habe ich an Ihnen nicht entdeckt. Das, was ich bemerkt habe, scheint mir nur ein leichtes Vergehen zu sein. Sie fühlen sich verstimmt durch Currido's Scherze und weil Sie, um profan zu reden, eine wenig anmuthige Rolle spielten, als Sie auf dem zahmen Maulthier saßen – just wie der Herr Vikar mit seinen achtzig Jahren – und nicht auf einem feurigen Roß, wie es einem jungen Mann von Ihrem Alter und Ihrer Entwickelung geziemt. Das ist die Schuld des Herrn Dechant, der nicht bedacht hat, daß Sie eigentlich reiten lernen müßten. Die Reitkunst steht nicht im Widerspruch mit dem Leben, dem Sie sich zu widmen gedenken, und ich glaube, Ihr Vater würde es Ihnen in wenigen Tagen beibringen. Wenn Sie nach Persien oder China gehen, wo es noch keine Eisenbahnen giebt, werden Sie eine traurige Figur machen, wenn Sie nicht gut reiten können. Vielleicht discreditiren Sie sogar unsere Missionäre bei den barbarischen Völkern, und der Erfolg Ihrer Predigten könnte durch diesen Mangel sehr beeinträchtigt werden.«

Diese und andere Vernunftgründe führte mir Pepita an, um mir klar zu machen, daß ich reiten lernen müsse und ich überzeugte mich von der Nützlichkeit der Reitkunst für einen Missionar so sehr, daß ich ihr versprach, mich von meinem Vater darin unterrichten zu lassen.

»Bei dem nächsten Ausfluge, den wir machen,« sagte ich, »werde ich das feurigste Roß meines Vaters reiten und nicht das kleine friedfertige Maulthier von heute.«

»Das soll mich sehr freuen,« entgegnete Pepita mit einem unbeschreiblich anmuthigen Lächeln.

In diesem Augenblick holten uns die andern ein und das freute mich – aber lediglich aus dem Grunde, weil ich befürchtete, das Gespräch nicht im Fluß erhalten zu können, und besorgte, ich würde bei meiner geringen Uebung im Verkehr mit Frauen tausend Einfältigkeiten vorbringen.

Nach dem Spaziergange servirten uns die Dienstboten meines Vaters ein ländliches aber reiches Mahl auf dem frischen Rasen und an der schönsten Stelle nahe am Bache. Die Unterhaltung wurde sehr lebhaft und Pepita bewies viel Geist und Klugheit. Mein Vetter Currido machte wieder Witze über meine Art des Reitens und über die Sanftmuth meines Maulthieres: er nannte mich Theologe und sagte, auf diesem friedfertigen Thiere nähme ich mich aus, als ertheile ich den Segen.

Da ich den festen Vorsatz gefaßt hatte, reiten zu lernen, antwortete ich diesmal mit einer scharfen Zurechtweisung auf seine Scherze. Doch sagte ich nichts von meinem Vorhaben. Auch Pepita dachte, obgleich wir keinerlei Verabredung getroffen, ohne Zweifel wie ich: daß es das beste sei, darüber zu schweigen, um auf einmal als fertiger Reiter zu erscheinen, und so verrieth sie unser Gespräch nicht. So kam es auf ganz natürliche und einfache Weise, daß zwischen uns beiden ein Geheimnis existirte, was auf mein Gemüth einen seltsamen Eindruck machte.

An jenem Tage ereignete sich sonst nichts, das erwähnt zu werden verdiente.

Gegen Abend kehrten wir ganz in derselben Weise, wie wir gekommen waren, ins Dorf zurück. Doch ärgerte und grämte ich mich auf meinem zahmen Maulthier und an Tante Casilda's Seite nicht wieder so sehr, wie am Morgen. Auf dem ganzen Wege hörte ich die Tante ohne Ueberdruß ihre Geschichten erzählen, und von Zeit zu Zeit versank ich in unbestimmte Träumerei.

Nichts von dem, was in meiner Seele vorging, darf ich Ihnen, lieber Oheim, verheimlichen. So theile ich Ihnen denn mit, daß Pepita's Person gleichsam das Centrum, oder besser gesagt, der Kern und der Brennpunkt war, um welchen diese unbestimmten Träumereien sich drehten. Ihr Erscheinen am hellen Mittag im dichten, schattigen, schweigsamen Waldesgrün brachte mir all die theils guten, theils bösen Erscheinungen wunderbarer, übernatürlicher Wesen wieder in die Erinnerung, von denen ich in den heiligen Kirchenschriften und bei den profanen Klassikern gelesen habe. Pepita zeigte sich meinem körperlichen wie meinem geistigen Auge nicht, wie sie hoch zu Roß vor uns dahin ritt, sondern in ätherischer Idealgestalt, inmitten der waldigen Verborgenheit – gleichwie dem Aeneas seine Mutter erschien, dem Callimachos die Pallas, dem böhmischen Hirten Krok die Sylphide, welche später die Libussa gebar, wie Diana dem Sohne des Aristäus, wie dem Patriarchen die Engel im Thal Mamre, wie dem heiligen Antonius der Hippocentaurus in der Einsamkeit seiner Einsiedelei.

Eine so natürliche Begegnung wie die zwischen Pepita und mir nahm in meinem Geist etwas Wunderbares an. Als ich merkte, mit welcher Beharrlichkeit dieses Bild in meiner Phantasie haftete, wähnte ich mich einen Augenblick vom Teufel besessen; ich meinte, wie es auch offenbar der Fall war, in den wenigen Minuten, welche ich mit Pepita am Bache von Solana allein verbracht, sei nichts vorgefallen, das nicht ganz natürlich und gewöhnlich wäre; daß jedoch später, als ich auf meinem Maulthier ruhig wieder heimritt, irgend ein Dämon in unsichtbarer Gestalt mich umschwebte und mir tausend Thorheiten zuflüsterte.

An demselben Abend sagte ich meinem Vater, daß ich reiten zu lernen wünschte. Ich mochte ihm nicht verheimlichen, daß Pepita mich dazu veranlaßte. Mein Vater freute sich ganz außerordentlich, er umarmte, er küßte mich, er sagte, jetzt seien Sie nicht mehr mein einziger Lehrer; auch er würde jetzt das Vergnügen haben, mich in irgend etwas zu unterweisen. Und schließlich gab er mir die Versicherung, in zwei drei Wochen würde er den besten Reiter von ganz Andalusien aus mir machen, – einen Reiter, der im Stande sei, als Schmuggler nach Gibraltar zu jagen, um von dort, wie er sich scherzend ausdrückte, mit einer Ladung Tabak und einem ordentlichen Sack Baumwolle zurückzukehren, – kurz, der alle Reiter, welche bei den Festen in Sevilla und Mairena glänzen, in den Schatten stellen würde und sogar fähig sei, Babieca und Bucephalus, ja sogar die Sonnenrosse zu besteigen, wenn dieselben sich zufällig auf die Erde herniedersenkten und sich am Zügel fassen ließen.

Ich weiß nicht, was Sie von der Reitkunst halten, die ich jetzt erlerne; allein ich setze voraus, daß Sie darin nicht etwas Böses erblicken.

Wenn Sie sehen könnten, wie glücklich mein Vater ist und welches Vergnügen ihm der Unterricht macht! Gleich an dem Tage nach unserem Ausfluge begann er mir täglich zwei Lectionen zu ertheilen. Manchmal dauert der Unterricht den ganzen Tag, weil wir zusammen ausreiten. In der ersten Woche fand der Unterricht in unserem Hofe statt, der nicht gepflastert ist und uns als Manege diente.

Wir haben bereits mehrere Male einen Ausritt ins Freie gemacht, wobei wir es jedoch so einzurichten suchen, daß uns niemand sieht. Mein Vater wünscht, daß ich mich nicht eher öffentlich zeige, als bis ich, wie er sich ausdrückt, ganz fest im Sattel bin. Wenn seine väterliche Eitelkeit ihn nicht täuscht, wird das bald der Fall sein, denn ich habe eine ganz wunderbare Anlage dazu, ein guter Reiter zu werden.

»Man sieht gleich, daß du mein Sohn bist!« ruft mein Vater mir jubelnd zu, wenn er sieht, welche Fortschritte ich mache.

Er ist so gut, der liebe Vater, daß ich hoffe, Sie werden ihm seine weltliche Redeweise und seine unehrerbietigen Scherze zu gute halten. Es betrübt mich in innerster Seele, – aber ich nehme alles hin.

Infolge des fortwährenden langen Unterrichts im Reiten empfinde ich ein heftiges Stechen in den Schenkeln. Mein Vater sagt, ich solle Ihnen schreiben, daß ich mein Fleisch durch Geißeln züchtige.

Da er behauptet, ich würde bald ausgelernt haben und da er sein Amt als Lehrer nicht gern wieder aufgeben möchte, so schlägt er mir verschiedene andere wunderliche und für einen zukünftigen Geistlichen höchst unpassende Studien vor. Das eine Mal will er mich im Kämpfen unterweisen, um mich mit nach Sevilla zu nehmen, wo ich mit der Pike in der Hand auf der Ebene von Tablada die kräftigsten Männer zu Krüppeln hauen solle. Ein andermal erinnert er sich seiner Jugendzeit, als er noch bei der Guardia de Corps war, und dann will er seine Rappiere, Fausthandschuhe und Masken hervorholen, um mich im Fechten zu unterrichten, und endlich behauptet er, niemand vermöge es im Stoßkampf mit ihm aufzunehmen, und erbietet sich, mir dieselben Geschicklichkeiten beizubringen.

