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3. Wett- und Wunschlieder

Von einer Liederklasse, die aus dem einsamen Walde stammt, wenden wir uns zu einer andern, die im geselligen Verkehr entsprungen und erwachsen ist. Fragen und Antworten, Aufgaben und Lösungen, Begrüßungen und Empfänge, Werbungen und Ausflüchte, gute und schlimme Wünsche, Scherzreden und Wettspiele mannigfaltiger Art, bilden den Inhalt dieser Erzeugnisse. Weitgereiste Pilger, Wandergesellen, fahrende Sänger und Spiellente, abenteuernde Freier führen das Wort: die Schwelle des gastlichen Hauses, die Zunftherberge, die Tanzlaube, sind der Schauplatz. Es erhebt sich ein Wettstreit des Witzes; dieser Witz aber ist, nach der Stimmung der Zeit, ein phantastischer, er bewegt und überbietet sich in Bildern. War schon die in unmittelbarster Anschauung des Naturlebens wurzelnde Dichtung ins Märchenhafte ausgerankt, so kann es nicht befremden, wenn jene geselligen Spiele nur in der vollständigsten Umkehr und Verwandlung alles Wirklichen ein Ziel finden. Gleichwohl blieb auch ihnen eine frische Färbung aus Feld und Wald; wenn man aber auf ihren Grund sieht, so haften auch sie in sehr einfachen Anlassen, in den frühesten Anknüpfungen des menschlichen Umgangs und Verkehrs, und manches, was in seiner späteren Erscheinung auf der Oberfläche gaukelt, zeigt in seinem Ursprünge den sinnigen Ernst und die Kraft des Gemüts. So kommt es, daß eben diese spielende Gattung von Volksliedern auf höchst altertümliche Dichtweisen, selbst auf die verschollenen Zaubersänge, zurückleitet und unter den späteren Kunstbildungen besonders mit dem ernsthaften Meistergesang in Befreundung steht.

Altes Erbgut germanischer Stämme sind die Rätsellieder. Man findet Rätsel in die jeweiligen Formen der Dichtkunst gefaßt, einzeln oder verbunden, im nordischen Altertum, bei den Angelsachsen, bei den Liederdichtern des deutschen Mittelalters und fortwährend in den Schulen der Meistersänger, besonders aber auch im deutschen und verwandten Volksgesange. Seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts waren in Deutschland gedruckte Rätselbücher im Umlauf, und noch in diesen stößt man unter den gereimten Stücken auf solche, die auf den Stil der altnordischen und angelsächsischen Rätseldichtung zurückweisen.

Eine Hauptform des Rätselliedes ist die, daß der Wirt und der ankommende Gast sich in Wechserede prüfen. Die gastfreundliche Sitte des Altertums konnte doch nicht gänzlich beseitigen, daß nicht die beiden Unbekannten einander behutsam entgegentraten, zumal der Obdach suchende Wanderer, der noch keinen Ausweis mit sich trug, sollte durch sein eigenes Wort von seinem Wesen zeugen. Er wird zunächst um Namen, Herkunft, Weg und nach einer besonders im Norden gangbaren Formel darum befragt, wo er die letzte Nacht geherbergt habe: hierin konnte seiner Aussage nachgerechnet und zugleich ersehen werden, von wem er schon anderwärts zugelassen war. Der Gast seinerseits beugt mit doppelsinnigen Erwiderungen und Wortspielen aus, und es entspinnt sich ein Wechsel von Frage und Antwort, worin einer dem andern auf den Zahn fühlt. Schon die Lehrsprüche der Liederedda empfehlen zwar Gastfreiheit und anständiges Benehmen gegen den Fremdling, zugleich aber raten sie dem Wirt und dem Gaste zu klugem Aufmerken und legen großen Wert auf rechtes Maß im Reden und Schweigen, auf Geschick im Fragen und Antworten; ein solcher Spruch lautet: »Brand brennet von Brande, bis er aufgebrannt ist. Glut belebt sich an Glut, Mann wird Manne durch Rede kund, aber ein Tor durch Hochmut.«

Man vergegenwärtige sich noch weiter die Erscheinung und Bedeutung des Wanderers in einer Zeit, in welcher die Wege des Verkehrs wenig angebahnt, die Mittel zur Kenntnis entlegener Gegenden, fremder Zustände und Begebnisse höchst mangelhaft waren. Wer sich diese Kenntnis verschaffen wollte, der mußte den Wanderstab ergreifen, wissensdurstig und ahnungsvoll schritt er in die dämmernde Ferne. Dem Ansässigen seinerseits erschloß sich hinter dem Fremdling, welcher die Tür öffnete, die enge Heimat und er war jeder unerhörten Kunde gewärtig. Häufig werden daher solche Kunden aus der Ferne dem wallenden Manne, dem fahrenden Sänger, dem Pilgrim in den Mund gelegt. Das angelsächsische Lied vom Wanderer läßt den Sänger Widsidh, Weitweg, Weitwandel, der über die große Erde reisend, durch die Geschicke schreitend, Gutes und Böses erkundet (B. 50-52. 135f.), von den sagenberühmten Völkern und Herrscherstämmen übersichtlichen Bericht erstatten. Den Bekehrern Norwegens, Olaf Tryggvis Sohn und Olaf dem Heiligen, erschien noch der alte Odin selbst als Gast beim Festmahle, unerkannt und sich selbst nur Gast (Gestr) nennend, wußte aus allen Ländern Altes und Neues zu melden, erzählte von den Königen der Vorzeit und ihren Großtaten, und gab auf alle Fragen Bescheid: auch als Skalde, von unbekanntem und übernatürlichem Alter, kam Ugger (altnord. Yggr, ein Name Odins), Nachricht bringend, an Königshöfe. Im Eingange des deutschen Gedichts von Biterolf erzählt ein bald hundertjähriger Waller, der viel Wunders in Stürmen und Streiten gesehen, manches christliche und heidnische Land durchfahren, von der unvergleichbaren Gewalt des Königs Etzel, und durch diese Rede des Gastes wird Biterolf angeregt, heimlich nach Hunenland zu ziehen; vorn im Eckenliede warnt ein alter fahrender Mann den kampflustigen Jüngling Ecke vergeblich vor der Löwenstärke Dietrichs von Bern. Sankt Oswald erfährt, wie früher berührt worden, durch den Pilgrim Warmund, dem zweiundsiebenzig Lande kund sind, von der schönen Tochter des Heidenkönigs, um die er sofort zu werben beschließt; das Gedicht von Orendel und Breide gedenkt gleichfalls eines armen wallenden Mannes, dem zweiundsiebenzig Königreiche kund sind und dessen Name im alten Drucke Tragemund lautet. Auch ein Minnesinger meldet, wie wohl es seinem Herzen tat, als ein fremder Pilgrim ungefragt ihm von der Schönheit und dem Frohsinn der Geliebten sagte. Aber nicht bloß um Völker und Könige, Helden und ihre Taten, oder schöne Frauen zu erkunden, zieht der Wanderer aus, und nicht bloß um solche Mären wird er befragt. Es drängt ihn nicht minder, den allgemeinen Zusammenhang und tieferen Grund der Dinge zu erfassen, die Quellen geistiger Erkenntnis aufzuspüren, und in gleicher Richtung wird hinwider die Erfahrung und Gewandtheit seines Geistes ausgeholt. Vorbild ist auch hierin der Asenvater Odin, in dem eben der rastlos wandelnde und forschende Geist vergöttlicht ist. Das Eddalied, in welchem er wißbegierig ausfährt, um, unter dem Wandrernamen Gangrath, die Weisheit des Riesen Vasthrudnir zu prüfen, läßt die beiden in Wechselfragen über die Namen mythischer Gegenstände, über Ursprung, Ordnung, Untergang und Wiedergeburt der Welt sich messen, wobei sie gegenseitig das Haupt zur Wette gesetzt haben und der Gast den Sieg davon trägt. In Fragen ähnlicher Art und Form bewegen sich noch andre nordische Mythenlieder. Auch ein angelsächsisches Gedicht gibt, jedoch in christlichem Sinne, die Lehren des weitgefahrenen Fremdlings über die Wunder der Schöpfung und Welterhaltung. Eigentliche Rätselaufgaben stellt wieder Odin, unter dem Namen des blinden Gastes (Gestr blindi) zum König Heidrek gekommen, in dem umfassenden Rätselliede der Herwörsaga. Seine Fragen werden hier, wie im Liede von Vasthrudnir, alle gelöst, bis auf eine, die des Gottes Geheimnis bleibt und in beiden Liedern dieselbe ist. Gegenstände der Rätselfrage sind: Elemente, Naturerscheinungen, Vögel und andre Tiere, Gewächse, Gestein, Getränke, Gerätschaften, Spiele, zuletzt Odin selbst. Die Art der Rätsel besteht im allgemeinen darin, daß dem Dinge, das erraten werden soll, ein Gegenbild aufgestellt wird, worin dasselbe als ein andres und durch diese Verwandlung oder Entfremdung als ein seltsames, ja unmögliches erscheint. So wird die tote Sache zum lebendigen Wesen, die Naturerscheinung zur Person, »(33) Was ist das für ein Tier, das Dänen (Männer) schützt, blutigen Rücken trägt und Wunden vorne, Speeren begegnet, sein Leben drangibt, seinen Leib in Mannes Hand legt?« Der Schild. »(47) Wer sind die Bräute, die auf Brandungsklippen gehn und die Bucht entlang fahren? hartes Bett haben die weißgeschleierten Weiber und spielen in Seestille wenig,« Meereswellen. Oft wird der Gegenstand im Rätselbilde geheimnisvoll nur durch ein Beiwort oder eine Zahl, statt des Hauptwortes, ausgedrückt: »(29) Wer ist der Finstre, der über den Boden fährt, Wasser verschlingt er und Wald, Sturm (glygg?) fürchtet er, Männer nicht, und hebt mit der Sonne Hader?« Der Nebel. »(61) Wer sind die Zween, die zur Versammlung fahren, drei Augen haben sie zusammen, zehn Füße und einen Schweif, und schweben so über die Lande?« Der einäugige Odin auf seinem achtfüßigen Rosse Sleipnir. Auch durch verneinende Gegensätze wird das zu Erratende angezeigt: »(5) Was war das für ein Trunk, den ich gestern trank? nicht Wasser war es noch Wein, Meet noch Bier, noch irgend Brühe, doch gieng ich durstlos von dannen.« Auflösung: »Du gingst in der Sonne, bargst dich im Schatten, dort fiel Tau in die Tale, da nahmst du dir vom Nachttau und kühltest damit die Kehle.« Mehrmals ist dem Rätselbilde die Frage vorangeschickt: »Was ist das für ein Wunder, das ich außen sah vor Dellings Tür?« Delling (Dellîngr) ist der Vater Dags, des Tages, den er mit der Nacht (Nott) erzeugt; sein Name, Verkleinerung von Dag, bezeichnet einen mindern Tag, den anbrechenden vor dem vollen, den Dämmerschein, welcher Tag aus Nacht bringt, »Vor Dellings Tür« heißt sonach: vor Tages Anbruch, und die Wunder, die um diese Zeit gesehen werden, sind doch wohl Traumgesichte. Der Rätselmann konnte seine seltsamen Gestaltungen füglich als Traumbilder ankündigen und rückte sie damit noch tiefer in das Halblicht des Wunderbaren und Ahnungsvollen: auch ist in Lied und Sage für die Darlegung und Deutung der Träume dieselbe Form der Wechselrede gebräuchlich, in welcher Aufgabe und Lösung der Rätsel sich ausspinnt, in beiden Fällen verlangen bedeutsame Bilder das erschließende Wort, und die Träume sind Rätsel der Zukunft.

Vergleicht man das Rätsellied der Herwörsaga mit den altern, mythischen Frageliedern, so ergeben sich folgende Wahrnehmungen. Die Gestalten der nordischen Mythologie sind, auch ohne die Form der Frage, rätselartig, bildliche Auffassungen der Naturkräfte und des göttlichen Geistes, die denn auch als Runen, Geheimnisse, bezeichnet werden und für deren Verständnis der Schlüssel zu suchen ist, wie zur Lösung gewöhnlicher Rätsel. Sie haben auch mit letztein gemein, daß, was im Bilde wundersam und fabelmäßig erscheint, doch mit dem gefundenen Sinne wahr und wesenhast sich erweist, und eben im Wunder des Wirklichen liegt der Reiz dieser gemeinsamen Weise. Eigentümlich ist den Mythen der bedeutende Inhalt und der große Zusammenhang, wodurch dann auch, dem Wunderbaren unbeschadet, für vollere Persönlichkeiten und ausgeführte Handlung Stoff und Raum gegeben ist. Zugleich aber fällt in diesen Mythenumkreis, ohne bestimmbare Grenzscheide, der Übergang dichterischer Personenbildung zu denjenigen Götterwesen, die als persönlich lebendige geglaubt und verehrt wurden. Die heilige Scheue, die von ihnen ausging, mußte dem ganzen, ungeschiedenen Gebiete zustatten kommen; es lag in der Geisteslichtung der Zeit, im Anspruche der Poesie wie des Glaubens, daß für die gesamte Weltbetrachtung nur einerlei Ausdruck, der sinnbildliche, Geltung hatte, und daß auch dasjenige, was unbildlich vom Sänger gewußt und vom Hörer verstanden war, doch nicht in das nackte Wort gefaßt und abgezogen werden durfte. Die Fragelieder der Edda gehen daher nicht auf Deutung der Sinnbilder aus, sie prüfen den Befragten nur darüber, ob ihm die mythischen Vorstellungen als solche und mit den rechten Namen geläufig seien. Auch im Rätselliede sind Odin und sein Roß nur nach ihrer äußeren Erscheinung zum Gegenstand der Aufgabe genommen, die tiefere Frage nach der Bedeutung dieser Gestalten bleibt gänzlich unberührt und ist jetzt Sache der Mythenforschung. Am nächsten kommen sich Mythen und Rätsel in der Auffassung der Grundkräfte der größern und gewaltigern Naturerscheinungen. Diese gehören als mythische Wesen zum Riesengeschlechte, das mit den schaffenden und waltenden Göttern, den Asen, im Gegensatze steht, und an der frommen Verehrung, welche letztern gezollt wird, auch nur entfernteren Anteil hat. Sie entziehen sich der Deutung so wenig, daß ihrer viele mit dem eigentlichen, unverhüllten Nennworte bezeichnet sind, also des Erratens zum voraus überhoben. Wenn nun das Rätsel dieselben oder ähnliche Gegenstände persönlich gestaltet und in Handlung setzt, so erscheint es, selbst nach ausgesprochenem Ratwort, auf gleicher Stufe der Bildlichkeit mit den Mythen besagter Art. Das Rätsel von dem Finstern, der über die Erde fährt, Wasser und Wald verschlingt, den Sturm fürchtet und mit der Sonne hadert, ist der mythischen Belebung sehr nahe; wenn nach der j. Edda Ägir, der Meeresgott, neun Töchter hat, deren Namen mehrenteils wörtlich Woge, Flut, Meergebraus, besagen, und wenn nun das Rätsellied in viererlei Aufgaben, deren eine oben mitgeteilt worden, fragt: wer die Mädchen, die Bräute seien, die, klagend, ihrer viele zusammengehn nach des Vaters Bestimmung, bleiche Haare und weiße Hauptbinden haben, manchem zum Schaden geworben, selten freundlich gegen Männervolk seien, im Winde wachen müssen, auf Brandungsklippen gehn und die Bucht entlang fahren, hartes Bett haben und wenig in Meeresstille spielen? so wird kaum ein Mythenlied die Töchter Ägirs, die schaumbedeckten Meereswogen, anschaulicher und beseelter geschildert haben: wenn dann andrerseits in dem mythischen Begtamsliede gefragt wird: wer die Mädchen seien, die zur Lust weinen und die Halsschleier zum Himmel werfen, so stimmt dies in Wort und Art mit den ebenangeführten Rätseln, und auch die fehlende Auflösung wird in einer verwandten Erscheinung zu suchen sein: dort die Wellen und hier die Wolken. Das Rätsel in der Weise Heidreks spielt zwar nur mitunter auf dem Boden des Naturmythus, es ergreift verschiedenartige, vereinzelte und mitunter geringe Gegenstände, es ist wesentlich in der Form befangen, prüft nicht das Wissen, sondern den Scharfsinn, bekümmert sich weniger um den Inhalt, als um die täuschende Verkleidung; aber die Form, die so mannigfaltiges in sich aufgenommen hat und zu weiterer unbemessener Aufnahme offen ist, weist eben damit auch auf ein Allgemeines hin, sie stammt aus dem Bedürfnis und Vermögen, alle, auch die alltäglichsten Dinge mit dem Scheine des Fremden und Wunderbaren zu bekleiden.

Die zahlreichste Sammlung deutscher Volksrätsel findet sich in dem gedruckten Rätselbuche, das seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts in mehrfachen Ausgaben, unter verschiedenen Titeln und Druckorten im Umlaufe war, und dem noch neuerlich auf Jahrmärlten gangbaren Ratbüchlein zugrunde liegt. Manches ist darin unter Rubriken gebracht: von Gott, von den Heiligen, vom Himmel, von Vögeln, Fischen u. dgl., doch ohne daß mit diesen Überschriften der Inhalt erschöpft oder ein eigentlicher Verband gegeben wäre. Die einzelnen Stücke sind nach Alter, Art und Gehalt sehr ungleich, viele stellen sich durch den Vers auf das Gebiet der Dichtkunst, hier sind einige auszuheben, die in der Hinneigung zum Naturmythus, oder auch sonst in Anschauungsweise und Behandlung, sich den Rätseln des altnordischen Liedes anschließen. Das erste:

Es flog ein Vogel federlos
auf einen Baum blattlos,
kam die Frau mundlos,
fraß den Vogel federlos.

Schnee und Sonne. Noch im 19. Jahrhundert mündlich umgehend, findet sich dieses Rätsel lateinisch und weiter ausgeführt schon in einer Reichenauer Handschrift aus dem Anfang des zehnten; Stabreim und Stil sprechen für deutschen Ursprung. Ein andres:

Ich sah drei Starker, waren groß,
ihr' Arbeit war ohn Unterlaß,
der Ein' sprach: »ich wollt', daß Nacht war!«
der Ander: »des Tags ich begehr';«
der Dritt': »es sei Nacht oder Tag,
kein' Ruh ich haben mag.«

Sonne, Mond und Wind. Auch dieses neuestens noch im Volksmunde. Schon der Eingang: Ich sah drei Starker entspricht jener nordischen Form: »wer ist der Finstre?« Die mythenartiige Personenbildung aber äußert sich nicht bloß darin, daß die drei Naturmächte redend eingeführt werden, sondern mehr noch im Ansdrucke des Mitgefühls mit ihrer rastlosen Arbeit und ihrer Sehnsucht nach Ruhe, die dem dritten gar niemals werden kann, eines Mitleids, das gleichwohl von der selbstempfundenen Ruhelosigkeit des zeitlichen Daseins ausgeht; aus gleicher Stimmung sprechen Heidreks Rätsel von den klagenden Mädchen, die im Winde wachen müssen, auf Brandungsklippen gehn und die Bucht entlang fahren, hartes Bett haben und wenig in Meeresstille spielen. Auf die weitfahrende, über und unter den Wogen wandelnde Sonne geht auch ein großes angelsächsisches Rätsel mit dem Schlusse: »Sag', wie ich heiße? oder wer mich bewegt, wann ich nicht rasten darf? oder wer mich anhält, wann ich ruhen soll?« Eine Naturerscheinung, die sich wenig den Sinnen aufdrängt, der leise, vergängliche Tau, ist eben dadurch um so besser geeignet, im Rätsel verborgen zu werden. Heidrek nennt Getränke jeder Art, nur eines muß erraten werden, der leicht vergessne Tropfen, der Nachttau, der des Wanderers Gaumen kühlt. Das deutsche Rätselbuch stellt die Aufgabe: Einer hat dreißig Meilen zu seinem Freund und doch sollen beide binnen kurzer in Frist ihre Hände aus Einem Wasser waschen und an Einer Sache trocknen; Antwort: des Morgens im Taue zu waschen und am Winde zu trocknen. Endlich ein Taumärchen derselben Sammlung: Drei Frauen wurden verwandelt in Blumen, die auf dem Felde stehn, doch die eine durfte nachts in ihrem Hause sein und sprach auf eine Zeit zu ihrem Mann, als sich der Tag nahete, da sie wiederum zu ihren Gespielen auf das Feld kommen und eine Blume werden mußte: »So du heute vor Mittag kommst und mich abbrichst, werd' ich erlöst und fürder bei dir bleiben;« als dann geschah. Nun ist die Frage: wie ihr Mann sie gekannt habe, so die Blumen ganz gleich und ohne Unterschied waren? Antwort: dieweil sie die Nacht in ihrem Haus und nicht auf dem Felde war, fiel der Tau nicht auf sie, als auf die andern zwo, dabei sie der Mann erkannte.

Der deutschen Volksdichtung mangelt anderwärts auch nicht der altertümliche Rahmen für die Einreihnng mehrfacher Aufgaben, die Prüfung des ankommenden Gastes. Diesen Zuschnitt hat das Traugmundslied, aufbewahrt in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts, was jedoch für den Ursprung seiner Anlage und seines Inhalts nicht Maß geben kann. Ein fahrender Mann wird bewillkommt und gefragt, wo er die Nacht gelegen, womit er bedeckt war, wie er Kleider und Speise gewinne? Mit dem Himmel war er bedeckt, mit Rosen umsteckt, als ein stolzer Knappe, ist die Antwort, ernähr' er sich. Sofort folgen die Rätsel mit wiederkehrenden Formeln der Anrede und bereiten Entgegnung; die erstere lautet: »Nun sage mir, Meister Traugmund, zweiundsiebzig Lande sind dir kund!« Die erste Fragenstrophe betrifft Eigenheiten, meist fabelhafte, verschiedener Vögel und andrer Geschöpfe, die weitern Aufgaben und Lösungen sind diese: »Was ist weißer denn der Schnee? was ist schneller denn das Reh? was ist höher denn der Berg? was ist finstrer denn die Nacht? – Die Sonne (anderwärts der Tag) ist weißer denn der Schnee, der Wind (das Windspiel?) ist schneller denn das Reh, der Baum ist höher denn der Berg, der Rabe schwärzer denn die Nacht. – Durch was ist der Rhein so tief? oder warum sind Frauen so lieb? durch was sind die Matten so grün? durch was sind die Ritter so kühn? – Von manchem Quell ( ursprunge, D. Gramm, III, 387.) ist der Rhein so tief, von hoher Minne sind die Frauen lieb, von manchen Würzen (Kräutern) sind die Matten grün, von starken Wunden sind die Ritter kühn. – Durch was ist der Wald so greis'? durch was ist der Wolf so weiß? durch was ist der Schild verblichen? durch was ist manch gut Gesell von dem andern entwichen? – Von manchem Alter ist der Wald greis' von unnützen Gängen ist der Wolf weiß, von mancher starken Heerfahrt ist der Schild verblichen, untreuen Sibichen (Name des treulosen Ratgebers in der Heldensage) ist manch gut Gesell vom andern entwichen (a. von Alter wird der Wolf greis', von Dust und Schnee wird der Wald weiß, von großen Schlägen und Stichen ist Schild und Helm verblichen, von großer Untreu ist ein gut Gesell von dem andern gewichen). – Was ist grüner als wie der Klee? was ist weißer denn der Schnee? was ist schwärzer denn die Kohle? was zeltet rechter (geht bessern Paßgang) denn das Fohlen? – Die Elster ist grün als wie der Klee, und ist weiß als wie der Schnee, und ist schwärzer denn die Kohle, und zeltet recht als wie das Fohlen.«

Traugmund, wie der fahrende Mann angeredet wird, ist ohne Zweifel derselbe Name, der im Gedichte von Orendel Tragemund gedruckt und einem armen wallenden Manne gegeben ist, dem auch zweiundsiebzig Reiche kund sind; ein Seitenstück ist der Name Warmund, wie der fromme Pilgrim heißt, der zum heiligen Oswald kommt und dem wieder die gleiche Länderkunde zugeschrieben wird. Die Anrede »Meister Traugmund« scheint auf den Doppelsinn hinzuweisen, der in solchen Wettgesprächen zu spielen pflegt. Sie wird zuerst gebraucht, nachdem der Ankömmling die hergebrachte Willkommfrage: wo er die Nacht gelegen? mit geschickter Wendung erledigt hat. Das Nachtlager ohne Obdach, hinter der Dornhecke, wandelt er zum herrlichsten um, sein Dach war der gestirnte Himmel und sein Bett mit Rosen umsteckt. Auf dieselbe Frage antwortet in der nordischen Saga der als Salzbrenner verkleidete Fridthjof: er sei bei Ulf (at Ulfs) über Nacht gewesen. Da kein Bauer dieses Namens in der Nähe wohnt, so errät der Herr des Hauses, daß Fridthjof im Walde, beim Wolf, übernachtet, auch erkennt er in demselben einen Mann, der mehr denke, als er spreche, und weit um sich schaue. Bei Saxo äußert der Fragende am Schluß eines ähnlichen Wortkampfs: er sei durch dunkeln Umschweif betrogen worden. Aus der Abhandlung über »alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder«

Die Rätsel selbst sind im Traugmundsliede von anderer Art, als die bisher besprochenen, und zwar von einer sehr einfachen, die eben darum der Erklärung aus dem Sinne verschwundener Zeiten bedarf. Sie beziehen sich zunächst auf Eigenschaftswörter, besonders der Farbe, und suchen den Gegenstand, dem dieselben in vollstem Maße zukommen. Den deutschen Volksliedern ist mit den aus dem Volksgesange hervorgegangenen Heldengedichten die große Einfachheit der Beiwörter und Vergleichungen gemein: der grüne Wald, das tiefe Tal, der kalte Brunnen, der rote Mund, die weiße Hand, der lichte Schild, der kühne Held, der getreue Mann; dann vergleichend: schneeweiß, schwarz wie Kohle, rabenschwarz, grün wie Gras oder Klee. Diese anspruchlosen Bezeichnungen sind doch darum keineswegs müßige, nichtssagende, sie lassen den Gegenstand eben in der Beschaffenheit, die sie angeben, zumeist in seinem frischesten, vollkommenen Zustand erscheinen, den Wald in seiner Grüne, den Mund in seiner Jugendröte, den Mann in seiner Tüchtigkeit. Mögen derlei Beiwörter in der Dichtersprache zu schlicht bedünken, so machen sie umgekehrt einen dichterischen Eindruck in der Sprache des alten Rechts, wenn die Weistümer von den Vögeln im grünen Wald, oder auch vom grauen, düstern, finstern Walde, vom roten Schilde, vom lichten Tag und der schwarzen Nacht sprechen, hier und dort erweist sich das unerloschene Sprachgefühl, dem auch das einfachste Wort noch seine ganze, sinnliche oder sittliche Bedeutung hat; man sah die Farbe, den Tag, die Nacht glänzen und dunkeln, man blickte den hohen Berg hinan und in das tiefe Tal hinab, man fühlte den Stich ins Herz bei dem Worte: ungetreu. Der wache Sinn, welcher hierbei tätig war, mußte sich weiter angeregt finden, Gegenstände derselben Eigenschaft zu vergleichen und denjenigen, der in ihr für musterbildlich galt, durch einen andern noch zu überbieten. Diese Aufgabe stellen die angeführten Rätsel des Traugmundliedes: es soll ein Weißeres aufgefunden werden, als der Schnee, ein Schnelleres, als das Reh. Anderswo:

Was ist auch weißer dann der Schnee?
und was ist grüner dann der Klee?
Der Tag ist weißer dann der Schnee,
das Merzenlaub (des Lenzen Laub?) grüner als der Klee:

oder auch:

die Saat grüner als der Klee.

Solch achtsames Auge für die Färbung in der Farbe bewährt auch im künstlichen Ausdrucke des Minnesingers Hug von Werbenwag: »Mit schöner Grüne grünt das Tal, aus Röte glästet Rot, hier gelber Gelb, dort blauer Blau, da weiß der weißen Lilien Schein, Gott färbet Farbe viel der Welt, noch besser anderswo (jenseits) die Welt.« Es zeigt sich in diesen Steigerungen neben der Schärfe der sinnlichen Beobachtung zugleich ein Streben nach dem Urbild, nach Vergeistigung und Läuterung des Erscheinenden. Schneller als das Reh ist nach dem deutschen Liede der Wind, nach einem dänischen der Sinn; weißer als der Schnee sind die Sonne, der Tag, halbmythische Wesen, weißer als der Schwan, im dänischen Liede, die Engel. Die Bedeutsamkeit der Liederfragen pflegt im Fortgange zu wachsen, und so ist die abgehandelte Rätselfolge das Vorspiel einer zweiten, die entschiedener und ernster ihre Richtung nach innen in der Weise nimmt, daß sie durch Frage und Antwort, je dem Naturbilde ein Bild aus dem Menschenleben und der Gemütswelt, dem sinnlichen Beiworte des erstern das seelenhafte des letztein zur Seite gehen läßt. Der Rhein ist so tief von der Menge der Quellen, die Frauen sind so lieb von hoher Minne, edelster Liebe, auf beiden Seiten ein unergründliches, wie auch im litauischen Gespräch an der Quelle: »Reden wollen wir ein Wörtlein, denken einen Gedanken: wo der Quelle Tiefstes, was der Liebe Liebstes?« Die Matten sind grün von der Menge der Kräuter, die Ritter kühn von starken Wunden, die frischgrüne Wiese, das freudige Heldenherz werden in Vergleichung gebracht. Vgl. Parz. 96, 15ff.:

daz velt was gar vergrüenet,
daz plœdiu herzen küenet
und in gît hôchgemüete.

