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Molière.

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Seitwärts vom Benediktiner Kloster, das letzte Häuschen an der Mauer des Kirchhofs von St. Joseph bewohnte ein alter Mann, den die Menge verspottete, wo sie seiner nur ansichtig wurde. Er hieß der Wunderdoktor, und die muthwilligen Gassenbuben, die scharfen Kritiker ihres Stadtviertels, erhoben ein Lustgeschrei, wenn einer von ihnen den Wunderdoktor in seinen rothen Strümpfen und schwarzem flatternden Talar, während der Dämmerung, wie vom bösen Gewissen gescheucht, über die Straße hatte fliehen und sogleich sich in die Mauerspalten seines verwitterten Häuschens verbergen gesehen. Dieser Mann war vor noch nicht langen Jahren zurück ein angesehener und selbst berühmter Arzt gewesen; ein Ereigniß, von dem der Verlauf der Geschichte Meldung thut, hatte ihn jedoch, in den Zustand versezt, in welchem er sich jezt befand, und wo sein Charakter den Uebergang vom Sonderling zum melancholische Narren zu bilden schien.

Der einzige Genosse, der den alten Doktor Tristan in seiner tiefen Abgeschiedenheit am Kirchhof zu St. Joseph besuchte, war ein Mann, schon ziemlich vorgerückt an Jahren, mit einem heitern freundlichen Gesichte und von einem Körperbau, der seines Alters zu spotten schien, so jugendlich und gewandt bewegte er sich. Er pflegte gewöhnlich zu kommen, wenn der späte Abendschein die Leichensteine und Hügel des Kirchhofs beleuchtete, und in der Vorstadtstraße dieses abgelegenen Viertels des alten Paris die Handwerksleute Feierabend machten.

So sah man ihn nun auch heute auf die alterthümliche, mit vergoldeten Schnörkeln verzierte Kirchhofpforte zuschreiten, sie öffnen und hineintreten, gleichsam als suchte er zu seinem Umgange einen jener Todten auf, die, nach einem verworrenen und beschwerlichen Lebenslauf, jezt dem friedlichsten und süßesten Schlummer im Arme lagen. Der alte Tristan gehörte auch in der That zu diesen friedfertigen Leuten, und wenn man ihn, wie er jezt that, einsam auf dem Kirchhofe stehen sah, die lange starre Gestalt in den Mantel gehüllt, den grauen Hut ohne Feder und Schnalle tief im Gesichte, so daß die eine Hälfte desselben grell vom Monde beleuchtet hervortrat, die andere scharf abgeschnitten in die Schatten des Hutes versank; wer ihn so stehen sah, allein mit seinem langen, eben so dürren Schatten, der sich über die Gräber hinlagerte, der konnte ihn füglich für einen Nachtwandler aus jener unheimlichen Traumwelt halten, die sich hinterm Rasenhügel und Leichentuche verbirgt.

Der Doktor erwartete ruhig, ohne die verschränkten Arme zum Gruße zu bewegen, die Ankunft seines Gastes, und selbst als dieser jezt vor ihm stand, herrschte eine lange Pause, ehe der Träumer es für bequem fand, die Folge seiner tiefsinnigen Betrachtungen zu unterbrechen; er that es endlich mit einem Vorwurfe:

»Das Glöckchen der Minoriten hat schon zehn angeschlagen, und du kommst jezt erst, Baptiste; wenn du täglich eine Stunde später erscheinen willst, so wird dir kurze Zeit mehr übrig bleiben, um die Lebensaugenblicke, denn in der That, es sind ihrer nur noch wenige, eines alten schwachen Mannes zu erheitern.«

»Der Weg bis in deinen Pallast, Alter,« entgegnete Baptiste, »ist eben nicht der nächste, und dann bedenkst du nicht, daß ich noch in der Welt lebe, und daß folglich mich öfters Geschäfte abhalten.«

»Nichtswürdige Geschäfte, elende Werke sind das! Kein Umstand, er sey welcher er wolle, sollte dich abhalten, deine Freunde zu besuchen, Gevatter. Du siehst, ich statte so eben den meinigen Besuche ab, du findest mich mitten unter ihnen, und als du vorhin etwas ungestüm das Thor öffnetest, lispelte mir eben die schlanke blasse Marquise hier unten das lange Register ihrer hinfälligen Krankheiten in's Ohr. Namentlich wie sie so schwer an der vielen Erde zu tragen habe, die man auf sie gehäuft, sie begreife gar nicht weßhalb, da sie ja doch eigentlich noch nicht todt sey; und in der That, sie hat Recht, noch hat die klagende Melodie der Liebe diese kleine enge Brusthöhle nicht verlassen, noch empfindet dieses Herz; doch nur ein Talent wie das meinige vermag es, bis so tief hinein in die Werkstätte zu dringen, nur ich kenne und verstehe die Sprache eines solchen geheimnißvollen, verschleierten Wesens.«

Der Ankömmling hörte diese Worte mit dem ihm eigenthümlichen Ausdruck von Neugier und gutmüthigem Lächeln; er hatte sich, während Tristan in seiner Stellung verharrte, auf einen der nahen Hügel niedergelassen, und blickte zu seinem wunderlichen Freunde hinauf.

»Was sagst du da, Doktor,« rief er jezt lebhaft, »die Todten sind nicht todt?«

»Sie leben,« hub Tristan an, »gleichwie man von uns sagen kann, daß wir todt sind. Wer mag wohl den Moment bezeichnen, von welchem an wir zu den kalten Leuten hier unten gehören, und wer sagt uns, wie weit diese Schlummernden noch in unser Leben hinaufragen. Bretter, Erde und ein Paar geschlossene Augen bezeichnen noch nicht den Tod.«

»Und was denn noch sonst?« fragte Baptiste, indem er, sich auf seinen Stock stützend, aufschaute.

»Als ich noch in der Welt lebte,« fuhr der Doktor fort, »und jene brausende Stadt, die mit ihren vielen treibenden Städtern jezt weit hinter mir liegt, mich noch zu den Ihrigen zählte; als ich noch kein Bürger dieses freundlichen kleinen Städtchens hier war: da fand ich oft Gelegenheit, der seltsamen Blume des Menschenleibes tief in ihren geheimnißvollen Kelch zu schauen, bis dahin, wo man sagt, daß die Seele wohne. Da habe ich denn Vieles erschaut, und ich gewann diese Blume lieb, weil ich wohl fühlte, daß mich der Himmel zu ihrem Gärtner bestellt. Doch der Mensch mit Seele und Leib ist wohl ein köstlicheres Geschaffenes als alle Blumen in ihrer Pracht – ich sah, daß auf diesen Schatz ein Verderber lauerte, der Tod. Ich schlich ihm nach durch die Straßen von Paris, bald wenn er als unsicher dämmerndes Fantom aus dem Dampf der Kanäle sich erhob, bald wenn er mit der Nebelkappe, jedem Andern unsichtbar, als geheime Pest auf den bunten Marktplatz sich drängte. Doch dieses waren nicht die Orte, wo ich ihm am häufigsten begegnete, nein, ich entdeckte den Schleicher, wie er am liebsten sich in die dämmernden Kabinette schlich, – dort sah ich ihn bei dem magisch verhüllten Lichtschein sich in das Geflüster der Liebe mischen, der Raserei der Leidenschaft und des Treubruchs sein Ohr leihen. Hier war es, ehrwürdigster Gevatter, wo ich manches süße Kind zusammenbrechen sah – den Tod im Herzen, in der Hand den Brief des treulosen Geliebten; oder wenige Häuser weiter erblickte mein Auge den Minister mit dem bleichen Antlitz, auf dem die Muskeln wie wahnsinnige Nachtwandler durcheinander spielten, hinsinken, während ihm die goldnen Sterne seiner Macht von der Brust fielen. Jenes Mädchen, Baptiste, und jener Mann starben damals, obgleich sie noch lange Jahre lebten, so starben sie dennoch damals; ich weiß wohl, ein geringeres Talent wie das meinige hatte jene Armen, da sie nach einiger Zeit gleichsam wieder aufblühten, für geheilt und völlig gesund gehalten: für mich – für mich waren und blieben sie nur Leichen.«

»Mit diesem Scharfblicke,« rief Baptiste, »hättest du nie Arzt werden sollen.«

»Kann man wohl über sich selbst bestimmen?« entgegnete der Doktor; »habe ich fragen dürfen, ward mir eine Wahl? Sind die Retter und Wohlthäter, sowie die Vernichter und Uebelthäter des menschlichen Geschlechts nicht längst vorher auserwählt und bezeichnet? Ist nicht unser großer König, von Urgedenken her, zu dem herrlichen Sieger, zu dem erhabensten Fürsten Europas uns zum Heile bestimmt, und haben Sokrates, Augustus, oder auf der andern Seite Herostrat und Nero ihre Bestimmung wählen dürfen? So war es auch schon längst früher bestimmt, daß der große, aber unglückliche Tristan, der Erfinder des Lebenselixirs, geboren werden sollte, ehe noch dieses gebrechliche und schwache Wesen, das du vor dir siehst, Baptiste, das Licht der Welt erblickte.«

Der Freund, an den diese Worte gerichtet waren, nahm sie mit einem spöttischen Lächeln auf, das er dem Begeisterten jedoch zu verbergen suchte.

»Kommt,« rief er nach einer Pause, »die Nächte sind kalt, anstatt daß wir hier philosophiren, können wir das gute Nachtessen, das gewiß eure Katharina, welche sich besser darauf versteht, was dergleichen lebendige Todte wie wir sind, Tristan, noch bedürfen, bereitet haben wird.«

»Du sprichst wahr,« rief der Doktor, »daß du mich vor allen einen solchen noch lebenden Todten nennst, denn siehe, Freund, den Zeitpunkt, an dem ich starb, kann ich dir auf die Minute bestimmen. Es war an dem Geburtsfeste unseres Königs, am Abend im Schauspiel unter vielen Lichtern und gepuzten Leuten, es war –«

»Ja,« rief Baptiste, »ich kenne die Geschichte; es ist nur gut, daß wir uns über unsern Tod unterhalten können, und daß es uns vollends dabei nicht an Eß- und Lebenslust fehlt.« –

»Ihr habt den berühmten Tristan nicht gekannt,« fuhr der Alte in seiner Rede fort, »ihn, die Freude und den Stolz der Akademie, die Zuflucht aller Bedrängten, die Stütze des hinfälligen Paris. Hättet Ihr jemals den Mann gesehen, der jezt todt und begraben ist, Ihr würdet ihn nicht vergleichen mit dem Gespenste, das vor Euch steht, nicht mit dem einsamen verspotteten Bewohner eines ärmlichen Winkels der Vorstadt – und dem man, um ihn vollends elend zu machen, seinen einzigen Sohn raubte.«

Die ganze Fülle eines tief verwundeten Herzens sprach aus diesen Worten, schmerzliche Erinnerungen erwachten, und zwar mit solchem Ungestüm, daß die Kraft des Geistes nicht Widerstand zu leisten vermochte; die lange, starre Gestalt sank zusammen, die dürre Hand preßte sich an's Auge, dem keine Thränen mehr entflossen, der herabgefallene Hut zeigte den nackten Scheitel. So lag er gekrümmt auf einem Hügel, die Stirne an den kalten Stein gepreßt, und man hörte ihn stöhnen.

Einen so heftigen Anfall hatte Baptiste lange nicht erlebt; er erhob sich von seinem Sitze und indem er vor den Verzweifelnden hintrat, senkte sich sein Auge, Mitleid und Rührung wurde auf seinem Antlitz bemerkbar, und endlich perlte eine Thräne, von Jenem nicht bemerkt, auf die Erde nieder.

Eine willkommene Störung führte jezt die Annäherung der alten Dienerin herbei, die ihren kranken Herrn zu suchen kam, indem sie meldete, daß der junge vornehme Herr, der schon vor einigen Tagen da gewesen, wieder in dem Hause sey und nun sich nicht wieder abweisen lasse. Er wolle, habe er gesagt, das Geschäft wegen des Kaufkontraktes jezt beendigen.

Tristan stand vom Boden auf, stillschweigend nahm er seinen Freund bei der Hand, und beide schritten dem kleinen Hause zu, das sich in ziemlich freundlicher Umgebung, halb verdeckt von den Bäumen des nachbarlichen weitläufigen Parkes, zeigte. Baptiste fragte, welche Bewandtniß es mit jenem Kaufkontrakte habe. –

»Brauchen Verstorbene noch Häuser, in denen sie wohnen, gleich Lebenden?« rief der Doktor. »Ich stehe im Begriff, jenes Besitzthum, das Einzige, welches mir noch übrig geblieben, dem fürstlichen Herrn abzutreten, der das alte Schloß in der Nachbarschaft besizt, und aus meinem unscheinbaren Häuschen gewiß ein recht herrliches und stolzes Gebäude machen wird.«

»Ich habe von diesem Schlosse und seinem Besitzer gehört,« nahm Baptiste das Wort; »ist es nicht dort, wo sich jene seltsamen Leute und schlechten Spaßmacher versammeln, von denen man jezt sprechen hört?«

Katharina, die Haushälterin, erwiderte: »Sprecht nicht so laut, mein lieber Herr, von Dingen, die in dieser unheimlichen Abendstunde und an diesem Orte leicht ihre verderbliche Wirkung auch auf uns ausüben können. Spaßmacher nennt ihr sie? Wollte Gott, ich hätte nie von derlei Späßen gehört, die die Kreatur Gottes um ihr Seelenheil bringen können. Ich wünschte, der Graf risse den alten Bau vollends nieder, damit das Gerede und der Spuk einmal ein Ende hat, der unsere stille Gegend unsicher macht.«

Sie öffnete mit diesen Worten die Thür des Wohnzimmers, in welchem die Eintretenden einen jungen Mann fanden, der eifrig und wie es schien höchst aufgebracht darin auf- und abschritt. Lebhaft fuhr er auf den Doktor los.

»Nun,« tönten seine eiligen Fragen, indem er ein Papier hervorzog und es auf den Tisch hinbreitete, »nun, wie bleibt's? Ihr verkauft das Haus, Ihr nehmt die leztgebotene ansehnlich vergrößerte Summe, die mein Herr Euch auszahlen will, an? Die Sache ist abgemacht.«

Der Doktor Tristan stand dem lebhaften Jünglinge ruhig gegenüber; er hatte sein graues Hütchen abgelegt, aus seinem blassen Antlitz war jede Spur des eben bestandenen so heftigen Kampfes verschwunden, im Gegentheil schien er jezt plötzlich aus einer phantastischen Traumwelt herauszutreten, sich wiederum ganz dem gewöhnlichen Leben und dessen Verhältnissen anzuschließen; nur eine gewisse Feierlichkeit in Ton und Stellung blieb ihm eigen.

»Herr Sekretarius,« entgegnete er langsam, »Sie haben wohl noch nie ein Haus eigenthümlich besessen?«

»Und wie sollte ich?« rief Charlot, so hieß der junge Mann; »ich bin ja erst seit einer Woche hier in Paris.«

»Sey es hier oder anderswo, das gilt gleich – ich sehe nur an der Art und Weise, wie Sie mich drängen, daß sie noch kein solches Besitzthum gehabt. Sehen Sie, mein junger, etwas ungeduldiger Herr, ich bin in diesem Hause geboren worden. Ich bin hier geboren worden.«

»Für Sie höchst merkwürdig,« rief Charlot, – »allein für mich – für meinen Herrn?« –

»Sie wollen sagen: gleichgültig; ich verstehe. Sie haben Recht, wem kann daran gelegen seyn, den Platz zu sehen, wo die Wiege eines Armen, Verlassenen stand.«

Er stüzte sich auf seinen Stock, und, indem er nachdenklich um sich schaute, gewannen seine Züge an Leben, sein Blick an Feuer.

»Ja,« rief er nach einer Pause, »die Seele schafft und verändert unermüdet an ihrem Wohnzimmer, dem Körper, so lange bis er ihr recht und bequem ist; das Gemach, in dem wir wohnen, ist eben so gut ein Leib unserer Seele, nur ein weiterer, auch ihn formt die Unruhige, stets Bewegliche nach ihren Wünschen, und so kann ich wohl sagen, dieses Gemach ist mir ein zweiter Körper geworden, so habe ich mich mit meinen Schmerzen und Freuden hineingelebt. Und nicht ich allein, schon mein Großvater hat hier geschafft. Jener Erker zum Beispiel, der an die Feudalzeit erinnert, und schon oft den Blick eines vorüberwandelnden gelehrten Forschers an sich gezogen hat, stammt her von der wunderlichen Baulust dieses meines Großvaters, es ist gleichsam sein Portrait in Stein, das er uns hinterlassen hat. Den Garten hier hat der Vater angelegt, damals gerade, als die ersten Unruhen in den Niederlanden ausbrachen. Ja, ich weiß noch, daß viele kostbare Blumenzwiebeln ausblieben, von denen uns ein scherzhafter Freund schrieb: in den Streit, den jene Mißvergnügten, angefangen, hätten sich auch einige seltne Tulpenfamilien eingelassen, und zwar waren sie, als vornehme und gepuzte altadelige Blumen, auf die Seite des Adels getreten, und in einem scharfen Gefechte sämmtlich gefallen.«

Der junge Beamte hörte nur halb auf diese Rede. »Ihr könnt scherzen, alter sonderbarer Mann, und seht doch, daß ich wegen Verzögerung des einfältigen Handels, der mir schon so viel Zeit und Gänge gekostet hat, in Verzweiflung bin. Wahrlich, nicht darum kam ich nach Paris, um hier ein altes verwittertes Häuschen zu erobern. Ach! diese Weltstadt, dieses Paris! wie lange sehnte ich mich nach diesen heiligen Straßen, nach diesen gebenedeiten Plätzen, wo alle Größe und Herrlichkeit der Erde sichtbarlich herumwandelt.«

Er eilte jezt wieder mehremal im Gemache auf und ab, und schoß endlich auf Baptiste zu, in, dem er rief:

»Verehrter, wer Ihr auch seyd, ich habe nicht die Ehre, Euch zu kennen, allein Ihr seht mir aus, als käme man mit Euch schneller zum Ziele, als mit dem schwärmerischen Alten dort; sprecht ein Wort, bedeutet ihm und bringt ihn dazu, daß er kurzweg unterschreibt.«

»Das Haus wird nicht verkauft,« rief Baptiste mit entscheidender Stimme, »und Ihr, Tristan, Ihr solltet Euch schämen, so leichtfertig das Eigenthum Eures Sohnes wegzugeben.«

»Meines Sohnes!« rief der Alte und faltete die Hände im Schooß – »o mein Claude! – Ja, wenn du kommen wolltest und mit mir hier wohntest – doch auch du bist mir geraubt, zum Soldaten haben sie dich gemacht, gegen den Feind haben sie dich getrieben, du, meine Hoffnung, mein Stolz, der du der Erbe seyn solltest meines Namens, meines Ruhms!« –

»Ehe Ihr über sein Schicksal Gewißheit habt,« rief Baptiste eifriger, »so darf und kann aus dem Handel nichts werden, hört Ihr, junger Herr.«

»Schon gut,« entgegnete dieser und raffte seine Papiere vom Tische fort, »schon gut; ich höre, das Haus wird nicht verkauft! mir ganz recht.«

Er sezte sich an den Tisch, ergriff eines der Gläser, die die Alte hingestellt, füllte es mit Wein und indem er Baptiste zuwinkte, rief er:

»Jezt von etwas Anderem! Erzählt mir, lieber freundlicher Mann, etwas von der Stadt und den neuesten Ereignissen.«

»Ihr seyd wohl in der Provinz erzogen?« fragte Baptiste.

»Getroffen! Ich bin aus Languedoc, und zwar aus einem kleinen, verzweifelt langweiligen Städtchen, in welchem der Himmel es gefügt hatte, daß alle Männer daselbst bieder und rechtlich, alle Frauen tugendhaft waren. Man spricht von Zigeunern und daß sie Kinder stehlen und fortführen, ich meinestheils habe oft recht herzlich gewünscht, daß einer jener Leute mich meinen Eltern entwendet hätte, wie leicht wäre ich da in eine fremde Stadt, wohl gar in einem ganz fremden Welttheil gerathen, wo dann meine natürlichen Anlagen sich höchst überraschend und trefflich ausgebildet hätten, statt daß ich jezt frühzeitig verkümmern muß.«

»Besinnt Ihr Euch wohl noch auf die Zeit, wo eure Provinz unter der Administration des Prinzen Conti stand?« fragte Baptiste.

»Nur dunkel,« antwortete Charlot, »ich erinnere mich, daß man mich eines Abends in einen hell erleuchteten Saal brachte, in welchem etwas erhöht unter dem Getöse einer verworrenen Musik sich seltsam gepuzte Leute herumbewegten und mir herzlichen Spaß machten. Nachher erfuhr ich, daß ich ein Schauspiel gesehen, und daß die Leute des Prinzen dasselbe aufgeführt.«

»So sind wir alte Bekannte,« rief Baptiste, »denn auch ich war damals beim Schauspiel gegenwärtig.«

Charlot sprang auf und schloß den Mann in die Arme, der sich dessen kaum versah.

»Ich grüße Euch,« rief der Lebhafte, »ich wußte wohl, daß wir einander nicht fremd waren, Euer Wesen kam mir gleich vertraut und lieb vor. Nicht wahr, Ihr habt Bekanntschaften in der Stadt?«

»Ziemlich viele,« entgegnete der Gefragte.

»So kennet Ihr wohl auch den Molière, den großen Dichter?«

»Wie kommt Ihr auf ihn?« fragte Baptiste.

»Sehr natürlich,« rief der Sekretär; »ich habe damals in meiner kindischen Dummheit ihn, den großen Meister, spielen sehen. Obgleich ich wenig den Zusammenhang des Ganzen begriff, so sah ich doch ein, daß ein schlauer lustiger Diener sich wacker auf der Bühne tummelte; später sagte man mir, daß der Dichter selbst jene lustige Person dargestellt. Ich will ihn jezt aufsuchen, es wird ihn vielleicht freuen, zu hören, daß er es war, der mich schon damals so lebhaft begeistert hat, und der daran Schuld ist, wenn ich jezt unter die Komödianten gehe.«

»Da solltet Ihr Euch doch noch bedenken.«

»Die Sache ist völlig entschieden; es müßte denn seyn, daß der Meister selbst, den ich so verehre und liebe, meinen Entschluß tadelt.«

Während dieses Gespräches hatte Tristan ungestört seinen Gedanken nachgehangen, doch jezt bei den lezten Reden sah man ihn zusammenschrecken, sein Auge blickte starr vor sich, und wie im Traume sprach er die Worte:

»Seht da den Wunderdoktor! – es ist der alte Tristan! Tristan auf der Bühne, Tristan im Parterre! – ja – ja – wahrlich – zwei Tristan! Seht den schwarzen Talar, die rothen Strümpfe! und jezt hört ihr das Gelächter, das Gezische, Gebrause – ohne Ende – immer lauter – immer heftiger! Es gilt dem alten Narren – Triumph – Triumph! Molière! Der Hof klatscht Beifall! – Wie sie lächeln, und mit den Fächern nicken die schönen Damen, die feinen Herrn – Triumph, Molière, dieser Streich ist dein Hauptstreich – lacht doch, Freunde!« –

Der seltsame Alte hatte bei diesen Worten sich immer höher aus dem Stuhl erhoben, immer starreren Blicks vor sich hingeschaut; jezt faßte er krampfhaft die Arme seiner beiden Zuhörer und zog sie an sich, gleichsam als wollte er ihnen einen Gegenstand in einiger Entfernung zeigen.

Der Eindruck, den dieser Anfall von Wahnsinn auf die Beiden, die ihm ausgesezt waren, machte, war verschieden; der junge Sekretär blickte scheu und aufgeregt dem Träumenden starr in's Gesicht, indeß Baptiste die früheren Züge von Mitleiden und gerührter Theilnahme wiederum in seinem Antlitz bemerkbar werden ließ. Er war es auch, der zuerst das ängstliche Schweigen, welches nach des Alten Rede eintrat, mit den freundlichen Worten unterbrach:

»So kommt Ihr doch immer auf jenes unglückliche Ereigniß zurück, Tristan, werdet Ihr es denn niemals dem Manne, der Euch doch eigentlich nicht beleidigen wollte, vergeben können?« –

Der Alte entgegnete mit leiser Stimme: »O läge er nur todtkrank auf seinem Sterbelager, sähe ich ihn schmachtend nach einem Tropfen Heilmittel, der seinen Qualen Linderung gewährte – und ich – ich könnte ihm dieses Tröpflein auf die verdorrte Zunge spenden – ha! welche Wollust, ihm es zu versagen, ihn sterben zu lassen vor meinen Augen!«

»Tristan!« rief Baptiste, »du bist ein Unmensch, empört muß ich mich von dir wegwenden.«

Der Alte schlang seinen Arm begütigend um den Nacken seines Freundes.

»Nein, nein,« rief er, »weiche nicht von mir, du mein einziger Tröster, der bei mir ausgehalten, weiche nicht von mir! Wenn du wüßtest, wie mich jener Elende gekränkt, wie er die hohe herrliche Wissenschaft, der ich mit Andacht diene, mit Füßen getreten, ach! wenn du Alles wüßtest, was ich erfahren, du würdest mich nicht schelten. Und Ihr, junger Herr, geht und bewundert diesen großen Molière, diesen herrlichen Dichter, geht und betrachtet, wie man ihn in Gemälden und Gedichten verherrlicht, seht ihn selbst auf seinem Theater, ihn, das Entzücken der Hauptstadt, wie er in einer leichtfertigen Geberde, in einem klingelnden Wortspiel das Glück ganzer Familien, die Ruhe ehrlicher Leute mordet, geht und bewundert diese Größe, aber verschont mich, ich bitte Euch, mit Euren fernern Besuchen, sowie mit Euren lobpreisenden Reden.«

Der Sekretär griff mit Unwillen nach seinem Hut.

»Das hat man davon,« murrte er halb laut vor sich, »wenn man sich mit Narren einläßt; jezt erhalte ich noch zum Dank einen impertinenten Abschied.«

Er schloß sich an Baptiste an und beide verließen das Haus. Der Leztere ging still und nachdenklich neben seinem jungen lebhaften Begleiter, es schien, er kämpfe noch mit dem Eindruck, den die lezte Scene bei ihm hinterlassen hatte. Endlich riß er sich wie mit Gewalt von den trüben Bildern los.

»Ihr seyd also,« wandte er sich zu seinem Gesellschafter, »Sekretär bei dem regierenden Herrn, dem das alte Schloß gehört, welches wir vom Monde beleuchtet dort vor uns sehen? Was sind denn Eure Geschäfte?«

»Zur Zeit noch eben nicht bedeutende,« entgegnete Charlot. »Der alte Herr lebt entfernt von hier, durch seine lange Abwesenheit ist dieses Besitzthum in nicht geringe Verwirrung gerathen, so daß jezt eigentlich der Sohn des Intendanten, oder, wie die Leute behaupten, der uneheliche Sprößling des alten Grafen selbst, der Besitzer des Schlosses ist. Ihr könnt errathen, wie schwierig da meine Stellung ist, und wie ich gerne wünsche, des Postens wieder ledig zu seyn. Indeß hat mir das Herumsuchen in den Gemächern vielen Spaß gewährt, und ich bin hinter so manche alte Schrift gekommen, in der sich irgend eine denkwürdige Geschichte oder sonst eine Curiosität aufgezeichnet findet. Ich denke, einem Geschichtforscher und Sammler müßte dergleichen gelegen kommen.«

»Gewiß!« rief Baptiste; »ich zum Beispiel bin ein solcher Sammler, Ihr könnt mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Ihr mir Manches von jenen Papieren mittheilen wollet.« –

»So kann ich Euch gleich zu Dienste seyn,« erwiderte Charlot, »ich führe da einige Bogen bei mir, die, wie mir Schrift und Weise der Auffassung anzeigen, eine Begebenheit enthalten, die wohl nicht lange vor unsern Zeiten, wohl gar noch in denselben sich mag zugetragen haben. Nehmt und lest, und sagt mir dann gelegentlich Euer Urtheil darüber. Nun habt aber auch die Güte und erzeigt mir den Gegendienst, weiset mir das Haus Molière's.«

Baptiste brachte die kleine Schrift, welche ihm der Sekretär einhändigte, sorgfältig in seine Rocktasche, dann ließ er sich willig finden, das bezeichnete Haus anzuzeigen, nur fand es sich, daß man einen ziemlich bedeutenden Weg vor sich hatte, der über mehrere Straßen und Plätze führte. Auf einem der leztern zeigte sich eine hohe Reiterstatue zu Pferde, die den vollen Strahl des Mondes auffing und nicht wenig dem jungen Neuling imponirte; er erfuhr von seinem Begleiter, daß er das Denkmal Ludwigs des Dreizehnten vor sich sähe.

»Herrlich!« rief Charlot, »wie groß, wie kühn! Ja, in dieser prächtigen Stadt, unter so vielen kostbaren Denkmälern, bei diesen prangenden Kirchen und Gebäuden erfüllt einen das stolze Bewußtseyn, ganz ein Franzose zu seyn. Jezt bin ich wieder mit meinem Schicksal zufrieden und ausgesöhnt. Aber, Freund, sagt mir, warum sehe ich kein Denkmal, dem jetzigen Könige errichtet?«

»Er bedarf dessen nicht,« entgegnete Baptiste mit Wärme, »das blühende, reiche, glückliche und stolze Frankreich ist sein Denkmal. Wie auch die Erscheinungen der Weltgeschichte sich wenden mögen, welches Mißgeschick auch diesen Staat treffe, so tief kann der Franzose nie sinken, so entartet wird er nie fühlen, daß er das Zeitalter seines vierzehnten Ludwigs vergäße.« –

»Laßt mich Euch abermals umarmen,« rief Charlot, »Ihr seyd jezt ganz der Mann meines Herzens.«

Sie schritten die Straße hinauf, der Mondschein beleuchtete einen kleinen Platz, auf dem sich einige Leute versammelt hatten, man hörte Instrumente stimmen, zwischendurch Geflüster, leises Gehen und Kommen, endlich tönten ein paar helle Akkorde durch die Nacht.

»Wer bewohnt das alterthümliche Haus, vor dem die Musikanten stille halten?« fragte Charlot seinen Begleiter; doch dieser überhörte die Worte gänzlich, er schien seine Aufmerksamkeit lebhaft jener Gruppe zuzuwenden, die eben jezt in Streit verwickelt wurde, denn es hatte sich von einer Seitenstraße eine zweite Gesellschaft genähert, ebenfalls in der Absicht, Musik zu machen. Der Sekretär wurde dieses kaum gewahr, als er ausrief:

»Laßt uns näher herangehen, gebt Acht, es kommt zum Handgemenge zwischen den beiden Spielerbanken, keine will der andern Platz gönnen, und ich erlebe das Vergnügen, einmal Zeuge zu seyn bei den berüchtigten Faustkämpfen und Prügelscenen, die in den Straßen von Paris Sitte seyn sollen. Hört, hört, wie der Zank ausbricht; es scheint, daß die beiden Anführer ihn miteinander ausmachen wollen.«

Von dem nahen Treppenabhang, auf den sich Baptiste und sein Gefährte geflüchtet hatten, sah man jezt in der That zwei Männer aus den breiten abgesonderten Truppen hervortreten; es wurden die Worte hörbar, die sie gegen einander ausstießen.

» Coquin,« rief der Eine, » misérable! impertinent! wer wagt es, der Musik in den Weg zu treten, die der eben so galante als tapfere Ritter Sacripant der schönen Armida bringt, der reizendsten Comedienne von ganz Paris?« –

» Hé mordieu!« schrie die andere Stimme, »wir kennen den Ritter Sacripant nicht, wer ist er? ein Elender ohne Zweifel gegen meinen Herrn, den König Arthus, den großmüthigen Fürsten von der runden Tafel, der sich herabläßt, das Ohr der schönen Armida durch die Zauberkraft einiger holdseligen Lieder zu entzücken.«

»Armselige Prahlerei!« rief der Gegner, »erspare dir Deine übelklingenden Worte, bis man Dir erlaubt, sie mit Deiner eben so übelklingenden Musik zu begleiten; jezt aber weiche vom Platz, wenn Du nicht den ganzen Zorn des edlen Ritters Sacripant empfinden willst. Herbei, ihr Trommeln, herbei ihr Pfeifen, beginnt euer Loblied.« –

»Nicht einen Laut!« schrie der Herold des Fürsten Arthus, »oder ich durchstoße die elende hohle Kalbsbrust eurer Trommeln und drehe euren jämmerlichen Flöten den Gänsehals um! Platz da für meine Musik! und nun stimmt an, ihr lieblichen Kehlen, singt um die Wette mit der Königin der Haine, ihr Sänger des unsterblichen Königs Arthus.«

Zu gleicher Zeit fingen jezt die Instrumente zu brausen, die hellen Stimmen zu kreischen an. Eine Partei wollte die andere überschreien, der tolle Lärm wuchs mit jeder Minute, man hörte die beiden Anführer zanken, zwischendurch klang eine zärtliche Flötenstimme, der süßliche Anfang einer galanten Romanze, es flatterten schalkhafte Geister wie mit zerrissenen Sylphenflügeln schreiend in die klare mitternächtliche Stille hinauf. Die dunkeln, in tiefe Schatten gehüllten Nachbarhäuser sahen ernsthaft auf diesen klingenden Spuk nieder, hie und da erwachte einer dieser steinernen Kolosse, es wurde in seinem Innern lebendig, und mancher verschlossene Laden sprang auf, um seiner neugierigen Besitzerin die Aussicht auf's Schlachtfeld zu gestatten. Inzwischen war die Schaarwache angelangt, ihr gellender Ruf brachte die tolle Musik nicht zum Schweigen; sie hörte nicht eher auf, als bis die Waffen der Söldner die Instrumente zerschlugen, und manche Violine kreischte, wie der, der sie trug, auf dem Boden noch die heftigsten Töne aus.

Endlich war der Friede hergestellt; als jezt der Mond den Kampfplatz beleuchtete, blickte er in so manches bleiche Gesicht, dem ein Blutstrom entquoll, und zwar über die nämlichen Lippen, denen wenige Minuten früher leichtfertige Liederchen entschlüpften. Die beiden Anführer, von denen der eine als Kammerdiener eines Grafen, der andere als der eines Barons erkannt wurden, nahm die Wache gefangen.

Charlot bemerkte jezt erst, daß sein Gefährte ihn verlassen hatte; er eilte, ihn zu suchen, und gelangte in die Nähe eines der Schaarwächter; diesen fragte er nach dem Eigenthümer des Hauses, vor welchem der Streit sich ereignet hatte.

»Ihr seyd wohl sehr neu in Paris,« entgegnete der verdrießliche Mann, »daß Ihr noch nicht dieses Haus kennt.«

»Freilich; doch nennt mir die Schönheit, der das Ständchen galt.«

»Es ist die hübsche Komödianten-Frau, die Molière. Es vergeht fast keine Nacht, wo ich nicht Streit hier zu schlichten hätte, ich wollte der Henker holte die Madam.«

Ein Söldner sprang her, bei und rief eilig: »In der Straße St. Roche gibt's Händel, macht, daß Ihr fortkommt.« –

»Der heilige Joseph mag in dieser verdammten Stadt Schaarwächter seyn,« murrte der Alte und machte sich auf den Weg.