Sie können sich denken, was ich auf solche Thorheiten antworte. Mein Vater entgegnet mir, in der guten alten Zeit hätten sich nicht nur die Geistlichen, sondern auch die Bischöfe hoch zu Roß gesetzt, um die Ungläubigen niederzusäbeln. Ich bemerkte ihm dagegen, daß dies wohl in den barbarischen Zeiten geschehen konnte, daß jedoch heutzutage die Diener des Allerhöchsten mit keinen anderen Waffen als denen der Ueberredung kämpfen dürften.

»Und wenn die Ueberredungskunst allein nicht genügt,« erwiderte mein Vater, »ist es da nicht gut, den Vernunftgründen mit dem Schwert ein wenig nachzuhelfen?«

Der wahre Missionar, wie ihn mein Vater versteht, darf unter allen Umständen zu diesen heroischen Mitteln seine Zuflucht nehmen, und da mein Vater viele Romane und Geschichten gelesen hat, weiß er seine Ansicht mit einer Menge Beispiele zu unterstützen. Zunächst führt er den heiligen Jakob ins Feld, der, obgleich er Apostel war, die Mauren auf seinem weißen Roß weit mehr mit seinem Schwerte angriff, als mit seinen Predigten und Unterweisungen; dann citirt er mir einen Herrn von Vera, der als Abgesandter der katholischen Könige zu Boabdil kam und sich im Löwenhofe mit den Mauren in theologische Disputationen einließ, und, als seine Gründe erschöpft waren, das Schwert zog und ihnen mit dieser Waffe zu Leibe ging, um sie vollständig zu bekehren. Endlich beruft er sich auf den biscaischen Hidalgo Don Ignatio von Loyola, der bei einem religiösen Streit, den er mit einem Mauren über die Unbeflecktheit der Mutter Gottes führte, schließlich – da er der nichtsnutzigen gotteslästerlichen Schandreden, mit welchen ihm der Maure antwortete, überdrüssig war – zum Schwert griff und über ihn herfiel; und wenn der Maure sein Heil nicht in der Flucht gesucht hätte, so würde er ihm mit seiner furchtbaren Klinge die Bekehrung ins Herz gestoßen haben.

Was das Abenteuer des heiligen Ignatius angeht, so antwortete ich meinem Vater, daß dieses zu einer Zeit sich begeben, da der Heilige noch nicht Priester gewesen, und hinsichtlich der anderen entgegnete ich ihm, daß der Vergleich nicht passe.

Kurz, ich vertheidige mich wider die Scherze meines Vaters so gut es gehen will; ich beschränke mich darauf, ein guter Reiter zu werden, und verlange nicht darnach, all die andern für einen Geistlichen so unziemlichen Sachen zu erlernen, wenngleich mein Vater versichert, gar manche spanischen Geistlichen verständen und übten sie auch heutzutage noch, auf daß der Glaube triumphire und die katholische Einheit erhalten oder wiederhergestellt werde.

Es thut mir in der Seele weh, daß mein Vater so ist; daß er in solch unehrerbietiger, scherzender Weise von so ernsten Dingen redet; aber einem achtungsvollen Sohne ziemt es nicht, weiter zu gehen, als ich es thue bei meiner Abwehr seiner etwas voltairianischen Auslassungen. Ich nenne dieselben voltairianisch, da ich keine passendere Bezeichnung dafür finden kann. Im Grunde seines Herzens ist mein Vater ein guter Katholik und das tröstet mich.

Gestern war das Fest der Kreuzauffindung und da herrschte ein ungemein reges Leben hier im Dorfe. In jeder Straße sah man sechs mit sieben Maikreuze voll Blumen; aber keines war so schön wie das, welches Pepita vor ihrer Hausthür aufgestellt hatte. Das Kreuz war von einem förmlichen Blumenmeer umflossen.

Am Abend wurde das Fest in Pepita's Hause beschlossen. Das Kreuz, das auf der Straße gestanden, ward in einen großen Saal zu ebener Erde gestellt, wo das Piano steht, und Pepita gab uns eines jener einfachen und doch so poetischen Schauspiele zum besten, wie ich sie als Kind gesehen, ohne daß ich jedoch eine lebhafte Erinnerung daran bewahrt habe.

Von dem Kopfe des Kreuzes hingen sieben Bänder herab, zwei weiße, zwei grüne und drei rothe. Es sind die symbolischen Farben der theologischen Tugenden. Acht Kinder von fünf bis sechs Jahren, die sieben Sacramente darstellend, erfaßten die sieben vom Kreuz herabhängenden Bänder und tanzten in sehr anmuthiger Weise einen Contretanz. Die Taufe war durch ein als Katechismusschüler in eine weiße Tunika gekleidetes Kind, die Weihe durch einen Priester und die Firmung durch einen kleinen Bischof dargestellt; die letzte Oelung wurde durch einen kleinen Pilger mit Stab und Muschelkragen, die Ehe durch ein junges Pärchen und die Buße durch einen kleinen Nazarener mit Kreuz und Dornenkrone repräsentirt.

Der Tanz bestand in einer Reihe von Verbeugungen, Schritten, Wendungen und Kniebeugungen, wozu der Organist auf dem Piano eine recht angenehme Musik – eine Art Marsch – spielte.

Die kleinen Kinder von Pepita's Dienstboten und Hausfreunden wurden, nachdem sie ihre Rolle gespielt, reichlich beschenkt und geliebkost und begaben sich dann zur Ruhe.

Die Abendunterhaltung dauerte bis zwölf Uhr; dann wurden Erfrischungen herumgereicht: Zuckerwasser, Chocolade mit Törtchen und in Süßsaft getauchtem Zuckerbrot.

Pepita's Zurückgezogenheit und Einsamkeit hatte mit dem Eintritt des Frühlings ihr Ende genommen; und darüber ist mein Vater ganz glücklich. Von jetzt an wird Pepita jeden Abend empfangen, und mein Vater wünscht, daß auch ich bei diesen Zusammenkünften nicht fehle.

Sie hat die Trauer abgelegt und ist jetzt eleganter und auffallender in leichte, fast sommerliche, wenn auch immer noch sehr einfache Gewänder gekleidet.

Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß mein Vater mich höchstens noch einen Monat hier zurückhält. Im Juni begeben wir uns zusammen nach der Stadt, und dann werde ich, von Pepita befreit, die sicherlich weder eine angenehme noch eine unangenehme Erinnerung an mich bewahrt, das Glück haben, Sie zu umarmen und bald Priester zu werden.

*

7. Mai.

Abend für Abend von Neun bis Zwölf finden wir uns, wie ich Ihnen bereits mittheilte, in Pepita's Hause ein. Es kommen vier bis fünf Damen und ebenso viel Mädchen aus dem Dorfe, darunter auch meine Tante Casilda; dann ferner sechs bis sieben junge Herren, welche mit den Mädchen Pfänder zu spielen pflegen. Wie das ganz natürlich, sind drei vier Brautpaare darunter. Der ernstere Theil der Gesellschaft ist immer derselbe. Er besteht aus den angesehensten Personen des Ortes: aus meinem Vater, dem Apotheker, dem Arzt, dem Notar und dem Herrn Vikar. Pepita spielt mit meinem Vater, dem Herrn Vikar oder sonst jemand Tresillo.

Ich weiß nicht, auf welche Seite ich mich schlagen soll. Schließe ich mich der Jugend an, so störe ich mit meinem Ernst ihr Spiel und ihre verliebten Tändeleien. Gehe ich zu den älteren Personen, so muß ich eine Rolle spielen, zu der ich nicht passe. Ich verstehe vom Kartenspielen nur den »blinden Esel«. Das beste wäre, ich besuchte überhaupt gar nicht diese Abendgesellschaften; aber mein Vater dringt nun einmal darauf, daß ich hingehe. Durch mein Fortbleiben würde ich mich, wie er behauptet, nur lächerlich machen.

Wenn er meine Unkenntnis in gewissen Dingen bemerkt, so legt er ein ungeheures Erstaunen an den Tag; zum Beispiel, daß ich nicht Tresillo spielen kann. Nicht einmal Tresillo! Das kann er gar nicht fassen.

»Dein Oheim hat dich,« sagte er, »im Finstern erzogen, indem er dich mit Theologie und immer nur mit Theologie fütterte und dich über alle anderen wissenswerthen Dinge in Unkenntnis ließ. Wenn du Geistlicher werden willst, so darfst du nicht tanzen und mit den jungen Dämchen in den Abendgesellschaften nicht liebeln – aber Tresillo spielen, das ist unbedingt nothwendig. Was willst du dort sonst anfangen, du Unglückseliger?«

Auf diese und ähnliche Reden hin mußte ich mich denn schließlich in das Unvermeidliche fügen, und so unterrichtet mich mein Vater zu Hause in dem Tresillospiel, damit ich es, sobald ich es inne habe, in Pepita's Abendgesellschaften spielen kann. Auch wollte er mich, wie ich Ihnen bereits mittheilte, im Fechten, und dann im Rauchen und Pistolenschießen und Turnen unterweisen; aber zu alledem habe ich mich nicht verstanden.

