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4. Liebeslieder.

Solang es nicht eine greise Jugend gibt, wird stets das Liebeslied die Blume der Lyrik sein. Durch alle Teile gegenwärtiger Darstellung des deutschen Volksgesangs ziehen sich Erzeugnisse desselben, die in irgend einer Form die Liebe zum Inhalt haben; die Lieder der Liebe haben aber auch ihr eigenes Gebiet, ihre besondre Heimatstätte, wo sie wachsen und woher sie stammen, und auf diesem Boden sollen sie jetzt erfaßt und zur Beschauung gebracht werden.

Die ersten Spuren volksmäßiger Liebeslieder in deutscher Sprache zeigen sich in Verbot und Verwerfung weltlichen Gesangs. Schon der Bekehrer Bonifazius erklärt Reigen der Laien und Gesänge der Mädchen in der Kirche für unerlaubt. Ein Kapitular Karls des Großen von 789 bestimmt, daß die Nonnen keine Winelieder schreiben oder ausschicken sollen dürfen, auch nicht von ihrer Blässe durch Aderlaß. Wine heißt Freund, Geselle, die Glossen erklären Winelied als weltliches Volkslied, und es können darum, ohne Rücksicht auf den Inhalt, gesellige Lieder so benannt sein; daß aber die den Nonnen verbotenen Lieder verliebter Art waren, läßt doch der Zusammenhang der Gesetzesstelle kaum bezweifeln. Otfried, Mönch zu Weißenburg, um 870, sagt in der lateinischen Zueignung seines deutschgereimten Evangelienwerks, er habe solches auf Bitten einiger frommen Männer, besonders aber auf das einer achtbaren Witwe, unternommen, welchen die Üppigkeit und Leichtfertigkeit weltlicher Gesänge zum Ärgernis gereicht. Mit ähnlichen, nur noch stärkeren Ausdrücken sind in Kirchengesetzen desselben Jahrhunderts Tänze und üppige Lieder auf den Straßen und in den Häusern gerügt. Vom Anfang des 11. Jahrhunderts, wenn nicht älter, ist jener Liebesgruß an Ruodlieb, in welchem, mitten aus dem Mönchlatein, Lieb und Laub, Wonne der Vögel und Minne deutsch und volksmäßig hervorbrechen. Die dürftigen Anzeigen des ehemaligen Liebesliedes im Volke setzen sich lange nicht bis zu dem Zeitpunkte fort, von welchem an, um die Mitte des 12. Jahrhunderts, der ritterliche Minnesang in aufblühender, fast zwei Jahrhunderte fortwuchernder Fülle sich entfaltet. Dieser Minnesang ist Kunstdichtung im Geist eines einzelnen Standes, er ist aber zugleich das bedeutendste Zeugnis von der volksmäßigen Unterlage, die auch ihm nicht mangeln konnte, von der Beschaffenheit eben jenes vorangegangenen und sonst nur äußerlich angezeigten Volksgesanges. Die Anknüpfung an letztern vermittelt sich durch die einfache, selbst im Reime noch unvollkommene Form und die sinnliche Frische der ältesten Minnelieder, wie sie unter den Sängernamen Kürenberg, Aist u. a. auf uns gekommen sind. So künstlich der Minnesang sich weiterhin ausbildete, so blieb ihm dennoch ein Wahrzeichen angestammter Natürlichkeit in der bald tiefer empfundenen, bald herkömmlich fortgeübten Versetzung der inneren Stimmungen mit den Wandlungen der Jahreszeit. Sein überreicher Liedervorrat kann in dieser Hinsicht auf wenige Grundzüge gebracht werden. Das Einfachste ist, wenn der Sänger sich freut und zur Freude auffordert, daß die glückliche Zeit des Frühlings und der Liebe wieder angebrochen, sodann wenn er das Scheiden dieser schönen Tage betrauert, überhaupt wenn seine Gemütsstimmung mit der Farbe der Jahreszeit zusammentrifft; eine zweite Weise beruht auf dem Gegensatze, wenn der Liebende in der lichten Zeit trauern muß oder in der trüben sich glücklich fühlt, und dieses geht endlich dahin über, daß er, einzig in seiner Liebe befangen, sich über die Jahreszeit und ihren Wechsel gänzlich hinwegsetzt, aber auch hiebei noch des Naturlebens zum Widerhalte bedarf. Im reinen Stile dieser Minneweisen wird auch aller Aufwand der Darstellung, aller Preis und Schmuck der Geliebten lediglich der heitern Frühlingswelt entnommen; die schöne Frau selbst ist die edelste Blüte, die rechte Maienrose, alle Reize der Jahreszeit warten auf sie und vollenden sich in ihr, erst in der Liebe wird die Lenzeslust vollkommen. Einfach in Anlage und Farbengebung, arm in der Wiederkehr desselben Hauptgedankens, ist der Minnesang um so mannigfaltiger in Wendungen und Formen, durch welche der Grundton durchgespielt wird, und innerlich reich in der unerschöpflichen Herzenslust, die so langehin so viele zum Gesange trieb. Jenes regelrechte Einerlei der Minnedichtung wird aber auch dadurch gebrochen, daß die in ihr verbundenen Elemente, Inneres und Äußeres, sich zwar nicht gänzlich voneinander lossagen, aber jedes überwiegend nach seiner Seite hinarbeiten und so auf der einen an geistiger Entwicklung, auf der andern an natürlicher Lebensfülle gewonnen wird. Diese beiderlei Richtungen, deren Ansätze schon frühe zu bemerken sind, erlangen ihre vollständige Vertretung in zwei liederreichen Dichtern aus der blühendsten Zeit des Minnesangs, Reinmar dem Alten und Nithart. Ersterer zeigt sich bereits um 1194, in einem Lied auf den Tod Leopolds von Österreich, als gereiften Sänger, Nitharts Dichtweise muß nach einer Anspielung Wolframs von Eschenbach vor 1220 schon namenkundig gewesen sein; auch er sang am Hofe der Österreicher. Obgleich nun Reinmar sich den Altmeistern des 12. Jahrhunderts anreiht, sind es doch unter der großen Zahl seiner Minnelieder nur wenige noch, in denen auf Sommer und Winter Bedacht genommen ist, unter den wenigen aber solche, worin er sagt, daß, wenn Sie nicht helfe, Sommer und Winter beide ihm allzu lang seien, oder daß er mehr zu tun habe, als Blumen zu beklagen. Seine Lieder sind fast blumenlos, aber reich der sinnigsten Herzensworte: er vor allen steigt nieder in die Tiefe des Gemüts, ja, er spricht von einem Gedankenstreit in seinem Herzen. Zwar sind es wirklich noch Gedanken des liebenden Herzens, war aber einmal der sinnliche Schmuck hingegeben, die Beschäftigung im Innern angeregt, so kam man von der farblosen, unmittelbaren Empfindung zum nackten Gedanken, die Betrachtung wandte sich in Reinmars sinnverwandten Nachfolgern immer mehr auch auf andere Angelegenheiten als die der Minne: dem Geist einer neuen Zeit war auch im Gesange der Weg gebahnt.

Nitharts zahlreiche Lieder beginnen fast ohne Ausnahme mit Bildern des Jahreswandels von lebhaftem Farbenspiele. Hieran schließen sich gewöhnlich, wie bei andern, die verliebten Empfindungen des Dichters; diese betreffen aber eine Dorfschöne und sind nur der Übergang zum Hauptinhalte der Lieder, Darstellungen aus dem Leben der üppigen Dörper, Dorfknaben, Dorfsprenzel, Getelinge, des fruchtbaren Tulnerfeldes, mit denen er in mancherlei Eifersucht und Hader kommt, deren Maientänze und andere Vergnügungen in Sommer und Winter, nebst dazu gehörenden Schlägereien, er in kräftigen, reichausgestatteten Gemälden vorführt. So wie diese Lieder, deren Art vielfache Nachfolge fand, durchaus in den Kunstformen des Minnesanges gedichtet sind, so haben sie auch, des volksmäßigen Gegenstandes unerachtet, höfische Bedeutung. Sie gehören der idyllischen Gattung an, welche den höheren Ständen das Vergnügen gewährt, sich mitunter in die natürlich freiere Bewegung des ländlichen Lebens zu versetzen, ohne daß damit der vornehmern Stellung etwas vergeben wirb. Nitharts Dorflieder belustigten den Hof zu Wien auf doppelte Weise: die Hoffart, der scheelangesehene Kleiderprunk, die linkische Verliebtheit der Bauern nahm sich in den Formen des höfischen Sanges ebenso ergötzlich aus, als die zierliche Sprache des Frauendiensts und die Überzartheit des Minnelieds in der Anwendung auf die Töchter des Gäus. Immerhin aber bekunden die Lieder dieses Stils eine Hinneigung zum Volksmäßigen; manche, namentlich die auf den Maientanz bezüglichen, verzichten mehr oder weniger auf die parodische Richtung, oder geben sich völlig rückhaltlos der allgemeinen Volkslust hin. Der Kunstsänger wird von seinem Stoff überwältigt, die Bauernschaft erobert den Hof. Walther von der Vogelweide, jüngerer Zeitgenosse Reinmars, älterer Nitharts, gleich ihnen wohlbekannt am Hofe zu Wien, klagt über ungefüge Töne, die das »hofeliche Singen«, die rechte, sittige Freude, von den Burgen verdrängen; meint er damit, wie zu glauben, die Nithartsweise, so sagt er nicht mit Unrecht: bei den Bauern ließ' er sie wohl sein, von daher sei sie auch gekommen.

Die eigentümliche Mischung des Naturgefühls und der verliebten Scholastik des Ländlichen und des ritterlich Höfischen im Minnesang erklärt sich aus der Lebensweise und den gesellschaftlichen Bezügen des Standes, in dem er üblich war. Die Stände waren im deutschen Mittelalter sehr augenfällig geschieden und abgestuft, tiefer liegen die mannigfachen Fäden der Verbindung und Vermittlung. Was dem Standesrechte nach so scharf trennte, Freiheit und Unfreiheit, flocht zugleich, als Dienstverhältnis, die genauesten Bande. Das weite Land bedeckten größere und kleinere, im Hofrecht verbundene Haushalte, aus dem Herrn und seinen Dienstmannen, samt den Angehörigen beider, bestehend. Die Dienstleute, Ministerialen, teils in der unmittelbaren Umgebung des Herrn, teils auf dem zugewiesenen Gute lebend, stammten aus dem untersten Stande der Unfreien, waren selbst unfrei, hatten sich aber dennoch zu solchem Einfluß und Ansehen heraufgearbeitet, daß eben sie die zahlreiche Sippschaft des niedern Adels bildeten. Diesem Dienstadel gehörten vorzugsweise diejenigen Dichter an, die als tonangebende Meister des Minnesangs auftraten; der Frauendienst in ihren Liedern war eine dichterische Fortbildung und Vergeistigung des angeerbten Hofdienstes. Die mitsingenden Herren, Grafen, Fürsten, bis zum König und Kaiser, huldigten dadurch einer ritterlichen Sitte, und auch die Formen der Lehenspflicht wurden im Minnesang angebracht. Je mehr das Dienstwesen, das zugleich ein Schutzverhältnis war, um sich griff, um so stolzer gebarten sich die wenigern, die sich desselben noch erwehrt hatten, die freien Herren, die nicht vor dem Kaiser aufstanden, die »starken« Städte, die freien Landsassen. Wo noch ausnahmsweise eine nicht dienstbare, wohlhabende, wehrhafte Bauernschaft aufrecht war, da stand sie zwar mit dem Adel in keiner Gemeinschaft, reizte vielmehr seine Eifersucht, aber sie bewegte sich rüstig und lebensfroh neben ihm, sang ihre Lieder und sprang ihre Reigen ihm vor der Nase. Die hier ausgehobenen Zustände begründeten für den Minnesang einerseits den höfischen Zuschnitt und die parodische Behandlung des Dorflebens, sie erhielten aber auch andrerseits den Natursinn und einen noch in der Verspottung fühlbaren Hang zur freieren Volkslust. Der Adel wohnte so gut im Freien, als das Landvolk, von seiner Burg aus hörte man den Gesang der Vögel im nahen Holze oder auf der alten Linde vor dem Tor. Die Jagd war seine Kurzweil, Tanz und Spiel hatten keinen Gelaß in der engen Burgstätte. Ritterliche Herren und Dienstleute, freie und dienstpflichtige Bauern hatten ein Gemeinsames, das Leben in Feld und Wald, die Ländlichkeit. Geht auch schon im ältesten Minnesange das Ländliche Hand in Hand mit dem Höfischen, so ist doch die Hofsitte, als künstliche Zubildung des einzelnen Standes, für das Spätere, der frische Naturhauch für das Frühere anzunehmen. Der Gesang hielt gleichen Schritt mit der Gestaltung des geselligen Lebens. Bevor noch die Ministerialen ihrem Stamme, den »armen Leuten« (Rechtsalt. 312), entfremdet waren und am Herrenhofe den Prunk und die ritterliche Zierlichkeit der Staufenzeit sich eingenistet hatte, kam dem Zusammenleben auf dem Lande noch mehr ein hausväterliches Gepräge zu, wie solches an der Grenze des 10. und 11. Jahrhunderts durch die idyllischen Schilderungen im Ruodlieb, jenem Gedichte mit dem Frühlingsgruße, bezeugt wird und noch vielfach in den Weistümern seine Spur gelassen hat. Ebenso überwog gewiß auch im Liede das Gemeingültige, Natürliche. Dieser Voraussetzung entspricht eine geschichtliche Erscheinung von andrer Seite. Der provenzalische Minnesang, dessen erste Urkunden etwa fünfzig Jahre älter sind, als diejenigen des deutschen, heftet, gerade wie dieser, den Ausdruck der Empfindung an den Wandel der Jahreszeit. Über einen der älteren Troubadoure, Peter von Valieres aus Gascogne, besagen die Nachrichten der Liederbücher: Er sei ein Spielmann gewesen und habe Lieder gemacht, wie man sie damals machte, von armem Gehalt, von Blättern und Blumen und vom Gesange der Vögel, weder seine Gesänge haben großen Wert gehabt, noch er selbst. Ähnlicherweise äußert einer der frühesten nordfranzösischen Minnesänger, Thibault von Champagne: Blatt und Blume taugen nichts im Gesange und können nur Leute mittleren Standes vergnügen. Beides weist auf alten volksmäßigen Gebrauch des Singens von Laub, Blumen und Vogelgesang. Der nordfranzösische Kunstgesang ist selbst erst ein Nachklang des provenzalischen, aber auch diesen, mittelbar oder unmittelbar, für das Vorbild des deutschen anzusehen, geht wenigstens nicht für die Auffassung der Natur an, welche nirgends mit solcher Neigung, Frische und Gründlichkeit durchgeführt ist, als bei den deutschen Sängern. Soweit unsre Minnelieder hinaufreichen, findet sich doch nirgends eine Anzeige, daß sie ein neuer, aus der Fremde gekommener Brauch seien, je älter, um so freier sind sie von ritterlicher Förmlichkeit, die allerdings von romanischer Seite sich den deutschen Höfen mitteilte; überall setzen sie das Singen von Mai und Minne als ein herkömmliches voraus, manche haben es frühzeitig schon hinter sich, und sobald, bei Nithart, das Landvolk hereingezogen wird, ist auch dieses schon völlig im Singen zu Tanz und Blumenkranz begriffen. Provenzalen und Deutsche führen also gleichmäßig auf einen ältern Volksgesang. Erstere gehen urkundlich vor, woher aber bei ihnen, in hohem und niedrem Stand, alle die wiederkehrenden Sängernamen deutscher Zusammensetzung? Nicht auf die einzelnen kunstfertigen Träger dieser Namen kann die Frage sich beziehen, wohl aber erinnert sie an die große Einbürgerung germanischer Geschlechter im Süden und stellt der spätern romanischen Einwirkung auf Deutschland eine frühere Stammtafel in umgekehrter Richtung entgegen. Die einfachste Ausgleichung des gegenseitigen Anspruchs gibt übrigens jener gemeinsame Grundton, der, über die Unterschiede des deutschen und romanischen, des ritterlichen und volkstümlichen Gesanges hinaus, ein naturgesetzlicher ist und als solcher nachhielt, soweit der Mensch mit dem gesamten Naturleben inniger verbunden blieb; mit und an dem erwachenden Frühling erfrischt sich Herz und Blut, die Zeit des Grünens und Blühens ist die Zeit der Jugend, der Liebe, des Gesangs.

Nachdem in deutschen Landen der höfische Minnesang verklungen war, fanden die Liebeslieder des Volkes von neuem Gehör und allgemeinere Geltung. Sie haben die gleiche natürliche Grundlage; zum Beweis aber, daß sie nicht ein Nachklang des abgestorbenen Kunstgesanges sind, knüpfen sie sich nicht an seine letzten Erzeugnisse, sondern berühren sich weit mehr mit der vorbemerkten Weise der ältesten Minnelieder, denen eben damit eine weitere Gewähr ihrer volkstümlichen Abstammung zuwächst. Diese Volkslieder sind nun ausführlich darzulegen, und der nur im Umriß vorangestellte Minnesang wird dabei auch in einzelnen Zügen sich verwandt und hilfreich erzeigen.

Die Jahreszeit ist den Minnesängern nicht bloß ein poetischer Widerhall der inneren Stimmung, im Leben selbst eröffnet ihnen der Sommer die glückliche Werbung, der Winter macht ihr ein Ende. Bald ist dies stillschweigende Voraussetzung, bald wird es bestimmter ausgedrückt. Wenn die Blumen den Sommer künden, sendet der Ritter Botschaft an die Erkorne und empfiehlt sich ihr »gen dieser Sommerzeit«; oder er freut sich ihrer Zusicherung, daß er »der Zeit genießen soll«; der Schönen selbst war, seit sie nicht mehr Blumen sah, noch den Sang der Vögel hörte, all ihre Freude verkürzt, ein versäumter Sommer wird zum voraus von ihr beklagt; der Sänger, der über die Jahreszeit sich hinwegsetzen will, bemerkt eigens, daß er auch über den Sommer hinaus diene. Freilich war nur eben der schönere Jahresteil die günstige Zeit, sich zwanglos nahe zu kommen, Verständnisse anzuknüpfen und wieder aufzunehmen, die Zeit des Blumenlesens und Kränzewindens, der Reigen und Ritterfahrten, aber im Grunde waltet dennoch jene belebende Lenzeskraft. Verbindungen für die schöne Jahreszeit kommen auch weiterhin, mehr volksmäßig, zum Vorschein. Ein Gedicht des 14. Jahrhunderts, mit dem Preise der süßen Maienwonne vor jeder andern Zeit des Jahres anhebend, erzählt von der Brunnenfahrt, die alsdann üblich sei; wenn der Mai mit seiner Kraft es bringe, daß aus dürrer Erde grünes Gras und lichte Blüte springe, wenn man die Vögelein in hohem Schall höre, die auch von ihrem Trauern erquickt seien, wenn Berg und Tal in reicher Wonne stehen, dann werde in einen Wald gezogen, Ritter, Knechte und schöne Frauen sammeln sich auf der Aue beim Brunnen, schöne Gezelte werden aufgeschlagen, Singen und Sagen, Tanzen, Rennen, Springen, alle Kurzweil werde da getrieben, auch nehme jedes eines Liebsten wahr, von dem es dahin gebeten sei, mancher gute Gesell finde dort die liebste Frau, nach der sein Herz sich lange gequält und vielmal gerechnet und gezählt bis auf den Tag der Brunnenfahrt, da sie ihm zu sehen worden, je zwei und zwei gehen sie dann mit Armen schön umfangen. Diese lustwandelnden Paare sind es, die anderwärts Maienbuhlen genannt werden. In einer frommen Betrachtung für Klosterfrauen aus dem 15. Jahrhundert wiederholen sich mehrfach in geistlichem Sinne die Vorstellungen vom »in Maien fahren« und vom »Maienbuhli«. Der Monat Mai war auch Badezeit, und es gehörte zu den geselligen Förmlichkeiten, daß die Badgäste sich ihre Maienbuhlen nahmen; dies ergibt sich aus einem Reiseberichte des Hans von Waldheim, der im Jahre 1474 zu Baden im Aargau das warme Bad gebrauchte: »Herr Hans von Emß bat mich zu Hause und tat mir viel Ehren und Gutes und gab mir seine Hausfrau zu einem Maienbuhlen.« Sprichwörtersammlungen des 16. Jahrhunderts gedenken einer Knappenehe, die im Mai geschlossen werde und nicht länger währe denn der Sommer; im Winter, da sie weder Haus noch Hof haben, laufe eines hier, das andre dort hinaus. Diese Maienehe erinnert an die Heirat in ein Blumenhäuschen. Man könnte sie lediglich für einen Hohn auf das leichtfertige Leben heimatloser Leute ansehen, wenn sie nicht in eine Reihe halbgesetzlicher Gewohnheiten einträte. Der merkwürdigste Gebrauch solcher Art sind die noch neuestens im Eifellande beliebten Mailehen (Mailienen). Am Abend des ersten Mai versammeln in einigen Dörfern sich die jungen Bursche auf dem Hauptplatze des Dorfes oder auf einer nahegelegenen Anhöhe, um sich die Mädchen zum Tanze bei den Kirchweihen und sonstigen Festen zu bestimmen; nach gepflogenem Rate ruft einer derselben mit lauter, fernhallender Stimme: »Der und die sollen Mailienen sein! seid ihr des alle zufrieden?« worauf die Gesellschaft in volltönendem Chore mit Ja! zu antworten hat. Ist keine Übereinstimmung vorhanden, und wird die Stärke der verneinenden Stimmen für hinreichend gehalten, so wird neuer Rat gepflogen, und ein neuer Ruf verkündet die neue Bestimmung, bis reiner, voller Zuruf die Einhelligkeit bekundet; auf ein allgemeines lautes Ja! wird dabei viel gehalten. Wie an diesem Tage jedem die Bahn geöffnet ist, diejenige Tänzerin sich zu erwerben, die er zu haben wünscht, so tritt auch für ihn die Verpflichtung ein, der Erworbenen das Jahr hindurch getreu zu sein, sie und keine andre soll er zum Tanze führen, nur mit ihm und mit keinem andern ohne seine Erlaubnis darf sie tanzen. Auch an einem Sittengerichte fehlt es nicht; ergibt sich, daß ein Mädchen, als sie bei der letzten Kirchweihe den Vortanz um die Dorflinde oder sonst wo mithielt, dieser Ehre nicht mehr würdig war, so wird die Linde oder das Geländer um dieselbe reingewaschen, auch das Pflaster ringsum aufgebrochen und erneuert. Die Verwandtschaft dieser ländlichen Mailehen zu dem ritterlichen Sommerdienste der Minnelieder ist nicht zu verkennen.