Wie aber ritterliche Kühnheit durch Wunden genährt werde, sagt Hagen, von Iring durch den Helm verwundet (Rib. Str. 1994):

daz ir von mîner wunden die ringe sehet rôt,
daz hât mich erreizet ûf maneges mannes tôt.

Dieser Rätselgruppe, worin tiefer Strom und hohe Minne, Wiesengrün und Heldenkühnheit das volle, kräftige Leben aufleuchten lassen, tritt nun eine andre gegenüber, in der die Farben verblassen, alle Lust und Herrlichkeit zusammensinkt. Der Wald ist greis' von Dust und Schnee, der Wolf gewitzigt von vergeblichen Gängen, grau von Alter, wie wir ihn bei den Liedern aus der Tierfabel kennen gelernt, besonders ergab schon Merlins Gesang 412 Aus der Anhandlung über »alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder«

die Zusammenstellung des winterlichen Waldes und des altersgrauen, hungernden Wolfes. Der Schild ist bleich geworden von mancher starken Heerfahrt, ein guter Gesell ist dem andern entwichen durch ungetreue Sibiche, durch Anstiftung treuloser Ratgeber; sonst wird der Schild als der lichte, scheinende bezeichnet, jetzt hat er seinen Glanz verloren im Sturm der Kämpfe, wie es im Heldenliede heißt (Nib. Str. 1559):

des wâren den von Tronje ir schilte trüebe und bluotes naz; (vgl. 217, 4.)

Sibich, der boshafte Ratgeber des Königs Ermenrich, ist als Unheilstifter sprichwörtlich, durch ihn sind die bösen Räte in die Welt gekommen. Auch in sich hat diese zweite Gruppe Gliederung und Fortschritt, im ersten Rätselpaare der bereifte Wald und dazu ein lebendiges Wesen, der umschweifende graue Wolf, im folgenden Entsprechendes aus dem Heldenleben, erst äußerlich der erbleichte Schild, dann das innerste Verderben, die Untreue, die den Genossen im Stiche läßt. Düstre Färbung der Natur bei unseligem Ereignis in der Menschenwelt war auch der Rechtssprache nicht fremd, der Mörder wurde verfolgt mit Wehegeschrei und Glockenklang: »durch den düsteren Wald, als lange bis ihn die schwarze Nacht benahm;« er versinkt in Finsternis und Grauen. Das Lied endet mit dem Rätsel von der Elster, worin wieder für die drei Farben weiß, schwarz und grün Maß und Steigerung gesucht wird, alle drei spielen in ihrer Vollkommenheit auf dem Gefieder dieses Vogels. Einem niederdeutschen Volksrätsel ist das Jahr ein Baum mit 52 Nestern, jedes Nest hat sieben Junge und jedes Vöglein ist halb schwarz halb weiß,je Tag und Nacht vorstellend. Die Farben der Elster insbesondre dienen im Eingang des Parzival zum Bild einer Seele, die zweifelhaft zwischen Mannheit und Verzagen, damit aber zwischen Himmel und Hölle schwankt; der unstete Geselle hat allein die schwarze Farbe und wird auch einstens die der Finsternis tragen, an die blanke hält sich Der mit unsteten Gedanken. Es muß auffallen, daß auch das Rätsel von der Elster unmittelbar auf das vom unsichern Gesellen folgt; will man aber auch zwischen beiden Gedichtstellen keine nähere Beziehung suchen, so beweist doch jene im Parzival, daß es der Einbildungskraft nicht zu ferne lag, die bunte Elster sinnbildlich, als fliegendes Beispiel (Gleichnis), wie Wolfram sich ausdrückt, zu verwenden. Im Rätselliede konnte sie bedeuten, was ein finnisches Sprichwort vom Spechte sagt: »Der Specht ist bunt im Walde, das Menschenleben noch bunter.« Dem offenen Rahmen solcher Lieder konnte leicht Fremdartiges eingefügt werden und Zugehöriges entfallen. Die Rätsel, die im Traugmundsliede zusammengefaßt sind, mochten längst in der Überlieferung vorhanden sein und zuvor schon mehrfachen Durchgang genommen haben, wie auch die meisten sonst zerstreut oder in andern Verbindungen vorkommen; manche tragen noch Spur des ursprünglichen Stabreims, und von all diesem äußeren Wandel konnten auch Inhalt und Bedeutung nicht unberührt bleiben. Aber nicht weniger glaublich ist, daß solche Rätsel von alters her nicht einzeln gingen, sondern in sinnige Zusammenhänge gebunden waren, und es zeugt hierfür die gleichfalls überlieferte Form der prüfenden Wechselrede zwischen dem Wirt und dem Gaste. Welche Veränderungen und Verluste das Traugmundslied erfahren hat, die erhaltenen Züge bekunden noch immer ein Gesamtbild. Mitten inne die beiden Felder des Hauptgemäldes, auf dem einen der tiefe Rhein und die minnigliche Frau, die grüne Matte mit dem kämpfenden Ritter, auf dem andern der graue Wald und der greise Wolf, der bleiche Schild und der verratene Heergesell; am Rande, rechts und links, symbolische Gestalten, hier der lichthelle Tag und der schneeweiße Schwan, dort die finstre Nacht und der schwarze Rabe; obenüber die gaukelnde Elster, hell und dunkel zugleich; unten am Rosenhage gelagert, der Pilgrim, wie er den Rätseln des Lebens nachsinnt. Indem der fahrende Mann auf alle die Fragen Bescheid weiß, welche dieses Gesamtbild heraufführen, bewährt er, daß er das Leben von der Lichtseite und der Schattenhalde erkannt und empfunden habe.

Nahe gesippt ist dem Meister Traugmund der Meister Irregang, der sich in einem Reimspruche des 13. Jahrhunderts vernehmen läßt: Solange der Mann schweigt, weiß niemand was er kann, mit Worten soll man sich künden; Gutes (Reichtums) wird man freudenreich, von Wunden wird man kühn, Heerfahrt hat stets Müde gebracht, von Krankheit wird man mühselig, durch Trägheit unwert; doch gut ist in der Not, was der Mann gelernt hat, verliert er was er je gewann, er behält doch was er kann. Von diesen allgemeinen Betrachtungen leitet der Sprecher zu seiner eigenen Kunst über, die so mannigfach ist, daß sie das Treiben aller Stände und Gewerke umfaßt; in bunter Reihe zählt er seine Fertigkeiten auf, namentlich folgende: er kann sagen und singen, laufen und springen, ein guter Fürsprech sein, einen Wein kosten, ein Glücksspiel gewinnen und verlieren, Met aus Honig machen, der Bücher ist er kundiger denn sein Meister war, zweien Gesellen kann er den Gewinn teilen, eine Wunde mit Salbe heilen, einen Wagen verfertigen, ein gut Schwert schmieden, das Kaiser Friedrich mit Ehren führen würde in Zorn und Güte, Hüte kann er machen, Schilde färben, Ritter rüsten, selbst mit Harnisch reiten, stechen und streiten, turnieren, Schachzabel und Brettspielen, jeglichem gute Antwort geben, schneiden und weben, eine Wiese mähen, einen Acker säen, ein Rind jochen, einen Teig kneten, einen Faden zwirnen, eine Magd zur Frau machen, einen Hasen jagen, ein Horn blasen, einen Wald fällen, ein großes Heer zu saglichen Dingen (zu Ruhme) bringen, ein Mühlwerk herrichten, ein Haus zimmern, Pfennige schlagen, Glocken gießen, mit der Armbrust schießen; nun er aber all dies Wunder kann, hat der Kaiser ihm Harfen- und Rotenspiel, Dreschen und Wannen verboten und verbannt; käm' eine Wanne in seine Hand, der Hagel schlüg über alles Land, drösch er einem sein Korn, es wär' allsamt verlorn, deckt' er einem sein Haus, den trüge man tot daraus, mistet' er einem den Stall, die Seuche schlüg' überall, ging' er jemand über sein Geschirr, es ginge dem alles wirr. Zum Schlusse spricht er: » Irregang heiß' ich, manch Land weiß ich, mein Vater Irgang (?) war genannt, er gab mir das Erb' in meine Hand: ob ich in einem Land verdürbe, daß ich im andern nach Ehr' erwürbe; nun bin ich nicht verdorben, ich hab' keine Ehr' erworben, ich geh' im Reiche von Land zu Land, wie der Fisch in dem Sand, in eines hübschen Knaben Weise begeh' (such') ich meine Speise mit mancherhand ohn allen Wank (Fehl), also sprach Meister Irregang.« Die unnütze Vielgeschäftigkeit der fahrenden Leute wird mehrfach gerügt und verspottet. So der Kanzler um 1300: »Ein gehrender Mann trügt, der andre kann wohl Tafelspiel, der dritte treibt Hoflüge (hoveliuget), der vierte ist gar ein Gumpelmann (Gaukler)« usw. (MS. II, 390a). In einem altfranzösischen Schwanke bekämpfen sich zwei Spielleute, indem je einer den andern lästert und seine eigenen Geschicklichkeiten herausstreicht, diese bestehen im Singen und Sagen, in der Meisterschaft auf allen Instrumenten, worunter auch Harfe und Rote genannt sind, in Tafelspiel (p. 299: si sai meint beau geu de table), Gauklerkünsten, Zauberei ( 300 d), Wappenkunde, Liebesrat, Kranzflechten usw. besonders aber rühmt sich der eine, er sei ein trefflicher Arbeiter ( ovriers) und könnte viel Geld verdienen, wenn er gemeines Handwerk treiben wollte, allein er sei ein solcher, der die Häuser mit Pfannkuchen decke, Katzen zur Ader lasse, Ochsen schröpfe, Eier einbinde, Zäume für Kühe mache, Handschuhe für Hunde, Kopfzeug für Ziegen, Harnische für Hasen, so stark, daß diese sich nichts um die Hunde kümmern; es gebe nichts auf bei Welt und in der Zeit, das er nicht gleichbald zu fertigen wisse. Das Dachdecken, Wundensalben, Rindjochen, Hutmachen, Waffenschmieden des deutschen Spruches kehrt hier possenhaft wieder, im Sinne spielmännischen Müßiggangs und Tandes, Ein Troubadour des 12. Jahrhunderts, Marcabrun, prahlt in seiner frechen Selbstschilderung: »Gelobt sei Gott und St. Andreas, daß niemand, soviel ich merke, gescheiter ist, als ich; im Spiele bin ich gewandt, ein Kluger sieht sich vor, wenn es zum Teilen geht; niemand versteht sich besser auf das Ringen nach bretonischer Art, auf das Prügeln oder Fechten, ich erreiche jeden und schirme mich zugleich, niemand aber kann sich vor meinen Streichen decken; in fremdem Gehölze jage ich, wann ich will; ich bin so voller Spitzfindigleiten und Vorwände, daß ich nur zu wählen brauche; jeder hüte sich vor mir, denn mit diesen Künsten denke ich zu leben und zu sterben.« Spiel, Ringen, Fechten, Jagen ist hier bildliche Bezeichnung geistiger Gewandtheit, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Kunstdichter, einer der ältesten des südlichen Frankreichs, einen volksmäßigen Spielmannsspruch vor Augen hatte, worin jene Fertigkeiten im Wortsinne genommen waren. Das deutsche Spruchgedicht hat nicht so entschiedenen Volkston, wie das Traugmundslied, gleichwohl steht der Verfasser desselben auf der Seite der Volkssänger und wenn er des fahrenden Tausendkünstlers zu spotten scheint, so mag doch sein eigentliches Ziel ein andres gewesen sein. Meister Irregang will ein Schwert schmieden, das der Kaiser Friedrich in Zorn und Güte mit Ehren führen würde, das kaiserliche Schwert ist bekanntes Sinnbild der weltlichen Gewalt, in Zorn und in Güte geführt, kann es die Handhabung der Reichsgewalt zur Strenge und Milde bedeuten. Geht dieses vollkommene Schwert dem Kaiser Friedrich ab? Vom Kaiser heißt es weiterhin, im Wendepunkt des Gedichts, er habe dem Meister Harfnen und Roten verboten, Dreschen und Wannen verbannt, weil in seiner Hand alles zum Verderben ausschlüge; auch das Dachdecken, Stallfegen und Anschirren ist, nach dem Folgenden, unter das Verbot zu zählen. Wie hier Harfe und Rote mit Dreschen und Wannen zusammenstehn, so kreuzen sich im vorhergehenden die Künste des Fahrenden: Sagen, Singen Springen, Schach- und Brettspiel, Antwortgeben (Rätsellösung), mit den unentbehrlichsten Arbeiten und Betrieben des täglichen Lebens, sie werden hierdurch mit diesen in gleiche Berechtigung gestellt, auch sie sind erlernt, um ihren Mann zu ernähren; einen Bann auf sie werfen, ist dasselbe, als wollte man Dreschen, Wannen und Dachdecken verbieten, weil die Hand des Arbeiters eine unselige sein könnte. Die fahrenden Leute waren rechtlos und die Schärfe der öffentlichen Gewalt kam von Zeit zu Zeit über sie. Fiel ein solcher Schlag mitten in der schönsten Ernte, so traf er am härtesten. Im Jahre 1235 wurde zu Worms die Vermählung Friedrichs II. mit Isabellen von England stattlich gefeiert, dabei findet ein Zeitgenosse der Aufzeichnung wert, daß der Kaiser den Fürsten anempfohlen habe, nicht auf herkömmliche Weise Gaben an die Spielleute zu vergeuden, was er für eine große Torheit erachtet. Je zahlreicher und begehrlicher zu so glänzendem Feste das Volk der Fahrenden herbeiströmte, um so gemeinkundiger und empfindlicher mußte bei ihm dieser Ausspruch kaiserlicher Ungunst nachwirken. Welches aber der besondre Anlaß des Spruchgedichts sein mag, eine allgemeinere, überlieferte Grundform ist auch hier nicht ausgeschlossen, für eine solche spricht schon die Begegnung mit den beiden romanischen Stücken. In den nordischen Sagen ist die Frage nach den Fertigkeiten des Mannes, der sich als Wintergast einstellt, auf eine wiederkehrende Formel gebracht. Örvarodd, der unter dem Namen Vidhförull, Weitfahrer, zum Hunnenkönige kommt und um seine Künste befragt wird, verleugnet diese, bewährt sich aber nachher als Meister im Bogenschießen, Schwimmen und Zutrinken. Auf dieselbe Frage antwortet Nornagest: er spiele die Harfe und erzähle Sagen. Aber auch von umfassender Aufzählung des Wissens und Könnens ist ein altnordisches Muster vorhanden, im Runenspruche der Edda; hier rechnet der Runenkundige achtzehn Lieder her, durch die er sich aller Verhältnisse des tätigen Lebens bemächtigt, das eine hilft ihm in Streitsachen ( sökum?), das andre macht ihn zum Arzte, mittels weiterer kann er den Haß unter Königssöhnen ausgleichen, Genossen mächtig und heil zu und aus der Schlacht fuhren, den Sinn der Weiber sich zuwenden u. a. m. Ebensolcher Künste rühmt sich Meister Irregang, nur auf seine Art, ohne Runenzauber. Daß aber auch sein Spruch eine Grundlage hat, die auf ernstere Gesamtauffassung des menschlichen Lebens und Treibens berechnet war, deutet der Eingang an, worin mit wenigen Zügen Tüchtigkeit und Schlaffheit, ganze und gebrochene Kraft des Mannes bezeichnet wird, teilweise mit denselben, die das Traugmundslied farbiger hervorhebt: wie von Wunden der Mann kühn wird und wie Heerfahrt ihn aufreibt. Das Rätselwesen ist nur etwa darin berührt, daß Irregang jeglichem Knechte gute Antwort zu geben weiß. Fast wortgleich mit dem Liede sagt er: in eines hübschen Knaben Weise such' er seine Speise. Ein alter Zusammenhang dieser Dichtungen ist nicht zu verkennen: beide Wanderer wollen das Leben erfassen, Traugmund innerlich anschauend, in Rätselbildern Irregang tätlich, in jeder gangbaren Kunstübung und Fertigkeit. Beide sind Wesen allgemeiner Bedeutung, namentlich erscheint Irregang anderwärts, um mancherlei Weistum das Land durchfahrend, mit einem Gesellen Girregar (Spielmannsname) und mit seinen verführerischen »Leichen« (Singweisen).

Ein dänisches Lied, dessen beiläufig gedacht worden, die Ballade vom jungen Vonved, trifft in der Art der einzelnen Rätsel mit dem Traugmundsliede zusammen, aber eine sinnreiche Verknüpfung zeigt sich nur noch stückweise: »Wo geht die Sonne hin zu Rast? und wo ruhen des toten Mannes Füße? Gen Westen geht die Sonne zu Rast, gen Osten ruhen des Toten Füße.« Dagegen ist in dieser Ballade die Bedeutung der Rätselaufgabe eigentümlich und tief. Der junge Vonved sitzt in der Kammer und schlägt die Goldharfe, da tritt seine Mutter ein und mahnt ihn, den Tod seines Vaters zu rächen, die Harfe mög' er einem andern leihen. Vonved bindet sein Schwert um: wann die Steine anheben zu schwimmen und die Raben weiß zu werden, nicht eher soll sie ihn wieder erwarten, er habe denn Rache genommen. Seine Fahrt ist voll seltsamer Abenteuer, ungeheurer Kämpfe und Reiterstücke, in denen sichtlich Verwirrung und Mißverständnis herrscht, so erlegt er nach viertägigem Fechten den Tiermann, der sich rühmt, ihm den Vater erschlagen zu haben. Die Rätsel sind in der Weise eingewoben, daß Vonved sie den Hirten, die auf dem Felde weiden, oder einem Ritter, der ihm begegnet, zu erraten gibt, in einer schwedischen Fassung sind es Pilgrime; wer nicht antwortet, wird alsbald erschlagen, wer Bescheid weiß, mit einem Goldringe beschenkt. Die letzte Frage ist immer nach Kämpen, mit denen er anbinden kann. Bei seiner Heimkehr von dieser wilden Fahrt haut er auch seine Mutter in Stücke und schlägt dann die Goldharfe so lange, bis alle Saiten entzwei gehn. Schon der erste Herausgeber des Liedes, am Schlusse des 16. Jahrhunderts, bemerkt, daß es mit großen Verschiedenheiten gesungen werde; statt Vonved lautet in schwedischer Aufzeichnung der Name des Helden Swanewit, beides wohl Entstellung des altnordischen vanvitr, wahnwitzig. Vergleicht man Eingang und Ende, wie dort der Jüngling sich mit dem Harfenspiele vergnügt, wie er hier die Saiten zum Zerspringen schlägt, verfolgt man den maßlosen Ungestüm seines irren Ritts, so bewährt es sich, daß die Mutter mit dem Gedanken der versäumten Vaterrache den Wahnsinn in seine Seele warf, dessen zorniger Ausbruch zuletzt auf sie selber fällt. Die Rätselaufgabe zieht sich zu bedeutend hindurch, als daß sie nur für anbahnende Prüfungsformel genommen werden könnte; die Hast, mit der stets wieder gefragt wird, der Jähzorn über die ausbleibende Lösung, das Vergnügen über die »gewissen Antworten«, erheischen einen Bezug zu dem inneren Zustande des Fragenden; galt nun die Rätselkunde für ein Zeichen des Verständnisses, so ist es umgekehrt ein Merkmal des Irrsinns, den Schlüssel der eigenen Rätsel verloren zu haben und ihn ratlos von andern fordern zu müssen. Die geistliche Wendung eines Teils der Rätsel gehört mit zu den vielfachen Verdunklungen des uralten Liedes.

Ausforschende Wechselrede diente noch besonders zur Losung unter den Angehörigen derselben Genossenschaft, so in den Handwerksgrüßen, Weidsprüchen, Empfahungen der Sänger. Der Handwerksgruß, das Empfanggespräch zwischen dem Wandergesellen und dem Altgesellen der Zunft, vertrat in Zeiten, da noch keine Wanderbücher gebräuchlich waren, den Ausweis des Fremden. Er wird gefragt, wo er herkomme? wie er sich nenne? wo er gelernt? wo er seinen Gesellennamen bekommen und wer dabei gewesen? Fragen und Antworten, häufig mit dem Reime, bewegen sich noch in den Formeln und dem neckischen Tone der alten Wettgespräche, obgleich die Aufzeichnungen, welche hier benützt werden können, nicht über den Anfang des vorigen Jahrhunderts hinaufreichen; die Witze haben den Beischmack der Zunftschenke, doch nicht ohne die Spur eines frischeren Ursprungs, bis zur Rätselfrage gehen die vorliegenden Muster nicht mehr. Wenn der Geselle zur Herberge kommt, muß er den Bündel samt dem Mantel auf beiden Achseln tragen und, wenngleich Sommerszeit die Tür offen steht, muß man sie erst zumachen, worauf er anzuklopfen, hineinzugehen und den Gruß abzulegen hat. Wie im Streite des Sommers mit dem Winter, sagt der Altgeselle: »Frag' ich dich nicht recht, so bist du mein Herr und ich dein Knecht« usw. Der staubige, struppige Aufzug des Wandergesellen wird verspottet, die Fragen über seinen Weg verkehrt er zu allerlei Schwänken, die Erkundigung nach seinem Namen und wo er diesen bekommen, ob er ihn ersungen oder ersprungen? weckt lustige Erinnerungen an die Feierlichkeit des Gesellentaufens; wenn nämlich der Lehrjunge zum Gesellen werden sollte, so fand eine scherzhafte Taufe durch den Gesellenpfaffen unter Beistand zweier Paten statt, wobei der Täufling irgend einen seltsamen Namen erhielt, wie auch Pfaffe und Paten bereits solche führten. Die Angabe dieses Gesellennamens gehörte mit zu den kurzweiligen Antworten beim Handwerksgruß und erinnert an die verblümten Wandrernamen der ältesten Fragelieder. Nach abgemachter Ausfrage trinkt der Wirt dem Fremden zu: »Ich bringe dir diesen freundlichen Trunk auf und zu, im Namen meiner und deiner, im Namen aller ehrlichen Gesellen, die hier in Arbeit stehen, die auf grüner Heide gehen, die vor uns gewesen sind, die nach uns kommen werden.« Man sieht durch die runden Scheiben der Zunftstube den mitbedachten Wandrer auf grüner Heide.

Weidsprüche, »wodurch ein Jäger den andern geprüft hat und wodurch sie sich zu belustigen pflegten,« sind zahlreich aufgezeichnet. Sie betreffen großenteils die genaue Kenntnis der Fahrten und Zeichen des Wildes, sowie ihrer kunstmäßigen Benennungen. Manche sind aber auch vollkommene Rätselaufgaben. Unter diesen begegnet man den schon bekannten vom Schnee und vom Tage, vom Klee und der Saat, vom Raben und der Nacht, vom greisen Wolf und dem weißen Walde, jedoch mit weidmännischer Schlußwendung. Die eigentümlichsten, waldfrischesten aber, den Dichtungen des vorigen Abschnitts verschwistert, beschäftigen sich mit dem Schmucke des Forstes, dem Hirsche. Im Traugmundsliede spielen Licht und Schatten des menschlichen Daseins, die zerstreuten Weidmannsrätsel lassen sich zum Lebenslaufe des edeln Hirsches ordnen:

Höre, Weidmann, kannst du mir sagen:
was hat den edeln Hirsch vor Sonne und Mond über den Weg getragen?
wie kann er über den Weg sein kommen,
hat ihn weder Sonne noch Mond vernommen?
»Das will ich dir wohl sagen schone, die liebste Mutter sein
trug den edeln Hirsch über den Weg hinein.«

Jo ho ho, mein lieber Weidmann,
wo hat der edle Hirsch seinen ersten Sprung gethan?
Jo ho ho, mein lieber Weidmann,
»das will ich dir wohl sagen an:
aus Mutterleib ins (grüne) Gras,
das dem edeln Hirsch sein erster Sprung was.«

Weidmann, lieber Weidmann, sag' mir an: was hat der edle Hirsch vernommen,
wie er ist hochwacht (aufrecht?) von seiner Mutter Leib gekommen?
»Das will ich dir wohl sagen: den Tag, den Sonnenschein
hat er vernommen fein,
und auf einer grünen Heide
hat er vernommen seine Weide.«

Weidmann, sag' mir an:
was hat der edle Hirsch bei einem reinen fließenden Wasser gethan?
»Er that einen frischen Trunk,
darvon wird sein junges Herze gesund.«

Lieber Weidmann, sag' mir an:
was hat der edle Hirsch zu Feld gethan?
»Er hat gerungen
und gesprungen,
und hat die Weid zu sich genommen,
und ist wieder gen Holz gekommen.«

Lieber Weidmann, sag' mir hübsch und fein:
was bringet den edlen Hirsch von Feld gen Holz hinein?
»Der helle lichte Tag und der helle Mondenschein
bringt heut den edlen Hirsch vom Feld gen Holz hinein,«

Lieber Weidmann, sag' mir fein:
was gehet vor dem edlen Hirsch gen Holz hinein?
»Sein warmer Athem fein
gehet vor dem edlen Hirsch gen Holz hinein.«

Weidmann, lieber Weidmann hübsch und fein:
was gehet hochwacht vor dem edlen Hirsch von den Feldern gen Holze ein?
»Das kann ich dir wohl sagen:
der helle Morgenstern, der Schatten und der Athem sein
gehet vor dem edlen Hirsch von Feldern gen Holze ein.«

Sag' an, mein lieber Weidmann:
was rührt den edlen Hirsch weder unten noch oben an?
»Der Athem und die Bilde (Schatten) sein
rühren den edlen Hirsch weder oben noch unten fein.«

Weidmann, lieber Weidmann hübsch und fein,
sag' mir: wann mag der edle Hirsch am besten gesund sein?
»Das kann ich dir wohl sagen für: wann die Jäger sitzen und
trinken Bier und Wein,
pflegt der Hirsch am allergesündsten zu sein.«

Lieber Jäger jung, thu mir kund:
was macht den edlen Hirsch wund
und den Jäger gesund?
»Der Jäger und sein Leithund
machen den edlen Hirsch wund,
und eine schöne Jungfrau macht den Jäger gesund.«

Sag' an, mein lieber Weidmann:
wie spricht der Wolf den edlen Hirsch im Winter an?
»Wohlauf, wohlauf, du dürrer Knab, du mußt in meinen Magen,
do will ich dich wohl durch den rauhen Wald hintragen.«

Es gibt auch einen niederdeutschen Feldspruch oder Schäfergruß. Wer diesen weiß, ruft dem Weidgenosscn zu: »Hochgelobter Feldgeselle, vielgeliebter Tütinshorn!« Die Wechselrede spricht neckisch und halbversteckt von den Schafen und dem Wolfe: »Bruder! was machen deine Dinger?« – »Hoch in Lüften, tief in Klüften, hinten über Berg und Tal, da gehn die Dinger allzumal,« – »hast du das Eeschen kürzlich gesehn?« – »Was wollt' ich's nicht gesehen haben!« – »Nahm er dir auch einen?« – »Meinst, daß er mir einen brachte?« – »Sprang er dir auch über'n Graben?« – »Meinst, daß ich ihm einen Steg überlegte?« – »Schicktest du ihm deinen Köter nicht nach?« – »Meinst, daß ich ihm Kyrie eleison nachsang?«