»Welch ein Unterschied,« ruft mein Vater aus, »zwischen deiner Jugend und der meinen!« Und er fügt gleich lachend hinzu:

»Im Grunde ist es doch ganz dasselbe. Auch ich hatte meine geistlichen Stunden in dem Quartier der Guardias de Corps; die Cigarre war das Weihrauchfaß, die Karte mein Gebetbuch, und niemals ließ ich es an frommen Betrachtungen und anderen nicht minder geistlichen Uebungen mangeln.«

Obgleich Sie mich auf diese Seltsamkeiten meines Vaters bereits vorbereitet haben, – da ich ja eben in Folge derselben bei Ihnen von meinem zehnten bis zum zweiundzwanzigsten Jahre erzogen worden bin – so erstaunen und verletzen mich derartige, oft etwas freie Reden meines Vaters noch immer. Aber was kann ich dagegen thun? Ich kann ihn doch ebenso wenig deshalb tadeln, als ich darüber lache und ihn deshalb belobe.

Das Seltsamste – übrigens ganz begreiflich – ist, daß mein Vater in Pepita's Hause ein ganz andrer Mensch ist. Hier läßt er sich nicht eine einzige der Redensarten, nicht einen einzigen der Scherze entschlüpfen, mit denen er an anderen Orten so verschwenderisch umgeht. In Pepita's Hause ist mein Vater die Zurückhaltung selbst. Mit jedem Tage scheint er verliebter in sie zu werden, mit jedem Tage wachsen seine Hoffnungen auf einen glücklichen Erfolg.

Ueber die Resultate, die er mit seinem Unterricht in der Reitkunst bei mir erzielt hat, ist er noch immer ganz glücklich. In vier fünf Tagen könne ich, wie er mir versichert, schon den »Blitz« besteigen – ein schwarzes Pferd, Sohn eines arabischen Hengstes und einer Stute aus der Race Guadalcazar. Dieser »Blitz« ist ein ausgezeichneter Renner und Springer, feurig und gegen jede Art von Anstrengung abgehärtet.

»Wer diesen Blitz zu reiten versteht,« sagt mein Vater, »der kann die Centauren besteigen; und du wirst es bald mit Blitz versuchen können.«

Da ich den ganzen Tag hoch zu Roß, im Freien, auf dem Felde, im Casino und in der Abendgesellschaft zubringe, so entziehe ich dem Schlafe einige Stunden – theils mit Vorbedacht, theils weil ich von selbst aufwache und über meine Lage nachdenke und mein Gewissen erforsche. Pepita's Bild schwebt mir beständig vor der Seele. Sollte das Liebe sein? frage ich mich.

Mein sittliches Gelöbnis, mein Versprechen, mich dem Altar zu weihen, ist für mich, wenn auch noch nicht in Erfüllung gegangen, doch etwas wie eine bereits vollzogene Thatsache. Wenn etwas von dem, was sich der Verwirklichung dieses Gelöbnisses hindernd in den Weg stellt, in meine Seele gedrungen, so muß ich das bekämpfen.

Seit einiger Zeit bemerke ich – und Sie wollen mich nicht des Hochmuths anklagen, daß ich Ihnen meine Beobachtungen mittheile – daß meine Willenskraft, die Sie mich üben gelehrt haben, alle anderen Empfindungen vollständig beherrscht. Während Moses auf dem Berge Sinai mit Gott redete, ward das niedere Volk unten in der Ebene rebellisch und betete das goldene Kalb an. Trotz meiner Jugend fürchte ich nicht, daß mein Geist sich in ähnlicher Weise empören könnte. Ich könnte mit der größten Sicherheit mit Gott reden, wenn nur der böse Feind nicht in demselben Heiligthum mit mir kämpfen wollte. Pepita's Bild schwebt immerdar vor meiner Seele. Es ist ein Geist, der wider meinen Geist kämpft, es ist der Gedanke an ihre Schönheit in ihrer ganzen unkörperlichen Reinheit, der sich mir entgegenstellt auf dem Wege, welcher zu den tiefsten Gründen der Seele führt, wo Gott wohnt, und mich verhindert, zu ihm zu gelangen.

Trotz alledem bin ich nicht blind. Ich sehe klar, unterscheide ganz deutlich und lasse mich durch keine Sinnestäuschung blenden. Ueber dieser geistigen Neigung, die mich zu Pepita hinzieht, steht die Liebe zu dem Unendlichen und Ewigen. Wenn ich mir Pepita auch als eine Idee, als eine Poesie vorstelle, so bleibt sie doch stets die Idee, die Poesie von etwas Begrenztem, Beschränktem, Konkretem, während die Gottesliebe und der Gottesbegriff alles in sich begreifen. Allein so viel ich mich auch bemühe, es gelingt mir nicht, diesen höchsten Begriff, diesen Gegenstand der erhabensten Liebe mit einer Phantasiegestalt zu umkleiden, auf daß ich wider das Bildnis, wider die Erinnerung an die vergängliche, vorübergehende Schönheit, die mich fortwährend vergiftet, ankämpfe. In heißem Gebet flehe ich zum Himmel, daß er dieses Phantasiewesen von mir entferne und mir ein Bild, ein Symbol dieses Begriffes schaffe, der alles umfaßt, auf daß er das Bild und die Erinnerung an dieses Weib aus meiner Seele verdränge und auslösche. Er ist unbestimmt, dunkel, unbeschreibbar, wie tiefe Finsternis der höchste Begriff, das Ziel meiner Liebe, während sie mir in bestimmten Umrissen, deutlich, sichtbar, strahlend, von dem Licht umflossen erscheint, dem die Augen des Geistes zu widerstehen vermögen, nicht in jenem anderen kräftigen Licht erglänzend, das für die Augen des Geistes wie die Finsternis ist.

Keine andere Betrachtung, keine andere Gestalt vermag das Bild dieser Frau zu zerstören. Es drängt sich zwischen das Kruzifix und mich, zwischen das Bildnis der allerheiligsten Gottesmutter und mich, ja es haftet sogar auf den Blättern des Gebetbuches, in welchem ich lese.

Trotzdem glaube ich nicht, daß ich von dem ergriffen bin, was man heutzutage Liebe nennt. Und wäre das auch der Fall, so würde ich kämpfen und siegen.

Da ich diese Frau täglich sehen, täglich alle Menschen – den Herrn Vikar nicht ausgenommen – ihr Lob singen hören muß, so fühle ich mich fortwährend beunruhigt; das richtet meinen Geist auf das Weltliche und raubt ihm die rechte Sammlung; aber nein, ich liebe Pepita noch nicht. Ich gehe fort, und dann werde ich sie vergessen.

So lange ich hier noch bleibe, werde ich tapfer kämpfen. Mit Gott werde ich kämpfen, um durch die Liebe zu ihm zu siegen. Mein Ruf soll zu ihm dringen, wie die flammenden Blitze, und den Schild, mit dem er sich schirmt und sich den Augen meiner Seele entzieht, niederschmettern. Ich werde ringen wie Israel im Schweigen der Nacht und Gott wird mir die Hüfte verwunden und mich zerschmettern in diesem Kampf, auf daß ich, wenngleich scheinbar besiegt, als Sieger daraus hervorgehe.

*

12. Mai.

Eher als ich es dachte, lieber Oheim, hat mir mein Vater erlaubt, Blitz zu besteigen. Gestern gegen sechs Uhr morgens schwang ich mich auf dieses schöne Roß und ritt mit meinem Vater aufs Feld hinaus. Mein Vater hatte eine kleine Fuchsstute bestiegen.

Ich hatte eine so vortreffliche Haltung, saß so sicher und frei auf diesem stolzen Roß, daß mein Vater der Versuchung nicht widerstehen konnte, sich seines Schülers zu rühmen; und nachdem wir uns auf einem kleinen Gehöft, das er eine halbe Meile von hier besitzt, ausgeruht hatten, kehrten wir gegen elf Uhr nach dem Dorfe zurück, wobei ich die sehr belebte Hauptstraße einschlug und großen Lärm auf dem Pflaster machte.

Ich brauche wohl nicht erst zu versichern, daß wir an Pepita's Hause vorüberkamen, welche sich seit einiger Zeit ziemlich häufig am Fenster zeigt. Sie stand im Erdgeschoß hinter einer kleinen Jalousie.

Kaum vernahm Pepita das Klappern der Pferdehufe, da hob sie die Augen und bemerkte uns. Sie stand auf, ließ die Stickerei, die sie in Händen hatte, fallen und schaute zu uns herüber.

Blitz, der, wie ich später erfuhr, die Gewohnheit hat, zu voltigiren, wenn er an Pepita's Hause vorüberkommt, begann unruhig zu werden und sich ein wenig zu bäumen. Ich bemühte mich, ihn zu beruhigen; aber, ob er meine Hand nicht kannte, oder ob ihm sein Reiter vielleicht nicht gefiel, er wurde immer unruhiger, begann zu schnauben, zu tanzen und auszuschlagen, ja richtete sich sogar hoch auf. Aber ich blieb fest und ruhig; ich bewies ihm, daß ich sein Herr war, züchtigte ihn mit den Sporen, schlug ihn mit der Peitsche auf die Brust und hielt ihn mit den Zügeln zurück. Da demüthigte sich Blitz, der sich auf den Hinterbeinen aufgerichtet hatte, soweit, daß er gehorsam die Kniee beugte und eine Verbeugung machte.

Die neugierige Menge, die sich um uns geschaart hatte, brach in lautes Beifallrufen aus. Mein Vater sagte:

»Bravo! Ist das ein muthiger, kräftiger Bursch!«

Und dann meinen Vetter Currido erblickend, der keine andere Beschäftigung hat als spazieren zu gehen und sich somit ebenfalls unter den Zuschauern befand, wandte er sich zu diesem mit den Worten:

»Schau, du Tölpel, schau dir jetzt einmal den Theologen an, und statt dich über ihn lustig zu machen, sperre den Mund auf.«

In der That stand da Currido mit offnem Munde, unbeweglich, staunend.