Unser junger Freund wußte jezt, daß er vor dem Hause seines gefeierten Dichters stand. Er sah sich das Gebäude an von unten, wo ein Krämerladen eingerichtet war, bis oben hinauf zum Giebel, auf dem ein altes Standbild prangte: Alles, selbst der geringste Schnörkel am Mauerwerk, schien ihm bedeutungsvoll und mit dem Leben des Dichters verknüpft.

Unter dem Vorsprung des Daches an der einen Seite lief eine Galerie: »auf dieser«, rief sich der Jüngling zu, »hat er oft gestanden, den Blick hinunterrichtend in die Menge, um aus ihr herauf die wunderbar lebendigen Bilder zu schöpfen, die er dann mit gewandter Hand in sein Skizzenbuch eintrug. In der That, wer an diesem Hause vorbei ging, mußte sich frei von auffallenden Schwachheiten und Lächerlichkeiten fühlen, sonst hätte er wohl einen Umweg von mehreren Straßen nicht gescheut, um sich nur hier nicht blicken zu lassen.«

Noch einmal prägte er sich die Eigenthümlichkeiten der Straße, des Platzes und des Hauses ein, um es am Tage wieder finden zu können, dann suchte er den Rückweg zu seinem alten Zauberschlosse.

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Durch einen Befehl des Präsidenten des Parlaments war die Aufführung des Tartuffe untersagt worden, und zwar langte das Verbot an in dem Momente, als sich der erleuchtete Saal eben mit der glänzendsten Versammlung gefüllt hatte. Schon einige Wochen vorher waren keine Eintrittskarten mehr zu erhalten gewesen; das Gedränge war ungewöhnlich stark, endlich hatte sich die wogende Masse in Ruhe gesezt, man erwartete den Beginn des Stückes, als plötzlich sich der Schrecken verbreitete und jenes unglückliche Gebot laut wurde, das den Schauspielsaal zu schließen befahl.

Nie hatten wohl getäuschte Erwartung, Verdruß über die gestörte Freude und auf der andern Seite ein nicht zu verkennender Triumph sich so lebhaft geäußert, als an diesem Abende. Die Abwesenheit des Königs und eines Theils des Hofes machte, daß man sich völlig frei seinen Gefühlen überließ. In den Logen warf man die Bänke um bei dem unfreiwilligen Aufbruch, es wurde gezischt und gepocht. Dieses feine Geschütz der vornehmen Welt in den ersten Reihen wurde tüchtig von dem groben des Parterre unterstüzt; unten fluchte man und schimpfte ziemlich laut, indem man sich boshafte Anspielungen und Scherze über die Hypokriten zuwarf.

Endlich rief eine Stimme Molière's Namen, man verlangte, er solle erscheinen, man wollte hören, was er zu diesem empörenden Verbot sagte. Nach langem Rufen theilte sich endlich der Vorhang der Bühne, und in der Tracht Orgon's erschien der Dichter des Tartuffe auf derselben. Sein Antlitz war heiter: » Messieurs,« rief er, » nous allions vous donner le Tartuffe, mais Monsieur le Premier président ne veut pas qu'on le joue!« –

Das boshafte Wortspiel, das in diesen wenigen Worten liegt und das die deutsche Sprache nicht wiederzugeben vermag, brachte ein erschütterndes Beifallgeklatsche hervor. Nie hatte sich ein Satiriker schärfer gerächt, doch die Buße dafür sollte nicht ausbleiben. –

Nach diesem Ereigniß, welches auf lange Zeit ergiebigen Stoff zu pikanter Unterhaltung bot, zerstreute sich die Menge, um den Rest dieses unglücklichen Abends, so gut es gehen wollte, mit andern Ergötzlichkeiten hinzubringen. In dem Gesellschaftszimmer der schönen Anna Luissigny, Marquise von Belfort, fand sich ein Kreis Mißvergnügter aus den vornehmen Standen zusammen.

Dieses Mißvergnügen entstand jedoch nicht aus Mitgefühl zu dem verfolgten Dichter, es äußerte sich vielmehr nur über die gestörten Freuden eines Schauspiels, das man gerne sah. Die Geistreichen unter den Versammelten, die des Dichters Freunde waren, wagten es nicht, ihren Verdruß, der eine reinere Quelle hatte, bei dieser Gelegenheit und in dieser Gesellschaft laut werden zu lassen. Jedermann wußte, daß der Präsident des Parlaments jenes Verbot nicht aus seinem eignen Kopfe genommen; als ein Geschöpf des Erzbischofs von Paris, handelte er nur im Geiste dieses mächtigen, übermüthigen Heuchlers, dieses Chefs gewissermaßen der Hypokriten, dem das devote Paris den Pantoffel küßte und dem Niemand die Stirn zu bieten wagte, als nur Ludwig allein in der kühnen und zugleich milden Herrschergewalt seines durchdringenden Geistes.

Harlay de Chanvalon, der Erzbischof, hatte jedoch trotz der Leibwache seiner spionirenden Jesuiten, die ihm die geheimsten Gänge seiner Getreuen berichten mußten, selbst geheime Gänge, bei welchen er die Geleitschaft jener frommen Engel ablehnte, und einer dieser dunklen Wege leitete in das Schlafgemach der schönen Anna Luissigny. Auch dieses wußte das devote Paris, allein es hüllte das Gemälde menschlicher Schwachheit in doppelte und dreifache Schleier; Molière's Meisterstück hatte mit kecker Faust eine mächtige Oeffnung in diese Schleier gerissen, unermüdlich waren die Hände der erschreckten Frommen beschäftigt, den Riß wieder zu schließen – doch vergeblich; der Tartuffe war einmal in's Leben getreten, das Volk von Paris, dieses schadenfrohe, lebhafte und eigensinnige Volk, ließ sich ihn nicht wieder nehmen, und Ludwig XIV. selbst war Molière's Schutz und Stütze.

Die Personen, die über Molière und seine Wirksamkeit sich besprachen, waren vorzüglich: der Marschall Vivonne, der Dichter Chapelle, der Marquis von Fortinbras, diese konnte man seine Freunde nennen; ein hagerer blasser Mann, der Jesuit Bertram, zählte sich zu seinen erbittersten Gegnern, und der dicke ängstliche Abbé Hautincourt und der Baron Petit-Loisin, ein Höfling, waren, in so weit sie es selbst bestimmen konnten, des Dichters Feinde.

Der Abt war dessen gewiß, ja er fand sich verfolgt, gelästert von ganz Paris; ohne daß Jemand auch nur von ferne daran dachte, den gutmüthigen Alten zu kränken; er hatte stets die lächerliche Stellung eines Menschen, der sich vertheidigt, wo kein Angriff ist, ja er war thöricht genug, zu behaupten, die meisten Stücke Molière's seyen nur geschrieben, um ihn und seine kleinen Schwächen dem boshaften Gelächter Preis zu geben.

Der Baron dagegen war die Eitelkeit selbst, er beneidete die Modelle Molière's, oder die man wenigstens allgemein dafür hielt, um diese zweideutige Ehre; mit aller ersinnlichen Mühe und Anstrengung suchte er einen Platz in dieser Galerie komischer Kabinettstücke zu erlangen, ja er log sich zu diesem Behuf Schwächen an, wunderliche Eigenheiten, die sein Kammerdiener, der eigens dazu abgerichtet war, unter's Publikum bringen mußte – allein vergebens, der Fluch lag auf seinem Haupte – Molière bemerkte ihn nicht. Dennoch sprach der Baron von Feindschaft zu dem Dichter, und wie er eifrig bedacht sey, dem Gefährlichen aus dem Wege zu gehen.

Dem Marschall war es gelungen, den kalten, schleichenden, zurückweichenden Jesuiten in ein ziemlich lebhaftes, streitendes Gespräch über das Schauspiel, dessen fördernde oder störende Einwirkung auf das allgemeine Wohl zu verwickeln.

»Unsere Väter,« rief der Geistliche, »verschmähten freiwillig den gefährlichen Reiz, der in dem Spiel der Histrionen liegt, wir nennen uns aufgeklärter, uns gereicht durch den Ruhm der Wissenschaft Manches zum Genuß und Vortheil, was in jenen Tagen zum Verderben geführt hätte; doch soll uns deßhalb Zweck und Richtung aus den Augen schwinden? sollen wir ruhig zuschauen, wie sich jenes verwilderte Volk zu unsern Gesetzgebern aufwirft, sich zu unsern Erziehern stempelt? Hier ist kein ruhiger Genuß erleuchteter Wissenschaft und Kunst mehr, hier ist Verblendung und Aufruhr. Der Künstler darf nie Gewicht im Staate erhalten, nie sich eine öffentliche Stimme anmaßen: wir aber stehen jezt bald unter der Gewalt eines Possenreißers: und wie gefährlich dieses Mannes Lehren, die er unter Scherzen verbirgt, dem Volke sind, wird erst die Folgezeit ganz zeigen; schon zu sehr ist der Franzose diesem umwälzenden Geist des Spottes zugeneigt, man lasse nur diesem Gelüste den Zügel schießen, und er wird rüstig an der Auflösung aller gesellschaftlichen Bande arbeiten.«

»Es sind ja harmlose Wahrheiten, die er ausgibt,« rief der Marschall.

»Harmlos?« fuhr der Jesuit mit einem lauernden Blick und leiserem Tone fort, »keine Wahrheit ist harmlos, jede führt, wie die Biene, einen Stachel bei sich, den Stachel der Ueberzeugung, und oft haben wir gesehen, daß von den Verwundungen dieses Stachels ein Volk bis zum Tode vergiftet worden –«

»Wie, mein Herr,« rief der Marschall, »dieses sollte die Wahrheit wirken?«

»Unzeitige Wahrheiten,« entgegnete der Pater, »sind verderblicher als die bösartigsten Lügen; nur die Kirche, der reinste und höchste Wille, lehrt die Wahrheit, wie sie die Menschen hören dürfen. Doch führen uns diese Betrachtungen wohl zu weit, ich theile sie auch nur mit, verehrter Herr, damit Ihr sehen möget, wie ich dieses Menschen verderbliche Absicht, der unter uns als Spaßmacher lebt, durchschaue. Die Dichter und Künstler am Gängelbande des Staates geleitet, können diesem von Nutzen seyn, doch dieser Molière, ist er uns nicht übern Kopf gewachsen?«

»Ihr stellt ihn zu hoch,« nahm der Marschall das Wort, »um ihn nachher desto tiefer zu verdammen.«

Bertram lächelte: »als Mensch wird er mir stets nur klein und verächtlich bleiben, er ist ein Elender, der sich die niedrigsten Verbrechen hat zu Schulden kommen lassen.«

Der Marschall hörte dieses harte Urtheil mit Unwillen, er brachte Einiges zu des Dichters Entschuldigung vor, doch jene vornehme Kälte seines Gegners, die ihn schon beim Beginn des Gespräches zurückgeschreckt, nahm ihm bald vollends den Muth; gelegen kam ihm daher die Erscheinung des Marquis von Fortinbras, der sich dem Gespräche anschloß, nachdem er sich dessen Inhalt hatte erklären lassen.

»Wie?«rief der lebhafte Mann, »ich gehöre nicht zu Molière's Widersachern, doch bin ich selbst weit entfernt, sein Betragen in manchen Verhältnissen zu rechtfertigen. Denken Sie an den Duc de Montausier, den er in seinem Misanthrope geschildert, an Ménage und Cottin, die man vor unsern Augen an den satirischen Geißelhieben dahin sterben sah, und vor allen Dingen denken Sie an den armen wunderlichen Tristan, den wahnsinnigen Wunderdoktor.«

»Es gibt dieser Beispiele noch mehrere,« seufzte der Abt Hautincourt, »es ist Zeit, daß der Hof und alle Männer von Bedeutung sich ernstlich gegen diesen Unhold rüsten.«

Der Marquis und der Marschall lächelten, mehrere Stimmen, da das Gespräch allgemein geworden, fragten, welche Bewandtniß es mit dem Wunderdoktor Tristan habe und durch welche Schuld er sich die Verfolgung des Dichters zugezogen.

»Die Geschichte ist etwas lang,« nahm der Marquis das Wort, »doch sie charakterisirt unsern Mann und zeigt uns das erste Opfer, das er auf seinem Altar bluten ließ, deßhalb möge sie hier Platz finden. Tristan, oder Hippocrate Dieu-donné, ward von seinen Freunden allgemein, wenn man ihn nicht auf das Kapitel der Medizin brachte, als ein anspruchloser, liebenswürdiger Mann gerühmt; kam er jedoch auf die göttliche Wissenschaft, wie er seine Kunst nannte, so zeigte er sich völlig als Phantast. Jedermann weiß, daß diese Eigenschaft gerade die schlimmste Charakterschwäche ist bei Ausübung einer Kunst, die einzig sich auf Ernst, Nachdenken, Erfahrung und strenge Prüfung stüzt.

Zu dieser Unvollkommenheit unsers Doktors gesellte sich noch eine andere, die in der Zeit lag. Wir alle haben es noch erlebt, unsre Stadt von einem Heere von Dummköpfen und Schelmen wimmeln zu sehen, welche man füglich alle privilegirte Mörder hätte nennen können und die kein andres Zeugniß aufzuweisen hatten, daß sie zu dem schwierigsten und achtungswerthesten Amte tüchtig waren, als der schwarze Talar, den sie trugen, und die gepuffte Mütze. Die bürgerlichen Unruhen beim Regierungsantritt unsers Königs, die Schwäche und Hilflosigkeit, in welche hierdurch die öffentlichen Behörden und gelehrten Anstalten versanken, wirkten mit, jenen Unfug zu begünstigen, bis er zu einem Grade anwuchs, der allerdings schreckbar war. Die meisten jener Elenden waren Betrüger, die wenigsten darunter selbst Betrogene, und zu diesen ist nun unser Tristan zu zählen.

Sein Lehrer in der Kunst war ein sogenannter Schwärmer und Wunderthäter, er heilte durch Sympathieen, besondere Gebete, durch Händeauflegen und wie jene Mittel alle heißen mögen, die die wundersüchtige Menge anstaunt und welche den Heuchlern so treffliche Wege bahnen. Tristan ergriff seine Bestimmung im vollen Glauben, seine lebhafte Phantasie schwärmte in unerhörten Wohlthaten, welche er der leidenden Menschheit erweisen wollte, und so trat er seine Laufbahn an, ausgerüstet mit zwar nur dürftigen und verworrenen Kenntnissen, doch desto mehr mit Amuletten, geweihten und ungeweihten Zaubermitteln.

Wie wir so oft sehen, daß der Zufall, was thöricht und verkehrt unternommen worden, mit einem glücklichen Ausgang krönt und dadurch gleichsam die Thorheit heiligt, so geschah es auch hier: unser Schwärmer machte einige glückliche Kuren, und sah sich jezt, ziemlich voreilig, auf dem Gipfel seines Ruhms. Der Zulauf war bedeutend, es gab fast kein schönes junges Mädchen in Paris, das nicht auf ihrem Busen ein Amulet, ein sympathetisches Briefchen oder sonst ein Zaubermittelchen des alten Tristan trug. So trieb er sein Unwesen wohl zehn volle Jahre hindurch.

Ein deutliches Merkmal, daß er selbst der Betrogene war, zeigte sich in dem Umstand, daß er das ansehnliche Vermögen, welches ihm fast wider seinen Willen zufloß, in zum Theil sehr übel angebrachten Gutthaten und Spenden verschleuderte. Doch unsers Doktors Thorheit sollte noch ihre völlige Reife erlangen, ehe Molière's scharfe Sichel sich anschickte, die Ernte zu halten.

Es ließ sich in jenen Tagen ein Prophet hören, der der Welt die noch zu erwartende Erscheinung des tausendjährigen Reiches ankündigte, und zwar sollte man an dem Kennzeichen den Beginn dieser glücklichen Periode ermerken, daß der Tod und mit ihm alle Uebel von der Erde verschwinden würden. Ein Sterblicher, hieß es, war ausersehen, durch die Erfindung eines Wundermedikaments den Tod, diesen alten Erbfeind, zu verjagen, und dann sollte während der glücklichen tausend Jahre Niemand erkranken, Niemand sterben.

Es gehörte eben nicht viel Einsicht dazu, diese verrückte Prophezeiung für das zu nehmen, was sie war, nur in dem Kopfe unsers Tristans bildeten das tausendjährige Reich, das Lebenselixir, die Worte des Propheten eine so seltsame Mischung, daß unser Mann nach einigen Wochen tiefen Grübelns endlich mit der Ueberzeugung hervortrat, er sey dazu bestimmt, das Wundermittel zu ergründen. Es sollte, glaub' ich, in einer Mischung aller bekannten Heilkräfte bestehen, zugleich mit sympathetischer Beiwirkung und astralischen Conjunkturen. Wie man von Thoren erzählt, die das Gold suchen und durch tausend mißlungene Versuche sich nicht abschrecken lassen, so war das geheimnißvolle Medikament unsers Tristans Stein der Weisen. In der That glaubte er ihn entdeckt zu haben, wenigstens gab er der Akademie an, er wisse ein Lebenselixir zu fertigen, durch dessen Gebrauch das menschliche Leben so bedeutend verlängert werde, daß mit einigem Nachdenken und Fortschreiten in der Kunst nur wenig fehle, um das Problem völlig zu lösen. Leider jedoch starben ein paar Kranke, die von dem Wundermittel Gebrauch gemacht, so schnell, daß es schien, als hätten die Armen nicht allein die ihnen zugesagten hundert Jahre, sondern selbst die wenigen eingebüßt, welche ihnen noch naturgemäß bestimmt gewesen.

Während dieser Tollheiten des alten Tristan war nun neben ihm eine junge Generation herangewachsen, man fing an, die mißhandelte Wissenschaft in ihrer ernsten tiefen Bedeutsamkeit wieder hervorzuheben, oder vielmehr man fing an, zu ahnen, daß es überhaupt eine Wissenschaft gebe: die neueste Zeit hat sich diesen Ehrenkranz erworben, die Tage des Friedens, die uns zu Theil geworden, haben, wie in allen Feldern des Wissens, so auch in diesen die köstlichsten Früchte getragen. Unseres Tristans Ansehn sank, und vorzüglich war ein Abend dazu erlesen, den alten Charlatan in den Staub zu stürzen.

Molière's beißender Grimm gegen die Aerzte ist bekannt; er suchte lange nach einem recht pikanten Original: da trat ihm eines Tages, als er eben sich zum Schauspiel ankleiden ging, unser Hippocrate Dieu-donné entgegen, eilig, mit kleinen Schritten dahertrippelnd, in der schwarzen flatternden Robe, gefolgt von seinem Apotheker, der ihm in nicht geringer Anzahl Binden, Latwergebüchschen, Spritzen und andere ziemlich mysteriöse Waffen aus Aesculaps Arsenale nachschleppt; in der Hand trägt unser Mann die in kostbarem silbernen Etui verschlossene Flasche seines Elixirs. Kaum erblickt der Lustspieldichter diesen turnierfähigen Ritter, als er lächelnd stehen bleibt.

›Guten Abend, Hippocrate!‹ ruft er ihm zu.

Der Doktor, der den Dichter nicht kennt, dieser war nämlich erst kurze Zeit in Paris, fühlt keine Verpflichtung, einem Unbekannten Rede zu stehen; erst da es ihm einfällt, jener möchte seiner Hülfe bedürfen, fragt er:

›Woran leidest Du, Freund, welches ist Dein Uebel?‹ –

›Ich bin gesund,‹ entgegnet Molière, ›doch folge mir in's Theater, dort könnte Dein Beistand nöthig seyn.‹

›Ich besuche keinen dieser verabscheuungswerthen Anstalten,‹ ruft Tristan; ›der dumpfe Raum, so viele krankhaft erhizte Leiber!‹ –

›Eben wegen dieses dumpfen Raumes und der kranken Leiber solltest Du hinein,‹ entgegnete der Dichter, ›oder Du bist kein Helfer der Menschheit, der Du zu seyn vorgibst.‹ –

In dieser Weise geht der Diskurs fort; Molière, den Hut tief in's Gesicht gedrückt, gibt sich nicht zu erkennen, doch seine Worte überzeugen den Doktor und bringen ihn endlich in den Saal. Froh seines Fanges springt er jezt in sein Ankleidezimmer. Er weiß, daß der König diesen Abend nicht ganz bei Laune ist: welch ein Triumph, ihm grade heute ein Lachen abzulocken. Schnell ist der Anzug geordnet – der unübertreffliche Komiker, mit einem Antlitz geboren, das eben so gut der ganzen Welt als ihm gehört, in welchem jede Muskel, gleichsam ein besonderer Spottvogel, den Ausdruck von tausend verschiedenen Physiognomien nachzuspielen weiß, steht in einer Viertelstunde als Doktor Tristan auf der Bühne. Das Stück ist eines derjenigen, wo die burlesken Schwächen eines Charlatans dem Gespötte preisgegeben werden.

Kaum zeigt sich nun die abenteuerliche Figur mit der dicken unförmlichen Perrücke, dem schwarzen Talar, den rothen dünnen Beinen, in der Hand das silberne Fläschchen mit dem Elixir, so hallt das ganze Theater von einem lachenden Ausruf wider. Tristan! ruft man im Parterre, Tristan! in den Logen. Der Bürger vergißt auf einen Moment die Anwesenheit des Hofes, der Höfling die Nähe des Königs – doch diesen selbst sieht man, aus seinem Sitze vorgebeugt, dem gelungenen Bilde Beifall zulächeln.

Und wie sehr verstärkt sich der Enthusiasmus, als man jezt den wirklichen Tristan im Parterre gewahr wird! Alle Blicke schauen herab; – in dem Moment hört man einen durchdringenden Schrei – es ist der alte Tristan, der ihn ausstößt; er durchbricht die Menge, eilt in's Freie, und hier nimmt ihn ein muthiges Heer von Straßenbuben in Empfang. Er will diesen Harpyen entlaufen und rennt mit nachflatterndem Talar in entferntere Gassen, hinter ihm der Apotheker, der seinen Herrn nicht verlassen will; die lebhafte Geleitschaft plündert diesen treuen Satelliten, der Eine greift nach den Bändern, der Andre nach der Latwerge, der Dritte bewaffnet sich mit der Spritze, und so von seinem eigenen Geschütz verfolgt, flieht der arme Doktor durch die Straßen von Paris.«

»Der Unglückliche!« riefen hier mehrere Stimmen; man lachte, und der Erzähler fuhr fort:

»Dieser Abend machte seiner Herrschaft ein Ende. Es gab Keinen in der ganzen Stadt, der nicht jezt von der Unwissenheit, dem Aberglauben, der dünkelhaften Aufgeblasenheit des alten Hippocrate Dieu-donné zu erzählen wußte. Wo er sich zeigte, ward er nirgend angenommen; doch er selbst wollte sich nicht zeigen. Es kommt hier der rührende Theil meiner Geschichte. Ein junger gesunder kräftiger Charakter hätte diese ihm zugefügte Unbill ertragen, dem alten Schwächling schnitt sie jedoch mit Einem Streiche alle Spannkraft ab, sie gab ihm buchstäblich einen Stich in's Herz, und er verblutete an dieser tiefen Wunde.

Zu gleicher Zeit erfaßte ihn ein anderes Mißgeschick, bei welchem uns der Alte erst recht bedauerlich erscheint. Sein Sohn, sein einziger Sohn, ein schöner hoffnungsvoller Jüngling, den der Vater, gleichsam mit heiliger Schwärmerei, zu seinem Nachfolger erziehen wollte, wurde ihm, durch Unkenntniß der näheren Umstände wohl mehr, als durch Bosheit, geraubt, und zum Soldaten gemacht; so daß unser Freund in demselben Zeitraum sein Amt und seine öffentliche Stellung, den geliebten Sohn und sein Vermögen zugleich einbüßte, gewiß Verluste, die, wenn sie so plötzlich und vereint den armen Unglücklichen treffen, wohl im Stande seyn können, ihn auch noch um den Verstand zu bringen.

Dieses soll jedoch, so viel ich aus dunkeln Nachrichten habe erfahren können, bei dem Alten nicht der Fall seyn; unbekannt und verlassen soll er irgendwo in einem entfernten Winkel der Vorstadt wohnen. Vielleicht, wir wollen es hoffen, hat das Unglück bei ihm bewirkt, was ein behagliches Glück nicht vermochte, und er ist, von seiner tollen Schwärmerei geheilt, in sich gegangen und mag dann leidlich wieder zu Vernunft gekommen seyn. Der Charakter unsers Dichters, wie ich gleich Anfangs behauptet habe, zeigt sich bei diesem Ereigniß von keiner sehr liebenswürdigen Seite.«

»O gewiß nicht,« rief der Abbé, »kann man nicht ein so vorsätzliches tückisches Verspotten einen Mord nennen?«

Der Marschall zuckte die Achsel. »Unglückliches Loos des Satirikers!« rief er, »man verlangt von ihm, er soll ein Arzt der kranken Seele seyn, und dennoch wird er bitter gescholten, wenn er klug und besonnen das wirksamste und kräftigste Mittel ergreift. Gestehen wir es nur: wer hat uns von jenem betrügerischen Heere dieser Giftmischer und Charlatane, die sich Aerzte nennen ließen, befreit, wer hat jene Nichtswürdigen in ihrer ganzen Erbärmlichkeit dargestellt und dadurch belehrt und gewarnt, ist es nicht unser Lustspiel-Dichter? Und darf man, wenn es auf die Rettung einer ganzen Stadt ankommt, die einzelnen Söldner so hoch anschlagen, die bei der Vertheidigung das Leben eingebüßt?« –

»Sophistereien, Verehrtester!« nahm der Kammerherr das Wort, »so wird jedes böse Ding entschuldigt.«

»Ja, ja,« sezte der Abbé hinzu, »man ist zu milde und nachsichtig. Die Majestät lieben Scherz, bei Hofe soll es stets heiter, geistreich und anmuthig hergehen: man gibt den Dichtern Pensionen, damit sie immer fortfahren, Verse zu machen, man ist großmüthig – Alles schön und trefflich, allein wer bezahlt dieses kostbare Vergnügen? – Wir, wir Armen, wir müssen unsere Haut zu Markte tragen, um eines Ausdrucks unsers Lustspieldichters mich zu bedienen, damit man Harlekins-Jacken daraus schneidet.«

»Sprechen Sie sich nicht in Ihr Unglück hinein,« drohte der Marschall lächelnd, »die Callottisten werden sich rächen und Sie in ihre Register eintragen.«

»Ich bin auf Alles gefaßt,« seufzte der Gemeinte, »ich bin nun einmal ein verlorner Mann und ganz in die Hände des Lustspieldichters gefallen.«

»Sie?« rief der Kammerherr, »o worüber hätten Sie sich zu beklagen? Wir unglücklichen Leute bei Hofe, wir sind die Zielscheibe seiner Launen, und doch sind wir es, die ihn erhalten und unterstützen, die ihn eigentlich zum gebildeten Dichter gemacht haben, denn was war er, als er eben aus der Provinz kam?«

»Streiten Sie sich nicht, meine Herrn,« nahm der Marschall wiederum das Wort, »Jeder von Ihnen hat wohl gleichen Antheil an der Ausbildung unseres Helden.« –

»Wer sind diese Callotisten?« fragte ein junger Mann, der erst vor Kurzem in die Hauptstadt gekommen war.

»Gerade die,« rief der Abbé mit Zorn, »müßten mir zuerst auf die Galeere.«

»Es sind junge Leute,« entgegnete der Marschall auf die Frage, »zum Theil aus guten Häusern, die unter sich einen Clubb errichtet haben und die eigentlich nichts Geringeres beabsichtigen, als das Skandalmachen als Monopol für sich zu erlangen, um es im Großen zu betreiben. Dabei verfahren sie jedoch bis jezt, so viel man von ihnen weiß, ziemlich harmlos und unschuldig, und meiner Ansicht nach, kann man ihnen recht wohl den Spaß gönnen. An einem verborgenen Zufluchtsorte geschehen die Versammlungen, auf eine phantastische Weise wird Gericht gehalten über jedes Ridicül, das sich in der Stadt ereignet, es mag nun Wahrheit oder Verläumdung seyn, gleichviel, ist es nur belustigend und boshaft, so wird darüber abgeurtheilt. Es werden Verzeichnisse gehalten, und jeder echtkomische Charakter, er mag sich noch so versteckt irgendwo verborgen halten, wird in denselben angemerkt. Aeltliche Eheherrn, die sich mit jungen Weibern verbinden, sollen, wie man mich versichert, in den Verzeichnissen obenan stehen. Jedes Mitglied hat die Pflicht, im Laufe eines Monats als Ausbeute seiner Forschungen wenigstens einen neuentdeckten Narren aufzuführen. Die besten Talente sollen hier beiwirken und sich entwickeln: man schreibt, man dichtet, man zeichnet Karrikaturen und gibt spaßhafte Darstellungen, alle aus und nach dem Leben. Festlichkeiten und Gepränge sind mit der Annahme von neuen Mitgliedern verbunden. Doch, was das boshafteste ist, die Gesellschaft stellt Ehrendiplome aus und ernennt zu Ehrenmitgliedern solche, die sich durch irgend eine stadtkundige Lächerlichkeit verdient gemacht haben; da mag sich nun ein solcher Unglücklicher wehren, so viel er will, er erhält sein Diplom zugeschickt. Mancher wird auf die unangenehmste Weise überrascht, denn er hat gemeint, die in der Stille begangene Thorheit sey schon längst übersehen oder vergessen worden.«

Der Kammerherr und der Abbé hatten die Gesellschaft verlassen, und der Marquis folgte ihnen bald. Das Gespräch nahm eine andere Wendung, man besprach sich über politische Ereignisse, doch auch hier wirkte die Verstimmung, welche sich gleich Anfangs der Unterhaltung bemeistert hatte.

Die schöne Marquise, die wenig Theil an dem geselligen Verkehr ihrer Gäste genommen, fühlte ihre beklemmte Brust erleichtert, als sich jezt die Gemächer leer zeigten und die späte Stunde keinen neuen Besuch fürchten ließ. Die schlanke, schöne Gestalt wandelte durch die Reihe der verödeten Zimmer, sie suchte Emilien, ihre Gesellschafterin, und als das lächelnde freundliche Mädchen ihr jezt entgegen trat, zogen sich beide Frauen in das zierlich ausgeschmückte Kabinet zurück, wo Anna sich ermüdet an ihrem Toilettentisch niederließ. Bald zeigte sich der Mohren- Knabe, der verschwiegene Bote, und überreichte seiner Gebieterin ein Briefchen. Die Züge Anna's belebten sich, sie winkte Emilien herbei und rief ihr mit schmeichelnder Heimlichkeit in's Ohr:

»Liebster Engel, entscheide, ob ich ihn annehmen darf, er bittet um ein Gespräch.«

Emilie schmiegte sich an ihre schöne Freundin. »Ihr wißt, wen Ihr heute zu erwarten habt,« rief sie leise.

Anna seufzte. »Nur auf ein paar Worte,« rief sie.

Der Knabe enteilte auf das ihm gegebene Zeichen und nicht lange darauf öffnete sich die Thüre eines versteckten Ganges, und ein junger Mann in einem reichen, aber unordentlichen Anzuge, mit wildhängendem Haare und einem blassen, schönen Gesichte, stand vor den beiden Frauen. Es war der Schauspieler Báron.

»Madame,« lispelte er, »Sie haben mir einige Augenblicke ohne Zeugen geschenkt.«

Emilie erhob sich und trat auf den weit hinausreichenden Balkon, der mit blühenden Sträuchen besezt war. Kaum war sie fort, als der Jüngling neben Annen Platz nahm, ihre Hand ergriff und sie an seine Lippen drückte.

»Schöne, reizende Geliebte,« rief er, »ich komme als ein Unglücklicher zu Ihnen, ich habe gespielt, bedeutend verloren und zähle auf Ihre Hülfe; fünfhundert Louis muß ich diesen Abend noch haben.«

Die Schöne sah verwirrt und ängstlich zu Boden.

Eine dunkle Röthe überzog die blassen Wangen des Jünglings, er suchte mit seinen schwarzen Augen die ihrigen zu treffen.

»Wie,« rief er, »Sie wollen nicht, Sie besinnen sich, Heuchlerin, Sie haben mich nie geliebt!«

Anna reichte ihm ihre Hand, er schob sie von sich, indem er sich von ihr entfernt auf die Polster warf; Thränen entströmten ihrem Auge und sie verbarg ihr Antlitz. Báron sprang auf und ging mit eiligen Schritten im Gemach umher, endlich blieb er vor der Dame stehen.

»Ha!« rief er mit Lächeln, »diese schönen Locken, wie sehnen sie sich, ihrer Fesseln entledigt zu werden; bei meiner Ehre, ich kann diese schönen Gefangenen nicht schmachten sehen.«

Mit diesen Worten löste er zwei kostbare brillantene Nadeln aus Annens dunklem Haar; triumphirend hielt er seinen Raub empor.

»Schöne Kinder,« rief er, »nehmt von eurer Gebieterin Abschied, und in der That, ihr hattet eine vortheilhafte Stellung, in der Nähe solcher Augen, was wollt ihr armseligen Steine?«

Anna sah empor, das reiche Haar wallte herab, die Thräne glänzte noch in ihrem Auge; entzückt, mit der ganzen schmeichelnden Lebendigkeit kecker Jugend, drückte Báron einen Kuß auf ihre Lippen.

Unfähig zu widerstehen, hing sie an seinem Halse. »Wann werden Sie diese Gesellschaften meiden,« rief sie nach einer Pause, »die Ihnen Ihre Jugend und Ihren Frohsinn rauben?«

»O Anna, wie sehr haben Sie recht, ich will sie nie wiedersehen, diese lästigen Menschen, diese Elenden, die ihre Freude nur in thörichten Ausschweifungen finden. Ich will keine Trinkgelage mehr besuchen, keine jener unwürdigen Weiber wiedersehen – nur Ihnen, meine Anna, will ich leben.«

»Das wolltest Du, mein Hippolyt?« rief die Schöne mit Wärme, »o bleibe bei diesen Entschluß, erkennst Du jezt die Unbeständigkeit und Frivolität der Frauen, in deren Gesellschaft Du gelebt, denen Du den Hof gemacht; wie leichtfertig sind jene Geschöpfe, und nicht einmal wissen sie durch Jugend zu entschädigen.«

»Es ist zum Erbarmen!« entgegnete der Jüngling und gähnte ziemlich laut.

Die Dame sah ihm erstaunt und verwundert in's Antlitz.

»Entschuldigen Sie, Beste, fünf Nächte habe ich nicht geschlafen.«

Er stand auf, Anna rief Emilien herbei. Báron stellte sich in die Mitte des Gemachs, mit einem enthusiastischen Lächeln betrachtete er Annen.

»Wie reizend!« flüsterte er Emilien zu, »bemerken Sie das reiche, volle Haar, ohne Putz, ohne Geschmeide, auf den schönsten Nacken dahin flutend! Ist Ihnen die Marquise jemals schöner vorgekommen?«

Das Mädchen blickte den lebhaften Jüngling, an dem sie schon die seltsamen Launen gewohnt war, fragend an.