Das freudige Gefühl der Jugend und des Frühlings ersprang sich in Tanz und Ballspiel. Wie gewaltig der Tanz in das Leben eingriff, wie genau er mit dem Gesange verbunden war, ist hier nur in Beziehung auf das Liebeslied zu erörtern. Schon die alten kirchlichen Verbote lassen Tänze, üppigen Gesang und teuflische Spiele zusammen auf den Straßen vorgehn. Bei Nithart und andern Minnesängern, die mit dem Volke verkehren, hat die vielbetriebene Darstellung der ländlichen Tänze zur Maienzeit wieder einen gemeingültigen Zuschnitt, der ganz wahrscheinlich auch dem älteren Volkslied entnommen ist. Wenn die Vögel singen und die Linde laubt, dann wird alsbald der muntre Sumber (Handtrommel) und die helltönende Liederstimme vernommen, die zum Reigen unter der Linde rufen. Diese Klänge wirken zauberhaft auf die tanzlustigen Mädchen. Der Dichter selbst gefällt sich darin, der verlockende Sänger zu sein, das Mädchen hört ihn singen, ihr Herz spielt ihm entgegen vor Freuden, als woll' es toben, an seiner Hand will sie zur Linde springen. Die Mutter warnt, sie versagt die Feierkleider, es erhebt sich Wortwechsel und Streit, sie schlagen sich gar mit Kunkel und Rechen; das Mädchen erbricht den Kleiderschrein, bände man ihr den Fuß mit einem Seile, sie bliebe nicht, hin springt sie, mehr denn klafterlang; die Mutter selbst wird von Tanzlust ergriffen, wie ein Vogel schwingt sie sich auf; der Winter muß weichen, die Bäume, die grau standen, haben neues Reis, die Alte, die mit dem Tode focht, lebt auf, wie ein Widder springt sie und stößt die Jungen alle nieder. Gegen zwanzig Lieder von Nithart oder unter seinem Namen haben diese Anlage, so jedoch, daß die angeführten Züge mehr oder weniger vollständig, gelinder oder gewaltsamer hervortreten. Auch andere Sänger, in anderer Gegend, üben diese Form, und in einem Minnelied wird dieselbe schon bildlich verwendet, indem der Liebende von seinem ungeduldig fortstrebenden Herzen sagt, es tue der Tochter gleich, die ihre Mutter betrogen.

Über die Art und Weise, wie bei den Volksreigen der Gesang mit dem Tanze verbunden war, geben dieselben Dichter manche Andeutung. Schon auf dem Wege zum Tanzplatz wird gesungen. Nithart beklagt sich wiederholt über die Getelinge, die ihm Feiertags, von der Dorfstraße ab, durch den Anger liefen und die Wiesenmaht zertreten, besonders über einen, der nach Blumen zum Kranze sprang und dazu in einer hohen Weise seine Winelieder sang. Hier wieder die Winelieder, welche vierhundert Jahre früher den Nonnen verboten wurden; da der Blumenkranz zur Werbung beim Tanze gehört, so läßt sich auch hier auf verliebten Inhalt dieser Lieder schließen. Auch die Mädchen singen schon beim Auszug zum Maientanze. Der von Stamheim schildert einen solchen: Die Mutter selbst ist, nach vergeblicher Einsprache, dem Töchterlein zum Putze behilflich, die Gespielen scharen sich, als Maien führen sie einen Schleier mit angebundenen Spiegeln, darunter singt aus blütenrotem Munde ein wohlgeschmücktes Mädchen in süßer Weise vor, die andern alle singen nach, so eilen sie in das Tal vor dem Walde, wo der Ball geworfen wird und der Maientanz anhebt, den wieder eines der Mädchen mit seinen Gespielen vorsingt. Vorsingen und Vortanzen waren zwei hohe Ämter. Die Vortänzer gehörten zu den Rüstigen im Gäu und hatten in beim Reigen mannigfache Gewalt, die jungen Dörper führen blutigen Kampf darum, wer den Leitstab vortragen und damit den Tanz führen solle. Der Vorsinger wird ausdrücklich genannt, er dünkt sich etwas besondres zu sein, und wenn es auch für stattlich gilt, Geiger, Pfeifer und Sumberschlager beim Tanze vor sich zu haben, so erscheint doch der Gesang des Vorsingers oder der Vorsingerin wichtiger als das vor- oder nachgehende Geigenspiel. Die Nachsingenden hatten im Chore zu antworten, »die andern sungen alle nach«, und wenn auch ihr Anteil nicht genauer angezeigt ist, so fiel ihnen doch jedenfalls die Kehre zu, die bei Tanzliedern nicht leicht gefehlt haben wird, beim Aufschreiben derselben aber wegfallen konnte, da sie nicht eben an das einzelne Lied gebunden war, vielmehr mit diesem oft in sehr loser Beziehung stand. Jene zahlreichen Lieder von der tanzlustigen Tochter oder der Alten, die zum Tanze springt, waren durch ihren Inhalt und meist auch durch einfacheren, raschen Versbau wohl für den Reigensang geeignet, und es heißt am Schluß eines solchen Liedes: »Herr Nithart diesen Reien sang.« Einigen dieser Lieder ist in der Handschrift eine Kehrzeile beigesetzt; darf man nun für Stücke desselben Schlags auch gleichmäßigen Vortrag annehmen, so zeugt eben die vereinzelte Erscheinung der Kehre für die Vernachlässigung derselben in andern Fällen. Ein sonst nicht volksmäßiges Minnelied Hiltbolts von Schwangau, worin des Tanzes mit der Lieben gedacht ist, erweist sich damit auch zum Tanze bestimmt, daß es einen ländlichen, für sich bestehenden Kehrreim hat; auch die langen Tanzleiche Ulrichs von Wintersteten und des Tanhusers schließen mit einem Ausrufe, der bestimmt war, im ganzen Ringe rauschend widerzuhallen: »Schreiet alle Heia hei! nu ist die Sait' entzwei!« oder: »Heia nu hei! nu ist dem Fiedler sein Bogen entzwei!« oder auch: »Mein Herze muß mit der Sait' entzwei!«

Die Fortdauer des Tanzsingens, wie es bei den Minnesängern angezeigt ist, auch in den folgenden Jahrhunderten ergibt sich aus gleichzeitigen Sittenschilderungen. Im Renner um 1300 rühmt eine Bäurin von ihrem Sohne Ruprecht: Er sei ein »frommer Knecht«, trage sein erstes Schwert, einen hohen Hut und zwen Handschuhe, auch sing' er den Maiden allen zu Tanze vor! ebendaselbst heißt es: Jener sei der Maide Rosenkranz, dessen Stimme den Tanz wohl ziere; auch wird den jungen Mädchen ihre Vorliebe für den Trommelschläger vorgeworfen und von der Art des Tanzens gesagt, daß sie erst sachte antreten, dann aber aufspringen, als ob sie toben. Solch wildes Tanzen rügt etwa siebenzig Jahre später der Teichner als einen von den Bauern auf den Adel überkommenen Unfug: Zu Herrn Nitharts Zeiten hievor habe man viel neuer Unsitte mit Geberde und Gewand bei den Bauern gefunden, nun sei es aus der Bauern Hand an die Edeln gekommen; vormals habe man sachte tanzen gesehn, danach habe das Reigen sich erhoben, jetzt sei es nichts denn auf und nieder, er wisse nicht, wie er's nennen solle, doch vergleich' er's am besten dem Volke, das beim Weinpressen (Traubentreten?) auf und nieder hüpfe; noch gedenk' er wohl, daß einer im Reigen ein lauteres Glas voll Weines auf dem Haupte geführt, das fiele jetzt einem Tänzer schwer, der, vom Glase zu geschweigen, sich Mantel, Rock und Kugelhut (Kapuze) vom Halse schütteln könnte. Des Bechers auf dem Haupte gedenkt aber schon Nithart als einer von den Bauern nachgeäfften Hofsitte; Sigenot beut dem Dichter neckend seinen Becher, zieht ihn zurück, setzt ihn ans sein Haupt und schleift auf den Zehen hin, doch hat Nithart das Ergötzen, daß der Becher dem Tanzenden über Augen und Mund in den Busen stürzt. Eine geistliche Betrachtung in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts eifert gegen die Sünde des Tanzens überhaupt und insbesondre gegen den verlockenden Tanzgesang »der Frauenbilde«: Die Sängerinnen am Tanze seien Priesterinnen des Teufels und die ihnen antworten, seien seine Klosterfrauen, das Tanzhaus seine Pfarrkirche, die Pfeifer und Lautenschläger seine Meßner; die Tanzlieder seien gemeiniglich von üppigen, unkeuschen Worten und es sei jedem große, schwere Sünde, wer solche schandbare Lieder dichte oder singe, er müsse die Sünden auf seine Seele nehmen, die »aus den Liedern oder Sprüchen gehn«, darum werden auch oft die Dichter, Meistersinger und Vorsingerinnen durch schwere Strafen heimgesucht, was mit Beispielen belegt wird. Diese Sittenpredigt zeugt nicht nur von einem reichen Vorrat damals vorhandener Tanzlieder, deren Inhalt nur zu schwarzgallig angesehen wird, und von dem lebhaftesten Fortbetrieb des Tanzsingens, sondern es wird auch die Form des letztern als die altübliche bezeichnet, als Vorsingen und Antworten, d. h. Nachsingen oder Kehrreimsingen im Chore, auch werden zwei verschiedene Tanzarten genannt, der umgehende und der springende Tanz, das Tanzsingen aber vorzugsweise bei dem erstern abgehandelt. Noch am Ende des 16. Jahrhunderts (1598) gibt Neocorus in seiner Geschichte des Landes Dithmarschen eine genaue Beschreibung der Volkstänze, die hier bei einem langehin freien und an den Bräuchen der Vorfahren festhaltenden Bauernstand in Übung geblieben waren; er bemerkt, daß die Dithmarschen ihre Gesänge fast alle den Tänzen bequemt haben, und im Gegensatze des von fremden Orten neueingeführten Tanzens zu zweien (Biparendanz) schildert er die verschiedenen Arten des alteinheimischen langen Tanzes, darin alle, die tanzen wollen, der Reihe nach anfassen; dieser lange Tanz sei zweierlei, erstlich der Trümmekentanz (Trommeltanz), der sonderlich mit Treten und Handgebärden ausgerichtet werde, jedoch bei vielen nicht mehr im Gebrauche sei, dazu gehörige Lieder werden angezeigt; der andere lange Tanz gehe fast in Sprüngen und hüpfend, dieser Art seien die allermeisten dithmarsischen Lieder und Gesänge; nicht unfüglich könne jener der Vortrab und dieser der Sprung (er heißt auch anderwärts Springeltanz) genannt werden; diese langen Tänze werden also geführt. Der Vorsinger, allein oder unter Beistand eines Mitsingenden, stehe mit einem Trinkgeschirr in der Hand und hebe so den Gesang an, wenn er einen Vers ausgesungen, sing' er nicht fürder, sondern der ganze Haufe wiederhole den Vers, und wenn sie es dann soweit gebracht, da es der Vorsinger gelassen, heb' er wieder an und singe wieder einen Vers; wenn nun dergestalt ein Vers oder zwei gesungen und wiederholt, springe einer hervor, der vortanzen und den Tanz führen wolle, nehme seinen Hut in die Hand und tanze gemächlich umher, fordre sie damit zum Tanz auf, wohl auch mit einem Gehilfen, und darauf fassen sie der Reihe nach an; wie sich nun der Vortänzer nach dem Gesang und Vorsinger richte, so richten sich die Nachtänzer nach ihrem Führer, und zwar alle, wes Staates und Standes sie seien, in solcher Einigkeit, daß ein Vortänzer in die zweihundert Personen an der Reihe führen und regieren könne. Man sieht, die Bauern in Dithmarschen trieben das Tanzsingen damals noch ziemlich auf dieselbe Weise, wie die des Tulnerfeldes um den Anfang des 13. Jahrhunderts. Das Trinkgeschirr in der Hand des Vorsingers erinnert an Weinglas und Becher der Tanzenden bei Nithart und Teichner. Besonders merkwürdig aber ist, daß selbst der vorerwähnte Inhalt so mancher Nithartsreigen in einem dithmarsischen Liede, das als »Springel- oder Langetanz« bezeichnet ist, sich wiederfindet: Gegen die liebe Sommerzeit hört das Mädchen die Pfeifen gehn und die Trommeln schlagen, sie will zum Abendtanze, zum Spiel im Tale, kommt sie nicht dahin, so ist es ihr Tod, die Mutter mahnt ab und heißt das Töchterlein schlafen gehn, dann den Bruder wecken, daß er mit ihr gehe, alles vergeblich, die Tochter eilt zum Tanze, wo sie den Reuter findet, der sie mit einem Kuß empfängt. Der volksmäßigern Versweise unerachtet kann dieses Lied für einen Nachklang Nithartschen Sanges angesehen werden, worin das Mädchen immer auch an der Hand des Ritters zum Tanze springen will, was dort in der Verbindung des Höfischen mit dem Ländlichen besondern Anlaß hat, dem dithmarsischen Volksleben aber wenig ansteht. Daß jedoch Nithart selbst, wie oben vorausgesetzt wurde, die Grundform solcher Lieder dem Volke abgeborgt, ist um so glaublicher, als dieselbe Form auch im altfranzösischen, niederländischen und dänischen Volksgesang aufgewiesen werden kann. Der letztere wendet sich der ernsteren Ballade zu: Die Tochter bittet, zum Tanz in der Wachenacht gehen zu dürfen, was die Mutter ungerne gestattet, der König selbst tanzt dort seinen Hofleuten vor und reicht dem Mädchen die Hand zum Reigen, sie soll ein Liebeslied singen, aber ein solches will sie niemals gelernt haben, ein andres stimmt sie an, das hört die Königin auf ihrem Lager, erhebt sich und geht zum Tanze hinaus, der Tänzerin an der Hand des Königs reicht sie ein Horn mit Wein, kaum trinkt das Mädchen davon, so zerspringt sein unschuldiges Herz, hätte die Tochter dem Rate der Mutter gehorcht, es wär' ihr nicht so übel gegangen. In einem Gegenstücke hierzu erwacht die Königin vom Gesang eines Ritters, der am Tanz auf grünem Anger vorsingt, sie meint erst, eine ihrer Jungfraun schlage die Harfe, heißt dann alle aufstehen und den Rosenkranz aufsetzen, reitet mit ihnen hinaus und tanzt an der Hand des Ritters, muß aber dafür die Eifersucht des Königs erdulden und sitzt am Ende traurig in der Kammer.

Leichtern Mutes ist die aprillustige Königin (la regine avrillouse) eines Liedes in der alten Sprache von Poitou. Beim Eintritt der lichten Zeit, um Freude wieder zu beginnen und Eifersucht zu reizen, will sie zeigen, daß sie voll Liebeslust ist: sie läßt bis zum Meere hin alle Mädchen und junge Gesellen zum fröhlichen Tanz entbieten: anderseits kommt der König, den Tanz zu stören, denn er fürchtet, man möcht' ihm die aprillustige Königin stehlen: sie aber kümmert sich nichts um einen Greis, ein flinker Knappe vergnügt sie; wer sie tanzen sähe und den feinen Leib wiegen, der könnte mit Wahrheit sagen, daß nichts auf der Welt dieser freudigen Königin gleichkomme; »hinweg, Eifersüchtige, laßt uns tanzen mitsammen!« lautet der Kehrreim, hier wird im klaren, südlichen April getanzt, dort in den nordischen Balladen sind es die kurzen und heitern Mittsommernächte, in welchen der Reigen gefeiert wird; auch die Kehrzeilen anderer dänischer Lieder lassen den elfenartigen Tanz im Nachttau durchblicken. Selbst in einer isländischen Saga, deren Niederschreibung in das 12. Jahrhundert gesetzt wird, der Batnsdälasaga, findet sich ein Zug der Nithartslieder, die tanzlustige Alte: Ingolf, Thorsteins Sohn, dichtete Liebessänge, er war so schön, daß es in einem Liede hieß, alle jungen Mädchen wollten mit Ingolf tanzen, selbst das alte Weib mit zwei Zähnen im Munde; sterbend wünschte Ingolf, auf einem Hügel nahe am Wege begraben zu werden, damit die Mädchen des Tales um so länger seiner gedenken möchten.

Ein geistliches Reigenlied Thomas Blaurers um 1540, allegorische Umdichtung eines weltlichen, läßt vermuten, daß in letzterem die maienhaft geschmückte Reigenführerin ihren Gespielen vorsang; wie sie eben von einem Jungbrunnen herkomme, worin ihr runzliges Alter zu blühender Jugend gebadet und wiedergeboren sei; hier ist der Wunderquell doch wohl die verjüngende Kraft des Frühlings, frühmorgens im Mai äußerte der sagenhafte Jungbrunnen seine Wirkung. Am Schlusse des Liedes gibt die Vortänzerin ihren Blumenstrauß ab und singt dazu:

»der Nächsten an dem Reien
schenk'ich zur Letz'den Maien.«

Dies beruht auf einem weiteren Tanzgebrauche, wovon die beigesetzte Anmerkung Kunde gibt: Die Führerin des Reigens hat an ihrem Kranze noch besonders einen Strauß aufgesteckt, den sie, wenn sie geendigt, nimmt und dem Mädchen gegenüber reicht, um ihn aus dem Ringe zu werfen, einen andern Strauß nimmt sie von ihrem Busen und gibt ihn der nächsten am Reigen als ihrer Nachfolgerin.

Das Lauben der Linde ist bei Nithart die Losung zur Tanzfreude. Unter der Linde wird ja gereigt, sie gibt den Tanzenden Schatten. Nur erst drei Blätter grünen auf ihr, und schon springt nach einem alten Volksliede das Mädchen hoch auf:

»Drei Laub auf einer Linden
die blühen also wohl;
sie tät viel tausend Sprünge,
ihr Herz war freudenvoll,
ich gönn's dem Maidlein wohl.«

Auch darin äußert sich die unwiderstehliche Frühlingslust, daß selbst geistliche Personen von ihr hingerissen werden. Zwar ist eben diesen in der vorerwähnten Strafrede das Tanzen, des Ärgernisses wegen, zur Todsünde gerechnet, aber die Lieder finden es ergötzlich, auch heilige Leute zum Sprunge zu bringen. Schon Ulrich von Wintersteten ruft die Pfaffen mit den Laien zum Reigen. Ein altes niederländisches Tanzliedchen mit der Kehrzeile: »Hei! es ist im Mai, hei! es ist im frohen Mai!« singt vom Tanze des Paters mit dem Nönnchen. Im dänischen Kinderspielreime pflückt der Mönch am Sommertag Rosen und will die Nonne haschen, sie springt auf, leicht wie eine Feder, er kommt nach, schwer wie ein Stein, lustig tanzen die zwei. Noch der einsame Klausner hat seinen Frühlingstaumel:

»Da droben auf dem Hügel,
wo die Nachtigall singt,
da tanzt der Einsiedel,
daß die Kutt' in die Höhe springt.«

Der Tanzeifer wuchs mit der Menge von Antretenden. Alle Tanzfähigen eines Dorfes, Tales, eines weiten Umkreises strömten auf dem Anger bei der Linde zusammen, der Reigen bewegte sich auf freier Straße, ja er durchzog die Landschaft und rollte fortlaufend neuen Zustoß auf. Eines Sonntagabends, sagt die Überlieferung, fingen auf der Schloßwiese zu Greyers sieben Personen einen Ringeltanz an, die Coraula, wie sowohl der Rundtanz selbst als das Reigenlied hieß, einen Tanz, der erst am Dienstag morgens auf dem großen Marktplatze zu Sanen aufhörte, nachdem sich siebenhundert Jünglinge und Mädchen, Männer und Weiber für und für hatten einreihen lassen, daß das Ganze aussah wie ein Schneckenring; vom untern zum obern Greyerserlande hatte der gute Graf Rudolf mitgetanzt und mitgesungen, wenn er müde war, ließ er sich bei seiner Geliebten, der schönen Sennerin Marguita, durch einen seiner Knappen oder Junker vertreten, stieg zu Pferd und ritt dem im hüpfenden Kreise fortrollenden fröhlichen Zuge nach, bis er sich wieder selbst unter die Tanzenden mengte und seine Marguita herzte. Die harmlose Tanzfahrt verwandelt sich auch zum Heereszug und erobert feste Burgen; so in der hessischen Sage von dem Raubschlosse Weißenstein, das die Bauern unter dem Schein eines Schwerttanzes einnahmen, dann in zwei dänischen Liedern. Nach dem einen legen die Belagerer einer uneinnehmbaren Feste Jungfrauenkleider an, tanzen vier Tage lang vor und zurück, zuletzt auf die Burgbrücke, der Pförtner öffnet ihnen das Tor, sie tanzen aus und ein mit gezogenem Schwert unterm Scharlach, tanzen in den Wurzgarten, wo der Burgherr seine Todeswunde empfängt; nach dem andern tanzen schmucke Ritter und Frauen über Gass' und Brücke, einem Vorsänger nachsingend, auf das Schloß hinein, auch die Schwerter unterm Scharlach, noch niemals sah man Schlösser so mit dem Rosenkranze gewinnen. Alle diese sagenhaften Tanzzüge werden an Ausbreitung und innerer Erregung von einem geschichtlich beglaubigten überboten, dem Johannistanze, der im Sommer des Jahres 1374 am Rhein, an der Mosel und in den Niederlanden umfuhr. Namentlich Aachen, Köln, Metz, Mastricht, Lüttich, Tongern waren von dieser seltsamen Tanzplage heimgesucht. Männer und Frauen, jung und alt, Mädchen ihre Eltern und Freunde verlassend, liefen von Haus und Kof, von einer Stadt zur andern, hielten in stets wachsender Zahl auf den Straßen, in Kirchen und sonst an geweihten Stätten wilde Tänze, tummelten sich in rasenden Sprüngen, bis sie erschöpft niederfielen und ließen sich dann, um nicht zu zerspringen, mit Fäusten schlagen und mit Füßen treten. Der Taumel war überall ansteckend, brach Zucht und Sitte; zu Köln waren es mehr denn fünfhundert Tänzer und sollen mehr denn hundert Frauen und Dienstmägde nicht ehliche Männer gehabt haben. Die Tanzenden trugen Kränze, waren gegen das Zerspringen mit Tüchern und Knebeln gegürtet, sie wollten nichts Rotes sehen und kein Weinendes, bald war ihnen, als träten sie in einem Blutstrom einher und müßten darum so hoch springen, bald glaubten sie den Himmel offen zu sehen, oder riefen sie im Sprunge:

»Herre Sankt Johann, so so,
frisch und froh,
Herre Sankt Johann!«

Mau hielt dies für Besessensein vom bösen Geist und bediente sich dagegen der priesterlichen Beschwörung. Örtlich beschränkter wiederholte sich die Erscheinung im Jahr 1418 zu Straßburg, viele hunderte, Männer, Frauen, Kinder, von Sackpfeifern begleitet, tanzten und sprangen hier Tag und Nacht am offenen Markt und auf den Straßen, man nannte diese Plage Sankt Vits Tanz, und die Heilung wurde damit versucht, daß man die Befallenen nach den Kapellen des heiligen Vitus zu Zabern und Rotestein zum Meßopfer führte. Auch die Einwohner des Breisgaus und der umliegenden Gegend pflegten im 15. Jahrhundert am Vorabend des Johannistages nach der Veitskirche zu Vießen oder nach der Johanniskirche bei Wasenweiler um Schutz gegen diese Krankheit oder um Genesung von derselben zu wallfahrten. Den ganzen Juni hindurch bis zum Feste des Täufers empfanden die Tanzsüchtigen eine unüberwindliche Unruhe und irrten, von ziehenden Schmerzen getrieben, unstet umher, bis am ersehnten Tag ein dreistündiges Tanzen und Toben an den Altären jener Heiligen sie auf Jahresfrist von ihrer Qual befreite. Noch im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts wurde die Veitskapelle zu Treffelhausen in Schwaben alljährlich von Frauen besucht, die daselbst, von Musik angeregt, Tag und Nacht in Verzückung tanzten, bis sie erschöpft zu Boden stürzten und, wieder zu sich gekommen, der Unruhe frei waren, die sie einige Wochen lang vor dem St. Veitstage gequält hatte. Die Legende des heiligen Vitus bietet einigen Bezug zum Tanzwesen dar. Dieser fromme Knabe widerstand der Verlockung zum Heidentum, die durch Musik, Tanz und Spiel der Mädchen an ihm versucht wurde; in der Veitskirche zu Mühlhausen am Neckar, die gegen den Schluß des 14. Jahrhunderts erbaut ist, befindet sich ein Altarbild aus derselben Zeit, worauf, neben andern Darstellungen aus der Geschichte des Heiligen, ein lustiger Reigen (mit Musik und einem bekränzten Paar an der Spitze) herankommt, von dessen Anblick aber Vitus sich abwendet und in seine Kammer flüchtet: unter den etwas späteren Wandgemälden im Chor erscheint derselbe Gegenstand. Johannes der Täufer hüpfte mit Freuden im Leibe seiner Mutter. Ein loser Anhalt konnte hier ergriffen werden, denn die angeführten Beobachtungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, von Ärzten der Zeit aufgezeichnet, ergeben für sich schon naheliegenden Anlaß, den heiligen Veit und den Täufer Johannes zu Nothelfern zu bestellen, da gegen die ihnen geweihten Tage, den 15. und 24. Juni, der krankhafte Tanztrieb am heftigsten andrängte, wie er denn auch durch die Austobung bei ihren Kapellen heilende Genüge fand. Die Tanzplage von 1374 erhob sich, nach der Limburger Chronik, »zu Mitten im Sommer«, in den Niederlanden erschien sie in der Mitte Julis und währte noch im September und Oktober fort, aber sie kam dahin schon weiterher, war bereits zur Seuche geworden, die Ansteckung gab ihr längere Dauer, aber die Zeit des Ausbruchs ist schon durch den Namen Johannistanz angezeigt. Der Tanzreim der Springenden ruft auch den heiligen Johannes an, aber noch keineswegs zur Heilung, sondern im Jubel der vollsten Befriedigung: »Herre Sankt Johann, so so! frisch und froh!« Die Johanniszeit ist hier der Höhepunkt des Tanzrausches, der heilige, der im Mutterleibe sprang, nicht Bändiger, sondern Befreier des ungeduldig anstrebenden Dranges. Als Fest der Sonnenwende war der Johannistag überhaupt vom Volke gefeiert; die großen Reigen auf offener Straße waren, wie sich wiederholt ergeben, zumeist Abendtänze, wie nun bis zu Mittsommer die Abende wuchsen, so konnte bis dahin das Tanzwesen an Umfang und Überreiz sich steigern, weiter nördlich, in Dänemark, fiel ihm auch die kurze, milde Nacht anheim, Mitsommernacht (Wachnacht) war dort die bezauberndste Tanzzeit. Hauptsache bleibt jedoch stets die innere Ergriffenheit, durch Mitteilung und Wetteifer geschärft. Nithart schildert die Tanzanstrengungen eines jungen Dörpers im Dienste seiner Schönen: Wer Spielmann richtet sich, da nimmt sich Löchlin eine Jungfrau an die Hand, ju heia! wie er springt! Herz, Milz, Lung' und Leber schwingt in ihm sich um, er fällt in den Anger, daß ihm Ohren, Nas' und Maul von Blut überwallen, zu beiden Seiten sieht man sein Herz heftig klopfen, ihn hat gedünkt, als wären sieben Sonnen am Himmel und lief' er um wie ein gedrehter Topf, ihm schwindelt' es um den Kopf und er meinte zu versinken. Ein gutes Vorspiel zu einem Johannistänzer, die Schilderung gilt zwar einem Weihnachtstanz, aber was soll erst am grünen Holze werden! Die eigentliche Tanzzeit fällt immerhin in das schöne Jahr, wann die Töchter den Müttern davonspringen, wie es auch die Kölner Chronik vom Johannistanze sagt. Die Tanzlust ist ein Teil der allgemeinen Erregung, welche das erneute Leben der Welt in sinnlich kräftigen Menschen weckt: Sommergrün, Vogelsang, Liebeslied, Reigentanz bilden ein Ganzes der natürlichen Sommerlust: der Sprung zuckt in den Gliedern, Sang und Klang entbinden ihn, der Johannistanz aber ist die Überspannung und das gewaltsamste Übersprudeln des Tanztriebes, der mit dem Frühling erwacht und in der Sommerglut tobend wird. Dem Johannistanz entsprechende Zufälle gab in Unteritalien der Volksglaube dem giftigen Biß einer Erdspinne schuld. Der Taranteltanz, von dem die erste Nachricht aus dem 15. Jahrhundert, trat auch im Sommer ein, die Heilung der Erkrankten durch gemeinsamen Tanz war ein Volksfest und hieß die kleine Frauenfastnacht ( il carnevaletto delle donne). Der Zauber der Tarantella, der Tanzweise, die von Trommeln, Pfeifen, Lauten und im Gesang ertönte, riß die Leidenden zu den Bewegungen hin, die, mit Anstand beginnend, zum heftigsten Sprung anstiegen und, bis zur Erschöpfung fortgesetzt, auf ein Jahr oder für immer Genesung gaben. Neunzigjährige Greise warfen bei diesem Klange die Krücken hin und gesellten sich, als strömte verjüngender Zaubertrank durch ihre Adern, den wildesten Tänzern zu. Die Töne der Tarantella waren mannigfach, sie mußten den verschiedenen Stimmungen der Kranken gemäß sein, und ebenso die zugehörigen Gesänge. Eine tiefe Sehnsucht nach dem Meere kam bei manchen zum gewaltsamen Ausbruch, indem sie sich in die blauen Wellen stürzten, wie auch Veitstänzer blindlings in reißende Ströme sprangen, bei andern verriet sich dieselbe nur durch die Annehmlichkeit, die ihnen der Anblick des klaren Wassers in Gläsern gewahrte, sie trugen im Tanze Wassergläser mit wunderlichem Ausdruck ihrer Gefühle umher, oder sie liebten es auch, wenn ihnen inmitten des Tanzplatzes größere Gefäße voll Wassers, umgeben mit Schilf und andern Wassergewächsen, hingestellt wurden, worin sie Kopf und Arme mit sichtbarer Lust badeten. Solche Wasserfreunde hörten gerne von Quellen, rauschenden Wasserfällen, Strömen, nach entsprechender Tonweise singen; man hat noch eine Tarantella, die das Verlangen nach dem Meere ausdrückt: »Zum Meere tragt mich, wenn ihr mich heilen wollt, zum Meere hinweg! so liebt mich meine Schöne; zum Meere, zum Meere! solang ich lebe, lieb' ich dich.« Leidenschaft für und wider gewisse Farben hatten auch diese Tanzsüchtigen, doch liebten sie das Rote, was die Johannistänzer verabscheuten; nach der beliebten Farbe waren denn auch die Tarantellen gestimmt, es gab eine Art derselben, die man panno rosso, rotes Tuch, nannte, zu welcher wilde, dithyrambische Gesänge gehörten, eine andre, panno verde, grünes Tuch, genannt, die mit dem milderen Sinnesreiz durch die grüne Farbe übereinstimmte, mit idyllischen Gesängen von grünen Gefilden und Wäldern: leider sind die Gesänge selbst verloren. Einen ahnungsvollen Blick gewähren aber schon diese Nachrichten in den ursprünglichen Zusammenhang des Gesanges und Tanzes mit einem lebendigen Naturgefühle, denselben Zusammenhang, dem wir auch im Leben und Liede des deutschen Volkes nachgegangen sind.

Die einhellige Lust des Sommers und der Liebe fanden wir im Minnesang auf volksmäßiger Grundlage durch Nithart vertreten. Das Leid des liebenden Herzens im Sommer hat einen Meister an Reinmar, den wir zuvor schon jenem gegenübergestellt. Die Trauer zieht nach innen und so ist es auch die vorherrschend elegische Stimmung, die seinen Minneliedern jene geistige Richtung gibt. Aber nicht gänzlich hat sich sein Gesang von der Volksweise abgelöst und auch durch seine Hand läuft ein Faden, der das älteste volksmäßige Liebeslied mit dem nach Abgang der Minnesänger wieder auftauchenden zusammenknüpft. Reinmar sagt einmal, er habe die Minne noch stets in bleicher Farbe gesehen. Wenn er damit den Geist seiner Minnedichtung verbildlicht, so ist ihm doch die bleiche Farbe nicht minder auch im wörtlichen und natürlichen Sinne wohlbekannt.

Bleich und rot verkündet in altdeutscher Dichtersprache den inneren Wechsel, die schwankende Bewegung von Leid und Freude, Furcht und Hoffnung, und auch gesondert sind die beiderlei Färbungen naturgetreuer Ausdruck der entsprechenden Gemütszustände. Selbst das Lied der Nibelungen spielt diese Farben durch alle Töne, vom Anhauch der schüchternen Liebe bis zum Erglühen des Zornes und dem Schrecken, der auch Helden entfärbt. Bei Reinmar nun erscheint die Blässe nicht bloß als Anflug des Augenblicks, er läßt eine Frau von der Minne, die ein Ritter ihr ansinnt, sagen: bleich und je zuweilen rot färbe das die Weiber. In einem andern seiner Gesprächlieder wird zu Sommers Anfang eine liebende Frau befragt: Wohin ihre Schönheit gekommen, wer ihr die benommen? sie sei ein wonnigliches Weib gewesen, nun sei sie gar »von ihrer Farbe kommen«: wer des schuldig sei, den möge Gott verderben. Die Frau antwortet: Wovon sollte sie schön und hohen Mutes sein, wie ein ander Weib, da sie den geliebten Ritter meiden müsse, solche Not und andres Leid hab' ihr die Farbe meist benommen, doch freue sie sein Angelöbnis, bald zu kommen, dann werde sie ihn anlachen und, ehe sie von ihm scheide, sprechen: »Gehn wir Blumen brechen auf der Heide!«; soll' ihr diese Sommerzeit mit manchem lichten Tage fern von ihm zergehen, wehe dann der Weibesschöne! oft sagen ihre Freunde, ihr werde nimmer Hilfe werden, doch sie lügen, wenn nur er sie tröste, dann werde man sie nie mehr weinen sehn. Greift man nach den Volksliedern, so zeigt sich ein im 16. Jahrhundert hoch- und niederdeutsch in mancherlei Lesarten verbreitetes (Volkslieder Nr. 88): Ein Mägdlein tritt an ihres Vaters Zinne, sieht hinaus und sieht ihres Herzens Trost daherreiten, er fragt: ob die Sonne sie getrübt, daß sie so bleich geworden? »Warum sollt' ich nicht werden bleich? ich trag' alltag groß Herzeleid, mein Lieb, um dich, und daß du mich verkiesen (aufgeben) willt, das reuet (schmerzt) mich!« Er versichert, sie sei ihm lieber, als alle seine Freunde, sie soll' ihr Sorgen lassen und ihm folgen; dann führt er sie durch den grünen Wald und bricht ihr einen Zweig. Das Lied schließt mit ihrem Wunsche, daß sie als ein weißer Schwan über Land und Meer sich schwingen könnte, damit ihre Freunde nicht wüßten, wo sie hingekommen. Noch in neuester Zeit, unter den Volksliedern des Kuhländchens, kehrt die Frage nach der verlorenen Farbe wieder:

»Ei sag' mir's auch, feins Mägdlein!
wohin hast du deine Farbe?

»ich hab' sie auf einer Eiche
und kann sie nicht erreichen.«

Ei sag' mir's auch, feins Mägdlein!
wohin hast du deine Farbe?

»Ich hab' sie auf einer Esche
und kann sie nicht erhaschen.«

Ei sag' mir's auch, feins Mägdlein,
wohin hast du deine Farbe?

»Ich hab' sie auf einer Wiese (Flieder?)
und krieg' sie nicht mehr wieder.

Und du fragst nach meiner Farbe?
du hast sie mir verdorben.«

Die seltsame Versetzung der Farbe auf eine Eiche usw. scheint der Vorstellung entnommen zu sein, wonach nicht bloß Personen, sondern auch was ihnen anhängt, das Fieber, das Unglück, in den Wald oder auf eine wilde Aue, in oder auf Bäume, verwünscht werden können. In der naheliegenden Schlußwendung weicht dieses letzte Lied von dem Sinne der beiden älteren ab. Dagegen ist die allen dreien gemeinsame, den ganzen Inhalt bestimmende Frage so eigentümlich und doch dabei so gleichmäßig und formelhaft, die Übereinstimmung des ersten mit dem zweiten in der Anlage und in Einzelheiten so augenscheinlich, daß man einen geschichtlichen Zusammenhang nicht füglich ablehnen kann. Das älteste, Reinmars Kunstlied, für das Vorbild der beiden andern anzunehmen, dasselbe nach Zwischenräumen von je drei Jahrhunderten einfacher in der Form und volksmäßiger im Stile, wiederauftauchen zu lassen, ist weit nicht so natürlich, als die Annahme eines schon dem Minnesänger vorgelegenen Gebrauches, Lieder von der bleichen Frauenfarbe zu singen. Hat aber dieser Gebrauch sechs Jahrhunderte nach Reinmar fortgedauert, so darf man auch viere über diesen hinaufgehn und an die Winelieder und Lieder von der Blässe (de pallore) gemahnen, die den Klosterfrauen im Jahre 789 verboten wurden.

Das Mädchen unterm Rosenkranz und das bleiche, trauernde, zeigten sich bis daher nur gesondert. Treten sie zusammen, so ist es die ganze jugendliche Liebe, Lust und Leid, Sonnenschein und Wolke. Ein verbreitetes Geschlecht sind die Lieder von zwei Gespielen. Schon Nithart gibt ein solches: Zwei Gespielen beginnen einander Kunde zu sagen, die Herzensnot zu klagen: eine spricht, wie sie von Trauer und Unruhe verzehrt werde, weil ein lieber Freund ihr fremd bleibe, die andre rät ihr, Geduld zu haben und die Liebe sorgfältig zu hehlen, wozu sie selbst mithelfen wolle; noch gesteht die erste, daß es ein Ritter von Reuenthal (Nithart) sei, dessen Sang ihr Herz bezwungen. Diese Wechselrede ist in eine Maiklage des Dichters eingefaßt, der um ein Heimwesen Sorge tragt, die Schwalbe kleb' ihr Häuslein von Leim, worin sie kurze Sommerfrist weile, Gott mög' ihm ein Haus mit Obdach bei dem Lengebache verleihen. Dasselbe Gesprächlied steht auch unter Waltram von Gresten, doch nicht mit dem ganzen Rahmen, und, statt der Beziehung auf Nithart, mit einer Strophe, worin die beratende Gespiele noch entschiedener auffordert, Maß in der Trauer zu halten, wohlgemut und unverzagt zu sein. Durchgreifend umgearbeitet, mit etwas erweitertem Strophenbau, findet das Lied sich unter dem Namen des von Scharfenberg. Dem Bearbeiter scheint der Gegensatz von Trauer und Frohsinn nicht genügend hervorgetreten zu sein, er läßt, ohne alles Nebenwerk, die Wechselrede fast wörtlich wie bei Nithart beginnen, aber die zwei Gespielen klagen beide, die eine, daß sie den Liebsten zu lange nicht gesehen, die andre, daß sie den Erkorenen gänzlich verloren, und nun setzt sich eine dritte zu ihnen, die nicht wohl empfangen wird, sie heißen dieselbe dahin gehn, wo Freude sei, habe doch ihr Lieb sie nicht verlassen; die dritte gibt sich dann gänzlich der Freude hin über die Liebe und Treue des Mannes, der ihr lieber sei, denn Gold. Anders wieder stellt sich der Gegensatz in einem Ernteliede Burkarts von Hohenvels: Ein Mädchen will reigen (im Erntetanz), im Maien war ihr Freude gar versagt, nun hat ihr Jahr (Dienstjahr) ein Ende, des ist sie froh und hochgemut, wie der Kehrreim lautet:

»Mir ist von Stroh ein Schapel (Kränzlein) und mein freier Mut
lieber, denn ein Rosenkranz, so ich bin behut (gehütet)!«

Da jammert ihre Gespiele, daß Gott sie nicht arm, sondern reich geschaffen, wäre sie arm, so wollte sie mit zu Freuden fahren, ihr habe die Muhme das lichte Gewand eingeschlossen, traure sie oder freue sie sich, so werd' es der Minne schuld gegeben. Die Fröhliche spricht ihr zu, mit in die Ernte zu gehn und das Trauren von sich zu treiben:

»ich will dich lehren schneiden,
sei freudenvoll!«

Zuletzt denkt die Reiche sich aus, wie sie Rache nehmen möge: darf sie nicht lachen gegen einen Vornehmen, so will sie einen Geringen nehmen, der Muhme zu leid. Die Lieder dieser beliebten Weise knüpfen sich bei Nithart und Burkart an die Lust des Volkes, Maientanz und Erntefeier, in allen stützt sich die Strophe, wenn auch kunstmäßig zugebildet, doch sichtlich auf den epischen Vers, der im älteren, volksmäßigern Minnesange sowohl als dem eigentlichen Volkslieds gangbar ist. Dem Heldenliede selbst mangelt die Gruppe der beiden Gespielen nicht; Hugdietrich, der, vermöge seiner Jugend als Mädchen verkleidet, der Königstochter Hiltburg zur Gespielen gegeben war, will dieselbe verlassen, um von seinem väterlichen Reiche als Brautwerber wiederzukehren, noch einmal sind die Liebenden zusammen beim Morgenmahle:

»Da saßen bei einander die zwo Gespielen do,
Die eine war traurig, die andre die war froh,
Hilteburg die schöne weinte klägelich.
Da freute sich in dem Herzen der König Hugdietrich.«

Der Wechselrede bedarf es hier nicht, schweigend bilden sie den typischen Gegensatz: Lust und Trauer des liebenden Herzens in zwei schönen, jugendlichen Gesichtern sich spiegelnd und gegeneinander abhebend.

Zum Volksgesang übergehend, vernimmt man im Frankfurter Liederbüchlein von 1582 und 1584, wie schon im Antwerpener von 1544, den schon bekannten Anlaut von » zwo Gespielen«. Sie gehen über eine grünende Wiese, die eine führt einen frischen Mut, die andre trauert sehr; auf die Frage jener sagt sie den Grund ihrer Trauer: Sie beide haben einen Knaben lieb und damit können sie sich nicht teilen; kann das nicht geschehen, meint die erste, so wolle sie ihres Vaters Gut und ihren Bruder dazu der Gespielen zu eigen geben; der Knabe steht unter einer Linde und hört das Gespräch, hilf Christ vom Himmel! zu welcher soll er sich wenden? wendet er sich zur Reichen, so trauert die hübsche, die Reiche will er fahren lassen und die Hübsche behalten; wenn die Reiche das Gut verzehrt, so hat die Lieb' ein Ende: »Wir zwei sind noch jung und stark, groß Gut woll'n wir erwerben.« Der Gegensatz von froh und traurig geht mit dem von Reichtum und Armut zusammen, wie bei Burkart von Hohenvels, nur daß bei diesem, feiner ausgesonnen, die Arme fröhlich und die Reiche trauernd anhebt. Der nüchterne, wenn gleich ehrbare Bedacht auf Gut und Erwerb hat aber auch beim Volke nicht zur Grundform dieser Liederweise gehört. Viel anders lautet, notdürftig berichtigt, ein Bruchstück unter den Liedern des mährisch-schlesischen Kuhländchens:

»Es giengen zwei Gespielen
bis für den grünen Wald,
die eine die war baarfuß,
die andre sagt', 's wär' kalt.

