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Warum ich dieses Buch schrieb.

Im Nesthäkchenhaus war's im Riesengebirge. Ich lag der Länge nach im Grase. Die Grillen zirpten. Sonst kein Laut.

Da hörte ich plötzlich Hallo. Kinderstimmen – Kinderfüße – lauter Buben und Mädel. Nanu – wollten die alle zur Schneekoppe hinaufkraxeln?

Ich blinzelte müde. Die Kinderschar zog nicht weiter. In meinen Garten drang sie ein.

Der ganze Garten war mit einem Male voll von Kindern, großen und kleinen. Das lärmte und lachte, schwatzte und jauchzte durcheinander.

»Tretet mich bloß nicht tot!« rief ich und richtete mich ein wenig in die Höhe.

»Ach, da bist du ja«, sagte ein Knirps erfreut.

»Ja, da bin ich«, erwiderte ich einigermaßen verwundert. »Ich wollte gerade ein kleines Nachmittagsschläfchen halten. Aber ihr Banditen habt mich gestört.«

»Macht nichts«, meinte der Kleine gleichmütig. »Zum Schlafen ist jetzt keine Zeit.«

Und alle Kinder fielen lachend ein: »Schlafen – jetzt am hellichten Tage!«

»Das geht euch gar nichts an«, sagte ich entrüstet. »Was wollt ihr denn eigentlich hier bei mir, ihr Krabben?«

»Klar, Mensch! Dich besuchen«, rief der Kleinste und Frechste.

»Wir wollen dich in deinem Nesthäkchenhause besuchen«, schrien und tobten die andern durcheinander: »Freust du dich denn gar nicht?«

Ich machte ein Gesicht, als ob mir ein Zahn gezogen werden sollte.

»Was, ihr wollt mich alle besuchen? Die ganze Gesellschaft? Vielleicht auch noch zu Schokolade und Kuchen?« fragte ich entsetzt.

»Klar, Mensch!« antwortete der kleinste Frechdachs.

Und »Klar, Mensch!« schrien die andern als Echo hinterdrein.

»Schokolade und Kuchen gehört zu jedem richtigen Besuch«, belehrte mich ein kleines Mädchen.

Soviel Kuchen gab's wahrscheinlich im ganzen Riesengebirge nicht, wie die vielen Kindermäulchen vertilgen konnten.

»Wer seid ihr denn eigentlich, Gören?« erkundigte ich mich, nachdem ich mich von dem Schreck ein wenig erholt hatte.

»Wer wir sind? Na, für so dumm hätten wir dich nicht gehalten. Kennst du uns wirklich nicht? Strenge doch mal deinen Grips an«, so tobten sie durcheinander.

»Ruhe, ihr Rangen! Ihr laßt mich ja gar nicht nachdenken. Seid ihr vielleicht eine Schule, die einen Ausflug ins Riesengebirge macht?«

»Vorbeigeschossen! Weißt du wirklich nicht, wer wir sind? Und dabei haben wir dir schon so oft geschrieben. Geschichten und Zeichnungen, Rätsel und Photos haben wir dir geschickt. Ha – jetzt dämmert's. Natürlich, aus der Nesthäkchenpost von Meidingers Kinderkalender kennen wir uns.«

»Meine Nesthäkchenkinder seid ihr – Hurra!« rief ich und hätte vor Freude einen Luftsprung gemacht, wenn ich nicht gerade auf der Erde im Gras gelegen hätte. »Freilich, dann müssen wir einen Kuchenberg wie die Schneekoppe so hoch auftürmen, wenn meine lieben Nesthäkchenkinder zu Besuch zu mir kommen.«

»Ja, Kuchen – freu' dich nur nicht zu früh«, sagte ein großer Junge, Fritz hieß er. »Mit Kuchen allein ist es nicht getan.«

»Und mit Schokolade auch nicht«, fiel die blonde Hilde ein.

»Na, was wollt ihr denn sonst noch von mir, Kinder?«

»Ein Buch – ein neues Geschichtenbuch! Du sollst uns Geschichten erzählen. Aber gleich – sofort – dalli!« so bestürmten sie mich.

»Kinder, ich bin doch so müde – huah –«, gähnte ich. »Ich wollte doch gerade mein Nachmittagsschläfchen halten – huah.«

Aber die kleinen Quälgeister gaben keine Ruhe.

»Wir schicken dir ja auch jedes Jahr schöne Geschichten für deine Nesthäkchenpost ein. Jetzt bist du an der Reihe.«

»Na, meinetwegen«, sagte ich gottergeben. »Aber zum Geschichtenausdenken brauche ich Ruhe, Kinder.« Ich hoffte, sie würden mich jetzt ein bißchen allein lassen.

Doch da saßen sie mit einem Male alle um mich herum im Grase. »Wir wollen zugucken, wie du Geschichten dichtest.«

»Na, denn man los!« sagte ich. »Aber mucksstill müßt ihr sein.« Ich drehte mich auf die andere Seite und machte die Augen zu. Ganz still wurde es. Nur die Grillen zirpten.

Ich zerbrach mir den Kopf. Aber keine Geschichte wollte mir einfallen. Die kommen nämlich nicht auf Kommando anmarschiert die Geschichten.

Ich wurde kribbelig.

»Laßt mich mit euern Geschichten in Ruhe, Gören. Geschichten kann man nur zu Weihnachten erzählen«, wollte ich gerade rufen. Da hörte ich ein leises spöttisches Lachen. Halb klang's wie Lachen, halb wie der Sang eines Vogels. Aha, die Drossel, die Spottdrossel, die sich über mich lustig machte.

Spottdrossel …. Halt – wie wär's, wenn ich eine Geschichte von der Spottdrossel erzählte?

Ja, das ging – also los!

So entstand die erste Geschichte »Kleine Spottdrossel«. Und wenn man erst einen Anfang hat, dann geht es ganz von selbst weiter. Da braucht man sich gar nicht anzustrengen.

Eine Geschichte nach der andern fiel mir ein.

Als ich nach einer ganzen Weile die Augen wieder öffnete, war mein kleiner Besuch verschwunden. Keine Spur mehr von all den Nesthäkchenkindern. Hatte ich das alles etwa nur geträumt?

Aber die Geschichten, die ich ihnen erzählen wollte, wußte ich noch alle. Ich schrieb sie auf für meine Nesthäkchenkinder.


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