»Das haben Sie mir zu danken,« rief er triumphirend, »ich habe Ihre schöne Freundin überredet, ihren Schmuck abzulegen; Sie werden nie wieder an ihr jene brillantenen Nadeln sehen, die sie bis jezt getragen.«

Er machte eine ernste Verbeugung und war verschwunden.

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In dem großen Gemache, das die Aussicht auf den Platz hatte und das sein Lieblingsaufenthalt war, saß der Dichter Molière noch in später Abendstunde, beschäftigt mit der Vorlesung eines seiner Lustspiele. Die Zuhörerin, die ihm gegenüber saß, war keine Marquise oder Comtesse, es war des Dichters Haushälterin, die alte Marcella. In dem reinlichen, weißen Leibrock über dem rothen gefalteten gascognischen Rock, an der Seite geziert mit den Anzeichen ihres Standes, dem gewaltigen Schlüsselbunde, das vollwangige gutmüthige Gesicht von einem eng anschließenden Häubchen umschlossen, saß die treffliche Alte da und stüzte die dicken Arme, heftig geröthet im Dienste am Feuerherd, auf einen antiken römischen Senatorsessel, der im Schauspiel gedient hatte und mit einer Anzahl antiker Masken verziert war.

Marcella hatte hier nichts Geringeres zu thun, als ihr kritisches Urtheil abzulegen: diese Ehre erwies ihr der Herr öfters, ja er kehrte immer zu der Alten im einfachen Häubchen und mit dem Schlüsselbunde zurück, wenn er in den Salons der großen Welt, zum Ueberdruß mit Schmeicheleien überhäuft, die witzigsten Urtheile belesener junger Damen, sowie die gründlichen Kritiken der Männer vom Fach angehört hatte. Das gesunde Lachen Marcella's war ihm der sicherste Beweis eines gelungenen Einfalls, denn Marcella, das wußte er wohl, lachte nicht aus Artigkeit, sie wußte in ihrem gascognischen, einfach derben Sinne nichts von der Kunst zu lachen, die ein Erzeugniß der feinen Erziehung ist, und zu der ebensogut Studium gehört, wie zu jeder andern Kunst; auch von jenem kritischen Lachen wußte sie nichts, das haarfein auf einer Nadelspitze balancirt und zu dem gründliche Gelehrsamkeit gehört; wenn Marcella lachte, so mußte es wirklich ein guter Spaß seyn, ein Spaß von jener handgreiflichen Komik, über die die Welt gelacht hat und immer lachen wird, so lange sie besteht.

So saß denn der Meister da und las Marcellen sein Stück vor, das einen Bürger schildert, der den Edelmann spielt. Die Scene, wo Jourdain sich die schönen Künste aneignet, wo er die kostbaren Stunden in der Logik nimmt, indem man ihn buchstabiren lehrt, wo er tanzt, indem man ihm die Beine verdreht, und wo er endlich Unterricht im Fechten nimmt und Prügel bekommt, fanden Marcella's Beifall, doch der Schluß gefiel ihr nicht; sie tadelte das Spiel mit der Vermummung und fand es unnatürlich, daß Jourdain, der nur ein Thor, doch kein Dummkopf war, sich so leicht übertölpeln ließe. Der Dichter wollte dieses nicht zugeben, er stritt sich mit seiner alten Muse, doch sie trug den Sieg davon.

Unterdessen war ein Gericht Kastanien fertig geworden; die Alte hörte jezt auf keine Vorlesungen mehr, sie brachte die Früchte in einer zierlichen Schaale und stellte sie dem Herrn hin, dann trippelte sie zum Wandschrank und brachte ein Fläschchen sammt dem silbernen Mundbecher. Molière wies die Mahlzeit von sich, die Alte mußte sich auf sein Geheiß an die Schüssel machen. Die Flamme des Kamins beleuchtete die Gruppe.

»Man will mich malen lassen,« hub der Dichter nach einer Pause an, »und die galanten Herrn haben sich etwas recht Schönes ausgedacht: auf Wolken soll ich sitzen, um mich herum die Musen, und Melpomene soll mir dm Kranz aufsetzen.«

»Wer ist die Jungfer?« fragte Marcella, indem sie Butter auf ihre Kastanien legte.

»Niemand kennt sie,« entgegnete der Dichter trocken, »und sie hat eine so sonderbare Abstammung, daß man gar nicht weiß, woran man mit ihr ist.«

Marcella warf ihrem Herrn einen besorglichen Blick über die Schüssel zu: »Laßt Euch nicht mit dergleichen Frauenzimmern ein, Ihr wißt ja, wie ich hierüber denke, und zu dem seyd Ihr schon in ein recht ehrwürdiges Alter getreten, da will sich dergleichen nun vollends nicht schicken.«

»Das behaupte ich auch,« entgegnete der Dichter, »ich habe deßhalb auch vorgeschlagen, daß die Herrn, die ein Bild von mir haben wollen, mich sollen malen lassen, so wie ich jezt mit Dir zusammensitze, Marcella! Es gäbe ein hübsches Bild.«

»O, Scherz über Scherz!« rief die Alte, »wie käme ich zu dieser Ehre, und wem wird es Freude machen, das Bild einer betagten Frau zu sehen.«

»Nun, nun! Marcella, wie lange ist es her, als man noch von der schönen gascognischen Magd sprach in meines Vaters Hause? Ja, ja, damals warst Du ein junges, unerfahrenes Ding, eben erst in die Hauptstadt gekommen. Wie oft vergaßest Du mir mein Abendbrod zu bringen, wenn im Vorsaale, wo der Vater seine Tapeten zuzuschneiden pflegte, Jerome, der schlanke Pierre, oder Jean, der lustige Junge, Deiner harrten, um von Dir noch einen Gruß zu erhaschen. Alte, Alte, Du hast eine rasche und kühne Jugend durchlebt.«

Marcella lächelte verschämt, die Kastanie entglitt ihren Händen und mit einem gutmüthigen Blicke betrachtete sie der Dichter.

»Ich weiß noch ein Liedchen,« rief er, »das man unter dem Fenster der schönen Gascognerin sang.«

»Ach, Possen! laßt uns von ernstem Dingen sprechen.«

»Gib mir die Laute her.« Molière ergriff das alte abgenuzte Instrument, er lag in seinem Sessel zurückgelehnt und indem er seine Haushälterin mit dem ihm eigenthümlichen schalkhaften Lächeln betrachtete, sang er mit noch recht wohltönender Stimme:

Je croyois Janneton
Aussi douce que belle;
Je croyois Janneton
Plus douce qu'un mouton:
Hélas! hélas!
Elle est cent fois, mille fois plus cruelle,
Que n'est le Tigre aux bois!

Bei den Tönen dieses Liedes war die Thüre aufgegangen und Andreas Chapelle, der Freund Molière's, stand lächelnd da, sich die Gruppe betrachtend.

»Bravo!« rief der Eintretende, »also hier kann man ihn finden, bei seiner alten Calypso, und im Gesellschaftssaal des Herzogs läßt er vergeblich die schönen Geister nach seiner Gegenwart seufzen.«

Der Dichter stand auf und legte die Laute lachend bei Seite.

»Chapelle!« rief er und drückte dem Ankömmling die Hand, »gut, daß Du da bist, mein Herz ist schwer, Grillen füllen mir den Kopf – ich bin alt, sehr alt geworden, es geht mit mir zu Ende.«

»Er hat es auf der Brust!« rief Marcella, »erlaubt, gnädigster Meister, daß ich Euch von dem Medikamente gebe, welches ich selbst bereitet habe, nach gelehrten Vorschriften.«

Sie holte aus einer ihrer Taschen ein Fläschchen hervor, Molière ergriff es und schleuderte es zum Fenster hinaus.

»Alte!« rief er mit einem grimmigen Blick, »willst Du auch zur Fakultät gehören? dann mach nur, daß Du aus meinem Hause fortkommst. Du weißt, ich kann keine Arzneiflasche sehen, Närrin!«

Die Alte faßte die Hand des Zürnenden.

»Ihr habt gestern Abend einen Blutsturz gehabt,« rief sie leise, »ich weiß es. Das neue Stück, das Ihr habt in so kurzer Zeit schreiben müssen, die durchwachten Nächte – lieber Herr, was ich Euch sage, solltet Ihr eigentlich von der Madame hören, allein Madame schwärmt herum, Ihr habt nur die alte Marcella, die Euch nicht verlassen wird. Hört auf mich, denkt daran, daß Ihr bald dreiundfünfzig Jahre zählen werdet.«

Sie hatte immer eiliger gesprochen, bei den lezten Worten stürzten ihr die Thränen aus den Augen. Molière winkte ihr, sich zu entfernen; als sie fort war, sank er in seinen Sessel, das Haupt auf den Arm gestüzt. Chapelle richtete seinen Blick aufmerksam und mit Trauer auf den Freund, eine ängstliche Pause herrschte im Zimmer.

»Bereite Dich zu Deinem Abschied, alter Schauspieler und Lustigmacher! dreiundfünfzig Jahre hast Du Dein loses Handwerk geübt – es ist genug!«

»Molière!« rief Chapelle mit Ernst.

»Laß mich,« entgegnete der Dichter, »ich weiß, was Du sagen willst. Ach, Chapelle, ich bin müde dieser Welt, müde dieses Geschwirres bunter Larven; meine Seele ist erlahmt im Kampfe gegen Thorheit und Laster, meine Sinne sind stumpf, mein Herz verödet. Dreiundfünfzig kostbare Jahre, der goldne Inhalt eines Menschenlebens, er liegt vor mir, was habe ich aus diesem herrlichen Stoffe gebildet? – Ach, welch ein unglückseliger Geist trieb mich aus der stillen Werkstätte, kettete mich los von dem dürftigen, aber friedlichen Geschäfte?« –

Chapelle schwieg und der Dichter suchte sich zu fassen. Er trat an's Fenster, sein Blick suchten den Sternenhimmel, eine ungewöhnliche Blässe lag auf seinen edlen Zügen; nach einer Weile wandte er sich zu dem neben ihm Stehenden:

»Was bringst mir Besonderes, Du sprichst immer so viele Leute?«

»Warst Du von Sinnen, Jean-Baptiste,« rief Chapelle, »als Du jene kecken Worte von der Bühne herabriefst? Jezt bist Du verloren, die Frommen werden Dich steinigen, der Chanvalon wird Dir das nie vergessen; ganz Paris ist in Bewegung.«

»So mögen sie's denn dahin nehmen! Ich verabscheue nun einmal diese Brut.«

»Fürchtest Du Dich denn nicht vor ihrer Rache?«

»So lange Ludwig die Krone Frankreichs trägt, fürchte ich sie nicht.«

»Stets verläßt Du Dich auf den König.«

»Chapelle!« nahm der Dichter mit weicher Stimme das Wort, »ich werde bald weder auf die Gnade des Einen stolz seyn dürfen, noch vor der Rache der Andern fliehen müssen. Ich verlasse dieses Paris. Was will ich mehr; arm kam ich hieher, verstoßen, ein wandernder Schauspieler, jezt ziehe ich fort, reich, und das Gerücht nennt meinen Namen – ich kann sagen, ich habe mein Glück gemacht. Tausend Andre würden an meiner Stelle nichts Höheres wünschen. Jezt will ich den Frieden, die Einsamkeit aufsuchen, in meinem kleinen Landhause zu Auteuil will ich als stiller friedlicher Bürger leben, und dort fern von der Welt meine Tage beschließen.«

»Weiß Deine Frau von diesem Plane, wird sie Dich begleiten?«

»Gewiß, denn sie liebt mich – auch könnte ich nicht ohne Dich und Báron leben.«

»Den Leztern laß fort, er kann nur den Frieden stören, nicht erschaffen. Deine Frau –«

Des Dichters Blicke leuchteten von Unmuth: »Elende Verläumdungen! bringe sie nicht wieder vor mein Ohr.«

Chapelle schüttelte das Haupt.

»Ich begreife nicht,« rief er nach einer Pause, »was Du an diesem wilden Buben hast; wärst Du ein Weib, so könnte ich's mir erklären, denn er verführt alle Weiber.«

»Laß mich Dir etwas von meinem innersten Empfinden und Denken sagen,« nahm Molière das Wort. »Von der Zeit an, wo ich Menschen beobachten lernte, und dieses geschah schon in meinem siebenten Jahre, daß ich hinter den Tapetenwänden meines alten guten Großvaters hervor die Leute mir betrachtete, welche in unsre Werkstatt traten, da fühlte ich bei dem Gefühl und dem Wesen einiger mich besonders angezogen; bei andern blieb ich ruhig und kalt beobachtend; jene entgingen mir, diese konnte ich bis auf den Grund ihrer Seele durchschauen. Da merkte ich, daß Sympathieen mich beherrschten. Rühmt man an mir bei der Zeichnung meiner Charaktere Schärfe und Lebendigkeit, und besitze ich vielleicht in der That diese Eigenschaften in einem gewissen Grade, so fühle ich dennoch meine völlige Ohnmacht, wenn ich es versuche, jene mir in wunderbarer Zuneigung nahe tretenden Gemüther aufzufassen. Jede Deutlichkeit der Umrisse verliert sich, mein Urtheil schwankt unaufhörlich, ich liebe, wo ich prüfen, und bewundre, wo ich tadeln sollte, ja ich weiß mich zulezt in dem Streit meiner Gefühle nicht anders zu retten, als daß ich mich blind jenem Wesen ergebe, und nun nicht weiter frage und urtheile. Oft bin ich bitter getäuscht worden, oft aber auch habe ich gegen meine blinde Ergebung die süßesten Empfindungen, die zärtlichsten Neigungen eingetauscht. So ist es mir auch zum Theil mit diesem Báron gegangen. Einer Truppe elender Possenreißer entriß ich den Knaben, er wuchs unter meinen Augen auf, er schmiegte sich an mich und ich lernte ihn lieben. Später, wie er eine überraschende Schönheit in Gestalt und Wesen entwickelte, wurde er mir immer unentbehrlicher. Niemand sprach wie er mit einem so lieblich tönenden, geschmeidig biegsamen Organ meine Verse her, und nicht meine Verse allein, er war auch in der Tragödie Meister, und Corneille hat ihm die schönsten Heldengestalten zu danken. Die Frauen, die höchsten wie die niedrigsten, wollten nur ihn sehen, nur ihn hören – mein kleines Theater, als ich noch in der Provinz herumzog, füllte sich oft ganz mit schmachtenden Herzen. Konnte ich's verhindern, daß man mir ihn raubte, daß man endlich ihn, den Unbefangenen, mit tausend zärtlichen Intriguen überschüttete? Dennoch kehrte er sich mir immer wieder zu, hing mir treu an, nannte mich seinen Vater, seinen Freund. – Ich selbst hab' ihn meiner Frau als Hüter bestellt, mein Wille ist, daß er sie nie aus dem Auge lassen soll.«

»Und wen hast Du zu seinem Hüter bestellt, wohl Deine Frau, nicht wahr?« rief Chapelle mit spöttischem Blicke. »Doch zurück zu Deinen seltsamen Plänen. Meinest Du, daß man Dich ziehen lassen wird?«

»Gewiß; sie sind schon meiner satt – ich kenne dieses Volk. Nur eine heilige Pflicht, die ich mir selber auferlegt, habe ich noch hier zu erfüllen.«

Fragend blickte der Freund den Dichter an: »Du meinst die Heirath Deines jungen Arztes, die Ueberraschung, die Du dem alten Tristan aufgespart?«

»Du hast es errathen, Chapelle, und dieser Freudentag für mich ist nicht ferne. Gib Acht, der alte Trutzkopf wird doch Recht behalten wollen. Der junge Mann ist ein so tüchtiger braver Arzt, so ganz nach dem Muster erzogen, wie ich mir einen Helfer der leidenden Menschheit denke, und der alte Narr, wenn ich ihm den blühenden, kräftig und tüchtig gebildeten Sohn bringe, wird dennoch murren.«

»Die That macht Dir Ehre.«

»Es soll Niemand sie erfahren,« entgegnete Molière; »der Alte kennt mich nur als Gevatter Baptiste, den Buchhändler. Claude und sein hübsches Bräutchen dürfen nicht plaudern, und Du, mein Lieber, wirst es auch ohne Verbot nicht.«

»Gib acht, der alte Rath Bertier gehört zu den Frommen, er könnte Dir seine Tochter Madelaine entziehen wollen.«

»Sorge nicht,« entgegnete Molière, »schon hat er seine Einwilligung gegeben. Diese Intrigue soll die lezte seyn von meiner Erfindung. Ich habe bei dem Alten viel gut zu machen, und muß eilen.«

Der Diskurs wurde hier unterbrochen; ein heftiger Lärm, Gezänk und zwischendurch Gelächter ließ sich im Vorgemach hören, jezt ging die Thüre auf, und vom jungen Schauspieler Báron begleitet, flog die Madame Molière hin, eine kleine Brünette, im Gesichtchen die Flammen des Schreckens und Zorns. Sie warf sich auf den Sessel des Mannes und lag erschöpft da, indem die Thränen über ihre Wangen liefen.

»Um Gotteswillen, m'amie,« rief der Dichter, »was ist geschehen?«

Da sie schwieg, wandte er sich an den Jüngling, der am Kamin lehnte und sich einige der besten Kastanien aus der Schüssel suchte.

»Laß die Treppe abbrechen,« entgegnete er, »es ist das einzige Mittel, um Ruhe zu haben, sobald sich die beiden tollen Weiber auf der Stiege begegnen, so ist der Krieg da. Madame muß hinauf, um in die Küche zu gelangen, und Madame von oben muß herab, um in den Keller zu kommen.«

Molière sezte sich zu der erhizten Schönen. Chapelle und Báron verließen das Zimmer, indem sie sich gegenseitig ziemlich laut ihre Bemerkungen über die Ehestandscene, die jezt folgen sollte, mittheilten.

»Kannst Du nun nicht in Frieden leben mit dem jungen Weibe,« begann der Dichter, «ihr seyd von einem Alter?« –

»Welche Impertinenz!« entgegnete sie, »jene ist wenigstens drei Jahre älter als ich; Ihr versteht Euch schlecht auf die Jahre, mein Freund. Und dann, wir müssen von hier fort, sind wir nicht reich genug, um ein eignes Haus und zwar in der besten Gegend der Stadt zu bewohnen?«

»Du weißt, meine Liebe, daß ich mich ungern von diesem Hause trennen würde.«

»Ich weiß,« rief sie, »daß Ihr Alles ungern thut, wodurch mir eine Freude geschieht.«

Sie hüllte ihr Antlitz in's Tuch und ihre Thränen flossen.

»So wollen wir nach Auteuil ziehen, dort bist Du uneingeschränkte Gebieterin.«

»Nein, mein Freund, ich habe Euch nicht geheirathet, um meine Jugend mit Euch in einem einsamen Landhause einzuschließen. Ich will Paris nicht verlassen, ich will hier bleiben.«

Das Gespräch stockte, unmuthig sah der Dichter zu Boden.

»Wenn ich Dir aber nun sage, gutes Kind, daß ich seit einigen Wochen recht ernstlich krank bin, daß ich mich nach Ruhe und Stille sehne; Du wirst mich doch nicht allein ziehen lassen?«

Sie blickte hinter ihrem Tuche hervor, in ihrem großen braunen Auge lag auf einen Moment Zärtlichkeit und Rührung.

»Also krank?« rief sie, »das macht das herannahende Alter, lieber Baptiste; Ich bedaure Euch herzlich, allein Ihr seht doch wohl selbst, daß ich nicht Eure Krankenwärterin abgeben kann. Du lieber Gott, was würde da aus mir? Ich, die so viel Anlage zur Hypochondrie habe, die ich mich nur dadurch aufrecht erhalte, daß ich täglich einige Lustbarkeiten und Zerstreuungen mitmache, die mir freundliche und vornehme Herrn unserer Bekanntschaft bereiten. Und denn das Schauspiel, wie könnte es wohl bestehen, wenn man mich nicht mehr auf dem Verzeichniß der spielenden Personen findet? Wer soll Deine listigen impertinenten Kammermädchen, Deine kleinen coquetten Frauen machen?«

»Freilich,« bemerkte Molière mit einem bittern Lächeln, »die spielst Du meisterhaft.«

»O mein Freund,« fuhr sie fort, »Ihr habt Anlage zu einem Tyrannen; dem muß entgegen gesteuert werden. So belustigend Ihr auf der Bühne seyn könnt, so langweilig seyd Ihr zu Hause. Diese Falten, dieses lange bedeutende Gesicht, – o Ihr seyd nicht gemacht, um junge lebhafte Frauen zu unterhalten. Kommt, ich gebe Euch einen Kuß, wenn Ihr mir versprecht, dieses Haus zu verlassen und ein anderes, das ich aussuchen werde, zu beziehen.«

Der Kuß wurde angenommen und das Versprechen gegeben. Madame war jezt heiter und freudig, sie scherzte und tändelte im Zimmer umher, blickte in den Spiegel, schloß das Fenster, indem sie bemerkte, daß die Nachtluft dem Manne schädlich seyn könne; endlich flatterte sie hinaus, und man hörte sie lachend und singend die Treppe hinuntereilen.

Der Dichter blieb allein; ihm war finster und beängstigend zu Muthe. Seine Arbeiten schob er mit Mißvergnügen von sich, es gab nichts darunter, was ihn hätte zerstreuen können, da kam ihm das Manuscript in den Sinn, das er seit einiger Zeit bei sich trug und welches ihm der junge Charlot, der Sekretär des Grafen, eingehändigt hatte. Er zog es hervor und las folgende

Novelle
von dem galanten Ritter und der schönen Frau.

Eine tugendhafte adelige Jungfrau wuchs in der Gesellschaft derjenigen auf, die sie ihre Verwandten und Freunde nannte, und unter denen tapfre und ernste Männer, kluge und redebegabte Frauen waren. Wenn sie in der Halle beisammen saßen, diese viel edlen Herren und Damen, so pflogen sie köstliche Gespräche untereinander, und diese durfte die Jugend anhören und sich an ihnen bilden. Edler Frauen Mund ist die Quelle des beseelten Wortes, aus der der Dichter unermüdlich schöpft. Virginia, so hieß die junge Schöne.

Zu den ritterlichen Spielen gehören manche, die unter der Leitung besonderer Gottheiten stehen. Mars erfindet die Kriege, die zur Lust gefochten werden, auf einer Aue ruft er seine Vasallen zusammen, statt des Blutes zeigen junge Rosen die Wunden der Helden an, und manche feurige Frühlingslichter brennen auf dem kalten Stahlfelde, womit die junge muthige Brust sich bepanzert.

Diana führt ihre Schaar in die dunkeln, rauschenden Haine und Wälder; – da klingen heitre tändelnde Geschichten, es flattern Liebesworte wie bunte Vögel, und bedächtige Reden wiegen sich auf den Lippen, gleich prächtigen goldnen Papageien auf den grünen Zweigen, und auf den stolzen Rossen schweben die anmuthigen Liebenden wie in alten Bildern König und Königin miteinander, und es beugen sich ihnen die schlanken Pappeln, diese grünen Pagen des Waldes.

Oder Neptun schafft schwimmende Wiegen herbei, darin wiegt sich die Liebe groß. Verschlungen Arm in Arm mit seiner Dame, ihr Bild in den Fluten suchend, sizt still der ebenso muthige Jägersmann; ein klingendes Streiten von Flöten und Hoboen bläst seine frischen Athemzüge über's Meer hin. Hell und silbern glänzt die Flut, die geschmückten Boote eilen wie stolze Handelsherrn an einander vorüber, jeder in der Meinung, bessere Waaren zu führen als der andre, und wirklich leuchtet hier ein purpurn Gewand, dort ein silbern klarer Schleier in die Flut nieder, hier zieht sich eine Reihe lichtgeschwellter Perlen um einen warmen Nacken, dort trotzen wilde rothe Korallen, die entwendeten Zauberstäbe der Meerfeyen.

Doch die schönsten Feste ordnet Venus an. Wenn die Abendkühle weht und das Spätroth leise über die gebückten Blumenhäupter heranschleicht, die Vögel langsamen Fluges dahinziehen über die frische weiche Saat, gleichsam wie satt von so vielen Genüssen, da läßt sich ein buntes zierliches Wölkchen nieder, tief in die rothen Blumen der Wiese hinein, da schimmert und gaukelt es, da glühen geküßte Wangen wie heftig aufgesprungene Rosenknospen auf, da flattern goldne Locken und hoch in den seligen Himmel hinauf tönt das uralte heilige Mährchen der Liebe! Und Wald und Flur lauschen, es lauscht das weite Meer, der nahe Baum lauscht mit allen seinen Blüthen, und das Abendroth kann nicht weichen. Der Nachtwind flüstert und spricht zu sich selber: weßhalb soll ich schweifen nach Ost und West, nach Nord und Süd? hier will ich bleiben und unermüdlich spielen mit den stolzen Federbüschen, den zarten Schleiern und mit den schönen zärtlichen Worten.

Von diesen und noch andern zierlichen Spielen schloß sich Virginia aus und zwar zum großen Herzeleid ihrer Verwandten, die sie so gerne sahen. Es verwahrte aber der Jungfrau Herz ein Geheimniß, Klugheit und Frömmigkeit geboten ihr, dem Beichtiger sich anzuvertrauen, der ein edler und ihr herzlich ergebener Greis war.

So sprach sie denn zum ehrwürdigen Vater diese Worte:

»Als meine Verwandten mich vor wenigen Monden in die größte Stadt der Christenheit, in das herrliche Paris brachten, um einem Feste beizuwohnen, welches man daselbst anordnete, geschah es, daß ich eines Abends vor die Kirche unsrer lieben Frauen trat, als eben die Messe beendet war. Der Chöre himmlische Musik verhallte leise, es zogen die Weihrauchdüfte wie Engel sehnsüchtig aus den geöffneten Kirchenthüren dem klaren Abendhimmel, ihrer Heimath, wieder zu, da trat in Duft und süße Töne gleichsam gehüllt ein Jüngling hervor, und schritt die Stufen nieder. Bei allen Heiligen, er hatte nichts Menschliches an sich, er war ganz Hoheit, Milde und schöne Güte. Sein Auge bemerkte mich und ruhte auf mir, er sah mich getrennt von meinen Angehörigen und sprach mir mit holdseligen Worten Muth ein; bald darauf sah ich ihn verschwinden, dunkel wurde es um die Kirche, die Töne, die Weihrauchwolken waren nicht mehr. Solches geschah aber am Tage des heiligen Bonifazius um die Abendstunde, als man die Messe auslautete in der Kirche unsrer lieben Frauen zu Paris.«

Sie hielt hier inne, dann sezte sie zu ihrem Geständniß nur folgende leise Worte hinzu:

»Dieses Jünglings Antlitz wird nie aus meinem Herzen weichen! – jezt, heiliger Vater, wißt Ihr meines Busens Geheimniß; Gott wolle meiner Seele gnädig seyn.«

Der Pater saß erstaunt und bewegt da. Die Gitterstäbe des Beichtstuhls, durch die die Stimme in sein Ohr gedrungen, schienen ihm das Gitter eines Kerkers, hinter welchem eine trostlose Gefangene schmachtete; er wandte sich zu ihr und sagte mit sanfter Stimme:

»Jener Tag, meine Tochter, ist kein Tag des Heils für Dich gewesen. Der Jüngling, den Du damals geschaut, ich kenne ihn, er kann nie der Deine werden.«

»Nenne mir seinen Namen.«

»Erschrick nicht, meine Tochter, es ist der Enkel des heiligen Ludwig, den Du gesehen! in Frankreichs großen König ist Dein thöricht Herz verliebt.«

Die schöne Dame erröthete und erbleichte, ihr Busen war geängstigt, Thränen lösten sich aus den klaren Augen und rannen über die Wange.

»Um Gott,« rief sie, »ist dieses wahr und wahrhaftig so?« –

»In Christi Namen,« entgegnete Jener.

Die Dame weinte, dann rief sie mit fester Stimme: »Nun wohl, ehrwürdiger Vater, ich verlange von Euch, was ich verlangen darf, Verschwiegenheit. Von uns Beiden darf keine lebende Seele erfahren.«

»Meine Tochter,« rief der Geistliche bittend, »reißet diese Liebe aus Eurem Herzen.«

»Mein Vater,« entgegnete sie, »ich kann über dieses Herz, das ich selber nicht geschaffen, nicht gebieten. War jener Jüngling der König von Frankreich selbst, wohl, so will ich ihn lieben, weil ich ihn lieben muß – doch mit stillem verschwiegenen Herzen bis in den Tod.«

»So wollt Ihr in ein Kloster gehen?«

»Nein, Ehrwürdiger, jezt, da mein Schicksal entschieden, ist mir die Welt ein Kloster. – Die gebrochenen Herzen bilden mitten im Geräusch der Welt eine unsichtbare Kirche, sie tragen die stille Klostertracht, der Jedermann erschrocken ausweicht, sie wandeln mit so unheimlich sanftem Tritte, doch diese klanglosen Schritte übertönen und verscheuchen die lautesten Gelage. Ich bedarf keines Klosters.«

Der Geistliche geleitete die Jungfrau zurück zu ihren Verwandten. Sie that, wie sie es gesagt, jene Feste und Lustbarkeiten vermied sie, doch in der Einsamkeit des Waldes, in der Abendstille der Garten sah man sie wohl öfters.

Nun geschah es, daß Ludwig der Vierzehnte, König von Frankreich, in häufige Kriege verwickelt wurde, es nahmen die Niederländischen Unruhen damals ihren Anfang, die den jungen Adel des Königreichs, den König an ihrer Spitze, in das Feld der Gefahren trieben. An dem Schreckenstage, da das Heer auszog, erblaßte der Glanz der Palläste, die schimmernden Gemächer des Louvre hüllten sich in einsame Trauer, nicht mehr klagten in den Gärten von Versailles Lolli's reizende Symphonien, verstummt waren die neckischen Stimmen, die aus den erleuchteten Gebüschen das Heer gaukelnder Tänzer hervortrieben, nicht mehr scherzte Colombine mit ihrem flatterhaften Geliebten über die spiegelglatten Parquetböden des Opernsaals dahin, nicht mehr wurden im geheimen Staatsrathe der Liebe verwickelte Streitfragen entschieden, müßig wandelte des Pallastes Göttin, die Intrigue, die Larve in der Hand, durch die leergewordenen Säulenhallen, durch die verschwiegenen mondbeglänzten Gemächer. Erstorben waren sie, das Heer der Schönen war ausgewandert, kniend lag es auf dem Steinboden der Kirchen, für das Heil von Frankreichs Waffen, für die siegreiche Zurückkunft von Frankreichs schönen Söhnen betend.

Doch das Herz, das am heftigsten schlug in ganz Frankreich, war das Herz Virginia's. Ludwigs süße unbekannte Geliebte durchbebten Schauer bei dem Gerüchte einer Schlacht, sprachlos faltete sie ihre Hände, ihre Thränen flossen, und sie litt unsägliche Schmerzen um ihn.

So vergingen zwei Jahre, daß die schöne Jungfrau ihr Stillschweigen ununterbrochen hielt. Ihr einziger Trost waren die edlen Dichter, die in schönen tiefgefühlten Worten ihr das Gebilde ihres eigenen Lebens vorhielten; sie ergözte sich, immer wieder ihre Gesänge zu lesen, ja sie selbst schrieb ihre Klagen nieder, ordnete sie melodisch, und ließ durch ihre bewegte Brust sehnsüchtige besänftigende Laute ziehen, gleichwie durch den dunkeln schlummernden Wald die einsame Flöte eines am Abhange träumenden Hirten klingt. Witzig, wie es die schöne Sitte der Zeit fordert, sezte sie in Frage und Antwort ihr Recht, ihr Unrecht hin, sie verflocht den Namen des großen Königs und ihren eignen in sinnige Liedesarabesken, sie ordnete Züge, flocht Blumen und reihete kostbare Perlenschnüre aneinander. Mitten unter diesen kranken Spielen brach ihr das Herz und sie sank mit einem Schrei zusammen.

Am Tage des heiligen Bonifazius erschien ein fremder Ritter, der, man weiß nicht wie, von Virginia's Liebe vernommen hatte und nun kam, um die holdselige Jungfrau zu sehen. Die Verwandten traten ihm entgegen und erwiderten auf seine Fragen:

»Herr, die Ihr suchet, ist nicht mehr unter den Lebenden, sie ist gestorben aus Liebe; der Himmel sey ihrer Seele gnädig!«

Bei diesen Worten sah man Virginiens Leichenzug durch die Nacht dem Kloster zuschreiten. Einsam in seinen Mantel gehüllt, folgte der Fremdling; er trat an den Sarg und heftete sein Auge auf das blasse Antlitz der Schlummernden. Stille herrschte im weiten Kreise – langsam löste er seinen Degen aus dem Gehänge und legte ihn auf den Sarg, indem er selbst zu dessen Füßen niederkniete; man hörte ihn die Worte sprechen:

»Virginia, vergönnet, daß ich Euch noch im Tode zu meiner Dame wähle, wollet mir die süße Huld gewahren, daß ich mich Euren Ritter nennen darf, und bei dem Haupte des heiligen Dionys schwöre ich's, nicht ist mir die Krone Frankreichs so theuer, nicht der Scepter des mächtigsten Reiches so Werth, als mir der Name ist: Virginia's Ritter!«

Er schwieg und erhob sich langsam, die Stufen des Gerüstes niedersteigend. Bald war er mit seinem Gefolge verschwunden.

Durch die Menge aber verbreitete sich das Gerücht, der Fremdling sey Niemand anders gewesen, als Frankreichs König selbst, Ludwig, der Allgeliebte. Das Schwert mit den drei Lilien ward in die Gruft versenkt mit dem Sarge Virginiens.

Solches hat sich begeben in der Grafschaft Bourbonnois, und ist verzeichnet in den Geschichten des altadeligen Hauses de la Baume; im Jahre unsers Herrn, da man schrieb 16–

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Molière hatte die Blätter durchlesen und faltete sie jezt zusammen. Er tadelte die Umgestaltung einer Begebenheit, die sich vor weniger Zeit ereignet, jedoch keinen so tragischen Ausgang genommen hatte. Es dünkte ihm die Geschichte der schönen Herzogin de la Ballière, der jetzigen Geliebten des Königs zu seyn.

»Die reizende Frau,« rief der Dichter bei sich, »verdiente diese galante Ritterlichkeit unseres damals jugendlichen Königs, sie ist ihm eine treue Freundin geblieben seiner männlichen Jahre, und dennoch – möchte keine Zeit kommen, wo sie wünschte, dieser erdichtete Schluß ihrer Geschichte wäre Wahrheit gewesen! Ach, nur in unsern Träumen wohnt die ewig tadellose Schönheit.«

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Der junge Claude Tristan besuchte seine Braut noch zu später Stunde, um ihr einige Kleinodien abzugeben, die er für die bevorstehende Feier seiner Vermählung bei einem geschickten Goldarbeiter hatte verfertigen lassen, und die jezt nach seinem Wunsche, obgleich nicht ganz zur bestimmten Frist, fertig geworden waren. Er fand Madelainen in einer trüben, nachdenklichen Stimmung; sie saß an ihrem Tische, auf dem eine einsame Lampe brannte, ein Gebetbuch lag vor ihr aufgeschlagen. Frau Bertrand, eine Angehörige des Hauses, behauptete ihren Platz an einem kleinen Betpulte zur Seitenwand des Gemaches und ließ sich durch das Eintreten des jungen Mannes nicht stören. Madelaine reichte ihm die Hand, ihr zärtliches Lächeln verdrängte auf einen Moment den Ausdruck der Wehmuth und des Nachdenkens aus ihrem schönen Gesichte. Sie ergriff ein paar Herbstblumen, die vor ihr lagen und an denen noch der abendliche Thau funkelte, und reichte sie dem Geliebten. Entzückt nahm dieser sie, und befestigte sie in eine der dunkeln Haarlocken, die unter dem weißen Schleier der Schönen hervorquollen.