Mein Triumph war groß und feierlich, wenn auch meines Standes nicht recht angemessen. Das Unpassende dieses Triumphes erfüllte mich mit Scham. Heftige Röthe färbte meine Wangen. Ich glaube, mein Gesicht glühte wie Feuer, namentlich als ich obendrein bemerkte, daß Pepita mir Beifall klatschte und mich liebenswürdig, freundlich lächelnd und mit ihren schönen Händen winkend, begrüßte.

So habe ich denn endlich das Patent eines kräftigen Mannes und eines vorzüglichen Reiters erlangt.

Mein Vater ist ganz glücklich; er versichert mir, er vollende meine Erziehung, Sie hätten ihm in mir ein sehr gelehrtes Buch geschickt, aber uncorrigirt und uneingebunden, und er, er müsse mich jetzt erst verbessern und einbinden. In dem Tresillospiel – vielleicht bildet dies ebenfalls einen Theil dieser Correctur und dieses Einbindens – unterrichtet er mich auch schon.

An zwei Abenden habe ich bereits mit Pepita gespielt.

An dem Abend, der meiner Heldenthat hoch zu Rosse folgte, empfing mich Pepita mit Begeisterung und that, was sie bisher mir gegenüber niemals gewagt hatte: sie drückte mir die Hand.

Glauben Sie nicht, ich hätte vergessen, was so viele Sittenlehrer und Asketen empfehlen, allein in jenem Augenblicke mußte ich doch denken, daß Sie die Gefahr sehr übertreiben. Jenes Wort des heiligen Geistes, nach welchem derjenige, der ein Weib anrührt, sich derselben Gefahr aussetzt, als wenn er einen Skorpion anfaßt, scheint mir in einem andern Sinne gesagt zu sein. Ohne Zweifel werden in den Gebet- und Erbauungsbüchern, wenn auch in der reinsten Absicht, gewisse Aussprüche der heiligen Schrift sehr herb ausgelegt. Wäre das nicht der Fall, wie könnte man sonst behaupten, die Schönheit des Weibes, dieses so herrliche Werk Gottes, sei die Ursache ewiger Verdammnis? Wie könnte man ferner im allgemeinen behaupten, das Weib sei bitterer als der Tod? Wie könnte man endlich sonst die Behauptung aufstellen, derjenige, welcher ein Weib berührt, – gleichviel bei welcher Gelegenheit und sei es auch nur in Gedanken, – wäre nicht mehr rein und makellos?

Kurz in meinem Innern gab ich mir auf diese und ähnliche Rathschläge sehr schnelle Antwort – ich ergriff die Hand, welche Pepita mir so freundlich und liebenswürdig hinhielt und drückte sie mit der meinen. Die zarte Weichheit dieser Hand, die ich bisher nur vom Sehen kannte, ließ mich ihre Feinheit und Anmuth besser begreifen.

Nach der jetzt herrschenden Sitte muß man, sobald man sich einmal die Hand gereicht hat, sie sich immer geben, wenn man kommt und geht. Ich will hoffen, daß Sie in dieser Sitte, in diesem Beweise von Freundschaft, in diesem Offenbaren einer wohlwollenden Gesinnung, wenn es ohne böse Absicht und ohne den geringsten Schein von Leichtfertigkeit geschieht, nichts Schlechtes oder Gefahrvolles erblicken.

Da mein Vater an vielen Abenden mit dem Verwalter und andern Dienstleuten zu thun hat und vor halb elf oder elf Uhr nicht frei wird, so vertrete ich ihn beim Tresillospiel an Pepita's Seite. Der Herr Vikar und der Notar sind fast immer unsre Partner. Wir spielen um 1/10 Real; so daß man bei der Partie höchstens 1 oder 2 Duros verlieren kann.

Da ich mich für das Spiel sehr wenig interessire, so unterbrechen wir es fortwährend durch angenehme Gespräche, ja sogar durch Discussionen über Dinge, welche dem Spiel fern liegen, wobei Pepita stets Beweise giebt eines so klaren Verstandes, einer so lebhaften Phantasie und einer so außerordentlich anmuthigen Ausdrucksweise, daß ich oft staunen muß.

Es liegt kein genügender Grund vor, meine Ansicht in Bezug auf das zu ändern, was ich Ihnen sagte, als ich Ihnen auf Ihre Befürchtungen antwortete, Pepita möchte eine gewisse Neigung zu mir hegen. Sie behandelt mich mit dem natürlichen Wohlwollen, das sie für den Sohn ihres Freiers Don Pedro de Vargas empfinden muß, – und mit jener schamhaften Zurückhaltung, die ein Mann in meiner Lebensstellung, der noch nicht Geistlicher ist, aber es bald sein wird, einflößen muß.

Ich will und muß Ihnen jedoch, da ich Ihnen immer so schreibe, als kniete ich vor Ihnen im Beichtstuhl, eine flüchtige Empfindung mittheilen, die ich zwei- oder dreimal hatte, etwas, das vielleicht eine Hallucination oder ein Wahn ist, das jedoch meiner Beobachtung nicht entging.

Ich sagte Ihnen bereits in früheren Briefen, daß Pepita's Augen ein eigenthümlich ruhiger, ehrlicher Blick eigen sei. Man sollte meinen, sie sei sich der Macht ihrer Augen nicht bewußt, sie wisse nicht, daß sie noch zu etwas anderm dienen als zum Sehen. Wenn sie dieselben auf jemand richtet, so ist der holde Glanz ihres Blickes so klar und frei und rein, daß es einem ist, als müßten sie statt böse, nur reine, keusche Gedanken erwecken; als könnten sie die unschuldigen, reinen Seelen in ihrer Ruhe nicht stören, und als ertödten sie in den Herzen, die nicht rein sind, alle sündigen Regungen. Pepita's Augen haben nichts von glühender Leidenschaft, nichts von einem verzehrenden Feuer. Der Glanz ihres Blickes gleicht dem bleichen Licht des Mondes.

Trotz alledem glaubte ich zwei- oder dreimal ein unwillkürliches Zucken, ein Aufblitzen, eine flüchtige, verzehrende Flamme in diesen Augen zu bemerken, wenn sie auf mich gerichtet waren. Sollte das eine lächerliche, mir vom Teufel eingegebene Eitelkeit sein?

Mir scheint, es war wirklich nur Eitelkeit von mir; das will ich glauben und glaube es auch.

Das Heftige, Flüchtige dieses Eindrucks läßt mich vermuthen, daß dieser meiner Wahrnehmung nichts Wirkliches zu Grunde gelegen, daß ich mir das nur eingebildet habe.

Himmlische Ruhe, kalte wenn auch freundliche Gleichgiltigkeit, wohlthuend erwärmt durch freundschaftliche Gesinnung, das ist's, was ich stets in Pepita's Augen entdecke.

Allein trotz alledem quält mich diese meine Phantasie, dieses Wahnbild von dem seltsam glühenden Blick.

Mein Vater sagt, nicht die Männer sondern die Frauen ergriffen stets die Initiative und zwar ohne Verantwortlichkeit, da sie ihr Thun stets verläugnen und den Rückzug einschlagen könnten, wenn es ihnen beliebt. Nach der Ansicht meines Vaters erklärt sich die Frau mittels flüchtiger Blicke, die sie später, wenn es sein muß, vor ihrem eignen Gewissen verläugnet, und die der Mann, dem sie gelten, nicht einfach zu lesen, sondern deren Sinn er nur zu errathen vermag. Auf diese Weise, halb durch einen elektrischen Strom, halb durch eine sehr feine, unerklärliche Intuition verkehrt der liebende mit dem geliebten Theil, und wenn der eine derselben sich später entschließt zu reden, so hat er bereits die volle Sicherheit, daß seine Empfindungen erwiedert werden.

Wer weiß, ob diese Anschauungen meines Vaters, die ich anhöre, weil ich sie anhören muß, mir nicht im Kopf herumgingen und mir vorzauberten, was nicht existirt.

Immerhin sage ich mir bisweilen: Wäre es denn so ungereimt, so unmöglich, daß es sich so verhielte? Und wenn es wirklich so wäre, wenn ich Pepita in anderer Weise, denn als Freund, gefiele, wenn die Frau, um die mein Vater wirbt, sich in mich verliebte – wäre meine Lage dann nicht entsetzlich?

Fort mit diesen Befürchtungen, die mir ohne Zweifel nur die Eitelkeit eingiebt! Machen wir aus Pepita keine Phädra, und aus mir keinen Hippolyt.