Wenn Handwerker, Jäger und Schäfer ihren Grüßen und Prüfungen dichterische Form und Farbe liehen, so darf man dieselbe Übung am sorgfältigsten ausgebildet bei der Genossenschaft erwarten, die der Pflege des Liedes eigens gewidmet war, in der Singschule. Wirklich war der Gruß die Empfahung, dem Wort und Wesen nach, im Meistergesange heimisch und auch hier der Rätselfrage verschwistert. Schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, bevor noch der Kunstgesang sich fester zünftet, nehmen die Liederformen desselben auch das Rätsel in sich auf. Erst erscheint es vereinzelt und sparsam, je mehr aber die Liederdichtung sich dem Lehrhaften zuneigt, je förmlicher zugleich die Schule sich heranbildet, um so gebräuchlicher wird die Verkettung mehrerer Fragen zu einem größeren Zusammenhang. Es ist der Rätselaufgabe natürlich, daß sie einen sucht, der sie löse, die Frage des Sängers aber verlangt Antwort eines andern Sängers. Dies nimmt schon Walther von der Vogelweide für herkömmlich an, er fragt um die Zukunft des deutschen Landes, die er als dunkles Rätsel (bîspel) bezeichnet und schließt mit den Worten: » Meister, das sind!« Die Aufforderung zum Erraten, an den oder die »Meister« gerichtet, ist auch weiterhin gangbare Formel, deren stetige Fortdauer bis in die zunftmäßige Singschule dafür zeugt, daß unter diesen Meistern nicht überhaupt weise, gelehrte Leute, sondern die Meister des Gesanges verstanden seien. Für den Wettstreit der Sänger unter sich war auch nichts geeigneter, als das Rätsellied, besonders seitdem das Lob freigebiger Fürsten zu verhallen anfing und der Gesang, der sich immer mehr von den Höfen zum Bürgerstande hinüberzog, in den Geheimnissen des Glaubens seinen höchsten und beliebtesten Gegenstand gefunden hatte. So nahm die Wettfrage wieder den dogmatischen Standpunkt ein, den sie, nur auf anderer Stufe, in den nordischen Runenliedern innegehabt. Die einfache Weise der Volksrätsel konnte nun freilich weder dem schwierigeren übersinnlichen Gegenstände, noch dem Kunstbestreben der Sangesmeister taugen. Ihre Rätsel sind mehr oder weniger spitzfindig ausgesonnen, weitläufig ausgeführt, halbgelehrten Anstrichs, künstlich in Sprache, Reim und Strophenbau. Volksmäßiges Erbstück ist gleichwohl die Form, in welcher die bürgerlichen Sänger zu Wettstreit und Rätselfrage zusammentreten. Meister Regenbogen, ein Schmied zu Ende des 13. Jahrhunderts, verläßt um des Gesanges willen den Amboß und zieht an den Rhein, wo die besten Sänger sein sollen, an deren Spitze, zu Mainz, Heinrich Frauenlob steht; in seinem Grußliede dankt er den Meistern, daß sie ihn schön empfangen haben, da er aus fremdem Lande hergekommen, sofort aber ruft er sie auf, sich mit ihm, dem Gaste, zu versuchen, wer den Preis des Gesanges behalte: nur den Meister, den man Frauenlob nenne und der mit seiner Kunst manchem Sänger obgelegen, bittet er um Schonung; möchten sie ihn selbst gerne kennen, Regenbogen sei er geheißen, ernenne sich nach dem, der stets ein Meister des Sanges gewesen; um Singens willen häng' er einen Rosenkranz aus, wer ihm den abgewinne, den Meister woll' er kennen; Silben, Reime seien des Kranzes Blätter, gewunden haben ihn die freien Künste. Es sind nun auch Lieder vorhanden, in denen Regenbogen mit Frauenlob wettsingt und sie einander namentlich geistliche Rätsel zu erraten geben; ebenso ein Rätselsingen über Schlaf und Seele zwischen den Meistern Singof und Rumelant aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das Grußlied Regenbogens reiht sich den schon erörterten Wandrergesprächen und Handwerksbrauchen ein. Der weither gekommene Gast tritt zum Wettkampf auf den Plan unter Angabe seines angenommenen Namens: diesen hat er nach einem älteren Sangesmeister (vgl. MS. IV, 636a), gerade wie im Schmiedgruße der Wandergeselle Silbernagel unter seinen Namenszeugen auch einen Silbernagel aufführt, denn bei der Gesellentaufe wie bei der wirklichen mochte der Name des Paten manchmal auf den Täufling übertragen werden. Hießen Schmiedgesellen Silbernagel und Trifseisen, so nannte man Sänger Frauenlob, Singof, Regenbogen, Suchensinn. Auch spöttische und schimpfliche Namen wurden bei der Gesellentaufe vorgeschlagen, und so predigt Bruder Berthold (gest. 1272) wider die lasterbaren Namen der Sänger und Spielleute, die ihre Taufe verleugnen und nach den Teufeln heißen: Hagedorn, Höllefeuer, Hagelstein; wirklich erscheint unter den Wandersängern derselben Zeit, von denen Lieder erhalten sind, der Hellefeur. Ein genossenschaftliches Verhältnis unter den Sängern am gleichen Orte blickt frühzeitig durch, im Gudrunliede weiß Horand von Zwölfen, die täglich am Hofe seines Herrn singen, in der Darstellung des Wartburgkriegs, freilich keiner gleichzeitigen, sind die am Hofe des Landgrafen versammelten Meister in ähnlicher Stellung gedacht, Rumelant von Schwaben um 1275 spricht von Meistersingern in der Zwölfzahl, endlich Regenbogens Grußlied spricht zu den rheinischen Sängern als in einer Gesamtheit gegenwärtigen; wenn er nun zugleich seinen Sängernamen als von einem älteren Sangesmeister überkommen bezeichnet, so kann für eine solche Namengebung wohl schon eine gildenmäßige Förmlichkeit bestanden haben: späterhin gedenken die Satzungen der Singschule ausdrücklich einer Taufe, wobei der Kunstjünger vom Täufer in Gegenwart zweier Paten mit Wasser begossen werde. Selbst den Tönen wurden ihre häufig seltsamen Namen je von dem Dichter unter Zubittung zweier Gevattern gegeben; man taufte die Singweisen, wie man die Glocken taufte. Auch das Aushängen des Rosenkranzes, bei Regenbogen allegorisch, gehört zu den Sängerbräuchen. Im Meistergesange des 15. Jahrhunderts wird mehrfältig der Rosenkranz ausgeboten, und zwar in Liedern, die zu Formularen für die Ausforderung zum Wettsingen bestimmt waren. Bald ergeht diese an den ankommenden Sänger, bald von einem solchen an die ansässigen Meister, und dann hat das Lied auch wohl die Überschrift: eine Empfahung, Gruß; oder es wird ein junger Mann, ein Kunstjünger, aufgerufen, um den Rosenkranz zu werben und die zwölf Meister auszusingen. Der Kranz wird meist bildlich genommen, wie in Regenbogens Grußliede, das einigen dieser Stücke sichtlich zum Muster diente; Töne des alten Meisters, wenn auch nicht gerade der seines Sängergrußes, werden dabei gerne verwendet. Die bekannte Sage von den zwölf Stiftern der Kunst wird so dargestellt, daß ihnen ein schmucker Rosengarten in Hut gegeben ist, eine Nachbildung der zwölf Helden im Rosengarten zu Worms. Die Stöcke stehn voll Rosen, das ist jener Meister sinnreiches Gedichte, viele sind nachgekommen und haben dort Blumen gelesen; wer die rechte Bahn geht, dem wird ein Ehrenkranz aufgesetzt. Rosen zum Kranze brechen bedeutet die Kunstwerbung. Aus sieben edeln Rosen, d.h. den sieben freien Künsten, soll das Kränzlein gemacht sein, die Blätter von Goldbuchstaben. Oder es ist mit grauem Seidenfaden gebunden, lichte Rosen darin und blaue Veilchen, ist gespiegelt wie ein Pfau, wer aber die Blätter nicht will zerfallen lassen, der singe von der unbefleckten Jungfrau, von Gottes Leiden, von den Planeten, Elementen und acht Sphären. Daneben aber wird vom Aushängen des Kranzes, vom Schwenken an der Stange, vom Abgewinnen und Aufsetzen desselben auf eine Weise gesungen, die nicht bezweifeln läßt, daß dem bildlichen Ausdrucke die Anschauung eines wirklichen Herkommens, des Wettgesangs um einen aushängenden Rosenkranz, zugrunde liege. In der Nürnberger Schule bestand spät noch einer der Singpreise in einem Kranze von seidenen Blumen; gemachte Blumen waren hier ganz an der Stelle. Daß aber vordem, wie noch einer der Meistergrüße sagt, »in des Maien Blüte«, um frische Rosen gesungen wand, davon zeugt auch der rasche volksmäßige Ton, den die Lieder, gerade wenn es sich vom Kranze handelt, manchmal anschlagen, und der zuweilen ungewiß läßt, ob dieser Kranz bildlich oder eigentlich zu verstehen sei. Zum Wettgesange zählten wir auch die Rätselaufgabe, und so schließt ein geistliches Rätsellied von der Schlange gleichfalls mit der Aufforderung im Volkstone:

Nun ratet, ihr Meister, was es sei!
Mein Kränzlin hänget auf dem Plan
und ist gemacht von edlen Rosen rot:
wer mir auflöset diesen Bund,
mein Kränzlin er von mir gewonnen hat.

Den Haft, Knoten, Strang, Strick, Bund lösen, aufschließen, aufbinden, das waren neben den unbildlichen raten, erraten, bedeuten, finden, schon bei den Meistern des 13. Jahrhunderts die gangbaren Ausdrücke für die Rätsellösung, das Rätsel selbst wird in den Liedern dieser Gattung nicht etwa mit den älteren Formen des Wortes: Rätische, Räters, sondern einfach durch Rat oder allgemeiner durch: Frage, Beispiel, Gedeute bezeichnet.

Das volksmäßige Kranzsingen, das die Übungen der Schule voraussetzen ließ, ist aber auch in bestimmten Zeugnissen und vorhandenen Überresten nachweisbar. Diese Kranzlieder erschließen eine neue Seite des Volksgesangs und die heiterste Blüte des Rätselwesens. Der fromme Bruder Heinrich Sense berichtet aus seiner Jugendzeit, die in das erste Viertel des 14. Jahrhunderts fiel, wie es in Schwaben an etlichen Orten Gewohnheit sei, daß am eingehenden Jahre die Jünglinge nachts ausgehn und »bitten des Geminten« (um etwas Fröhliches), d. h. sie singen Lieder und sprechen schöne Gedichte, damit ihnen ihre Liebsten Kränzlein (Schapelin) geben. Unter den Bräuchen in Franken am Johannistage zählt Seb. Frank in seinem Weltbuche von 1542 folgenden auf: »Die Meid machen auf diesen Tag Rosenhäfen, also: si lassen inen machen Häfen voller Löcher, die Löcher kleiben si mit Rosenblettern zu, und stecken ein Liecht darein, wie in ein Latern, henken nachmals disen in der Höhe zum Laden herauß, da singt man alsdann umb ein Kranz Meisterlieder; sunst auch oftmals im Jahr zuo Summerszeit, so die Meid am Abent in ein Ring herumb singen, kummen die Gesellen in Ring und singen umb ein Kranz, gemeinklich von Nägelin gmacht, reimweiß vor; welcher das best thuot, der hat den Kranz.« Das Kränz-Singen oder Singen »umb die Krenz an den Abendrein« wird verboten durch das alte Amberger Stadtbuch: »Kain Jungfrau oder Maid soll den Handwerksgesellen und Knechten an einem Abendreien einen Kranz zu ersingen geben.« Verordnungen des Rats zu Freiburg im Breisgau, von den Jahren 1556, 1559, 1568, je in den Sommermonaten erlassen, verbieten gleichfalls »das Abendtanzen auf den Gassen« und »um das Kränzlein-Singen«, gestatten auch den Jungfrauen nicht, länger »den Reihen zu springen«, denn bis zum Salve. Die öftere Wiederholung des Verbotes zeigt, wie beliebt die Sitte war, weist aber auch darauf hin, daß an dem abendlichen Ersingen des Kranzes auch eine verfängliche Deutung haftete. Tanz und Gesang gingen vormals Hand in Hand; namentlich des Abendtanzes in Verbindung mit dem Singen gedenkt schon Nithart am Anfang des 13. Jahrhunderts:

als die vorsinger denne swigen,
sô sît alle des gebeten, daz wir treten
aber ein âbenttenzel nâch der gîgen.

Tänzer und Tänzerinnen waren bekränzt, am liebsten mit Rosen. »Weß Herz von Minne brennt, der soll einen Kranz von Rosen tragen,« heißt es in einem Tanzliede des Tanhusers. So brachte der Reigen auch die Einladung zum Kranzsingen im verliebten Sinne. Bei den Minnesingern findet man davon nur einzelne Andeutungen, wie bei Nithart:

wê, wer singet nû ze tanze
jungen wîben unt ze bluomenkranze!

Die Kranzlieder selbst, nicht um den Schulpreis, sondern um den schöneren Dank, kommen zuerst im 15. Jahrhundert zum Vorschein. Aus dieser Zeit stammt das handschriftliche Bruchstück eines solchen in breisgauischer Mundart:

Der junge Gesell kommt hastig hergerannt, arm und reich sollen ihm aus dem Pfade weichen, der ihn zu der hübschen Jungfrau tragt; er grüßt diese und wünscht sich ihr Rosenkränzlein; mit ihrer schneeweißen Hand möge sie nach dem Haarbande greifen, das ihr so wenig gilt und ihn so fern herführt; er will es in einen Schrein legen und über den Rhein tragen, auch ihr zur Ehre sagen, wie ihms die hübscheste Jungfrau im Lande gegeben habe. Nun legt sie ihm Rätsel vor, von denen nur noch zwei erhalten sind. Das erste: »Hübscher junger Knab'! auf meines Vaters Giebel sitzen der Vöglein sieben, weß (von was) die Vögelein leben, könnt Ihr mir das sagen, so sollt Ihr mein Kränzlein von hinnen tragen.« »Der erste lebt Eurer Jugend, der andre Eurer Tugend, der dritte Eurer süßen Blicke, der vierte Eures Gutes, der fünfte Eures Mutes, der sechste Eures stolzen Leibs, der siebente Eures reinen Herzens; zarte Jungfrau, gebt mir das Rosenkränzlein!« Die im vorigen Abschnitt erläuterte Ausdrucksweise: daß auch die Vögel eines Mannes Heiligkeit fühlen, ist hier noch dichterischer auf das Lob der hübschen Jungfrau gewendet. Zu diesem heitern Lebensbilde gibt das zweite Rätsel ein ernstes Seitenstück: der Knabe soll den Stein zeigen, den nie eine Glocke überschallte, nie ein Hund überbellte, nie ein Wind überwehte, nie ein Regen übersprengte: dieser Stein liegt im Höllengrund, er heißt anderwärts der Dillestein und ist die Grundfeste der Erde, von dem Rufe, der die Toten aufweckt, wird er entzweigehn. Ein Straßburger Druckblatt um 1570 gibt, abermals in einem Rätsellied, ausführliche Unterweisung, »wie man um einen Kranz singt«. Aus fremden Landen kommt ein Singer und bringt viel neuer Märe: dort ist der Sommer angebrochen und wachsen Blümlein rot und weiß, Jungfraun brechen sie und machen daraus einen Kranz, den sie an den Abendtanz tragen und die Gesellen darum singen lassen, bis einer ihn gewinnt. Mit Lust tritt der Sänger an den Ring, grüßt alle Burgerskinder, grüßt die Armen und die Reichen, die Großen und die Kleinen und fragt nach einem andern Sänger, der seine Aufgaben löse und damit das Kränzlein gewinne. Es sind die Fragen: was höher denn Gott? größer denn der Spott? weißer denn der Schnee? grüner denn der Klee? Ein andrer Sänger tritt hervor, grüßt einen ehrbaren, weisen Rat, dazu die ganze Gemeine, besonders auch die zarte Jungfrau, die das Kränzlein gemacht, um das er zum erstenmal eine Bitte an sie richtet, er woll' es um ihrer und aller Jungfraun wegen tragen, die Rat und Tat dazu getan. Sofort beantwortet er die Fragen des vorigen Sängers: die Krone sei höher denn Gott (auf Gemälden), die Schande größer denn der Spott, der Tag weißer denn der Schnee, das Merzenlaub (des Lenzen Laub) grüner denn der Klee; das Kränzlein sei dem Frager verloren. Er selbst gibt nun der Jungfrau auf, könne sie es ihm singen oder sagen, ihr Kränzlein soll sie länger tragen: das Kränzlein hat nicht Anfang noch Ende, die Blumen sind in gleicher Zahl, welches ist die mittelste Blume? Ein großes Schweigen, das Kränzlein will ihm bleiben, er muß selbst die Frage lösen: die Jungfrau ist die mittelste Blum' im Kranze. Zum dritten Male bittet er sie um das Kränzlein, sie soll ihre schneeweiße Hand aufheben, dem Kränzlein einen Schwank geben und ihm es auf sein gelbes Haar setzen. Nachdem er es empfangen, spricht er Gruß und Dank und schenkt ihr seinerseits, wieder rätselartig, eine güldene Krone mit drei Edelsteinen, der erste: »Gott behüt' Euch vor der Hölle Glut!« der zweite: »Gott geb' Euch sein Himmelreich!« der dritte: »Gott behüt' Euch Eure Jungfrauschaft!« Damit geht er aus dem Reigen und wünscht allen gute Nacht.

Wie verbreitet derartige Kranzlieder im 16. Jahrhundert waren, ergibt sich noch aus weiteren Überbleibseln und Anzeigen. Anfang eines solchen in einem musikalischen Liederbuch aus Nürnberg von 1544: »Mit Lust tret' ich an diesen Tanz, ich hoff' mir werd' ein schöner Kranz« usw. Der Sänger tritt »auf einen Stein« und grüßt die zarte Jungfrau nebst der ganzen Versammlung, fast mit denselben Worten, wie im Straßburger Liede. Auch in geistlicher Umdichtung sind Anklänge erhalten. Ein geistliches Reigenlied von Hermann Vulpius ist gedichtet »im Ton, wie man umb Krenz singt«, nach einem andern Drucke (von 1560) »im Ton, Aus frembden Landen komm ich her«, womit eben das Straßburger Kranzlied gemeint sein wird. Diese Verweisung spricht zugleich dafür, daß schon Luthers »Vom Himmel hoch da komm ich her« usw., dessen erstes Gesätz meist wörtlich mit dem Eingang des genannten Kranzliedes übereinstimmt, von dem weltlichen Lied ausgehe, nicht umgekehrt. »Ein christlicher Abentreien vom Leben und Amt Johannis des Täufers, für christliche, züchtige Jungfräulein,« 1554, von N. H. (Nie. Herman) hebt an: »Kommt her, ihr liebsten Schwesterlein, an diesen Abendtanz, laßt uns ein geistlichs Liedelein singen um einen Kranz!« Da nach Seb. Frank besonders am Johannisabend um den Kranz gesungen wurde, so mochte dies den frommen Kantor zu Joachimsthal, der Heimat so mancher Bergreien, veranlassen, den weltlichen Reien, dessen Eingang noch hörbar ist, durch ein erbaulicheres Johannislied zu ersetzen.

Die gefällige Rätselweise, die auf Angelegenheiten des Herzens abzielt, ist auch durch ein englisches Lied, aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderts, vertreten, doch ohne den Kranz:

Mädchen.

Meine junge Schwester fern über dem Meer
gar manches Brautstück schickt sie mir her,
sie schickte mir die Kirsche ohn' einigen Stein
und so auch die Taube ohn' einiges Bein,
sie schickte den Strauch mir ohn' einige Rinde:
hieß mich lieben mein Lieb und nicht Sehnsucht empfinden.
Wie sollt' eine Kirsche sein ohne Stein?
und wie eine Taube sein ohne Bein?
wie sollt' ein Strauch denn sein ohne Rinde?
wie sollt' ich lieben mein Lieb und nicht Sehnsucht empfinden?

Knabe.

Als die Kirsch' eine Blüte, da hatte sie nicht Stein,
als die Taub' ein Ei war, da hatte sie nicht Bein,
als der Strauch ungewachsen, da hatt' er nicht Rinde,
hat das Mägdlein, was es liebt, wirds nicht Sehnsucht empfinden.

Gleicher Form mit den seltsamen Sendungen, welche hier der Hauptfrage vorangehn, ist eine Aufgabe der deutschen Rätselbüchlein:

Es schickt' ein Ritter über Rhein
der allerliebsten Frauen sein
guten Wein ohne Glas
und ohn' all ander Trinkfaß,
rat, worin der Wein was?

In einer Traube.

Das Singen um den Blumenkranz deutet sinnbildlich an, erzählende Lieder knüpfen ausgesprochenes Werben und Freien an die Rätsellösung. In einer englischen Ballade wählt ein Ritter, der auf Freiwerbung ausgeritten, unter den drei Töchtern einer Witwe sich die jüngste, weil sie allein ihm die zur Verstandesprüfung aufgeworfenen Fragen beantwortet; diese sind von bekanntem Schlage: was ist länger als der Weg? tiefer als die See? lauter als das Horn? schärfer als ein Dorn? grüner als das Gras? schlimmer als jemals ein Weib? Die Worte der Lösung sind: Liebe, Hölle, Donner, Hunger, Gift, Teufel. Ein russisches Lied läßt Mädchen und Jüngling zu hohem Preise Schach spielen, er setzt drei Schiffe, eines mit Gold, das andre mit Silber und das dritte mit Perlen, sie setzt ihr Leben ein und gewinnt. Ihr Vorschlag, daß er die Schiffe als Mitgift wieder haben könnte, tröstet ihn nicht, und vergeblich sucht er dieselben durch Rätselwette wieder zu gewinnen; seine Fragen sind: was ohne Feuer glühe? ohne Flügel fliege? ohne Füße renne? Das Mädchen errät leicht: Sonne, Wolke, Bach. Aber auch umgekehrt, wie in den Kranzliedern, stellt das Mädchen die Aufgaben als Bedingnis der Gewährung. Scherzhaft in der schottischen Volksballade vom Hauptmann Wedderburn, dessen sich die schöne Tochter des Lords von Roslin, die er abends im Walde aufgefangen, durch Rätsel zu erwehren sucht; sie verlangt zum Abendessen drei Gerichte: die Kirsche ohne Stein, das Hühnchen ohne Bein, den Vogel ohne Galle (die Taube); sie legt sechs Fragen vor, zum Teil dieselben, die auch der freiende Ritter aufgab: sie heischt vier wunderbare Dinge, darunter eines Sperlings Horn (Klauen und Schnabel) und einen ungebornen Priester zur Trauung: allem wird genügt, auch der Priester steht vor der Tür, ein Wildeber hat einst die Seite seiner Mutter zerrissen. Ernster läßt ein andres Rätselstück aus Schottland sich an: Bei sinkendem Abendtau sieht eine Jungfrau von der Schloßzinne nieder, ein Ritter, dessen Anzug ihr auffällt, kommt herbei und gibt sich als einen Bewerber kund, der, wenn sie ihn verschmähe, noch diese Nacht sterben werde. Sie erwidert: Wenige werden um ihn trauern, manch Besserer sei um ihretwillen gestorben, dessen Grab grün bewachsen sei. Doch gibt sie ihm ihre Rätsel zu raten: welches die erste oder die schönste Blume sei in Moor und Tal? welches der süßeste Singvogel nächst der Nachtigall? Schlüsselblume und Drossel. Was die kleine Münze sei, die ihr Schloßgebiet auskaufen könnte? welches das kleine Boot, das die ganze Welt umsegeln könne? Der Pfennig in seiner Vielzahl und das Fischlein. Sie gibt sich überwunden und sagt ihm, daß sie von neun Schlössern ihres Vaters und dreien ihrer Mutter die einzige Erbin sei, es lebe denn ihr Bruder noch, der fern über Meer gezogen. Da nennt der Ritter sich als diesen Bruder, fern über dem Meere lieg' er begraben, und je lauter der Wind blase, um so tiefer sei sein Schlaf, aber der Hochmut seiner Schwester laß ihm keine Ruh', er sei gekommen, ihr stolzes herz zu demütigen und sie vor ewiger Strafe zu warnen.

Rätsel werden aber nicht bloß in die Erzählung eingelegt und mit der Handlung verwoben, sie werden selbst in Handlung gesetzt, die Person, der eine rätselartige Auflage gemacht wird, muß diese wirklich vollziehen. So wurde der ungeborene Priester leibhaftig herbeigeschafft. Durchgreifender waltet diese Weise in nachfolgenden Fällen. Ragnar Lodbrok legt mit seinen Schiffen unweit eines norwegischen Bauernhofes an und schickt Leute seines Gefolges an das Land, um Brot zu backen. Sie kommen mit verbranntem Brote zurück und gestehen, daß sie zuviel nach einem Mädchen von unvergleichlicher Schönheit geblickt haben, das ihnen bei der Arbeit behilflich war. Der König sendet nach ihr, will aber nicht bloß ihre Schönheit prüfen, er verlangt: sie solle kommen weder gekleidet noch ungekleidet, weder gegessen noch ungegessen, weder allein noch in jemands Begleitung. Die alte Bäuerin glaubt, der König sei nicht bei Troste, das Mädchen aber sagt: »Warum mag er so gesprochen haben, weil es so sein kann, wenn wir verstehen, wie er es meint.« Sie wickelt sich in ein Fischgarn und läßt darüber ihre langen, goldglänzenden Haare fallen, kostet an einem Lauch, so daß man es am Geruche merken kann, und läßt einen Hund mitlaufen. Dieses Mädchen, mit dem Ragnar sich vermählt, ist Aslaug, Sigurds und Brynhilds Tochter, die unter dem Namen Krâke (Krähe) unerkannt bei Bauersleuten lebte und mit der Herde ging. Die Auskunft mit dem Netz, nebst andern ähnlichen, wird auch von der klugen Bauerntochter in einem Märchen aus Hessen erzählt; auch diese wird dadurch zur Königin. Auf die Seite des Freiers fällt die Lösung in dem deutschen Volksliede von den drei Winterrosen, schon im 16. Jahrhundert gangbar: Ein Mägdlein holt Wasser am kühlen Brunnen, sie trägt ein schneeweiß Hemd, dadurch ihr die Sonne scheint (ihre lichte Farbe sichtbar wird), sie sieht sich um und meint allein zu sein, da kommt ein Ritter mit seinem Knechte, grüßt sie und fordert sie auf, mit ihm heim zu ziehen. Sie weigert sich, er bring' ihr denn drei Rosen, die zwischen Weihnachten und Ostern gewachsen. Da reitet er über Berg und Tal und kann ihrer keine finden, zuletzt läßt er von einer Malerin die drei Rosen malen und bringt sie, freudig singend, herbei. Das Mägdlein steht am Laden und weint bitterlich: sie hab' es nur im Scherze geredet. Er aber meint, so wollen sie's nun scherzweise wagen. Der nüchterne Einfall mit den gemalten Rosen in dem sonst frischen Liede fehlt in einer andern Fassung desselben, die aber gar nicht erklärt, wie die Auffindung der Rosen möglich war. Daß eine ältere, lebendige Lösung verloren gegangen, wird durch Vergleichung eines litauischen Rätselliedes glaubhaft: Ein Mädchen wird von der Schwieger nach Wintermai und Sommerschnee ausgeschickt. Weinend begegnet sie dem Hirtenknaben, der sie um den Grund ihrer Trauer befragt und ihr Rat erteilt:

»Geh hin, o Mägdlein, du zarte Jungfrau,
zum grünen Walde, zum Meeresstrande!
da wirst du finden eine grüne Fichte:
brich ab ein Zweiglein, schöpf' eine Hand voll Schaum!
dann wirst du bringen der lieben Schwieger
den Wintermai, den Sommerschnee.«

Hier ist es wieder das Mädchen, das die Aufgaben lösen muß, sei es, daß die Schwieger den Scharfsinn der künftigen Tochter prüft, oder daß sie mittels einer unerfüllbaren Bedingung verblümterweise den Sohn verweigern will.

Manche der angeführten Rätselaufgaben nähern sich schon merklich einer weiteren Gattung des Witzspiels, den Liedern von unmöglichen Dingen. Fordern die Rätsel scheinbar Unmögliches, so werden nun auch durchaus unerschwingliche Leistungen verlangt, und hierauf kann der angesprochene Teil nur mit Ansinnen derselben Art entgegnen. Ein Sieg durch Lösung ist hier nicht zu erkämpfen, es gilt nur, eine abenteuerliche Forderung durch die andre aufzuheben oder zu überbieten. So bezeichnen die unlösbaren Aufgaben, im Gegensatze der Rätsel, die zum Ziele führen, daß die Werbung nicht ernstlich und die Vereinigung nicht denkbar sei. Lieder dieser Gattung haben offenen Rahmen für jeden Einfall aus dem großen Gebiete der Unmöglichkeit. Im deutschen Volksgesang ist diese Weise seit dem 16. Jahrhundert weit verbreitet. Aus der alten dithmarsischen Fassung des Liedes »von eiteln, unmöglichen Dingen« folgendes zur Probe:

Ich weiß mir eine schöne Maid,
ich nähme sie gern zu Weibe,
könnte sie mir von Haberstroh
spinnen die feine Seide.

»Soll ich dir von Haberstroh
spinnen die kleine (d. i. feine) Seide,
so sollt du mir von Lindenlaub
ein neu Paar Kleider schneiden.«

Soll ich dir von Lindenlaub
ein neu Paar Kleider schneiden,
so sollt du mir die Schere holn
zu mitten aus dem Rheine.

»Soll ich dir die Schere holn
zu mitten aus dem Rheine,
so sollt du mir eine Brücke schlagen
von einem kleinen Reise.«

Soll ich dir eine Brücke schlagen
von einem kleinen Reise,
so sollt du mir das Siebengestirn
am hohen Mittag weisen.

»Soll ich dir das Siebengestirn
am hohen Mittag weisen,
so sollt du mir die Glasenburg
mit einem Pferd aufreiten.«

Soll ich dir die Glasenburg
mit einem Pferd aufreiten,
so sollt du mir die Sporen schlagen
wohl von dem glatten Eise.

»Soll ich dir die Sporen schlagen
wohl von dem glatten Eise,
so sollt du sie über die Füße tragen
am heißen Sonnenscheine.«

Soll ich sie über die Füße tragen
am heißen Sonnenscheine,
so sollt du mir eine Peitsche drehn
von Wasser und von Weine.

In andern Aufzeichnungen begegnet man teils den gleichen, teils verschiedenen Scherzaufgaben. Ein englisch-schottisches Lied hat für das Spiel mit seltsamen Dingen auch einen Sprecher aus dem lustigen Elfenreiche. Der Elfenritter sitzt auf dem Hügel und bläst sein Horn laut und gellend nach Ost und West. Da wünscht sich ein junges Mädchen das Horn in ihren Kasten und den Ritter in ihre Arme. Kaum hat sie diese Worte gesprochen, so steht er vor ihrem Bett und verlangt, wenn sie ihn heiraten wolle, von ihr einen Dienst: sie müss' ihm ein Hemd machen ohne Schnitt und Saum, müss' es formen ohne Schere und nähen ohne Nadel und Faden. Das Mädchen bedingt einen Gegendienst: er müss' ihr einen Morgen Baulands mit seinem Horne pflügen und mit seinem Blasen einsäen, einen Wagen aus Stein und Leim bauen und ihn durch Robin Rotbrust heimziehen lassen, das Korn in einem Mausloch aufschobern und in seiner Schuhsohle dreschen, in seiner hohlen Hand wannen und in seinen Handschuh einsacken, dann über die See ihr trocken zubringen; hab' er seine Arbeit wohl verrichtet, so mög' er das Hemd sich holen. Der Elfe zieht vor, bei seinem schottischen Plaid zu verharren, und das Mädchen will vorerst noch ledig bleiben.