»O mein süßes Mädchen,« rief er begeistert, »wie kleidet Dich dieser einfache Schmuck, den Du Dir selber gewählt, um so Vieles reizender, wie viel mehr ist er geeignet, Deine Reize zu erhöhen, als derjenige, den ich Dir mitgebracht habe.«

Madelaine nahm heiter und scherzend die Geschenke in Empfang, freudig breitete sie die hellen Gaben vor sich aus, ordnete sie immer neu und zeigte, indem sie zugleich Sinn für den Werth des Kleinods und Gefühl für die Absicht des Gebers an den Tag legte, die ganze Fülle ihres jugendlichen zärtlichen Herzens. Eine Weile verging den Liebenden mit diesem anmuthigen Spiele, dann kehrte Madelaine zu ihren ernsteren Betrachtungen zurück. Sie entdeckte ihrem Freunde, daß seit seinem lezten Erscheinen in ihrem Hause sich Manches verändert habe, mit Schonung sprach sie von ihres Vaters, des alten Raths, vermehrter Härte und Strenge, von seinen anhaltenderen und häufigeren Anfällen finsterer Frömmigkeit. Claude tröstete seine trauernde Geliebte, sein Arm umfing sie, und sein dunkles Auge blickte mit rührender Zärtlichkeit in das ihrige.

»Harre nur aus, Theure,« rief er, »bald wird die Prüfungszeit geendet seyn, wir werden uns ganz angehören und Du wirst Dich der Freiheit und der Liebe hingeben dürfen.«

»O, diese goldene Hoffnung,« nahm Madelaine das Wort, »möchte sie uns nicht täuschen!«

»Wie?« rief der Jüngling, »Zweifel an unsrem Glück, Madelaine? ist das erlaubt – kann denn Deines Claude's Treue Dir je verdächtig seyn?«

»Nicht das,« erwiderte das geängstigte Mädchen, »mißverstehe mich nicht, ganz andere Besorgnisse erfüllen meine Seele. Ach! noch ist der Tag nicht erschienen, der unser Glück befestigen, der das Band zwischen uns auf immer knüpfen soll. Wie? wenn sich so nahe am Ziele finstere Stürme erhöben! Mein Vater, glaube mir, ist argwöhnischer als jemals; wir sind von Jesuiten umgeben, die Schlimmsten fürcht' ich, beherrschen ihn gänzlich – erst vor wenigen Tagen sind mir drohende Winke zugekommen, frage mich nicht, auf welchem Wege, genug, ich weiß, daß man ihn gegen Dich erbittert.«

»Gegen mich,« rief Claude, »und was habe ich verbrochen?«

»Dein Umgang mit den Schauspielern,« erwiderte Madelaine, »Du besuchst öfters das Theater; o, wenn Du mich liebst, Claude, gestatte mir die Bitte, meide diese Vergnügungen, die die fromme und bessere Welt jezt allgemein gegen sich haben, und vor allen Dingen reiße Dich los von jenem seltsamen doppelsinnigen Menschen; verlaß den Dichter Molière!«

Der junge Mann fuhr lebhaft und entrüstet auf.

»Wie!« rief er, »Molière verlassen? ihn, meinen Freund, meinen Wohlthäter, und das um elender Verläumdungen willen! – Madelaine, das wirst Du nicht von mir fordern. Bedenkst Du wohl, mein süßes Kind, daß er es ist, der mich meinem Vater wieder gegeben hat, der mir die Mittel zu meinem jetzigen Unterhalte verschafft, und dann, Madelaine, um Alles zu sagen, der mich mit Dir vereinigt hat.«

Die Braut senkte mit holdem Erröthen ihr Haupt.

»Ich kann,« nahm sie nach einer Pause wieder das Wort, »Dich nicht schonen, ich darf meines Vaters Gemüthszustand nicht anders schildern, als er ist – wie, Claude, wenn er verlangte, daß Du Dich von diesem Manne, den Du deinen und meinen Wohlthäter nennst, auf immer trennen sollst, wenn er auf diese Trennung meinen Besitz als Preis festsezte?«

»Du erschreckst mich, Madelaine! Darein könnte ich nie willigen. Doch Du sprichst nicht im Ernste, Mädchen.«

»Und wenn es doch wäre?« entgegnete sie mit einem düstern fragenden Blicke. »In der That, man erzählt so viel Schlechtes, so viel Empörendes von jenem Dichter – laß mich völlig aussprechen, Claude, ich kann meinen Vater durchaus nicht tadeln – der Pater Bertram spricht –«

»Bertram?« rief Claude, »wie hat dieser sich in euer Haus gefunden?«

»Er ist's,« entgegnete Madelaine, »bei dem ich jezt zur Beichte gehe, meines Vaters Wille bestimmte mir ihn.«

Des jungen Tristans Züge beschatteten sich, finstern Blickes sah er vor sich hin, seine Hand spielte mit einer der frischen Blumen und sie fiel entblättert zu seinen Fußen nieder. Die schöne Verlobte bemerkte nicht so bald den tiefer gehenden Unwillen ihres Geliebten, als sie, ihre eigene trostlose Ansicht aufgebend, sich nur bemüht zeigte, die kostbaren Augenblicke vertrauten Beisammenseyns nicht durch Besorgnisse zu trüben, die vielleicht wenig mehr als Träume waren, hervorgerufen durch den vorübergehenden Drang der Verhältnisse. Heiter schlang sie jezt den Arm um seinen Nacken, indem sie rief:

»Lassen wir denn diese Betrachtungen, mein Freund, komm erzähle mir, wie Du öfters zu thun pflegst, etwas Heiteres, Scherzhaftes. Du siehst mich bereit, überall Belehrung anzunehmen und dankbar anzuerkennen. Unser Gespräch nahm seinen Anfang von Molière, wohl, bleiben wir bei ihm; wie oft hast Du versprochen, das Leben dieses Deines Freundes mir zu schildern, seine näheren Umstände und Verhältnisse! Erfülle dieses Versprechen, gewiß ist jezt eine passende Stunde hiezu.«

Sie sezte, da der Jüngling zögerte, noch die Worte hinzu:

»Du fürchtest, daß ich Dich mißverstehen werde, fürchte dieses nicht, gib mir sein Bild, wie Du es ansiehst, ich weiß, daß Du wahr bist in der Freundschaft wie in Deinen andern Gefühlen; mit Willen wirst du gewiß nichts verschönern oder mißgestalten, und so werde ich selbst hoffentlich anders über diesen außerordentlichen Charakter urtheilen lernen. Vor allen Dingen möchte ich über den Umstand seiner berüchtigten Heirath Licht bekommen, denn hier lastet der schwerste Vorwurf auf ihm. Warum muß doch die Welt jede Schönheit und Größe in den Staub ziehen! O erzähle, mein Freund.«

Claude's Züge nahmen einen fröhlicheren Charakter an, er ergriff mit Vergnügen den angebotenen Stoff zur Unterhaltung, um die Geliebte und sich zugleich aufzuheitern.

»Liebste Madelaine,« rief er, »ich kenne Dein Gemüth, leicht sind von seinem klaren Spiegel die Wolken zu zerstreuen, die Mißgunst und Unwissenheit Bösgesinnter auf demselben gesammelt haben. Dein schöner, frischer Lebenssinn, mein Mädchen, duldet überall weder Irrthum, noch vorsätzliche Verläumdung; Du wirst bald mit mir gleich fühlen. Könnte ich nur mit eben so erfreulichem Gelingen die Waffen zügelloser Bosheit und Verstocktheit von dem Haupte unsers großen Dichters abwenden. O, es ist oft nicht zu fassen, wie die Sehenden sich oft muthwillig zu Blinden stempeln, um nur den Anforderungen ihrer eigenen gemeinen Natur genüge zu thun. Sie haben ihn ja gesehen, Sie konnten ihn auf jedem Schritte beobachten; keinem Auge, das prüfen wollte, hat der Edle sich entzogen, er lebt unter Ihnen schon seit langer Zeit – fand sich wohl irgend Grund zur Anklage? Er, der sanfteste, friedfertigste, wohlwollendste Mann, muß es dulden, daß ihm Härte, Bosheit, versteckte Tücke vorgeworfen wird, was irgend der Stand, dem er angehört, verbrochen, wird ihm aufgebürdet. Der tiefschauende Blick in das Wesen des menschlichen Charakters, die kunstreiche, edle Auffassung und Umgestaltung oft niedriger Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens wird durch die elende Anklage stets nur verlästert, als suche er durch persönlichen Spott zu beleidigen und zu kränken. O, ich werde des Klagens nicht müde, bedenke ich die schwarze Undankbarkeit der Welt gegen diesen Mann.«

Madelaine reichte besänftigend ihre Hand dem Zürnenden, ihre Blicke hingen mit verdoppelter Zärtlichkeit an seinem Antlitz.

»Es sey,« rief er, »so laß mich Dir denn das wiedererzählen, was ich aus vertraulichen Mittheilungen theils aus seinem eigenen Munde, theils aus dem seiner wenigen echten Freunde weiß.

Jean Baptiste Poquelin, dieses ist, wie Du weißt, unseres Freundes eigentlicher Name, ist hier in Paris geboren, das Haus, in dem er das Licht der Welt erblickte, ist Dir bekannt, denn Jedermann weiß davon zu erzählen, auch von seinen früheren Jugendjahren wirst Du Manches gehört haben.«

»Gewiß,« rief Madelaine, »mein Vater selbst spricht viel und oft von jener unruhigen Zeit, die die lezten Regierungsjahre unseres vorigen Königs bezeichnet.«

»Wie schwer,« fuhr Claude Tristan fort, »wurde es dem Talente, sich in jenen Tagen bemerkbar zu machen. Welcher Geist nicht in die Stimmung, die damals galt, eingreifen mochte, wem nicht kleinliche Parteisachen und kirchliche Zänkereien am Herzen lagen, wer, abgesondert von der Menge, einen freien Blick that in das Getriebe dessen, was wir im Großen ›Zweck des Lebens‹ nennen, der konnte sicher darauf zählen, im Gedränge spurlos unterzugehen. Talente wurden gesucht, doch nur solche von schnell zerstörender Wirksamkeit, Rohheit siegte, Schwäche und Unverstand führten das Ruder des wankenden Staates. Dieses war der Zeithintergrund, auf dem sich das Gemälde der Kindheit unseres Dichters abbildete.

Der junge Jean Baptiste wurde zum Gewerbe seines Vaters angehalten: dieser hatte nämlich für die Ausschmückung der Gemächer des Pallastes zu sorgen, und trieb nebenbei einen ansehnlichen Handel mit Tapeten. Kleine Aufträge wurden dem Sohne schon anvertraut, man freute sich, wenn diese günstige Ergebnisse herbeiführten, die von Geschicklichkeit und Nachdenken zeugten; Ausflüge in nahe Fabrikstädte kamen auch wohl vor, am meisten gab es in dem Kaufladen selbst zu thun. Der Vater faßte immer mehr und mehr Hoffnung, den Sohn in sein Amt hineinwachsen zu sehen. Unser junger Freund selbst träumte damals noch nicht von seiner eigentlichen Bestimmung; doch der Zeitraum war nahe, wo sich seinem Geiste jene Gebilde der Zukunft nähern sollten.

Es gab einen alten Großvater in der Familie, einen würdigen und allgemein beliebten Greis. Er zeigte in seiner einfachen Tracht mit dem schwarzen Käppchen auf dem silberlockigen Scheitel, thronend auf dem mächtigen Polsterstuhl an der Seite des hellen, mit grünen Vorhängen geschmückten Fensters, wie ihn mir Molière so oft geschildert, recht eigentlich das Bild jener ehrwürdigen Familienhäupter der bürgerlichen Klassen, deren bezeichnende Merkmale in Sitten und Kleidung jezt leider immer mehr sich zu verwischen anfangen; jezt, wo Niemand seinen Stand achtet, Jeder höher strebt, der Bürger Edelmann, der gewöhnliche Edelmann zu einem Großen des Hofes erhoben seyn will.

Dieser Großvater liebte unseren jungen Dichter, er nahm ihn oft zu sich, die dürre Hand des Alten ruhte oft auf den gelben Locken des Knaben, und sein von Welterfahrung getrübtes Auge pflegte gern und oft die frischen Quellen der Gesundheit, des Frohsinns und der heitern Unschuld aufzusuchen, die aus den Blicken des Knaben leuchteten. Das Alter, wenn es warm und noch mittheilend ist, bezeigt die innigste Theilnahme immer der Jugend; mit Ausschluß reiferer Lebensjahre scheint es sich nur gern mit jenen frühern zu beschäftigen, die die Herrlichkeit der künftigen Blume aus ihrer Knospengestalt errathen lassen.

Der junge Jean Baptiste, der Enkel, und der alte Jean Baptiste, der Großvater, wurden die besten Freunde; man sah sie selten getrennt, und wo auch der Stuhl des Alten hingerückt wurde, sey es zum wärmenden Kamin oder zur friedlichen Abendtafel, ihm nach folgte immer das große Fabelbuch des Enkels, und der eifrige Leser pflegte es auf die Knie des Alten zu legen, um abwechselnd darin zu lesen oder die Erklärungen des Großvaters anzuhören. Man nannte sie zulezt nur die beiden Großväter der Familie.

Allein es dachte Niemand daran, daß der alte Jean Baptiste, trotz seiner Liebe und Gutmütigkeit, der Verführer des jungen war und ihn auf die schlimmsten Abwege brachte. Der Alte war nämlich mit ganzer Seele und aus allen Kräften ein Spaßmacher. Es ist der glückliche Charakter unserer Nation überhaupt, daß wir Frohsinn und Munterkeit bis in das späteste Alter mitnehmen: Ein Franzose wird nie alt! sagen unsere Nachbarn, die ernsten Spanier, sprichwörtlich. Diese National-Philosophie besaß nun der alte Poquelin in einem beneidenswerthen Grade. In seinem behaglichen Polsterstuhl, wohin ihn das Podagra festbannte, zeigte er sich immerdar in guter Laune, vorzüglich aber war es die Stunde der Dämmerung, wenn die Geschäfte im Laden ruhten, wo der Alte gleichsam sein muthwilliges Theater eröffnete.

Er war einst ein schöner Mann gewesen, damals als mit seinen starken, ehrenfesten Zügen noch ein langer, gesunder Körper harmonirte, jezt aber, da dieser durch Krankheit gebeugt und um ein Bedeutendes sich verkürzt hatte, wollten viele Leute des Großvaters Gesicht zu groß und stattlich finden; allein ein solches großes Gesicht war nöthig, damit für alle Schalkheiten, Launen und Einfälle, die darauf erschienen, genug Raum da sey; fiel nun der ungewisse Schimmer der Dämmerung auf dieses Antlitz, so war es, als zögen die Gestalten einer wunderlichen Mährchenwelt sichtbarlich über dasselbe hin, vielfältiger Spuk bewegte sich hinter der großen gewölbten Stirne, und wenn der Alte das Käppchen lüftete, so schien es, als geschehe es bloß, um den vielen ›wunderlichen Käuzen‹, die darunter steckten, Luft zu verschaffen.

Zu diesen Geschichten des Antlitzes kamen nun die Bewegungen der Hände, und da war in der That jeder Finger für sich ein völlig ausgebildeter Schauspieler; der Mittelfinger der Cavalière, der schlanke, etwas dürre Zeigefinger die Donna, und der kleine dicke, verwachsene Daumen die zänkische, schielende Duenna. War Musik im Stücke, so wurde herzhaft auf die Polster der Armlehne geklopft, oder auf das Lederbrett im Rücken mit dem Hinterhaupte dumpf angeschlagen. In der That, der gute Großvater zerarbeitete sich oft gänzlich, um eine abenteuerliche Begebenheit mit dem vollständigen Apparat der ihr zukommenden feierlichen Aufzüge, Kannonaden, schauerlicher pfeifender Stimmen und unendlichen Gepolters vorzutragen.

Solch eine Geschichte aber, in der dämmernden Familienstube erzählt, wenn sie auch bald darauf von allen übrigen Hausgenossen leicht, sinnig vergessen wurde, – von dem Knaben Poquelin, der zu den Füßen des Alten saß, wurde sie nicht vergessen. Er sammelte alle einzelnen Bruchstücke sorgsam in seinem Kopfe, lebhaft machte er auf seinem Bänkchen munter alle Bewegungen nach, die im Verlaufe der Handlung oben vom Großvater angegeben wurden, und kam dann die Nacht herbei, wo der alte schlimme Erzähler mit dem ganzen Spuk seiner Vorrathskammer ruhig im Schlummer lag, dann traten die wunderlichen Geschichten neu vor die Seele des Knaben. Die fürchterlichen Kriege der Fronde wurden auf dem kleinen Raume des Hauptpfühls durchgekämpft, und durch den Tumult der streitenden Gestalten flogen die neckischen frischen Geister einer hellen gepuzten Welt, wie sie nur der Großvater zeigen, wie er sie nur beschreiben konnte.

Kurz, unser Dichter und Schauspieler war fertig, ehe er sich's selbst nur von ferne denken konnte, und dieses war das Werk des Großvaters.

Der Vater Poquelin merkte Unfug, es traten sehr merkbare Pausen im Geschäftsleben des jungen Mannes ein; Anfangs schrieb man diese Störungen kleinen Liebeleien zu, allein es zeigte sich später nur zu deutlich, daß Niemand anders als der Großvater mit seinen tausend närrischen Geschichten die alte wunderliche Geliebte des Enkels war. Ja, dieser sezte nun seinem Werke die Krone auf, und brachte den Knaben zum ersten Male in's Schauspiel.«

»Ich fühle,« rief Madelaine, »die Verwirrung, die nun in dem Kopfe des Dichters sich bereitete.«

»Sie war allerdings nicht gering,« fuhr Claude in seiner Erzählung fort. »Der Enkel entschied sich jezt plötzlich und für immer, dem Gewerbe seines Vaters den Abschied zu geben; alles Andere wollte er werden, rief er heimlich seinem Großvater zu, nur nicht das, was der Vater war. Die Schauspieler, die damals unsere Stadt zierten, waren eben so dürftig ihrem Gehalt nach, als sie sich elend in ihrer äußern Erscheinung zeigten. Noch sind die Namen Hardy, Monchrétien, Balthazar Baro in nicht sehr vortheilhaftem Andenken. Die Thätigkeit eines Schauspielers ward völlig gleichgeschäzt der eines Landstreichers, ja einige gewissenhafte Leute sezten diesen noch über jenen; denn, meinten sie, ein Spitzbube, ein Betrüger von Profession könne doch noch umkehren und rechtlich werden, allein ein Mann, dessen Geschäft es sey, alle Laster und Lächerlichkeiten der Menschen nachzuahmen, müßte, schon hieraus gefolgert, auf einer so tiefen Stufe stehen, daß an keine Besserung jemals zu denken sey. Uebertriebenes, aber doch zum Theil begründetes Vorurtheil, wenn man das Leben der damaligen Komödianten betrachtet. Wie sehr verändert erblicken wir diese Leute jezt, und dennoch ruht noch immer der alte Fluch auf ihnen.

Du siehst, Madelaine, wie heftig es unseres Dichters Vater empören mußte, von des Sohns Liebhaberei zum Schauspiel zu hören, ja endlich seine entschiedene Hinneigung zu jener verderbten Klasse von Leuten zu gewahren. Es ist dieses die schlimmste Epoche in unseres Freundes Leben. Der Kampf im elterlichen Hause drückte seine feurige, junge, strebende Seele nicht nieder, obgleich er sie tief beugte.

Der alte Großvater, der das ganze Unheil eigentlich herbeigeführt hatte, trat jezt ernstlich in's Mittel und verlangte, sein Enkel sollte studiren, ja er gab selbst einen beträchtlichen Theil seines noch vorbehaltenen Vermögens zu diesem Zwecke her. Der Vater mußte gut oder böse einwilligen, und so geschah es denn, daß unser Jean Baptiste Poquelin in das Jesuiten-Collegium eintrat. Der erste Sieg, den der junge Held über Vorurtheil und Anfeindung davon trug.

Um diese Zeit war es, wo Peter Corneille seine große Laufbahn eröffnete. Ein Mann des Lichts schritt er in die Vorhalle der dunkeln Zeit, ihm zur Seite das Geräusch des Krieges, hinter ihm die finstere Nacht der Barbarei. Leuchtende Gedanken warf er in den Streit der Zeit. Zum ersten Male zeigte sich auf der Bühne des bewegten Lebens die zarte Muse bedeutsamer Gesänge – Melpomene erschien, und ihrem Erscheinen jauchzte das von Kriegen und Mühseligkeiten ermüdete Frankreich entgegen. Peter Corneille führte sie an seiner Hand die Stufen zum Tempel der Mitwelt hinan, und sie empfing der große Richelieu, ein Mann, an dessen durchdringender Politik, wie an seinem großartigen Lebenssinne wir noch jezt staunend hinansehen.

Bühnen wurden erbaut, eine begeisterte Menge strömte heran, vergessen waren die bedeutungslosen Possen unserer Nachbarvölker, die Geschichte mit ihrem tiefsten Ernste hatte sich eines Schauplatzes bemächtigt, auf dem früher nur kindische Thorheit und läppische Frivolität sich getummelt hatten, um erhabene Lehren der Milde und dichterischer Menschlichkeit dem entarteten Geschlechte vorzutragen. An Mährchen grenzt fast, was wir über jene Zeit hören von dem thätigen und begeisterten Mitwirken solcher Männer, die bis dahin ihren tiefsinnigen Ernst, sowie ihre ehrgeizigen Pläne nur dem Staatsleben gewidmet hatten.

Nicht fehlen konnte es, daß das Geräusch des Tages, die wunderbaren Triumphe einer bisher verachteten Kunst auch in die Zelle des Jesuiten-Collegiums drangen, wo unser Molière über die philosophischen Systeme der griechischen Weltweisen brütete. Träumend erhob sich der zum Jüngling gereifte Knabe – ihn erschreckte und erschütterte der heftig ausgesprochene Zeitgedanke, es schienen tausend wunderliche Stimmen ihm zuzurufen, und vor seine Seele trat Peter Corneille, der neue Priester, und winkte ihm bedeutsam in das geöffnete Heiligthum.

Wie rührend, Geliebte, ist dieses Erwachen des Genius in unserem Dichter, wie überzeugend weiß er von dem mächtigen Entschlusse zu sprechen, der jezt sein Inneres füllte. Ach, hätte er voraussehen können, welches Ziel seinem Bestreben gesteckt war, er wäre vielleicht nie diese gefährliche Bahn gegangen.

Fünf Jahre waren im Jesuiten-Collegium dahin gegangen mit ernsten Studien, unter Anleitung Gassendy's, des größten Gelehrten unserer Zeit; jezt forderte des Vaters zunehmende Kränklichkeit – der alte Großvater war gestorben – einen Gehülfen, und von Neuem drang er in den Sohn, sich wiederum dem Geschäfte zu widmen; doch wie weit war dieser unmerklich schon aus jener engen Bahn herausgewichen!

Heimlich entwich jezt unser Freund und gesellte sich einer Anzahl junger Leute zu, die Anfangs in der Faubourg St. Germain und in dem Stadtviertel St. Paul spielten. Der Vater sah den Sohn nicht anders als auf den Brettern wieder. Dieses ist der Zeitpunkt, wo er nach dem Beispiele vieler seiner Mitschauspieler seinen Namen ablegte und sich Molière nannte.

Inzwischen verdunkelte der Ausbruch der bürgerlichen Kriege wiederum den Schauplatz, welchen sich unser Held gewählt. Er benuzte die Zeit, wo er, unbekannt der Menge, nur wenige Freunde seines Talents zählte, um sich auszubilden und zu seiner Laufbahn vorzubereiten. Das Theater Italiens studirte er zugleich mit dem spanischen, ja die ältern Bestrebungen, und was später Jodelle in unsrer Bühnenkunst geleistet, blieb ihm nicht unbekannt; überallhin prüfte und sammelte er.

Auch auf die Veredlung seines Aeußern wandte er Sorgfalt und Mühe, indem er an seine Leistungen den Maßstab anlegte, welchen sein kühner Geist, die Schöpfungen seiner Zeit verachtend, von den glänzendsten Mustern des Alterthums entlehnte. Sein Organ, ursprünglich hart und nicht frei von niederer Tonbildung, stimmte er durch musikalische Uebungen zu einem seltenen Wohlklange, zu einer freien und schönen Beweglichkeit; den Körper mußten kecke und gewandte Uebungen ausbilden, seine sprechende Physiognomie, ein Erbtheil des alten Großvaters, brauchte nur wenig Nachhülfe, um zu jedem Dienste der Kunst geschickt zu seyn.

In dieser Zeit schrieb er auch einige Komödien, welche er jedoch, wie er mir selbst versichert, zum Theil vernichtet hat, als völlig unbedeutend und ohne Eigenthümlichkeit; vielleicht sind uns hiedurch schätzbare Gaben seiner Muse verloren gegangen; manche Bestandtheile jener Werke sind jedoch in seinen spätern Schauspielen aufbewahrt.

Lyon ist die erste Stadt, in der wir unsern Freund wiederfinden und zwar in voller Wirksamkeit: er hatte seinen ›Etourdi‹ geschrieben und ihn mit Hülfe einer ebenfalls wandernden Schauspieler-Truppe zur Aufführung gebracht. Von Lyon sehen wir ihn nach Languedoc gehen, wo damals gerade Armand von Bourbon, Prinz von Conti, die Stande zu Beziers zusammenberufen hatte. Dieser Fürst kannte den Dichter aus dem Jesuiten-Collegium her, er erinnerte sich seiner huldreich, und Molière durfte vor ihm einige seiner neu verfertigten Komödien darstellen lassen.«

»Ich habe,« bemerkte Madelaine, »diesen Herrn immer als großmüthig und edel rühmen hören; wie viele Bedürftige danken seiner Huld reichliche Mittel zum Fortkommen.«

»Auch unserm Dichter,« fuhr Claude fort, »wollte der Fürst auf seine Weise gnädig seyn; er bot ihm eine Stelle unter seiner Dienerschaft an, und wollte ihn zu seinem Sekretär machen, allein Molière hatte seinem großmüthigen Beschützer gegenüber den Muth, dieses Anerbieten auszuschlagen. Es folgen jezt mehrere Jahre, die mit verschiedenen Reisen und Wanderungen bezeichnet sind. Grenoble, Lyon, Rouen waren abwechselnd zu längern Aufenthalten der Truppe bestimmt; endlich kam Molière in seine Vaterstadt zurück.

Wie ganz anders kam er, als er ging; wer mochte sich ihm jezt wohl noch entgegenstellen? Der Prinz Conti empfahl den Mann, der ihm durch seine Talente nicht minder als durch seinen Charakter Achtung eingeflößt hatte, den Großen des Hofes; selbst Monsieur, der Bruder des Königs, lenkte, in Folge jener Winke, dem Dichter seine Theilnahme und Aufmerksamkeit zu, ja er führte ihn endlich vor die Blicke des Königs. Im Saal der Garden im alten Louvre fand die erste Darstellung der Molière'schen Truppe statt, die jezt den Namen Troupe de Monsieur annahm.«

»Hatte er sich schon damals verheirathet?« fragte Madelaine ihren Geliebten.

»Noch nicht, vier Jahre darauf wurde dieser Bund geschlossen, der, wenn wir auch auf keinen andern Umstand Rücksicht nehmen, schon wegen Ungleichheit des Alters Unheil prophezeite. Mademoiselle Bejart, ein kaum aufgeblühtes sechzehnjähriges Mädchen, wurde die Frau eines Mannes, der von seinem fünfzigsten Lebensjahre nicht mehr weit entfernt war.«

»Welche Thorheit,« rief die Verlobte eifrig, »wo blieb da der Rath seiner thätigen Freunde!«

»Er war völlig unwirksam, wie man mir versichert hat,« erwiderte Claude. »Die Reize dieser jungen Schönen, die er sich selbst herangebildet, deren Talente zur Kunst er entwickelt hatte, machten ihn taub gegen jede wohlmeinende Vorstellung. Und urtheilen wir nicht zu scharf, ihre Jugend, ihr Stand kann gewiß Vieles entschuldigen. – Wir alle kennen sie, wer hat diesem zarten Geschöpfe von Schalkheit, Laune, Muthwillen, Zärtlichkeit und sprödem Reiz, wie es sich auf dem erhellten Raum der Bühne in seiner ganzen anmuthigsten Frische und Jugend zeigt, nicht verzeihend zugelächelt? Gewiß ist es aber die schändlichste Verläumdung, die jemals ersonnen worden, die da behauptet, Molière habe schon vor der Geburt seiner Frau mit ihrer Mutter in einem Verhältnisse gestanden.«

»Freilich,« rief Madelaine, »wird er dieses auch seinem vertrautesten Freunde nie eingestehen.«

»Nein, nein,« entgegnete Claude eifrig, »es ist völlig genügend, daß ich ihn kenne; er ist durchaus ein sittlicher edler Mensch, er tadelt nichts so sehr bei seinen jungen Freunden, die sich der Kunst widmen, als Zügellosigkeit und Leichtsinn. Doch freilich, ein Komödiant und sittlich! Fast scheint schon in diesen Lauten ein mißtönender Widerspruch für unser Ohr zu liegen. Ist es nicht genug, daß der Arme in seinen häuslichen Verhältnissen unglücklich ist, muß man ihm noch Verbrechen zur Schuld legen?«

»Zum Mindesten,« rief Claude's Braut, »ist es Schwäche von seiner Seite, daß er, da die Aufführung seiner Frau ihm bekannt ist, das Unwesen duldet.«

»Wie viel er von ihren Verirrungen weiß, ist schwer zu ermitteln,« entgegnete der Jüngling. »Ich muß, durch seine öftern Aeußerungen veranlaßt, schließen, daß er sie für treu hält und fest auf ihre Zärtlichkeit baut. Dieser Mann, der so klar die Thorheiten seiner Nebenmenschen durchschaut, bewahrt in seinem eignen Herzen unvertilgbare Schwächen. Doch laß uns zurückkehren zu seinem öffentlichen Wirken.

Unser Dichter hatte jezt sein eignes Theater, die kleinen herumziehenden Gesellschaften, die früher das Publikum beschäftigten, mußten ihm weichen, und er begann jezt, unmittelbar von der gnädigen Theilnahme des Königs begünstigt, jene werthvollen großen Erzeugnisse seines Genius aufzustellen, die wir bewundern: die Schule der Frauen, den Menschenfeind, den Geizigen und dann eine Menge kleinerer Schöpfungen, welche das große Publikum hinrissen, indeß einsichtsvolle Kritiker ihnen früher den gebührenden Werth anwiesen. Diese Jahre waren es nun auch, in denen er sich unsern großen Geistern verband; Racine, dessen steigende Sonne uns jezt blendet, empfing vor kurzer Zeit von Molière die erste belebende Aufmunterung, er war es, der dem völlig unbekannten jungen Dichter die Aufmerksamkeit des Ministers verschaffte, doch dankt ihm der Uebermüthige dieses wenig. Der Hof hat durch ihn an Glanz und Heiterkeit gewonnen, der Componist Lulli hat einige Festspiele mit Musikstücken versehen, und Du erinnerst Dich, Madelaine, wie viele Stimmen uns die beispiellose Pracht beschrieben haben, die bei den Festlichkeiten zu Versailles herrschte, wo alle Künste mitwirkten, die höchsten Standespersonen sich den Vergnügungen thätig anschlossen, ja wo der König selbst in einem Ballet tanzte und auf diese Weise die Schöpfungen unsers Dichters für alle Zeiten verherrlichte.«

»Wie freudig mußte Molière diese Auszeichnung fühlen und anerkennen!« rief Madelaine.

»Wäre ihr nur nicht so vieles Bittre beigemischt gewesen,« entgegnete ihr Geliebter. »Die ungestüme und leidenschaftliche Menge, geleitet von einzelnen Stimmen, wogt wie ein stürmisches Meer auf, um dann nach einem kurzen Zeitraume der Erregung sich wiederum zu glätten. Indeß der Dichter sich einige aufrichtige und großmüthige Freunde erwarb, indeß er im Auslande wahrhaft vergöttert wurde, wuchs die Zahl seiner Feinde und Neider zu einer drohenden Masse an.

Freilich hätte er manchen Widerspruch vermitteln, manchen Angriff ablenken können, wenn er hiezu nicht zu stolz gewesen wäre; nie ließ er sich jedoch auch selbst nicht zu den verzeihlichen Künsten der Klugheit herab, er wußte nicht zu schmeicheln, und selbst seinem Könige gegenüber behauptete er neben seiner grenzenlosen Verehrung für diesen Herrn den selbstständigen Geist, die ungebeugte Miene eines Mannes von unbescholtenem Namen. Die Höflinge sind daher nie mit ihm zufrieden gewesen, noch weniger waren es die Priester, und der offne Kampf gegen ihn brach los, als der ›Tartuffe‹ erschien.

Genug, meine Madelaine, haben wir nicht neuerdings die unwürdigsten Ausfälle erlebt? O des Bedauernswerthen, der dem friedliebenden Alter jezt so nahe ist, dem nicht mehr die stürmende Kraft der Jugend, der fessellose edle Uebermuth zu Gebote stehen; er hat jezt die Welt in Waffen gegen sich. Ueber ihn, dem die eigne Waffe aus der schwachen Hand sinkt, fällt jezt der rohe Haufe schonungslos her. Wie niedrig, wie tiefentwürdigend! Als sie ihn scheuen mußten, hielten sie ihre Bosheit und Tücke zurück, jezt, da sie glauben, ihn mit Sicherheit überfallen zu können, brechen sie alle, auch aus dem verborgensten Schlupfwinkel, gegen ihn los.

Wie, und auch ich sollte mich jenen Elenden beigesellen? Auch ich ihn verlassen? nimmermehr. Gab es eine Zeit, wo ich ihm feind war, so hat er durch die edelste Reue, durch das großmüthigste Betragen jene Schuld längst getilgt, und könnte ich ihm auch noch zürnen, jezt wäre der Augenblick, wo ich dem Unglücklichen Alles vergäbe, wo ich mich ihm fest und unzertrennlich anschlösse.«

Diese heftig und mit tiefbewegter Stimme ausgestoßenen Worte zeigten die auf's höchste gesteigerte leidenschaftliche Stimmung des Jünglings. Madelaine bemerkte es mit dem Gefühl innern Vorwurfs. Die Erzählung hatte sie erschüttert, sie sah ein, wie ganz anders sich ihr das Bild jenes Mannes zeigte, dem sie in ihrer frühern irregeleiteten Ansicht Unrecht gethan, erröthend neigte sie ihr Haupt an die Brust des Geliebten und bat diesem ihre Schuld in so rührenden Ausdrücken ab, daß der junge Claude seine schöne Braut jezt mit Entzücken in seine Arme schloß.