Was mich am meisten wundert, ist die Sorglosigkeit und die vollständige Ruhe meines Vaters. Verzeihen Sie mir, und möge Gott mir meinen Hochmuth vergeben, aber von Zeit zu Zeit betrübt und ärgert mich diese Sicherheit. Bin ich denn, sage ich mir, so häßlich, daß mein Vater trotz meiner vorausgesetzten Heiligkeit – oder just wegen dieser meiner vermeintlichen Heiligkeit – gar nicht fürchtet, ich könne, ohne es zu wollen, Pepita in mich verliebt machen? Es ist eine seltsame Grübelei, die ich da anstelle, und durch welche ich mir, ohne meine Eigenliebe zu verletzen, die väterliche Sorglosigkeit bei einer so wichtigen Sache zu erklären suche. Mein Vater betrachtet sich bereits, ohne daß er ein Recht dazu hat, als Pepita's Gatte und ist schon mit jener verhängnisvollen Blindheit geschlagen, mit welcher Asmodi oder irgend ein anderer noch ärgerer Dämon die Ehemänner heimsucht. Die profane sowohl wie die Kirchengeschichte sind voll Erzählungen dieser Blindheit, die Gott – jedenfalls aus besonderen Gründen – in seiner weisen Vorsehung zuläßt. Das schönste Beispiel in dieser Beziehung liefert vielleicht der Kaiser Mark Aurel, der ein so leichtfertiges, lasterhaftes Weib wie die Faustina zur Gattin hatte, und, obgleich ein weiser, scharfsinniger Philosoph, niemals bemerkte, was alle Römer wußten; weshalb er denn auch in seinen Betrachtungen und Erinnerungen, die er über sich selbst verfaßte, den unsterblichen Göttern unendlichen Dank zollt, daß sie ihm ein so treues, braves Weib gegeben, so daß er das Gelächter seiner Zeitgenossen und aller zukünftigen Geschlechter herausforderte. Aber man sieht es ja alle Tage, daß sogar Fürsten und große Männer diejenigen, die es mit ihren Frauen halten, zu ihren Secretären machen und ihnen ihr ganzes Vertrauen schenken. Auf diese Weise erkläre ich es mir, daß mein Vater so sorglos ist und gar nicht befürchtet, ich könnte, wenn auch wider meinen Willen, sein Nebenbuhler werden.

Es wäre ein Mangel an Hochachtung, ich würde mich unverschämter Anmaßung schuldig machen, wollte ich meinen Vater auf die Gefahr, die er nicht sieht, aufmerksam machen. Es giebt gar kein Mittel, es ihm zu sagen, und zudem, was sollte ich ihm sagen? Daß es mir so vorkommt, als ob Pepita mich einige Male in anderer Weise angesehen, als sie die Menschen sonst anzusehen pflegt? Kann das nicht meinerseits ein bloßer Wahn sein? Nein, ich habe nicht den geringsten Beweis dafür, daß Pepita auch nur mit mir kokettiren möchte.

Was also könnte ich meinem Vater sagen? Soll ich ihm etwa sagen, daß ich in Pepita verliebt sei, daß ich nach dem Schatze begehre, den er bereits als den seinen betrachtet? Das ist nicht wahr; und vor allem: wie könnte ich dies alles, selbst wenn es wahr wäre, meinem Vater zu meinem Unglück und zu meiner Schande erklären?

Das beste ist, ich schweige, kämpfe im Stillen, wenn die Versuchung mir wirklich nahen und mich bedrohen sollte, und versuche sobald wie möglich diesen Ort zu verlassen und zu Ihnen zurückzukehren.

*

19. Mai.

Gott und Ihnen sage ich Dank für die neuen Briefe und die neuen Rathschläge, die Sie mir schicken. Heut bedarf ich derselben mehr denn je.

Die mystische Aerztin, die heilige Therese, hat vollkommen Recht, wenn sie von den großen Qualen jener furchtsamen Seelen spricht, welche sich durch die Versuchungen zu leicht beunruhigen lassen; allein tausendmal größer ist die Pein der Enttäuschten, welche, wie ich, zu vertrauensvoll und zu hochmüthig waren.

Tempel des heiligen Geistes sind unsere Körper; aber wenn wir das Feuer den Mauern dieses Tempels nahe bringen, so werden sie von der Flamme, wenn nicht verzehrt, so doch geschwärzt.

Die erste Versuchung ist gleichsam das Haupt der Schlange. Wenn wir sie nicht mit einem kräftigen, sichern Schlage vernichten, so erhebt sich das giftige Reptil und versteckt sich an unserm Busen.

Der Trank der weltlichen Vergnügungen, wie unschuldig sie auch sein mögen, ist dem Gaumen gewöhnlich süß, aber ach, gar bald verwandelt er sich in Drachengalle und Schlangengift.

Ich vermag es Ihnen nicht mehr zu verbergen, lieber Oheim: ich hätte diese höchst gefährliche Frau nicht mit solchem Wohlgefallen ansehen sollen.

Noch halte ich mich nicht für verloren; aber ich bin in großer Aufregung.

Gleichwie das durstige Schaf sich nach der Quelle sehnt, so sucht meine Seele immer noch Gott. Zu Gott wendet sie sich, auf daß er ihr Ruhe gebe; es verlangt sie aus dem Strom seiner Freuden zu trinken; aber ein Abgrund öffnet einen zweiten und meine Füße stecken in dem Schlamme, der den Grund deckt.

Dennoch bleibt mir so viel Kraft, um mit dem Psalmisten rufen zu können: Erhebe dich, mein Ruhm! Stellst du dich auf meine Seite, wer wird dann wider mich ankämpfen können.

Ich sage zu meiner sündigen Seele, die voll chimärischer Einbildungen und unbestimmter Wünsche ist – es sind ihre illegitimen Kinder – o unglückselige Tochter Babylons! Glücklich, wer dir deinen Lohn giebt!

Kasteiungen, fasten, beten, Reue – das sollen die Waffen sein, deren ich mich bedienen werde, um mit Gottes Hilfe den Kampf aufzunehmen und zu siegen.

Es war weder ein Traum noch eine Thorheit; es war die Wahrheit. Sie schaut mich zuweilen mit dem glühenden Blick an, von welchem ich Ihnen sprach; ihren Augen ist ein unerklärlicher magnetischer Zauber eigen. Sie zieht mich an, sie verlockt mich und dann heften sich meine Augen auf sie; dann müssen meine Augen glühen wie die ihren, mit verhängnisvoller Glut; wie jene der Amon, als sie ihre Blicke auf Tamar richtete, – wie jene des Fürsten von Sichem, als er die Dina erblickte.

Wenn wir uns so anschauen, dann vergesse ich sogar Gott. Ihr Bild erfüllt mein ganzes Herz, verdrängt alles; ihre Schönheit überstrahlt alle andere Schönheit; die Wonnen des Himmels erscheinen mir unbedeutend gegenüber ihrer Liebe; eine Ewigkeit von Qualen sind mir dann keine genügende Vergeltung für die unendliche Glückseligkeit, welche ich während eines einzigen Momentes empfinde, wenn einer dieser Blicke wie ein Blitz über mich hinzuckt.

Wenn ich nach Hause zurückkehre, wenn ich mich allein in meinem Zimmer, in dem Schweigen der Nacht befinde, dann erkenne ich die ganze Entsetzlichkeit meiner Lage und fasse die besten Vorsätze, die aber sofort wieder in nichts zerrinnen.

Ich verspreche mir selbst, mich krank zu stellen, oder irgend einen andern Vorwand zu suchen, um mich am folgenden Abend nicht in Pepita's Haus zu begeben; aber ich gehe doch wieder hin.

Wenn die Stunde naht, so sagt mein Vater mit dem größten Selbstvertrauen und ohne zu ahnen, was in meiner Seele vorgeht:

»Geh in die Abendgesellschaft, ich komme später nach, sobald ich die Geschäfte mit dem Verwalter erledigt habe.«

Ich vermag keine Entschuldigung, keinen Vorwand zu finden, und anstatt zu antworten: »ich kann nicht hingehen«, nehme ich den Hut und eile fort.

Wenn ich ins Zimmer trete, reicht mir Pepita die Hand und ich gebe ihr die meine und die bloße Berührung ihrer Finger verzaubert mich. Mein ganzes Sein ist verwandelt. Bis in meine innerste Seele dringt ein verzehrendes Feuer, und ich denke an nichts als an sie. Bisweilen fordere ich selbst ihre Blicke heraus, wenn sich dieselben längere Zeit nicht auf mich richten. Mit wahnsinniger Wonne, von einem unwiderstehlichen Drange genöthigt, schaue ich sie an, und jeden Augenblick glaube ich neue Vorzüge an ihr zu entdecken. Bald ist es das Wangengrübchen, wenn sie lächelt, bald das rosige Weiß ihres Antlitzes, bald die regelmäßige Form ihrer Nüstern oder die Kleinheit ihres Ohres oder die herrlichen Umrisse, die wunderbaren Linien ihres Halses.

Wider Willen, wie durch Zauber angelockt, betrete ich ihr Haus, und kaum bin ich eingetreten, so befinde ich mich im Bannkreis ihres Zaubers; ich sehe deutlich, daß ich von einem Verhängnis beherrscht werde, dessen Zauber ich nicht zu entfliehen vermag.

Sie ist nicht nur das Entzücken meiner Augen, nein auch ihre Stimme tönt in mein Ohr wie Himmelsmusik; sie offenbart mir alle Harmonie des Universums, und ich bilde mir sogar ein, daß ein feiner Duft ihren Körper umschwebe – ein Duft, herrlicher als der Wohlgeruch des Minzenkrauts, das am Ufer des Baches wächst, und wohlriechender als das Waldarom des Thymian, der auf den Bergen gedeiht.

In solcher Aufregung weiß ich nicht, wie ich den Tresillo spiele oder was ich rede; ich weiß nicht, ob ich vernünftige oder unsinnige Worte sage, denn ich gehe ganz in ihr auf.