»Gespiele, liebe Gespiele mein!
was will ich dir nun sagen?
's hat mir ein Baum mit Rosen
mein schönes Lieb erschlagen.«'

»Hat dir ein Baum mit Rosen
dein schönes Lieb erschlagen,
so soll der selbige Rosenbaum
keine rothe Rosen mehr tragen!«

Vollständiger und klarer ist die niederländische Fassung in dem Antwerpener Liederbuche von 1544 (Nr. 80):

»Es giengen drei Gespielen gut
spazieren in den Wald,
sie waren alle drei baarfuß,
der Hagel und Schnee war kalt.

Die Eine die weinte sehre.
Die Andre war wohlgemuth!
Die Dritte begann zu fragen.
Was heimliche Liebe thut?

»Was habt ihr mich zu fragen,
was heimliche Liebe thut?
es haben drei Reitersknechte
geschlagen mein Lieb zutod.«

»Haben drei Reitersknechte
geschlagen dein Lieb zutod,
ein andres sollt du dir kiesen
und tragen frischen Muth!«


»Sollt ich einen Andern kiesen,
das thut meinem Herzen so weh,
ade, mein Vater und Mutter!
ihr seht mich nimmermeh.

Ade, mein Vater und Mutter
und mein jüngstes Schwesterlein!
will gehn zur grünen Linde,
dort liegt der Liebste mein.««

Daß ein solches Lied viel gesungen war, lassen zwei Anfänge vermuten, die zur Bezeichnung der Tonweise geistlichen Liedern vorgesetzt sind, niederdeutsch schon in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts:

»Es ritten zwei Gespielen gut
zur Heide pflücken Blumen,
die Eine die ritt all lachend aus,
die Andre die war traurig.«

Hochdeutsch in einem Gesangbüchlein aus dem 16. Jahrhundert:

»Es giengen drei Jungfrauen
dur einen grünen Wald.«

Ähnliche Eingänge beziehen sich eher auf das nach der Frankfurter Sammlung angeführte Lied. Die Einzelstrophe aus dem 15. Jahrhundert hilft gleichwohl mit dazu, das reine und ganze Gepräge dieser Liederform, zu welchem in der Antwerpener Fassung nur weniges mangelt oder zuviel ist, der Betrachtung herzustellen. Als überzählig fällt die Dritte hinweg, die schon Scharfenberg hereingezogen: es sind wieder lediglich die zwei Gespielen, fast mit den gleichen Worten, wie zuvor im Hugdietrich:

»Die Eine die war traurig,
die Andre die war froh.«

Die Jahreszeit erlangt nun erst ihr volles Recht, zum grünen Wald und der grünen Linde kommt noch das Blumenpflücken. Morgens im Wiesentau mit bloßen Füßen zu gehen, galt für gesund, zugleich aber ziehen die Frühlingsschauer mit Hagel und Schnee; das deutsche Bruchstück läßt die eine sommerlich barfuß gehen, während die andre den Frost empfindet, die eine geht nach Blumen, die andre nach der Linde, nicht zum Reigen oder zu traulicher Zusammenkunft, sondern zur Leiche des erschlagenen Liebsten. Diesen zwei Gestalten, dem lachenden Mädchen und dem todbetrübten, gibt eben das wechselnde Frühlingswetter seine zwiefältige Beleuchtung, Sonnenschein und Schneeschauer zumal streifen über die Landschaft und die hinschreitenden Jungfraun.

Deutsche Liederbücher des 16.Jahrhunderts geben auch ein Gespräch der Mädchen zur Erntezeit, wie bei Burkart von Hohenvels, aber in anderm Sinn, einfacher, inniger (Volksl, Nr. 34):

»Ich hört' ein Sichellein rauschen,
wohl rauschen durch das Korn,
ich hört' ein Maidlein klagen,
sie hätt' ihr Lieb verlorn.

»Laß rauschen. Lieb, laß rauschen!
ich acht' nicht, wie es geh';
ich hab' mir ein' Buhl'n erworben
in Veiel und grünem Klee.«

»Hast du ein' Buhl'n erworben
in Veiel und grünem Klee,
so steh' ich hie alleine,
thut meinem Herzen weh.«

Dem verlassenen Mädchen ist das Rauschen der Sichel eine Mahnung an geschwundenes Glück, während das liebesfrohe, leichtgemute noch unter abgemähtem Korn an Veiel und grünen Klee gedenkt, an die Zeit des Frühlings und der zärtlichen Verständnisse.

Französisch findet sich das Lied von den Gespielen in der gedruckten Sammlung von 1538: Der Dichter nach einem schönen Gehölze lustwandelnd, begegnet drei Jungfraun, die von ihren Liebsten sprechen; die eine weint und klagt, ob sie denn, um zu lieben, sterben müsse? Ihre jüngste Schwester redet ihr zu, sich das aus dem Sinne zu schlagen, es sei Torheit, so sehr einen Fremden zu lieben, der sie vergesse; jene dagegen erklärt es für unmöglich, sich dessen zu entschlagen, der ihr auf dieser Welt am besten gefalle, ihn habe sie geliebt und werd' ihn lieben, sollt' es ihr Leben kosten. Reicher und glänzender, obgleich auf Kosten der ursprünglichen Bedeutung, sind die Darstellungen, zu denen schon im 13. Jahrhundert die erzählende Dichtkunst Nordfrankreichs den Gegensatz der lachenden und trauernden Schönheit, samt demjenigen des heiteren und stürmischen Himmels, verarbeitet hat; aber auch hier bedingt eben die künstliche Aus- und Umdichtung ein um so früheres Vorhandensein der einfachen Anlage.

Das Abenteuer vom Trabe (lais del trot):Lorois, ein Ritter der Tafelrunde, reitet eines Morgens im April von seiner Burg über die Wiese voll weißer, roter und blauer Blumen dem Walde zu und schwört, nicht umzukehren, bis er dort die Nachtigall gehört. Nahe schon am Walde, sieht er aus demselben gegen achtzig schöne Fräulein daherreiten, sommerlich gekleidet, das Haupt mit Rosen und Heckdornblüten bekränzt, manche der Wärme wegen mit gelöstem Gürtel, die losgebundenen Locken am blühenden Antlitz niederfallend; ihre weißen Zelter gehen sanft und rasch zugleich, jeder zur Seite reitet ihr Freund, reich geschmückt, fröhlich und wohlsingend, sie küssen und kosen, sprechen von Minne und Rittertum: vor solchem Wunder bekreuzt sich Lorois und noch sieht er eine gleiche Schar der ersten folgend vorbeiziehn. Kaum hernach erhebt sich im Walde großes Getös von schmerzlicher Wehklage, wieder kommen hundert Jungfraun herausgeritten, auf schwarzen, magern, unerträglich harttrabenden Kleppern, die Zaumriemen von Lindenbast, die Sättel zerbrochen und geflickt (reloiés), die Reitkissen mit Stroh gefüttert und es verstreuend, so daß man zehen Meilen weit der Spur folgen könnte; die Jungfraun reiten ohne Stegreif, mit bloßen schrundigen Füßen, in schwarzer Kutte, die ihnen die Arme nur bis zum Ellenbogen deckt; sie leiden schwere Pein, über ihnen donnert und schneit es, gewaltiges Sturmwetter tobt; Hintennach kommen noch hundert Männer in gleicher Bedrängnis wie die durchgeschüttelten Jungfraun; einer Nachreitenden, die so hart einhertrabt, daß ihr die Zähne zusammenschlagen, nähert sich Lorvis und befragt sie, was dies für Leute seien? Sie vermag kaum zu sprechen, so heftig stoßt auch das angehaltene Pferd, doch gibt sie seufzend Bescheid: Die vordern, fröhlichen Jungfraun sind solche, die in ihrem Leben der Minne redlich dienten und nun zum Lohne dafür nichts denn Freude haben und selbst inr Wintersturme nicht ohne Sommer sind; die Klagenden, Harttrabenden aber, mit trübem, bleichem Angesicht, die ohne Begleiter reiten, sind diejenigen, welche nie etwas für die Liebe taten, nie zu lieben sich herabließen, jetzt müssen sie ihren Hochmut entgelten und haben weder Sommer noch Winter Rast und Erleichterung, wenn irgend eine Frau von ihnen und ihrem Leiden reden hört, so hüte sie sich vor allzu später Reue, liebt sie nicht im Leben, so wird sie mit ihnen fahren. Der Ritter kehrt in seine Burg zurück, erzählt, was er erfahren, und entbietet den Mädchen, daß sie sich vor dem Traben hüten, da Zelten (Paßgang) viel angenehmer sei. Die Bretonen haben davon ein Lai gemacht, welches man das Lai vom Trabe nennt. Das Lai der erzählenden nordfranzösischen Kunstdichter beruht im allgemeinen auf dem altern, singbaren Lai, der bretonischen oder normandischen Volksballade, und auf solchen Vorgang wird auch hier ausdrücklich hingewiesen. Der ritterlichen Kunstdichtung darf man unbedenklich die untergelegte Beziehung und Nutzanwendung auf den höfischen Minnedienst, den scharenhaften und reichausgemalten Aufzug der beiden Gegensätze aufrechnen; denkt man sich aber das ganze vereinfacht und auf volksmäßige Grundzüge zurückgeführt, so bieten sich wieder das rosige und das bleiche, lachende und trauernde Mädchengesicht, der Frühlingstag mit Blumenglanz und Sonnenwärme, Schnee und Unwetter, je der entsprechenden Stimmung zugeteilt, also nahezu wieder das prunklose niederländische Volkslied.

Wie glückliche Liebe stets im Sonnenscheine fährt, ist auch in einer Stelle des altfranzösischen Parzival ausgeführt: ein andrer Held der Tafelrunde, Caradoc, König von Nantes, wird auf der Jagd von einem Ungewitter überfallen und birgt sich vor dem Regen unter einer dichtbelaubten Eiche: dort sitzt er in Gedanken an seine Liebe, als er durch den Wald her eine Helle gegen sich kommen sieht und daraus den süßesten Vogelsang vernimmt, mitten in der Heitre zieht ein großer Ritter (Alardin vom See) mit einer schönen Jungfrau, die auf einem weißen Maultiere sitzt, die kleinen Vögelein, Nachtigallen, Lerchen, Drosseln, fliegen über ihnen fröhlich von Aste zu Aste und singen, daß es durch den Wald erschallt: so ziehen sie nur eines Schwertes lang an Caradoc vorüber, der sie grüßt, ohne Antwort zu erhalten, rasch fahren sie dahin und Caradoc spornt sein Roß ihnen nach, vier Meilen weit jagt er in Regen und Wind vergeblich hinterher, wahrend jene in der Heitre und dem hellen Gesänge der mitfliegenden Vögel voranreiten.

Zwei Gespielen wieder sind Gegenstand der altfranzösischen Erzählung von Florance und Blancheflor. Eines Sommermorgens gehn zwei Jungfraun, gleich an Schönheit und Geburt, in einen Garten, um sich zu vergnügen, sie tragen Mäntel, die von zwei Feen auf einer Insel gewoben sind, der Zettel ( estain) von Schwertlilien, der Eintrag von Mairosen, die Säume von Blüten, das Gebräm von Liebe, die Schleifen mit Vogelsang befestigt: sie kommen an einen sanftfließenden Bach und spiegeln darin ihre Farbe, die oft von Liebe wechselt, dann setzen sie sich unter einen Ölbaum am Ufer, die eine spricht: solange der Baum belaubt sei, werd' er geliebt und wert gehalten, wenn das Laub gefallen, hab' er viel von seiner Schönheit verloren, so ergeh' es dem Mädchen, das seine Schönheit einbüße: die andre bemerkt: Ehre sei ihr lieber als Reichtum; so plaudern sie einträchtig wie Schwestern, bis Florance fragt, wem Blancheflor ihr Herz geschenkt habe? Diese wird bleich und rot, gesteht aber, daß ein trefflicher Schüler ihr Herz besitze. Darüber wundert sich die Freundin und rühmt sich ihres Liebsten, der ein schöner Ritter sei. Gegenseitig erheben und verkleinern sie nun den Stand des Schulgelehrten und des Ritters in Beziehung auf den Dienst der Minne, und zuletzt bescheiden sie sich auf einen bestimmten Tag an den Hof des Liebesgottes, um dort ein Urteil einzuholen. Als der Tag gekommen, schmücken sie sich köstlich mit Röcken von lauter Rosen, Gürteln von Veilchen, Schuhen von gelben Blumen, Hüten von frischer, duftiger Heckdornblüte, besteigen zwei Zelter, weißer denn Schnee, die Zäume von Gold, das Gebiß von Bernstein, die Brustriemen mit Glöcklein von Gold und Silber, die durch Zauber eine neue Minneweise tönen, jeder noch so Kranke, der sie hörte, würde alsbald geheilt sein; die Sättel sind von Elfenbein mit zierlichen Stegeisen, die Reitkissen mit Veilchen gefüllt; nach Mittag sehen sie Turm und Schloß des Gottes der Minne, doch nicht aus Stein gemauert, er ruht auf einem Rosenbette, die Latten mit Gewürznelken festgenagelt, die Sparren von Ahorn ( sicamor), die Mauern umher von Bogen, mit denen der Liebesgott schießt; die Mädchen steigen ab und werden von zwei Vögeln zu dem Gotte geführt, der sich erhebt und sie artig begrüßt. Er setzt sie neben sich und läßt sich ihren Handel vortragen. Sofort versammelt er die Barone seines Hofs und verlangt ihren Ausspruch; der Sperber, der Falke, der Häher sprechen zugunsten des Ritters, Drossel, Lerche und Nachtigall zum Vorstande des Schülers, ja die Nachtigall erbietet sich zum Zweikampf, den der Papagei annimmt, und sie reichen dem König ihre Handschuhe, damit er den Kampf bestätige; auf sein Geheiß wappnen sie sich ungesäumt, ihre Helme sind von Klapperrosen ( passe-rose), ihre Wämser von Ringelblumen, die Schwerter Rosen, nach hitzigem Gefechte muß der Papagei sein Schwert übergeben und den Schülern den Vorzug in der Liebe zuerkennen; Florance weint, ringt jammernd die Hände und sinkt tot nieder; da versammeln sich alle Vögel und bestatten sie mit großem Gepräng, setzen ihr einen Stein, den sie mit Blumen bestreuen, und schreiben darauf: »Hier ist Florance begraben, die des Ritters Freundin war.«

Eine zweite Bearbeitung desselben Stoffes, nur als Bruchstück, nennt die beiden Gespielen Eglantine und Hueline, erstere nach der Heckenrose, sie geht ausführlicher auf das verschiedene Leben der beiden Stände ein, weiß dagegen nichts von den feenhaften Blumenkleidern und läßt ungewiß, ob die Vögel zum Gerichte berufen seien, da sie bei der Ankunft am Liebeshofe abbricht.

Auch eine mittellateinische Behandlung, der Streit zwischen Phyllis und Flora, in langzeiligen Reimstrophen, vom Anfang des 13. Jahrhunderts, steht zur Vergleichung, sie ist sinnig und gewandt, berührt sich selbst im einzelnen mit beiden französischen Gedichten, überbietet dieselben in umständlicher Streitrede über Ritter und Kleriker und ersetzt den Feenzauber durch mythologische Ausstattung.

Gegen das Ende des 13. Jahrhunderts läßt ein deutscher Dichter, Heinzelin von Konstanz, dieselbe Kampffrage verhandeln. Zu Nacht im Winter belauscht er durch ein Wandfenster das Gespräch zweier Gespielen, deren eine dem Ritter, die andre dem Pfaffen den Vorzug in der Liebe zu behaupten sucht; der Pfaffe wird als ein solcher bezeichnet, der zwar so genannt sei, aber noch keine der hohen Weihen habe, zum Unterschied der priesterlichen Pfaffen; die Streitenden vereinigen sich zur Berufung an die Minne, welche billig in diesen Sachen Richterin sei, und es wird ein »gemeiner Tag genommen,« der gerichtliche Austrag aber wird nicht erzählt und der Dichter spricht nur den Wunsch aus, daß er auch dabei heimlich zugegen sein könnte. Daß der Streit hier im Winter vorgeht, von dem eine anmutende Schilderung vorangeschickt ist, erscheint als ausgedachte Abweichung von dem herkömmlichen Eingange, jedoch nur um mit einer neuen Wendung auf denselben zurückzukommen, indem der Dichter versichert, er habe durch sein geheimes Fenster in ein Paradies gesehen, des lichten Maien volle Blüte habe sich ihm in der blühenden, vom Wandel der Jahreszeit unberührten Jugend der beiden Gespielen gezeigt. Ein späteres deutsches Streitgespräch zwischen zwei Schwestern, deren jüngere einen Bürgerssohn, die ältere einen Ritter liebt, findet wieder im grünen, blumigen Maien statt und endigt überraschend damit, daß Frau Minne als Schulmeisterin auftritt und der älteren Schwester auf die schneeweiße Hand Streiche gibt. Unter allen diesen Darstellungen ist die vollständige altfranzösische hier die erheblichste, sie mag in ihren Arabesken etwas überladen sein, knüpft sich aber mittels dieser an die Volksdichtung, in welcher Anzüge aus Blumen und Feierlichkeiten der Vögel wohl bekannt sind, während der Streit über Gelehrten- und Ritterstand mit dem Siege des erstern zusamt dem Liebesgotte, der seiner Flügel wegen zu den Vögeln verordnet ist, nach dem Hof und der Schule weist. Die Streitfrage ist zu trocken für die phantastische Fassung, um nicht für eingelegt angenommen zu werden, das Blumenwesen in den Namen und im Schmucke der Mädchen setzt einen Gegenstand der Wechselrede voraus, mit dem es, einfacher und bedeutsamer zugleich, in dichterischem Einklänge stand.

Ein deutsches Lied besagt:

»Es nahet sich der Sommerzeit,
da hub sich manch seltsamer Streit
der Blümlein auf grüner Heide,
das ein ist weiß, das andre roth,
ihr Färb ist mancherleie.« (Volksl. Nr. 185.)

Gab es einen Wettstreit der roten und weißen Blume, bezeichnet in den Mädchennamen die Weißblume, das Widerspiel der farbigen, so führt dies, auf Angelegenheiten der Minne bezogen, zu dem bekannten Gegensatze von bleich und rot, es sind abermals die zwei Gespielen im Frühling, die liebesfrohe und die trauernde, die rote und die weiße Heckenrose, oder die Rose und die Lilie. Floire und Blanchefleur hießen auch die beiden Kinder, deren Liebessage im Mittelalter so berühmt war. Am gleichen Frühlingstage geboren, werden sie nach dieser wonnigen Zeit der Knabe Floire, Flos, Blume, das Mädchen Blanchefleur, Blankflos, Weißblume genannt. Frühe schon sind sie einander innig zugetan und sollen deshalb, da Blankflos dem König nicht ebenbürtig ist, getrennt werden. Sie wird in fernes Land verkauft, auf einem Turm eingeschlossen trauert sie um ihren Gespielen. Doch dieser erkundet sie, und wie er zu ihr in den Turm gelangt, ist der Mittelpunkt des Gedichts. Am Maitage sollen den Jungfraun Rosen dahin gebracht werden, da wird Flos in rotem, blumengleichem Kleide, mit Rosen bekränzt, in den Korb gelegt und mit den Blumen zugedeckt, die beiden Träger finden den Korb ungewöhnlich schwer und meinen, die Rosen seien naß im Taue gelesen worden, denn Blankflos habe sie lieber naß als trocken: wie sehr sie traure, wenn sie diese Rosen sehe, werd' ihr große Freude widerfahren, und so geschieht es auch, als die lebende Blume aus dem Korbe springt. Die weiße Blume, von der hier nur der Name des trauernden Mädchens zeugt, ist an früherer Stelle wirklich bezeichnet: Der für tot ausgegebnen Blantflos hatte man ein Grabmal errichtet mit den Bildern der beiden Kinder, wie Flos der Gespielen eine Rose bietet und sie ihm eine Lilie. Eine Darstellung dieser Sage ist so eingeleitet:

In der Zeit, so die Blumen entspringen, die Vögel im Walde singen und nach dem April der Mai herannaht, da gesellt sich alles was lebt; Ritter und Frauen kommen da in einen Baumgarten, Blumenschein und Vogelsang gibt ihnen Trost, unter hohen Bäumen bei einem wonniglichen Brunnen, reden sie zwei und zwei von Minne, die zu dieser Zeit allen den Sinn einnimmt; zwei Schwestern, lieblichen Angesichts und hoher Geburt, sitzen beisammen und sagen Wunderbares und Sinniges von Minne, der Schall umher wird stille und alle lauschen, wie die eine jetzt von zwei Liebenden erzählt, deren Leben durch Minne bedrängnisvoll war und freudenreich. Dieses Vorspiel, in der Weise der oben geschilderten Brunnenfahrten, zeigt nochmals zwei Gespielen von Lieb und Leid der Minne redend, das sich ihnen im Anblick der aufblühenden Blumen zur traurigfrohen Geschichte von Flos und Blankflos gestaltet. Daß neben und wohl auch vor den ausführlichen Erzählungen einfacher und volksmäßiger von den Blumenkindern gesagt und gesungen wurde, bezeugt ein altfranzösischcs Wächterlied, worin die Schöne äußert, sie würde dem Freund aus einem süßen Liebesliede von Blancheflor singen, wenn sie nicht Verrat fürchtete, sodann der Schwank vom Wettstreite zweier Fahrenden, deren einer sich rühmt, wie er ebensowohl von Blancheflor als von Floire zu erzählen wisse.

Der gemeinsamen Unterlage des Minnesangs und des volksmäßigen Liebeslieds, wie solche bisher in einer steten Wechselbeziehung der Gemütsstimmung zu den Wandlungen und Farben der äußern Natur aufgezeigt worden, sind nun auch die übrigen Liederbildungen einzuordnen oder anzureihen, welche für diesen Abschnitt weiter Beachtung erheischen.