»Ich habe Dir nichts zu verzeihen, süßes Mädchen,« rief er, »suche nur auch Deinen Vater zu überzeugen und umzustimmen.«

Die zärtlichen Besorgnisse und Gefühle, die durch diese Worte wiederum in Fülle heraufbeschworen wurden, beschäftigten unsre Liebenden so lebhaft, daß bald der Dichter und sein Interesse in den Hintergrund traten. Der Gegenstand des Gesprächs wechselte, wenn gleich die Wärme der Unterredung dieselbe blieb. Claude Tristan, der junge Arzt, fühlte sich so glücklich in dem Bewußtseyn, daß jezt bald der Tag erscheinen werde, der ihn, auf immer verbunden mit der Geliebten, in die Arme seines Vaters zurückführen sollte. Die alte Verwandte Madelainens mußte erinnern, daß die Stunde des Scheidens geschlagen habe.

Als Claude das Haus verließ, glaubte er auf der Flur eine Gestalt an sich vorüber gleiten zu sehen, die ihm bekannt schien; den Eilenden fester in's Auge fassend, wurde es ihm deutlich, daß es Niemand anders seyn könne, als der Jesuit Bertram. Zweifel und Unruhe stiegen in seine Brust auf, er versank auf einen Moment in quälende Gedanken; dann aber war es Madelainens Bild, das mit heiterem Glänze ihm vorschwebend seine Seele beruhigte.

Auf den Gassen war es stille geworden, dem jungen Manne schien dieser Zeitpunkt gerade gelegen, um sein Vorhaben auszuführen, nämlich seinem alten Vater einen Besuch abzustatten, ohne daß jedoch dieser etwas davon wissen durfte. Molière's Bitten hatten den Sohn vermocht, die Scene des gegenseitigen Wiedersehens auf einen Tag zu verschieben, der nicht mehr ferne und der Jahrestag war, an dem der alte Einsiedler sich von der Welt geschieden hatte, und der nun ihn wieder mit derselben versöhnen sollte.

Eilig durchschritt der Jüngling die Gassen und Plätze, bis er zu dem einsamen Kirchhof zu St. Joseph gelangte und die Mauer überkletternd vor dem kleinen erleuchteten Fenster des Gemaches stand, das, wie er wußte, des alten Hippocrate Dieu-donné Arbeitsstube war. In der That befand sich auch der alte illustre Arzt, der zum Heil der Menschheit geborene, in dem Zimmer und zwar beschäftigt, seinen Vorrath von Pillen, heilsamen Decocten und Elixiren zu ordnen. Auf dem Antlitze des greisen Schwärmers lag bei diesem Geschäfte die ganze Fülle andächtigen Ernstes, mit dem ein Weltverbesserer auf die geringen und unscheinbaren Mittel hinschaut, welche dazu dienen sollen, seine erhabenen Pläne in's Werk zu richten. An den Wänden der einsamen Klause herum zeigten sich, theils in Kapseln hängend, theils in saubere Kisten verschlossen, eine Anzahl Amulette und geweihter Zeichen, die die Welt staunen gemacht hatten, und deren dienstbare Geister sich jezt eben dem verderblichen Müßiggange hingegeben sahen, wie ihr Meister. Zwischen den Gläsern und zinnernen Büchsen waren verschiedene gelehrte und monströse Kuriositäten unordentlich angehäuft und mit Ueberbleibseln alten Geräthes vermischt. Gebeine von Menschen und Thieren bildeten an der Decke groteske und phantastische Gehänge.

In dieser Umgebung erschien ein sanfter lieblicher Fremdling nicht wenig bemerkenswerth, nämlich eine kleine Laute, die, an einem rothen, verblichenen Bande befestigt, nahe dem einfachen Lager des Anachoreten hing. Sie war bestimmt, die Gespielin ihres Herrn zu seyn, die einzige Stimme schmeichelnden Wohllautes, der er bis zu seiner Einsamkeit zu dringen gestattete, er that ihr sogar die Ehre an, ihr Spiel mit seinem Gesange zu begleiten, und zwar wenn die einsamen Stunden der Nacht die Begeisterung früherer Zeiten in ihm wach riefen. Die Nachbarschaft des Viertels beurtheilte jedoch diese melancholischen düsteren Klagen durchaus nicht nach ihrem musikalischen Werthe; im Gegentheil. sie erschrack, wenn der Doktor sich hören ließ, und es ging die Sage, daß, wer das Geheul der Eule oder den Gesang des alten Tristan in jenen Stunden vernahm, wo die Nacht am geheimnißvollsten zu seyn pflegt, der kehre bald als Gast in die einsame Herberge zu St. Joseph, und es wölbe sich nun bald ein Hügel mehr in dem traurigen Bezirke desselben.

Der Sohn vertiefte sich in das Anschauen der ehrwürdigen Züge seines Vaters, sein kindliches Herz vergaß, daß in diesen Zügen sich auch die Thorheit eingegraben hatte, ihm waren die bleiche Stirn, das dunkle Auge Gegenstände aufrichtiger und ungetheilter Verehrung; ach, er hätte in die stille Behausung dringen mögen, um sich an die Brust seines Erzeugers zu werfen!

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Indeß der junge Claude Tristan vor dem Zimmer seines Vaters stand, schwankend in dem Entschlusse, den seine kindliche Zärtlichkeit ihm eingab, ob er die Molièren versprochene Frist nicht überschreiten sollte, befand sich der Dichter in Gesellschaft mit Charlot in der nämlichen Gegend, und zwar in der Nähe des alterthümlichen Schlosses. Der junge Sekretär konnte nicht Worte finden, sein Erstaunen passend über seine erste Zusammenkunft mit dem Dichter zu äußern.

»Wie stark mußte mein Auge mit Blindheit geschlagen seyn,« rief er, »daß ich Euch, verehrter Herr, nicht erkannte, waren denn die Gefühle der Hochachtung, der unbewußten, aber zärtlichen Hinneigung, die ich zu Euch an jenem Abend empfand, nicht deutliche Anzeige meines innern Gefühls, das mir sagte, du bist dem gefeierten großen Manne, den du suchst, nahe! er spricht zu dir, es sind die holdseligen Worte seines Mundes, die in dein Ohr tönen.«

Molière lächelte, indem er sagte: »Auch Ihr erwecktet meine Theilnahme, auch zu Eurem lebhaften empfänglichen Wesen empfand ich Zuneigung.«

Der junge Mann zeigte sich jezt völlig begeistert.

»Wirklich,« rief er, »in der That, Zuneigung zu mir! O Ihr macht, daß ich vor Freude, vor gerechtem Selbstgefühl thöricht werde; hätte ich mir nur dergleichen träumen lassen können! Ja, jezt ist es entschieden, ich bin der Eure, wir dürfen uns nicht mehr trennen; sagt nur, wann wollt Ihr mich die erste Schauspielprobe bestehen lassen, um zu sehen, ob ein guter Wille zum Werke Euch genügt.«

»Lieber junger Freund,« entgegnete der Dichter, »Ihr sprecht da eben sehr richtig bloß von Eurem guten Willen, für mehr könnt Ihr allerdings selbst nicht Gewähr leisten, dieser genügt aber nicht, es ist noch manches Andere erforderlich. – Doch wollen wir diese Betrachtungen noch ruhen lassen; Ihr seyd jezt in einer trefflichen Stellung, Euer Amt ist weder wichtig noch sehr beschwerlich, dabei gestattet es Euch ein sorgenfreies Leben und Muße zu sonstiger Beschäftigung. Ihr könnt für's Erste ganz zufrieden seyn.«

Der Sekretär überhörte diese Worte, er war wieder völlig zerstreut geworden.

»Ja, ja,« rief er, »ein Cinna, ein Brutus sind nicht für mich – ich liebe nicht das Trockene, Düstere dieser Leute, noch weniger könnte ich mich zu einem recht übergroßen Helden hergeben. Diese Männer haben es äußerst beschwerlich, stets müssen sie auf dem Cothurn einhergehen, die vielen übertriebenen Redensarten und das ewige Fiebern verdirbt den Magen und stört den gehörigen Umlauf der Säfte; es sind am Ende unbequeme Leute, die Niemand gerne mag. Ich sehe mich am liebsten als Hausvater auftreten, da ist Ruhe und Friede in Fülle. Man wirthschaftet so hübsch unter den vielen Lichtern herum, man macht sich's bequem, die Familie, die man für den Abend übernommen hat, fällt mit der Maskentracht zugleich von uns ab; – hat man ungerathene Söhne, zu feurige verliebte Töchter – ach, man weiß, beim fünften Akt ist man ihrer ledig, und bis dahin hält es auch der Ungestümste wohl aus; ein böses Weib darf ebenfalls nur bis zum fünften Akte uns plagen, und dann, wie glücklich geht man nach Hause als lediger Mann, befreit ohne Schuld und Reue von einem Jammer, in welchem Tausende im Leben untersinken. Ja, Freund, ich spiele Eure Familienväter.«

»In Betreff Eurer Jugend,« bemerkte Molare lächelnd, »sollte man Euch eine andere Wahl zutrauen, Leute von Eurem Alter sieht man stets nach Liebhaberrollen greifen.«

»Nein,« entgegnete Charlot ernsthaft, »um dergleichen Rollen zu spielen, muß man etwas von der Liebe verstehen, und ich habe mich nie mit ihr abgegeben, sie ist mir völlig fremd und soll es auch bleiben.«

»Könnt Ihr das so keck behaupten?«

»Schlimm,« rief Charlot, »wenn das Schicksal mich zu bekehren strebte. Mir schweben schreckliche Beispiele vor von weisen achtungswerthen Männern, welche über Nacht zu Thoren geworden.«

Der Dichter sah seinen jungen Freund mit einem aufmerksamen, prüfenden Blicke von der Seite an. »Wen meint Ihr mit dieser Bemerkung,« fragte er in einem Tone, der nicht frei von Befangenheit und Argwohn war; allein Charlot's unbefangene Antwort zeigte, wie ohne Grund jede Besorgniß eines persönlichen Angriffs sey.

Der Fackelträger, der unsern einsamen Spaziergängern vorleuchtete, bog jezt in die Straße ein, welche zum alten Gespensterschlosse führte. Der Verabredung gemäß wurde bald darauf ein versteckter Fußpfad gewählt, der durch die dunkeln nächtlichen Gebüsche in einen Theil der Garten-Anlagen auslief. Hier war es, wo ihnen aus der Finsterniß plötzlich eine seltsame Gestalt entgegentrat. Sie erschien in alterthümlicher Tracht, eine wunderliche hohe Mütze zierte oder verunzierte vielmehr das Haupt, dessen Antlitz eine schwarze Halblarve deckte, ein kleines weißes Mäntelchen flatterte im Winde.

»Woher kommt Ihr und wer seyd Ihr?« rief die Maske, indem sie dem Fackelträger in den Weg trat.

»Wer hat das Recht, dieses zu fragen?« entgegnete Charlot mit festem Ton; »ich gehöre hieher, und meine Pflicht ist's, nach den Gründen Eures Hierseyns zu forschen.«

Mit unverständlichem Gemurmel wich die Erscheinung bei Seite.

»Ihr seht, verehrter Herr Molière,« rief Charlot, »wie es hier zugeht, sogar mich, den Sekretär des Grafen, will das übermüthige Gesindel nicht dulden. Der ganze Garten spukt von tollen Figuren, wahrscheinlich hat sich die ehrenwerthe Versammlung schon zusammengefunden; in der That, wir müssen eilen, damit es uns gelingt, ohne weitere Störung den Saal zu erreichen, um keinen ihrer Possen zu versäumen. Aber ich rathe Euch nochmals ernstlich, laßt uns lieber noch umkehren.«

»Und weßhalb?« fragte der Dichter, »was kann uns denn Mißliches begegnen?«

»Wie Ihr's nehmt, es hat sich Mancher schon selbst da gesehen. – Sie treiben es wahrlich zu arg.« Er sezte mit leiser Stimme hinzu: »Gebt Acht, plötzlich wird man Ihnen den Garaus machen. – Ich wasche meine Hände in Unschuld, ich weiß von keinem Dinge was, bin eben erst in's Amt gekommen, wie kann ich Kenntniß haben von dem, was in den Gemächern vorgeht, deren specielle Aufsicht man mir nicht anvertraut hat?«

Unter diesen Gesprächen war man in einen kleinen Seitenhof des weitläufigen Gebäudes eingetreten, das seine alterthümlichen dicken und geschwärzten Steinwände in die Nacht erhob. Dürftig zeigte der Schimmer der einzelnen Fackel die kolossalen Formen, indem er ihre Umrisse mit röthlichen Streiflichtern färbte. Die Stiege, die jezt die Wanderer betraten, war eng und führte in großen Stufen steil in die Höhe, oben zeigte sich eine geräumige Mauerblende, ursprünglich für einen Wachposten bestimmt.

Charlot zündete eine Handlaterne an und die Fackel ward ausgelöscht, welche durch ihr starkes Licht die Aufmerksamkeit hätte auf sich ziehen können. Es wurden jezt Gänge sichtbar, die nach der äußern Mauer hinführten und sich in Gemächer endigten, welche sämmtlich für die Dienerschaft bestimmt zu seyn schienen. Bald zeigten sich willkommene Spuren eines mehr bewohnten Zustandes, es öffneten sich Zimmer, die durch ihre Höhe und Einrichtung zu den ausgezeichneten gehörten und deren noch vorhandener Schmuck auf ihre einstige Pracht schlössen ließ. Es war dieses die Pracht jener mehr rohen und verwilderten Zeiten, die den Beschauer des modernen Frankreichs in der kunstliebenden und galanten Epoche Ludwigs XIV. an das alte, unruhige, rohe und in ewige blutige Kriege verwickelte Frankreich, wie es zum Theil unter den frühern Ludwigen bis auf Ludwig XIII. herab bestand, mahnte.

Charlot's Geist wurde durch diese sich unwillkührlich aufdrängenden Betrachtungen unfreundlich berührt, indeß der seines Begleiters sich mit besonderer Liebe und Aufmerksamkeit ihnen zuneigte. Molière's Charakter, durch alles Außerordentliche angezogen, verweilte eben so gern bei einem Stück Mauerwerk, dem eine interessante historische Erinnerung anklebte, als er Zeit und Mühe auf eine fesselnde Erscheinung aus der sittlichen Welt wandte. Bekannt mit der Geschichte seines Vaterlandes, fand er hier vielfache Gelegenheit, entweder die unvollkommenen Ansichten seines Gefährten zu berichtigen oder ihnen neue geistreiche Bemerkungen zuzufügen.

Ein Thurm, dessen Erbauung dem achten Heinrich zugeschrieben wurde, reizte die Wißbegierde vorzüglich; der Dichter ließ sich nicht abhalten, die Platform desselben zu ersteigen, und achtete es nicht, daß der kalte Nachtwind seinen Körper durchfröstelte und dadurch den Krankheitsstoff mehrte, der seit einigen Wochen in demselben überhand zu nehmen begann. Charlot's Bitten bewogen ihn endlich, den Platz zu verlassen, man nahte sich jezt dem eigentlichen Ziele der abenteuerlichen Wanderung, nämlich dem Saale, in welchem die berüchtigte Gesellschaft der Calottisten ihre geheime Versammlung hielt.

Die große alterthümliche Halle, die sich den Blicken zeigte, war mit getäfelten Wänden versehen, denen dunkle Holzfarbe ein düstres Ansehen verlieh, welches die einzelnen kolossalen Wandgemälde, die hie und da eingefügt waren und Schlachten und feierliche Aufzüge darstellten, eher vermehrten als verminderten. Eine Galerie lief in gewisser Höhe um den ganzen Saal und schien dazu bestimmt, in den Zeiten des Glanzes die Menge der Zuschauer zu fassen, wenn unten irgend ein schwelgerisches Mahl oder eine Festlichkeit, jenen Tagen angemessen, bereitet ward. Auch hier war die derb und schwer gearbeitete Brustwehr von Holz hie und da zertrümmert, und ließ eine gefährliche Durchsicht nach unten offen. Nur mit äußerster Gefahr wurde es möglich, die aufgethürmten alten Waffen, Gemälde und vermorschtes Geräthe aller Art bei Seite zu schaffen, um den Weg zu bahnen, der unsere Wanderer zu einem Standpunkt führte, von dem aus sich ihnen offen das Gemälde der unten handelnden Personen darstellte, ohne sie zugleich der Gefahr auszusetzen, von jenen bemerkt zu werden.

Dieses Gemälde war von der buntesten und eigenthümlichsten Art. Vierzig bis fünfzig Jünglinge lagen in nachlässigen Stellungen um eine reichbesezte Tafel herum, auf der silberne Pokale zwischen hohen Armleuchtern glänzten. Die frischen jugendlichen Gestalten athmeten eine Fülle taumelnder Freude. Feurig blizten die Augen und hie und da wölbte sich aus dem verschobenen Wamse eine jugendliche Schulter hervor oder es zeigte sich ein entblößter Hals, dem goldene Ketten und Geschmeide zu eben so reicher als unordentlicher Zierde dienten.

Zur Seite der Tafel an der Wand, aus einer dunkeln Nische hervor erhob sich die weiße Marmorstatue Catharinens von Medicis. Auf der mit stolzem Uebermuth emporgerichteten Gestalt ruhte ein rothes, von einem der Anwesenden im Scherz umgeworfenes Mäntelchen, und ein Hut mit wallendem Federbusch, keck aufgesezt, zierte seltsam das weiße todte Steinantlitz dieser Dame, die so gerne, wenn sie gelebt hatte, die lüsternen Blicke auf den Kreis jugendlicher Schönheit, der sie umgab, gerichtet haben würde.

Zu den Füßen der Bildsäule, etwas erhöht, zeigte sich das Wahrzeichen der geheimen Versammlung und ihrer Zwecke, ein Todtenschädel, mit der runden Kappe geziert; von dieser Kappe, Calotte genannt, leitete die erhabene Gesellschaft ihren Ursprung her. Gelächter, wilde Späße und zwischendurch Musik tönten von unten herauf.

»Da sehr Ihr die Verbesserer des alten verderbten Paris,« rief Charlot mit Lächeln, »es sind junge kecke Lehrmeister.«

Molière schüttelte das Haupt, sein Blick heftete sich auf den Schauspieler Báron, der sich am Ende der Tafel befand und zurückgelehnt in seinen Stuhl gleich einem jungen Faune dalag.

»Es scheint,« nahm Charlot wieder das Wort, »die eigentlichen Verhandlungen haben schon ihr Ende genommen, die Verzeichnisse auf die kommenden Tage sind angefertigt, Belohnungen und Diplome für die neu aufgefundenen Narren ausgetheilt, in jedem Falle die ernsten Geschäfte schon beendigt worden, sonst hätten sich diese würdigen Leute nicht der sorglosen Ruhe überlassen. Seht, seht, den alten Mann mit dem schneeweißen Ziegenbarte, der jezt der Tafel sich naht, es ist Scaramouche, der heruntergekommene Unternehmer des italienischen Theaters. Hört, was er vorzubringen haben wird.«

Die alte gebrechliche Gestalt wurde mit Geschrei empfangen, umsonst suchte sie sich einen festen Platz am Tische aus, jeder der Richter schob sie seinem Nachbar zu, endlich gebot eine Stimme Stillschweigen, und des Alten Worte wurden vernehmbar.

»Gerechtigkeit! unbestechliche und erhabene Richter,« rief er, »Gerechtigkeit!«

»Welche Verdienste hast Du Dir um die Thorheit erworben, Alter,« rief eine Stimme, »daß Du hier Gerechtigkeit verlangen darfst?«

»Sehr große,« war die Antwort, »ich habe mein Leben der mächtigen Göttin gewidmet, sie stand schon an meiner Wiege, sie wurde meine Amme, Erzieherin und Geliebte, sie hat mich und die Meinigen bis jezt ehrlich ernährt, da – o Wankelsinn der Welt! da hat man sie gezwungen, mich zu verlassen – – Gerechtigkeit, edles Tribunal!«

»Was begehrst Du?«

»Meine Theater stehen leer,« rief der Alte mit fast heulender Stimme, »ich mag die göttlichsten Capriolen machen, die unerhörtesten Possen treiben, umsonst. Der alte Scaramouche war noch nie so witzig, seine Colombine noch nie so zierlich, sein Arlechino versuchte sich noch nie in so muthwilligen Stellungen, es regnet goldene Gedanken, silberne Einfälle auf den alten Gratiano nieder – und, o Götter Himmels und der Erde! – immer, immer sind die Bänke leer, leer, leer! Begreift ihr dieses fürchterliche Wort, meine Herrn? – Frankreich!« fuhr er fort, indem er sich erhob und der dünne weiße Bart im Lichtglanze flimmerte, »du verkennst deine großen Männer! Es ist entsetzlich! Was war die Bühne, was die göttliche Kunst, meine Herrn, bevor Scaramouche sein himmlisches Theater zusammen zimmerte und aus seinem Garderobekasten die großen Gedanken der Dichter, in Sammet und Seide gekleidet, hervorgehen ließ? Das Parlament stockte, die Philosophie war lahm, der Patriotismus kränklich, der Ruhm der Franzosen verkümmerte, als Scaramouche fehlte. Ach, meine Herrn! Rührung überfällt mich, wenn ich an die Zeiten meines ersten Glückes zurückdenke, als noch nicht dieses Ungeheuer Poquelin mich verdrängt hatte, wie die Frauen und Jungfrauen von Paris in mein Theater strömten, um Würde und Sittlichkeit zu lernen, wie oft ein einziger Abend sie alle gestärkt und gebessert entließ, wie in den Sprüngen Colombinens die ganze Fülle edler Weiblichkeit sich kundgab. – Wozu Worte, meine Herrn, wozu besondere Charaktere, Verwicklungen und Leidenschaften, wozu die unnützen und unerhörten Forderungen an Verstand und Urtheil? – Colombine tanzt, Arlechino betrügt, Pantalone bekommt Prügel – da ist das ganze Bild des Lebens; und o wie süß, wie überzeugend geschildert! kann das auserlesenste Drama mehr wirken?«

»Du hast Recht, Alter!« riefen mehrere Stimmen.

»Bildung!« fuhr der Redner fort, »Bildung, ruft jezt die ganze Welt, Bildung soll man sich aus dem Theater holen, die Zeit ist vorgerückt, unsere Eltern waren Narren, aber wir sind weise, wir wollen etwas für Verstand und Herz! Und indem sie so sprechen, lassen sie den alten bunten Mantel der Thorheit von den Schultern fallen und fahren in die neue Jacke der Bildung; allein die ist knapp zugeschnitten, sie preßt hie und da, der Körper muß sich an das vornehme Kleid gewöhnen, und Manche, dürften sie es nur gestehen, möchten wieder nach dem luftigen Mäntelchen greifen. Die Einfältigen, da sitzen sie jezt im Schauspiel und ärgern sich, und Mancher geht todtkrank nach Hause. Bei mir lachten sie, und lachende Menschen sind immer gesunde Menschen. Doch alles dieses mag hingehen, das Jahrhundert ist krank und bei kranken Leuten muß man schon Einiges durch die Finger sehen: wenn es nur nicht jener Mann wäre, dem ich weichen muß! Wer ist er, was will er sich einbilden? seine besten Einfälle hat er ja mir gestohlen, mein Theater hat er geplündert. Was ist sein Tartuffe? Bis auf die Scene, wo der Ehemann unter dem Tischtuche hervorkriecht, ist Alles trocken und langweilig, Turlupin macht die Sache weit einleuchtender und spaßhafter. Darum Gerechtigkeit, meine Herrn Richter, Gerechtigkeit dem alten Scaramouche!«

»Alter,« bemerkte einer der Zunächstsitzenden, »was können wir hiebei thun? Reiß Dir deinen Ziegenbart aus, Du bist ein verlorner Mann.«

»Was Ihr dabei thun sollt?« wiederholte der unglückliche Spaßmacher, »eine schöne Frage für Weltverbesserer! Ihr habt ja die Zuchtruthe in Händen, mit der ihr diesen mißgestalteten, unerzogenen Buben, der sich Publikum nennt, regiert; wohlan, gebt ihm die Ruthe! Treibt die Thoren aus dem Tempel des falschen Götzen hinaus und bringt sie wieder in meine fromme Klause! Füllt wieder meine Bänke, ich sage Euch, füllt wieder meine leeren Bänke! – Was ihr thun sollt? – so muß der Schüler den Meister lehren; schreibt Kritiken, Kinder, recht bissige, und streut sie ohne Unterschriften unter's Publikum. Ist denn nicht von hier aus schon mancher Rippenstoß ausgetheilt worden, ohne daß der ehrliche Mann, der ihn empfing, sagen konnte, wem die derbe Faust gehörte, die sich mit seiner Seite vertraut machte? O ich habe viel behenderes Wild hetzen und fangen sehen! Er gibt sich ja auch in die Hände, bringt nur Systeme in Eure Verfolgungen hinein, läßt z. B. die alten Autoren sprechen, Menander und Peripander, Plautus und Flautus und wie sie alle heißen, je bunter, je besser; glaubt mir nur, er ist nicht der erste Neue, den die Alten haben todtschlagen helfen. Und wenn Alles nicht hilft, so hetzet die Frommen ihm über den Hals, damit sein Theater geschlossen wird.«

»Und das Deinige geöffnet werde?« rief Báron lachend, »das hieße Satan mit Beelzebub vertauschen.«

»O nein,« entgegnete der Alte, indem ein boshaftes Lachen sein ganzes Antlitz verzerrte, »da kennt Ihr die Welt schlecht, junger Herr. Ich greife in Possen nur den lieben Herrgott an, und das kümmert Niemanden; er aber greift die Frommen an, und da hat er die ganze Welt zum Feinde.«

Während dieses satirischen Hiebes, den Scaramouche auf seinen Feind führte, wurde er in der Fortsetzung seiner Klagen durch heitre Töne einer Musik unterbrochen, welche aus einem geöffneten Nebenzimmer erschallte und die das Zeichen gab, daß die ernsten Unterhandlungen jezt beendet seyen, um den Schwänken und Possen der ehrwürdigen Brüderschaft Platz zu machen.

»Genug des Discurses!« riefen alle Stimmen, »macht, daß Ihr fortkommt, Scaramouche, helft Euch selber, alter Narr, Euer Witz ist leck geworden, Ihr seyd ein faules Wrack, das untergehen muß.«

Mit diesen lieblosen Aeußerungen mußte der Schauspielunternehmer sich begnügen und so eilig als möglich seinen Rückzug antreten, wenn er nicht wollte unter die Füße der halbtrunkenen Calottisten gerathen, die jezt alle von ihren Sesseln auftaumelten, um sich in der Halle zu zerstreuen.

Indem flogen die Thüren des Saals auf und ein sonderbarer gespenstischer Zug schleppte hinein. Die Figuren, die sich hier zeigten, erinnerten an die tollen Gebilde, welche die an dem Gemisch von Wunderbarem und Possenhaftem sich entzündende Phantasie einiger alten Maler erschaffen hat. Spielleute in Masken, halb Thiere, halb menschliche Mißgeburten, führten, auf gellenden Instrumenten blasend, den Zug an, ein Hahn mit rothem militärischen Federbusch krähte, aus ihrem spanischen Faltenkragen hervor kreischte eine breitschnabelige Ente, an ihrer Seite stolzten zwei Störche, als standesmäßige Kavaliere angethan, mit Degen und Federhut, darauf folgten ernsthafte Gestalten in schwarzen Röcken, Parlamentsherrn, sie trugen eine Wiege auf ihren Schultern, die sie in die Mitte des Saals niedersezten.

Ein allgemeines Gelächter ertönte, man stellte sich dicht um den Zug, Lichter wurden gebracht, Jedermann wollte sehen, was sich in der Wiege regte.

»Die Geburt der Thorheit!« riefen mehrere Stimmen – »o seht das wunderliche Kind!«

Die bunten Gewänder in der Wiege hoben sich jezt, ein unförmliches Perrückenhaupt fing an, seine tausend und aber tausend Locken zu schütteln, immer noch sah man keine Gestalt: da strebte aus dem Gewirre ein feingebauter weißer Arm empor, es machte sich ein glänzender Nacken frei, und endlich erhob sich die schlanke volle Gestalt eines sechzehnjährigen Mädchens, auf das seltsamste ausgepuzt. Ihre dunkeln feurigen Augen blizten unter dem Wuste der Perrücke hervor, aus deren staubigen Wellen einzelne schwarze glänzende Locken sich über die zarte Stirn und über die Wangen stahlen. Ein schwarzer Rock, in Schnitt und Form der Kleidung der Parlamentsmitglieder ähnlich, mit unförmlichen langen Schößen, saß schlotternd auf dem zierlichen üppigen Mädchenkörper, dessen zarte Umrisse unter der tollen Umhüllung siegreich hervorschimmerten; ein buntes Beinkleid, zugeschnitten nach der Weise, wie Arlechino es zu tragen pflegt, vollendeten mit einem paar Brillantschnallen, welche den glänzendsten Schuhen des kleinen Fußes anpaßten, den neckischen Anzug.

So hüpfte die neugeborne Thorheit aus ihrer Wiege und schaute sich mit großen schalkhaften Augen in dem Kreis der ernsthaften Schwarzröcke um, der sie umstand. Zugleich brauste eine schallende Musik daher, wilde phantastische Töne ließen ihre Lockungen hören, und nun begann Colombine in ihrer Maskentracht das zierlichste Solo eines Ballets, in welches zulezt das ganze, in verschiedenen Verkleidungen versteckte Personal der Truppe des Scaramouche miteinstimmte.

Zuerst sah man zum allgemeinen Vergnügen die trocknen Gestalten der Parlamentsherrn in wahnsinnigen Sprüngen sich herumbewegen, dann trat eine Maske auf, auf die es recht eigentlich die muthwillige Thorheit abgesehen zu haben schien. Mit Scepter, Krone, Reichsapfel, einigen großen Folianten unterm Arm, einer Brille auf der gewaltig gebogenen Nase, erschien der berühmte Weise des Morgenlandes, der König Salomo. Nachdenken thronte auf seiner Stirn und Zorn funkelte in seinen Augen; doch die kleine Tänzerin ließ sich nicht abschrecken, ununterbrochen, in den reizendsten Stellungen umhüpfte sie den grämlichen Beherrscher der Geister, bis sie diesen endlich besiegt hatte. Er ließ die Folianten fallen, die Brille entglitt seiner Nase, zugleich Scepter und Reichsapfel, die Musik schwirrte in toller Ausgelassenheit, und der weise König flatterte an der Hand der Thorheit den Saal hinauf und hinab.

Immer mehr und mehr Verschlingungen bildeten jezt die Tanzfiguren, immer mehr wunderliche Tänzer meldeten sich, die alle den Reihen mit der Thorheit anzuführen strebten, bald sah man den goldgestickten Talar des frommen Königs herumkreisen, bald die schwarze Robe eines Parlamentsherrn; hier bewegte sich seufzend der schwerfällige Trott eines unförmlichen Wackelbauches, dort glitt das schmächtige Figürchen eines Pagen dahin; endlich tobte der ganze Saal, und durch die Reihen der Tänzer flog unermüdet in ihrer stäubenden Perrücke die kleine Thorheit, gleich einem kolossalen Nachtschmetterling.

Endlich sank Colombine unter der Bürde ihres Putzes nieder, ihr Tänzer hob sie vom Boden auf, streifte die Perrücke ab, und ohnmächtig hing jezt das rotherglühende Gesichtchen mit den geschlossenen Augen auf die Brust herab. Als sie sich wieder erholt hatte, reichte sie dem jungen Báron die Hand. Dieser stellte den Gott Phantasus dar, und in der That, die Gestalt des schönen Jünglings zeigte sich hier in ihrem eigensten Glanze. Kein ungeeigneter kleinlicher Putz der Mode verdeckte einen Wuchs, der dem jungen Antinous abgeborgt schien, so frei voll Würde, Anmuth und Zartheit erhoben sich die vollendeten Formen; romantische Begeisterung glänzte auf dem frischen stolzen Antlitz, ein Kranz breitblättriger Reben schlang sich um die Fülle des gelockten Hauptes und hing mit einem Theil seines saftigen dunkeln Laubes auf die geröthete Wange nieder. Triumphirend führte dieser junge Gott seine Göttin zu einem in der Schnelligkeit aufgeführten Thronsessel, auf welchen Beide sich niederließen; Scaramouche nahm als Diener und erster Vasall hinter dem Herrscherpaare Platz.

Jezt taumelte Gros-Guillaume hinein, der beliebte Spaßmacher, der französische Hanswurst, der Abgott des Pariser Pöbels, ein langer unbeholfener Körper, der das Ansehen hatte, als verlöre er bei jedem seiner Schritte eines seiner nur lose befestigten Gliedmaßen. Bald schien es, als hielte kein Gebein seinen Leib zusammen, bald konnte man glauben, er hätte einige Gelenke zu viel, so überraschend und widersprechend waren seine Bewegungen.

In diesem seltsamen Körper steckte gleichsam ganz Paris. Es gab keinen Charakter, den er nicht nachmachen, kein Gesicht, keine Gestalt, die er nicht auf einige Augenblicke Jedem erkennbar wiedergeben konnte. Seinen ganzen Vorrath an Costüm führte er in einem kleinen unscheinbaren Bündel stets mit sich, seine Hand war eine vollständig besezte Palette, jeder Finger enthielt eine eigene Farbe, die er im Augenblick seinem Gesichte mittheilte und wieder fortbrachte. Gros-Guillaume konnte ein Mädchen von 18 Jahren seyn, wenn er sein kleines Häubchen aufsezte, das Antlitz schalkhaft abwendend, das roth gestreifte Tuch um den Busen, mit dem sittsamen Röckchen die tief eingebogenen Knie deckend; er konnte aber auch einen Moment darauf den schönen Réné abgeben, den größten Schweizer aus der königlichen Garde. –

Jezt zog er ein Tüchelchen hervor, ein seltsames schwarzes gebauschtes Tüchelchen: dieses über den Kopf geschlagen, und man sah das kleine gelehrte Fräulein Scudery, wie sie zu Hofe ging, um der Duchesse de la Ballière ihren neuesten Roman vorzulesen. Das hüstelnde zarte Fräulein, tausend schlaue Liebesgeschichten in dem blassen Gesichte und hinter den erloschenen Augen, wer konnte sie besser darstellen, als Gros-Guillaume? aber wer konnte auch den unsterblichen Condé, den Helden des Jahrhunderts, besser darstellen und zwar wenn er in der Versammlung des Hofes zu Versailles die Glückwünsche annimmt. Jenes zauberische Lächeln des Helden um Mund und Wange, wer konnte es so täuschend nachahmen? ein Lächeln, das jene Zeiten auszeichnet – denn damals lächelte Alles, die Tugenden lächelten, die Gelehrsamkeit lächelte, die Musen lächelten. So verboten es war, zu lachen, so streng gefordert wurde die Kunst zu lächeln. Es war dieses kein bestimmter Zug; das eigentliche Lächeln zeigte sich vielmehr als ein Glanz, der sich über das ganze Antlitz verbreitete, ihm zugleich Würde, Anmuth und die höchste Liebenswürdigkeit verleihend – so pflegte Ludwig zu lächeln, und so lächelte auch Gros-Guillaume.