So oft unsere Blicke sich begegnen, verschmelzen sich unsre Seelen, und mir ist, als ob sie in den sich kreuzenden Strahlen sich vereinen und durchdringen. Hier offenbaren sich mir tausend unsagbare Geheimnisse der Liebe, hier begegnen sich Gedanken, die auf andere Weise niemals sich äußern können, und hier erklingen Poesien, welche keine menschliche Sprache zu fassen vermag; hier werden Lieder gesungen, welche keine Stimme ausdrücken, kein Instrument nachahmen kann.

Seit dem Tage, da ich Pepita am Solanabrunnen sah, habe ich sie allein nicht wieder gesehen. Nichts habe ich ihr gesagt, nichts hat sie mir gesagt und doch haben wir uns alles gesagt. Wenn ich mich dem Zauber entzogen habe, wenn ich in nächtlicher Stunde allein in meinem Zimmer bin, dann versuche ich ruhig und kalt den Zustand, in welchem ich mich befinde, mir klar zu machen, – dann sehe ich zu meinen Füßen einen Abgrund gähnen, in den ich zu stürzen im Begriff bin, dann fühle ich, daß der Boden unter mir weicht, daß ich hinabsinke.

Sie rathen mir, ich möchte an den Tod denken, nicht an den dieser Frau, sondern an meinen eigenen. Sie rathen mir, ich möchte an das Unsichere, Schwankende unserer Existenz und an die Dinge im Jenseits denken. Allein solche Erwägungen und Betrachtungen schrecken mich nicht im geringsten. Wie sollte ich den Tod fürchten, wenn ich zu sterben verlange? Liebe und Tod sind Geschwister. Ein Gefühl der Selbstentäußerung erfüllt mein innerstes Wesen, lockt mich gleichsam an und sagt mir, mein ganzes Sein müsse sich dem geliebten Gegenstande hingeben, sich in ihm verlieren. Mein sehnlichster Wunsch ist, ganz in ihren Blicken aufzugehen, mein ganzes Wesen in dem Lichtstrahl ihrer Augen hinzufluten und sich verzehren zu lassen, in die Anschauung Pepita's verloren zu sterben, auch wenn mir ewige Verdammnis droht.

Das, was sich in mir mit Macht gegen die Liebe auflehnt, ist nicht die Furcht vor der Liebe, sondern die Liebe selbst. Ueber dieser fest stehenden, mir von Pepita eingeflößten Liebe erhebt sich in meiner Seele hoch und gewaltig die göttliche Liebe. Dann verwandelt sich alles in mir und ich hoffe noch zu siegen. Der Gegenstand dieser meiner höheren Liebe erhebt sich vor meinem geistigen Auge gleich der Sonne, welche alles entzündet und erleuchtet, allen Raum mit ihrem Licht erfüllend; und der Gegenstand meiner gemeineren Liebe erscheint mir dann als ein Staubatom, das in der Luft schwebt und von der Sonne vergoldet wird. All ihre Schönheit, all ihr Glanz, all ihre Reize sind nichts anderes als der Wiederschein dieser unkörperlichen Sonne, nichts anderes als der glänzende, vergängliche, bald verschwindende Funken jenes unendlichen, ewigen Lichtkörpers.

Meine in Liebe glühende Seele möchte sich Schwingen schaffen und emporstreben und sich erheben zu diesem Licht, um dort oben in seiner Flamme alles Unreine sich verzehren zu lassen.

Seit einigen Tagen ist mein Leben ein beständiger Kampf. Ich weiß nicht, wie es kommt, daß die Pein, welche ich leide, mir noch nicht zu Kopf gestiegen ist. Kaum daß ich noch athme; kaum daß ich schlafe: wenn der Schlummer meine Lider schließt, dann fahre ich sofort entsetzt wieder empor, als befände ich mich in einer heißen Schlacht zwischen abtrünnigen und guten Engeln. In diesem Kampf des Lichtes wider die Finsternis kämpfe ich für das Licht; allein bisweilen ist es mir, als ginge ich zum Feinde über, als sei ich ein nichtswürdiger Ueberläufer, und dann höre ich die Stimme des Adlers von Patmos, welche sagt: »Und die Menschen werden die Finsternis dem Lichte vorziehen«, und dann ergreift mich Entsetzen, und ich halte mich für verloren.

Mir bleibt kein andres Mittel als die Flucht. Wenn mein Vater mich nicht vor Ablauf des Monats abreisen läßt und mich nicht begleitet, so fliehe ich heimlich wie ein Dieb; ich fliehe, ohne ihr ein Wort zu sagen.

*

23. Mai.

Ich bin ein elender Wurm, kein Mann; ich bin der Auswurf, der Abschaum der Menschheit; ich bin ein Heuchler.

Ich habe die Qualen des Todes erduldet, und die Ströme des Bösen haben mich in ihren Wirbel gezogen.

Ich schäme mich, Ihnen zu schreiben, und dennoch schreibe ich. Ich muß Ihnen alles gestehen.

Ich vermag mich nicht zu bessern. Weit entfernt, Pepita's Haus nicht mehr zu besuchen, gehe ich Abend für Abend wie früher hin. Man sollte meinen, die Dämonen beflügelten meine Füße und trügen mich wider meinen Willen hin.

Zum Glück finde ich Pepita niemals allein. Ich will sie auch nicht allein finden. Fast immer kommt mir der vortreffliche Padre Vikar zuvor, der solche Freundschaft der Uebereinstimmung unserer religiösen Anschauungen zuschreibt, und stellt sie auf gleiche Stufe mit der unschuldigen Freundschaft, die er selbst für sie empfindet.

Mein Leiden hat sich mit ungeahnter Schnelligkeit entwickelt. Wie der Stein, der hoch vom Kirchthurm sich ablöst und im Fall seine Schnelligkeit verdoppelt, verhundertfacht, so ist jetzt mein Geist.

Wenn Pepita und ich sich die Hände reichen, so ist es nicht mehr wie im Anfang. Beide strengen wir unsern Willen an und theilen uns mittels unserer verschlungenen Hände all das heftige Pochen unseres Herzens mit. Es ist mir, als ob wir durch teuflische Künste die Transfusion und Vermischung unseres Blutes vollzögen. Sie muß fühlen, wie mein Leben durch ihre Adern rollt, gleichwie ich in dem meinen ihr Leben empfinde.

Bin ich ihr nahe, so liebe ich sie, bin ich ihr fern, so hasse ich sie. Bei ihrem Anblick, in ihrer Gegenwart packt mich die Gewalt der Liebe, zieht mich mit Macht an, fesselt mich mit entsetzlicher Süßigkeit und beugt mich unter ein beglückendes Joch.

Wenn ich an sie denke, fühle ich eine tödtliche Beklemmung. Träume ich von ihr, so sehe ich, wie sie mir die Kehle zerschneidet, wie Judith dem Feldherrn der Assyrer, oder wie sie mir einen Nagel in die Schläfe schlägt wie Jael dem Sisara. Aber in ihrer Nähe erscheint sie mir als die Braut des Hohenliedes, und ich rufe sie mit der Stimme meines Innern und segne sie und nenne sie einen unerschöpflichen Born, einen geheimen Garten, eine Blume des Tages, eine Lilie des Feldes, meine Taube, meine Schwester.

Ich versuche mich von diesem Weibe zu befreien und vermag es nicht. Ich verabscheue sie, und ich bete sie an. Ihr Geist vermählt sich so innig dem meinen, daß ich sie beständig sehe, und sie beherrscht, besitzt, demüthigt mich.

Abend für Abend sage ich mir, wenn ich ihr Haus verlasse: »Das ist das letzte Mal, – ich kehre niemals wieder«, – und am folgenden Abend kehre ich wieder.

Wenn sie redet und ich befinde mich in ihrer Nähe, so ist meine Seele gleichsam an ihre Lippen gebannt; wenn sie lächelt, so scheint mir ein unnatürlicher Lichtstrahl ins Herz zu dringen und es zu erleuchten.

Mehrmals haben unsere Knie beim Tresillospiel sich zufällig berührt und dann durchrieselte mich ein unbeschreiblicher Schauer.

Nehmen Sie mich fort von hier. Schreiben Sie meinem Vater, er solle mich abreisen lassen. Wenn es sein muß, so sagen Sie ihm alles. Kommen Sie mir zur Hilfe! Seien Sie meine Stütze!

*

30. Mai

Gott gab mir die Kraft zu widerstehen, und ich habe widerstanden.

Seit einigen Tagen setze ich keinen Fuß mehr in Pepita's Haus, und ich sehe sie auch nicht mehr.

Ich brauche eigentlich keine Krankheit mehr vorzuschützen, denn ich bin wirklich krank. Ich sehe bleich und angegriffen aus und mein Vater, immer voll zärtlicher Sorge, fragt mich, was mir fehle, und bekundet die lebhafteste Theilnahme.

Das Himmelreich weicht der Gewalt, und ich will siegen. Laut rufe ich dann an seinen Pforten, damit es sich mir aufthue.

Gott tränkte mich mit Galle, um mich zu prüfen, und vergebens flehte ich zu ihm, diesen Kelch der Bitterkeit von mir zu nehmen; allein wachend und betend verbrachte und verbringe ich viele Nächte, und er hat die Bitterkeit des Kelches mir versüßt durch eine milde, erhabene Tröstung, welche er meinem Herzen einflößte.

Ich schaute mit den Augen des Geistes das nahe Vaterland, und in dem Innersten meines Herzens ertönte das neue Lied von dem himmlischen Jerusalem.