Schon in einem lateinischen Gedichte Walafrids, der 849 als Abt zu Reichenau starb, sind ähnliche Aufgaben gestellt: es sollen weiße Raben und schwarze Schwäne, geschwätzige Schnecken und stumme Heimchen gefangen, Fischen das Schwimmen und Vögeln das Fliegen verboten, Quellen zum Stehen und Berge zum Gehen gebracht werden u. dgl. m.; wiefern aber der gelehrte Dichter von heimischem Vorbild oder von römischen Mustern angeregt war, läßt sich nicht genauer ausmitteln. Bei mittelhochdeutschen Dichtern ist diese Form bereits in künstlicher Steigerung auf Minnewerbung angewandt. Der Tanhauser zählt in zwei Liedern eine Menge der wunderlichsten Verlangen her, von deren Erfüllung die Frau seines Herzens den Lohn ihrer Huld abhängig macht: er muß ihr die Rhone gen Nürnberg schicken und die Donau über den Rhein, ein Haus von Elfenbein auf einem See bauen, den Gral, den Apfel des Paris und die Arche Noä gewinnen, den Rhein wenden, daß er nicht über Koblenz hinausgehe, Grand von dem See bringen, wo die Sonne zu Rast geht, und einen Stern, der nahe dabeisteht, dem Mond seinen Schein benehmen, fliegen wie ein Star und hoch schweben wie ein Aar, der Elbe ihren Fluß und der Donau ihr Rauschen wehren, den Regen und den Schnee abwenden, den Sommer und den Klee, nebst andern gleich schwierigen Dienstleistungen. Der Sinn wird auch mit dürren Worten ausgedrückt: »Sprech ich ja, so spricht sie nein, also sind wir einhellig.« Eine Nachahmung dieses Liedes, unter dem Namen des Meisters Boppe, geht noch weiter: drei Phönixe muß er miteinander bringen, mit Schnecken soll er Einhorne und Drachen fangen, mit Greifen beizen, mit drei Elefanten bei Tirol Gemsen hetzen u. a. m. Wie Tanhausers Lied von diesem letztern in halbgelehrten Abgeschmacktheiten überboten wird, so bekundet sich auch jenes schon als Überladung einer kunstloseren Form, deren volksmäßiger Gebrauch somit wenigstens um die Mitte des 13. Jahrhunderts vorauszusetzen wäre. Näher den Volksliedern, mit gegenseitiger Aufgabe, obgleich ohne Beziehung auf Liebessachen und in höherem Stile, stellt sich Meister Frauenlob, wenn er einem wetteifernden Kunstgenossen zuruft: »Laß laufen das Gestirne, so will ich fliegen lassen den Wind, willst du den Donner binden, so bin ichs, der den Blitz bindet, kannst du die Regentropfen zählen, so zähl' ich dir Laub, Gras und allen Sand.« Wie im oberdeutschen Volksliede (Volksl. Nr. 4. A. Str. 4):

So mußt du mir die Sterne zähl'n,
die an dem Himmel scheinen.

Die einfachste Anwendung des Unmöglichen ist jedoch, wenn dasselbe nicht als Leistung und Gegenleistung, sondern als unmittelbare Verkehrung des Naturlaufs bedungen und hingeschoben wird. So im niederrheinischen Liederbuche des 16. Jahrhunderts (Volksl. Nr. 65. Str. 3):

Nun schweiget, eine hübsche Magd,
und laßt das Weinen sein!
wann es Rosen schneiet
und regnet kühlen Wein,
so wollen wir, Allerliebste,
all beieinander sein.

Und noch in Volksliedern des Kuhländchens:

Ich nehm' dich mit, wenn's Rosen regnet
und wenn der Mond der Sonne begegnet.

»Und rote Rosen regnet's ja nicht,
Der Mond begegnet der Sonne nicht.«

Oder:

Mein Schatz, wann kommst du wieder,
Herzallerliebster mein?
»Ei! wann's wird schneien Rosen
und regnen den kühlen Wein.«

Es schneit ja keine Rosen,
es regnet kein' kühlen Wein:
du kommst schon nicht mehr wieder,
Herzallerliebster mein!

Schottisch:

O, wann heiraten wir uns, Lieb!
wann werden wir uns nehmen?
»Wann Sonn' und Mond tanzt auf dem Grün,
dann werden wir uns nehmen.«

Auch künstlicheres: »Wann Muschelschalen Silberglocken werden, wann Apfelbäume in den Seen wachsen, wann Fische fliegen und Meere trocken gehn« usw. Haben schon einige dieser Stellen einen wehmütigen Abschiedston, so wird dieselbe Ausdrucksweise noch ernster in Balladen düstern Inhalts. Als Vonved auszieht, seinen Vater zu rächen, fragt ihn die Mutter: »Wann darf ich Wein lassen mischen, wann mag ich dein Kommen erwarten?« Er antwortet: »Wann die Steine beginnen zu schwimmen und die Raben weiß zu werden, dann mögt Ihr Vonved heim erwarten, all meine Tage komm ich nicht zurück.« Der Brudermörder in der schottischen Ballade, der sich in ein bodenloses oder ruderloses Schiff setzen will, wird auch von seiner Mutter befragt: wann er wieder heimkommen werde? und erwidert, wie es schon oben hieß: »Wann Sonn' und Mond auf dem Grün tanzen (a. auf jenem Hügel springen), und das wird nimmer sein.« In der schwedischen Fassung bewegt das Gespräch sich weiter: »Wann kommest du zurück?« »Wann der Schwan wird schwarz?« »Und wann wird schwarz der Schwan?« »Wann der Rabe wird weiß.« »Und wann wird weiß der Rabe?« »Wann der Graustein schwimmt?« »Und wann schwimmt der Graustein?« »Der Stein schwimmet nie.« Oder auch: »Wann schwimmet der Stein?« »Wann die Feder sinket.« Ferner: »Wann darf ich dich heim erwarten?« »Wann der Stamm sich belaubt.« »Wann belaubt sich der Stamm?« »Wann die Rinde knospet« u. a. m. Finnisch: »Wann kommst du, Sohn, nach Hause?« »Wann der Tag aus Nord aufleuchtet.« »Wann wird der Tag aus Nord aufleuchten?« »Wann auf Wasser Steine tanzen.« »Wann mag Stein auf Wasser tanzen?« »Wann zum Grunde sinken Federn.« »Wann sinkt Feder wohl zum Grunde?« »Wann zum Richtstuhl alle kommen.« Nach einem kleinrussischen Volksliede sucht die Mutter auf dem Schlachtfelde jammernd den gefallenen Sohn, ein Rabe, mit der Beute in den Krallen, ruft ihr zu:

Alte Mutter, geh nach Hause,
nimm die Hand voll Sand und säe
auf ein Beet ihn unter Blumen,
netz' ihn täglich reich mit Tränen.
Geht er auf vom weichen Erdkloß,
kehrt dein Sohn heim – ohne Zweifel.

In Scherz und Ernst sind die unmöglichen Dinge eine bejahende Verdeckung von nein und nimmer. Auf den leeren Hintergrund der Verneinung werden die wunderlichen Bilder hingespiegelt, welche zwar auch nur ein Nicht und Niemals entfalten und selbst wieder in dieses zerrinnen, aber doch augenblicklich eine Anschauung gewähren, die noch in ihrem Verschwinden bald heiter und neckisch, bald ironisch bitter fortwirkt. Es waltet hierin dieselbe Scheue der Phantasie vor jedem kahlen und öden Flecke, die sich im Kleinern und wieder auf andre Weise vorzüglich bei den Dichtern des 13. Jahrhunderts in einer vielgebrauchten Verneinungsformel äußert: dem abstrakten Nichts wird irgend eine geringfügige Sache vorgeschoben, welche sich zu jenem wie Positiv zum Komparativ verhält und der sinnreichen Vorstellung einen letzten Anhalt darbietet; statt zu sagen: das frommt, gilt, verfängt mir nichts, versichert man: das hilft mich, schadet mir, das achte, fürchte ich nicht ein oder um ein Blatt, einen Bast, eine Beere, ein Stroh, eine Spreu, eine Bohne, eine halbe Bohne, eine Wicke, ein Wicklein, ein Ei, ein Brot, ein Haar, oder positiv: das ist mir ein Staub, ein Wind, poetischer der geringste Teil eines grünen oder blühenden Ganzen: nicht ein Lindenblatt, Lilienblatt, Rosenblatt, Veilchenstiel. Nach andrer Seite sind die seltsamen Gebilde, in denen die Poesie das Niemals und, wie sich nachher ergeben wird, auch das Nirgend Versinnlicht, mit den Darstellungen des Immer und Überall in der Rechtssprache zusammenzuhalten. Hier sollen Satzung, Geding, übertragenes Eigentum dauern: solange die Sonne auf- und niedergeht, der Mond scheint, der Wind weht, der Regen sprüht, der Hahn kräht, Tau fällt, Laub und Gras wächst oder grünt, der Baum blüht, Eiche und Erde steht, das Wasser über das Land, der Lebendige über den Toten geht. Besonders auch müssen die Liederstellen, in denen der Bluträcher oder Brudermörder seine Selbstverbannung ausdrückt, damit verglichen werden, wie die nordischen Sicherheits- und Sühnformeln den Friedbrecher voraus ächten: er soll gejagter Wolf sein, soweit Menschen Wölfe jagen, Christenleute zu Kirche gehen, Heiden im Tempel opfern, Feuer brennt, Erde grünt, Kind nach der Mutter schreit, Mutter das Kind stillt, Holz Feuer nährt, Schiff schreitet, Schilde blinken, Sonne scheint, Schnee fällt, Föhre wächst, Falke den langen Frühlingstag fliegt und der Wind ihm unter beiden Schwingen steht, Himmel sich wölbt, dreht (hverfr), Welt bewohnt ist, Wind braust (pýtr), Wasser zur See strömt, Männer Korn säen. Die Rechtsformeln haben meist auch durch Reim oder Stabreim poetischen Klang; während aber die Lieder die Nichtwiederkehr dadurch aussprechen, daß sie die Heimkehr auf den Eintritt unmöglicher Begebnisse aussetzen, festigen die Formeln ihren Bann durch Anknüpfung an das allwärts und immerfort Bestehende; während in den Gedichten die abgewiesene Einigung, die unheilbare Lösung der Heimatbande durch Dinge verbildlicht wird, welche mit den Naturgesetzen im Widerstreit stehen, beruft sich die Rechtssprache für Gesetz und Vertrag, für Sicherung und Sühne auf die ewige Regel des Weltgangs. Wenn es der Poesie vergönnt ist, mit den Bildern der Unmöglichkeit, den Träumen der verkehrten Welt, zu spielen, so kommt es dem Rechte zu, für den Bestand seiner sittlichen Ordnung Bild und Widerhalt in den Erscheinungen des unwandelbaren Naturlebens zu nehmen. Klar bezeugt ist dieser Zusammenhang in einer schwedischen Ballade: »Wie soll das Gras auf dem Felde können wachsen, wenn der Vater nicht dem Sohne will glauben?« denn die Sicherungsformel sagt: »Gleich befriedet wie Sohn mit Vater und Vater mit Sohne;« und in einem niederländischen Liede (Volkslieder Nr. 97. B.) steht der Strom stille, als ein treuloser Ritter von Minne spricht, während die Rechtssprache den unablässigen Lauf des Wassers anruft. Übrigens sind die wesenlosen Dinge auch vom Rechtsgebiete nicht gänzlich ausgeschlossen, sie erscheinen, wieder das Nicht verdeckend, da, wo kein Recht gewährt wird, bei den Scheinbußen an die Rechtlosen: »Spielleuten gibt man, nach den deutschen Rechtsbüchern, zu Buße den Schatten eines Mannes, Kämpen (herumziehenden Kunstfechtern) und ihren Kindern den Blick (Widerglanz) von einem Kampfschilde gegen die Sonne. Abfindung mit Schein und Schatten spielt auch in Strickers Erzählung von zwei Königen: Der eine zieht den andern zur Rechenschaft für das Leid, das ihm von diesem im Traume geschehen, der andre bietet zur Buße die Schatten seiner Ritter, die sich mit ihren Rossen im Grenzflusse spiegeln; sodann in der altfranzosischen Erzählung, wie ein Ritter seinen Ring, den die geliebte Frau nicht behalten will, ihrem Spiegelbild im Strome zuwirft. Durch ähnliche Beschönigungen wird in Liedern und Mären das Kind ohne Vater bezeichnet. Die älteste Fassung des Schwankes vom Schneekind, ein lateinisches Gedicht aus dem 10. Jahrhundert in der singbaren Form der Leiche, überschrieben: modus Liebinc, erzählt: wie die Frau eines Kaufmanns von Konstanz, der nach zweijähriger Seefahrt einen kleinen Sohn zu Hause trifft, diesen vom Schnee, womit sie einmal auf den Alpen den Durst löschte, empfangen zu haben vorgibt, und wie nachmals der Kaufmann auf einer andern Seereise den Knaben verkauft, bei der Zurückkunft aber behauptet, der Sohn des Schnees sei von der brennenden Sonne zerschmolzen. Auch Taukinder scheint es gegeben zu haben und in derselben Ausdrucksweise wird eine rätselhafte wunderartige Geburt dem Duft einer Blume oder dem Saft eines Apfels zugemessen. Ein Traumkind im litauischen Volksliede:

Liebe Tochter, Simonene,
wo erhieltest du den Knaben?

»Mutter, Mutter, ehrenwerte!
durch die Träume kam er.«

Liebe Tochter, Simonene,
worin wirst du ihn einhüllen?

»Mutter, Mutter, ehrenwerte!
in den Flügel der Marginne« (Frauenkleidung).

Liebe Tochter, Simonene,
wo wirst du ihn hinlegen?

»Mutter, Mutter, ehrenwerte!
auf des Taues Decke.«

Liebe Tochter, Simonene,
womit wirst du ihn speisen?

»Mutter, Mutter, ehrenwerte!
mit dem Brot der Sonne.«

Wenn das Lied vom Schneekinde mit der märchenhaften Wettlüge spielt, so birgt das vom Traumknaben unter den Scheindingen den bittern Ernst, ein trauriges Nicht, den Mangel des Vaters und damit der Hülle, des Lagers, des Brotes. Auch mit Scheinbuße werden die unecht Geborenen abgespeist.

Die Rätsel setzen scheinbar Unmögliches, die unmöglichen Dinge verblümen die Verneinung, es gibt aber einen Fall, der mitten inne schwebt. Macbeth soll, nach dem Spruche der Schicksalschwestern, nie von einem Menschen, der vom Weibe geboren ist, ermordet und nicht besiegt werden können, bevor der Wald von Birnam nach Dunsinnane kommt. Aber Macduff, der sein Mörder wird, ist aus Mutterleibe geschnitten, und das anrückende Feindesheer hat sich, um seine Stärke zu verbergen, mit Zweigen aus dem Birnamwalde bedeckt, so daß dieser selbst zu kommen scheint. Was für Macbeth entschiedenste Bezeichnung des Niemals war, ist nun ein vom Schicksal gelöstes Rätsel. Der Ungeborne fand sich schon oben bei den Rätseln ein, der kommende Wald jedoch gewinnt durch Zusammenstellung mit weiteren Sagen ein anderartiges Aussehn. Nach einer Volkssage aus Oberhessen wurde vor alters ein König in seinem Schloß auf dem Christenberg vom König Grünewald lange belagert, seine einzige Tochter, welche wunderbare Gaben besaß, sprach ihm immer noch Mut ein, bis zum Maientag, da sah sie auf einmal bei Tagesanbruch das feindliche Heer herangezogen kommen mit grünen Bäumen, nun wußte sie, daß alles verloren und rief:

Vater, gebt Euch gefangen!
der grüne Wald kommt gegangen.

Auch hier ist eine Vorausbestimmung angenommen, übrigens der grüne Wald mißverständlich zum Namen gemacht und damit doppelte Lösung herbeigeführt. Im 11. Jahrhundert bringt Saxo die Sage zweifach; einmal hat der schlaue Erik sieben seiner Schiffe mit Baumzweigen bedecken lassen und mit dem achten die Flotte der Slawen herbeigelockt, die sich nun plötzlich in eine Bucht eingeschlossen sehen und zuerst staunend vermeinen, der grüne Wald komme dahergeschifft; das andre Mal überfällt der Wiking Haki den König Sigar mit einer Kriegsschar, die, aus dem Wald anrückend, sich mit abgehauenen Zweigen deckt, Sigars Wartmann eilt zum Schlafgemache seines Herrn und sagt: er bring' eine staunenswerte Botschaft, Gezweig und Gesträuche seh er daherschreiten; worauf der König äußert, dieses Wunder bedeute seinen Tod. Die früheste Überlieferung aber und doch schon die ausgemalteste gibt Aimoin aus den Geschichten des fränkischen Königshauses im sechsten Jahrhundert: Fredegund rückt dem Lager Childeberts, der mit Heeresmacht in ihr Reich eingebrochen, in früher Morgenstunde so entgegen, daß sie selbst, ihren Säugling Chlotar in den Armen haltend, vorausgeht, und ihre Krieger mit Baumzweigen in der Hand und klingenden Schellen am Hals der Pferde aus dem Walde ziehn; ein feindlicher Wächter, in der Dämmerung ausschauend, ruft seinem Gesellen zu: »Was ist das für ein Wald, den ich dort stehen sehe, wo gestern abend nicht einmal kleines Gebüsch war?« Der andre hält den Fragenden für weintrunken und glaubt die Schellen der im Walde weidenden Rosse zu hören. Da lassen jene die Laubzweige fallen, der Wald steht entblättert, aber dicht mit Stämmen schimmernder Speere, jäher Schrecken kommt über die Feinde, aus dem Schlafe werden sie zu blutiger Schlacht erweckt, und die nicht entrinnen können, fallen vom Schwerte. Eben aus den ältesten Darstellungen erhellt, daß die rätselartige Prophezeiung nicht wesentlich ist, und auch in diesen schon ist die angebliche Kriegslist eine allzu dürftige Erklärung, vielmehr eine Aufhebung des phantastischen Bildes. So bleibt als ursprünglicher Anhalt nur das Erstaunen des Überfallenen, das auch meist nachdrücklich und anschaulich hervorgehoben wird. Der kommende Wald, ein Unmögliches, wird nicht in der Verneinung belassen, dem Überraschten ist, was er sehen muß, unmöglich und wirklich zugleich. »Der Wald wandelt«, wäre hiernach uralter Ausdruck für die Bestürzung desjenigen, dem Unerwartetes, Unmöglichgeglaubtes plötzlich vor Augen tritt, die Sage schlägt den Ausdruck mit zu den Ereignissen und sucht nun Mittel, das Unglaubliche zu erklären, richtiger und poetischer verstärkt und belebt sie dasselbe, wenn der Wald auf dem Meere geht oder mitsamt seiner klingelnden Weidherde heranzieht.

Die Volksdichtung setzt ihren Weg durch das Unglaubliche weiter fort und gefällt sich, wozu schon angeklungen ist, in förmlichen Lügenliedern. Das älteste Beispiel ist wieder ein lateinischer Leich aus dem 10. Jahrhundert, bezeichnet: modus florum, Blumenton. Derselbe kündigt sich offen als einen Lügensang mendosam(d.i. mendacem cantilenam) an und erzählt von einem Könige, der seine schöne Tochter mit dem Beding zur Brautwerbung ausbietet, daß der Freier so lange fortlüge, bis der Mund des Herrschers selbst ihn für einen Lügner erkläre. Ein Schwabe hört dieses und hebt alsbald an, wie er, allein auf der Jagd umherstreifend, einen Hasen geschossen und dessen Kopf samt dem Fell abgelöst habe; als er nun den Hasenkopf aufgehoben, seien aus dem einen Ohre hundert Schaff Honigs geflossen und aus dem andern das gleiche Maß von Goldstücken ( bisarum); diese hab' er in das Fell gebunden und sofort beim Zerlegen des Hasen im äußersten Schwanzende einen königlichen Brief versteckt gefunden, welcher beurkunde, daß der König des Schwaben Knecht sei. »Der Brief lügt, und du selber lügst,« ruft der König; so ist er überlistet, und der Schwabe wird sein Eidam. Der Botenlauf des schnellfüßigen Hasen ist sagenhaft. In der Tierfabel schickt ihn der König Löwe nach dem Fuchs aus. Nach einer lateinischen Erzählung aus England, in einer Predigtenhandschrift des 14. Jahrhunderts, sind zinspflichtige Bauern um einen Boten verlegen, der die Zahlung auf das Ziel ihrem Herrn überbringe; da sagen einige: Richard ( Riccardus) ist ein geschwindes Tier, hängen wir an seinen Hals den Beutel mit dem Zins und geben ihm auf, solchen schleunig an den Hof unsres Herrn zu tragen!« Das tun sie, Richard aber läuft, so sehr er kann, mit Beutel und Zins dem Walde zu, und die Leute wissen nicht, wo er hingekommen. Der einfältige Mönch, der in einem altdeutschen Schwanke den Hasen für ein Kind hält, ruft ihm nach: »O weh, liebes Kind! wie schnell deine Beine sind! du solltest eines Fürsten Brief tragen, denn in kurzer Weile liefest du manche Meile.« Auch der modus Liebine gibt sein Schneemärchen, Lüge um Lüge, ausdrücklich auf den Namen eines Schwaben, eines Bürgers von Konstanz. Es scheint, daß damals solche Fünde für Schwabenstreiche galten.

Im 13. Jahrhundert versucht sich der Marner, ein Schwabe, mit einer Lügenstrophe: »Mancher sagt Mären von Rom, die er nie gesehen, auch ich will euch eine sagen: eine Schnecke sprang einem Leopard tausend Klafter vor, das Meer steht wasserleer, eine Taube trank es aus, das hört' ich zween Fische klagen, die flogen daher von Neifen und sangen neuen Sang (Beziehung auf den Minnesinger Gotfried von Neifen), ein Hase fieng zween Winde, die ihn jagen sollten, vier starke Wölfe sah ich von einem alten Schaf erschlagen, einen Reiher, der den Habicht in den Lüften fieng, einen weißen Bären, den ein wilder Esel an des Meeres Grund erjagte, wobei ihm ein Salamander half, dem die Wasser kund waren.« Es ist derselbe Geschmack, wie in den Liedern Tanhausers von unmöglichen Dingen. Ungezierter und lebendiger rührt sich das Lügenwerk in Spruchgedichten des 14. Jahrhunderts sowie in einigen Volksliedern aus dem 16. und der späteren Zeit. Alle Gattungen des Widersinnigen und Ungereimten laufen hier bunt durcheinander, ohne sichtbaren Zweck und Zusammenhang, die Ungetüme tauchen auf, rennen sich an und verschlingen sich, wie die Bilder des Sonnenmikroskops. Doch ist es möglich. Gleichartiges auszuscheiden, es haben sich da und dort Gruppenbildungen angesetzt, wenn sie auch schnell wieder zerfließen, selbst ein vernünftiger Sinn schimmert an einzelnen Stellen hindurch. Ein zahlreicher und anschaulicher Teil der Lügenbilder zeigt die Tierwelt in menschlichem Treiben begriffen und reiht sich damit an jene Dichtungen von den Hochzeiten und Leichenbegängnissen der Tiere, nur sind diese nun gänzlich ihrem natürlichen Wesen entrückt, und gerade der Widerspruch mit letzterem ist es, woran sich die Darstellung vergnügt. In einem der ältesten Sprüche sieht man allerlei Tiere in Feld und Haus geschäftig: »Da sah ich zwo Krähen eine Matte mähen, da sah ich zwo Mücken machen eine Brücke, da sah ich zwo Tauben einen Wolf klauben (rupfen) und sah zween Frösche miteinander dreschen,« und weiterhin: »Da sah ich vier Rosse aus Heue Korn dreschen, da sah ich zwo Geißen einen Ofen heizen, da sah ich eine rote Kuh das Brot in den Ofen tun« (Müller. V. 30ff. 54ff.). Teils wortgleich, teils mit den Verschiedenheiten aller mündlichen Überlieferung, sind diese Tiergruppen aus dem 14. Jahrhundert noch in letzter Zeit im Volksgesange der Schweiz und des mährischen Kuhländchens wieder gefunden worden: sie bilden hier ein kleines Lied für sich, mit Kehrzeilen: Wunder über Wunder! usw. Ein bremischer Kinderreim führt eigens die häusliche Wirtschaft aus: »Und als ich in das Baurhaus kam, da sah ich mit Verwundrung an: die Kuh die saß beim Feur und spann, das Kalb lag in der Wiegen und sang, die Katze kernte die Butter, der Hund der wusch die Schüsseln, die Fledermaus die fegte das Haus, die Schwalbe trug den Staub heraus auf ihren langen Flügeln.« Zerstreut in den alten Sprüchen erscheint ein Käfer, der mit seiner Hellebarde ficht und den König von Frankreich erschlägt, worüber eine Fledermaus heftig weint (Lieders. V. 18ff.); eine Meise tut einen Kolbenschlag, daß die ganze Welt erhallt (Suchenw. 14ff.); ein Krebs bläst ein Jagdhorn, daß es in aller Welt erschallt (LS. 10f.); ein Laubfrosch baut ein Ritterhaus auf einem Pfirsichstein (LS. 22f.); ein Rabe, der hoher Minne pflegt, geht hin zum Tanze, mit seinem Rosenkranze tritt er den Reihen, des freuet sich der lichte Mai. Es sind Arabesken und Miniaturen im Stile der Randzeichnungen und gemalten Buchstaben alter Pergamenthandschriftcn (Meßbücher); satirische Beziehung des einzelnen Bildes ergibt sich nur in einer Liedesstelle, wo die Gänse zur Kirche gehn und der Fuchs ihnen predigt. Die Tiere werden aber auch häufig so zueinander gestellt, daß sie ihre natürlichen Eigenschaften vertauschen oder die Kleinen und Schwachen der Großen und Starken Meister sind. Den Beispielen beim Marner reiht sich viel Ähnliches an: ein Habicht schwimmt über den Rhein, da schreien Fische, daß es in den Himmel dringt (Müller 23ff.); Fische gehen im Zelt (Paßgang, Wachtelm. 159. Suchenw. 28); über dem Wald ist ein goldenes Obdach, darunter sitzen auf jedem Aste zween Meerfische und lesen einem Abt zu Tische, der vor tausend Jahren tot war (Lieders. V. 44f.); Rinder bringen Geißen zur Welt (Müll. 36f.), und eine Katze säugt vier junge Hasen (LS. 118f.), der Hase jagt die Hunde, wie bei Marner, und den Jäger selbst (Schl. L. Str. 9); die Schnecke tötet Löwen oder schießt nach dem Hirsche, die Maus bindet den Bären, das Schaf zerreißt den Wolf (Müll. 44f. Schl. L. Str. 9f.); eine Maus erschlägt einen Löwen zu Tirol im Walde, da laufen alsbald zwo neugeschlagene Leiern (Suchenw. 32ff.), vermutlich Anspielung auf den Gesang der Fahrenden von erstaunlichen Heldentaten. Überhaupt tummeln sich in dieser Lügenfastnacht die sonst unbelebten Dinge ganz ebenbürtig unter und mit den Lebendigen; ein Pflug ackert ohne Roß und Rind (Müll. V. 17 f.), ein Wagen geht vor dem Rosse (New. Schl. L. Str. 8); Amboß und Mühlstein schwimmen über den Rhein (Dithm. L. St. 2 vevgl, Wachtelm. 210); ein Mühlstein fliegt über das Meer (Schl. L. Str. 13): ein Berg tut einen Schrei, und ein Turm läuft gewaffnet (Suchenw. 21, 24): ein neugebornes Kammrad ficht mit einem Tursen (Riesen, ebend. 68f.): eine alte Tasche vermißt sich, voller zu tönen, als die Glocke zu Neuenstadt (ebend. 104f.); auch gibt es Liebschaften und Heiraten von altem Sattelgeschirr, Bräupfanne, Korb und Kohlensack, die vor Lust leuchten, wie der liebe Tag (WM. 86 f. 118 f. Suchcnw. 84 ff.), u. dgl. m. Ein meistersängerisches Lied des 16. Jahrhunderts läßt in einer alten, morschen Scheune allerlei verlegenes Gerät und Geschirr sich besprechen, seine Schäden klagen, dann eine Hochzeit mit Spiel und Tanz, wobei Spinnwebe zum Schmucke dient, festlich begehen. In der närrisch gewordenen Welt bleiben begreiflich die Menschen nicht zurück, auch sie treiben und erfahren viel Seltsames und Aberwitziges: ein jähriges Kind wirft vier Mühlsteine von Regensburg bis Trier, von Trier nach Straßburg hinein (Müll. 19ff.); Seide wird aus Braten gesponnen (WM. 193); Stahl wird im kühlen Brunnen geweicht oder mit Blei geschroten (LS. 94f. Suchenw. 64); Salz aus Schnee gesotten, Schmalz von Kieselsteinen (Suchenw. 72. 59); ein Abendtanz auf einem Bundschuh gegeigt (LS. 88f.). Etliche segeln landein, die Segel gegen den Wind gespannt, auf einen hohen Berg und müssen da ersaufen (Dithm. L. 5); ein Kranker wird mit Maulstreichen gelabt, und ein Wohlbedeckter erfriert an der Sonne (LS, 93f. 96f,); ein Stummer kann nicht verschweigen, daß der Papst begraben worden (ebend. 90f.): Stumme und Narren singen Rat in der Not (Suchenw. 30f.); ein Handloser wirkt ein Seil, das von Orient bis Okzident geht und nirgend Ende hat (LS. 74ff.); ohne Hand und Fuß schreibt eine Nonne ein Mettebuch (ebend. 86f.): ein fußloser Mann überläuft ein schnelles Pferd (Müll. 4f.); dergleichen Leute werden auch öfters zusammen in Handlung gebracht, so im dithmarsischen Lügenliede (Str. 3f.):

Es wollten drei Kerl einen Hasen fangen,
sie kamen auf Krücken und Stelzen gegangen,
der eine der konnte nicht hören,
der andre war blind, der dritte stumm,
der vierte konnte keinen Fuß rühren.