Alles jauchzte ihm Beifall zu, die Musik schwieg, man sah und beklatschte nur die Metamorphosen Gros-Guillaume's. Die Ausgelassenheit erstieg die höchste Stufe: man ging jezt daran, die verbotensten und geheimsten Zerrbilder aus der Chronique scandaleuse darzustellen. Die berüchtigtsten Scenen aus dem Tartuffe machten den Anfang. Hier sah man jedoch die Originale, die, nach der Meinung von Paris Molièren vorgeschwebt hatten. Der Erzbischof, mehrere Geistliche und Parlaments-Mitglieder wurden mit Namen genannt und kenntlich gemacht; die Zuschauer schrien vor Freude, man erkletterte die Stühle und Bänke, selbst die Schultern der Vorstehenden, um keines der Worte Gros-Guillaume's zu verlieren, deren jedes einzelne ein Geißelhieb war.

Die Darstellungen erreichten ihr Ende, da ertönte noch einmal Bárons Stimme, der die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf ein neu errichtetes Gemälde lockte. Man erblickte Molièren in seiner Stube, Haltung, Stellung, Miene des Dichters vollkommen getroffen, es war Abend, er saß an seinem Tische, die Lampe brannte vor ihm und er schien beschäftigt mit Schreiben; hinter seinem Rücken zeigte sich die muthwillige Colombine als la Molière, halb auf den Knien Bárons, der sie umfangen hielt, und sah mit listigen Blicken auf den Dichter. Diese Gruppe, die leicht zu erklären war, füllte den ganzen Saal mit unaufhörlichem Gelächter. Man schien wie besessen und polterte mit den Bänken; ein paar Stimmen machten sich Platz, indem sie riefen:

»Schaut schaut den größten Thoren von Paris, schaut ihn dort in seiner Studirstube, wie er eben seinen betrogenen Ehemann schreibt, indessen sein zärtlichster Freund ihm in der Wirklichkeit die Krone aufsezt! O schaut den größten Thoren von Paris!«

In dem tobenden Beifall, der diesen Worten folgte, hörte man nicht den Ruf einer Stimme von der Galerie herab, die mit schmerzlichem Laut den Namen Báron nannte. Es war Molière, der in diesem Moment mit seinem jungen Begleiter den Saal verließ.

Noch hatten sie nicht den Ausgang gewonnen, als die Scene unten plötzlich eine andere wurde. Man hörte von außen verworrene Stimmen, Thüren wurden aufgebrochen, und wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel verbreitete sich das Gerücht, das Schloß sey von der Wache umgeben. Völlig sinnlos stürzte jezt die bunte Masse durcheinander, vergeblich war das Rufen und Ermahnen Einzelner. Die Calottisten griffen nach ihren abgelegten Larven, einige nach den Waffen; indem wurde die mächtige Thüre eingestoßen und die bewaffneten Söldner drangen in den Saal. Der Hauptmann ließ sogleich die Eingänge umstellen, er gebot Stille, doch vergebens; mit Gekreisch eilten die Flüchtlinge sich zu retten, ein Theil die Galerie hinauf; oben sah man nun die wunderlichen Gestalten mit der Wache handgemein werden – Arlechino hatte sich mit Gratiano hinter die Statue Katharinens von Medicis gerettet, und ihre erhizten lauschenden Gesichter bildeten einen Gegensatz zu der starren Unbeweglichkeit der Steingestalt. Báron stand im Saal, den Degen in der Hand, muthig und herausfordernd – zu seinen Füßen wand sich Colombine.

Während diese Ereignisse im einsamen alten Schlosse die Bewohner des Stadtviertels zu St. Joseph nicht wenig stutzig und aufrührerisch machten, wurde der Dichter Molière von seinem jungen Freunde, dem Sekretär, in das nahe Haus des alten Tristan gebracht. Heftige Gemüthsbewegung, die er vergeblich zu verbergen trachtete, verbunden mit den schädlichen Einflüssen der Nachtluft, hatten die Kräfte des schon Erkrankten völlig erschöpft, er mußte sich auf die Schultern Charlot's stützen, und erst in des Doktors kleiner Behausung angelangt, wurde es ihm wieder besser.

Der alte Herr, der in seine nächtlichen Studien vertieft war, empfing seinen Freund mit den bittersten Vorwürfen.

»Wie?« rief er, »muß ich Euch noch daran erinnern, daß Ihr nicht mehr der jüngste Knabe seyd, und daß es nicht mehr für Euch paßt, auf Abenteuer auszugehen? Alter Freund, Ihr habt, wie Ihr mir erzählt, ein Weib, vielleicht auch Kinder, denkt doch an diese! Ich Einzelner, der ich kein Weib habe, vielleicht nicht einmal einen Sohn, mir könnte dergleichen Thorheit eher verziehen werden.«

Der Dichter hatte sich aufgerichtet und sah mit mattem Auge den Besorgten an.

»Ihr seyd ohne Weib,« rief er, »danket Gott, Freund, Ihr seyd glücklich – o wie gerne tauschte ich mit Euch! Ach Báron, Báron!«

»Wen ruft er?« fragte Tristan, indem er sich zu dem jungen Charlot wandte, »was ist unserm Freunde begegnet? Sprechen Sie, lieber Herr, wo sind Sie mit ihm gewesen und was soll ich zu diesen abgebrochenen Aeußerungen sagen?«

Charlot bedeutete ihn, still zu schweigen, indem er auf den Kranken hinwies. Dieser lag zusammengebrochen im Lehnsessel, das bleiche Antlitz tief auf die schwerathmende Brust gesenkt. Die Klosterglocke schlug in langsamen Tönen Mitternacht.

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Im Gastzimmer des reichen Buchhändlers Pigault versammelten sich gewöhnlich zu bestimmten Wochentagen die in Ruf stehenden schönen Geister von Paris. Manche lebten unter sich in Feindschaft, andere suchten um engere Freundschaftsbündnisse nach, und so gab es in Pigaults kleinem Salon Kriege und Friedensschlüsse, von welchen oft in einem nicht unbedeutenden Grade das Wohl und Wehe des ganzen gelehrten Europa's abhing. Denn, welche Schule der Bildung gab es, die damals sich mit der französischen messen konnte?

Ein kleiner Kreis hatte sich um Molière versammelt, unter diesen befanden sich Chapelle und Boileau; seitwärts am Fenster, scheinbar ganz abgewendet vom Gespräch, saß ein junger Mann und heftete die mißmuthigen Blicke auf die Straße; seine Gestalt konnte man eher klein als groß nennen, sein Antlitz zeigte edle Formen. Boileau war ganz von vollem, gedrungenen Wüchse, er war eine von den »derb gehämmerten« Gestalten, die in ihrem Gespräche sowohl als in ihren Mienen nur mit Mühe einen Anflug niederer Natur zu verscheuchen streben, und die, selbst wenn sie witzig und geistreich sind, immer daran erinnern, daß man bei ihren Einfällen auf Kosten Anderer zehrt.

Molière fand, als Chapelle seines Freundes Entschluß, bald das Theater zu verlassen, mitgetheilt hatte, die überraschendste Theilnahme; von allen Seiten her suchte man ihn andern Sinnes zu machen, und Pigault umfaßte ihn sogar ungestüm, indem er die bekannten Worte wiederholte, die eine Stimme aus dem Parterre bei der Darstellung der » Précieuses ridicules« gerufen hatte: » Courage, Molière, voilà la bonne comédie

»Wie war Euch, theurer Freund,« rief Bernier, ein junger Schriftsteller, »als Ihr diese Worte hörtet?«

»Sie enthielten,« entgegnete der Dichter, »den schönsten Lobspruch, der mir jemals zu Theil geworden.«

»Ihr könnt damit zufrieden seyn,« rief Boileau; »für einen Pariser war es ein recht gesundes Urtheil, und Ihr Spötter habt es kaum verdient.«

»Wer von uns ist wohl mehr Spötter?« entgegnete Molière.

»Ihr!« rief Boileau, »ganz ohne Zweifel.«

»Vor diesem Vorwurfe,« fuhr der Dichter fort, »habe ich mich immerdar ernstlich zu verwahren gestrebt. Nie habe ich es mir erlaubt, einen Mann lächerlich darzustellen, einzig aus der Absicht, ihm zu schaden, ihn in der Meinung seiner Mitbürger herabzusetzen.«

Boileau warf einen triumphirenden Blick auf seinen Gegner.

»Werfet die Larve ab,« rief er, »denket an Euren Tartuffe, alter Sünder. Leget die Hand auf's Herz, Freund, und antwortet mir, habt Ihr es nicht auf den Priester gemünzt, der Euch stets zuwider, allein zu hoch war, um ihm offen es zu zeigen? Und Ihr habt recht, ich hätte eine Krone hingegeben, bloß um der Verfasser der einzigen Scene zu seyn, wo der alte, lüsterne Ritter von der traurigen Gestalt dem hübschen Kinde das Tuch zuwirft, um ihren Busen zu bedecken. Besinnet Euch, wie zum erstenmal diese Meisterscene über die Bühne ging, wie man sich in den Logen zuflüsterte, sich die Straße, den Platz und selbst den Namen jenes Mädchens nannte – und das hättet Ihr nicht Alles vorher so abgekartet? – Macht das uns Leuten vom Handwerk nicht weiß!«

»Boileau hat Recht!« riefen ein paar jüngere Freunde.

»Er hat Recht in seinem Sinne,« entgegnete Molière ruhig, »in dem meinigen nicht. Ich gebe Euch mein Wort, nie habe ich etwas von jenen Geschichten, die man als so ärgerlich ausgibt, gewußt.«

»Ei was!« rief der Satiriker, »wir kennen das! Und wäret Ihr denn wirklich der, der Ihr seyd, der Gründer unseres modernen Lustspiels, wenn Ihr nicht wüßtet, gerade dieses frische Leben hineinzubringen? der herkömmlichen Lederpuppe, dem todten, abgeschmackten, regelrechten Dinge eine eigenthümliche Physiognomie aufzudrücken?«

Der Dichter sah sich im Kreise um. »Ihr wollt meine Freunde seyn,« rief er jezt schmerzlich, »und ich muß von Euch diese Mißdeutung erfahren!«

Chapelle drückte die Hand des Freundes. »Ich mißverstehe Dich nicht, Poquelin, ich weiß, wie Du über die großen Zwecke der Kunst denkst.«

»Phrase über Phrase!« höhnte Boileau, »sollte man nicht denken, wir stritten uns in einer zierlichen, eleganten Assemblée mit den herkömmlichen Redensarten, und Jeder suchte den Andern an nichtssagenden Kostbarkeiten zu übertreffen. Warum nicht gestehen, Freunde, daß wir dieses burleske, wunderliche, aus Alter wieder kindisch gewordene Paris als unsere milchende Kuh ansehen? Weßhalb leugnen wollen, daß Jeder von uns seine kleine Privatsammlung von Narren angelegt hat, die er nur für Geld zeigt? Mann, hätte ich Euer Talent, glaubt mir, ich sezte mich leicht über jedes alte Basen-Vorurtheil hinweg, ich hielte lustige Ernte, und kein Tag sollte vergehen, wo ich nicht, wie jeder Bürger zu Heinrich des Vierten Zeiten sein Huhn im Topfe, meinen Narren auf der Schüssel hätte, um ihn gemächlich zu verspeisen. Es ist ein süßes Essen, das wißt Ihr, wenn man es gehörig zuzubereiten versteht und die gewürzigen Brühen nicht spart. Ihr seyd ein geschickter Koch, Molière, wie es wenige gibt, und versteht allen Euren Schüsseln den haut-goût mitzutheilen, der die feinern geübten Zungen entzückt. Ich arbeite mehr im Rohen, doch habe ich auch meine Kunden, ja, ich könnte schon reich seyn, wenn ich es nur verstände, mehr Haus zu halten mit meinen Narren, ich gebe sie alle zu schnell aus; viele von ihnen, und zwar die ausgesuchtesten, sollte ich einpökeln und einsalzen, damit mir auch auf den Winter der Vorrath nicht ausgehe; allein man lernt erst sparen mit den Jahren.«

Die Anwesenden lachten, Molière sah jedoch finster vor sich hin.

»Als ich an dem Beginne der Laufbahn meines Ruhmes stand,« fuhr der Erzähler fort, »das heißt, als ich der Jesuitenschule entsprungen war, ein Bursche mit zerrissener Jacke auf dem Leibe und den unsterblichsten Idealen im Herzen, schlich ich mich vor die Thüre Corneille's, unsers großen Dichters. Er trat hervor und auf einen Moment standen sich die zwei größten Geister Frankreichs schweigend gegenüber; dann brachte ich aus schmutziger Tasche mein Trauerspiel hervor und reichte es dem Meister. Er blätterte darin und gab es mir zurück, indem er die große, bedeutungsvolle Nase, die Nase, die jezt ganz Frankreich bewundert, rümpfte. War es nun mein Trauerspiel, das ihm nicht behagte, war es meine anspruchlose Kleidung, die seinen Augen mißfiel? ich errieth es nicht; jedoch die feurig-junge Dichterseele, die in mir wohnte, strebte zornig empor. Ich sprang an die Straßenecke, nahm dem Burschen im nächsten Krämerladen die Tafel und den Stift aus der Hand, beschrieb in ein paar Versen den großen Corneille, malte die Scene, die wir eben miteinander aufgeführt, und reichte ihm die Tafel hin. Er las, und siehe da, das große kritische Ungeheuer in seinem Gesichte, die Nase, verhielt sich diesmal völlig ruhig, wohl aber zogen sich die feinen Lippen, die so zart, empfindsam und blühend schön sind, wie die Tragödien des Meisters, zu einem bedeutungsvollen Lächeln. Gut! rief er in einem Tone, den wir alle kennen, gut! und damit gab er mir die Tafel zurück. Was meint Ihr aber, mit welchen Gefühlen ich die Schwelle seines Hauses verließ?«

»Und dennoch habt Ihr Euch nicht entblödet, ihn auf das keckste anzugreifen,« bemerkte Chapelle.

Boileau lachte. »Der Angriff paßte damals gerade in meinen Plan, jezt aber sind wir gute Kameraden und werden's hoffentlich bleiben.«

»Freunde!« rief Pigault, »kommen wir auf den Anfang unseres Gespräches zurück; ich möchte gerne so viel wie möglich Nutzen aus Eurer Unterhaltung ziehen. Durchaus haben die verehrten Herrn verschiedene Ansichten über die Kunst. Belehrt Ihr mich, vortrefflicher Herr Poquelin, Ihr scheint jene Grundsätze nicht zu theilen, und seht die ganze Angelegenheit nicht von der spaßhaften Seite an.«

»In der That,« rief der Dichter, »für mich ist die Kunst etwas Höheres, als ein Backenschlag, den ich meinem Gegner gebe, weil er mich zuerst geschlagen; doch sehen freilich viele, ja, die größte Zahl meiner Zeitgenossen meine Thätigkeit bloß als einen solchen Akt der Wiedervergeltung an. Es wird ihnen daher immer auf's Neue der Standpunkt entrückt, von dem aus sie die Kunst des Lustspieldichters und die Bühne überhaupt ansehen sollen. Ich stelle das eigentliche Lustspiel so hoch, daß ich es dem Trauerspiel gleich, wenn nicht gar höher achte.«

Bei diesen Worten wandte sich der junge Mann am Fenster um, indem er einen stolzen Blick auf den Sprecher warf. »Erkläre dich näher!« rief Chapelle.

»Zu welchem Zweck alle Poesie,« fuhr der Dichter begeistert fort, »wenn sie nicht dienen soll, uns zu einem geläuterten, erhebenden Selbstgefühl zu führen, wenn sie nicht in dem Bilde des Einzelnen das Bild des Ganzen uns lebendig vor die Seele bringen soll? Der Dichter, wenn er seine Bestimmung erreichen will, ist in seiner Erscheinung nichts anders, als eine zum Bewußtseyn hindurchgedrungene Zeit. In seiner Person, in seiner Ansicht repräsentirt er die Menge, er ist ein Spiegel, und je reiner und klarer seine Fläche, desto lebendiger sieht sich das Jahrhundert heraus. Gilt dieses für den Dichter überhaupt, so ist der Lustspieldichter recht eigentlich dieser Bestimmung unterthan. Ihr seht es, Freunde, ich nehme hier Lustspieldichter in einem höheren Sinne, als das bloße Wort andeutet. Wir haben in der That noch keinen reinen Begriff für das, was ich meine: Drama ist viel zu oberflächlich bezeichnend. Unsere Nachbarn, die Spanier, suchen das Wesen des Lustspiels in kunstvoll verwickelter Intrigue, indeß die Italiener es durch das Spiel ihrer herkömmlichen Maske schon frühe zur Volksposse herabgezogen haben. In keiner jener Schöpfungen erblicken wir das komische Element durch die geistigen, edlen Motive des Charakters bestimmt. Diese Spiele gleichen den anmuthigen Räthseln, die, wenn wir sie erforscht, ihren Reiz verloren haben; es ist nicht der Nerv innerer Nothwendigkeit, der die Verhältnisse und Personen aneinander kettet, nicht das tiefe Studium des Menschen, das den Dichter leitet und seinen Werken Inhalt und Würde verleiht. Der Lustspieldichter, wie er seyn soll, kann nur erscheinen, wenn die übrigen Künste, vor Allem aber das sociale Leben, in allen seinen Formen, politischen wie moralischen, völlig zur Reife gediehen ist. Er ist es, dem die Bestimmung geworden, aus der Blüthe der höchsten Verfeinerung seinen Honig zu sammeln.«

»Ziemlich bescheiden gedacht!« rief Boileau.

»Die Alten,« entgegnete Molière, »bestätigen diese Ansicht; erst mußte sich die Poesie nach allen andern Richtungen ausbilden, bevor sie reif genug wurde, jenes Element in sich aufzunehmen, welches wir bei den Schöpfungen ihrer Lustspieldichter bewundern. Dem Epiker wie dem Lyriker genügen zu ihren edlen Gemälden die einfachsten Formen, sie führen den Streit der Naturen auf die uranfänglichen ersten Motive zurück. Noch enger begrenzt sich der Tragiker die Welt. Seine Sprache ist die des Herzens, und je einfacher, je inniger, desto rührender. Ihm ist es keine strenge Nothwendigkeit, seine Zeit, sein Volk zu studiren, die vielen durcheinander greifenden Fäden des gesellschaftlichen Beisammenseyns zu verfolgen; einsam in seinem Gemache verschlossen, läßt er den Born der Gefühle quellen, sie sind ewig dieselben und gerade in dieser ihrer steten Unveränderbarkeit liegt ihre tiefe erschütternde Bedeutung, zugleich die weltgeschichtliche Würde der Tragödie. Was heute ein Herz zerreißt, hat auch vor Jahrtausenden ein Herz zerrissen, der erschütternde Schmerz um einen geliebten Todten ist in dieser Stunde derselbe, wie er es war, als die Erde zum ersten Male einen starren Leichnam in ihrem Schooße empfing. Selbst äußere Verhältnisse können nichts als eine leichte Färbung mittheilen, der innere Gehalt bleibt derselbe. Der Bettler, der niedere Sklave opfert sich auf für das Wohl eines geliebten Gegenstandes, und kann der mächtige, gefeierte Held mehr thun? Die Tragödie malt die Menschheit, das Lustspiel den Menschen; die Tragödie zeigt uns bloß glänzende Eigenschaften des Geschlechts, das Lustspiel gibt uns die kleinlichen Schwächen desselben, und in diesen Schwächen die Größe, denn um einen Maaßstab von Größe zu erhalten, ist uns nächst der Kenntniß des Erhabenen nichts so nöthig, als die Kenntniß der Schwäche.«

Der junge Mann war vom Fenster an den Tisch getreten, die Blässe und Unbeweglichkeit seiner Züge hatten ihren Charakter in etwas geändert, das dunkle Auge blieb auf Molièren geheftet, der also fortfuhr:

»Die Kunst des Tragikers ist ein Kultus, sie ist an Einfachheit der Religion verwandt, von der sie ihre Würde leiht; die ersten Tragödiendichter waren Priester, und Geschichten der Götter waren die ersten Tragödien. Erst als die ausgebildeten politischen und sittlichen Lebensformen jenes Ideal starrer Größe zum Menschlichen herabgemildert hatten, erst als sich im Streite die Kräfte entwickelten, in der Zersplitterung die Motive sich vervielfältigten, erscheint der Komödiendichter. Sein Beruf ist, in einer völlig in Atome aufgelösten Welt das leitende Gesetz erst aufzufinden, welches der Tragiker bei seinen Schöpfungen schon als gegeben annimmt, und an dessen heiliger Ueberlieferung er nicht zu tasten wagt. Weßhalb werden Werke dieser Gattung bei unserm Nachbarvolke, den Spaniern, nie an Kraft und Leben gewinnen? Unstreitig, weil ihre Dichter sich zu sehr von altreligiösen Formen binden lassen.«

Die Meisten schwiegen zu diesen Worten; Boileau wandte sich jedoch langsam und mit dem Lächeln des Spottes zu dem jungen Manne, der neben ihm Platz genommen hatte.

»Was sagt Ihr hiezu, Racine? Ihr glaubtet mit Eurer Tragödie auf dem Pferde zu sitzen und sitzet am Ende nur auf dem Esel. Ich habe allerdings nicht geglaubt, daß das Verhältniß sich so gestaltete unter Euch, meine Herrn.«

»Wir können uns auf jeden Fall die Hände bieten!« rief Molière, und reichte seine Rechte über den Tisch hin. Racine verweigerte seine Hand, indem er mit einem spöttischen Blicke zur Seite sah. Ueber Molière's Antlitz zog eine leichte Wolke des Unwillens, mit Wärme rief er die Worte:

»Gebt mir die Hand, wenn Ihr meint, daß ich sie als Dichter nicht würdig sey zu erfassen, gebt sie mir als Freund!« –

Racine saß unbeweglich. Boileau lachte heimlich. Molière fuhr nach einer kleinen Pause in seinem früheren Gespräche fort.

»Zum Beweise, daß wir beide nicht so weit von einander stehen, diene Euch dieses. Meinen Tartuffe schrieb ich glühend begeistert von der Göttlichkeit unserer Religion. Ein langes Krankenlager hatte mich an die Stube gefesselt, ich befand mich allein, verlassen; Umstände, die ich hier nicht berühren will, hatten mein Innerstes erschüttert, zum ersten Male that ich einen langen erquickenden Zug aus dem tiefen Borne der heiligen Tröstungen, und da empörte mich im Innersten der frivole Mißbrauch, den ich die Welt um mich her treiben sah. Ich faßte in meinem Grimme eine jener heuchlerischen Gestalten fest und scharf, und zeichnete sie auf's Papier. Wäre ich selbst nicht ernst und gläubig gestimmt gewesen, glaubt Ihr, mir wären jene Bilder und Worte zugeströmt? Wie flach beurtheilt man dieses Gemälde, wenn man bloß Stoff zu einer Posse darin sucht. Mein Tartuffe ist vielleicht sogar ein tragischer Held.«

»Man kann auch eigentlich über ihn nicht lachen,« bemerkte Pigault, »in seiner innern bejammernswerthen Zerrissenheit, in seiner starren Lüge liegt sogar etwas Schreckbares; nur die umstehenden Personen mildern das unbehagliche Gefühl.«

Boileau rief: »Kommt auf Eure erste Behauptung zurück. Ihr nennt es eine Eigenthümlichkeit des Wesens der Tragödie, daß sie nur einfache Beweggründe zu ihren Handlungen haben dürfe, daß die Zahl der ihr zustehenden Charaktere nur gering sey: trifft nicht beim Lustspiel ein Gleiches ein? Mit dem ersten Mann, der sein Hab und Gut mißgünstig und thöricht verschloß, sind alle Geizigen bis auf unsere Zeiten herab beschrieben.«

»Ich bestreite dieses,« entgegnete der Dichter. »Man hat mir vorgeworfen, mein Geiziger sey der Geizige des Plautus; und dennoch habe ich einen Geizigen dargestellt, einen Pariser, und zwar einen, welcher in einer bestimmten Straße wohnt, mit den und den Leuten umgeht, in bestimmten Verhältnissen seiner Zeit aufgewachsen ist. Freilich sind sie beide geizig, doch der Römer von dem Pariser so verschieden, daß, kämen sie zusammen, schwerlich beide sich als Geizige erkennen würden. Der große Zeitstrom mit seinem ewig wechselnden Wellenschlage fließt zwischen diesen beiden Masken vorbei; jene steht am jenseitigen, diese am diesseitigen Ufer, ihr Bild, das sich im Wasser spiegelt, kann nicht dasselbe seyn.«

Boileau unterbrach das Gespräch, indem er unwillig die leere Flasche, die vor ihm stand, emporhob.

»Verehrter Herr Pigault,« rief er, »da Ihr das unnennbare Glück habt, aus den unsterblichen Werken unserer Dichter den materiellen Vortheil zu ziehen, so solltet Ihr uns, schon Eures eignen Vortheils willen, nicht verschmachten lassen. Oder seyd Ihr am Ende wohl auch eine neue Ausgabe des Geizigen, und zwar einer, der unter dem Scheine des Verschwenders und gastfreundlichen Wirthes die peinlichste Sparsamkeit übt?«

Der Diener erhielt den Auftrag, die Tafel neu zu versehen, und Herr Pigault rief: »Seyd mir nur nicht böse, ich muß Euch mir durchaus als Freund zu erhalten suchen!«

»Weßhalb?« entgegnete Jener, »meine Freunde kommen sehr schlimm weg, ich liebe sie bloß, und bei dieser Liebe werden sie vergessen, es kümmert sich Niemand um sie; meinen Feinden jedoch schaffe ich Berühmtheit, sie haben es gut bei mir. Ja, ich muß mit meiner Feindschaft und meinem Groll so sparsam umgehen, wie Andere mit ihrer Gunst: es sind zu viele Bewerber. Gleich den Fürsten, muß ich erst lange prüfen, um die Würdigsten zu finden, die ich mit meinem Hasse beglücke. Gewiß sizt der sicher und warm im Schooße der Nachwelt, der einen Satiriker zum Feinde hat. Schon öfters habe ich herzlich bedauert, daß ich mich selbst nicht beim Schopf nehmen und tüchtig herumzausen kann. Wie berühmt würde Boileau, wenn Boileau sich über ihn lustig machte!«

»Tollheiten!« rief Chapelle.

Der Satiriker hatte sein Glas ergriffen und rief jezt: »Bei dem großen Namen Corneille's wollen wir Frankreichs schöne Geister leben lassen; gebt uns Bescheid, Molière!«

Alle brachten die Gesundheit des Dichters aus, nur Racine erhob sich nicht von seinem Stuhle. Auf Molière's auffordernde Bitte erwiderte er in kaltem Tone:

»Wozu Euch Ruhm und Glück wünschen, da Ihr schon Beides habt? Auch Gesundheit fehlt Euch nicht, Ihr seyd ja für Eure Jahre recht rüstig. O gewiß, wir dürfen uns das Glück versprechen, noch recht lange durch Eure Meisterwerke belehrt und erhoben zu werden.«

Diese Worte, die einen Theil der Anwesenden trotz ihrer heitern Stimmung schmerzlich ergriffen, machten die Farbe von Molière's Antlitz verschwinden. Es herrschte eine lange Pause, während er seine Blicke stumm auf den Gegenstand seiner schmerzlichen Aufmerksamkeit richtete, endlich rief er:

»Racine, sollen diese Worte Spott über mein Alter ausdrücken? willst Du den verspotten, den Du einst Deinen Freund nanntest?« – Mit einem bittern Lächeln sezte er hinzu: »Fürchte nichts für Deinen Ruhm! Du stehst in der Blüthe Deiner Kraft, ich bin ein lebensmüder, bald sechzigjähriger Greis, ich trete Dir nicht in den Weg. Komm, reiche mir die Hand, – die Zeit, wo ich noch bei euch weilen darf, ist vielleicht sehr karg gemessen, laß uns nicht im Mißverständniß von einander scheiden!« –

Diese rührende Anrede bewegte Alle, nur nicht denjenigen, an den sie gerichtet war. Racine erwiderte einige gleichgültige, vornehm höfliche Worte; Molière trat zurück. Bald darauf verließ er mit Chapelle das Zimmer. Die Verstimmung, die hierdurch herbeigeführt war, bewirkte, daß die kleine Gesellschaft allgemein an den Aufbruch dachte.

Boileau, der sich ungern von seinem Glase trennte, sagte zu Pigault, als Alle das Zimmer verlassen hatten:

»Begreift Ihr das Wesen dieser Leute, Freund? Mir ist es völlig unverständlich. Das haßt sich, das lobt sich, heute so, morgen anders. Sie sollten nur den alten ehrlichen Molière ruhig gehen lassen, er ist ein grundguter Mensch.«

»Das ist er,« entgegnete Pigault, »vorzüglich ist Racine's Betragen unverzeihlich, da Molière ihm so viele Gutthaten erwiesen.«

»Da steckt es wohl,« rief der Satiriker; »nichts kommt unsrer lieben Natur ungelegener, als Ansprüche auf Dankbarkeit. Doch mögen sie nur! mir völlig gleich! Boileau's Satiren werden gelesen werden, wenn längst schon die Namen Molière und Racine vergessen sind.«

Mit dieser stolzen Prophezeiung schied der zuversichtliche Mann von seinem Wirthe.

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Der feindselige Ueberfall im alten Schlosse hatte den geheimen Bund der Calottisten aufgelöst; es wurden Verhaftungen angestellt und ein gerichtliches Verfahren eingeleitet. Der Abbé Hautincourt und der Kammerherr Petit-Loisin machten sich bei den Verhandlungen und Verhören besonders wichtig. In allen Gesellschaften bemühten sie sich, über die Verläumdungen und empörenden Zerrbildungen, die man ihrer Person angehängt, Klage zu führen.

Die Behörden jedoch griffen bald zu gelinden Maßregeln, man fand für gut, die Miene des strengen Ernstes aufzugeben und für jugendlichen Muthwillen gelten zu lassen, was die besonders hier Betheiligten mit dem Namen Verbrechen bezeichneten. Diese Nachsicht hatte zum Theil in dem Umstand ihren Grund, daß viele der jungen Spötter aus den besten Familien waren und daß die Verspotteten Ursache hatten, der Welt zu verbergen, wie viel Wahres an den ihnen zur Schuld gelegten Thorheiten sey. Der Sohn des Intendanten, sowie der junge Charlot waren jedoch unter denen, welchen man eine längere Haft nicht erlassen konnte.

Am schmerzlichsten mußten die beiden Liebenden für die Vergehungen der Calottisten büßen. Der Parlamentsrath Bertier, von dem Jesuiten Bertram eifrigst angeregt, versagte seine Einwilligung zu der Heirath jezt auf's ernstlichste. Der Gedanke war ihm empörend, sein Kind einem Manne anzuvertrauen, den er mit jenen leichtfertigen Bösewichtern in einem so engen Bunde wähnen mußte. Des jungen Claude Schmerz war im höchsten Grade heftig; er vermochte seinem gequälten Busen keinen Trostgrund zu erschließen, seine Hoffnung auf Lebensglück lag zertrümmert.

Molière, der mit dem besten Vorsatze nicht viel zur Rettung seines Freundes hierin hätte thun können, befand sich überdies in einer Stimmung, wo es ihm unmöglich wurde, sich dem Anblick irgend eines, selbst des befreundetsten Wesens auszusetzen. In seinem Zimmer eingeschlossen hatte er auf einige Wochen völlig Abschied von der Welt genommen. Dieser Umstand einer freiwilligen Absonderung zeigte jedoch für seine Umgebung nichts besonders Auffallendes; man war gewohnt, ihn zu diesem Mittel greifen zu sehen, wenn irgend eine Arbeit, deren Anfertigung der König oft zu einer nah bestimmten Zeit angeordnet, seine volle, von aller Zerstreuung abgesonderte Thätigkeit in Anspruch nahm. Seine Freunde ließen ihn in diesem Falle gewähren, und es wurde für ein Verbrechen angesehen, den Einsamen zu stören. Dieser Vorwand mußte jezt dienen, dem Unglücklichen jene Stille und den tiefen Frieden zu sichern, in der allein es einem edlen Charakter möglich wird, sich von den erschütternden Schlägen des Schicksals zu erholen.

Hier finden wir nun unsern Dichter wieder, wie er, das Haupt in beide Hände gestüzt, sich dem vollen Erguß seines Schmerzes überläßt, und Thränen, seinem männlichen Auge sonst fremd, die Wange netzen. Welch schneidende Widersprüche muß dieses Bild hervorrufen. Wir sehen den Mann, der unerschöpflich für die Belustigungen eines glänzenden Hofes, einer gebildeten Hauptstadt sorgt, der in tausend Herzen Frohsinn und Lebenslust hervorgezaubert, unter der Bürde eines Schmerzes erliegen, der ihm das Leben zu rauben droht, mitten in seinen Bemühungen, es Andern zu versüßen. Gewiß nie fühlen wir die fürchterliche Ironie des Schicksals ergreifender, als in Beispielen dieser Art.

So waren denn plötzlich und mit den empfindlichsten Schmerzen fast alle Bande gerissen, die ihn an das Leben ketteten. Der wohlverdiente Ruhm drohte bei dem Wankelmuth seiner Landsleute ihm von Neidern entrissen zu werden, schändliche Gerüchte verklagten ihn als niedrigen Spötter und Verläumder, derjenige, dessen Talente er mit Bewunderung aus dem Dunkel gezogen, durfte ihn jezt kalt verachten und tadeln, und so tief diese Verletzungen waren, noch tiefer bluteten die Wunden, die seinem treuen arglosen Herzen den Verrath des Freundes, die Untreue des geliebten Weibes schlugen.

Molière gehörte nicht zu jener Klasse eitler ältlicher Männer, die an die Zärtlichkeit einer jungen Frau thörichte und unstatthafte Forderungen machen; was er forderte, durfte jeder rechtliche Mann fordern, der die Welt und das menschliche Herz kennt. Allein die Schuld, die ihm aufgebürdet werden mag, war die, daß er seinen Ernst und seine Wachsamkeit immer wieder von einer unwiderstehlichen Schwäche blenden ließ. Diese Schwäche kleidete sich in das Gewand eines unbedingten Vertrauens, dem er kein Wanken gestattete, auch dann nicht, als ihn oft wiederkehrende Beispiele überzeugten, daß das leichtsinnige jugendliche Gemüth seines Weibes unempfindlich für ein so zartes Geschenk war.

Die Warnungen seiner Freunde wies er standhaft zurück. Sie hat völlig Recht, rief er bei dergleichen Gelegenheiten, ich habe sie geheirathet, nicht damit sie den erlaubten Genüssen ihrer Jahre entsage. Sie ist schön, wie eigensinnig wäre es, wenn ich forderte, nur meine Augen allein sollten ihr dieses Zeugniß ablegen; schon der Stand, in den ich sie eingeführt, verbietet mir, wenn ich auch Anlage dazu hätte, jene tausend und abertausend kleinlichen und beleidigenden Quälereien, mit denen die Eifersucht eines alten Mannes die glücklichsten Träume des jungen Weibes zernichtet. Nein, ich schenke ihr mein volles Vertrauen, und kann irgend ein Mittel mir ihre Liebe stets neu erwerben, so ist es dieses, daß ich ihr Herz mündig erkläre, über mein Glück zu wachen.