Mannigfach und weitgreifend ist in der alten Liederdichtung die Bedeutsamkeit der Blumen. Daß um den Blumenkranz gesungen wurde, daß er beim Reigen der Schmuck war, hat sich bereits ergeben: er gehört mit zu den Beziehungen des schönen Sommers, und im Winter wird geklagt: »Ich kann im Walde nicht ein grünes Kränzel finden, womit soll meiner Freuden Trost ihr lockicht Haar bewinden?« Nithart läßt gerne, wenn er die Maientänze schildert, die vielen Rosenkränze durchschimmern, und wenn die Tänzer mit einer Schlägerei schließen, sagt er, da seien viel Rosenkränze zerhauen oder verstreut worden, Dieses Kränzetragen beim Tanze hängt aber mit mancherlei verliebtem und eifersüchtigem Treiben zusammen. Der Kranz, der die Tänzerin schmücken soll, wird ihr von einem Bewerber überreicht oder zugeschickt; Walther meldet in einem besondern Liede, wie er der Schönen einen Blumenkranz angeboten, den sie zum Tanze tragen möge, und wie sie errötend, mit verschämten Augen, die Blumen angenommen und ihm gedankt, was ihm weitere Hoffnung gibt; Nithart hat bei Sommersankunft dem Dorfmädchen ein Rosenschapel gesandt und ein Paar roter Tanzschuhe über den Rhein mitgebracht, oder das Mädchen bietet ihm beim Tanz ein Kränzlein und gewinnt ihm damit die roten Schuhe ab. Auch werden Kränze gegeneinander ausgetauscht oder den Tänzerinnen gewaltsam und tölpisch entrissen, woraus dann blutiger Kampf erwächst, selbst der ungeschickte Knecht, der sein Kränzel von roten Blumen den Maiden versagt, wird von den andern gerauft. Es werden aber auch Kränze genannt, welche Sinnbilder des Versagens und der schnöden Abweisung sind, der Strohkranz und der Nesselkranz, beide gegensätzlich zum Rosenkranze. Zwar ist dem tanzlustigen Mädchen ein Schapel von Stroh und der freie Mut lieber, denn ein Rosenkranz bei strenger Hut, allein eben damit ist gesagt, daß der Strohkranz an sich etwas sehr Unwertes sei. Bestimmter in obigem Sinne spricht ein Volkslied (Volkst. Nr. 51. Str. 5):

»ich hab' der Lieben so lang gedient,
was gab sie mir zu Lohn?
einen Kranz von Haberstroh.«

Ein Gedicht in Handschriften des 15. Jahrhunderts erzählt, wie ein Liebhaber seine Schöne gebeten, ihm durch ein Kränzlein ihre Gesinnung kund zu geben, wie sie dann mit einem Kranze von Stroh auf dem Haupte dem Erschreckenden entgegenkommt und ihm solchen anbietet, zuletzt aber sich erbitten läßt, den dürren Kranz in das Feuer zu werfen. Nach einem der Texte des Rosengartenliedes läßt Kriemhild den Bernerhelden entbieten: sie möchten lieber daheim einen Kranz von Nesseln tragen, als zu Burgund die lichten, roten Rosen; der Nesselkranz in der sichern Heimat ist nicht so mißlich, als der Rosenkranz im Kampfgarten. Dem Bauernsohne, der zu hoch wirbt, läßt ein Volkslied eben jenen Kranz empfehlen (Volksl. Nr. 252. Str. 1, 2):

»O Baurnknecht, laß die Röslein stehn!
sie sind nicht dein;
du trägst noch wohl von Nesselkraut
ein Kränzelein.

»Das Nesselkraut ist bitter und saur
und brennet mich,
verloren hab' ich mein schönes Lieb,
das reuet mich.««

In einem andern Liede heißt es von dem Unbescheidenen, der allzu unverhohlen zu der Liebsten geht (Volksl. Nr. 86. Str. 3):

»was gibt sie ihm zu Lohne?
ein Rosenkränzelein,
ist grüner denn der Klee.«

Ein Rosenkranz, grüner denn Klee, oder, nach andern Lesarten, grüner denn das Gras, grünend wie der Wald, hat so ziemlich das Aussehen eines Nesselkranzes.

Am meisten befassen die Lieder sich damit, wie die Blumen zum Kranz in Wald Und Feld gewonnen werden, mit dem Blumenlesen, Rosenbrechen, Kränzewinden. Das erste Laub, die erste Blume werden von den Minnesängern begierig in wahrgenommen. In späteren Nithartsliedern wird das erste Veilchen von dem Finder, der laut zu singen beginnt, auf der Burg gemeldet, worauf die Herzogin von Bayern an seiner Hand mit Pfeifern und Fiedlern herbeieilt, um den Sommer zu grüßen! inzwischen hat aber schon ein Bauer das Veilchen abgebrochen, es wird auf den Tanzbühel getragen und auf eine Stange gesteckt, um welche die Dörper fröhlich tanzen und springen. Mit dem einen leis überraschenden Veilchen geht ein ganzer Sommer auf, wie es die Meldung des Finders ausspricht: »Wohlauf, wer mit mir will den ersten Viol schauen! hat uns der Winter leid getan,des werden wir nun getröstet; bald kommt der lichte, frohe Sommer, mit klarer Sonne bekleidet, die Vögel auf grüner Heide und in den Ästen singen süßen Schall, Kalander, Drossel, Nachtigall und ihre Genossen freuen sich der lieben Zeit!« oder auch einfach: »Ihr sollt alle froh sein, ich hab' den Sommer funden!« Bei Nithart ist es auch ein beliebter Ausdruck für das Wunder der anbrechenden Sommerzeit, daß der schwarze Dorn weiß erblüht, daß Blüte aus hartem Holze dringt. Wenn aber das erste Veilchen und die ausschlagende Schwarzdornblüte zunächst die Verjüngung der Natur ankündigen, so ist es die Rose, die den liebenden Herzen ansagt, daß ihre Stunde gekommen sei. Dietmar von Aist singt: »Ich sah da Rosenblumen stahn, die mahnen mich der Gedanken viel, die ich hin zu einer Frauen han.« Milon von Sevelingen läßt eine schöne Frau bei den Boten des Sommers, den roten Blumen gemahnt werden, daß ein Ritter ihr seinen Dienst entboten, daß ihm das Herz traure und sie ihn gegen dieser Sommerzeit erfreuen solle. Nach einer andern Strophe aus dem 12. Jahrhundert sind die zwei köstlichsten Dinge: die lichte Rose und die Minne des Liebsten, ohne den es keine Sommerwonne gibt. Die Rose wird auch mit der Linde verbunden, die nicht minder im Minnesange verästet und verzweigt ist. Der liebste Baum, die schönste Blume vereinigen sich dem von Trostberg zum Bilde weiblicher Vollkommenheit, die trefflichen Eigenschaften seiner Geliebten ehren das ganze Geschlecht, wie wenn in einem Wald eine Linde lichte Rosen trüge, so daß von ihrer Schönheit und ihrem süßen Dufte der ganze Wald geziert wäre; jedoch wird im spätern Titurel gesagt: es wäre töricht, die duftige Rose zu verschmähen, weil ihr Vater nicht ein breiter Lindenbaum sei, denn Kaiser und Kaiserin achten die Rose für eine edle, werte Blume. Die vielsagenden Blumen sind aber am schönsten, wenn ihnen, wie Nithart sie schildert, der Tau in die in Augen fällt; in solcher Frische sollen sie zum Kranze gebrochen werden, den der Liebende der Geliebten bringt, oder von den maifrohen, tanzlustigen Mädchen selbst. Bald eilen zu diesem Blumenbrechen die Gespielen miteinander hinaus, die beim Reigen zusammen sein wollen, bald nimmt ein Bewerber die Gelegenheit wahr, sich der einsamen Blumenleserin hilfreich zu gesellen. Zu solchem vertraulichen Gange wird auch in den Liedern eingeladen, so von Walther: »Weißer und roter Blumen weiß ich viel, die stehen so fern in jener Heide; wo sie schön entspringen und die Vögel singen, da sollen wir sie brechen beide!« und damit hat er den Hilferuf eines verliebten Kunstgenossen auf sich gezogen: »Höre, Walther, wie es mir steht, mein trauter Geselle von der Vogelweide! Hilfe such' ich und Rat, die Wohlgetane tut mir viel zuleide; könnten wir ersingen beide, daß ich mit ihr bräche Blumen an der lichten Heide!« Zusammen in die Blumen, nach Rosen gehn, Rosen lesen, Blumen brechen, um ein Kränzlein ringen, sind leichte Verhüllungen kühnerer Wünsche; König Wenzel von Böheim rühmt sich, daß er die Rosen nicht brach und ihrer doch Gewalt hatte.

Die Blumen werden auch bei den Begegnungen im Grünen dadurch in Mitschuld gezogen, daß sie das verstohlene Glück beifällig begrüßen. Wo zwei Liebende sich umarmen, da sprießen Knospen aus dem Grase, da lachen die Rosen, lachen Blumen und Gras, krachen die Bäume, singen die Vögel. Der Freude blüht und erklingt ja die Welt. Die Rosen lachen aber nicht bloß, sie werden auch gelacht. Das Lachen ist in der älteren Sprache wohl auch die Wirkung des Lächerlichen im heutigen Sinne, das Belachen seltsamer Erscheinungen, noch mehr aber ist es Bezeichnung aller Freundlichkeit und Freude vom leisen Anlächeln bis zum Ausbruche der vollsten Herzenslust. Allen diesen Abstufungen des Lachens und den Gemütsstimmungen, aus denen es hervorgeht, dienen die Blumen und vor allen die freudige Rose zum Sinnbild. Besonders ist das Lachen (Lächeln) schöner Frauen den Minnesängern rosig und rosenbringend: »Wer kann Trauern baß verschwächen (mindern), denn ihr zartes röselichtes Lachen!« »Rosenrot ist ihr das Lachen, der viellieben Frauen mein.« »Wenn die Heide bar der Blumen liegt, da noch seh ich Rosen, wenn ihr rotes Mündel lachet.« »So oft ich meine Frau ansehe, ist mir, wie alles Rosen trage.« Zwei Stellen der Nithartslieder sprechen davon, daß der lachende Frauenmund Rosen und andere Blumen streuen könne. So ergibt sich der Übergang zu dem Rosenliede des Grafen von Toggenburg: Blumen, Laub, Klee, Berg und Tal und des Maien sommersüße Wonne sind ihm gegen die Rose fahl, die seine Fraue trägt: die lichte Sonne erlischt in seinen Augen, wenn er die Rose schaut, die aus einem roten Mündel blüht, wie die Rosen aus des Maien Taue: wer hier jemals Rosen brach, der mag wohl in Hochgemüte (Freude) schweben: was je der Sänger Rosen sah, nimmer sah er doch so lose (liebliche) Rose; was man der bricht im Tal, da sie die schönen machet, alsbald ihr roter Mund eine tausendmal so schöne lachet. Daß dieses Rosenlachen der schönen Frau nicht Erfindung des einzelnen Dichters sei, sondern eine schon vorhandene Vorstellung, spielend angewandt und ausgesponnen, zeigt der bisherige Zusammenhang. Die in Schwaben noch jetzt blühenden oder in oberdeutschen Urkunden vorkommenden Namen Rosenlächler, Rosenlacher, Blumlacher zeugen von der Volksmäßigkeit des Ausdrucks in diesen Gegenden, »Wenn er lacht, dann schneit es Rosen,« ist ein niederländisches Sprichwort, Auch ein neugriechisches Volkslied gibt einem schönen Mädchen zum Abzeichen:

Und wenn sie lacht, so fallen ihr die Rosen in die Schürze.

Das Erheblichste jedoch ist, was wieder ein altdeutscher Dichter darbietet. Heinrich von der Neuenstadt, ein Wiener Arzt, der um den Anfang des 14. Jahrhunderts den Roman von Apollonius von Tyrus aus dem Lateinischen deutsch reimte, wirft der Minne vor, daß sie oft den Edeln hasse und sich einem Unmenschen hingebe; zum Belege dessen fragt er: »Wo sah man Rosen lachen?« und erzählt nun, wie ein krüppelhafter Bettler eine schöne Königin um ihre Minne bat, die sie manchem Ruhmreichen versagt hatte, und wie er über die Gewährung so froh ward, daß er zu hüpfen begann: das sah der rosenlachende Mann und lachte, daß Berg und Tal, Laub und Gras voll Rosen war. Der rosenlachende Mann ist hier als ein schon bekanntes Wesen eingeführt. Sein Lachen gilt nicht, wie es scheinen möchte, der seltsamen Geschichte, noch der drolligen Gebärdung des Bettlers, es ist kein Auslachen, sondern ein Mitlachen, Widerhall und Abglanz der jubelnden Freude des unverhofft Beglückten. Wie das Wort besagt, ist er eben nur Blumenlacher, ein Schöpfer der Rosen durch Freundlichkeit und Freude. Dem frohlockenden Bettler sollen Berg und Tal erblühen, da muß der Rosenlacher sich einstellen. Dieser eigentliche und unmittelbare Beruf aber, das Blumenschaffen, deutet auf einen namenlos noch umgehenden freundlichen Frühlingsgeist der verschollenen Göttersage.

Die Volkslieder sind, wie der Kunstgesang, voll Blumenbrechens. Fischart sagt: »Das weiß ich, wann einen die Ros' anlächelt, daß er's gern abbräch; ich brech' immerhin, auf das alte Liedlein:

»Die Röslein sind zu brechen Zeit,
derhalben brecht sie heut!
und wer sie nicht im Sommer bricht,
der bricht's im Winter nicht.«

Dieser Lehre gemäß wird auch in einem Liede der niederdeutschen Sammlung zum Gang in die Rosen eingeladen:

»Lieb, wollt Ihr mit mir reiten?
Lieb, wollt Ihr mit mir gahn?
ich will Euch, Süßlieb, leiten,
wo die rothen Röselein stahn.

»Ich will nicht mit Euch reiten,
ich will nicht mit Euch gahn,
mein Vater würde mich schelten,
meine Mutter würde mich schla'n.«

Warum würd' er Euch schelten?
warum würd' sie Euch schla'n?
Ihr habt ja den rothen Röselein
keinen Schaden getan.«

Eine Fahrt in die Maiblumen findet sich im französischen Liederbuche von 1538: »Mein Vater ließ ein Schloß erbaun, nicht groß, doch schön, die Zinnen von Gold und Silber: auch hat er drei schöne Pferde, der König hat nicht so schöne, das eine grau, das andre schwarz, aber das kleine das schönste, das soll mein Feinslieb und mich zum Spiele tragen, in den Maiblumen werden wir ruhen und spielen, ein Kränzlein winden für Feinslieb und mich.« Wieder in deutschen Liedern sind gebrochene Blumenblätter oder Blumen ins Fenster geworfen, das Zeichen, daß der Liebende draußen harre (Volksl. Nr. 85. Str. 3):

»Ich brach drei Lilgenblättlein,
ich warf ihr's zum Fenster ein:
»schlafest du »der wachest?
steh auf, feins Lieb, und laß mich ein.««

Oder:

»Er thät ein Röslein brechen,
zum Fenster stieß er's hinein:
»thust schlafen oder wachen,
Herzallerliebste mein?«

Neben dieser leichtfertigern Weise schlagen aber die Volkslieder auch einen Ton an, der den Kunstdichtern fremd geblieben ist. Nithart und seine Genossen schmücken ihre Landmädchen lieblich genug mit Jugendreiz, Blumen und Feierkleidern, namentlich gibt der von Stamheim ein lachendes Frühlingsbild vom Auszuge der Mädchenschar zu Reigen und Ballspiel, auch lassen diese Sänger die lebensfrohe Tochter fleißig durch die Mutter warnen und ausschmälen, aber das Endziel ist immer, daß die junge Dörferin an der Hand des verlockenden Ritters dahinspringt, oft die Mutter zugleich. Dem Hofe diente gerade dieses zur Belustigung, um das weitere Geschick der Hineilenden war er unbekümmert. Die Volksansicht nimmt es ernster, ihr ist die Jungfrau, die zum Tanz oder nach Blumen geht, eine nachdenkliche Erscheinung. Im ersten Jugendglanze, zaghaft und ahnungsvoll, für die gefährliche Lust sich schmückend, ist sie ein Trost der Augen, aber auch ein Gegenstand der frommen Scheue, der Besorgnis und des leisen Mitleids, ein bekränztes Opfer. Es ist in alter Poesie herkömmlich, die jungfräuliche Schönheit, von Sonne, Regen, Wind und Staub unberührt, in heiligem Dunkel erblühen und dann eines Morgens in reinstem Glanze hervorgehen zu lassen. Im Gudrunliede läßt der König Hagen sein Kind Hilde so aufziehen, daß die Sonne dasselbe nicht bescheint, noch der Wind es anrührt, Kriemhild, noch niemals von Sifrid gesehen, tritt endlich aus ihrer Kammer, wie der rote Morgen aus trüben Wolken. Die Tochter des Heidenkönigs im Gedichte von Sankt Oswald ist in eine Kammer verschlossen, wo nur durch die gläsernen Fenster der Tag sie bescheint: wenn sie zu Tische geht, wird über ihr ein rot und weißes Seidentuch getragen, damit nicht Wind noch Sonnenschein ihr nahen könne. Ein serbisches Heldenlied meldet von dem Wundermädchen Rossanda:

»Aufgewachsen war die Maid im Käfig,
aufgewachsen, sagt man, fünfzehn Jahre,
hatte nimmer Mond gesehn noch Sonne:
aber jetzo kam es aus, das Wunder!«

Einem Mädchen, das weiß und schön ist, wie Tag und Sonne, wird im deutschen Märchen zugerufen:

»Deck' dich zu, mein Schwesterlein,
daß Regen dich nicht näßt,
daß Wind dich nicht bestäubt,
daß du fein schön zum König kommst!«

Wunderbare Begabungen, Perlenweinen und Goldkämmen, sind von solcher Bewahrung von Luft und Sonnenstrahl abhängig. Überall dichterischer Ausdruck der ängstlichen Pflege, die darauf verwendet wird, den zartesten Schmelz der Jugend und Unschuld unangehaucht zu erhalten. Wie das Mädchen selbst, soll auch die Rose beschaffen sein, die von seiner Hand gebrochen wird. In einem deutschen Liede des 16. Jahrhunderts fragt eine wunderschöne Jungfrau, die nach Rosen geht, den Begegnenden: wie man dieselben brechen soll? breche man sie gegen Abend, so seien sie bleich von Farbe, breche man sie gegen Morgen, so hab' ein andres sie vorweggenommen; sie erhält den Bescheid:

»Die Roslein soll man brechen
zu halber Mitternacht,
dann seind sich alle Blätter
mit dem kühlen Thau beladen,
so ist es Rösleinbrechens Zeit.«

Dasselbe Lied schildert dann auch den Gang zum Tanze:

»Es wollt' ein Mägdlein früh aufstehn,
an einem Abendtanze gehn,
sie leuchtet' also ferne
gleichwie der Morgensterne,
der vor dem Tag aufgeht.«

Die Rosen, tauig aus der Nacht kommend, der Stern der dämmernden Frühe sind gleichmäßig Darstellungen der frischesten, morgendlich aufglänzenden Schönheit. Aber auch der stille Morgengang in die Blumen bleibt nicht ohne die Mahnungen und Ansprüche der Liebe. Alte französische Liedchen kennen den bezaubernden Luftkreis, der die Jungfrau zusamt dem blumentragenden Garten oder Gehölz umweht und dessen leisem Hauche ihr eigenes Herz halb zagend sich aufschließt. »Schön' Alis stand frühmorgens auf, kleidet' und schmückte sich, gieng in einen Baumgarten, fand da fünf Blümlein, machte daraus ein Kränzlein von blühender Rose; um Gott, hebt euch von hinnen, ihr, die ihr nicht liebet!« Diese Notwendigkeit, zu lieben, und den Bann über die Nichtliebenden sprechen auch zerstreute Tanzzeilen aus: »Wer bin ich denn? seht mich an! und muß man mich nicht lieben?« »Ich hüte das Holz, daß niemand ein Blumenkränzlein von dannen trage, wenn er nicht liebet.« »Alle, die verliebt sind, kommen zum Tanze, die andern nicht!« »Die ihr liebt, tretet hieher! dorthin, die ihr nicht liebt!« Schüchtern pflückt das Mädchen nur eine Blume: »Gestern frühe stand ich auf, in unfern Garten trat ich, drei Liebesblumen fand ich da, eine nahm ich, zwei ließ ich stehn, meinem Freunde will ich sie schicken, der darüber lustig und froh sein wird.« Noch inniger mischen sich Blumenlust und Liebesseufzer in kleinen spanischen Liedern: »Vom Rosenstrauche komm' ich, Mutter! komme vom Rosenstrauch; an den Ufern jener Furt sah ich den Rosenstrauch knospen, komme vom Rosenstrauch; an den Ufern jenes Stromes sah ich den Rosenstrauch blühen, komme vom Rosenstrauch; den Rosenstrauch sah ich blühen, pflückte Rosen mit Seufzen, komme vom Rosenstrauch.« »Mein schwarzbraun Mädchen betracht' ich, wie es im Garten den Zweig des Weißen Jasmins bricht.« »Wer ist das Mädchen, welches die Blumen pflückt, wenn es keinen Liebsten hat? Das Mädchen pflückte die blühende Rose, der kleine Gärtner fordert ihr Pfänder ab, wenn es keinen Liebsten hat.« Wieder die Strafbarkeit des Nichtliebens. Die Gefahr zeigt sich aber auch dringender, die Pfändung gewaltsamer. In einer schottischen Ballade weifen drei Schwestern die Stäbchen, welche nach dem grünen Walde gehen soll, um Rosen zu pflücken zum Schmucke des Gemachs, und der jüngsten, der das Los zufällt, wird das zur Ursache all ihres Wehs; in andern Balladen wird das Mädchen im Walde zur Rede gestellt, daß es ohne Erlaubnis Rosen breche, und muß mit Leben oder Freiheit büßen, muß ein Pfand lassen, den Goldring, den grünen Mantel oder die jungfräuliche Ehre; ein Goldring kann wieder gekauft, ein Mantel wieder gesponnen werden, aber die Ehre bleibt für immer verloren. In deutsch-wendischer Darstellung soll Else, als sie morgens im Walde Gras geschnitten, dem Herrn des Waldes ein Pfand geben, sie bietet erst ihr Sichelchen an, dann ihren silbernen Fingerring, nur ihr Rautenkränzlein gibt sie nicht, und sollte sie darum das Leben lassen. Ein anderes deutsches Lied unternimmt es, zu schildern, wie ein greiser Ritter dem Mädchen, das auf seiner Wiese grast, ein Pfand abringen will: »rührst du mich mit dem eisgrauen Barte, so sterb' ich!« ruft sie aus, bricht einen Rosenzweig ab und wehrt sich damit.