Wenn ich endlich siege, so wird mein Sieg ein ruhmreicher sein, aber ich werde ihn der Königin der Engel danken, der ich mich empfahl. Sie ist meine Zuflucht und mein Schutz, Thurm und Feste Davids, von welcher tausend Schilde und Rüstungen tapferer Kämpfer herabhängen. Die Ceder des Libanon, vor welcher die Schlangen fliehen.

Vergebens mühte sich die Frau, die mich in irdischer Liebe entflammen ließ, sie in meinem Geiste zu verdunkeln und herabzuwürdigen; aber ich gedenke der Worte des Weisen und wende sie an:

»Du bist eine Schlinge der Jäger,« sage ich ihr, »dein Herz ist ein trügerisches Netz und deine Hände stricken weiche Fesseln; wer Gott liebt, wird dich fliehen, und der Sünder wird von dir gefangen genommen.«

Wenn ich über meine Liebe in Grübelei versinke, so finde ich tausend Gründe, Gott zu lieben und nicht sie.

Ich fühle, wie in meinem Herzen eine unwiderstehliche Thatkraft erwacht ist, welche mich überzeugt, daß ich alles um der Liebe Gottes willen verachten werde: Ruhm, Ehre, Macht und Herrschaft. Ich fühle mich fähig, Christus nachzuahmen, und wenn der feindliche Versucher mich auf den Gipfel des Berges höbe und mir alle Reiche der Erde böte, damit ich vor ihm niederkniete, ich würde nicht knien; aber wenn er mir dieses Weib böte, damit ich vor ihm niederkniete, ich würde wanken und ihn nicht zurückstoßen. Gilt denn in meinen Augen diese Frau mehr als alle Reiche der Erde, mehr als Ruhm, Macht, Ehre und Herrschaft?

»Ist die Macht der Liebe,« frage ich mich manchmal, »immer dieselbe, wenn auch auf verschiedene Gegenstände gerichtet, oder giebt es zwei verschiedene Arten von Liebe?« Gottesliebe erscheint mir als die Verneinung der Selbstsucht und der Ausschließlichkeit. Wenn ich Ihn lieben kann, dann will ich alles durch Ihn lieben, und es verdrießt mich weder, noch macht es mich eifersüchtig, daß Er alles liebt. Ich bin weder neidisch noch eifersüchtig auf die Heiligen, noch auf die Märtyrer, noch auf die Seligen, ja nicht einmal auf die Engel. Je mehr ich an Gottes Liebe zu den Geschöpfen und an die Gnade und die Gaben denke, die Er ihnen verleiht, um so weniger bin ich eifersüchtig, und um so mehr liebe ich Ihn, um so näher wähne ich mich Ihm, und so liebreich und milde erscheint Er mir, als sei Er bei mir. Meine innige Bruderschaft und Liebe zu allen Wesen hat dann etwas Heiliges für mich. Mir ist, als sei ich eins mit Ihm, als sei alles durch Gott und in Gott umschlungen von dem Bande der Liebe.

Ganz entgegengesetzt ist es, wenn ich an diese Frau und die Liebe denke, die sie mir einflößt. Es ist eine Liebe des Hasses, die mich von allem entfernt, außer von mir selbst. Ich wünsche sie für mich, ganz allein für mich und mich ganz für sie. Selbst die Frömmigkeit und die Aufopferung für sie sind Egoismus. Ich möchte für sie sterben – ob aus Verzweiflung, sie auf andre Weise nicht besitzen zu können, oder in dem Zweifel, ihre Liebe nicht ganz und gar erlangen zu können – ich möchte für sie sterben und im Sterben in ewiger Umarmung mich mit ihr vereinen.

Durch alle diese Betrachtungen suche ich mir Abscheu wider die Liebe dieser Frau einzuflößen; ich bemühe mich, dieser Liebe etwas Höllisches, entsetzlich Schimpfliches beizumischen; aber als wohnten zwei Seelen in mir, zwei Intellekte, zwei Willen und zwei Phantasieen, erhebt sich in meinem Innern sofort der entgegengesetzte Gedanke, sofort verneine ich mir, was ich mir soeben behauptet und versuche thörichterweise die beiden Liebesleidenschaften zu versöhnen. Warum kann ich sie nicht fliehen und sie dabei dennoch lieben, ohne darauf verzichten zu müssen, mich dem Dienste Gottes zu weihen? Da die Liebe zu Gott, die Liebe zum Vaterlande, die Liebe zur Menschheit, zur Wissenschaft, zu allem Schönen in Kunst und Natur nicht ausschließt, so darf auch diese Liebe die Liebe zu Gott nicht ausschließen, wenn sie geistiger und makelloser Art ist. Ich will sie, so sage ich mir, zu einem Symbol, zu einer Allegorie, zu einem Bildnis alles Guten und Schönen auf Erden machen. Sie wird mir dann eine Beatrice, was diese dem Dante war, das greifbare Bild, die sinnfällige Darstellung meines Vaterlandes, der Wissenschaft und der Schönheit.

Das bringt mich jedoch auf eine entsetzliche Vorstellung, einen ungeheuerlichen Gedanken. Um aus Pepita dieses Symbol, dieses vergeistigte, ätherische Bild, um aus ihr die Summe alles dessen zu machen, was ich nächst Gott am meisten liebe, muß ich sie mir als Gestorbene denken, – just wie Beatrice todt war, als Dante sie besang.

Lasse ich sie unter den Lebenden, so vermag ich sie nicht in eine reine Idee zu verwandeln, und um sie in eine reine Idee zu verwandeln, tödte ich sie in Gedanken.

Aber dann beweine ich sie sofort, entsetze mich vor meinem Verbrechen, nahe mich ihr im Geiste und rufe sie mit der Glut meines Herzens ins Leben zurück und schaue sie vor mir, nicht als unkörperliches Luftgebild halb zwischen rosigen Wolken und himmlischen Blumen verschleiert, wie der wilde Ghibelin seine Geliebte im Fegefeuer sah, sondern leibhaftig wie sie lebt und webt, in deutlichen, klaren Umrissen dastehend, gleich den vollendetsten Werken des hellenischen Meißels, gleich Galatea, welche von der Liebe Pygmalions zum Leben erweckt wurde, und Liebe athmend, von Jugend und Schönheit strahlend, von ihrem Marmorsockel niederstieg.

Dann rufe ich aus der Tiefe meines gepeinigten Herzens: »Meine Tugend ist zu ohnmächtig; mein Gott, verlaß mich nicht! Eile mir zu Hilfe, zeige mir dein Antlitz und ich bin gerettet!«

So werde ich die Kraft gewinnen, der Versuchung zu widerstehen. So lebt in mir die Hoffnung wieder auf, daß der frühere Frieden wiederkehrt, der hier an diesem Orte von mir gewichen ist.

Wüthend strebt der Teufel die reinen Wasser des Jordan, das heißt diejenigen, welche sich Gott weihen, zu trüben. Er ruft wider sie die Hölle an, entfesselt all ihre Ungeheuer. Der heilige Bonaventura hat gesagt: »Wir dürfen uns nicht wundern, wenn diese Menschen sündigen, sondern wenn sie nicht sündigen.« Ich werde trotz alledem zu widerstehen wissen und nicht sündigen. Gott beschütze und beschirme mich.

*

6. Juni.

Pepita's Amme, heut ihre Haushälterin, ist, wie mein Vater behauptet, ein verschmitztes Frauenzimmer, schwatzhaft, heiter und tüchtig wie wenige. Sie war mit dem Sohn des Meisters Cencias verheirathet und hat vom Vater das geerbt, was der Sohn nicht erbte: eine wunderbare Geschicklichkeit zu allen Arbeiten und Künsten; der Unterschied besteht darin: Meister Cencias macht Schrauben für eine Kelter, befestigt Wagenräder oder fabricirt einen Pflug, während seine Schwiegertochter Süßigkeiten, Conserven und allerlei Backwerk bereitet. Der Schwiegervater ist in nützlichen Verrichtungen gewandt, während die Schwiegertochter in angenehmen Kunstfertigkeiten bewandert ist, welche jedoch über das Unschuldige oder doch Erlaubte nicht hinausgehen.

Antonnona, denn so heißt sie, erlaubt sich die größten Vertraulichkeiten mit allen Personen von einiger Bedeutung. In allen Häusern geht sie ein und aus, als wäre es ihr eigenes Haus. Alle jungen Herren und Damen, die in Pepita's Alter stehen oder höchstens vier, fünf Jahre mehr zählen, redet sie mit Du an und nennt sie Kinder und verkehrt mit ihnen, als hätte sie sie alle erzogen.

Mit mir spricht sie ganz wie mit allen andern. Sie besucht mich, tritt ungenirt in mein Zimmer und hat mir schon wiederholt gesagt, ich sei ein undankbarer Mensch, und es wäre schlecht von mir, daß ich gar nicht mehr zu ihrer Herrin käme.

Mein Vater, der nichts gemerkt hat, meint, ich sei ein Sonderling, nennt mich einen Grillenfänger und dringt ebenfalls in mich, ich solle die Abendgesellschaft wieder besuchen. Gestern Abend vermochte ich seinen unaufhörlichen Bitten nicht zu widerstehen, und ich ging schon sehr früh fort, während mein Vater mit dem Verwalter noch häusliche Angelegenheiten zu ordnen hatte.

Ach, wäre ich doch nicht hingegangen! Pepita war allein. Als wir uns erblickten und einander begrüßten, errötheten wir beide. Schüchtern und ohne ein Wort zu sagen, reichten wir uns die Hand.