Welches Weib, deren Busen nur irgend Empfindung verschloß, hätte diese Sprache zarten Gefühls nicht gerührt, allein die kleine hübsche Comedienne Molière war ein völlig seelenloses Püppchen, die geringste Betrachtung der Art wäre ihr schon viel zu schwerfällig erschienen. Sie fand in ihrem Manne nichts anziehend, als seinen Ruhm, den sie theilte, ohne daß die geringste Anstrengung von ihrer Seite nöthig war, denn die Bewunderer dieser kleinen Schönen fanden immer ihr Spiel, es mochte seyn wie es wollte, entzückend.

Der erste Fehltritt, dessen sie sich schuldig machte, zerriß vollends das schwache Band, das sie an ihn gefesselt hatte. Die Leichtfertige fügte nun bald zu ihrer kindischen Gefallsucht eine verderbliche Schlauheit, sie freute sich, einen beschwerlichen Rathgeber und Beobachter zu täuschen, es gelang ihr meisterhaft, die kleinen ihr zugetheilten Rollen von der Bühne in's wirkliche Leben überzutragen, und so bewegte sie sich scherzend und ohne Kenntniß der Gefahr in immer verworfenern Kreisen.

Báron ward ihr Begleiter, und trotz seines eigenen Leichtsinns wußte er sie, durch die Gewalt, die er sich über sie anmaßte, von manchem thörichten Unternehmen abzuhalten. Jezt, da die Handlungsweise Beider Molièren kein Geheimniß mehr war, zeigte sich in ihrem Benehmen gegen den beleidigten Mann die große Verschiedenheit ihrer Charaktere, wenn man überhaupt ein so schwankendes gehaltloses Element, wie es dem Wesen der Molière eingeprägt war, mit der ehrenvollen Benennung eines Charakters bezeichnen will. In Bárons Seele schlummerte dagegen eine Fülle edler jugendlicher Kraft, die durch dieses Begebniß, wie durch einen erschütternden Schlag, zu völliger Selbstständigkeit erwachte.

Trotz der Stürme, die auf unsern Dichter einwirkten, entging seinen Gedanken nicht das Bild Tristans und seines Sohnes. In der Einsamkeit hatte er nichts von dem Gange der Ereignisse vernommen, die seinen Plänen nothwendig eine andere Richtung gaben, ja sogar ihm mit Vereitelung seiner schönsten Hoffnungen drohten. Der einzige Trost, für den sein erschüttertes Gemüth sich empfänglich zeigte, war der Gedanke, Zeuge des Wiedersehens zwischen Vater und Sohn zu seyn; ihm ahnete nicht, daß dieser langvorbereitete Moment schon vorübergegangen war.

Der unglückliche Claude hatte in seinem Schmerze Trost am Busen seines Vaters gesucht. Doch welche Hülfe, welchen Trost konnte ihm dieser gewähren? Der Jüngling mußte die volle Kraft seiner Seele anstrengen, um ein wirksames und schnelle Hülfe sicherndes Mittel der Rettung zu finden. Der Schutzgeist seiner Liebe gab ihm den Namen des Marschalls von Vivonne ein. Er wußte, daß dieser angesehene und allgemein beliebte Mann sich lange vergebens bemüht hatte, die frei gewordene Stelle seines Hausarztes würdig besezt zu sehen, es konnte sich fügen, daß er Claude's Anerbieten, in seine Dienste zu treten, mit Güte aufnahm, und war einmal die Theilnahme dieses Würdigen gewonnen, so konnten wirksame Schritte geschehen, die die Lage der Dinge plötzlich änderten.

Der Schwarm von Bittenden und Besuchenden, der stets des Marschalls Haus umstellt hielt, machte es dem Jüngling schwer, zu einem besondern Gesuche vorgelassen zu werden. Als er seine Absicht erreicht sah, flößten ihm die Miene und die Haltung des vornehmen Mannes Muth und Zuversicht ein. Des Marschalls Interesse ward schon bei der Nennung seines Namens rege.

»Wie,« rief er eifrig, »ein Sohn seyd Ihr von dem Arzte Tristan, der auch mein Hausarzt einst gewesen und den wir alle auf eine so seltsame Weise verloren haben? Junger Mann, ich kann mir denken, daß Ihr ohne Stütze und ohne bedeutende Verbindungen seyd; was soll ich für Euer Bestes thun? Sprecht frei, ich betrachte Euch als den Sohn meines Freundes!«

Claude dankte für diese ermuthigenden Worte, und indem er seine Zeugnisse vorbrachte, bat er um die Vergünstigung, in die Dienste des großmüthigen Beschützers seines unglücklichen Vaters treten zu dürfen.

»Mein junger Freund,« entgegnete der Marschall, einen flüchtigen Blick auf die Papiere werfend, »es bedarf dieser Bescheinigungen nicht; mehr als diese todten Schriftzüge spricht Euer Aeusseres für Euch, und daß Ihr in Eurer Lage mit Vertrauen die Zuflucht zu meinem Beistand nehmet, bürgt mir dafür, daß wir miteinander wohl zufrieden seyn werden.«

Er ließ sich auf einen Sessel nieder, und indem er den Blick auf die Züge des Jünglings richtete, bemerkte er, daß noch eine Wolke diese beschattete.

»Sezt Euch,« rief er nach einer Pause, »und erzählt mir Einiges. Nicht wahr, Euer Schicksal ist gleich Anfangs kein freudiges gewesen, ich glaube gehört zu haben, daß Ihr gezwungen worden, in militärische Dienste zu treten.«

»Mein Herr,« entgegnete Claude, und ein Erröthen färbte seine Wange höher, »gezwungen hätte man mich zu dem Dienst meines Königs – wofür haltet Ihr mich?«

»Für einen trefflichen Unterthan,« fuhr der Marschall lächelnd fort, »allein mehr dazu geschaffen, Eurem Herrn im schwarzen Talar als in dem bunten Rocke zu dienen; habe ich's getroffen? Doch nun erzählt mir die nähern Umstände Eures veränderten Entschlusses.«

»Ihr seyd, Excellenz, mit dem Schicksal meines Vaters bekannt, auch mit den nähern Umständen jener traurigen Ereignisse?«

»Ich kenne sie und errathe, wen ihr als Urheber derselben anklagen werdet, doch laßt mich hierüber meine eigene abweichende Gesinnung hegen: sprecht mir nichts von Molière.«

Claude schwieg; auf einen Moment bewegten Zweifel seine Seele, ob er das dem Dichter versprochene Wort brechen dürfte, doch forderte das abzulegende Bekenntniß die strengste Wahrheit.

»Wenn ich den Namen Molière's nenne,« rief er mit bewegter Stimme, »so geschieht es nicht, gnädigster Herr, um ihn anzuklagen, sondern um ihn als meinen Wohlthäter zu preisen!«

Der Marschall gab seine lebhafte Verwunderung zu erkennen, und der Jüngling fuhr fort.

»Wie lange habe ich mit Sehnsucht die Gelegenheit erwartet, die Geschichte meines Herzens auszusprechen! Wie Euch bekannt ist, Excellenz, hatte der Dichter Molière durch eine, von seiner Seite nicht bös gemeinte Neckerei sich die Erbitterung meines Vaters zugezogen, mehrere Unglücksfälle vereinigten sich, um den Gekränkten wahrhaft schmerzlich zu beleidigen, selbst äußere bedeutende Mißgeschicke fehlten nicht, so wie zum Beispiel der Verlust seines Vermögens; alles dieses vereinigt fesselte ihn auf's Krankenlager und entzog ihn auf immer dem öffentlichen Leben. Mein jugendliches Alter war damals schon zu der Reife gediehen, daß mir die jammervolle Lage meines Vaters klar wurde; ich sah ein, daß ich dazu bestimmt sey, seine Stütze, sein Versorger zu seyn: dieses Verlangen war so heftig, daß ich nur strebte, ihm bald Genüge zu thun.

Ohne Kenntniß der Welt, ohne Freunde, denn diese hatten uns alle verlassen, bestimmte ich mich schnell, einen Weg einzuschlagen, den ich damals einen großen Theil meiner Genossen freudig betreten sah, nämlich dem Ruf des Kriegs zu folgen. Eine dunkle Vorstellung von großer Beute und von Reichthümern wirkte mächtig mit und machte einem leichtsinnigen und gewissenlosen Werber, in dessen Hände ich gefallen war, sein Werk bei mir sehr leicht.

Ich ward Soldat und bereute es gleich darauf schmerzlich; denn fühlte sich mein guter Vater unglücklich bei den vielen ihn niederbeugenden Leiden, so zeigte er sich jezt völlig der Verzweiflung nahe, als er von mir die Nachricht meines neu angetretenen und heimlich erwählten Berufes erhielt. Er zweifelte durchaus nicht, daß man mich mit Gewalt ihm geraubt habe; ich suchte ihn zu trösten, indem ich ihm meine eigene Trostlosigkeit verbarg, denn ich wußte wohl, daß ihm gänzlich die Mittel fehlten, mich wieder loszukaufen, um mich, wie er mir rührend vorstellte, der erhabenen Wissenschaft, dem einzig möglichen Ziele irdischer Glückseligkeit zuzuführen.

So standen die Angelegenheiten meines Schicksals, als mein Vater sich in seiner tiefen Einsamkeit einen Freund erwarb, der ihm mit bewundernswürdiger Treue und Ergebenheit anhing, jezt, da alle Menschen ihn flohen und verabscheuten, einen Freund, den er so edel und theilnehmend in den Tagen des Glücks selbst nicht gehabt hatte; dieser Freund nun, gnädiger Herr, war Niemand anders als Molière. Unter einem fremden Namen, von meinem Vater nicht gekannt, hatte er erlangt, was er beabsichtigte. Er that noch mehr; mit Hülfe seiner eigenen Mittel machte er mich von meinem Zwangberufe frei und führte mich in die gelehrte Hochschule ein, wo er keine Mühe, keine Kosten gescheut, um mich zu einem Wirkungskreise einzuweihen, den er selbst nicht achtete. Meinem Vater blieb die Veränderung meiner Lage bis jezt ein Geheimniß.«

Der Marschall hatte sich erhoben; im Gemache auf und abschreitend, rief er jezt:

»Wie trefflich, wie liebenswerth zeigt sich der Mann, der schon frühe mir Achtung abgewann, wie finde ich in dem Bilde alle Züge wieder, die ich oft und im Geheim an dem Würdigen beobachtet habe! Nun, junger Freund, Ihr steht noch bekümmert da: ist vielleicht nicht Alles so geworden, als man hoffte?«

»Leider nicht,« entgegnete Claude; »außer dem wiedergeschenkten Sohn sollte auch die Liebe einer Tochter meinen Vater neu an das Leben fesseln. Ach, Mißgeschick und niedrige Kabale haben dieses schon geknüpfte Band zerrissen!«

»Erklärt Euch deutlicher.«

»Hat der Rath Bertier die Ehre, von Ew. Gestrengen gekannt zu seyn?«

»Im Jesuiten-Seminar,« entgegnete der Marschall, »haben wir auf einer Schulbank gesessen; das Schicksal hat uns später getrennt. Ist es seine Tochter, die Ihr erwählt habt?«

»Sie sollte die Meinige werden,« entgegnete der junge Arzt bewegt; »der Vater hat seine Zustimmung wieder zurückgenommen.«

»Ihr seyd ihm nicht reich, nicht von guter Familie?«

»Diese Gründe haben auf seinen Entschluß nicht eingewirkt. Man hat ihn gegen Molièren aufgebracht. Er weiß, daß ich diesen Trefflichen meinen zweiten Vater nenne und es nie zulassen werde, daß man ihn der niedrigsten Theilnahme an den Spöttereien und Versammlungen der Calottisten beschuldigt. Bertier aber behauptet, man habe ihn und seinen Stand dort auf das empörendste verspottet, er sieht mich selbst für einen Mitschuldigen jener zügellosen Bande an, und sein Zorn hat beschlossen, mich jezt auf das schmerzlichste büßen zu lassen.«

In des Marschalls Antlitze zeigte sich bei diesen Worten eine düstre Befangenheit.

»Sehr schlimm!« rief er nach einer Pause; »wenn dem so ist, was könnte ich denn für Euch thun? Die Vermessenheit jener Witzlinge ist in der That zu weit gegangen, ich kann dem Rath die Erbitterung nicht verdenken, die er über jene Vorfälle äußert.«

»Allein warum mich, den Unschuldigen, strafen?« –

Der Marschall blieb vor dem Jüngling stehen, indem er den Blick auf dessen trauernde Züge richtete.

»Fasset Muth, mein Freund,« begann er, »ich will mit dem alten Bertier sprechen; doch vorher müßten wir genau wissen, wie weit sich die Calottisten gegen ihn vergangen haben und welchen Antheil Molière an jenen Späßen gehabt. Er selbst wird uns hierüber am besten Auskunft geben können.«

Claude führte an, daß der Dichter sich zurückgezogen habe und für Niemanden zu sprechen sey.

»Freilich dann,« fuhr der Marschall fort, »dürfen wir ihn nicht stören.«

Er blieb einen Augenblick sinnend stehen.

»Es zeigt sich von anderer Seite Hülfe; da ist ein gewisser Charlot, ein gutmüthiger und, so viel ich beurtheilen kann, an dem ganzen verdrießlichen Handel unschuldiger junger Mensch – auch er sizt verhaftet und hat mir heute ein rührendes Schreiben zufertigen lassen, in welchem er in seinem Elend um meinen Schutz nachsucht. Bereits habe ich ihm versprochen, für ihn einige Schritte zu thun, sobald es meine Geschäfte erlauben; so begleitet mich zu ihm, dann wollen wir die fernern Maßregeln unsers Operationsplanes bestimmen.«

Es wurde festgesezt, an welchem Tage man sich in die Gemächer begeben wollte, in welchen sich die wenigen noch verhafteten Calottisten befanden. Die Freude, sowie die lebhaften Danksagungen des mit neuer Hoffnung sich berauschenden Geliebten rührten seinen großmüthigen Beschützer und machten, daß er keine Mühe scheute, theils um dem Sohne seines alten Arztes Tristan zum Glücke zu verhelfen, theils aber auch um von Molière's Charakter jeden auch nur leichten Flecken getilgt zu sehen.

Es war um die Abendstunde, als diese beiden Besucher in die Zelle traten, in der der junge lebhafte Sekretär schon ein paar Wochen hindurch schmachtete. Er stürzte eiligst den Eintretenden entgegen, trat jedoch mit Ehrfurcht und freudiger Ueberraschung zurück, als er den Marschall erkannte.

»Ist's möglich,« rief er, »hochverehrter Herr Marschall, Ihr kommt selbst? In der That, viel zu viel Ehre für einen bösartigen Skandalmacher, in welchem Charakter ich hier festsitze.«

Vivonne unterbrach den geläufigen Fluß der Klagen, indem er fragte, wie lange er schon Sekretär beim regierenden Grafen sey.

»Wollte Gott, ich wäre es nie geworden!« entgegnete Charlot; »welch ein verwünschter Posten! Als ich ihn annahm, war es lediglich auf ein ruhiges anmuthiges Leben abgesehen, Geschäfte hatte ich keine anderen, als meinen Geist auszubilden, indem ich mich in der Hauptstadt der Welt herumtrieb; nebenbei lag es mir ob, jenes alte wüste Schloß zu bewachen oder eigentlich nur von ferne ein beobachtendes Auge darauf zu richten. Was im Innern des Gehäuses sich zutrug, durfte mich nicht kümmern. O hätte ich doch nie den Bitten des verehrten Herrn Molière nachgegeben, ich sagte es gleich, zu welchem Zwecke soll eine so schädliche Neugier führen? allein der eigensinnige Mann wollte durchaus in sein Unglück; nun hat er es: allerlei verwünschte Neuigkeiten hat man ihm zugesteckt, unerfreuliche Erklärungen sind ihm geworden, und er hat auf eine lange Zeit genügende Erfahrungen eingesammelt. Mich aber, den unschuldigsten, friedfertigsten Menschen im Königreich, brachten die Henkersknechte in dieses Gewahrsam, wo ich nun auf keine Weise gehörigen Spielraum habe, meine Talente auszubilden, der Welt und mir selbst nützlich zu seyn.«

Diese Worte, obgleich sie scherzhaft klangen, wurden dennoch mit dem Ausdruck von Schmerz und Reue vorgetragen, der da zeigte, daß es dem Redner vollkommen Ernst mit ihnen war.

Der Marschall brachte jezt seine umständlichen Fragen vor, und erhielt genügende Antworten; überhaupt bei Gelegenheiten, wo der Sekretär nicht nöthig hatte, seine eigenen tragischen Ergebnisse zu schildern, in welchem Falle er seiner Beredsamkeit völlig den Zügel schießen ließ, zeigte er sich besonnen und kurz in seinen Antworten; doch freilich suchte er bei jedem geringfügigen Umstände gerne auf diesen Hauptgegenstand seines Interesse's einzulenken, besonders da er jezt die Nothwendigkeit fühlte, die Bitten um seine baldige Befreiung mit dem rührendsten Eifer vorzutragen.

»Bedenket selbst, gestrenger Herr und Gönner,« rief er lebhaft, »ein Mann, der nach langem vergeblichen Trachten endlich in der Hauptstadt des über alle Vorstellung herrlichen französischen Königreichs anlangt, der von dem glühendsten Wunsche beseelt ist, den Ruhm der großen Nation, den Glanz des Hofes zu bewundern, der nichts so Eiliges kennt, als sich nur recht bald in Kenntniß aller Merkwürdigkeiten dieser Stadt zu setzen – darf man wohl einen solchen Mann gleich bei seiner Ankunft in's Gefängniß setzen? ist dieses die Weise, jungen empfänglichen Gemüthern mitzuspielen?«

»Ueberzeugt mich nur, Herr Sekretär,« rief der Marschall mit ernster Miene, »daß Ihr Euch wirklich nie, auch auf kurze Frist nicht, zu jenen Spöttern gehalten habt.«

Charlot hatte Thränen im Auge, als er erwiderte: »Bei Allem, was mir heilig ist, schwöre ich Euch, Excellenz, mein Gemüth hat nie Anlage zum Spotte gehabt; ich kenne diese Schwachheit gar nicht, im Gegentheil, ich leide seit meiner frühesten Kindheit an der entgegengesezten Krankheit des Bewunderns. Stets habe ich zu viel und im Voraus bewundert. So zum Beispiel bewundere ich jezt, gnädigster Herr, Euren mir gütigst geleisteten Beistand, und noch habe ich kein Zeichen erhalten, daß Ihr mir wirklich beizustehen die Absicht habt.«

Der Marschall und Claude lächelten.

»In der That,« bemerkte der Erstere, »ich werde Sorge tragen müssen, Eure gute Meinung mir zu verdienen. Gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr Euch ruhig verhalten wollet, so will ich für Euch gut sagen und Ihr sollt frei seyn.«

Charlot dankte in den begeistertesten Ausdrücken.

»Ihr seyd mein Schutzengel!« rief er, »schon quälten mich die finstersten Bilder von meinem künftigen Schicksal. Ich sah mich im Geiste geachtet, den Gerichten schimpflich überliefert, meinen Namen auf immer den Verwünschungen preisgegeben. Ach! seufzte ich öfters, wärest du doch in deinem kleinen Geburtsstädtchen geblieben bei den tugendhaften Basen und den abgeschmackten Vettern! Wie friedlich erschienen mir die Beschränkten, wie thöricht ich in meiner Wuth, die Welt zu sehen und zu bewundern; allein ich bin nach Verdienst bestraft worden. Heißt es doch in den kostbarsten Sprüchen der heiligen Schrift: Züchtigt die Albernen, so werden sie witzig, und gebet Schläge auf der Narren Rücken, auf daß sie weise werden.«

Der dankbare Philosoph machte sich nach diesen Bemerkungen bereit, sein kleines Stübchen zu verlassen. Der Marschall, der neue Hoffnungen auf des Sekretärs Aussagen baute, entschloß sich, sogleich den Rath Bertier aufzusuchen. Er nahm Charlot mit, den jungen Arzt ersuchte er jedoch, den Verhandlungen, bevor sie ein ziemlich bestimmtes Resultat ergeben haben würden, nicht beizuwohnen.

Claude, nachdem sein Beschützer ihn verlassen, fand in der Unruhe, in dem drängenden Gefühl von Hoffnung und Mutlosigkeit kein anderes Mittel, seinen Ungestüm zu besänftigen, als die Wohnung seines Vaters aufzusuchen, der ihn schon lange erwartete.

Dieser alte würdige Forscher war durch den Sturm der Begebnisse, die so plötzlich auf ihn eingedrungen, fast in Gefahr gerathen, seinen aus den ersten Unglücksfällen geretteten Verstand jezt völlig einzubüßen. Sein Betragen bei diesen Anlässen war das eines Mannes, der aus dem engen Gewahrsam seiner Stube plötzlich in eine freie unwirthbare Haide versezt wird. Alles um ihn her fremd, stürmisch und unbegrenzt. Allein, verlor sich auch der Geist des guten alten Doktors Hippocrate Dieu-donné in Räume, wo er sich nicht wieder zu finden vermochte, sein Herz lenkte ihn bald auf die rechte Bahn, indem es ihm sagte, daß er unumgänglich den Mann lieben müsse, der so aufrichtig sein Vergehen, welches freilich sehr bedeutend war nach Tristans Ansicht, bereute. Diese Stimme, wenn gleich immer neu von dem beleidigten Geiste übertönt, drang dennoch durch.

»Ja,« rief er, in seinem Selbstgespräch unter den Gräbern des Kirchhofs zu St. Joseph stehend, »ist jener freundliche, ehrliche Gevatter Jean Baptiste, ein Mann, mit dem ich so oft in Frieden ein Gläschen Wein geleert habe, der mir so oft die Thränen von der Wange getrocknet hat, ist dieser – in der That Molière« – er fuhr unwillkührlich zusammen bei diesem Namen und hüllte sich fester in seinen schwarzen Mantel, – »Molière, mein Feind, mein erbittertster Feind – so, so darf ich ihm nicht mehr böse seyn. Nein ich will – will ihm vergeben! Doch halt, Tristan, alter weichherziger Narr, hast du vergessen, wo du stehst? hier auf dem Felde deines Ruhms! sie, die hier schlummern, sie nannten dich einst den großen, den unsterblichen Tristan, den größten Geist des Jahrhunderts, und bist du es nicht mehr? – Ha, wer wagte es, die Hand an dich zu legen, wer stürzte dich von deiner Höhe?«

Bei diesen Worten stampfte er heftig mit dem Fuße –

»Wer anders als jener elende Possenreißer, Molière ist sein Name!«

Er warf einen großen Blick über die im Frieden ruhenden Hügel dahin.

»Doch nein,« sezte er hinzu, und die schroffen ernsten Züge glätteten sich fast zu einem Lächeln. »Du bist noch wer du warst; wer hätte sich schmeicheln dürfen, dich von deiner Höhe herabzustürzen? Machtlose Angriffe thörichten Uebermuths! Ist die Welt für den einen Gauklerstreich, den sie sich gegen ihren Retter erlaubte, nicht genug gestraft durch deine jahrelange Zurückgezogenheit? geziemt Geistern wie dem deinigen, starre und selbstische Unversöhnlichkeit?« –

Er sank auf den nächsten Hügel hin, seine Thränen flossen.

»Was will ich?« rief er leise, gleichsam als dürfte es keiner der Schläfer umher hören; »wozu noch Stolz und Uebermuth? Lerne dich endlich einmal beugen, altes thörichtes Herz! – Ich bin ein getretener Wurm, der sich krümmt, er, der mich getreten, hebt mich liebreich auf, er gesteht, daß es ihm leid gethan – ist das nicht schon viel für eine Menschenseele? Er hätte mich völlig zertreten können und kalt vorübergehen – Tausende an seiner Stelle hätten es so gemacht und wären darum um keinen Grad geringer geachtet worden. Du kennst die Menschen, Alter – darum Vergebung! – Sein Haar ist grau, das deinige weiß – wir schlummern vielleicht Beide hier friedlich neben einander; darum Friede, jezt, da es noch Zeit ist.«

Er erhob sich und schritt langsam auf sein Häuschen zu.

»Wo nur der Gevatter Jean Baptiste heute« – er hielt inne und sezte erschreckend hinzu – »ha, der kommt nicht mehr – es naht statt seiner meinem Hause Molière – Fort!« schrie er und floh wie gescheucht auf den Kirchhof zurück – »fort, ich kann ihn nicht sehen, heute nicht – sagt, daß ich nicht zu Hause sey.«

Die lezten Worte und der lebhafte Ausruf des Alten hatten Claude, der eben angelangt war, herbeigelockt. Sohn und Vater lagen sich jezt in den Armen. Der Leztere fragte nach einer Pause:

»Wo ist er? Du hast ihn wohl mitgebracht, mein Sohn?« –

»Wen meint Ihr, Molièren?« –

»Still,« entgegnete Tristan, »nenne ihn nicht so, es ist ja Jean Baptiste, mein Freund, wo weilt er?« –

»Ach,« seufzte der Jüngling, »wäre er nur hier. O mein Vater, meine Brust beklemmen dunkle Ahnungen, er litt, als ich ihn zulezt sah, so heftig an geistigen und körperlichen Schmerzen, die er meinem Auge vergeblich zu verbergen strebte. Dürfte ich nur zu ihm, mit Gewalt würde ich ihm meine ärztliche Hülfe aufdrängen!«

Der alte Tristan sah seinen Sohn mit verwildertem zornigen Blicke an.

»Unglücklicher!« rief er, »was sagst Du da? – So wenig also bist Du durchdrungen von der Würde unsrer ewigen göttlichen Wissenschaft, daß Du es wagst, ihre Segnungen einem Unwürdigen anzutragen, einem Elenden, der sie verschmäht und lästert? Geh, Du bist nicht mein Sohn!« –

Claude wandte sich auf einen Moment unwillig weg, doch siegte die kindliche Achtung und Zärtlichkeit über die Aufwallungen seines gekränkten Freundschaftsgefühls.

»Mein Vater,« sagte er, »Ihr selbst könntet nicht ihm Hülfe versagen, wenn er Euch darum anspräche.«

Tristans Miene nahm den Ausdruck des feierlichsten Ernstes an; er fand es für gut, seinem Sohne bei dieser Gelegenheit seine eigensten Grundsätze und Ansichten merken zu lassen.

»Du bist im Irrthum, junger Freund,« rief er, »kann ich jenes Mannes Betragen ihm vergeben, wo er mich als Mensch beleidigt hat, so wäre es dagegen die keckeste Vermessenheit von mir, eine strafbare Milde walten zu lassen, da wo er es gewagt hat, mich als Repräsentanten der Wissenschaft anzugreifen. Nein, mein Sohn, hier ist mir auf immer eine Schranke vorgezogen, und käme er in den Fall, welchen übrigens der Himmel verhüten wolle, daß er eines Arztes bedürfte, dieser Spötter, und könnte dann mein herrliches, bewundernswürdiges Elixir ihm schnelle Hülfe zusichern, in der That, es würde mich schmerzen – allein die Würde meines beleidigten Standes verböte mir strenge, an seinem Lager zu erscheinen. Ja, ich würde sogar Dich, meinen Sohn, von allen Deinen Pflichten der kindlichen Liebe und des Gehorsams freisprechen, erblicktest Du mich jemals, so tief herabgesunken von meiner Höhe, am Lager Molière's, dieses Spötters und Verächters unsrer Kunst.«

Claude umarmte den Alten.

»Mein Vater,« rief er, »ich würde, wenn ich Euch dort sähe, Euch um so herzlicher lieben, um so höher achten.«

Tristan hörte mit dem höchsten Unmuthe diese Worte, sie erschienen ihm als Anzeichen einer tiefen unheilbaren Verblendung, die sich des Jünglingsgeistes bemächtigt hatte. Er sah in ihr die Folge jener sinnlosen Neuerungen, die sich, seitdem er den Schauplatz verlassen, in das Heiligthum der Wissenschaften eingeschlichen hatten und ihre festesten Stützen zu untergraben drohten. Sein kummervolles Herz erseufzte schwer. Indem er den Sohn in den geweihten Bezirk seines Schreibzimmers einführte, unternahm er es, ihm einige der wichtigsten Erfahrungen und Ergebnisse seines reichen Lebens mitzutheilen, um durch so bewundernswürdige Beispiele an der Bekehrung des jungen Mannes zu arbeiten; leider hatte jedoch der alte Schwärmer zu seinen Erörterungen die übelste Zeit gewählt: Claude's Gedanken, mit der fernen Geliebten beschäftigt, entflohen den bestäubten Pergamentbänden, und keine, auch die tiefsinnigsten Sprüche des Hippocrates und Galen vermochten ihn zu fesseln.

———————

Die Darstellung des » Malade imaginaire« war angesagt worden, und Paris erwartete mit Ungeduld das Wiederauftreten Molière's nach Verlauf einer ziemlich langen Pause, während welcher einige von den lezten, den Dichter betreffenden Ereignissen als Gerüchte sich im Umlauf befanden. Die genauern Freunde des Dichters befanden sich in ängstlicher Spannung, man mußte fürchten, daß die Übelgesinnten sich Luft machen würden in irgend einer dem Verläumdeten sowohl als seinem Anhange angethanen Kränkung.

In der Krankenstube unsers Freundes lagen auf den Stühlen umher die einzelnen Bestandtheile seiner Maske für den heutigen Abend. Marcella, oder, wie sie sich lieber nennen hörte, Jeanneton, die Einzige, der der Zutritt zum freiwillig gewählten Gefängnisse ihres Gebieters gestattet war, hatte öfters durch die halboffene Thüre des Nebengemachs gelauscht, ob sie nicht endlich zur Handleistung ihrer Dienste herbeigerufen würde, denn schon hatte die Glocke des nahen Thurmes den baldigen Beginn des Schauspiels angekündigt, und noch immer saß der Dichter in seinem Nachtgewande im Lehnsessel, das Haupt, dessen blasse Züge unbeweglich starrten, auf den Arm gestüzt, die ganze Gestalt zusammengesunken. Jezt hob sich plötzlich die Brust gewaltsam, ein dumpfes Stöhnen entquoll seinen Lippen und er preßte die Hand anhaltend an die linke Seite. Marcella trat herein; sie blieb stehen und schüttelte das Haupt. Da das laute Sprechen ihr untersagt war, rief sie die ihrer Ansicht nach jezt sehr nöthigen Mahnungen vor sich hin.

»Den Rock anzuziehen, die alte Hülle abzustreifen, kostet uns gewiß eine Viertelstunde, die zweite wird nöthig seyn, um die köstlichen blauen Strümpfe mit der gehörigen Nettigkeit und Glätte am Bein zu befestigen – der Kopfputz wird ebenfalls auch nicht das Werk von einer Sekunde seyn und – ei ei, wir haben nur eine halbe Stunde zum Beginn der Vorstellung. Oder sollten wir diesmal, was wir noch nie gethan haben, das Publikum auf uns warten lassen?«

Molière richtete den Blick langsam auf die Alte – »Du hast Recht,« rief er, »es muß seyn. Wer fragt den alten Possenreißer, ob er Lust hat oder nicht! – So gib mir denn die Narrenkappe.«

Die Garderobe-Meisterin war völlig ihrem Amte gewachsen. Ihr Mitgefühl zu dem erkrankten Herrn verlor merklich an Stärke, als sie sah, daß er wiederum Theilnahme zeigte am Putz. Sie faßte nicht die Fülle des tiefen Leides, welche in jenen wenigen Worten lag, die der Arme ausstieß in dem Moment, als die bunten Kleider ihm angelegt wurden. Ohne Willen, einer Gliederpuppe gleich stand er da und ließ sich mit ihnen behängen; nur wenn sein Blick sich zufällig in den gegenüberhängenden Spiegel verirrte, schauderte er zusammen, wie vor dem Anblick eines Gespenstes.

»Ich muß Euch loben,« rief Marcella, »Ihr seyd mir noch niemals so gehorsam gewesen; seht aber auch nur, wie Euch diesmal der Rock unvergleichlich kleidet – halt! o ich unbedachtsame alte Närrin – da fehlen ja die beiden Büchsen mit Medikamenten, welche Ihr in der Tasche Eures Unterkleides haben müßt! – So, da habt Ihr sie – o, unvergleichlich – wenn ich Euch so ansehe, muß ich lachen.«

Sie blickte in das Antlitz und rief erschrocken: »Nein, ich kann doch nicht lachen – um Gott, was habt Ihr da für ein fatales Gesicht!« –

Und in der That, unter dem possenhaften Putze schaute sie ein Leichenantlitz an. Kaum vermochte sie den Wankenden zu halten; als der Anzug vollendet war, sank er in seinen Stuhl zusammen. Die Alte stand still und faltete die Hände. –

Draußen von der Gasse hörte man Musik heraufschallen, zugleich jubelnde Stimmen; von Neuem tönten Glockenschläge.

»Wir können heute nicht spielen,« bemerkte Marcella, in der Gewohnheit, sich als eine Person mit dem Dichter zu betrachten, »so wie wir dasitzen, können wir keine Spässe machen. O du heilige Veronika und du gebenedeiter Antonius! In der That, wir müssen in den Pallast schicken und absagen lassen. O Himmel, wer kann denn Possen treiben, wenn einem vielleicht schon gar auf der Lippe da –«

Molière heftete einen langen Blick auf die Sprechende.

»Vollende nur,« rief er, »was Du sagen willst. Wenn einem auf der Lippe schon der Tod schwebt! – Du hast es getroffen, Alte. – Ja, mir ist zu Muth, wie dem Sterbenden nur seyn kann; es will mir scheinen, als sollte jezt Alles ein Ende nehmen. Nicht wahr, Marcella, das ist Euch zum Lachen?«

Die Alte sank tief erschüttert auf die Knie.

»Nein, nein,« rief sie, indem sie ihre Hände in einander schlug – »das ist nicht zum Lachen, des Menschen lezte Augenblicke sind furchtbar heilig und ernst.« –

Molière blickte vor sich hin.

»Das habe auch ich geglaubt; – sieh, Alte, ich dachte mir, in solchem Augenblicke müßte der Mensch – der alte sterbende Mensch noch einmal alle seine Lieben um sich versammeln: dort das Weib seiner Jugend, hier den Freund, der mit ihm durch's Leben gegangen und nun weint, daß der Genosse sich früher losreißt – dann die Kinderschaar, liebende Geschwister – ach, und wie die Namen alle heißen mögen, die der Mensch so gerne spendet, weil sie einen so herrlichen Glanz haben; siehst Du, so starb mein guter Vater. Mit mir ist es anders – horch, wie sie mich rufen, die entsetzlichen Töne! Was will die Menge, die die Gasse hinaufeilt? – den alten Mann will sie sehen, Marcella, der wahnsinnig genug ist, mit seinem grauen Haar zu spielen, der mit den elenden Lügen auf der Lippe noch unter Larven herumscherzt, indeß der Schreiner schon die Bretter zusammenschlägt zu seinem Sarge. In der Stunde, Marcella, wo des Herrn Gericht über mich kommt, möchte ich nicht auf der Bühne seyn; mag seine Hand, bin ich reif zu meinem lezten Augenblicke, mich fassen, wo es ihm gutdünkt, nur nicht dort, nur nicht auf der Bühne!«

Er hatte bei diesen Worten die Hände gefalten, sein Haupt war tief gesunken, die bleichen Lippen bewegten sich. Als die bestimmte Stunde jezt schlug, erhob er sich völlig gefaßt, die einzelnen noch fehlenden, geringfügigen Stücke des Anzugs legte er selbst an.