Nun will ich euch singen, wie es geschah:
der Blinde allererst den Hasen sah
all über das Feld hertraben,
»der Stumme sprach dem Lahmen zu,
der kriegt' ihn bei dem Kragen

im oberdeutschen, Str. 15:

Der Blinde hatt' ein Eichhorn gesehen,
der Lahm' erlief's mit den großen Zehen,
der Nackte hat's in Busen geschoben;
ihr dürft darum nicht zürnen,
es ist wühl halb erlogen, heiaho!

Lügenstücke dieser Art bieten im allgemeinen dem unbemessenen, verkehrten und vergeblichen Menschentreiben einen Spiegel hin, unmittelbare Nutzanwendungen werden nicht gemacht. Nur wenn in einem der Spruchgedichte zwei Säugekinder ihre Mutter schweigen heißen (Müll. 48f.), so lautet dies etwas anzüglich und erinnert daran, daß schon Reinmar der Alte, der um das Ende des 12. Jahrhunderts sang, die Bilder der verkehrten Welt auf die öffentlichen und sittlichen Zustände seiner Zeit bezogen hat; er sagt: »Platte und Krone (geistliche und weltliche Gewalt) wollen mutwillig sein, während Topfknaben (die mit dem Kreisel spielen) weislich zu tun wähnen; Unbilde (Frevel) jagt mit Hasen Eberschweine, einen Falken erfliegt ein unmächtig Huhn; wird dann der Wagen vor den Rindern gehn, trägt der Sack den Esel zur Mühle, wird eine alte Gurre (Stute) zu einem Füllen, so sieht man's in der Welt überzwerch stehn.

Die Erscheinungen der Lügenwelt werden sonst gewöhnlich in eine Zeit und in ein Land verlegt, welche selbst auch in Fabel und Widerspruch aufgehen. Hievor bei alten Gezeiten (WM. 1), einsmals in der Affen Zeit (Müll. 1), in einem Winter, da man auf kaltem Eise Rosen brechen sah und dabei schöne Lilien und Blümlein wuchsen (Suchenw. 1 ff.), zu Weihnachten im Sommer (ebend. 65), zu Pfingsten auf dem Eise (Dithm. L. Str. 2), sind alle die Wunder geschehen, die ganze Welt sah sie, bevor jemand geboren war (LS, 24f.), und der Erzähler hörte davon, ehe die Mutter sein genesen (Fr. Ldb. Nr. 141. Str. 1). Der Marner hebt damit an, daß mancher Mären von Rom sage, die er nie gesehen, und auch er wolle solcherlei sagen: ein andrer Sprecher meldet, daß er an einem feinen Seidenfaden Rom und den Lateran tragen sah (Müll. 2 f.), und es liegt hierin eine Verspottung lügenhafter Pilgermären. Das ausführlichste der Spruchgedichte, das Märchen von den Wachteln, schlingt damit ein lockeres Band um seine Abenteuer, daß die handelnden Personen, über deren Gestalt und Natur man nicht einmal klug wild, aus einem wunderlichen Land in das andre fahren: an einer häbernen Halde, in einem hölzernen Lande, auf einem strohenen Sande kommt der ungetümliche Held zur Welt, auf dem Kompostberge spinnt er Butter aus Werg, zu einem Turnei gegen den König von Nindertda (nirgend da), wird ausgeritten, und sie kommen zu dem Nummerdumen amen (d. h. nomine domini amen), das jenseit Montags gelegen ist; das Land ist dort mit vier starken Wieden an den Himmel gebunden, des Friedens wegen, daß ihm niemand schaden könne; die Häuser sind mit Fladen gedeckt und mit Würsten gezäunt, wen zu dürsten beginnt, den faßt man an einen Strang und reitet ihn hinab in den wilden See, da trinkt er, daß ihn hernach niemals wieder dürstet; das Land heißt Kurrelmurre, dort geht die Gans gebraten und trägt das Messer im Schnabel, den Pfeffer (die Pfefferbrühe) im Nabel, die Schwalben fliegen einem gebraten in den Mund; dort sind hohe Türme und gute Kirchen aus Butter gemauert, und schiene die Sonne so heiß, wie anderswo, so würden sie völlig schmelzen; ein eichener Pfaffe singt eine buchene Messe, wer da zum Opfer dringt, dem wird der Ablaß gegeben, daß ihm der Rücken schwiert, der Segen ist ein Kolbenschlag (WM. 1-12, 19 f. 26-28, 38-72). Anderwärts finden sich eine breite Linde, darauf heiße Fladen wachsen, und ein Honigfluß vom Tal auf den Berg (Müll. 11f. 27f.); zu Fastnacht in das Zuckerland fließt von Honig ein großer Bach, auch fliegen drei gebratene Hühner, die Bäuche nach dem Himmel gekehrt, den Rücken nach der Hölle (Dithm. L. Str. 1). Der Sänger des oberdeutschen Lügenliedes will kund machen, was er in einem wunderseltsamen Lande gesehen; er ist weit herumgezogen und hat oftmals sagen gehört, wie ein gutes Land auf Erden sei, Schlauraffenland genannt, da fragt er einen Stummen, wie in das Land hineinzukommen; ein Blinder, der bei Nacht so gut als am Tage sieht, ist sein Wegweiser, noch kommen ein Nackter und ein Lahmer, der mit seinen Krücken voranläuft und Herberge bestellt; der Wandrer kommt zu einem dicken Wald ohne Baum und zu einem großen Bach ohne Wasser, darauf liegen drei wohlbeladene Schiffe, das eine hat keinen Boden, das andre keine Wand, das dritte ist gar nicht da, und in diesem fährt er über (Volksl. Nr. 241. 1-7); der Eichhornfang ist schon oben erzählt. Nach einem westfälischen Volksmärchen, das im Kirchentone gesungen wird, wohnt zwischen Werl und Soest ein Bauer mit Namen Knost, der hat drei Söhne, der eine heißt Jost, der andre Knost, der dritte Janbeneken, die alle drei reisen wollen; der erste ist blind, der zweite lahm, der dritte splinternackt; der Blinde schießt einen Hasen, der Lahme fängt ihn und der Nackte steckt ihn ein; sie kommen an ein großes Wasser, darauf drei Schiffe, das eine leck, das andre bräck (Wrack), im dritten kein Boden, darein setzen sie sich, der eine versinkt, der andre ertrinkt und der dritte kommt nicht wieder heraus; der nicht wieder herauskommt, der kommt in einen großen Wald, darin ist ein großer Baum, im Baum eine große Kapelle, in dieser ein buchsbaumener Pfarrer und ein hagenbuchener Küster, die teilen alle Sonntage das Weihwasser mit Knüppeln aus. In diesen Reisemärchen, die so mannigfach zusammen und auseinander laufen, kommt schon ein hübsches Stück des berühmten Landes zum Vorschein, das mit allem Fett der Erde gesegnet ist; die Merkwürdigkeiten desselben sind zwar, zuweilen nur in einzelnen Zügen, mit anderartigen Wunderdingen verwoben, doch haben sie im Wachtelmärchen sich beträchtlich angesammelt und zugerundet. Dasjenige Lied, welches den gewöhnlichen Namen dieses Landes trägt, meldet nichts von den eigentümlichen Segnungen desselben, aber schon der Name Schlauraffenland knüpft an eine Reihe weiterer, der Beschreibung dieses Erdstrichs eigens gewidmeter Dichtungen an. Die Betrachtung der letztern muß auf einen folgenden Abschnitt ausgesetzt bleiben, doch ist schon hier eine vorgreifende Bemerkung an ihrer Stelle. Wenn nämlich die Erzählungen und Lieder, in welchen das Schlaraffenland verherrlicht wird, offen oder versteckt der menschlichen Trägheit und Lüsternheit spotten, so ist es den obigen Darstellungen eigen, daß sie den sinnlichen Genüssen des Wunderlandes in dem Ritte zur Tränke, der buchenen Messe und der Besprengung mit Knüppeln eine nicht minder gründliche Kasteiung beiordnen.

Den altehrwürdigen Wallern, denen zweiundsiebenzig Lande kund sind, treten scherzhaft die Lügenwandrer gegenüber, die aus der ganzen Länderzahl stets nur das Fabelhafteste zum Gegenstand ihrer Berichte wählen, das Tauglichste für den leichtfertigen Mund des fahrenden Volkes. Die Form der angeführten Sprüche, das leichte Hinrollen kurzer Sätze, das rastlose Überspringen von einem Bilde zum andern, so daß in demselben Reimpaare die verschiedensten Dinge sich treffen und treiben, zeugt ebenfalls dafür, daß diese Gattung ursprünglich dem Vortrage fahrender Leute bestimmt war, die damit als Lügner aus dem Stegreif auftraten, durch fortlaufende Überraschung mit den buntesten Abenteuern ihre Hörer zum Lachen brachten und das Lügensprechen mit andern ihrer Gaukelkünste betrieben. (Walther von der Vogelweide spricht von Gauklern, die unter dem Hute bald einen wilden Falken, bald einen stolzen Pfau, bald ein Meerwunder vorweisen und zuletzt nur eine Krähe übrig lassen [Lachm. 37f.]; der Lügensprecher zeigte noch viel seltsamere Wandlungen). Den Sprüchen fehlt es aber auch nicht an bestimmteren Wahrzeichen spielmännischen Gebrauchs. Daß sie gerne mit einem possenhaften Trumpfe schließen, bringt ihr Inhalt mit sich, ein solcher Schluß lautet: »Da sprach ein Huhn: es ist ausgesagt!« Der Dichter eines andern Lügenspruches rühmt sich sinnumkehrend, daß er Kurzweile lang machen könne, daß Unglück und Armut ihn hebe und mehre, da niemand ungemut sei, als einer, der viel Pfennige habe, auch daß seine Mühle wohl gehe, und beschließt seine Rede: »Dies ist so wahr, als ich fernd war ein Star, nun bin ich heur ein Buchfinke; wer will, daß ich trinke, der biete mir den Wein her, so trink' ich nach meines Herzen Gehr!« Das Begehren nach dem Trunk am Schlusse der Erzählung oder eines Abschnitts derselben ist bei Volksdichtern altherkömmlich. Besonders aber kommt hier das Beiwerk des Wachtelmärchens in Rechnung; in diesem wird je zum Abschluß eines zwölfzeiligen Spruchteils ausgerufen: eine Wachtel in den Sack! zwo Wachteln usw. bis zu zwölfen, und in einer Fortsetzung bis zu achtzehn. Wie das zu nehmen sei, erklärt ein Reimspruch des Teichners, auch aus dem 14. Jahrhundert, von den Falknern und ihren Lügen beim Trunke, worunter die: daß einer an einem Tag Wachteln einen vollen Sack (Weidtasche) fieng und ihrer noch mehr gefangen hätte, wenn ihn nicht die Nacht vertrieben. Jeder Absatz des Spruchmärchens ist also gleich einer Jägerlüge und mit dem Vortrag der Kehrzeile wird jedesmal die Geberde des Einsackens der gefangenen Wachtel verbunden gewesen sein, auch mochte sich unterweilen eine Nachahmung des Wachtelschlags vernehmen lassen. Das Wachtelmärchen endigt mit einer Hochzeit und mit einem Aufruf an die Spielleute, sich dabei zu tummeln: »Nun zu, ihr Spielleute! schlagt in die Hundshäute (Handtrommeln), schmiert die Roßschwänze (Fidelbogen), laßt rüstig eure Nägel die Därme (Saiten) rühren, richtet zu den Schnüren die Tatermanne (Puppen), seid munter, blatert (blast), geuert (schnappt) in das holz (die Pfeife), hosselt (schaukelt), gempelt (springet), schregelt (schränkt euch), geiget, harfnet, schwegelt (blast Querpfeife), so wird dem Mann eins auf den Tag; zwölf Wachteln in den Sack!« Dieser Schluß war doch eigentlich nur da am Orte, wo eine spielmännische Truppe wirklich mit Lärmen und Springen Chor machen konnte.

Es gibt eine andre Art volksmäßiger Reimsprüche ans dem 14. Jahrhundert, die sich als Quodlibet fortbewegen, wie die Lügenmären, ihren Inhalt aber bilden verschiedene Benennungen des gleichen Gegenstandes, doppelte Bedeutung desselben Wortes, binsenglatte Wahrheiten, die sich von selbst verstehen und ausgesprochen zur Posse werden; sie sind in dieser Überwahrheit das nüchterne Widerspiel der phantastischen Lügendichtung, aber eben damit Zugehör und Folie der letztern. Daß auch derlei Reimereien in den Betrieb der fahrenden Leute fielen, zeigt ein solches Anhängsel zum handschriftlichen Traugmundsliede; darin wird gesagt: »Nackte Leute friert an die Häute, das es nicht täte, wenn sie gute Kleider anhätten«, und dann noch zum bessern Verständnis: »Daß Gott alle die berate, die uns je Gutes taten, die Lebenden an den Ehren, die Toten an der Seele!«; davor und dazwischen aber wird gerufen: »Lauf um, Lotterholz, lauf um geschwinde!« Das Lotterholz gehört zum Handwerkszeug der Gumpelleute; unter den Spießgesellen und Aussendlingen des breisgauischen Bundschuhs von 1513 sind auch Sprecher und Spielleute mit Hackbrett und Pfeife verzeichnet, namentlich: Heinrich von Strasburg, ein Sprecher, der einen Gaukelsack trägt, und »der Bundschuher« mit dem Lotterholz.

In der letztein Hälfte des 16. Jahrhunderts erschien zu Straßburg ein kleiner Lügenroman, der in die Reihe der noch jetzt marktfähigen Volksbücher eingetreten ist, der Finkenritter. Dieser Held durchzieht dritthalbhundert Jahre vor seiner Geburt viele Länder und erfährt mancherlei, was schon aus den bisher erörterten Sprüchen und Liedern bekannt ist: die Hasenjagd der drei verkehrten Gesellen, den Wald ohne Baum und den Bach ohne Wasser, die drei mangelhaften Schiffe, Häuser mit Fleisch gedeckt und Zäune von Bratwürsten, nebst andrem, was um jene Zeit von Lügenmärchen gangbar sein mochte, alles gesteigert und erweitert, in acht Tagreisen eingeteilt und mit der Geburt des Helden schließend. Die eigentümlichste Fabel dieses Büchleins ist auch ein Spielmannsstück, das großartigste von allen: ein Lautenschläger spielt jeden Sonntag neun Dörfern auf einmal zum Tanze, mit großer Arbeit richtet er die Laute zu, der Finkenritter, der ihm helfen will, fällt durch den Lautenstern eine Viertelstunde weit hinunter und steigt auf einer Leiter von sechsundvierzig Sprossen wieder heraus; nachdem die Laute aufgezogen ist, läuft der Ton über das Feld zu den neun Dörfern und die lustige Tanzweise klingt dann in jedem besonders, der Lautenschläger selbst geht allgemach in alle neun und tanzt mit oder sieht zu, daß es recht dabei hergehe, am Abend vergeht der Ton von selbst und zieht wieder allmählich heim in seine Laute.

Lügenlied aus Nordschottland: früh am Morgen kräht die Katze den Tag an, der Hahn sattelt das Pferd, doch scheint es der Herr zu sein, der ausreitet; der Sporn ist gesattelt, die Mähne gezäumt, er reitet auf dem Kreuzbein, den Schweif in der Hand; als er bei der Mühle anreitet, da singt man die Messe; als er au die Kirche kommt, da mahlt man das Korn; der Müller steht draußen die Mütz' an den Füßen, die Strümpf'(Hosen) auf dem Kopfe: heraus kommt das Mädchen, des alten Müllers Mutter, die siebt den Käse und wannt die Butter; vierundzwanzig Handlose werfen den Ball hinweg, herbei kommt Fußlos und fängt ihn allen hinweg; auf springt Mundlos und lacht mit Lust und auf springt Zunglos und spricht seinen Spruch; vierundzwanzig Hochländer jagen eine Schnecke, der Hinterste spricht: »Nehmen wir sie am Zagel!« Sie streckt ihre Hörner wie eine ungehörnte Kuh, der Vorderste spricht: »Nun spießet sie uns alle!« Über Benachin fliegt ein Roche und vierundzwanzig Junge fliegen mit ihm, sie fliegen in eines Entrichs Nest und drehen sich um mit den Köpfen nach West. Bei gleicher Anlage hat ein dänisches Lied aus dem 16. Jahrhundert wieder andre Bilder: der Wolf steht im Stall und hat den Zaum im Munde, das Pferd läuft weit im Meeresgrunde, der Hecht fliegt hoch in den Wolken usw. Ich kam zu einem wohlwürdigen Haus, da brannten die Mönche, die Kerzen sangen; da saß ein altes Weib in der Ecke, die kämmte den Brei und rührte das Werg, der Lahme tanzte, der Stumme sang, der Blinde saß und wob Goldgewirk u. a. m. Die Kehrzeile lautet: die Pferde krähen, die Hühner reiten. Das schottische Lied nimmt einen Schwabenstreich für die Männer des Hochlands in Anspruch, beide Stücke bedienen sich aber auch eines wohlfeilen Mittels, die Welt umzukehren. Schon Suchenwirt sagt: eine Steinwand schlüpft' in einen Berg (B. 52); reichlicher wird solches Hinterfür in deutschen Schwänken des 16. Jahrhunderts ausgebeutet; ein Meistergesang aus dieser Zeit bezeichnet sich durch den Eingang: »Ein Dorf in einem Bauern saß, der gerne Löffel mit Milch aß« usw., ebenso ein prosaischer Schwank, der mit den Liedern umlief, wie der Meier die Magd, den Knecht und die Frau weckt: »Gret, steh auf, und stoß das Fenster zum Kopf hinaus, und tag' ob es luge!« usw. »Kunz, steh auf, henk' den Hals an die Kappe und nimm den Weg über die Achsel und den Spieß unter die Füße! oder laß klein Hänsle gehn, denn du hörst an einem Auge nichts und siehst nichts am andern Ohr« usw. »Frau, steh auch auf, und geh auf den Kirchhof und gib jeglichem Teller einen Bettler!« So können, indem man sich fortwährend verspricht, Redeteile verwechselt und verstellt, manchmal drollige Dinge herausgewürfelt werden.

Die schadhaften Leute, die uns öfters, bald einzeln, mehr noch in Gesellschaft begegneten, der Stumme, Blinde, Lahme, Nackte, der Landlose, Fußlose, oder auch in Form von Eigennamen, Fußlos, Mundlos, Zunglos, bilden in der Art, wie sie beschäftigt und verbunden sind, einen so scharfen und einfachen Ausdruck des Widersinns und haben sich dem Lügenwesen so fest eingepflanzt, daß man sie zu den altertümlichsten Gestaltungen desselben zu rechnen hat. Zugleich ist es ein Beleg für den angegebenen Zusammenhang der Rätsel mit den unmöglichen Dingen, wenn mittels des früher berührten lateinischen Rätsels aus dem Anfang des 10. Jahrhunderts der Mangelhafteste von allen aus dem Banne des Widerspruchs erlöst wird: der Mann, der handlos und fußlos den blattlosen Baum besteigt, den federlosen Vogel fängt, ihn feuerlos bratet und mundlos verspeist, ist wahr und wirklich, als Sonnenschein.

Zu einer weiteren Gemeinschaft von Lügenmärchen gehört ein serbisches: ein Knabe trifft in der Mühle mit dem Bartlosen (Merkmal eines schlauen Betrügers) zusammen, nachdem er von diesem mehrfach geneckt und getäuscht worden ist, backen sie miteinander ein Brot und Bartlos schlägt vor, um solches in die Wette zu lügen; er selbst fängt an und lügt allerlei hin und her, der Knabe meint, das wolle nicht viel heißen, und nun erzählt er: in seinen jungen Jahren, als er ein alter Mann war, zählte er jeden Morgen die Bienen, aber die vielen Bienenstöcke konnt' er nicht zählen; als er einmal zählt, fehlt ihm der beste Bienrich; gleich sattelt er einen Hahn und reitet der Spur des Bienrichs nach, über das Meer reitet er auf einer Brücke und drüben sieht er, wie ein Mann den Bienrich an den Pflug gespannt hat und ein Stück Landes zum Hirsenfeld umackert; er verlangt seinen Bienrich, der Mann gibt ihm denselben zurück und noch einen Sack mit eben eingeernteter Hirse zum Ackerlohn; den hängt der Knabe über seinen Rücken, nimmt den Sattel vom Hahn und schnallt ihn auf den Bienrich, denn der Hahn ist müde vom langen Ritt und muß an der Hand nebenher geführt werden; auf der Brücke über das Meer springt ein Strick am Sacke und die Hirse rollt ins Wasser; am Ufer überfällt ihn die Nacht, er bindet den Hahn und den Bienrich an und legt sich schlafen; beim Erwachen sieht er, daß Wölfe den Bienrich gefressen, der Honig aus seinem Leibe geflossen und in den Tälern bis zu den Knöcheln, auf den Gebirgen bis über die Knie geht; er nimmt seine Hacke und läuft in den Wald, hier sieht er zwei Rehe auf einem Bein herumspringen, zerschmettert dieses mit der Hacke, zieht ihnen die Haut ab und macht davon zwei Schläuche, die er mit dem Honige füllt und dem Hahn auflegt; so reitet er nach Hause, wo eben sein Vater geboren wird, und er muß nun zu Gott gehn, um Weihwasser zu holen: er besinnt sich auf die Hirse, die ins Wasser gefallen, im Nassen ist sie aufgegangen und bis zum Himmel emporgewachsen; an ihr steigt er hinaus und wie er zu Gott kommt, hat dieser gerade von der Hirse gemäht und ein Brot daraus gebacken, das er in gekochte Milch bröselt und ißt; der Knabe erhält das Weihwasser und will zurück, aber da hat ein Sturmwind die Hirse weggeführt und er kann nicht herunter; da er lange Haare hat, die, wenn er liegt, bis auf die Erde reichen, wenn er aufsteht, bis an die Ohren, so reißt er sie aus, knüpft eines an das andre fest und fängt an herabzusteigen; als es finster wird, macht er einen Knoten an den Haaren und hält sich so über Nacht: es friert ihn, zum Glück hat er eine Nähnadel im Kleide, die spaltet er, macht von den Stücken ein Feuer an und legt sich dabei schlafen; aber ein Funke kommt ihm an die Haare und brennt durch, das Haar reißt, er fällt auf die Erde und versinkt in ihr bis an die Brust; er wendet sich vergeblich hin und her, endlich muß er nach Hause gehn und ein Grabscheit holen, mit dem er sich aus der Erde losgräbt: auf dem Heimweg kommt er über seines Vaters Felde auf dem die Schnitter das Getreide schneiden, aber der Hitze wegen nicht mehr arbeiten wollen, er läuft und holt die Stute, die zwei Tage lang und bis Mittag breit ist, auf deren Rücken Weiden wachsen, im Schatten der Weiden können die Schnitter fortschneiden; dann schicken sie ihn nach frischem Wasser aus: weil aber der Fluß zugefroren ist, nimmt er seinen Kopf herunter, schlägt damit ein Loch in das Eis und bringt den Leuten Wasser: sie fragen alle, wo sein Kopf geblieben? und er läuft schnell zurück: eben frißt ein Fuchs das Gehirn aus dem Schädel, der Knabe schleicht näher und gibt dem Fuchs einen Fußtritt von hinten; der Fuchs erschrickt und es entfährt ihm ein Zettel, worauf geschrieben steht: »dem Knaben Brot, dem Bartlos Kot!« Damit nimmt der Knabe das Brot und geht nach Hause. Die Lüge, die sich bis in den Himmel spinnt, erscheint aber auch auf ähnliche Weise in zweierlei Fassungen eines Volksmärchens aus Westfalen: den beiden Ochsen eines pflügenden Bauers wachsen die Hörner so hoch an, daß er nicht mehr mit den Tieren zum Tore herein kann, er verkauft sie, und zwar so, daß er dem Käufer ein Maß Rübsamen bringen muß und für jedes Korn einen Kronentaler empfängt; aus einem Korne, das er verloren, wächst ein Baum, der bis an den Himmel reicht, und der Bauer steigt hinauf, um zu sehen, was die Engel da droben machen; er sieht, wie sie Hafer dreschen, im Zuschauen aber merkt er, daß der Baum wackelt, den eben einer umhauen will; in der Not nimmt er von der Haferstreu und dreht einen Strick daraus, auch greift er nach einer Hacke und einem Dreschflegel, die im Himmel herumliegen, und laßt sich am Seile herunter; er kommt in ein tiefes Loch, aus dem er mit der Hacke sich eine Treppe haut, den Dreschflegel bringt er zum Wahrzeichen mit. Nach der andern Einkleidung läßt der König bekannt machen, wer am besten zu lügen wisse, soll seine Tochter haben, die Hofleute versuchen es nach der Reihe, können aber keine tüchtige Lüge aufbringen, nun stellt sich ein armer Bauer ein und erzählt, wie er von einem Kohlkopfe, der in seinem Garten stand und bis zum Himmel aufgeschossen war, in das offene Himmelstor sah und geradezu in die Herrlichkeit hineinspringen wollte, wie aber das Tor zufuhr und er in den Wolken hängen blieb, wie er sich dann an einem Stricke herunterließ und, als dieser auf halbem Wege brach, in einen Kieselstein fiel, jedoch bald nach Hause lief, ein Beil holte und sich wieder loshieb; »das sind ja die gröbsten Lügen, die ich mein Lebtag gehört habe!« sagt der König; »desto besser,« antwortet der Bauer, »so ist Eure Tochter mein.«

Diese gleichartigen und kühnsten Märchen, aus Serbien und aus Westfalen, führen wieder auf jenes älteste, lateinische Lied aus dem 10. Jahrhundert zurück, mit welchem die Reihe der Lügendichtungen eröffnet wurde, zugleich aber schlagen sie au mancher andern Stelle des langen Zuges an. Im modus florum setzt auch ein König die Hand seiner Tochter auf eine preiswürdige Lüge, der Honigstrom ergießt sich dort aus dem Ohr eines Hasen, im serbischen Märchen angemessener aus dem Bienenleibe, der schriftliche Ausspruch wird dort im Schwanzende des Hasen gefunden, hier entfällt er dem Fuchse. Einer der altdeutschen Sprüche weiß von einer elenden Geiß, die hundert Fuder Schmalzes und sechzig Fuder Salzes an sich trägt, auch vom Honig, der zu Berge fließt (Müll. 13–15. 27 f. vergl. Suchenw. 8 f.). Der Finkenritter endlich hat sich in einen Eichbaum geschlichen, darin er Honig zu finden dachte, und kann nicht wieder herauskommen, da läuft er heim, holt seine Axt und haut sich frei (S. 7); auch mäht er sich einmal mit der Sense den Kopf ab, läuft demselben nach und setzt ihn verkehrt wieder auf, damit ihn, wenn er durch den Wald gehe, die Reiser nicht in die Augen schlagen (S. 8).

So wenig eine Lüge ein Gedicht ist, so geringen Anspruch haben die Lügenmären als solche auf poetische Geltung. Vielmehr verkündigt sich in dem Wettlügen und Preislügen, in den Versicherungen, daß alles erlogen, halb erlogen, verkehrt, seltsam, lächerlich oder auch, daß es nicht erlogen sei, eine Absichtlichkeit, welche, dem freien Spiele der Phantasie ungemäß, um so sicherer zu abgeschmackten, erzwungenen und überlustigen Einfällen führt. Für dieses absichtliche Lügendichten haben sich auch einzelne, bestimmtere Zwecke, satirischer und spielmänuischer Art herausgestellt. Wenn gleichwohl sich manches anmutig und phantasiereich gestaltet hat, so weist dies auf einen keineswegs unpoetischen Grundtrieb des Ganzen, die freie Lust, mit der Nichtigkeit der Lüge zu spielen, ihre bunten Blasen aufsteigen und zerspringen zu lassen, Der Knabe überlügt den Bartlos, das Schneekind zerschmilzt an der Sonne, jedes einzelne Bild trägt seinen Widerspruch in sich, ein Widersinn wird durch den andern aufgeschnellt. Hatte die Volkspoesie einmal ihre Richtung auf die Erfassung des Nichts und die Ausbeutung des Unmöglichen genommen, so ertrug sie keinen Stillstand, jeder Strich des lustigen Gebietes mußte durchstreift, auch die Lüge, der Fuchs dieser Lustjagd, mußte gehetzt und zu den äußersten Sprüngen getrieben werden.

Wo die Lügendichtnng den absichtlichen Anlauf vergessen läßt und mit dem Unglaublichsten dennoch die Phantasie des Hörers zu bestricken weiß, da steht sie ganz im poetischen Rechte des Märchens, in dessen Vereich daher auch die Untersuchung sich hinüberzog. Selbst jenes Land der irdischen Fülle, in welches die Lügendichtung einen Blick werfen ließ, hängt schwebend in den Wolken, dasselbe vermittelt sogar, näher als man glauben sollte, den Übergang zu einer schimmernden und blühenden Seite des Volkslieds, die man vorzugsweise das Märchenhafte nennen kann.