Ich drückte die ihre nicht, doch auch sie drückte die meine nicht.

Aber wir ließen unsre Hände eine Weile vereint.

In Pepita's Blick lag nichts, was von Liebe sprach, – nichts als Freundschaft, Theilnahme und tiefe Traurigkeit.

Sie hatte alle meine Seelenkämpfe errathen, sie merkte, daß die göttliche Liebe in meinem Herzen gesiegt hatte, und daß mein Entschluß, sie nicht zu lieben, unerschütterlich fest stand.

Sie wagte es nicht, sich über mich zu beklagen, sie hatte ja auch kein Recht dazu. Sie wußte, daß das Richtige auf meiner Seite war. Ein kaum wahrnehmbarer Seufzer, der sich ihren frischen, halbgeöffneten Lippen entrang, bewies mir, wie nahe ihr das ging.

Unsre Hände waren noch immer vereint. Wir bewahrten beide Schweigen. Wie sollte ich es ihr sagen, daß ich nicht für sie und sie nicht für mich bestimmt wäre? Daß wir auf immer scheiden müßten? Und dennoch, obgleich meine Lippen es ihr nicht sagten, sagten es doch meine Augen. Mein ernster Blick bestätigte ihre Befürchtungen; er verkündete ihr einen unabänderlichen Urtheilsspruch.

Da mit einem Male trübten sich ihre Augen, ihr schönes, mit einer durchsichtigen Blässe bedecktes Antlitz nahm einen wunderbar schönen, schwermüthigen Ausdruck an. Sie erschien mir wie die schmerzensreiche Mutter Gottes. Zwei Thränen drangen langsam aus ihren Augen hervor und rollten über die Wangen.

Ich weiß nicht, was in mir vorging; ich vermöchte es auch nicht zu schildern, selbst wenn ich es wüßte.

Meine Lippen näherten sich ihrem Antlitz, ihre Thränen zu trocknen und unsere Lippen vereinten sich in einem Kuß.

Unaussprechliche Trunkenheit, eine Empfindung wie eine Art Ohnmacht, voller Gefahren für uns beide, durchschauerte unser ganzes Sein. Ihr Körper wankte und ich fing sie in meinen Armen auf.

Der Himmel wollte, daß wir die Schritte und das Husten des ankommenden Herrn Vikars vernahmen, und schnell trennten wir uns.

Als ich wieder zu mir gekommen war, nahm ich alle meine Willenskraft zusammen, und so vermochte ich mit leisem, aber festem Ton diese schreckliche stumme Scene zu unterbrechen mit folgenden Worten:

»Der erste und der letzte!«

Ich meinte den sündhaften Kuß; aber als wären meine Worte ein Zuruf gewesen, erschien plötzlich vor meinem Geiste in seiner ganzen, schrecklichen Majestät die apokalyptische Vision. Ich erblickte ihn, der in Wahrheit der erste und der letzte ist und der mit seinem zweischneidigen Schwert, das aus seinem Munde hervorzuckte, meine von Bosheit, Frevel und Sünde erfüllte Seele durchbohrte.

Den ganzen Abend verbrachte ich in wahnsinniger Aufregung in einem inneren Fieberzustande, und ich weiß nicht, wie es mir möglich war, mich zu verstellen.

Sehr früh verließ ich Pepita's Haus und zog mich zurück.

In der Einsamkeit empfand ich eine noch größere innere Bitterkeit.

Wenn ich jenes Kusses und jener Abschiedsworte gedachte, verglich ich mich mit dem Verräther Judas, der den Herrn mit einem Kusse verkaufte, so wie mit dem schändlichen blutgierigen Mörder Johab, der Amasa das scharfe Eisen in das Herz stieß, während er ihn küßte.

Ich hatte mich eines doppelten Verrathes, einer doppelten Falschheit schuldig gemacht.

Ich hatte Gott und sie zugleich betrogen.

Ich bin ein verabscheuungswürdiges Wesen.

*

11. Juni.

Noch ist es früh genug, alles wieder gut zu machen. Pepita wird von ihrer Liebespein gesunden und die Schwäche, deren wir uns beide schuldig machten, vergessen. – Seit jenem Abend habe ich ihr Haus nicht wieder betreten.

Antonnona hat sich bei mir nicht wieder sehen lassen.

Durch meine vielen Bitten habe ich von meinem Vater das bestimmte Versprechen erlangt, daß wir am 25., also nach dem St. Johannisfeste, das hier sehr glänzend gefeiert wird, und an dessen Vorabend eine berühmte Vigilie abgehalten wird, unbedingt abreisen werden.

Fern von Pepita werde ich den Frieden wiederfinden und zu der Ansicht gelangen, daß dieser Liebesanfang vielleicht eine Prüfung gewesen.

In all diesen Nächten habe ich gebetet, gewacht und mich viel kasteit.

Meine beharrlichen Gebete, die tiefe Zerknirschung meiner Seele haben Gnade gefunden vor dem Herrn, der mir seine große Barmherzigkeit gezeigt hat.

Der Herr hat, wie der Prophet sagt, meinen starken Geist entzündet, meinen Verstand erleuchtet, meinen Willen gestärkt und mich belehrt.

Die nimmer rastende göttliche Liebe hat, ohne daß ich es verdiente, mich zurückzuführen verstanden zum Gebet und zu thätiger Ruhe. Ich habe alle gemeinen Gewalten, jedes Bild, das dieser Frau nicht ausgeschlossen, aus meinem Herzen verbannt, und so glaube ich, wenn der Stolz mich nicht blendet, daß ich noch zum Genuß des höchsten Gutes gelangen werde, das in meiner innersten Seele ruht.

Außer diesem Gut ist alles Elend, außer dieser Schönheit ist alles Häßlichkeit; außer dieser Seligkeit ist alles Jammer, außer dieser Hoheit alles Niedrigkeit. Wer möchte um der Liebe Gottes willen nicht alle andre Liebe vergessen und verachten?

Ja das weltliche Bild dieser Frau wird gänzlich und auf immer aus meinem Herzen schwinden. Ich werde mit meinen Gebeten und meinen Bußübungen eine harte, sehr harte Strafe mit mir vornehmen und dadurch sie verjagen – wie Christus die gottlosen Händler aus dem Tempel verjagte.

*

18. Juni.

Dies ist der letzte Brief, den ich Ihnen schreibe.

Am 25. reise ich unbedingt von hier ab. Ich werde nun bald die Freude haben, Sie zu umarmen.

In Ihrer Nähe wird mir wohler sein. Sie werden mir Muth einflößen und mir die Thatkraft verleihen, deren ich bedarf.

Ein Sturm von widerstreitenden Empfindungen tobt jetzt noch in meinem Herzen.

Welche Unordnung in meinen Gedanken herrscht, werden Sie aus der Unordnung ersehen, mit der ich Ihnen schreibe.

Noch zweimal bin ich in Pepita's Hause gewesen. Ich war kalt, finster, wie ich es sein mußte; aber was hat es mich gekostet!

Gestern sagte mir mein Vater, Pepita sei unwohl und empfange nicht. Da ging mir der Gedanke durch den Kopf, ihre schlecht vergoltene Liebe möchte die Ursache dieser Krankheit sein. Warum blickte ich sie mit denselben Flammenblicken an, mit welchen sie mich anschaute? Warum hab' ich sie schändlich betrogen? Warum habe ich sie glauben gemacht, ich liebe sie? Warum suchte mein nichtswürdiger Mund den ihren, und entzündete sich und den ihren mit den Flammen der Hölle?

Aber nein, meine Sünde darf nicht als ein nimmer zu sühnender Frevel eine andre Sünde gebären.

Was geschehen, kann nicht ungeschehen gemacht, aber doch wieder gesühnt werden.

Am 25., ich wiederhole es, werde ich unbedingt abreisen.

Die unverschämte Antonnona war soeben hier, um mich zu sprechen.

Ich verbarg diesen Brief, als wäre es ein Verbrechen, Ihnen zu schreiben.

Antonnona war nur einen Augenblick hier.

Ich stand von meinem Stuhl auf, um ihr zu bedeuten, daß sie ihren Besuch nicht in die Länge ziehen möchte.

Während ihres kurzen Hierseins hat sie mir tausend Thorheiten gesagt, die mich in innerster Seele betrüben.

Beim Fortgehen rief sie mir in ihrer mit Zigeunerausdrücken gemischten Sprache zu:

»Geh, du verliebter Halunke, geh und sei verflucht, du hast meinem Kinde das Herz gestohlen, es krank gemacht und mit deinen Hexenkünsten getödtet!«

Und mit diesen Worten gab mir das Teufelsweib in unpassender und gemeiner Weise mehrere heftige Schläge aus die Schulter, als wollte sie mir die Haut abreißen. Dann lief sie ganz wüthend fort.

Ich beklage mich nicht; ich habe dieses rohe Benehmen verdient. Ich verdiene, daß die Teufel mich mit glühenden Zangen zwicken.

Mein Gott, mache, daß Pepita meiner vergesse; mach, daß sie, wenn es sein muß, einen andern liebe und mit ihm glücklich werde! Dürfte ich noch mehr von dir verlangen, o Gott?

Mein Vater weiß nichts, ahnt nichts. Aber es ist besser so.

Leben Sie wohl. In wenigen Tagen sehen und umarmen wir uns wieder.

Wie werden Sie mich verändert finden! Wie ist mein Herz von Bitterkeit erfüllt! Wie viel Unschuld ist verloren! Wie verwundet und todesmüde ist meine Seele!


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