Die bedenklichste Gefährde liegt stets im jugendlichen Leichtsinne selbst, darum lassen es die Lieder nicht an Warnungen fehlen. Eines aus dem Kuhländchen sucht besonders vom sonntäglichen Rosenbrechen zu unheiligem Gebrauch abzuschrecken. Annelein geht in den Rosengarten, bricht Rosen und macht ein Kränzlein am Sonntag unter der heiligen Messe, aber wie sie die erste Seide windet, kommt der Böse geschlichen und fragt:

»Machst du denn der lieben Kirch' einen Kranz?
oder machst du deinem Schönlieb einen Kranz?
»Ich mach' wohl nicht der Kirch' einen Kranz,
ich mach' wohl meinem Schönlieb einen Kranz.««

Alsbald wird sie in einen andern Rosengarten gebracht, wo sie den feuersprühendcn Wein trinken muß. Freundlicher ist die Mahnung, die einem Mädchen auf dem Wege zum Rosenbrcchen zugeflüstert wird:

»Es wollt' ein Mägdlein tanzen gehn,
sucht' Rosen auf der Heide;
was fand sie da am Wege stehn?
eine Hasel, die war grüne.

Nun grüß dich Gott, Frau Haselin!
von was bist du so grüne?
»Nun grüß' dich Gott, feins Mägdelein!
von was bist du so schöne?«

Von was daß ich so schöne bin,
das kann ich dir wohl sagen:
ich ess' weiß Brot, trink' kühlen Wein,
davon bin ich so schöne.

»Ißt du weiß Brod, trinkst kühlen Wein
und bist davon so schöne,
auf mich so fällt der kühle Thau,
davon bin ich so grüne.«

Hüt' dich, hüt' dich, lieb Hasel mein
und thu dich wohl umschauen!
ich hab' daheim zween Brüder stolz,
die wollen dich abhauen.

»Und haun sie mich im Winter ab,
im Sommer grün' ich wieder:
verliert ein Mägdlein ihren Kranz,
den findt sie nimmer wieder.«

Dieses Lied von altertümlichem Tone findet sich gleichwohl in keiner älteren Aufzeichnung, und die mündlichen Überlieferungen sind teils mangelhaft, teils überladen, so daß man aus der Vergleichung mehrerer die reine Gestalt desselben entnehmen muß. Von seinem früheren Dasein zeugt aber auch äußerlich eine umschreibende englische Bearbeitung in einer Handschrift des 16. Jahrhunderts, wo der warnende Strauch ein blühender Hagedorn ist. Nach wendischer Fassung wird das Mägdlein beim Grasen im grünen Holze von einem kleinen Ast ins Gesicht geschlagen und droht, durch seine zwei Brüder ihn wegschneiden zu lassen, das Ästlein entgegnet, im Frühling schlag' es doch wieder aus, seine Sprossen werden dann viel grüner noch und frischer stehn, aber um verlorene Mädchenehre sei es auf immer geschehen. Den Ursprung der Schönheit, worunter besonders die blühende Farbe verstanden ist, im Genusse des guten Brotes kennt schon der Meier Helmbrecht, der es zu den Segnungen des Ackerbaues rechnet, daß dadurch manche Frau »geschönet« werde; in einer schottischen Ballade wird ein von Schönheit leuchtendes Mädchen gefragt, woher sie das Wasser genommen, das sie so weiß wasche? und ein Minnesänger hat über dem brennend roten Munde seiner Geliebten den Einfall, sie habe wohl eine rote Rose gegessen. Das früher ausgehobene Gespräch der Jungfrau mit der Nachtigall führt auf dieselbe Lehre, wie das mit der Hasel, nur wird in jenem mehr der grünende, in diesem der winterliche Baum vorgehalten; das Mädchen sagt der Nachtigall, Reif und Schnee werden ihr das Laub von der Linde streifen, die Nachtigall entgegnet:

»Und wann die Lind' ihr Laub verliert,
behält sie nur die Äste
(a. so trauern alle Äste),
daran gedenkt, ihr Mägdlein jung,
und haltet eur Kränzlein feste.«

Minder passend wird solches auch der Hasel in den Mund gelegt, und schon im Gespräche zwischen Florance und Blancheflor wird in gleichem Sinne von einer der Gespielen an das traurige Aussehen des entlaubten Baumes erinnert. Die Rose selbst wird angerufen, um Weisung und Kunde zu geben. Ein Mädchen will sich nicht günstig erweisen, als wenn ihr drei Rosen gebracht werden, die im Winter aufgeblüht sind, und sie werden ihr gebracht:

»Da sie die rothen Röslein sah,
gar freundlich thät sie lachen:
so sagt mir, edle Röslein roth,
was Freud' könnt ihr mir machen?««

Die gebrochenen Rosen verkünden ihr das gleiche Schicksal (Volksl. Nr. 113, B. Str. 6). Dietmar von Aist läßt sich durch die Rosen, die er an vertrauter Stelle blühen sieht, den Gedanken an die Geliebte mahnen; im Volksliede sollen sie noch bestimmter das Gewissen der Liebe, die Treue, wach erhalten:

»Es stehn drei Rosen in jenem Thal,
die rufet, Jungfrau, an!
Gott gesegen' Euch, schöne Jungfrau,
und nehm' kein andern Mann!«

Sie stärken auch dadurch die Treue, daß sie vom Leben und Geschicke des fernen Freundes Zeugnis geben; dem Mädchen im Walde fallen drei Röslein in den Schoß:

»Nun sag', nun sag', gut Röslein roth,
lebet mein Buhl' oder ist er todt?

»Er lebet noch, er ist nit todt,
er liegt vor Münster in großer Noth.

Er liegt zu Köln wohl an dem Rhein,
er schenkt den Landsknechten tapfer ein.««

Im dänischen Liede von Ritter Aage und Jungfrau Else wird auch dem Toten noch Kunde von Lieb und Leid der überlebenden Braut: ist sie frohen Mutes, so ist sein Grab voll roter Rosenblätter, grämt sie sich, so ist sein Sarg wie mit geronnenem Blute gefüllt. Dem strengeren Sinne der Volkslieder gemäß gehört es zur Vollständigkeit dieser Reihe, daß auch die Unglückliche, die, den Blumenkranz verscherzt hat, ihre Klagen erhebe:

»Da zog sie ab ihr Kränzelein,
warf's in das grüne Gras:
»ich hab' dich gerne tragen,
dieweil ich Jungfrau was.«

Auf hub sie wohl ihr Kränzelein,
warf's in den grünen Klee:
»gesegen' dich Gott, mein Kränzelein,
ich seh' dich nimmermeh.««

Tiefer geht ein Lieb aus den Sammlungen des 16. Jahrhunderts, auch im Volksmunde noch unerloschen:

»Traut Hänslein über die Heide ritt,
er schoß nach einer Taube,
da strauchelt' ihm sein apfelgrau Roß
über eine Fenchelstaude.

»Und strauchel' nicht, mein graues Roß!
ich will dir's wohl belohnen,
du must mich über die Heide tragen
zu Elselein, meinem Buhlen.«

Und da er auf die Heide kam,
da begegnet' ihm sein Buhle:
»kehr' wieder, kehr' wieder, mein schönes Lieb!
der Wind der weht so kühle.«

Und daß der Wind so kühle weht,
so hat mich noch nie gefroren;
verloren hab' ich mein' Rosenkranz,
den will ich wiederum holen.

»Hast du verlorn dein' Rosenkranz,
willt du ihn wiederum holen,
bis Montag kommt uns der Krämer in's Land,
kauf' dir, schöns Lieb, ein' neuen!«

Am Montag, da der Krämer kam,
er bracht' nicht mehr denn alte:
»setz', schöns Lieb, einen Schleier auf
und laß den lieben Gott walten!«

Der uns dieß neu Lied erstmals sang,
er hat's gar wohl gesungen,
er hat's den Mägdlein auf der Lauten gespielt,
die Saiten sind ihm zersprungen.«

Dem Ausreitenden strauchelt das Roß, ein übles Vorzeichen, das zur Umkehr mahnt: bald begegnet ihm auf der Heide, über die der kalte Wind weht, sein schönes Lieb, das nicht den Frost empfindet, aber um den abgewehten Rosenkranz klagt. Dieses Bild gebrochener Treue, verlorener Ehre, wird weiter verfolgt. Ein Winterhauch ist nun auch der bittere Hohn aus gekränktem Herzen, die gesprungenen Saiten, wie am Schlüsse des Vonvedliedes, entsprechen dem Mißlaute des zerrissenen Liebesglücks. Der Blumenkranz, der seine vollkommene Geschichte hat, schwankt vom Anfang an zwischen zwei verschiedenen Bedeutungen, er bezeichnet die jugendliche Freude und die jungfräuliche Unschuld, diese finden zwar ihre Einheit in der morgenfrischen, tauglänzenden Jugendblüte, aber die Verbindung ist nicht ungefährlich, und wenn die Jugendlust vorschlägt, zerflattert das aufgelöste Gewinde. Soweit die sinnbildliche Benützung der Blumen bisher dargelegt worden, ging dieselbe einfach und unmittelbar aus der poetischen Anschauung hervor. Die Blumen als Symbole jugendlicher Anmut und Frischheit, Liebe und Freude sind für sich verständlich. Die Rose waltet vor, weil sie die Blume der Blumen ist, die vollkommenste Darstellung dieser Eigenschaften und Zustände. Dem Gegensatze von Liebeslust und Liebestrauer, des freudeblühenden und des kummerbleichen Mädchens, schien ein Streit der roten und der weißen Blume, der Rose und der Lilie, zu entsprechen. Das Veilchen hat seine Bezeichnung als erste früheste Blume, noch einige andre Blumen sind im Minnesange genannt, das mannigfache Farbenspiel der Blumen und Blätter wird ausgemalt, aber auf eine besondre Bedeutung der einzelnen Farben und Namen nicht weiter eingegangen. Erst mit dem Anfang des 14. Jahrhunderts gestaltet sich eine vollständige Farbenlehre, die jeder einzelnen Farbe für die Angelegenheiten der Liebe einen besondern Sinn beilegt und diesen auch je auf die Färbung der Blumen übertragt. Das 15. Jahrhundert entfernt sich noch weiter von dem unmittelbaren sinnlichen Eindruck, indem es sprechende Blumennamen auf die Empfindungen und Geschicke der Liebenden anwendet. Diesen beiderlei Weisen, die zum Teil auch miteinander verbunden sind, fehlt es zwar nicht gänzlich an natürlichen Anlässen, in ihrer Durchführung aber sind sie künstlich ausgesonnen, beruhen auf willkürlicher Übereinkunft oder bewegen sich in dürrer Wortspielerei, so daß sie nur als Abartungen der Poesie betrachtet werden können. Da sie gleichwohl auch dem volksmäßigen Liede sich reichlich mitgeteilt haben, so dürfen sie hier nicht unerörtert bleiben.

Die Auslegung der sechs Farben ist Gegenstand eines Gedichtes aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Der Dichter wird von einer minniglichen Frau befragt, was jede der verschiedenen Farben meine, worein jetzt, nach einem durch alle Lande üblichen »Funde«, die Männer sich kleiden, um damit kund zu geben, wie sie gegen ihre Freundinnen gesinnt seien. Er gibt folgende Aufschlüsse: Grün sei ein Anfang, und der Träger dieser Farbe gebe zu erkennen, daß er noch frei von Minne sei; rot bedeute die Not des Minners, der wie feurige Kohle brenne; blau bezeichne Stetigkeit, Treue; wer weiß trage, lasse die Hoffnung merken, die sich seiner Liebe aufgetan; schwarz meine Zorn und Trauer über vergeblichen Dienst und über die Untreue der Geliebten; gelbe Farbe, die selten getragen werde, sei der Minne Sold, »das reiche, minnigliche Gold«, verkünde die erlangte Gewährung. Die Frau macht zu jeder Auskunft ihre Bemerkungen: den Gebrauch des Grünen erklärt sie für einen »klugen Fund« (eine Erfindung), sonst aber findet sie, daß die Farbe der Röcke nicht immer der Wahrheit entspreche, auch kann sie nicht gutheißen, daß man Lieb' und Leid so zur Schau stelle, vormals habe man sein Glück schweigend und allein getragen, zuletzt ermahnt sie den Dichter, seiner Liebsten treu zu bleiben und es niemals mit falscher Farbe zu halten. Der grünen Farbe besonders ist ein Gedicht ähnlicher Art gewidmet. Durch den wonniglichen Wald kommt der Dichter auf eine vom Maientau bedeckte Aue, wo er Blumen mancher Farbe findet: »rot, weiß, in braun gemengt, gelb, blau, durch grün gesprengt«; daselbst trifft er eine Frau, die sich für eine Liebhaberin der grünen Farbe erklärt und von ihm die Eigenschaften derselben gründlich erfahren will; er zählt diese rühmend auf, namentlich daß Grün, als Farbe der nahenden Sommerzeit, die Welt freudenvoll mache, und daß es in der Liebe ein fröhlicher Anfang sei; wer sich Grün auserwählt, der habe sich dem Maien zugewandt und Freude begonnen, Grün sei Ursprung aller Dinge. Auch in einer allegorischen Dichtung wird diese Farbenlehre dargestellt: Die Minne sendet dem Dichter, der bereits ihre Macht empfunden, eine Frau zu, die ganz in Braun gekleidet ist und ihm die Lehre gibt, zu schweigen und was ihm Gutes werde, in sein Herz zu verschließen, sie selbst nennt sich »Verschwiegen immermehr« (immerfort)«, weshalb sie auch braune Kleider trage, und fordert den Minnelehrling auf, zu weiterer Unterweisung ihr zu folgen; er wird in einen Saal geführt, um welchen Berg und Tal wie Klee ergrünen und dessen Wände von Smaragd glänzen, darin empfängt ihn eine andre Frau, deren Gewand von grasgrünem Samt geschnitten ist, diese rät ihm, mit Bedacht anzuheben, in Grün zu beginnen, keine Frucht könne vollwachsen, sie hebe denn mit Grün an, Grün sei den Augen gut, von Grün entsprieße weiße Blüte, sie selbst heiße: »der Freuden ein Beginnen«; sofort geleitet sie ihn auf ein weißes Feld, wo in einem Gezelt von weißer Seide mit Knöpfen von Perlen eine Frau sitzt, die in Hermelin und Lilien gekleidet ist und die dem »Wildfang«, wie ihn die Führerin nennt, einen Brief liest, wonach kein besser Ding ist als hoffen, wie denn auch ihr Name »Hoff' für Trauren!« lautet; sie bringt ihn nach anderem Lande, wo er vor einem großen Heer eine Frau auf rotem Pferde daherreiten sieht, ihr Reitzeug leuchtend von Gold und Rubin, ihr Mantel von rotem Scharlach, ihr Gewand brennendrot, das Feld umher ist mit Rosen bestreut, und die stolze Frau, nachdem sie abgestiegen, erhebt ein reiches Lob der roten Farbe: mit Rot gehe die Sonne auf, Rot sei der Welt Wonne, in Rot entzünde sich das liebende Herz, wo zwei Liebende den Bund der Treue schließen, da erglühen sie in Röte; noch sagt sie ihm ihren Namen: »die Lieb' entzündet«, und führt ihn dann weiter zu einem himmelblauen Hause, wo viele blaugekleidete Männer und Frauen zusammen rufen: »bleib stet!« und die Herrin des Hauses: »Wank' nimmer nicht!« genannt, in saphirblauem Gewände, den vor ihr Knienden zu treuer Liebe mahnt und einsegnet, ihn sogar als Kaiser im blauen Orden grüßt: doch sitzt er nicht lange auf seinem Herrscherstuhl, als eine schwarze Frau zornmütig herankommt, den Stuhl daniedeireißt und den erschrockenen Kaiser gebunden nach ihrem Heimwesen führt, wo sie ihm, wie so manchem andern, eine Klammer anschmiedet; vergeblich fragt der Gequälte nach Gelb, Gelingen, aber doch gibt die strenge Frau, die nicht näher benannt wird, ihn am Ende los, nachdem auch unter schwarzem Kleide sein Herz blau geblieben ist. Dieser Gattung von Gedichten reiht sich endlich eines an, worin noch einmal zwei liebende Jungfraun, eine frohe, von Lieb' und Treue singende, und eine traurige, händeringende, Zwiegespräche halten und auch äußerlich durch die Farbe der Kleider, rot und grau, unterschieden sind, anstatt jener natürlichen und poetischen Gegensätze, der blühenden und der bleichen Gesichtsfarbe, der roten und der weißen Blume. Volksmäßige Lieder des 15. und 16. Jahrhunderts geben Zeugnis, wie sehr die Bekanntschaft mit den Farbenregeln verbreitet war. Bald werden die bedeutsamen Farben der Reihe nach ausgespielt, so besonders in einem Liebesliede, dessen sieben Gesätze je einer Farbe gewidmet sind und dabei meist dem obigen Lehrgange folgen, indem sie von Grün zu Weiß, Rot und Blau vorschreiten, dann Grau und Gelb einschieben und mit Schwarz endigen: auch in nachstehenden Strophen eines Liedes aus dem 15. Jahrhundert auf eine ungetreue Schöne zu Heidelberg:

»Und da ich meinen Buhlen hät,
da trug ich blau, bedeutet »stät«,
die Farb' ist mir benommen;
nun muß ich tragen schwarze Farb',
die bringt mir keinen Frommen.

Schwarze Farb', die will ich tragen,
darin will ich mein Buhlen klagen,
ich hoff', es währt' nit lange;
schneid' ich mir ein grüne Farb',
die ist mit Lieb' umfangen.

Grüne Farb' ist ein Anfang;
weiße Farb', hab' immer Dank!
wo findt man deinesgleichen?
wer ein' stäten Buhlen hat,
der soll nit von ihm weichen,«

Grau und braun sind hiernächst noch aufgeführt. Öfter jedoch werden nur einzelne Farben beigezogen, was mit einem ungesuchten Ausdrucke der Empfindung sich eher verträgt. Ein solches Lied hebt an:

»Wohl Heuer zu diesem Maien
in grün will ich mich kleiden,
den liebsten Buhlen, den ich hab',
der will sich von mir scheiden;
das macht allein sein Untreu,
sein wankelmüth'ger Sinn;
Hab' Urlaub, fahr dahin!« (Volksl. Nr. 66. Pf.)

Der treulos Aufgegebene will sich grün kleiden, weil er sich wieder frei fühlt und mit dem nahenden Sommer ein neues Liebeleben beginnen kann, er geht selbst mit über in den fröhlich aufgrünenden Mai. In gleichem Sinne denkt der Heidelberger Sänger auf ein grünes Gewand und spricht diese Meinung noch auf andre Weise aus:

»Schöne Frau, ist das der Lohn,
den ich um Euch verdienet han
mit Tanzen und mit Springen,
so will ich diesen Sommer lang
mit andern Vögeln singen,

Geduldiger singt ein andrer:

»In Schwarz will ich mich kleiden,
und leb' ich nur ein Jahr,
um meines Buhlen willen,
von dem ich Urlaub hab';
Urlaub hab' ich
ohn' alle Schulden,
ich muß gedulden.«

In einem französischen Liede klagt der Liebende zum Abschied: »Ach! wo sind die Farben, die wir zu tragen pflegten? Gelb ist mir entgegen, Grau muß ich lassen, für allen Entgelt muß ich Schwarz tragen«; doch behält auch er sich vor, wenn seine Liebe ihn täusche, mit dem kommenden Maimond andre anzuknüpfen. Braune Tracht zum Zeichen des Schweigens, Veilchenblau als Farbe der Stetigkeit und ähnliches mehr findet sich in den Liedern zerstreut. Eine Schöne beschwert sich, daß derjenige, der im Gedanken an sie Braun, Blau und Weiß getragen, nun einer andern zu Dienst in Braun, Weiß und Grün gehe: hier ist Blau ausgefallen und mit Grün vertauscht, die Farbe der Treue mit jener der Freiheit und eines neuen Anfangs. Wer Ausleger der sechs Farben verdankt seine Kenntnis von der Kraft derselben einem Grafen von Hohenberg, der Sänger des Heidelberger Liedes nennt sich einen Hofmann, höfischen Geschmacks ist überhaupt diese Livrei der Liebe. Da nun schon im Mittelalter Frankreich das Muster aller Hofsitte war, so werden auch die Vorgänge des ausgebildeten Farbenwesens dort zu suchen sein.

Aber selbst in diesem hofmaßigen Zuschnitte hat die Deutung und Anordnung der Farben sich im Einklange mit dem sinnlichen Eindruck und der natürlichen Erscheinung derselben zu halten gewußt. Besonders erinnert die beschwichtigende und erfrischende Kraft der grünen Farbe an die Wirkungen des panno verde; diesem unmittelbaren Eindruck aber gesellt sich die Anschauung, daß aus dem Grünen der ersten Frühlingsfarbe alles weitere entsprießt, und hiernaach die bildliche Beziehung, die so oft ausgesprochen wird, daß Grün der Anfang sei; das Naturbild setzt sich fort, indem aus Grün die weiße Blüte sich entfaltet, aus dem Zustande der unbestimmten Empfänglichkeit das erste, zarte Hoffen; hierauf folgt das brennende Rot, der heftige Reiz des panno rosso, das naheliegende Wahrzeichen der Leidenschaft; diese Flammenfarbe sänftigt und sammelt sich im Blau der Treue; gedämpfter noch ist Braun, die Farbe der Behutsamkeit und des Schweigens; Gelb und Schwarz stehen sich gegenüber, jenes ein prunkender, festlicher Glanz, bezeichnet das Gelingen, das Gold der Minne, dieses mit seinen finstern Schatten eignet sich, von selbst verstanden, dem Mißmut und der Trauer.