Es ging bei den Völkern eine alte Sage von der goldenen Zeit, in welcher die Natur ihre reichsten Segnungen freiwillig spendete, ein ewiger Frühling blühte, Milch und Honig floß, die Menschen mühelos und in süßem Frieden die Früchte des Feldes ernteten. Dem ältesten Deutschland ward eine kurze Wiederkehr der seligen Friedenszeit zuteil, wann die verhüllte Gottheit auf dem kühebespannten Wagen durch suevische Völkerschaften fuhr. Nach altnordischer Sage gab es zwei Könige des goldenen Alters, Frodi in Dänemark und Fiölnir in Schweden. Frodi besaß eine Mühle, worauf er sich Gold, Frieden und Glück mahlen ließ, darum heißt in der Skaldensprache das Gold »Frodis Mehl«. Auch Fiölnir war reich und mit Jahressegen und Frieden beglückt, selbst sein Tod war ein Versinken im Überflusse: sein Gastfreund Frodi gab ihm ein großes Trinkmahl auf einer Metkufe, die viele Ellen hoch und aus Balken gezimmert war, durch eine Öffnung zwischen den Dielen wurde der Met geschöpft, in der Nacht aber fiel Fiölnir, von Schlaf und Trunk betäubt, hinein und ihn erstickte, wie ein Skalde singt, »die windstille (vâgur vindlaus) See«. Bei den Finnen soll es der göttliche Ukko sein, unter dessen Herrschaft Honig von den Eichen tröpfelte, Milch in den Flüssen strömte, Gold in den Mühlen gemahlen ward. Die Entwicklung der Sagen von Frodi und Fiölnir in ihrem ganzen Zusammenhange gehört in die nordische Mythologie, hier ist nur auszuheben, daß in diesen Sagenkönigen zweierlei Richtungen vorgezeichnet sind, welche die Vorstellung vom goldenen Zeitalter in der Folge genommen hat. Fiölnir, dessen Name schon eine Vielheit ausdrückt, ist ein Vorbild der reichlichen Genüsse des Schlaraffenlandes. Es hat sich übrigens ergeben, daß der Flor dieses Landes ebenfalls in eine alte, unbestimmte Zeit gesetzt wird. Das endliche Schicksal Fiölnirs wiederholt sich in einer Hirtensage der romanischen Bevölkerung der Ormontalpen. Dort waren einst die Kühe ungeheuer groß, sie gaben so viel Milch, daß man sie in Weiher melken mußte, von welchen dann ein Bube in einem Weidling (Bretterkahn) die Nidel (Sahne) abnahm; als eines Tags ein schöner Hirte dieses Geschäft verrichtete, ward der Kahn von einem unvermuteten heftigen Windstoß umgeworfen und der arme Jüngling ertrank; Knaben und Töchter zogen Trauerkleider an und suchten lange vergeblich den Verunglückten, erst nach einigen Tagen fand man den holdseligen Senn in einem turmhohen Ankenkübel (Butterfaß), »mitten in den Wellen der schäumenden Nideln«: man trug den Leichnam in eine geräumige Höhle, deren Wände von den fleißigen Bienen mit Honigscheiben bekleidet waren, welche die Größe der vormaligen Stadttore von Lausanne hatten. So hält selbst die sinnlichere Richtung der Sage noch manchmal die Farbe des Märchens; auch die Kinder haben in der Märchenwelt ihr kleines Schlaraffenland, das Häuschen im Walde, das aus Brot gebaut, mit Kuchen gedeckt ist und Fenster von Zucker hat, worin dann freilich der Wolf oder die böse Hexe lauert. Die andre Richtung, die an den goldmahlenden Frodi geknüpft werden kann, wendet sich zumeist dem lichten Golde zu und auch ihr erschließt sich ein Wunderland. Im Heldengedichte von Gudrun werden die Hegelinge auf der Fahrt nach der Normandie durch Südwind in das finstre Meer verschlagen und liegen zu Givers vor dem Magnetberge fest, da erzählt ihnen tröstend der alte Wate (der mit Fruote von Dänemark ihr Wegweiser ist), er habe von Kindheit her als eine Seemäre sagen gehört, daß in diesem Berg ein weites Königreich liege, darin die Leute herrlich leben; so reich sei ihr Land, wo die Wasser fließen, da sei der Sand silbern und damit mauern sie Burgen, ihre Steine seien das beste Gold: wer hier auf die rechten Winde warten könne, der werde mit all seinem Geschlechte für immer reich sein, die Schiffe können hier mit edlem Gesteine zur Heimfahrt geladen werden. Wo das Gold zu Bausteinen, das Silber zum Mörtel verwendet wird, da fällt die gewöhnliche Schätzung dieser Kostbarkeiten hinweg, sie gelten weniger durch ihren Wert, als durch ihren Lichtglanz. In dieser Verflüchtigung sind dann auch Gold, Silber und Edelsteine geschickt, dem Liede zum Schmucke zu dienen, sie werden aus dem Fabellande herbeigeholt, um den Gegenstand des Liedes, vor allem das Leben der Liebe, mit ihrem Schimmer zu umweben.

Aus deutschen Liederbüchern des 16. Jahrhunderts (Volksl. Nr. 32):

»Dort nieden in jenem Holze
liegt eine Mühle stolz,
sie mahlet uns alle Morgen
das Silber, das rothe Gold.

Dort nieden in jenem Grunde
schwemmt sich ein Hirschlein fein,
was führt es in seinem Munde?
von Gold ein Ringelein.

Hätt' ich des Golds ein Stücke
zu einem Ringelein,
meinem Buhlen wollt' ich's schicken
zu einem Goldfingerlein.

Was schickt sie mir denn wieder?
von Perlen ein Kränzelein:
»sieh da, du feiner Ritter,
dabei gedenk du mein!««

Die Goldmühle, der goldtragende Hirsch, geben dem Ringlein, das der Geliebten zugedacht ist, einen märchenhaften Ursprung; ein früher ausgehobenes Lied verschafft diesem Pfande der Treue dadurch poetischen Schmelz, daß die Nachtigall ausgeschickt wird, das Ringlein beim Goldschmied zu bestellen und der Jungfrau zu überbringen, in niederdeutscher Fassung mit der Kehrzeile: »Von Gold drei Rosen« und am Schlusse: »Von Gold schenkt sie ihm dafür drei Rosen.«

Ein Schloß, von Silber und Gold erbaut, wie im Berge zu Givers, erhebt manchmal an der Spitze der Lieder seine leuchtenden Zinnen (Volksl, Nr. 125):

»Es liegt ein Schloß in Österreich,
das ist ganz wohl erbauet
von Silber und von rothem Gold,
mit Marmelstein (a. Edelstein) vermauret.«

Anderwärts wieder dem Zuckerlande zugewandt:

»Es liegt ein Schloß in Österreich,
das ist gar wohl erbauet
von Zimmet und von Nägelein,
wo findt man solche Mauren?«

Ebenso mahlt in einem dänisch-schwedischen Liede die Mühle Zimmt oder Mandel, während in einem andern zwar auch nicht Gold gemahlen wird, aber die Mühlsteine von Gold, die Pfosten von Elfenbein sind. Ein französisches Volkslied beginnt: »Mein Vater ließ ein Schloß erbaun, es ist nicht groß, doch ist es schmuck, die Zinnen sind von Gold und Silber.« Prächtiger die spanische Romanze: »In Kastilien steht ein Schloß, das man Rochafrida nennt, sein Fuß ist von Golde, die Zinnen von seinem Silber, zwischen Zinn' und Zinne je ein Saphirstein, der bei Nacht so hell leuchtet, wie die Sonne am Mittag, darin wohnt ein Fräulein mit Namen Rosenblüte.« Mitten in all dem Glanze härmt sich das Fräulein um einen Ritter, den sie nie gesehen, ihm will sie sieben Schlösser geben, die besten in Kastilien. In das Meer hinein stellt ein italienisches Schifferliedchen sein Wunderhaus: »Ich will ein Haus mir bauen mitten im Meere, gezimmert aus Pfauenfedern, die Treppen aus Gold und Silber, aus Edelsteinen die Fenster; wann mein Liebchen sich schauen läßt, dann spricht jeder: mir geht die Sonne auf!« Nicht minder kühn wird in die Luft gebaut; zwar sagen altdeutsche Sprüche, daß der betrogen sei, der auf den Regenbogen zimmre oder auf eine Wolke baue, wenn der Regenbogen zergehe, wiss' er nicht wo sein Haus stehe, der Wind zerführe die Wolke, sobald er sie berühre, wohl aber konnte Tristan, sich närrisch stellend, auf solche Weise bauen; er tritt in den altfranzösischen Gedichten, als Narr aufgestutzt, vor den König Mark und will von diesem die Königin Ysolt eintauschen, auf die Frage, wohin er sie führen wolle, antwortet er: »Droben in der Luft hab' ich einen Saal, worin ich wohne, er ist schön und groß aus Glas gemacht, die Sonne geht strahlend hindurch, er hängt in den Wolken, wiegt und wankt doch nicht vom Winde, am Saale ist eine Kammer aus Kristall und Bernstein, wann die Sonne sich morgens erhebt, mag sie große Helle darin verbreiten.« Nach einer andern Darstellung einfacher: »Zwischen den Wolken und dem Himmel, aus Blumen und Rosen ohne Reif, werd' ich ein Haus bauen, darin wir uns vergnügen werden.« Wenn auch nicht über den Wolken stehend, ist ein Blumenhaus immerhin ein lustiger Bau, nur eben den Träumen und Hoffnungen der Liebenden gerecht. Ein solches findet sich in dem altfranzösischen Singmärchen (cante-fable) von Aucassin und Nicolette. Dieses zarte Wesen, von den Hirtenknaben für eine Fee gehalten, flüchtet sich in den Wald, bricht Lilien, Raute und Laubwerk und macht daraus am Kreuzweg ein schmuckes Hüttchen, sie will Aucassins Liebe daran prüfen, ob er, dahin kommend, um ihretwillen ein Weilchen hier ausruhe; er kommt wirklich, indem er nach ihr sucht, zu der Blumenhütte, logt sich hinein und sieht durch eine Öffnung den gestirnten Himmel; als er nun einen Stern erblickt, heller denn die andern, begrüßt er denselben, als bei dem Nicolette sei, und wünscht sich hinauf, um ihr einen Kuß zu geben, müßt' er auch wieder herabfallen; Nicolette lauscht im nahen Busche. Am frischesten ins Leben greift aber ein Volkslied aus dem mährischen und schlesischen Gebirg:

»Ich gieng in Nachbars Garten,
ich legt' mich nieder und schlief,
da träumte mir ein Träumlein
von meinem schönen Lieb.

Und wie ich drauf erwache,
so stund niemand bei mir,
bis auf zwei rothe Röslein,
die blühten über mir.

Ich pflückte mir die Röslein,
ich band mir einen Kranz,
ich steckt' ihn auf mein Federhut
und gieng zum Bräut'gamstanz.

Und wie der Tanz aufs beste gieng,
fiel mir ein Röslein aus:
soll heim dich führen schönes Lieb,
und hab' kein eigen Haus!

»Wir wollen uns eins bauen
von grüner Petersill.«
Mit was woll'n wir es decken?
»Mit gelber Lilg' und Dill.«

Und wie das Häuslein fertig war,
so hatten wir keine Thür,
schön Lieb das hat sich schier bedacht
und hieng ihr Schürzlein für.«

So war schon der heimatlose Meister Traugmund mit dem Himmel bedeckt und mit Rosen umsteckt. Auch ein Blumenschiffchen ist Verliebten bereit; das lange hohle Blatt der Lilie gibt einen hübschen Kahn:

»Es fuhr gut Schiffmann über Rhein
auf einem Gilgenblättlein:
»das soll mein Schifflein sein.«

Andre Lesart:

»Ich fuhr mich über Rhein
auf einem Lilgenblatte
zur Herzallerliebsten mein.«

Anfang eines lettischen Liedes:

»Ich rudre meiner Geliebten entgegen,
eine Blume ist mein Ruder.«

Niederländisch lautet obige Strophe: »Ich fuhr all über den Rhein mit einem Salbeiblättchen, das war mein Schiffelein.« Oder auch: »Ich fuhr all über See – wollt ihr mit? – mit einem hölzernen Löffelchen, das Stilchen brach entzwei.« Agricolas deutsche Sprichwörter: »Wer Glück hat und guten Wind, fährt in einem Schüsselkorb über Rhein.« Schon ein griechisches Sprichwort: »Wer mit dem Gotte schifft, mag auf einem Weidenkorbe schiffen.« Altnordisch sagte man von einer schwierigen Sache: da läßt sich nicht mit Laubsegel segeln.

Blumenblatt, Lindenlaub, die auch zur Bezeichnung des Nichts gebraucht werden, sind leicht vom Winde hingeweht, darum steht der Fahrende, Scheidende auf einem Lilienblatt. So am Schluß eines alten Dreikönigslieds:

»Wir stehen auf ein Lilgenreis,
Gott geb' euch allen das Himmelreich!
wir stehen auf ein Lilgenblatt,
Gott geb' euch allen ein' gute Nacht!«

Auch der wandernde Sänger im Straßburger Kranzliede sagt zum Abschied:

»So steh' ich auf einem Gilgenblatt,
Gott geb' euch allen ein' gute Nacht!«

Umgekehrt trifft der Ankommende, der sich fest aufstellen will, auf einen Stein, am Anfang eines Kranzliedes aus dem 16. Jahrhundert spricht der Singer: »So tret' ich hin auf einen Stein« und hebt nun seinen Gruß an Das Lilienblatt mag an die Stelle des Lindenblattes gekommen sein; in der altenglischen Ballade von Adam Bell heißt es, nachdem die zwei Brüder den dritten vom Galgen gerettet: »So sind die guten Gesellen hinweg zum Wald, und leicht wie Laub an der Linde.«

Nichts ist so wundersam, was nicht dem Wunsche gestattet wäre, den Liedern von unmöglichen, erlogenen, märchenhaften Dingen gesellen sich die Wunschlieder. Was von solchen in deutscher Volksdichtung übrig ist, spielt gleich jenen in luftiger Traumwelt. Wenn aber schon im bisherigen unter spiegelnder Oberfläche manchmal ein tieferer Grund durchschien, so sind nun besonders die noch volksmäßig vorhandenen Wunschformeln der leichte Schaum eines vordem mächtigen Gemütslebens, auf das nur eine weitausholende Nachweisung sie zurückbeziehen kann.

Dem Wunsche, der aus bewegter Seele, zur rechten Zeit und in feierlichen Worten, ausgesprochen war, traute das germanische Altertum eine bedeutende Kraft zu, mochte derselbe nach oben als Gebet, nach außen als Beschwörung, Gruß, Segen oder Fluch gerichtet sein. Man muß die Denkmäler selbst sprechen lassen, um von diesem Wunschwesen einen Begriff zu geben. Mit der Geschichte der Volkspoesie hängt dasselbe soweit zusammen, als in ihm die Macht des Gemütes und der Einbildungskraft, von der es seinen Ursprung genommen, nachwirkt und nicht gänzlich dem verworrenen Formelsprechen eines sinnlosen Aberglaubens gewichen ist. Wir betrachten die Wünsche nach der schon angedeuteten Einteilung, je nachdem sie aus Wohlwollen oder Haß entsprungen, auf Heil oder Schaden gerichtet, Segen oder Verwünschung sind.

Das Eddalied »Odins Runenrede« zählt achtzehn Lieder auf, welche dem, der ihrer kundig ist, für die verschiedensten Verhältnisse des Lebens Schutz und Hilfe gewähren; durch sie kann er Kummer stillen, Krankheit heilen, Feindeswaffen stumpf machen, Fesseln sprengen, Geschoß (flein) im Fluge hemmen, Flamme löschen, Haß unter Männern söhnen, Wind und Woge sänftigen, Krieger frisch und heil zur und aus der Schlacht führen, Frauenneigung gewinnen u. a. m. Die Ausdrücke für den Vortrag dieser Lieder (galdr, gala) zeigen, daß derselbe laut und im Singtone stattfand. Die zauberhaften Wirkungen sind im ganzen dieselben, wie sie durch die Segen des deutschen Mittelalters bezweckt wurden, und was in diesen noch Heidnisches erhalten ist, kann auch eine Vorstellung von der Beschaffenheit solcher altnordischen Gesänge geben. Der Inhalt der aufgezählten Lieder wird nicht ausgesprochen, doch klingt vom fünfzehnten, einem mythischen, welches Thiodhrärir vor Dellings Türen sang ein Überrest an: »Kraft sang er Asen, aber Alfen Förderung, Ahnung dem Rufergotte (Odin).« Hierin mögen Worte des verlorenen Mythenliedes nachtönen. Die Sprüche von übernatürlicher Wirksamkeit knüpfen übrigens in diesem Eddalied einen engen Zusammenhang mit Formeln religiösen und altrechtlichen Gebrauchs. Das dreizehnte Lied (Nr. 21) soll können, wer einen jungen Sohn mit Wasser besprengt, dann wird dieser nicht fallen, wenn ei auch unter Kriegsvolk kommt, nicht sinkt er hin vor Schwertern; offenbar fromme Wünsche, die bei der heidnischen Taufe gesprochen wurden. Mittels des achten (Nr. 16), das allen zu lernen nützlich ist, wird, wo Haß unter Männern erwächst, dieser schnell ausgesöhnt, und es mag hierunter die altertümlichste Gestalt der stabgereimten Sühn- und Sicherheitsformeln (trygdamal) gemeint sein, welche Gegenstand einer besondern Kenntnis und in denen namentlich feierliche Verwünschung des Friedebrechers ausgesprochen war. Ein andres Stück der Liederedda, Groas Zaubergesang, führt den Sohn zum Grabe der Mutter, die er weckt, damit sie ihm gute Zauber singe, durch die er auf seinen Wegen geborgen sei.

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(Hier ist in Uhlands Manuskript eine Lücke, indem das äußere Doppelblatt des folgenden Schreibbogens fehlt, das leider trotz alles Suchens bis jetzt nicht konnte aufgefunden werden. Pfeiffer.)

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angerufen oder zur Beschwörung beigezogen werden. »Grüß' dich Gott, vielheiliger Tag!« beginnt ein Fiebersegen, der Tag wird angerufen, daß er dem Knaben all sein Weh abnehme. In den Schluß eines Viehsegens sind diese Formeln geraten: »Ich beschwör' euch heut, alle böse Ding', bei dem heil'gen Tag, und bei dem heiligen himmlischen Heer, und bei dem heiligen Sonnenschein und bei der heiligen Erden!« Hier ist, wie in Brynhilds Spruche, den Lichtwesen und Himmelsmächten die heilige Erde beigegeben; Heilkraft (læknis-hendur) erwartet auch Brynhild von ihrem Anruf. Der Wurm (Beingeschwür) wird so beschworen: »Wurm, ich beschwör' dich bei dem heiligen Tagschein, ich beschwör' dich bei dem heil'gen Sonnenschein!« Oder: »ich töt' dich, Wurm, bei dem Aufgang der heiligen Sonne.« Anderwärts wird das kranke Geschöpf angeredet: »Auch segne ich dich mit der Sonnen und dem Mond, die am Himmel umhergehn.« Mythischer, als die bisher angeführten, gestaltet sich folgender Segen zur Heilung eines abzehrenden Kindes: »Grüß' dich Gott, du heiliger Sonntag, ich seh dich dort herkommen reiten, jetzund steh' ich da mit meinem Kind und tu dich bitten, du wollest ihm nehmen seinen Geist und wollest ihm wieder geben Blut und Fleisch!« Dabei die Vorschrift: »Das tu drei Sonntag einandernach vor der Sonnen Aufgang, und steh mit ihm unter eine Tür oder Laden gegen der Sonnen Aufgang, leg' dem Kinde den Kopf auf den linken Arm und setz' ihm den rechten Daumenfinger ins Herzgrüblein, weil du es segnest, und segne es dreimal aufeinander!« Der heilige Sonntag, eigentlich wohl der sonnige Tag, der dahergeritten kommt, ist ziemlich dieselbe Erscheinung, wie der nordische Dagr; Skinfaxi (Glanzmähne) heißt das Roß, das den klaren Tag über die Volksöhne zieht, stets leuchtet ihm die Mähne. Den Bezug des aufsteigenden Tages zur Krankenheilung, zur Bekleidung des Geistes mit einem neuen, kräftigeren Leibe, erläutert noch besonders ein andrer Segen gegen die Schwindsucht, der auch an drei Morgen, und zwar beim neuen Monde gebetet werden soll: »Geh auf, Blut und Fleisch, Mark und Bein, blüh' und gedeihe, wachs und geh auf, wie die heilige Sonn' und der Mond aufgeht an dem Himmel!« oder auch: »So wahr die Sonne heut an dem heiligen Freitag aufgeht.« Es stellt sich klar heraus, daß die Heilung und Wiedergeburt, die von der aufgehenden Sonne, vom zunehmenden Monde kommen soll, eine sympathetische ist; keime Wissenschaft des Heilens war ausgebildet, das Übel war eine dunkle, feindliche Gewalt, man sprach zum Leidenden: »Ich weiß nit, was dir ist und gebrist,« der Hilfbedürftige fand sich an unerforschte Naturkrafte verwiesen, in denen er ein göttliches Walten ahnte und die ihm ein Verhältnis zu seinem Anliegen darboten, Sonne und Mond in Aufgang und Zunahme waren ihm nicht bloße Gleichnisbilder der Erneuung und des Gedeihens, ihr Einfluß auf irdisches Wachstum war erkannt, die erfrischende Wirkung des Morgenlichts und der Morgenluft, die Beschwichtigung, die damit auch dem Kranken zugeht, war empfunden, durch den Anruf aus dem Innersten suchte man mit den wohltätigen Gestirnen in Berührung zu kommen und den Gegenstand, den man ihnen empfahl oder mit ihnen segnete, ihrer eignen Verjüngung und ihrem sichren Fortschritt anzuknüpfen. So hielt denn die Mutter in der stillen, ahnungsvollen Frühe ihr krankes Kind dem aufleuchtenden Tag entgegen und mit dem ersten Sonnenstrahl, der das bleiche Antlitz rötete, kam auch in ihr bekümmertes Herz ein Gefühl des Trostes und einer himmlischen Segnung.

Die hilfreiche Macht der Gestirne wurde noch auf andres erstreckt. Unter den Volksaberglanben im Frankfurter Kalender für 1537 ist verzeichnet: »Welcher oft Sonn' und Mond segnet, des Gut soll zunehmen und wachsen.« Ferner: »Welche, zu Bett gehend, die Fixstern' grüßet, die wird kein Hünklein (Hühnlein) verlieren, sondern sie werden sich vermehren.« Selbst für die Küchlein des armen Weibes gab es eine Sympathie in den Sternen, dem deutschen und andern Völkern ist das Siebengestirn eine Kluckhenne mit ihren Küchlein, deren nie eines verloren ging, dänisch: die Abendhenne.

Es kann auffallen, daß die Sonne nicht auch um das Gedeihen des Erdgewächses angegangen wird. Die angelsächsischen Segen zur Fruchtbarmachung der Äcker wenden sich an den Himmel ( upheofon) überhaupt und an die Mutter Erde unmittelbar. In Deutschland gab es merkwürdige Wettersegen wider Hagel, Sturm und Regenguß, in welchen mythische Wesen (Mermeut, Fasolt) namentlich beschworen wurden. Von einem alten Segensspruche scheint aber auch noch ein niedersächsisches Kinderlied herzustammen, worin der Regen hinweggewünscht und die Sonne mit ihrer goldnen Feder herbeigerufen wird. In dem mythischen Teil eines altnordischen Stammbaums findet sich eine Tochter Dags mit Sol (des Tages und der Sonne), zugenannt Goldfeder. Auch das klingt nach altüberlieferter Sinnes- und Ausdrucksweise, wenn Hug von Trimberg die Vergeudung am Hofe des Königs Adolf, wo der Wein vor seinen Füßen wie ein Quell über das Feld floß, der Sonne klagt: »Eia, gedacht' ich, liebe Sonne! wie oft die Reben dein warmer Schein gefreuet hat, bis dir der Wein gewachsen ist, der vor mir fleußt, des leider niemand hie geneußt, den manig Armes vor der Thür gar gern auffienge, wagt' es sich für!«

Das Grüßen oder Segnen der Gestirne geschieht in den obigen Formeln mittels der gewöhnlichen Grußworte: »grüß' dich Gott!« wodurch dem angerufenen Wesen selbst die Gunst eines Höheren angewünscht wird, zugleich aber zeugen Anrede und Bezeichnung: vielheiliger Tag, heiliger Sonnenschein, heilige Sonne, nebst der hilfesuchenden Bitte, von einer altheidnischen Verehrung der Naturmächte; Schriftsteller des 15. Jahrhunderts stellen den Anruf an Sonne und Mond ausdrücklich unter den Gesichtspunkt einer abgöttischen Anbetung. Eines Eidschwurs bei südlich gehender Sonne gedenkt ein altnordisches Heldenlied, das heilige Licht, der heilige Tag, auch die heilige Nacht werden in mittelhochdeutschen Gedichten zur Beteuerung angezogen, und Gerichtseide wurden im Angesicht der Sonne ( gein der sunnen) geschworen. Wenn Brynhild den Tag und die Nacht samt ihren Geschlechtern bittet, mit unzornigen Augen herzuschauen, so setzt dies voraus, daß man auch die Ungunst dieser Wesen zu scheuen hatte. In Freidanks Sprüchen wird bildlich gesagt: »Wem die Sterne werden gram, dem wird der Mond leicht alsam (ebenso), ich fürchte nicht des Mondes Schein, will mir die Sonne gnädig sein.« Aber man hieß auch, mittelhochdeutsch, einen, dem man Übles wünschte, in der Sonne Haß fahren. Umgekehrt im Morgen- und Reisesegen aus dem 12. Jahrhundert: »Daß mir alles das hold sei, das in dem Himmel sei, die Sonne und der Mond und der schöne Tagestern!« oder: »der Mond leben!« oder: »Ich schlief heute süße zu meines Herren Füßen, das heilige Himmelskind, das sei heute mein Friedeschild usw. ich will mich heute gürten mit des heiligen Gottes Worten, daß mir alles das hold sei, das in dem Himmel sei, die Sonne und der Mond und der schöne Tagstern!« auch in einem Abendsegen nach schwedischer Formel: »Ich lieg' in unsers Herren Trost, ein Kreuz mach' ich vor meine Brust, segne mich Sonn' und segne mich Mond und alle Frucht, so die Erde trägt! die Erd' ist meine Brünne, der Himmel ist mein Schild und Jungfrau Maria ist mein Schwert.« Das Geleit und die Wache, worein sich hier die Gestirne noch mit den Engeln und andern christlichen Schutzmächten teilen, ist dann auch gänzlich auf diese übergegangen. So in einem Abendgebete für Kinder im 16. Jahrhundert aufgezeichnet: »Ich will heint (diese Nacht) schlafen gehn, zwölf Engel sollen bei mir stehn, zwen zun Haupten, zwen zun Seiten, zwen zun Füßen, zwen die mich decken, zwen die mich wecken, zwen die mich weisen zu dem himmlischen Paradeise.« Die gleiche Erscheinung überrascht uns in einer ganz andern Weltgegend, im neugriechischen Volksgesange; hier wird die heilige Marina angerufen, dem Kinde zu betten, die heilige Sophia, es in den Schlummer zu singen, aber auch die alte Naturpoesie bricht hervor, wenn in einem andern Liede die Mutter den Schlaf beruft, ihr Söhnlein hinzunehmen, diesem aber drei Wächter aufstellt, die Sonne auf den. Bergen, den Adler auf den Feldern, den tauigen Herrn Boreas auf dem Meere; die Sonne geht unter, der Adler schläft ein, der tauige Boreas geht zu seiner Mutter, die ihn befragt, ob er mit den Sternen, dem Monde, dem befreundeten Morgensterne sich gezankt? mit keinem von allen, einen Goldsohn hat er bewacht in der silbernen Wiege. Ungeteilt hinwieder wird in einem litauischen Liede die Wache von der Sonne versehen:

»Liebe Sonne, Gottes Tochter,
wo so lange säumtest du?
wo so lange weiltest du,
als du von uns geschieden?
»Hinter dem See, hinter dem Hügel
bewacht' ich verwaiste Kinder,
wärmete arme Hirten.«

Freilich fällt die Obhut der Gestirne mit jener der Engel zusammen, denn nach dem Renner hat jeglicher Stern einen Engel, der ihn weiset, und so können auch wir schwache Menschen nicht ohne Leitung der Engel bestehn, wer an das Gestirn sieht, kann bemerken, daß allzeit Augen mannigfachen Farbenglanzes über ihm schweben, wie lebendige Wesen fliegend und singend. Die Engelwache der deutschen Segen hütet auch Haus und Hof; am bestimmten Tage, vor Aufgang der Sonne, unbeschrien, soll man sprechen: »Hier ein! in diese Hofstatt geh' ich hinein, solche Land' beschließt Gott mit seiner eignen Hand, er beschließt sie also fest wohl mit dem süßen Jesu Christ; dieser Giebel oben, der ist mit Engeln überzogen, und dieser Giebel unten, der ist mit Engeln verbunden; Feuer vom Dach! Dieb vom Loch! Räuber von der Tür! unsre liebe Frau tritt heut selbst darfür; das Ave Maria sei (vor der oder die) Tür, das Paternoster der Riegel darfür!« Ein andrer Haussegen: »Mein Haus das sei mir umschweifet mit engelischcn Reifen, mein Haus sei mir bedacht mit einer engelischen Wacht; das helf mir Gottes Minne, der sei allzeit Hausvater und Wirth darinne!«