Chapelle trat herein und schloß den Freund in die Arme.

»Wie freue ich mich, daß ich Dich schon völlig gekleidet und so rüstig finde! Was man mir noch gestern von Deiner Krankheit gesagt, verursachte mir nicht geringe Sorge; allein ich sehe, Du hast nur eine Studie zu Deinem Malade imaginaire machen wollen.«

»Immer der heitre, besorgliche Freund!« rief Molière; »doch nun komm, laß uns eilen. Ich habe Manches gut zu machen und möchte nicht die Leute durch langes Wartenlassen in noch üblere Laune bringen.«

Sie gingen. Die Stimmung, in welcher die alte Marcella zurückblieb, war keine freudige. Sie blickte durch das Fenster ihrem Herrn nach, wie er mit seinem Begleiter Platz in der Sänfte nahm, sie verfolgte diese bis oben, wo die Träger um die Straßenecke bogen. In der ungestörten Einsamkeit, die jezt im Gemache herrschte, brachte sie ihr Andachtsbüchlein hervor und begann mit lauter Stimme einige Psalmen abzusingen, die sämmtlich fromme Ermahnungen enthielten, die Eitelkeiten der Welt zu fliehen und gegen ihre Versuchungen sich zu wappnen. Nie hatte die tugendhafte Gascognerin zu diesem Troste ohne die entschiedenste beruhigende Wirkung ihre Zuflucht genommen; selbst in der Periode ihrer jugendlichen Zerstreuungen, wo oft irgend eine kleine verliebte Neckerei ihren Kopf schwindeln machte, war der Sturm bald beschworen, wenn sie mit lauter Stimme die ersten Strophen jenes Psalms singen durfte, der schon in ihrem elterlichen Hause ertönte und auch da in Bedrängnissen mancher Art immer Ruhe schaffte.

Völlig getröstet legte sie das Buch hin, um die Zeit, die ihr noch vor der Zurückkunft ihres Herrn übrig blieb, zu einem äußerst nöthigen Gange zu benutzen, dessen Zweck sie stets sorgfältig vor Molière verbergen mußte; nämlich es mußte das geleerte Döschen mit einem neuen Vorrath magenstärkender Pillen gefüllt werden. Sie puzte die Lampe, schürte das Feuer im Kamin und verließ die Stube, indem sie ein schwarzes Mäntelchen gegen die Nachtluft umgeworfen hatte.

Als sie die Gasse betrat, erblickte sie im ungewissen Lichte, welches der verdeckte Mond warf, eine Gruppe von drei Gestalten, die sich langsam auf sie zubewegte; es war ihr, als hörte sie stöhnen. Indem standen jene stille, die eine von den Dreien kam eilig auf sie zu; Marcella erkannte an der Kleidung eine Nonne aus dem Orden der barmherzigen Schwestern. Es gaben sich diese Religieusen damals in Paris mit der Pflege der Kranken ab, auch fielen ihrer Obhut alle jene Unglücklichen anheim, die auf der Straße und öffentlichen Plätzen ein hülfloser Zustand erfaßt hatte. Die Nonne wandte sich mit einem ängstlichen Tone der Stimme an Marcella:

»Wer Ihr auch seyd, liebe Frau, helft uns einen armen Mann zu geleiten, der heftig erkrankt ist; unsre Kräfte sind erschöpft, wir haben ihn von der Mauer des Klosters der Benediktiner, wo wir ihn fanden, bis hieher in die Straße Richelieu fast mehr getragen als geführt.

»Ehrwürdige Schwester,« entgegnete Marcella, »legt es mir nicht übel aus, wenn ich Euch meine Hülfleistung abschlage; allein ich habe einen Herrn, dem ich diene und der sehr böse seyn würde, wenn ich von meinem kleinen Gange, auf dem ihr mich jezt treffet, nicht zu gehöriger Zeit wieder heimkehrte.«

»Könnt Ihr so hart seyn!« rief die Nonne; »soll denn der Arme, den wir nicht weiter geleiten können, auf der Straße sterben? Er hat wohl nicht weit mehr zu den Seinigen.«

»Seinigen?« wiederholte Marcella spöttisch, »glaubt doch das nicht; ein Landstreicher mag er seyn, ein Trunkenbold, dem schon recht geschieht, wenn er einmal dem Verkümmern nahe gebracht wird.«

Sie machte sich mit diesen Worten vom Arm der Nonne los, die Neugier trieb sie jedoch, indem sie die Straße hinaufeilte, einen Blick auf den Kranken zu werfen. So eben drang sein lautes Stöhnen zu ihr herüber. Diese Töne in der schauerlichen Stille der dunkeln Straße erfüllten sie plötzlich mit Angst und Schrecken, sie wurde inne, daß ihr die Stimme nicht fremd war. Jezt fiel auch ein Lichtstrahl aus dem geöffneten Fenster eines Ladens über das Antlitz des kranken Mannes, der an einem Eckstein der Straße lehnte – es war Molière.

Mit einem Schrei stürzte die alte treue Magd zu seinen Füßen; sie faßte den völlig Bewußtlosen und trug ihn mit Anstrengung aller ihrer Kräfte zu dem Hause, welches sie eben verlassen hatte; die frommen Schwestern folgten. Oben angelangt, ward der Kranke auf's Ruhebett gelegt.

»Bleibt bei ihm, bewacht jeden seiner Athemzüge!« rief Marcella; »ich eile, einen Arzt aufzutreiben, in wenig Minuten bin ich wieder da.«

Sie stürzte fort und die Nonnen sezten sich stille, die eine zum Haupt, die andere zu den Füßen des Lagers nieder und huben an, ihre Rosenkränze abzubeten. Indessen erwachte der Ohnmächtige, er schlug die Augen auf und blickte im Zimmer umher; er sah es leer, unbeweglich saßen die schwarzen Gestalten vor ihm – dennoch war es sein Zimmer, er fühlte die stille wohlthuende Umgebung, nicht mehr blendete ihn der grelle Schein der Lichter, nicht mehr starrten ihm die tausend gleichgültigen Gesichter entgegen. Er schloß die Augen wieder und ein Zug friedlicher Ruhe glättete die bleiche Stirn. Er machte Versuche, sich zu erheben; die Schwestern leisteten ihm Beistand.

»Warum hat man mich so allein gelassen?« fragte er; »kommt Niemand, mir die Augen im Tode zuzudrücken?«

Die Nonnen schüttelten auf diese Fragen das Haupt.

»Wir kennen Euch nicht,« entgegneten sie, »wir wissen nicht, wer Eure Angehörigen sind; wir werden, wenn Ihr sterbt, Euch den christlichen Liebesdienst erweisen.«

»Fremde Hände, Gott!« seufzte der Sterbende. – »So hat mich denn Alles verlassen, auch Du, alte treue Marcella, auch Du! – ach wie fürchterlich bitter ist mein Tod! – allein, allein! –«

»Ihr seyd nicht allein,« rief die eine Nonne, indem sie das Kruzifix emporhielt, »es ist Euer Gott und Herr, der mit Euch ist.«

Molière nahm das heilige Bild und küßte es. – Von Neuem regten sich die Zuckungen in seiner Brust, er stieß einen lauten Schrei aus. –

»Gebt mir Papier, ich muß an mein Weib, an meine Freunde schreiben.«

Er erhielt das Geforderte, doch der Bogen entglitt seiner sterbenden Hand.

»Holt einen Priester, Schwester Rosalia,« rief die eine Nonne, »Ihr hört, er bedarf seiner – doch wartet lieber, bis die Magd kommt, ich kann nicht mit ihm allein bleiben. Hat denn der arme Mann Niemanden, der ihm angehört?«

»Er wird sterben unter unsern Händen,« entgegnete Schwester Beata mit gleichgültigem Tone, indem sie sich im Zimmer umsah. »Er scheint wohlhabend, das Geräthe umher ist nicht ärmlich, wie er nur heißen mag?« –

»Ich bin zu neu in Paris,« nahm Rosalia das Wort, »als daß ich schon alle Häuser kennen sollte. Bemerke den kostbaren Spiegel dort, Schwester Beata.« –

»Weltlicher, sündiger Putz, Rosalia! Doch wenn ich von dem Geräthe umher mir etwas wählen dürfte, so nähme ich eine jener goldenen Kelche, die dort durch die Glasthüre des Schränkchens leuchten, das gäbe ein hübsches Geschenk für den Pater Guardian.« –

»Oder für Dich selbst!« nahm Rosalia das Wort; »sprich doch die Wahrheit, seit wann hättest Du aufgehört, Wohlgefallen an solchen blitzenden zierlichen Sächelchen zu haben, und wer weiß, was geschieht; die Verwandten und Erben sind oft in ihrer Freude ganz besonders zur Mildthätigkeit gestimmt, ist erst der Todte aus dem Hause. Man kann schon in solchem Falle die Bitte um ein besonderes Geschenk wagen, versteht sich, immer zum Besten unsers armen Klosters.«

»Die Leiche aus einem solchen Hause,« hub Beata an, »das schon zu den angesehenern gehört, bringt uns hundert Francs ein, davon gehen jedoch für das Leichenhemde, welches das Kloster liefern muß, zwanzig ab.«

»Ich sehe nicht ein,« entgegnete Rosalie, »weßhalb dieses Hemde von so sehr feinem Stoffe zu seyn braucht, es wird ja doch von den Verwandten nicht genommen; man verkauft es unter der Hand.«

»Närrin!« rief Schwester Beata, »wer wird Leichenhemde kaufen? Hast Du jemals einen glücklichen Handel der Art geschlossen?« –

»Und weßhalb sollte ich dieses nicht?« war Rosaliens Antwort in einem empfindlichen Tone; »ich habe viele arme Bräute gekannt, die sich glücklich schäzten, so wohlfeilen Kauf's ein gutes Stück Leinewand zu ihrem Brautkittel zu erhalten, und die wenig darnach fragten, ob es ursprünglich bestimmt gewesen, mit einem Todten zu Grabe zu gehen. Es ist Alles eitel in dieser Welt, Beata!«

Das Röcheln des Sterbenden unterbrach dieses Gespräch, man sah ihn unter den heftigsten Krämpfen sich winden, ein Blutstrahl entquoll seinem Munde. Als der Anfall nachließ, schien auch das Leben entflohen.

Die Eine der barmherzigen Schwestern hatte seine Hand gefaßt, um den Puls zu prüfen; nach einer Pause winkte sie ihrer Gefährtin, indem sie rief:

»Es ist aus mit ihm, wir können nun wieder gehen.«

»Ich verlasse dieses Zimmer nicht,« war die Antwort, »bevor Jemand kommt. Man könnte glauben, wir hätten Einiges von den herumliegenden Sachen mitgehen heißen. Ja, ja, die Welt steckt heutzutage gar zu tief im Argen, selbst den Bräuten Christi traut man nicht mehr.«

Marcella's Tritte im Vorsaal wurden jezt gehört; sie trat athemlos in's Zimmer, hinter ihr ein ältlicher Mann in der Tracht der Fakultät.

»Ach, Himmel sey mir gnädig!« rief die treue Magd, als sie den blutigen Körper erblickte; »es ist zu spät, er ist todt! O Tag des Entsetzens!«

Sie warf sich am Bette nieder. Der Arzt vernahm den Bericht der Klosterfrauen, er prüfte selbst, und auf seinem Antlitz, das Marcella mit starrem Blicke beobachtete, zeigte sich bald der Ausdruck völliger Hoffnungslosigkeit.

Indem flog die Thüre auf: mit geschminkten Wangen, noch in der völligen Theaterkleidung stürzte Báron herein; er wechselte einige Blicke mit Marcellen und dem Arzte, und als auf diesem Wege die erschütternde Nachricht ihn erreichte, drängte er sich heran, faßte die kalte Hand des Todten und rief mit herzzerreißendem Ausdruck des Schmerzes:

»Molière, Molière, mein Vater, stirb nicht früher, als bis Du mir verziehen! Vernimm, vernimm! O Gott, er hört mich nicht!«

Vom Lager nicht weit entfernt kniete die Molière; in ihrem Auge, das sie nicht aufzuschlagen wagte, zitterten Thränen.

Eine tiefe Stille herrschte im Gemach – da hörte man die Thüre gehen, und im langen schwarzen Mantel, das Sammetkäppchen auf dem Haupte, stand der alte Doktor Hippocrate Dieu-donné auf der Schwelle: in seinen dürren Händen hielt er das in silberner Kapsel enthaltene Lebenselixir. Alle Blicke richteten sich auf die seltsame Gestalt, die Niemand kannte: er aber winkte, daß man ihm Platz machen möchte, und schritt zitternd zum Sterbelager.

»Ich komm«, tönten seine leisen Worte, »Euch meine Hülfe anzubieten, Molière – erkennt mich – erkennt den alten Tristan, Jean Baptiste! Es hat ihm einen schweren Kampf gekostet, aber er ist doch gekommen! Da, nehmt mein Heilmittel, Freund! ein Tropfen davon auf Euren Lippen und Ihr seyd genesen.« –

Der junge Arzt trat hinzu.

»Alter Herr!« rief er mit ernster Stimme, »wer Ihr auch seyd, hier ist jede Hülfe zu spät; seht Ihr nicht, daß Ihr eine Leiche vor Euch habt?« –

Tristan warf einen kalten, verächtlichen Blick auf den Sprechenden.

»Eine Leiche?« rief er, »und was nennt Ihr eine Leiche? Ich sage Euch, er lebt, er weiß es, daß ich jezt vor seinem Bette stehe, seht Ihr, wie ein glänzender Zug von Befriedigung um seine Lippen schwebt? Er sieht mich – obgleich sein Auge geschlossen ist, er hört meine Worte, obgleich nicht mehr mit dem irdischen Sinneswerkzeug. Ich eile ihn vollends zu erwecken, er muß zum Leben erstehen, mir, mir gehört er, ach, ich kann nicht ohne ihn leben!«

Die Versuche des Alten, sein Heilmittel in Anwendung zu bringen, wurden von den Umstehenden vereitelt. Jezt sah man Chapelle, den Marschall von Vivonne und den jungen Claude erscheinen. Sie wagten es nicht, Jene vom Sterbelager zu verdrängen, die gegründetere Ansprüche auf den Verstorbenen hatten und deren Busen außer dem Schmerze noch eine geheime Schuld drückte, die ihren Zügen das richtende Gefühl der Scham einprägte. –

Selbst Chapelle zählte sich zu diesen; er tadelte sich bitter, seine Sorgfalt um den Kranken nicht zu einer schärferen Prüfung seines Zustandes gesteigert zu haben. Mit tiefer Rührung verhüllte er sein Antlitz. Dem Marschall, der ihn zu trösten suchte, erwiderte er:

»Ich kenne den Werth meines Verlustes; Paris hat einen seiner größten Männer, ich aber habe einen Freund verloren!«

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Der Tod Molière's erregte die größte Bewegung; jezt erst schien man zu bemerken, wer der Mann gewesen, der den Schauplatz so eilig und so unerwartet verlassen hatte. Noch lauter erhoben sich die Stimmen als man erfuhr, daß von Seiten der Geistlichkeit dem Verstorbenen die lezte Ehre des Begräbnisses versagt worden sey. Die erbittertsten Feinde des Dichters, die dem Lebenden gerne jede mögliche Kränkung zugefügt hätten, vereinigten sich in dem Spruche, daß diese Rache an dem Todten zu nehmen unwürdig und grausam sey. Dennoch bestand das Gesetz, welches den öffentlichen Komödienspielern jene Ehre verweigerte; hinter dieses Gesetz, welches jedoch schon häufig Ausnahmen und willkürliche Einschränkungen erlitten hatte, konnte sich die Arglist verstecken und sie that es auch. Dem schmerzvoll bereuenden Freunde blieb es vorbehalten, hier einen schönen Sieg zu erkämpfen.

In ihrem Putzgemache, beschäftigt mit einer modischen Lektüre, saß die schöne Marquise Anna Luisigny, als gegen die Mittagstunde unangemeldet der Schauspieler Báron vor ihr stand. Die Dame schreckte auf, nie hatte sie ihren Freund mit dieser Miene, in dieser Haltung gesehen. Aufgelöst glänzten die dunkeln Locken um sein bleiches Antlitz; der Strahl der Augen leuchtete verzehrend, die Lippen bebten – der Schritt, mit dem er sie verfolgte, als sie vor ihm in die Vertiefung des Zimmers floh, war schwankend.

»Hippolyt!« rief sie endlich, als jener das Schweigen nicht brach; – »was ist Euch! wie kommt Ihr zu dieser Stunde und unangemeldet in mein Gemach?«

»Es bedarf,« entgegnete seine dumpfe Stimme, »dieser armseligen Vorsichtsmaßregeln nicht mehr. Ich komme, um auf immer von Euch Abschied zu nehmen; vorher wage ich es jedoch, Euch noch eine Bitte vorzulegen, deren Erfüllung Ihr nicht abschlagen dürft.«

Sie blickte ihn lange und durchdringend an.

»Abschied nehmen?« rief sie; »und weßhalb? was ist geschehen?«

»O, eine Kleinigkeit,« entgegnete er mit einem höhnenden Gelächter, »nichts von Bedeutung. Ich will nämlich ein anderer Mensch werden, die Tugend fängt an mich zu interessiren. Ich war ein niederträchtiger Bube, und möchte gern ein Stück von einem ehrlichen Manne werden.«

Anna hatte wieder ihren Platz eingenommen, sie reichte ihre schöne Hand dem Jünglinge, in, dem sie lächelnd rief:

»Also ein Scherz, eine Bizarrerie – geht, wie Ihr mich erschreckt habt! – Nun erzählt, jezt will ich Euch anhören und lachen.«

Bárons Blicke loderten auf.

»Lachen!« rief er mit einer Stimme, die völlig fremd klang; »lachen und immer nur lachen! O über dieses schöne Saitenspiel, bringt es nur diese Mißtöne hervor? – Ja, ich will Euch eine komische, seltsame Geschichte erzählen. Gestern Nacht lag ich, es war die fürchterlichste Nacht meines Lebens, am Busen einer Leiche; diese Leiche war einst mein Freund gewesen, ich hatte ihn schändlich verrathen, sein Tod war mein Werk und doch hatte er mich geliebt – mich mit Wohlthaten überhäuft. Wie ich so an dem starren Busen lag und mit blutendem Herzen um Vergebung flehte, da – o, es war schrecklich! – da zuckte es um die bleichen Lippen und ich hörte die Worte: Dem Verräther keine Vergebung! O, nicht wahr, Ihr fühlt Mitleid mit mir, Ihr hättet sehen sollen, wie ich die Rolle des Verzweifelnden trefflich spielte!«

»Seltsamer Mann!« rief Anna, »Ihr verwirrt mich, was ist an Eurer Erzählung Wahrheit, was Erdichtung?«

Báron verbarg sein Haupt in die Hände und man hörte ihn weinen. Anna verließ ihren Sitz, sie wußte nicht, was sie zu dem Auftritte sagen sollte; es herrschte eine ängstliche Pause.

»Ich möchte vergehen vor Wehmuth,« hub der Klagende von Neuem an; »auf eine ganz neue, unerhörte Art möchte ich der Welt meinen Schmerz, meine Reue zeigen. Ein Brandmaal sollte meine Stirn furchen; es müßte, wer mich sähe, rufen: Dieser war es, der den besten, edelsten Freund verrieth, der das Weib seines Wohlthäters verführte und endlich damit endete, den Erzieher seiner Kindheit, seinen zweiten Vater öffentlich zu verhöhnen. Ha! wie er mir gestern noch entgegentrat; sein Auge gütig und ernst auf mich gerichtet, kein Vorwurf entglitt den bleichen Lippen, und dennoch erröthete ich unter der Schminke. Ich suchte ihn auf, ich wollte ihm zu Füßen fallen; doch er war früher fort, als er gewöhnlich pflegte, leise hatte er sich fortgeschlichen, um fern von uns, fern vom Anblick derjenigen, die sein Herz brechen gemacht hatten, zu sterben. Wie ich kam, lag die stumme Leiche da. – O, diese Stunde wird mich noch wahnsinnig machen!«

Anna ließ sich zu dem Verzweifelnden nieder; so hatte sie ihn noch nie gesehen; er erschien ihr in seinem Schmerze unendlich liebenswerth. Sie faßte jezt den Inhalt seiner Klagen.

»Ich bedaure Euch!« rief sie; »allein das ist auch Alles, was ich hiebei thun kann.«

»Fluchwerthe Lüge,« fuhr der Jüngling in seiner Selbstanklage fort, »wie hast du dich in dieses Herz so fest eingestohlen! Jahrelang konnte ich ihm gegenüber die niedrigsten Künste der Heuchelei ausüben. An seinem Herzen durfte ich ruhen, und schmiedete Plane, dieses Herz zu durchbohren! Doch, ich bin erwacht; – ja, ich will mich seiner Freundschaft werth machen, so lange will ich streben und kämpfen, bis ich das Zürnen seiner Manen besänftigt habe.«

»Heilsame Entschlüsse!« rief Anna; »wie oft habe ich Euch nicht schon Betrachtungen der Art vorgelegt!«

»Ihr?« höhnte der Jüngling, »thatet Ihr das? O, dann war es wohl nur ein holder Scherz, wie er oft auf Euren schönen Lippen schwebt. Wie könntet Ihr zur Tugend rathen und doch dabei die Freundin eines Schurken bleiben?«

»Mäßigt Euch!« drohte Anna, und ihre Wangen überzog eine dunkle Röthe.

»Wozu Mäßigung? wen habe ich zu schonen?« rief Báron heftiger. »Es ist völlig aus mit uns. Oeffnet Eure Thüre jenem schleichenden Bertram, lockt sie alle zu Euch, diese glatten Schlangen, buhlt mit allen zugleich! mich sollt Ihr diese Schwelle nicht mehr betreten sehen. Und was würde Euch auch der Jüngling seyn können, der nicht mehr schmeichelt und lügt, der Euch nicht mehr mit tändelnden Liederchen in den Schlaf singt oder die dunkeln Bilder verscheucht, die mitten aus den berauschenden Wellen der Lust auftauchen? War Euch der lasterhafte Báron ein angenehmer Gesellschafter, so fürchte ich, der tugendhafte könnte Euch nur Langeweile machen.«

Anna hatte sich abgewendet, sie vermochte in der Aufregung, in welcher sich ihr Gemüth befand, nicht zu antworten. Báron erfaßte ihre Hand.

»Wenn ich zu weit gegangen bin,« rief er mit sanfter Stimme, »so vergebt mir; in der That, der Schmerz hat meine Sinne zerrüttet, Ihr habt noch nicht das Schrecklichste gehört.«

»Noch mehr Mißhandlung also!« rief Anna, »was soll ich noch hören?« – Sie verhüllte ihr Antlitz. »Ja, ich leide verdientermaßen, ich Thörin, wie konnte ich mich in Eure Hände geben! Doch ist denn Niemand da, mich zu retten?« –

Sie wollte in's Nebenzimmer enteilen, Báron vertrat ihr den Weg.

»Fürchtet nichts mehr, schöne Frau,« hub er nach einer Pause an, »nicht für mich bitte ich, nein, für jenen Todten nehme ich Eure Huld in Anspruch; gewiß, es ist das lezte Mal. Man hat Molièren das ehrenvolle Begräbniß verweigert! Der Mann, vielleicht der edelste und beste in Paris, soll mit dem Fluche des niedrigsten Verbrechers beladen werden; das lezte Lager, das Menschenhände für Menschenruhe bereiten, das Lager, auf dem auch das müde Haupt des Bettlers ausruhen darf, man entzieht es ihm; nicht genug, daß diese Frommen ihn verwundet haben mit ihren Skorpionsstichen während seines Lebens, auch in den Schooß der Erde verfolgen sie den Unglücklichen; der Gesang des Priesters verstummt vor ihrem Drohen, das Gebet wird zum Fluch, der geweihte Schooß der Kirche verschließt sich dem neuen Ankömmling, alle die köstlichen und süßen Zeichen von Priesterweihe und Gnade, an die sich der Schmerz der nachgelassenen Lieben kettet, um Trost zu saugen, vernichtet ein einziger höhnender Machtspruch. O, denkt Euch, Anna, das Entsetzen, den Jammer, die Stätte eines geliebten Todten suchen zu müssen unter den faulen Ueberresten der niedrigsten Verbrecher, unter dem Auswurf der Menschheit!«

»Ein unvermeidliches Schicksal!« rief Anna; »der Stand, dem er angehörte, entschuldigt diese harten Maßregeln.«

»Kein unvermeidliches Schicksal,« entgegnete Báron; »ein Wort von Euch, schöne Anna, und das Mißgeschick ist besiegt.«

»Was könnte ich thun? Ist es in meine Macht gegeben, die Gesetze der Kirche umzustoßen?«

Des Jünglings Wangen glühten, seine Stimme nahm an Kraft zu, als er rief: »O, Schmach unserm großen Jahrhunderte, daß von solchen Gesetzen noch die Rede seyn darf. An welchem Zwecke stimmen unsere großen Dichter ihre unsterblichen Gesänge an, wozu die prangenden Systeme unserer Philosophen, die geläuterte Lehre unserer Priester, wenn noch so beschimpfende Vorurtheile an unserm edelsten Leben haften dürfen? Ist das das Frankreich, welches die Fesseln dunkler Jahrhunderte siegreich von sich schleudert und zugleich einem seiner größten Männer das Begräbniß verweigert, weil er ein Schauspieler war? Doch nein, vergebens verbirgt sich die feige Tücke hinter dem durchlöcherten Schild alter Vorurtheile. Sie wollen nicht, diese Pfaffen; und darum dürfen sie nicht. Ihr fragt, Anna, was Ihr thun könnet! – Alles, Alles vermöget Ihr – nicht umsonst sind die Seelen dieser Heuchler in Eure Hände gegeben, nicht umsonst spielt Ihr mit diesen Götzen, vor denen ganz Paris zittert. Wendet nur einen Theil der Gewalt an, die in dem Zauber Eurer Schönheit Euch verliehen, und Frankreich ist von einem Schimpf befreit; eine tändelnde Bitte, halb hingeworfen unter traulichem Geflüster, und es öffnen sich fern von hier die Thore des Kirchhofs zu St. Joseph, um einen stillen Gast einzulassen, der so lange wartend davor steht, bis es Euch gefällt, das Zeichen zu geben. Ja, Anna, ich sehe es Euren schönen Augen an, Ihr seyd gerührt, Euch dauert der Arme, der selbst im Leichentuche nicht Ruhe finden soll. Vergebt mir, Geliebte, die Worte, die Unmuth und Schmerz mich ausstießen ließen. Glaubet mir, ich kenne Euch besser: nur um geschehenes Unrecht zu vergüten, drohendes abzuwenden, habt Ihr Euch diesen Elenden, die Ihr verachtet, angeschlossen. Beweiset dieses jezt, Anna; noch heute besucht Euch der Erzbischof – er kommt – gewiß in guter Laune, weil sie jezt alle aufathmen, da die Geißel ihrer geheimen Schwächen nicht mehr ist – benuzt diesen sanften Augenblick bei dem mordsüchtigen Tiger! Laßt ihn nicht früher aus diesem Gemache, bis er das schimpfliche Verbot zurückgenommen.«

»Ihr beurtheilt meine Macht zu günstig, Hippolyt.«

»Zu günstig,« rief Báron, und in seinen Zügen lag jene gewinnende Zärtlichkeit, die den Ausdruck seiner männlichen Schönheit so sehr erhöhte, »bin ich etwa mit dieser Macht unbekannt, weiß ich etwa nicht, wie viel sie vermag, Anna?«

»Ihr vergeßt,« rief Anna mit Befangenheit, »wie schwer durch jenen Molière die Empfindlichkeit des Erzbischofs gereizt ist – noch mehr sind seine Diener und Freunde beleidigt. Gebt der Wittwe den Rath, daß sie sich an den König wende.«

»Der König ist gegenwärtig nicht in Paris; langsam und beschwerlich wäre dieser Weg, zum Ziele zu gelangen,« entgegnete Báron; »und auch selbst der König könnte als abhängig in diesem Falle erscheinen. Nein, Anna, verstellt Euch nicht länger, zürnt mir nicht wegen einer kindischen Uebereilung! Ihr seyd im Innern schon längst entschlossen, thut es nun auch kund!«

Er sank bei diesen Worten zu den Füßen der Dame, sein Antlitz drückte er unter Küssen und Thränen an ihre Hände. Anna hob den Verzweifelnden vom Boden auf.

»Wie Ihr mir nur heute erscheint!« rief sie, und ihre Stimme verrieth ihre Bewegung; »zuerst verlezt Ihr mich, dann schmeichelt Ihr wieder mit gleichem Ungestüm – unwiderstehlich reißt Ihr mich in Eure stürmische Aufregung mit hinein. Wohlan, ich will die Bitte wagen, doch stehe ich nicht für den Erfolg.«

Báron schloß die schöne Frau entzückt in seine Arme, erröthend wandte sie sich von ihm ab.

»Eilet, verlasset mich,« rief sie, »erinnert mich nicht länger durch Euren Anblick, wie thöricht ich wiederum gehandelt. Geht, triumphirt über die Schwäche des Weibes, die erst geduldig die Mißhandlungen eines zornigen Knaben erduldet, um ihm nachher desto bereitwilliger ihre Dienste anzutragen. – In der That, es ist Zeit, daß wir uns trennen; lebt wohl!«

Sie erhob sich, und Thränen glänzten in ihrem Auge, sie wollte dem Jüngling ihre Hand entziehen, doch dieser drückte sie desto fester an seine Brust.

»Nicht im Zorn, Geliebte,« rief er, »dürfen wir von einander scheiden; bei dem Angedenken des Todten, für den Du heute bittest, Anna, versprich, daß Du mir nicht zürnen willst!«

Sie antwortete nicht, ihre Hand aus der des Jünglings lösend war sie verschwunden. Mit den getheilten Gefühlen des Schmerzes und der Dankbarkeit blickte ihr der Zurückbleibende nach.

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Der Erzbischof von Paris hatte die Erlaubniß ertheilt, Molière's Leiche auf dem Kirchhofe zu St. Joseph zu bestatten, jedoch mit der Bedingung, daß der Zug in der Nacht aufbreche.

Dieses Mittel, die Theilnahme des Publikums an der Feierlichkeit zu verhindern, machte sie im Gegentheil um vieles größer. Zahllose Schwärme versammelten sich in der Straße Richelieu und in den anstoßenden Gassen und Plätzen um Molière's Haus. Man sah Damen von Stande am Arme ihrer Begleiter die Tragsessel verlassen, um in die Nähe des Zuges zu kommen, Mütter hoben auf ihren Händen die Kinder empor, indem sie ihnen zuriefen: »Was Ihr jezt sehet, davon werdet Ihr in spätern Zeiten zu erzählen wissen!« Da Fackeln und Lichter untersagt waren, so sah man die Gruppen im Schimmer des Mondes, der in dieser Nacht sein Licht in besonderer Klarheit und Fülle ausströmte.

Jezt zeigte sich der Sarg, ragend über die Häupter der Menge; er war offen und in ihm ruhte die Leiche mit unbedecktem Antlitz. Der Mond verklärte die bleichen Züge, ein Lorbeerkranz schmückte die Locken. Stille herrschte in der gedrängten Menge, jedes Auge hing an dem Todten, man hatte noch vor wenig Tagen das Antlitz, das jezt so kalt und regungslos den Strahl des Mondes zu trinken schien, gepuzt und unter Scherzen auf der Bühne gesehen. Welches Gemüth, selbst das roheste, hätte nicht den schneidenden Gegensatz fühlen sollen, der in dieser Betrachtung lag!

Von ihren weiblichen Verwandten umgeben, folgte die Molière, die Schauspieler der königlichen Truppe machten den Hauptbestandteil des kleinen Zuges aus; von seinen Gefährten etwas abgesondert erschien Báron: seine Schritte wankten, sein Auge sah starr auf den Boden. Unter den nähern Freunden des Dichters, die, ohne zum Zuge zu gehören, freiwillig ihm das Geleit gaben, zeigten sich der Marschall und Charlot. Claude und seine Geliebte waren zurückgeblieben; auf ihre Seele hatte der Schmerz mit doppeltem Gewicht sich gesenkt.

Als die Leiche des Dichters an dem Ort ihrer Ruhe angelangt war, wurde ein frisch aufgeworfener Hügel sichtbar; er befand sich dicht neben dem Grabe Molière's und unter seiner Hülle ruhte Tristan. Wenige Stunden nach dem Tode seines Jean-Baptiste war auch Hippocrate Dieu-donné in jene Gefilde übergegangen, deren Geheimnisse während eines langen Lebens der Gegenstand der Forschungen eines so mächtigen und durchdringenden Geistes gewesen waren. So ruhte er neben dem Manne, der von seinem erbittertsten Feinde sein treuer Gefährte und innigster Freund geworden war.

Als die Menge den Kirchhof wiederum verlassen hatte und in der tiefen Stille der Mondnacht sich im weiten Umkreise kein Wesen blicken ließ, öffnete ein junger Mann das Gitterthor, näherte sich dem Grabe Molière's und kniete darauf nieder, indem sein Blick lange auf die finstern Schatten geheftet blieb. Dieser Jüngling war Racine.

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Es ist noch von Claude Tristan's fernerem Schicksal zu erzählen; es war ein glückliches. Den fortgesetzten eifrigen Bemühungen des Marschalls von Vivonne wich endlich das finstre Vorurtheil des Raths Bertier. Er ertheilte Madelainen seine Einwilligung. Zu seiner Sinnesänderung trug mit die Ungnade bei, in die der Jesuit Bertram durch entlarvte Ränke gefallen war. Claude's Glück durch des Marschalls Fürsprache, so wie durch seine eigene Tüchtigkeit, war bald entschieden. Er war dazu bestimmt, den Namen Tristan in der That zu jener ehrenvollen Berühmtheit zu bringen, den sein Vater nur in seinen phantastischen Träumereien als sich gebührend betrachtete.

Der junge Charlot wurde nicht Schauspieler; Molière's Schicksal, besonders sein Tod, hatten auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht, er sah ein, daß die Berühmtheit oft mit den bittersten Schmerzen und den größten Opfern erkauft werde.

Bárons Namen nennen die Annalen des Theaters der damaligen Zeit mit der ehrenvollsten Auszeichnung; er wird als derjenige bezeichnet, dessen Charakter sowohl als Talent ihn berechtigten, unter den Schülern des großen Meisters den ersten Rang einzunehmen.

Molière's Wittwe heirathete nach Verlauf eines Jahres einen jungen Schauspieler der königlichen Truppe, mit dem sie eine glückliche und zufriedene Ehe führte.

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Druck der Offizin der J. G. Cotta'schen Buchhandlung
in Stuttgart.

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