Der Naturfilm, dem eine lehrhafte Auslegung der Farben und die Anwendung dieser Lehre auf die Wahl der Kleider nicht genügen konnte, nahm seinen Ausweg dahin, daß er die Farben in Blumen verwandelte. Dieser Weg war schon gewiesen, indem man aus Grün die weiße Blütenfarbe hervorgehen ließ. Das Reich der Farben ist nun ein Frühling, der in seinen Blumen alles sinnige Farbenspiel zur Entfaltung bringt; ja es ist wohl gedenkbar, daß eben am bunten Schmelz der Blumenwelt die nachsinnende Vergleichung, und verliebte Deutung der Farben vornherein sich entwickelt hat. Hierher fällt ein Lied vom Anfang des 15. Jahrhunderts, das zwischen Kunst- und Volksgesang die Mitte hält. Des Sängers Herz freut sich dem Mai entgegen, der Blümlein mancher Farbe bringt, rot, weiß, schwarz und blau, doch ist ihm blau das liebste, blau bedeutet stet! das rote Blümlein brennt in Liebe, das weiße wartet auf Gnade, das schwarze bringt Klage, wenn er sich von der Liebsten scheiden muß: er segnet sie, die ihm das blaue Blümlein gab. Die grüne Farbe, die hier vermißt wird, ist in einem ähnlichen Liede des Grafen Hugo von Montfort, dessen Gedichte mit den Jahreszahlen 1396 bis 1414 versehen sind, vorangestellt: Vieles, womit die Welt sich nährt, fängt der Mai mit Grünem an, manch Blümlein, rot und blau in Blau, ist 'lieblich entsprungen, dabei findet man Grau, und Grün drängt sich dazwischen, Blümlein gelb, braun und weiß sind mit Maientau begossen, doch geht dem Dichter ein rotes Mündlein über Blumenschein, seine weiße Zähne glänzen daraus, braune Brauen, klare Augen solcher Blumen nimmt er wahr, den Schönen glänzt ihr Haar über Blumengelb, Blau steht in ihrem Herzen, in Gesundheit grünt sie. So wird die Geliebte selbst, leiblich und geistig, ein Inbegriff von Blumen aller Farben. Ein gleichzeitiges Lied im Volkstone beginnt erst noch farblos:

»Mein Herz hat sich gesellet
zu einem Blümlein fein,
das mir wohl gefället,
durch Lieb' so leid' ich Pein.«

Dann aber spielt dieses Blümlein (Str, 4: »Es ist ein' Jungfrau schön«) in sechserlei Farben:

»Mein Herz hat sich gesellet
zu einem Blümlein roth,
das mir wohl gefället,
durch Lieb' so leid' ich Noth.

Mein Herz hat sich gesellet
zu einem Blümlein weiß« usw.

Auf gleiche Weise durch Braun, Grün, Grau (Blau?) bis zu Gelb, wobei der Sänger Gewährung hofft: der Kehrreim ist ein jubelnder Mairuf, vermutlich älteren Ursprungs:

»He he! warum sollt' ich trauren!
nun rühret mich der Mai;
schlag, schlag, schlag auf mit Freuden!
mein Trauren ist entzwei.«

Zu besondrem Ansehen gelangt um diese Zeit das blaue Blümlein. Es lag in der lehrhaft allegorischen Richtung damaliger Dichtkunst, die Farbe der Stetigkeit, einer sittlichen Eigenschaft, vorzüglich hochzuhalten. Der Graf Johann von Habsburg, in der Mordnacht zu Zürich 1350 ergriffen, ward daselbst in den Wellenberg, den nun abgebrochenen Wasserturm, gelegt, hier lag er in das dritte Jahr gefangen und machte das Liedlein: »Ich weiß ein blaues Blümelein.« Nur diesen Anfang haben die Chromken aufgezeichnet, das Lied als wohlbekannt voraussetzend. Daß mit dem blauen Blümlein, von dem fortan viel gesungen wird, zuerst das Veilchen gemeint war, deuten noch Liederstellen aus dem 15. Jahrhundert an. Der schon angeführten, wonach Veielblau die Farbe der Stetigkeit ist, entspricht eine andre, worin ebendarum das Veilchen vor allen Frühlingsblumen gerühmt wird. Einmal kann auch auf die blaue Kornblume geraten werden, als Ersatz entgangener Maiblüte. Noch müssen beide zurückstehn vor dem beliebten Vergißmeinnicht. Dieses glänzt nicht bloß im reinsten Blau der Treue, sondern es mahnt auch in seinem Namen zur Beständigkeit des liebenden Gedenkens. Mit dem Vergißmeinnicht aber eröffnet sich eine neue Botanik der Liebe, eine Reihe von Kräutern und Blumen, deren spruchartige Namen mannigfache Beziehung auf Liebesverhältnisse gestatten und nun auch emsig in den Liedern ausgebeutet werden: Vergißmeinnicht, Wohlgemut, Augentrost, Äugelweib, Jelängerjelieber, Tag und Nacht, Ehrenpreis, Hab' mich lieb, Maßlieb, Denk' an mich, Wegweis, Wegwart, Wermut, Schabab. Die meisten und gebrauchtesten unter diesen Namen sind zwar nicht in ihrem Ursprünge sinnsprüchlich, sondern aus dem unmittelbaren Wohlgefallen an den zierlichen Gewächsen und aus der Beobachtung ihrer natürlichen Beschaffenheit hervorgegangen. Das kleine, niedrigstehende Vergißmeinnicht will nicht übersehen sein, ebenso Denk' an mich, Hab' mich lieb; dagegen ist Jelängerjelieber eine Artigkeit, die dem Blümchen gesagt wird, ebenmäßig Augentrost, Augenweiide; Tag und Nacht bezeichnet die Teilung in lichte und dunkle Hälfte; Schabab, eine späte Blüte, verkündet den Abzug des Sommers. Aber die verblümte Anwendung solcher Namenbildungen lag gänzlich im Geschmacke der Zeit, lauten sie doch nahezu wie jene der allegorischen Frauen: Verschwiegen immermchr, Hoff' für Trauren, Wank' nimmer nicht! So wird Vergißmeinnicht die Mahnung zur Beständigkeit, Wohlgemut die Losung der Freude, Augentrost ein Mittel gegen Traurigkeit, Jelängerjelieber ein Ausdruck zunehmender Verliebtheit, Schabab ein Zeichen der schnöden Abweisung und des Verleidetseins. Ein Lied solchen Inhalts führt nacheinander das blaue Vergißmeinnicht, das braune oder weiße Habmichlieb, den rosinroten Herzentrost (für Augentrost?) und den Wohlgemut auf, aber all diese erfreulichen Blumen sind von Reif und kalten Winden gefalbt, abgemäht, verdorrt; nur das weiße Blümlein Schabab blieb dem Liebenden zu tragen, doch er hofft auf einen neuen Sommer, wo Reif und Schnee, den neidischen Klaffern dienstbar, vergessen, der lichte Mai die Blümlein mancher Farbe wiederbringt und er, den Klaffern zuleide, von Liebesarmen umfangen ist (Volksl. Nr. 54). Dieses Lied hebt an:

»Weiß mir ein Blümli blaue
von himmelblauem Schein,
es steht in grüner Aue,
es heißt Vergißnitmein« usw.

und man wird damit an jenes: »Ich weiß ein blaues Blümelin« usw. des Grafen von Habsburg erinnert, doch läßt sich aus diesem Anklange nicht weiter folgern, indem das andre Lied nur erst in Aufzeichnungen des 16. Jahrhunderts vorhanden dund das Spiel mit derlei Blumennamen, gleich diesen selbst, nicht bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts mit Bestimmtheit nachweisbar ist. Noch Hug von Montfort und der zunächst vor ihm erwähnte Sänger deuten die Blumen und besonders die blaue nicht nach ihren Namen, nur nach den Farben. Beim Vergißmeinnicht trifft zwar die Bedeutung der Farbe mit dem Wortlaute zusammen, sonst aber deckt die Farbenlehre sich keineswegs mit dem Namensinne; Weiß kann nicht zugleich Farbe der Hoffnung und des unseligen Schabab sein. Einmal kundbar, wird nun aber die neue Namendeutung mit aller Freude eines besonders sinnreichen Fundes betrieben. Nicht allein sind derselben ganze Lieder eigens gewidmet, auch sonst können die Sänger nicht umhin, in Frühlingsschilderungen der edeln Kräuter Wohlgemut, Vergißmeinnicht und andrer bedeutsam zu gedenken oder in zärtlicher Huldigung um ein Kränzlein aus solchen zu bitten, selbst die schöne Graserin wird um einen so sinnschweren Kranz ersucht. Außerdem bietet das 15. Jahrhundert einen Unterricht in Prosa über die Bedeutung von allerlei Blättern und Blumen: diese sollen ebenso mit Bedacht getragen werden, wie man schon im 14. Jahrhundert die Farbe der Kleidung vielsagend wählte, und zwar nimmt dasselbe Baumblatt oder Blümchen verschiedenen Sinn an, je nachdem man es von selbst oder auf Empfehlung der geliebten Person angesteckt hat; sprechende Blumennamen sind hier im gleichen Sinne aufgefaßt wie in den Liedern, aber die meisten der aufgezählten Gewächse finden weder in der Farbe noch im Namen ihre Beutung, sondern in noch viel künstlichern und versteckteren Beziehungen. Zum Beispiel diene das Laub der Linde, die selbst hier noch in ihrem volkfreundlichen Wesen erscheint: »Wer lindin Laub trägt, der gibt zu erkennen, er wolle sich mit der Menge freuen und mit Niemand besonder, wann (weil) die Linde gewohnlich auf der Gemein (Almende) staht, da sich die Menge bei freuet, und gibt doch insunderheit Niemand kein' Frucht.«

Wie Kranz und Blume, so wird auch der Garten als Bild der Liebe gebraucht. Bei den Minnesängern und in Volksliedern älteren Stils werden die Blumen in Wald und wilder Aue gebrochen, kaum einmal, bei Nithart, aus dem Garten geholt. Der Baumgarten, dessen die Rittergedichte häufig gedenken, dient auch im Minnesänge zuweilen der Begegnung mit schönen Frauen. In der Heldensage namhaft ist der Rosengarten, besonders der zu Worms, woselbst noch jetzt ein Werder am Rheine so genannt wird: ebenso hießen auch anderwärts die der Volkslust im Freien gewidmeten Plätze. Der sagenhafte Rosengarten zu Worms ist ein Anger, mit Rosen wohl bekleidet, eine Meile lang und eine halbe breit, statt der Mauer mit einem Seidenband umgeben; dort hat die schöne Kriemhild jedem, der einen der zwölf Hüter des Gartens besiegt, einen Kranz von Rosen, dazu ein Halsen und ein Küssen ausgesetzt: eine Kranzwerbung mit dem Schwerte, wie nachher im Kranzsingen mit Liedern geworben wird, und die Meistersänger ihre Kunst als einen Rosengarten, der von zwölf Altmeistern gehütet wird, darstellen. »Im Rosengarten rein« wurde zum sprichwörtlichen Ausdruck für Behagen, Wohlleben, sorglose Fröhlichkeit, gewonnenes Spiel; in diesem Sinne sagt ein Lied des 15. Jahrhunderts:

»Du erfreust mir's Herz im Leib,
wohl in dem Rosengarte
dem Schlemmer sein Zeitvertreib!«

und wie zu Worms der streitbare Mönch Ilsan durch die Rosen watet oder im Rosengarten sich walgt, so heißt es in einem Bergreihen:

»Dein rosenfarber Mund
macht mich, Feinslieb, gesund,
erst lieg ich in den tollen vollen rothen Rosen.«

Allmählich verengt sich der freiere Gartenraum zum wohloerzäunten Wurz- und Blumengärtlein. Schon Walther von der Vogelweide spricht bildlich von der liebenden Pflege guter Kräuter in einem grünen Garten; Burkart von Hohenvels ebenso vom Würzegarten der Sälde, in dem eine tadellose Frau Rosen nebst andern Blumen und heilsamen Kräutlein brechen könne. Im Renner werden die Gedanken aus der Zeit in die ewige Freude mit denen eines erblindeten Mannes verglichen, der noch den Tag zu erleben sich sehnt, da er die lichte Sonne wieder sehe und bei seinen Freunden sitze, mit ihnen vertraulich esse und trinke und kurzweilen gehe bei schönen Frauen im Wurzgarten. Besonders freuen sich dann bürgerliche Sänger des 15. und folgenden Jahrhunderts einer freundlichen Zusammenkunft oder eines Spaziergangs bei lieblichem Sonnenschein mit der Schönsten in ihrem Gärtlein; dort weist sie den Liebenden in die Rosen oder setzt ihm ein Kränzlein von roten Rosen auf. Die Bildersprache, die hier nur mitgeht, ist vollständiger in einem volksmaßigen Liede durchgeführt, das im 16. Jahrhundert sehr verbreitet war:

»Jungfräulein, soll ich mit Euch gahn
in Euern Rosengarten?« usw.

Die Jungfrau erwidert: der Gartenschlüssel sei wohl verborgen und behütet, der Knabe bedürfe weiser Lehre, dem sich der Garten aufschließen soll; dennoch kommt der Bewerber dahin und trifft die Schöne, wie sie mit heller Stimme singt, daß es im Garten erschallt und die Vögel in den Lüften den Widerhall geben, verstummend und errötend grüßt er sie, wird aber mit dem Vorwurf heimgewiesen, daß er ihr die liebsten Blümlein zertreten wolle, da kehrt er um und sieht im Weggehen, wie die Jungfrau in ihrem Gärtlein allein steht und sich die goldfarben Haare schmückt, mit ihrem roten Munde gibt sie ihm den Segen. Nithart spricht bereits vom Zaunflechten um den Wurzgarten der Minne; sich ein Gärtlein gezäunt haben, scheint herkömmliches Bild für ein gesichertes und abgeschlossenes Einverständnis in der Liebe gewesen zu sein. So beginnt ein Volkslied (Vollst. Nr. 51):

»Ich zäunt mir nächten einen Zaun,
darum bat mich mein Gespiel,
wohl um ein freundlichs Wurzgärtlein,
darinn war Freuden viel,
das wonnigliche Spiel.«

Dieses Gärtlein ist märchenhafter Art:

»es klingen die Äst' von rothem Gold,
die Vögelein singen wohl:
»meins Feinslieb hat mich hold!«

Wenn es dann weiter heißt, das Wurzgärtlein sei Wohl verzäunt, es sei noch nicht offenbar, und wenn sofort aufgefordert wird, es offenbar zu machen, so ist damit eine Rätselaufgabe bezeichnet, das Wort der Lösung aber, auch unausgesprochen, kein andres als wieder die Liebe. Ähnliches in einem andern Liede:

»Ich will gähn in den Garten,
umzeunt mit rothem Gold,
darinn meins Liebes warten,
ich bin ihm von Herzen hold;
es kommt gar schier, es säumt sich nit,
es will mir nichts versagen,
was ich es freundlich bitt'.«

Auch fremde Gewürzbäume zieren den Garten der Liebsten (Volksl. Nr. 30. Str. 3).

»In meines Buhlen Garten
da stehn zwei Bäumelein,
das eine trägt Muscaten,
das andre Nägelein;«

ihr selbst beim Haupte steht ein goldner Schrein, worin das junge Herz des Liebenden verschlossen ist, zu ihren Füßen fließt ein Jungbrunnen, daraus er manch stolzen Trunk getan. Das vom 16. Jahrhundert bis heute vielbekannte Lied dieses Inhalts hatte früher wahrscheinlich den Eingang:

»Nach Osterland (Ostland) will ich fahren,
da wohnt mein süßes Lieb« usw.

und versetzte so den Liebesgarten nach dem fabelhaften Osten, wie anderwärts von dem wundersamen Schloß und Walde oder von dem Baum in Osterreich (Morgenland) gesungen wird, der Muskatenblumen trägt und dessen erste Blume des Königs Tochter bricht (Voltsl. Nr. 93. Str. 1). Dagegen blühen die sinnigen Kräutlein Wohlgemut, Vergißmeinnicht usw., nach einem der Spruchgedichte, sehr angemessen im Wurzgarten, der mit einem künstlich in Herzform gezogenen Hage verzäunt ist.

Eines der angeführten Lieder (Nr. 54) läßt alle die heitern Blümlein von Reif und andrem Ungemach verderben und nur das herbstliche Schabab übrig bleiben. Die erfrornen Blumen, das verwüstete Gärtlein sind auch anderwärts Bilder des durch Trennung oder Untreue zerstörten Liebesglücks und fehlen darum nicht in den Abschiedsliedern, einer zahlreichen Gattung, in der bald das schmerzliche Lebewohl treuer Liebenden, bald der bittre Scheidegruß des gekränkten und erkalteten Herzens ausgesprochen wird. Den Gegensatz glücklicher Zeit und herber Trennung drückt ein alter Kehrreim in wenigen Zügen so aus: »Veilchen, Rosenblumen!« dann:

»Berg und Thal, kühler Schnee:
Herzlieb! Scheiden, das thut weh.«

Treue Liebe will nicht geschieden sein:

»Hat uns der Reif, hat uns der Schnee,
hat uns erfrört den grünen Klee,
die Blümlein auf der Heiden;
wo zwei Herzlieb bei'nander sind,
die Zwei soll man nit scheiden!«

Dennoch geschieht es und die Klage wird laut (Volksl. Nr. 67):

»Ach Gott, wie weh thut Scheiden!
hat mir mein Herz verwundt,
so trab' ich über die Heiden
und traur' zu aller Stund';
der Stunden, der sind also viel,
mein Herz trägt heimlich Leiden,
wiewohl ich oft fröhlich bin.

Hat mir ein Gärtlein gebauen
von Veiel und grünem Klee,
ist mir zu früh erfroren,
thut meinem Herzen weh,
ist mir erfroren bei Sonnenschein
ein Kraut Jelängerjelieber,
ein Blümlein Vergißnitmein.

Sollt' mich meins Buhln erwegen (begeben),
als oft ein ander tut,
sollt' führen ein fröhlichs Leben,
darzu ein' leichten Muth,
das kann und mag doch nit gesein;
gesegen dich Gott im Herzen!
es muß geschieden sein.«

Selbst die sonst trostreiche Wohlgemut wird aufgefordert, mitzutrauern:

»Gründ' meine Wort, Jungfräulein zart,
dieweil ich dich muß meiden!
klag' Sonn' und Mond, klag' Laub und Gras,
klag' Alles, das der Himmel beschloß!
klag' Röslein fein,
klag' kleins Waldvögelein,
klag' Blümlein auf der Heiden!
klag' auch die braune Wohlgemuth!
ach Gott! wie weh mir's Scheiden thut!«

Bitterer lautet folgendes:

»Hat mir zu Freuden ausgesät,
ein Andrer hat mir's abgemäht,
das macht das Wetter unstät,
ein leichter Wind, der mir's hinweht',
ein großer Guß führt's all dahin,
schafft daß ich so traurig bin.«

Hier stimmt auch ein, was in einer dänischen Ballade der Pilger singt, dem, als er von einer Romfahrt nach Hause kommt, seine Frau nicht entgegengeht: »Ich pflanzt' in meinem Wurzgarten Rosen und edle Lilien, nun ist dort andres zwischen gewachsen, wider meinen Willen; ich habe gepflanzt einen Wurzgarten mit Rosen und edeln Blumen, nun ist dort andres zwischen gewachsen, derweil ich in Rom war; in meinen Garten ist ein Hirsch gewöhnt, die Blumen tritt er nieder, er will verwüsten die einzige Wurz, die mir das Herz erfreut.« Die Frau hat schwer zu büßen, daß ihr Mann zu Rom das Reimen lernte, schuldbewußt gibt sie die Schlüssel ab und verläßt das Haus.

»Ich pflanzet' in mein Wurzgärtlein
wohl Rosen und edle Lilgen,
nun wuchs mir Andres zwischenein,
ist nicht mit meinem Willen.

Ich habe gepflanzt ein Wurzgärtlein
mit Rosen und edeln Blumen;
nun wuchs mir Andres zwischenein,
derweil ich war zu Rome.

In meinem Garten geht ein Hirsch,
tritt nieder alle Blüthe,
verwüstet mir die einz'ge Wurz,
die mir gab Hochgemüthe.«

Deutlicher wird jetzt ein weiteres deutsches Lied (Volksl, Nr, 47):

»Nun fall, du Reif, du kalter Schnee,
fall mir auf meinen Fuß!
das Mägdlein ist nit über hundert Meil'
und das mir werden muß.

Ich kam für Liebes Kämmerlein,
ich meint', ich wär' allein,
da kam die Herzallerliebste mein
wol zu der Thür hinein.

»Gott grüße dich, mein feines Lieb!
wie steht unser beider Sach'?
ich seh's an deinen braun' Äuglein wol,
du trägst groß Ungemach.

Die Sonne ist verblichen,
ist nimmer so klar als vor;
es ist noch nicht ein halbes Jahr,
da ich dich erst lieb gewann.«

Was soll mir denn mein seines Lieb,
wenn sie nit tanzen kann?
führ' ich sie zu dem Tanze,
so spottet mein Jedermann.