In Brynhilds Willkommsegen wird um Sieg gefleht. Eine besondere Formel zu diesem Zwecke macht sich noch in der dänischen Ballade vom jungen Vonved vernehmlich; die Mutter spricht zum wegreitenden Sohne: »So will ich heute dich zaubersegnen (galdre), nimmer soll irgend ein Mann dir schaden; Sieg in dein hohes Pferd, Sieg in dich selbst allermeist! Sieg in Hand und Sieg in Fuß, Sieg in alle deine Gliedmaßen! segne dich Gott, der teure, heilige Herr! er soll dich bewachen und steuern!« Dabei reicht sie ihm ein hartes Schwert. Auch in einer angelsächsischen und mehreren deutschen Formeln verbindet sich der heidnische Zauber mit der christlichen Segnung, der Siegeswunsch mit dem Schwertsegen und der Festigung des Leibes, welche selbst auch als eine geistliche Waffnung dargestellt wird. Angelsächsisch wird die gleiche Benennung gebraucht wie für das nordische Zauberlied: »Siegzauber sing' ich, Sieggürtel bring' ich mir, Wortsieg und Werksieg.« Zugleich aber werden Engel und Evangelisten zum Beistand genommen, Matthäus soll Helm sein, Markus Brünne, Lukas Schwert, Johannes Schild, der Seraphim Wege will der sich Segnende fahren. Deutsche Formeln aus dem 12. Jahrhundert bedienen sich des Ausdrucks segnen, haben aber sonst dasselbe Gepräge: »Ich sehe dir nach, ich sende dir nach mit meinen fünf Fingern fünfundfünfzig Engel, Gott sende gesund dich heim, offen sei dir das Siegtor« usw. »Herre Sankt Michael, sei du sein Schild und sein Speer, meine Fraue Sancta Maria sei seine Halsberge!« »Der Leib sei dir deinen, das Herz sei dir steinen, das Haupt sei dir stählen!« »Mein Haupt sei mir stählen, kein Waffen schneide darein! der heilige Himmeltraut sei heut meine Halsberge!« Unter zwölf zauberkundigen Brüdern in Norwegen, die ein altdänisches Lied aufzählt, ist einer, der alle Tiere im Walde bindet; wurden Pferd und Schwert zum Siege gesegnet, so konnten wohl auch Segenswünsche zugunsten des Weidwerks ergehen, und es wird sich ebenfalls auf eine alte Formel gründen, wenn Walther von der Vogelweide seinem Gönner anwünscht: »Zu fließe ihm aller Sälden Fluß! kein Wild vermeide seinen Schuß! seines Hundes Lauf, seines Hornes Duß (Getös) erhalle ihm und erschalle ihm wohl nach Ehren!«

Nicht bloß für den Ausritt des Helden, auch schon für den Eintritt des Kindes in die Welt gab es eine Festnung und Segnung. Es ist bereits des nordischen Zauberliedes gedacht worden, das, bei der Wasserbesprengung des jungen Sohnes gebraucht, denselben schirmt, daß er künftig nicht unterm Kriegsvolk falle, nicht vor Schwertern hinsinke. In einem Heldenliede der Edda eilt Sigmund aus der Schlacht zu seinem neugebornen Sohne, gibt ihm den Namen Helgi und, neben reicher Beschenkung an Landbesitz, ein bereites Schwert, vermutlich sein eigenes frisch aus der Schlacht. Dazu nehme man, was der Kalender von 1537 unter den Aberglauben aufzählt: »Welche keine blöde, verzagte Kinder haben wollen, da soll der Vater, so die Kinder getauft sind, ihnen ein Schwert in die Hand geben, alsdann sollen sie ihr Lebenlang kühn sein.« Und unmittelbar hernach: »Welcher eine Messe von den dreien Königen darüber ließe von einem Priester lesen oder das Gebet von Karolo dem Großen, so würde das Kind kühn und sieghaftig sein.« Wieder ist hier das Schwert mehr als Sinnbild künftigen Heldentums, es wirkt durch die Berührung sympathetisch, das Gebet vom Heldenkaiser Karl aber ist ein Sieges- oder Schwertzauber in christlicher Gestalt. Dasselbe Verzeichnis alter Volksglauben führt an: wenn eine schwangere Frau gerne von Turnieren und Stechspielen sagen höre, so trage sie einen Sohn, wenn sie aber zu tanzen begehre und gern auf Instrumenten spielen höre, so gehe sie mit einer Tochter; ferner: »wann ein Knäblein erst geboren ist, so soll man es zu seinem Vater tragen und stoßen es mit den Füßen vor seine (des Vaters) Brust, so soll das Kind nimmermehr ein bös Ende nehmen; wann eine Frau inne liegt von einer Tochter, so soll man die Tochter setzen auf der Frauen Brust, sprechend: Gott mache Euch (die Tochter) zu einer guten Frauen! so soll sie nimmer Schande von ihrem Leibe haben.« Berührung der Vaterbrust soll Mannestugend, der mütterlichen edle Weiblichkeit einflößen, welch letzteres in der kurzen Wunschformel ausgesprochen ist. Die innige Beteiligung des Gemüts bei solchen symbolischen Handlungen erzeugte den Glauben an ihre Wirksamkeit; selbst zur vollständigen psychologischen Richtigkeit der Volksmeinung wird im folgenden Falle nichts vermißt werden. Vonved empfängt bei der Ausfahrt von seiner Mutter das harte Schwert mit der Segnung zum Siege; im deutschen Heldenliede wird der junge Alphart von seiner Pflegemutter Ute gewaffnet, sie reicht ihm, als er zu Rosse steigt, den Speer und segnet mit der Hand ihm nach, seine jugendliche Gattin hat nur rührende Bitten, daß er sie nicht verlasse, daß er nicht allein auf die Warte reite; nun wird aber im Rittergedichte Wigalois als ein Aberglaube (ungeloube) angemerkt: »Es sei manchem Manne leid, wenn ihm ein Weib das Schwert gebe,« und genauer im mehrerwähnten Verzeichnisse: »Wann ein Mann fertig ist und will auf das Pferd sitzen, so soll er sein Schwert oder andre Waffen nicht von seinem Weib nehmen, denn wo er des bedürfen würde, so würd's ihm daran hinderlich sein.« Damit laßt sich erklären, warum Alphart nicht von seiner Neuvermählten, sondern von der Pflegemutter die Waffen nimmt, zugleich aber liegt der gute Grund des Volksglaubens am Tage, der Abschied von der Gattin geht dem Manne zu nah ans Herz, von der Hand des Weibes würde das Schwert weich werden.

Auch die mittelalterlich-christliche Seite der Volkssegen haftet, wie schon von andern bemerkt worden, großenteils in der Sympathie; der feierlichen Berufung auf Ereignisse und Umstände aus der heiligen Geschichte, besonders aus dem Leben des Heilands und der ihm zunächst gestandenen Personen, welche zu irgend einem besonderen Anliegen eine wenn auch nur entfernte oder gleichnisartige Beziehung gestatten, wird für dieses besondre Bedürfnis hilfreiche Wirkung beigemessen. Das Gebet überhaupt hatte diese Richtung genommen, man begnügte sich nicht, die Macht und Güte Gottes, das Werk der Erlösung oder auch die Fürbitte der Gottesmutter im allgemeinen anzusprechen, es wurden angelegentlich einzelne, bestimmtere Anhalte aufgesucht. Walther von der Vogelweide bittet im Eingang eines an sich einfachen Morgengebets, daß er heute in Gottes Obhut gehn und reiten möge, dann aber besonders, daß der Heiland um seiner Mutter willen ihm nicht minder schirmende Pflege schenken möge, als die der heilige Engel Gabriel ihr und ihrem Kinde, das in der Krippe lag, so treulich gewidmet. Diese Engelhut über Marias Wochenbette mußte dann auch in Segensformeln gegen Diebe ihren Dienst leisten. Den Übergang von dem auf einzelne Anhalte gerichteten Gebete zu den völlig abergläubischen Beschwörungsformeln zeigt am besten ein Segen in Prosa aus dem 12. Jahrhundert, der an Bezügen ersterer Art überaus reich ist und doch die sympathetische Schutzanwendung noch ziemlich im allgemeinen hält. Derjenige, dem der Segen gilt, wird »heute« (also auch Morgensegen) dem allmächtigen Gotte in dieselbe Treue und Gnade befohlen, womit und worein er seine Mutter dem Johannes, seinen Geist dem Vater befahl, sich Marien zu einer Mutter und sie ihn zu einem Sohn erkor, der gute Jakob seinen Sohn befahl, als er ihn nach Ägypten sandte, der gute Tobias den seinigen, da er ihn nach Medenreich sandte, ferner den heiligen fünf Wunden, dem getreuen Sankt Peter, wie ihm Christ seine Schafe befahl und die Schlüssel des Himmels, den heiligen Worten unsers Herrn: daß kein Feind dem Gesegneten schaden möge, sichtbar noch unsichtbar, sie, die Feinde, sollen heute gebunden sein, daß sie nicht Augen, Mund, Ohren, Herz haben, womit sie ihm zu Schaden sehen, sprechen, hören, denken mögen, daß ihnen die Hände abgehauen seien und sie nicht Füße haben, ihm zum Schaden zu rühren, zu gehen oder zu stehen, der vielheiligen Rechten unsres Herrn wird sein Leib, seine Seele und seine weltliche Ehre befohlen, daß er ohne Sünde, Schande und Übel mit Freuden leben möge. Dieser Segen gibt einen Vorrat von Berufungen, wie sie in andern Formeln mehr vereinzelt und zu besondersten Zwecken verwendet vorkommen. Die Entsendung des jungen Tobias durch seinen Vater wird zum ausführlichen Reisesegen. Die bezeichnete Form, für sich und andre zu beten, wird nun auf dreierlei Weise tiefer in den Aberglauben getrieben: einmal hat man die Anknüpfungen, die sich in den heiligen Schriften ergaben, nicht bloß aus der Legende, sondern durch hinzugedichtete Umstände aus dem Leben Jesu und der ihm betrauten Personen für jeden beliebigen Gebrauch vervielfältigt, sodann beließ man es nicht bei Gebet und Segenswunsche mittels solcher Berufungen, sondern es sollte damit nach außen, unmittelbar und tätlich, auf den besondern Fall gewirkt, das vorhandene oder androhende Übel sollte beschworen werden, endlich lag die Wirkung nicht sowohl in der Inbrunst des Anrufs und in der ihm entgegenkommenden Gnade, sondern in der Formel, in den Worten, zur rechten Zeit und mit den vorgeschriebenen Handanlegungen gesprochen. Die Erweiterung der heiligen Geschichte durch willkürliche Hinzudichtungen nahm ihren Anlaß zunächst in den Wundern, durch welche der Heiland seinen Erdengang bezeichnet hatte; wie er, »der aller Welt ein Arzt ist«, durch sein gebietendes Wort und die aufgelegte Hand gegen mannigfache Gebrechen und Übel alsbaldige Heilung und Hilfe schaffte, so sollten nun wider jegliche Not Worte seines Mundes überliefert sein, durch die er in besondern Fällen geholfen und denen fortwährend für jedes ähnliche Vorkommnis dieselbe Kraft innewohne. Darum beginnen die Formeln häufig erzählend und schließen mit der Anweisung oder den Beschwörungsworten, die dem göttlichen Munde zugeschrieben werden. Ähnliches ist der Mutter Jesu und andern heiligen Frauen aufgedichtet, ein Augensegen hebt mit der Erzählung an, wie die heilige Ottilia auf einem Steine kniet, weinend, betend, trauernd, daß ihr die Augen ausfaulen, da kommt Maria, Gottes Mutter, befragt die Weinende, hebt ihre göttliche Hand auf und versegnet die kranken Augen; Ottilia selbst wurde wider Augenleiden angerufen und über eine Heilige von der Heiligsten gesprochen, mochte dieser Segen doppelt wirksam erscheinen. Das Verhältnis der Berufung im Gebete zur förmlichen Beschwörung wird sich an folgendem herausstellen. Ein Segen zur Fahrt:

»Ich trete heut auf den Pfad
den unser Herr Jesus Christus trat,
der sei mir also süß und also gut!
nun helfe mir sein heil'ges rosefarbes Blut
und seine heilige fünf Wunden,
daß ich nimmer werde gefangen oder gebunden usw.
daß alle meine Band'
von mir entbunden werden zuhand,
also unser Herr« Jesus entbunden ward,
da er nahm die Himmelfahrt!«

Diese letztern Zeilen sind ein Beispiel sympathetischer Berufung, der Betende bezieht sich darauf, wie der Heiland die Bande des Grabes gesprengt, und hofft davon die Lösung der Fesseln, die ihm selbst von seinen Feinden bereitet sein möchten.

Tatkräftiger wirkt nach den Eddaliedern der Zaubersang unmittelbar, daß die Fesseln von Händen und Füßen springen. Gegen die Gewalt des Feuers aber, der auch ein nordisches Zauberlied Einhalt gebot, findet man unter den deutschen Segen entschiedene Beschwörungen: »Feuer steh still, um Gottes will! um des Herrn Christi will, Feuer steh still in deiner Glut, wie Jesus Christus gestanden in seinem rosenfarben Blut!« usw. »Sei mir Willkomm, Feuersgast! Feur, ich gebiete dir bei Gottes Kraft, daß du nit mehr nehmest, denn das du hast gefaßt!« usw. »Behalt deine Funken und Flammen, wie Maria ihre Jungfrauschaft!« usw, »Ich gebiete dir, Glut! bei des Herrn Christi Blut, daß du stille stehest und nicht weiter gehest, bis die Mutter Gottes von Himmel einen andern Sohn gebiert!« Abstumpfung feindlicher Waffen, abermals unter den altnordischen Zaubern verzeichnet, kommt in deutschen Formeln teils bei den Festsegnungen des eigenen oder fremden Leibes vor: »Aller meiner Feinde Gewaffen, die liegen heute und schlafen!« usw. oder: »Alle Waffen sein vor dir verschlossen, daß sie das viel gar vermeiden, daß dich ihr keines steche noch schneide!« teils aber auch als Besprechung der Waffen selbst: »Also milde und also linde müssest du heute sein auf meinem Leibe, Schwert und aller, Art Geschmeide (Schmiedwerk), als meiner Frauen Sankte Marien Fachs (Haupthaar) war, da sie den heiligen Christ gebar!« Dänisch, bald erzählend: »Unser Herr Christus ritt in Herren(Heeres)fahrt, da täubt' er alle gezogne Schwert, allen der Waffen, die er sah, nahm er Eck' und Ort (Schneide und Spitze) ab mit seinen zwo Händen und mit seinen zwölf (zehn) Fingern usw. vom Knauf bis zur Spitze hinauf: das Weiße soll nicht beißen, das Rote soll nicht bluten, bevor Christ sich wieder läßt gebären, das ist geschehn und geschieht niemals mehr!« bald auch beschwörend: »Steht, Eck' und Ort, mit demselben Wort, damit Gott schuf Himmel und Erd'!« Der Glaube an die Wunderkraft des Wortes, wie ihn auch in früher angefühlten Formeln das Gürten mit heiligen Worten oder zum Wortsiege ausspricht, hat seinen ersten und tiefsten Grund in dem Wunder der menschlichen Rede selbst, er wurde gepflegt durch das im Bedürfnis der schriftunkundigen Vorzeit gelegene Formelwesen, endlich war die mittelalterliche Behandlung des Schriftworts, die fremde Kirchensprache, nicht dazu geeignet, jenen Glauben vor der Erstarrung im gedankenlosesten Wortdienste zu bewahren. Freidank sagt von der Macht der Worte: »Den Teufel zwinget mancher Mann mit Gottes Worten, der sie kann, daß er (der Teufel) muß sprechen und sagt seine Schande und sein Herzeleid; durch Worte geht eine wilde Schlange zu den Leuten, da sie sich fangen läßt, durch Worte meidet ein Schwert, daß es jemand verwunde, durch Worte vermag ein Eisen niemand zu brennen, und hätt' es den ganzen Tag geglüht; diese Worte sind wie ein Wind gegen jene, die in der Messe sind.« Daß gleichwohl auch zu Beschwörungen der genannten Art göttliche Worte gesucht wurden, davon geben die Formeln überreiches Zeugnis. So üppig aber das Mittelalter an der heiligen Geschichte fortdichtete, so ist doch gerade im Formelwesen, das seiner Natur nach in einer stetigen Überlieferung haftet, die Vermessenheit befremdlich, mit der den geheiligtsten Personen wilde Worte in den Mund gelegt wurden. Man wird sich diese Erscheinung kaum anders erklären können, als durch den nachgewiesenen Zusammenhang der mittelalterlichen Segen mit dem heidnischen Beschwörungsingen. Auch dieses griff zu den Worten mythischer Wesen, was Thiodhrärir vor Dellings Türe, was Rindr zu Ran sang, das sollte für entsprechende Fälle wirksam sein, die Kunde von Groas Zaubersang, ein alter Naturmythus, wurde, wenn auch nicht mehr verstanden, zur mütterlichen Wandersegnung benutzt, wie man auf christlicher Seite die Anrede des Tobias an den scheidenden Sohn zur Fassung eines Reisesegens tauglich fand. Die Neigung zum Galdern, der Glaube an die Kraft desselben, war dem gechristneten Volke nicht erloschen, aber die alten Formeln konnte man doch nicht mehr oder doch nicht unverändert fortgebrauchen, blieben auch einzelne Naturwesen, mythische Namen und Beziehungen zurück, im ganzen mußte doch auf Ersatz aus dem Gebiete des neuen Glaubens gesorgt werden. Die herkömmliche Grundform der sympathetischen Bezüge behielt man bei und wahrte soweit das Anrecht der Überlieferung, aber auf den Pfaden der vertriebenen Mächte wandelten nun Christus, Maria und all ihr heiliges Gefolge. Das Alte war verdunkelt und das Neue nicht hell geworden, die poetische Kraft der Formeln wich dem Mißverständnis, der Unsicherheit und Verwirrung, das ganze Treiben war verdächtig und verrufen, Odins hohe Lieder- und Runenkunde war in den Händen fahrender Leute.

Die Formeln des Heilbittens und Segnens, die ihren Ursprung im ernsten Gemüte hatten, sind aber nicht durchaus in dürrem Aberglauben verkommen, sie verzweigten sich auch in das heitre, gesellige Leben, als Liebesgruß und Wunschdichtung. Den Weg nach dieser Seite bahnen die Neujahrswünsche. War dem anbrechenden Tage, dem Aufgang der Sonne so viele Bedeutung beigelegt, so konnte der größere Umschwung, das wiederkehrende Wachstum des Lichtes in der Wintersonnenwende, nicht unbeachtet bleiben. Der Beginn des neuen Zeitabschnittes war überhaupt eine Aufforderung, den Blick in die Zukunft zu richten, Vorsätze zu fassen und Wünsche zu bilden. Am Julabend wurden im alten Norden beim feierlichen Becher Gelübde auszuführender Taten abgelegt. In Deutschland wird es um den Anfang des 11. Jahrhunderts als heidnische Sitte gerügt, Neujahrs auf dem Kreuzwege oder schwertgegürtet auf dem Dache zu sitzen, um zu sehen und zu entnehmen, was einem im kommenden Jahre begegnen werde; auch das wird den heidnischen Gewohnheiten beigezählt, wenn man beim Jahreseintritt durch Ortschaften und Gassen Sänger und Reigen führe. Des Singens in der Neujahrsnacht um einen Kranz von lieber Hand ist zuvor gedacht worden. Diesen und ähnlichen Neujahrsgebräuchen schließt sich nun einer an, der sich in förmlichem Wunschsprechen ausprägte, das nächtliche Anklopfen zur Zeit des Jahreswechsels. Hans Rosenblüt und Hans Volz, Dichter des 15. Jahrhunderts, beide zu Nürnberg heimisch, haben für dieses Klopf an jeder eine Reihe von Reimsprüchen geliefert. Sie ließen dabei der eigenen Erfindung freien Lauf, standen aber doch unter sichtlichem Einfluß des alten Herkommens und überlieferter Formeln. Von dem Gebrauche selbst kann man sich aus dem einzelnen der Sprüche eine Vorstellung zusammensetzen: zur Neujahrszeit gingen Personen beiderlei Geschlechts, höheren und niedern Standes, sich unkenntlich machend, zum Teil mit Musik und Gesang, nachts in den Gassen umher und klopften an den Türen, während eine Stimme aus dem Fenster sie in diesem Klopfen aufmunterte oder damit abwies und bald die besten Wünsche zum neuen Jahr ihnen zurief, bald mit den schnödesten Worten sie weiter ziehen hieß, was von der Vermutung über die Person des Klopfenden und schon von der Art seines Anklopfens abhängen mochte. Rosenblüt, der schon um 1450 dichtete, hält seine Sprüche, wenn auch nicht ohne launige Beigabe, doch im ganzen noch ziemlich formelartig und feierlich, dem bisher abgehandelten Segensprechen zugeneigt, namentlich folgende:

»Klopf' an, klopf' an!
ein seligs neus Jahr geh dich an!
Alles, das dein Herz begehrt,
des wirst du zu diesem Jahr gewährt.
Klopf' dannoch mehr!
daß dir widerfahr alle Ehr'
und alle Glückseligkeit,
des helf' uns Maria, die reine Maid!
der lieb Herr Sant Sebold,
der behüt' uns und hab' dich hold!
der lieb Herr Sant Moritz,
der behüt' dir Sinn und Witz!
und die eilftausend Maid'
behüten dich vor allem Herzenleid!
der lieb Herr Sant Veit,
der behüt' dich zu aller Zeit!
der lieb Herr Sant Martein,
der müß' allzeit dein Gefährte sein!
Sant Niclas, der heilig Himmelfürst,
der bescher' dir Wein gnug, wenn dich dürst'!
Gott woll dir geben als viel Ehr'n,
als manig der Himmel hat Stern',
und so viel gute Zeit,
als viel Sandkörnlein im Meere leit,
und darnach das ewig Leben,
daß müß' dir Gott mit Freuden geben!
daß wünsch' ich dir zum neuen Jahr,
sprich amen, daß es werde wahr!«

»Klopf' an, klopf' an!
der Himmel hat sich aufgethan,
daraus ist Hail und Säld' geflossen,
damit werdest du begossen!
Du seist Frau oder Mann,
so wünsch' ich dir, das ich kann:
Gesundheit des Leibs und frischen Muth
und Alles, das deinem Herzen wohl thut,
Schöne, Stärk' und Weisheit viel
und die Kunst aller Saitenspiel';
Hab' dir Samsons Stärk' und Kraft
und König Alexanders Herrschaft,
die Schöne Absalons,
die Weisheit Salomons,
und hab dir friedlichen (fröhlichen) Muth
und Priester Johanns Gut,
und hab' dir Susannen Unschuld
und hab dir aller schönen Frauen Huld!
als manig Stern am Himmel stahn,
als manig gut Jahr geh' dich an,
als manig Tropfen im Meere sein,
so viel heiliger Engel pflegen dein!«

»Klopf' an, klopf' an!
mein Herz hat sich aufgethan,
und wünsch' dir Glück und alles Gut',
gesunden Leib und frischen Mut,
viel guter Jahr' und lang Leben
das müß' dir Gott auf Erden geben!
ich wünsch' dir ein Fräulein wohlgestalt,
das dir im Herzen wohl gefallt
und die dich lieb hab' für ander Knaben,
die sollt du dir zu dem neuen Jahr haben!«

Aus einem verliebten Spruche:

»Dein stolzer Muth und frischer Sinn
der nimmt mir viel Traurens hin,
Dein fröhliches Herz und frische Jugend
ist geneigt auf alle Tugend;
ich lieb' dich sehr und bin dir hold
und lieb' dich für Perlen, Silber und Gold,
das ich auch von dir hoffen bin:
du liebest mich in deinem Sinn;
darum wirf einen Arm auf in der Stille
und thu einen Schrei durch meinen Willen,
daß ich dein Herz gänzlich erfahr!
so hau' (lauf) dahin, daß dich Gott bewahr!«

Bei Hans Folz, dessen Sprüche etwa zwanzig Jahre später fallen, ist der Ton merklich gesunken. Er gebraucht wohl auch noch die alte Segensformel, aber statt daß Rosenblüt das üble Wort nur selten und versöhnlich vorkehrt (in Nr. 3. 6), wiegt jener die guten Wünsche mit höhnischen Abweisungen auf, und diese letztern sind ein witzloser Erguß der gröbsten, schmutzigsten Schimpfreden und Drohungen. Auch seine günstigen Sprüche haben ein derbes Aussehn.

Dieses nächtliche Anklopfen Unbekannter bei Unbekannten, uni eine Losung für das angehende Jahr zu vernehmen, ist ihrem Ursprunge nach wohl nichts anderes, als eine volksfestliche Darstellung des von den einzelnen in der Stille betriebenen Lauschens und Horchens in der Neujahrsnacht. Das von der Kirche mißbilligte Neujahrsingen auf den Straßen wird mit diesen nächtlichen Schicksalforschungen unmittelbar zusammengestellt und muß daher in verwandter Bedeutung mit ihnen gedacht werden. Daß es vornherein nicht lediglich auf ein geselliges Spiel abgesehen war, zeigt der feierliche Ton, der noch in einem Teil der Sprüche, besonders bei dem älteren Dichter, vorwaltet. Der Himmel und das Herz erschließen sich in der heiligen Nacht, um ihre Segnungen auf den Anklopfenden auszuschütten. Was dem Gebrauche Heidnisches ankleben mochte, war durch christliche Formeln gereinigt und gesühnt; auch gute Lehren wurden zum neuen Jahre gespendet. Für die schlimmen Orakel wird es früher gleichfalls nicht an ernsterem Ausdruck gefehlt haben; »ein selig's neus Jahr geh dich an!« ist in den günstigen Sprüchen herkömmlich, »ein böses, feiges (tödliches) Jahr« anzuwünschen, war in der Volkssprache des 14. Jahrhunderts, auch außerhalb Neujahrs, nicht ungewöhnlich; Hans Folz kennt noch das böse Jahr, aber in seinen Verwünschungen ist nichts mehr von feierlichem Ernste zu spüren. Auch in guten Wünschen, besonders den auf Liebe bezüglichen, gesellt sich der Scherz zum Ernste; so bei Rosenblüt:

»Ich wünsch' dir das ewig Leben,
das müß' dir Gott mit Freuden geben!
ich wünsch' dir ein Stüble warm
und deinen Buhlen an deinen Arm.«

Hans Folz gibt einem zärtlichen Wunsche den Schluß (Nr. 2):

»So wünsch' ich dich so lang gesund
bis daß ein' Lins' wiegt hundert Pfund
und bis ein Mühlstein in Lüften fleugt
und ein Floh ein Fuder Weins zeucht
und bis ein Krebs Baumwoll' spinnt
und man mit Schnee ein Feuer auzündt;
hiemit ein guts seligs neus Jahr
und hau hin, daß dich Gott bewahr'!«

Doch läßt er auch wieder die Liebende sagen (Nr. 11):

»Du klopfest an in deinem Scherz,
dannoch geht es mir an mein Herz.«

Die ursprüngliche Bedeutsamkeit des Gebrauches hinderte nicht, daß derselbe mehr und mehr in ausgelassenen Mummenschanz umschlug. Vorzüglich aber konnten dabei die Bewerbungen und Neckereien der verliebten Jugend ihr verstecktes Spiel treiben. Gehörte das Kranzsingen in der Neujahrsnacht mit zu den Schicksalfragen, so war freilich ein Blumenkranz, der auf den Liebenden niederfiel, das hoffnungsreichste Wahrzeichen.

Manche Lieder des 15. Jahrhunderts, in welchen der Geliebten ein seliges neues Jahr gewünscht und zugleich von ihr ein schönes Heil erbeten wird, stehen in keiner nachweisbaren Beziehung zu den angeführten Gebräuchen. Wohl aber ist die phantastische Formel zur Hand, wenn der Neujahrsänger sich nach Lust erwünschen möchte, daß er Papst und Kaiser, aller Welt gewaltig, das Meer zu stillen, aller zahmen und wilden Tiere, dazu der Blümlein im Gefilde mächtig sei, daß er regnen und die Sonne scheinen lasse, wenn er wolle, aller kühlen Brunnen Gewalt habe und Schatten vor der Sonne machen könne, einzig um alles in den Willen der Geliebten zu stellen.

Wünsche dieser Art waren übrigens an keinen Jahrestag gebunden, sie waren stets bereit, wo aus innigem Herzen und freundlichem Munde gegrüßt wurde. Der Gruß überhaupt ist ein wohlwollender Wunsch, und wenn ihn die Liebe gibt oder nimmt, erblühen farbenhelle Bilder. Volksmäßige Liebesgrüße, poetische Wunschformeln, können im gleichen Zuschnitt von sehr früher Zeit bis zu den gereimten Briefmustern unserer Jahrmärkte aufgewiesen werden. Mindestens aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts stammt, nach gelehrter Forschung, das lateinische Gedicht Ruodlieb, das Werk eines Mönches zu Tegernsee; in einem der erhaltenen Bruchstücke desselben fragt ein Bote, der für Ruodlieb auf Brautwerbung ausgeschickt war, was die Schöne jenem antworten lasse? Diese Antwort nun, in welcher altdeutsche Reimworte mit den lateinischen Versen verwoben sind, ist folgende: »Von mir aus treuem Herzen sag' ihm soviel Liebes, als jetzt komme Laubes; soviel der Vögel Wonne, sag' ihm meiner Minne; soviel Grases und Blumen, sag' ihm auch der Ehren!« Daß diese Grußformel eine altvolksmäßige sei, dafür sprechen eben die deutschen Reimsätze. Sowie dann, nach dem Erlöschen des ritterlichen Minnesangs, die Volksdichtung wieder hervorbricht, im 15. und 16. Jahrhundert, hört man auch wieder vielfach dieselbe Grußweise; so im Straßburger Kranzliede (Volksl. Nr. 3, Str, 9):

»Jungfrau, ich sollt' Euch grüßen
von der Scheitel bis auf die Füße,
so grüß' ich Euch so oft und dick (vielmals),
als mancher Stern am Himmel blick' (schimmre),
als manche Blume wachsen mag
von Ostern bis an Sant Michels Tag!«

Der Liebesgruß an Ruodlieb ergeht noch durch mündlichen Auftrag, und die Kranzwerber grüßen singend, wobei ihnen verschiedene Formeln zu Gebot stehen. Auch landschaftliche Verschiedenheiten muß der mündliche Gruß gehabt haben; in einem Volksliede grüßt der Ritter das veilchenbrechende Mädchen »nach schwäbischen Sitten«, und der Kranzsänger sagt:

»Jungfrau, ich sollt' Euch danken
mit Schwaben und mit Franken!«

In den Briefmustern, wie sie seit dem 15. Jahrhundert zum Vorschein kommen, findet man die poetischen Grüße gesammelt, für Auswahl und Gebrauch aufbewahrt, doch tragen sie auch hier noch mitunter die Spur vormals mündlicher Grußsendung. Sie sind folgender Art:

»Ich send' dir, liebes Lieb, einen Gruß
auf einer Nachtigallen Fuß,
auf jeglichem Klauen
einen güldnen Pfauen;
als manig gut Jahr geh' dich an,
als ein geleiterter Wagen
gefüllter Rosen mag getragen,
jeglichs Blatt in neun gespalten,
Gott müss' deins jungen Leibes walten!