Wer mir will helfen trauren,
der recke zween Finger auf!
ich seh' viel Finger und wenig Treu'
ade! ich fahr' dahin.« (drum hör' ich Singens auf,)

Diese eisigen Gefühle der Enttäuschung, der erstorbenen Liebe, der sittlichen Zernichtung des geliebten Gegenstandes sind den Volksliedern eigentümlich. Wie im Liede vom verlorenen Rosenkranz, auf der ahnungsvollen Fahrt zu der Liebsten der kühle Wind über die Heide weht, so findet hier der rückkehrende Wandrer es seiner Stimmung gemäß, daß Reif und Schnee auf seinen Fuß fallen; die Entdeckung ist dieselbe, wie dort; da erbleicht ihm die Sonne, er verhöhnt sich selbst und mißtraut auch denen, die er zur Mittrauer auffordert. Das Trauernhelfen gehört zu den genossenschaftlichen Pflichten des Mittelalters und berührt sich hier mit den Formen der Eideshilfe, im Minnesänge wird mehrfach zum mithelfenden Gnaderuf, Lobsingen, Wünschen und Danken aufgefordert, aber auch das Helfen mit Klage und Trauer ist sonst bezeugt und wird in folgenden Abschnitten noch weiter vorkommen. Gleich andern Befreundeten wird die ganze Natur in Mittrauer gezogen, sie soll den menschlichen Kummer widerhallen und abschatten. In der vorhin angeführten Strophe sollen Sonn' und Mond, Laub und Gras, Waldvöglein und Blumen, alles, was der Himmel umschließt, mit dem Scheidenden klagen, dem Enttäuschten erbleicht die Sonne. Nach einer altdeutschen Legende ruft schon Adam nach der Vertreibung aus dem Paradies: »Ich bitte dich, Wasser Jordan, und die Fische, die hier inne sind, und in den Lüften euch Vögelein, und euch Tiere all zusammen, daß ihr mir helfet weinen und mein großes Leid klagen!« Da läßt das Wasser sein Fließen und alle Geschöpfe helfen ihm klagen. Sie bleiben auch fortan nicht unempfindlich beim Leide der Menschen: »die wilden Vögel betrübet unsere Klage«, sagt Walther, eine Vergeltung des Mitleids, das ihrem Ungemache gezollt wird; dem ungeliebten Mädchen will die Linde trauern helfen; dann im litauischen Volkslied:

»Ach wehe, wehe! mein Gott, du lieber!
wer wird uns helfen den Bruder betrauren?

Die Sonne sprach, sich herniederlassend:
»ich werd' euch helfen den Bruder betrauren.

Neun Morgen will ich in Nebel mich hüllen
und an dem zehnten auch gar nicht aufgehn.«

Ferner im niederdeutschen Liede von Egmonts Tode (Volksl. Nr. 355. Str. 25):

»Des von Egmunden schön Gemahl
mit Thränen netzete ihren Saal,
mit Klage das Lied thät enden,
auch höret(e) auf die Nachtigall
zu singen in dem grünen Thal,
Mond und Sonn' thät erblinden.«

Die nordische Sage von Baldur, den alle Wesen, lebendige und unbelebte, aus den Wohnungen der Todesgöttin weinen sollen, deutet an, daß man von großer Klagehilfe außerordentliche Wirkungen erwartete. Über die Notwendigkeit des Scheidens wird in den Liedern auf den Zug der Heerstraße, des Stromes mit den Schiffen, des Winters verwiesen:

»Zwischen Berg und tiefem Thal
da liegt ein' freie Straße,
(a. da fließt ein schiffreich Wasser)
wer seinen Buhlen nit haben woll',
der mag ihn wol fahren lassen.

Ach! Süden-, Nord- und Westerwind
die halten selten stille,
und wann zwei Herzlieb' scheiden solln
g'schieht wider beider Willen.«

Der Wandrer zieht hin, aber das Herz steht stille (Volksl. Nr. 33):

»Dort hoch auf jenem Berge
da geht ein Mühlenrad,
das malet nichts denn Liebe
die Nacht bis an den Tag;
die Mühle ist zerbrochen,
die Liebe hat ein End,
so gesegen dich Gott, mein feines Lieb!
jetzt fahr' ich ins Elend.«

Andre Abschiedslieder entschlagen sich gänzlich der Bilder und Naturanklänge. Das wahre Wehe, die innigste Empfindung verschmähen allerdings oft jeden andern Ausdruck, als den unmittelbarsten. Der Schmerz des Scheidens ist ein Gefühl, dem eben diese einfachsten Laute zusagen. So schon bei Kürenberg:

»Es geht mir von dem Herzen, daß ich weine,
ich und mein Geselle müssen uns scheiden.«

Vergeblich wäre es auch, die einfachen Klagerufe der Volkslieder zu überbieten, jenes sprichwörtliche: »Scheiden tut weh!« oder das wiederkehrende:

»Ach Scheiden, immer Scheiden,
wer hat dich doch erdacht?
hast mir mein junges Herze
aus Freud' in Trauren bracht.«

Dagegen bezeichnen manche Scheidelieder, wie sie im 16., zum Teil schon im 14. Jahrhundert gangbar waren, durch ihre Farblosigkeit mehr nur das Schabab der poetischen Anschauungsweise. Statt aller können die drei in jener Zeit berühmtesten, durch angesehene Tonsetzer gehobenen genannt werden: »Entlaubet ist der Walde« usw., »Ich stund an einem Morgen« ,usw. und: »Innsbruck, ich muß dich lassen« usw. Das erste derselben verkündet nur eben noch in der Anfangszeile den Winter der Liebe, im übrigen sind sie durchaus bildlos. Treuherzig, aber nüchtern, läßt der Scheidende der Geliebten gute Lehren zurück (Nr. 68. Str. 3):

»Sei weis', laß dich nit affen,
der Klaffer seind so viel:
halt dich gen mir rechtschaffen!
treulich dich warnen will:
hüt' dich vor falschen Zungen,
darauf sei wohl bedacht!
sei dir, schön's Lieb, gesungen
zu einer guten Nacht!«

Oder auch (Nr. 69. A. Str. 3):

»nun müß dich Gott bewahren,
in aller Tugend sparen,
bis daß ich wiederkomm'.«

Wenn die Schöne sich bereit erklärt mitzuziehen, lein Weg sei ihr zu ferne, so rät er wohlmeinend ab (Nr. 79. Str. 6):

»Der Knab', der sprach mit Sitten:
»mein Schatz ob allem Gut,
ich will dich freundlich bitten,
nu schlag's aus deinem Muth!
gedenk' wohl an die Freunde dein,
die dir kein Arges trauen
und täglich bei dir sein!««

Dennoch hat diese rechtschaffene Gesinnung ihre eigentümliche Kraft; man glaubt dem wackern Knaben, wenn er versichert (Nr. 69. Str, 3):

»ich will dich nicht aufgeben,
dieweil ich hab' das Leben,
und hätt' ich des Kaisers Gut.«

Man spürt, in einem vierten Liede, das treue Herz des nachrufenden Mägdleins (Nr. 71. Str. 2):

»Ach, reicher Christ, gib mir das Glück:
wo er reit in dem Lande,
bewahr' ihm seinen graden Leib
Vor Leid und auch vor Schande!
das will ich immer danken Gott
allzeit und alle Stunde,
wann ich gedenk', daß ihm wol geht;
mein herz in großem Trauren steht,
kein Liebrer soll mir werden
(a. der Liebst' muß er mir bleiben).«

Der alte Grundton des Liebesliedes, der Einklang mit der Natur, der sich im höfischen Minnesänge behauptet hatte und mit dessen Erlöschen ursprünglicher im Volksgesange wieder aufgetaucht war, ließ sich auch von der bürgerlichen Nüchternheit des 16. Jahrhunderts nicht völlig verdrängen. Während die Liederbücher dieser Zeit sich mit Liebesgesängen füllen, denen selbst die bedeutsame Kleiderfarbe und die Sinnblume noch zu lebendig sind, dagegen ein Spiel mit dem freundlichen A oder dem herzigen M, den Namensbuchstaben der Geliebten, anmutig erscheint, zeigt sich doch mitten darunter nicht bloß ein Überrest echter älterer Volkslieder, sondern auch eine Anzahl eigner Erzeugnisse des 16. Jahrhunderts, in welchen das gefährdete Naturgefühl noch einmal sein Heil versucht und sich mit dem innern Gehalte der neuen Richtung erfreulich verbunden hat. In den Liedern dieses Gewächses ist die Sommerlust fröhlich mit Maß, die Werbung sittig, schalkhaft in Ehren und zutulich mit löblicher Absicht, die Gesinnung auch in der Liebe gottergeben. An die ältere Volksweise anknüpfend, sind sie dennoch gemachter und gezierter, weitläufiger und in der Form künstlicher, doch nicht so weit, daß ihnen frischer Sinn und muntre Beweglichkeit abginge. Besungen wird der lustvolle Mai, der das Geblüt erneut, wo die Lerche sich mit hellem Schall erschwingt, die Nachtigall alle Vögel übersingt und der Kuckuck mit seinem Rufe jedermann fröhlich macht, die Mägdlein abends reigen und man zu den Brunnen spazieren geht, wo alle Welt mit Reisen fern und weit Freude sucht, wo die Wälder grünen und die Bäume blühen:

»Des Morgens in dem Thaue
die Meidlein grasen gahn,
gar lieblich sie anschauen
die schönen Blümlein stahn,
daraus sie Kränzlein machen
und schenken's ihrem Schatz,
den sie freundlich anlachen
und geben ihm ein' Schmatz.
Darumb lob' ich den Summer,
darzu den Meien gut,
der wendt uns allen Kummer
und bringt viel Freud' und Muth;
der Zeit will ich genießen,
dieweil ich Pfennig hab',
und wen es will verdrießen,
der fall die Stiegen ab!«

Dann steht auch im Garten das Blümlein Vergißmeinnicht, dann blühen Wohlgemut und andre bedeutsamere Kräuter:

»Das Kraut Jelängerjelieber
an manchem Ende blüht,
bringt oft ein heimlich Fieber,
wer sich nicht dafür hüt't;
ich hab' es wohl vernommen,
was dieses Kraut vermag,
doch kann man dem vorkommen,
wer Maßlieb braucht all' Tag!«

Es scheint hierbei an ein altkluges Blümlein Maßlieb gedacht zu sein; Maßhalten, aber beständig sein, das ist die vernünftige Liebe dieser Liedergattung. Weiter bringt der Mai verliebte Träume oder führt mit der Liebsten im Wurzgärtlein zusammen, wo sie dem Dichter einen Rosenkranz verehrt. Sie ist auch wohl selbst das Heideröslein:

»Sie gleicht wohl einem Rosenstock,
drum g'liebt sie mir im Herzen,
sie trägt auch einen rothen Rock,
kann züchtig, freundlich scherzen,
sie blühet wie ein Röselein,
die Bäcklein wie das Mündelein!
liebst du mich, so lieb' ich dich,
Röslein auf der Heiden!

Der die Röslein wird brechen ab,
Röslein auf der Heiden!
das wird wohl thun ein junger Knab',
züchtig, fein bescheiden,
so stehn die Steglein auch allein,
der lieb' Gott weiß wohl, wen ich mein':
gedenk' an mich, wie ich an dich,
Röslein auf der Heiden!
Beut mir her deinen rothen Mund,
Röslein auf der Heiden!
ein' Kuß gib mir aus Herzensgrund,
so steht mein Herz in Freuden.
behüt' dich Gott zu jeder Zeit,
allstund und wie es sich begeit (begibt)!
küss' du mich, so küss' ich dich,
Röslein auf der Heiden!

Ein Tanzlied singt von den höflichen Sprüngen, den freundlich umfahenden Ärmlein, den warmen Händlein und andern Reizen des herumgeschwungenen Mägdleins, der jugendlichen Fröhlichkeit und Liebeslust wird überall nichts vergeben, aber das Ziel ist stets eine dauernde, ehliche Verbindung. Vom Heideröslein wird gesagt:

»Sie g'liebet mir im Herzen wohl,
in Ehren ich sie lieben soll:
bescheert Gott Glück,
geht's nicht zurück,
Röslein auf der Heiden!«

Der flinken Tänzerin wird zugerufen:

»Narre mich nur nicht!
willt du mir was verheißen,
so halt mir solches frei!
damit daß man nicht zu mir spricht:
durch den Korb ich g'fallen sei.

Wer ist auf Erden,
der es so treulich meine
mit dir, als eben ich,
weißt du sonst Ein'n, so will ich dann
ganz willig scheiden mich.

Laß dich bewegen
die schöne Melodei,
das ist Trommetenklang,
auf daß ein Eh' mit uns fürgeh'
Und hab' ein' Anefang!«

Von dem Lustwandel im Gärtlein heißt es:

»Uns ward auf dieser Erd' nicht baß,
dann daß wir sammen kamen
spazieren in dem grünen Gras
in Gott des Herren Namen« usw.

und auch hier lautet der Endeswunsch:

»Lieblich ist dieses Mägdelein,
mei'm Herzen doch verwandt,
Gott geb' mir die ich jetzund mein'
an meine rechte Hand,
daß ihr zart junger Leib
mein fromm ehliches Weib
möcht' werden auf Erben
in Freud' und Kreuz daneben,
bis daß ich mit ihr seliglich
ende mein junges Leben!«

Der Gang im irdischen Mai setzt sich bis in den ewigen fort:

»Die schöne Sommerzeit,
mein feines Lieb und Saitenspiel
ist über alle Freud',
erquickt das Herz, welchs leidet Schmerz,
nimmt weg traurigen Muth,
ist über Geld und Gut;
so will es Gott bescheeren Dem,
der ihn drum bitten thut.

Roth Röslein auf der Heid,
die Blümlein schön in dieser Welt
geben viel Zierlichkeit,
darzu auch das viel liebe Gras
ist alles hübsch und fein:
ich und die Liebste mein
wollen nach der Zergänglichkeit
bei (ei)nander im Himmel sein.«

Rechtschaffene Liebe wird als von Gott selber gewollt, als unter seiner Vorherbestimmung und besondern Obhut stehend betrachtet, eine Ansicht, von der sich bei den Minnesängern kaum einzelne, halbernste Andeutungen vorfinden, die hingegen durch nachstehendes Volkslied mit älterm Naturglauben vermittelt ist:

»Schein' uns, du liebe Sonne,
gib uns ein' (den) hellen Schein!
schein' uns zwei Lieb' zusammen,
die gern bei (ei)nander wollen sein!

Dort fern auf jenem Berge
da liegt ein kalter Schnee,
der Schnee kann nicht zerschmelzen,
denn Gottes Wille der muß' ergehn.

Gotts Wille der ist ergangen,
zerschmolzen ist uns der Schnee;
Gott g(e)segen' euch, Vater und Mutter!
ich seh euch nimmermehr.«

Die Sonne wird in den Segen vielfach um Beistand angerufen; dem Ausreisenden, dem Wohltäter wird angewünscht, daß Sonne, Mond und Sterne ihm zum Heile scheinen. Wie nun die Sonne dem einzelnen Wanderer zum Glücke leuchtet, so wird sie im obigen Liede gebeten, zwei Liebenden, die auf geschiedenen Wegen gehn, ihren hellen Schein zu geben, sie zusammenzuscheinen. Von dem Glauben an solch stilles, geheimnisvolles, der Liebe dienliches Wirken des himmlischen Lichtscheins sind auch sonst Zeugnisse vorhanden. Walafrid, aus der eisten Hälfte des 9. Jahrhunderts, fordert in einem lateinischen Gedichte die Freundin auf, sich beim reinen Schimmer des Mondes unter den freien Himmel zu stellen, damit derselbe mit seinem einen Glanze die getrennten Lieben umfasse; dies erinnert an das Rätsel von der Gemeinschaft des Taues und des Windes zwischen zwei Freunden, die einander ferne sind. Hartmann, im Erec läßt den Sonnenschein als Dienenden zwei »Gelieben«, die am Mittag zusammen ruhen, durch das Fensterglas scheinen und das Gemach mit Lichte versorgen, damit eines das andere ansehen könne. Man glanbt in diesen Stellen die Worte einer gemeinsamen, im Volkslied am reinsten erhaltenen Minneformel zu vernehmen. Die Vorstellung von der Wirksamkeit des Scheinens äußert sich auch darin, daß der heilige Sonnenschein als persönliches Wesen zur Beschwörung gezogen wird; in Volksliedern versichert der Liebhaber, der eingelassen werden will: »Ich kann schleichen recht wie der Mondschein,« »ich kann gehen wie der Sonnenschein.« Wie schon in heidnischem Segenspruche den Naturmächten höhere Gottheiten beigefügt sind, so ist auch im Liede die Sonne allein noch nicht genügend, Gottes Wille muß ergehen, wenn der Schnee schmelzen soll. Der Schnee macht das Gebirg unwegsam, ihn muß nach Gottes Willen die Sonne schmelzen, damit die Liebenden zusammen kommen. Dies ist der Gedankengang des Liedes, gleichwohl hat das Zusammenscheinen seinen Sinn für sich und ebenso kommt der hemmende Schnee auch gesondert vor:

»Es ist ein Schnee gefallen
und es ist noch nit Zeit,
ich wollt' zu meinem Buhlen gehn,
der Weg ist mir verschneit;«

ein selbständiges, sprichwortartiges Gesätz, welches Liedern vorangestellt wird, in denen es dem Liebesweiber hinderlich geht. Vom Abwarten bessern Geschickes überhaupt wird anderswo gesagt:

»Das Vöglein singt, Zeit Rosen bringt,
läg' schon der Schnee im Garten
und regnet' es Hellebarten.«

Unter jenen Liedern des 16. Jahrhunderts, denen die Liebe für eine Fügung des Himmels gilt, hat nun auch eines den Eingang des Volksliedes vom Sonnenschein umschreibend sich angeeignet:

»du edler Sonnenschein,
schein mir den Weg zu ihr!
nach ihr steht mein' Begier,
der Schein thut mich sonst kränken,
das mag man glauben mir.«

Gleich hieraus wird die Allerliebste um ihre Hand gebeten und dabei wieder das Volkslied benützt:

betracht's, bedenk's gar fein,
wie freundlich ich es mein'
doch muß Gotts Will' geschehen,
bei dem es steht allein.«

Eigentümlich aber ist dem umschreibenden Liede, daß, wenn der Wunsch des Liebenden nicht auf Erden erfüllt werden kann, seine Hoffnung auf jenseits steht:

»kann sie mir denn nicht werden
durch falsch' untreue Leut',
hoff' ich und denk' mit Fleiß,
daß ich in solcher Weis'
will mit und bei ihr leben
im ew'gen Paradeis.«

Wie im vorigen an den Sonnenschein, so knüpft sich auch an den schönen Mai die gottvertrauende Liebe; das Lied: »Mir liebt im grünen Maien« usw. (Volksl. Nr. 59) ist der vollständigste und innigste Ausdruck des Glaubens, daß der Bund der Herzen im Himmel geschlossen werde; im grünen Mai, dessen die ganze Christenheit froh ist, denkt der Dichter an die fern von ihm unter Blumen wandelnde Geliebte, die er schon im sehnsuchtvollen Herzen kennt und fühlt, die ihm aber erst durch Gottes Gabe zur rechten Stunde werden und so auf ewig die Seinige sein wird; die sprechendsten Stellen sind folgende (Volksl. Nr. 59. Str. 2 ff.):

»O Mei, du edler Meie,
der du den grünen Wald
so herrlich thust bekleiden
mit Blümlein manigfalt,
darinn sie thut spazieren
die Allerliebst' und Wohlgestalt'.

Ach Gott! du wollst mir geben
in diesem Meien grün
ein fröhlich g'sundes Leben
und auch die Zart' und Schön'!
die du mir, Gott, hast g'schaffen
kann mir doch nicht entgehn.

Es wird mir doch auf Erden,
weil die Welt ist so weit,
ein feins brauns Mägdlein werden,
Gott weiß die rechte Zeit,
nun will ich Der erwarten,
die mir mein Herz erfreut.

Grüß' mir sie Gott in Freuden,
Gott geb' gleich wo sie sei!
die ich jetzund soll meiden,
derselben ich mich freu';
bei allen andern schön'n Jungfraun
hab' ich sie lieb allein.

Will das Vertrauen setzen
auf Gott den Herren mein,
doch kann mein Herz ergetzen
die Allerliebste mein,
hat mir's Gott anders auserkorn,
so will ich ewig bei ihr sein.«

Auf einem alten Flugblatt ist diesem Lied ein Name unten augedruckt: Georg Grünewald. Nach einer Schwänkesammlung aus der Mitte des 16. Jahrhunderts hieß Grünewald ein Singer am Hofe des Herzogs Wilhelm von München, »ein berühmter Musikus und Komponist«, dabei »ein guter Zechbruder« (Volksl. Nr. 238). In letzterer Eigenschaft und nach sonstigen Verhältnissen wird er weiterhin zu besprechen sein. Hier ist zu beachten, daß die Lieder der zuletzt abgehandelten Gattung zum größten Teil ein gewisses Handzeichen an sich tragen, welches den Namen Grünewalds durchblicken läßt, daß sie, wie in den Gedanken und der Sinnesart, so auch in Ausdruck und Rhythmus durchaus zusammenhängen und am Schluß eines kleinen Gedichtes von gleichem Tone Jörg Grünewald sich offen nennt. Jenes Wahrzeichen aber besteht darin, daß öfters und zumeist am Ende der Lieder, mitunter etwas befremdlich, des grünen Waldes Erwähnung geschieht. Schon im Eingange des eben angeführten Mailiedes mögen der grüne Mai, der grüne Wald nicht umsonst ihr Beiwort führen. Vernehmlicher sprechen die letzten Zeilen des Ganges im Gärtlein:

»Nun hab' ich mein Spazierengehn
in Freuden hie vollendt:
was mein Gott will, das muß bestehn,
der hat mein Herz erkennt;
derselb' es auch erhalt'!
gleichwie im grünen Wald
fein singen und springen
die kleinen Waldvöglein,
so g'schicht allhie auf dieser Erd'
Alles zum Lobe sein.«

Auch der Sonnenschein kehrt am Schlusse eines Abschiedslieds in solcher Verbindung wieder:

»Also muß ich mich scheiden hin;
wenn ich gleich jetzund traurig bin,
nach trübseliger Zeit
kommt gerne wieder Freud;
wenn Gott der Herr läßt scheinen
sein lieben Sonnenschein (a. sein helle liebe Sonn')
in grünen Wald,
alsdann kommt bald
wiederum Freud und Wonn'.«

Endlich im Kehraus des Tanzliedes behält sich der Sänger seinen guten Trost bevor:

»bis daß verdirbt, verdorrt und stirbt
der schöne grüne Wald

Aus dem grünen Walde stammt die alte, naturtreue Volksdichtung, der letzte Sänger dieser Weise geht in den grünen Wald wieder auf.


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