Ich grüße dich zu dreistund (dreimal),
mein Lieb, in deinen rothen Mund,
ich grüß' dich in dein' Äuglein klar,
Gott geb dir viel und gute Jahr!

Meinen Gruß ich Euch sende
ohn' Anbeginn und ohn' Ende
und grüß' Euch nicht allein mit dem Munde,
sondern aus meines Herzens Grunde usw.

So viel Tropfen sind im Meeres Grund,
gegrüßt sei Euer rother Mund usw.
Habet also viel guter Nacht,
als manch rother Mund in dem Jahre lacht,
und also viel guter Zeit,
als Sandes in dem Meere leit.

Ich wünsch' dir, Herzlieb, einen Gruß
von dem Herzen bis auf den Fuß,
von Lilgen ein Bett
und von Rosen eine Deck',
von Muscaten eine Thür,
mit Näglein ein' Riegel darfür!

Und grüß' dich Gott als oft und dick,
als maniger Stern aus dem Himmel blick'
und als manigs Blümel entsprießen mag
von Ostern bis auf Sant Jacobs Tag!

Und lass' Euch Gott als lang leben
bis auf einem Mühlstein wachsen Weinreben,
und müßt als lang mein steter Buhl sein
bis dieselbigen Reben tragen Wein!

Darauf spar' Euch Gott als lang gesund
bis ein Frosch erlauft einen Hund
und ein Zeislein oder ein Fink
das ganze Meer auftrink'!

Auch für gekränkte Herzen gibt es Briefformeln:

Mit solchen Treuen, als du mich meinst,
so mag ich wohl lachen, wann du weinst,
Treu und Stet
hat mir der Wind hin geweht.
Falsch und Verlogen
ist mir herwieder geflogen.

Manchmal wird das Brieflein selbst angeredet und ihm aufgegeben, die Liebste, ihren roten Mund, ihre spielenden Augen und rosafarben Wangen zu grüßen. Ein Liebesbrief mit solchem Auftrag, aus dem 14. Jahrhundert, in bayerischer Mundart, ist auf einen schmalen Pergamentstreifen geschrieben, der bestimmt war, zusammengerollt und umbunden zu werden. Gerne wird auch irgend ein Wahrzeichen genannt, durch welches gegrüßt werde: durch einen Seidenfaden, eine Handvoll Seide, eine Handvoll Gerstenkorn, durch grünen Klee. Im Appenzellerlande läßt man noch durch einen Rosmarinstengel, durch ein »Schöppli« Wein usw. grüßen. Diese Formeln stammen vermutlich von alter, symbolischer Botschaftsendung her; auch der schriftlichen Meldung ein sinnbildliches Zeichen beizufügen, hielt man nicht für überflüssig. Gudrun warnt ihre Brüder teils durch Runen, teils durch Wolfhaare, in einen Ring gebunden. Tristan legt auf den Weg, den die Königin kommen muß, einen Haselstab, worauf er geschrieben hat, daß Hasel und Geißblatt nicht getrennt sein können, ohne daß beide hinsterben. Liebesbriefe, die man durch fremde Hand schreiben ließ, schienen wohl noch einer unmittelbaren Beigabe zu bedürfen, und nachmals haftete das Wahrzeichen wenigstens in den Reimen des Briefstils. Laub und Blumenblatt, die in mehreren Grußformeln bildlich verwendet werden, mochten früher auch wirklich dabei sein. Ein halblateinisches Lied in einer Handschrift des 13. Jahrhunderts sagt: »das Mägdlein stand bei einem Baume, schrieb ihre Liebe an einem Laube«; und in einem spätern Weckeliede (Volksl Nr. 85. Str. 3) wird gesungen:

Ich brach drei Lilgenblättlein,
ich warf ihr's zum Fenster ein:
»schlafest du oder wachest?
steh auf, feins Lieb, und laß mich ein!«

Blumenhaus, Lilien- oder Lindenblatt stellen sich abermals zum Gebrauche zärtlicher Wünsche und Hoffnungen.

Es geht durch viele Länder und Zeiten ein Märchen von den Wünschen, deren der Mensch auf übernatürliche Weise gewaltig werden kann. Göttliche und geisterhafte Wesen, Zauberer und Heilige, je nach den religiösen und mythischen Vorstellungen der verschiedenen Völker, vergönnen den Sterblichen zum Lohne der Gastfreiheit oder eines andern Dienstes, manchmal auch gezwungen oder auf ungestümes Bitten, eine bestimmte Zahl von Wünschen und Wunschdingen, welche den Frommen und Bescheidenen zum Heile gereichen, den Bösen und Begehrlichen aber zum Unglück ausschlagen oder durch die Torheit und den Frevel der Wunschberechtigten vornherein verkehrt und vereitelt werden. Im allgemeinen ergeben diese Dichtungen, in Scherz und Ernst, die Lehre, daß es für den Menschen schwierig und gefährlich wäre, selbst der Ordner seines Geschickes zu sein und über die Gaben des Glücks zu gebieten. Deutsche Volksmärchen lassen gerne den Heiland, mit dem Apostel Petrus umherziehend, den Sinn der Leute prüfen und ihnen Wünsche gestatten. Wie er auf seinem Erdengange wider jedes leibliche Gebrechen heilende Segen bereit hat, so verleiht er auch andre Glücksgaben durch sein bloßes Wort, wenn es nur nicht auf undankbaren Boden fällt. Ein Meistergesang auf einem Flugblatte des 16. Jahrhunderts erzählt folgenden Schwank: Dieweil der Herr noch auf Erden war, kam er in ein Dorf, das im Tale liegt und Wintershausen heißt, wo die Bauern mit wildem Geschrei beim kühlen Weine saßen; Sankt Peter bittet seinen Meister, den Bauern einen gemeinsamen Wunsch zu geben, und der Herr gestattet solchen mit der Bestimmung, daß nur einer, den sie unter sich wählen mögen, den Wunsch tun, aber selbst nur halb soviel, als die andern, empfangen soll; nachdem der Schultheiß die Wahl von sich gewiesen, weil er sich nicht mit dem halben Teile begnügen will, kommen sie überein, den Dorfschützen, ihren gemeinen Knecht, wünschen zu lassen, er wird ermahnt, daß er auf ihren Nutzen vereidet sei, auch sie ihm das Korn geben, und verspricht, sich bis morgen frühe des Wunsches zu besinnen; als die Nacht ein Ende nimmt, eilen die Bauern, jeder mit einem Sack, in das Haus des Schultheißen, auch der Schütz bleibt nicht aus und nun werden ihm die mannigfachsten Wünsche vorgeschlagen; ein alter Bauer hat nur das bescheidene Anliegen, im Winter nicht zu erfrieren, andre verlangen, der Schütz solle weiß Brot genug wünschen und süßen Met dazu, Land und Leute nebst ewigem Leben, Scheuern voll Fesen, Rüben für den Winter, Pfennige, Würfel und Kartenspiel, feine Fräulein und dazu den allerbesten Wein, Met und Milch und in der Fasten Zwiebel, jedem eine Gippe (Kittel) von gutem Zwilch nebst geheftelten Stiefeln, damit durch den Kot zu laufen, ferner daß das Korn von selber wachse und daß Erbsen und Flachs alle Jahre wohl geraten, jedem in sein Haus drei oder vier gute Dreschflegel und einen guten Holzschlegel, jedem ein krauses Haar, das sei das beste, dann noch einen Brei voll fetter Grieben: endlich heißt der Schütz sie näher treten und spricht: »Gott gebe, daß ihr erblinden müsset!« Alsbald sehen sie kein Stück mehr, und der Schütz ist einäugig. Der örtlichen Anknüpfung unerachtet ist es doch die Fabel vom Neidischen und dem Geizigen, die schon Avianus gibt, nur daß bei ihm Jupiter den Phöbus herabsendet, der Menschen beweglichen Sinn zu erkunden.

Die Wünsche kommen sonst am meisten in der Dreizahl vor, doch steigen sie bis auf sieben; auch der Wunschdinge, der Kleinode, mittels welcher man fortwährend gewisser Wünsche mächtig ist und in denen die Begabungen sinnbildlich erscheinen, sind gewöhnlich drei. Der Inbegriff des Wünschbaren, den die ältere Sprache auch einfach mit dem Worte Wunsch bezeichnete, kann in der Sonderung unter verschiedene Ziffern gebracht werden. Die Fülle der Wünsche ist ein ungehobner Schatz, in den zur rechten Stunde oder durch besondre Zulassung eine bestimmte Zahl von Griffen getan wird, und es kann, statt aller, an dreien genug sein. Im Nibelungenhort und den drei Kleinoden, die dazu gehören, Wünschelrute, Schwert und Tarnkappe, ist der Vollbestand sowohl, als die Dreiteilung der irdischen Glücksgaben vorgebildet. Als Seitenstück gab es einen dreifachen Ausbund des Übels, man sprach von drei Sorgen, drei Schaden. Bei den Liederdichtern wird die sagenhafte Wunschzahl als ein Bekanntes vorausgesetzt und auf mancherlei Weise damit gespielt. Reinmar von Zweter würde, wenn er dreier Wünsche Gewalt hätte, sie dazu verwenden, daß er den Frauen rechtes Verhalten im Versagen und Gewähren, Unterscheidung des guten Mannes von den falschen wünschte. Wahrscheinlich lag für diese gesuchtere Ausführung bereits eine volksmäßige Grundform vor, die noch in einem nieder- und hochdeutsch vorhandenen Wunschliede des 16. Jahrhunderts auftaucht. Dasselbe zählt sieben Wünsche, stimmt aber in der Formel fast wörtlich mit Reinmar und seine einfache Versweise lautet auch bei letzterem an, schlägt aber hier in einen breitern Strophenbau der Kunstdichtung aus. Im Volksliede wünscht der Singende, wenn er der sieben Wünsche Gewalt hätte, sich selber jung und nimmer alt, alle Seelen frei von der Höllenpein, alle falsche Zungen sprachlos, wieder für sich schöne Jungfraun und rheinischen Wein, auch allezeit fröhlich und nimmermehr traurig zu sein, Geldes und Guts genug und niemand schuldig sein, jeden zu der Liebsten und sich zu der seinigen; zwischendurch gehen anregende Kehrzeilen: sag mir, hab' ich recht? hab' ich unrecht? (Volksl. Nr. 5. A). Ohne sich an eine Zahl zu binden, wünscht ein Spruchdichter des 14. Jahrhunderts das ganze Jahr hindurch für sich und für die ganze Welt; im buntesten Quodlibet wünscht er Geistlichen und Laien sittliche Besserung, den Bösen Unheil, den Liebenden Linderung ihres Wehs, dem jüngsten Gericht ein frohes Ende, dann wieder in einem Zuge, daß er den Streit zwischen Kaiser und Papst auszurichten hätte, daß die Reifen den Reben nicht schädlich sein möchten und daß eine gute, gerade Straße von Speicher bis Einsiedeln ginge, weil ihm die hohen Berge beschwerlich seien, auch vorher schon verkehrt er im Gebiete der unmöglichen Dinge:

»ich wollt', daß durch den Winter kalt
Vögel süngen, jung und alt,
und Viol'n, Rosen und der Klee
schön wüchsen durch den Schnee;
ich wollt' aller Meister Sang
(so wär' mir nit der Winter lang)
wohl verstehn und können;
ich wollt', daß die Brunnen
zu Merzen wären guter Wein,
so möcht' ich des (desto) gesunder sein.«

Doch gesteht er selbst, daß sein Wünschen nicht helfen möge, daß Wünschen eine Kurzweil sei und niemand dadurch gebessert werde. Als eine Kurzweil, ein Gesellschaftsspiel, wurde das Wünschen wirklich getrieben. Ein niederländisches Lied, auch aus dem 14. Jahrhundert, unter mehreren Erzählungen von Herren- und Frauenwünschen, führt in den Kreis einer solchen geselligen Unterhaltung: vier Herren sitzen in einem weiten Saale bei schönem Feuer und kürzen sich die Zeit, sie essen und trinken und wollen sich damit vergnügen, daß sie in die Wette wünschen, wie jeder am liebsten leben möchte, damit man daran merke, welcher das frommste (wackerste) Herz habe; diese vier Herren sind Helden des Nibelungenliedes, König Gunther, Gernot, Hagen und der milde Rüdeger; Gunther wünscht sich in einen stets maigrünen Wald, an einen klaren Fluß, um dort mit Rittern und Frauen zu jagen und zu fischen, sodann unter Gezelten zu schmausen und zu tanzen. Gernot möchte von Lande zu Lande Turnier und Ehren suchen, armen Rittern die Pfänder lösen und sie in sein Gefolge ziehen, von reichen Burgen zu reichen Städten fahren und die schönen Frauen sehen, die ihm lachend entgegenkämen; Rüdeger wünscht sich mitten unter Blütenbäumen, Blumen und Vogelfang einen Saal von Glas (das schon bekannte Kristallhaus), ausgeschmückt mit Geschichtbildern (van ymase?), daß es alle, die darein kämen, ein Himmelreich bedünkte, auch einen Stuhl von Elfenbein, so breit, daß er darauf mit den zwei allerschönsten Frauen sitzen könnte, vor sich ein Trinkgeschirr von feinem Golde voll goldener Pfennige, das auch, wieviel er herausnähme, stets voll bliebe, so daß er aller Welt genug geben und alle Bedürftige reich machen könnte; Hagen wollte, daß Scheming und Miming (des Helden Wittig Roß und Schwert) sein wären und er in einer guten Stadt mit den besten tausend Rittern und den tapfersten tausend Knechten läge, auch mit den schönsten tausend Frauen und den reinsten tausend Jungfrauen, die, wenn die Tore der Stadt aufgetan wären, an die Zinnen gingen und die Ritter streiten sähen, nach dem Kampfe wollt' er dann wieder zu den Frauen in den Saal gehn, ihren roten Mund küssen und sich die Wundmale von ihnen heilen lassen. Wenn in diesem Wunschliede das ritterlich höfische Gepräge vorschlägt, so fehlen doch nicht anderweitige Zeugnisse von einer allgemeineren Übung des Wunschspieles. Die deutschen Rätselbücher des 16. Jahrhunderts geben Anweisung zu listigem Verhalten, wenn man mit einem wünschen wolle, so daß, was jeder wünsche, dem andern halb gebühre, oder daß der Wunsch beiden nütze sei; und in Fischarts Verzeichnis der Spiele sind folgende genannt: »Wünsch', das beiden nutzt!« »was wünschest dir von deinem Buhlen?« »drei Wünsch' auf einem Stil.« Dieses letzte berührt sich wieder mit dem Volksgesang, in welchem die Erfüllung des Wunsches als eine aufblühende Blume gedacht ist: so in einem altniederländischen Liede: »Hätt' ich nun drei Wünsche, drei Wünsche also edel, so sollt' ich mir gehn wünschen drei Rosen auf einem Stil: die eine sollt' ich pflücken, die andre lassen stehn, die dritte sollt' ich schenken der Liebsten, die ich habe.« In einem deutschen: »Wollt' Gott, ich möcht' ihr wünschen zwo Rosen auf einem Zweig!« Soferne dann herkömmlicher Gegenstand des Wünschens und Ausdruck irdischer Glücksfälle der unversiegbare Hort ist, kommt auch den Volkssagen von verborgenen Schätzen die Wunderblume zu. Aufgang und kurzes Blühen einer seltenen Blume bezeichnen den kostbaren, leicht verabsäumten Augenblick, in welchem die Pforte des Glückes erschlossen ist: vom Schatze selbst, wie er sich zur Erlösung hebt und ungelöst von neuem in die Tiefe sinkt, gebrauchte man die Redensarten: Er blühe, werde zeitig, verblühe. Der Schäfer, am Berge weidend, erblickt die blaue Blume, die er noch nie gesehen, pflückt sie und steckt sie an seinen Hut, da findet er die Berghöhle mit ihren Reichtümern offen stehen, verliert aber beim Herausgehen die Blume, die fortan von den Bergleuten emsig gesucht wird, weil verborgene Schatze rucken; der Jäger wird von wunderlieblichem Dufte, den der Wind ihm zuweht, angezogen und geht in die Nacht hinein irre, bis er endlich in zauberhaftem Leuchten die Wunderblume sieht, unentschlossen bleibt er stille stehn, da verkündet der Seigerschlag aus der Ferne die Mitternachtstunde und die Blume verschwindet; nur alle hundert Jahre blüht sie in der zwölften Stunde der Johannisnacht und wer reines Herzens ist, kann sie dann pflücken und des Glückes, das sie gewährt, teilhaftig werden.

Den günstigen Wünschen gegenüber stehen die Verwünschungen in so festen Formen und geschlossenem Zusammenhang, daß dadurch auch jene noch besser aufgehellt werden. Das Wort des Übelwollenden, des Schwergekränkten, Zürnenden, war nicht weniger mächtig, als das aus gutem Willen, aus liebendem Herzen kam. Darum galt es für bedenklich, dem Unbekannten, dem Feinde, besonders dem todwunden Gegner, den Namen zu nennen und so dem üblen Wunsche preiszugeben. Sigurd verhehlt seinen Namen dem tödlich verwundeten Fafnir: »Darum, weil es im Altertum Glaube war, daß eines sterbenden Mannes Wort vieles vermöchte, wenn er seinen Feind mit Namen verwünschte (bölvadi).« So gab es denn auch Segen wider die böse Zunge, wider das Beschreien, denn eben diesem, sowie dem bösen Auge, gab man zum Teil die Übel schuld, gegen welche die Segenssprüche gerichtet sind; der gute Segen war an sich schon eine Abtreibung des schlimmen, aber auch eigens wurde gegen das feindliche Besprechen und Ansehen gebetet und gesegnet. Laut einer Gebetformel aus dem 12. Jahrhundert stiftete man Kerzen auf den Altar und sprach dazu: »Allmächtiger Gott! ich bitte dich durch dein heiliges Haupt und durch alle deine heiligen Werke und durch alle die heiligen Worte, die du den Menschen zu Gnaden je sprachest, empfahe diese Lichter und bind und bezwing heut an diesem Tage alle die Jungen, die meinen Schaden sprechen wollen, oder die mich heute ansehen sollen usw. und kehre ihr aller Zungen und ihre Wort' und ihren Willen an meine Freude und an meine Huld und an meine Minne!« usw. Unter weiteren Bitten sollte man sich über Herz und Hand mit dem Kreuze zeichnen. Kein Wunder, wenn man sich vor Fluchsprüchen segnete, wie sie von heidnischer Zeit her geharnischt anrücken. In nordischem Mythenliede wirbt Skirnir, Freys Diener, für seinen göttlichen Herrn um die schöne Riesentochter Gerdhr, als sie aber der Botschaft nicht stattgeben will, schlägt er sie mit einer Zauberrute, schneidet ihr schlimme Runen und spricht Verwünschungen über sie, welche zwar zunächst auf das besondre mythische Verhältnis sich beziehen, aber doch dabei ein allgemeineres Formelwesen durchklingen lassen: Zornig sei ihr Odin, zornig der Asenfürst (Thôr), Freyr soll sie hassen; Riesen und Götter sollen hören, wie er ihr verbiete und banne jeden Verkehr und Genuß des Lebens; wie eine Distel soll sie sein, die trauernd dahinwelkte. Alte Fluchformel ist es wohl auch, wenn Loki, der aus Ägirs Halle weichen muß, diesem zuruft: »Über all dein Eigentum, das hier innen ist, spiele die Flamme und brenne dich auf den Rücken!« In einem Heldenliede der Edda verwünscht Sigrun ihren Bruder, der ihr den Gemahl erstochen: »Dich sollen alle Eide schneiden, die du Helgi'n geschworen hattest bei Leipturs lichtem Wasser und bei dem urkalten Wellensteine! Das Schiff schreite nicht, das unter dir schreitet, ob auch Wunschwind dahinter wehe! Das Roß renne nicht, das unter dir rennt, ob auch vor deinen Feinden du fliehen müssest! Nicht schneide dir das Schwert, das du schwingest, außer es singe dir selber ums Haupt! dann wär' an dir gerächt Helgis Tod, wenn du wärest ein Wolf in Wäldern draußen, der Hab' entblößt und aller Freude, nicht Speise hättest, wo du nicht auf Leichen sprängst.« Saxo (zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts) gibt in lateinischen Versen eine Verwünschung, die über Hading, nachdem er ein wunderbares Tier erschlagen, von einem ihm begegnenden Weibe gesprochen wird: »Ob du Felder durchschreitest, ob auf dem Fluß die Segel spannest, wirst du der Götter Zorn erfahren ( infestos patiere deos) und über den ganzen Erdkreis die Elemente deinen Vorhaben feindlich sehen; auf dem Felde wirst du stürzen, auf dem Meer umhergeworfen werden, ein ewiger Wirbel wird deiner Irrfahrt Begleiter sein, das Unwetter ( rigor) wird niemals deine Segel verlassen; kein Dach wird dich decken, das du suchst wird vom Sturme zusammenstürzen, das Vieh wird hartem Frost erliegen; alles wird von der Ansteckung deiner unseligen Gegenwart leiden; wie den Aussatz wird man dich fliehen, wie die schrecklichste Seuche; solche Strafe wiegt die Macht des Himmels zu, denn einen der Himmlischen, in fremden Leib gehüllt, haben deine frevlerischen Hände getötet, Mörder einer Gottheit stehest du hier; wenn die See dich aufnimmt, wirst du die Wut der losgelassenen Stürme dulden müssen, Westwind, ungestümer Nord- und Südwind werden wettkämpfend dich peitschen, bis du durch frommes Gelübde die göttliche Strenge gelöst und durch Sühne die verdiente Strafe wirst aufgehoben haben.« Hading erfährt auch alles Angedrohte, seine Ankunft bringt jedes Ruhige in Aufruhr, seine Flotte wird vom Sturme verschlungen und das Haus, das er schiffbrüchig betreten will, stürzt plötzlich ein; erst durch ein Opfer, das er dem Frö (Freyr) darbringt, versöhnt er die Götter. In einer isländischen Saga, die übrigens zu den im 14. Jahrhundert erdichteten zu zählen ist, nötigt das alte Zauberweib Busla durch Verwünschungen den König Hring in Ostgothland, seinen Sohn Herraud und dessen Pflegbruder Bosi, die er zum Tode bestimmt hat, freizugeben. Der Sagenschreiber bemerkt, man habe dies hernach Buslas Gebet ( Buslu-bæn) genannt und dasselbe sei weitkundig geworden, doch seien darin manche Worte, die im Munde zu haben Christenleuten unnütz wäre; auch gibt er solches nur teilweise. Daraus folgendes: Felsen werden erschüttert, die Welt geängstigt, das Wetter verkehre sich, werde zum Grausen! so werd' ich an die Brust dir stoßen, daß Nattern dein Herz nagen, daß deine Ohren nimmer hören und deine Augen heraus sich kehren; wenn du segelst, breche das Takelwerk, wenn du steuerst, springen die Griffe, die Tücher bersten, das Segel löse sich und alle Taue reißen; wenn du reitest, wirren sich die Zügel, hinke dein Roß, erliegen die Säumer; im Bette sei dir wie in Strohfeuer, auf dem Hochsitz wie auf Meereswoge; Tröll' und Alfe und Zaubernornen, nachbarliche Bergriesen brennen deine Hallen. Die einzelnen Strophen dieser Verwünschung schließen fast durchaus mit dem bedingenden Satze: Außer wenn der König Verzeihung ergehen lasse; gerade wie auch in Saxos Formel am Schlusse noch die Sühnung offen gelassen ist. Wenn bei ihm der lateinische Redefluß, so hat noch mehr in der Saga ein absichtliches Steigern zur Erweiterung einer gemeinsamen, altnordischen Grundform geführt, wie sie in Sigruns Fluche noch einfach und gedrungen hervortritt. Bündig lautet auch in der Ragnarssaga Krakas Abschiedswunsch an ihre treulosen Pflegeeltern: daß ihnen je ein Tag schlimmer sei als der andre, aber der letzte der schlimmste.

Überraschend ist es, dieselben Ausdrücke der Verwünschung, die aus dem alten Norden beigebracht wurden, im romanischen Süden wiederzufinden. Der Troubadour Bertran von Born, aus Perigord, ein Zeitgenosse Saxos (er blühte 1180-1195), richtet an seine Dame, die ihn der Untreue beschuldigt, ein Sirventes, worin er, wenn er je eine andre lieben sollte, sich selbst alles erdenkliche Mißgeschick anwünscht: Auf den ersten Wurf mög' er seinen Sperber verlieren, auf seiner Faust sollen Wachtelgeier denselben töten, davonschleppen und vor seinen Augen rupfen; den Schild am Halse, müss' er im Sturme reiten, Helm oder Kappe verkehrt tragen, kurze Zügel führen, die man nicht verlängern könne, und lange Bügel, auf einem niedrigen Harttraber, und in der Herberge find' er einen ungehaltenen Wirt; auf dem Spielbrette will er stets die Unglückszahl werfen; der Wind soll ihm fehlen, wenn er auf dem Meere sei, am Königshofe sollen die Pförtner ihn schlagen, im Gefechte soll man ihn zuerst fliehen sehn; er will Herr einer geteilten Burg sein, im Turme seien ihrer vier Teilhaber, und keiner könne dem andern trauen, sondern stets müss' er Armbrustschützen, Ärzte, Wachen, Knechte und Bogner nötig haben u. a. m. Das Lied nimmt zwar scherzhafte Wendung, aber das Reiten im Sturme, die Hemmungen zu Roß und Schiffe, die Häufung solcher Übelwünsche, stimmen ganz zu den nordischen Formeln. In der ritterlichen Poesie eines dem normandisch-englischen Königshause lehnpflichtigen Landes ist ein germanischer Einfluß allerdings zu erklären. Doch darf bei diesem Formelwesen überhaupt nicht unbeachtet bleiben, daß die feierliche Verfluchung sowohl alttestamentlich, als im römischen Altertum vorhanden war, wie sie denn auch aus dem priesterlichen Gebrauche schon in die klassische Dichtkunst entschieden formelhaft übergegangen ist.

In gangbaren Redeformen wird dem Tage, der Stunde geflucht, da etwas Unseliges geschehen oder geworden, dem Wege, der Unwillkommenes bringt, den Bäumen, darunter ein Unheil ergangen; im Rosengartenliede verflucht Ortwin, dem sein Bruder getötet worden, den Anger, der die Rosen trug. Aber auch diese mehr figürliche Verwünschung, bei welcher an sich unpersönliche Wesen nicht bloß Mittel, sondern Gegenstand des Fluches sind, sammelt sich zu volleren Sprüchen, ergreift die ganze Natur. Nach einer spanischen Romanze reitet Don Gayferos ganz allein durch die Gebirge des Maurenlandes und verwünscht lautzürnend seine Einsamkeit: er flucht dem Wein und dem Brote, dem Brote, das die Mauren essen, und nicht dem der Christenheit, der Mutter, die nur einen Sohn gebiert, so daß er, wenn ihn Feinde töten, keinen Rächer hat, dem Ritter, der ohne Knappen reitet und, wenn ein Sporn ihm entfällt, niemand hat, der ihm solchen anschnalle, dem Baume, der einsam auf dem Felde wächst, an dem alle Vögel der Welt rütteln und den trauernden weder Blatt noch Zweig genießen lassen. Ein dänisches Lied läßt den König Waldemar II. der Gegend, wo sein ältester Sohn von dem unvorsichtigen Pfeilschuß eines Dieners auf der Jagd gefallen war (1231), also fluchen: »Fortan soll Revsnäs der Wind treffen, daß sich dort nicht Reh noch Hindin bergen kann; wo Revsnäs vordem tausend Bäume hatte, soll heftiger Frost es versengen; auf Revsnäs, wo vordem Eichen und Buchen standen, soll fortan schlechter Hundslauch wachsen; für die Lust, die man vorhin auf Revsnäs sah, soll fortan kaum ein Dorn gefunden werden!« Der Sage nach stand vormals dichter Wald, wo jetzt nackte Sandbänke sind.

Hingen die altnordischen Verwünschungen von einer Seite mit dem Zauberwesen zusammen, so standen sie nach andrer mit alten Rechtsformeln in Beziehung. Wenn dem Eidbrüchigen geflucht wird, das Schiff solle nicht unter ihm schreiten, das Roß nicht unter ihm rennen, das Schwert ihm nicht schneiden, so hat er dieses selbst schon auf sich geladen, denn auch nach einem Eddaliede geschahen Eide bei Schiffes Borde, Schildes Rande, Rosses Bug und Schwertes Schneide, an eben diesen Gegenständen sollte nun Vergeltung erfolgen; wenn ihm zur Rache gewünscht wird, daß er ein Wolf im Walde sei, so besagten ja die Sicherungsformeln zum voraus: Der Friedbrecher soll gejagter Wolf sein, soweit Menschen Wölfe jagen, auch soweit Schiff schreite, Schilde blinken. Auch deutsche Verfemungsformeln sind nichts andres als Verwünschungen, von einer richterlichen Gewalt ausgehend, die ihnen äußerlich Kraft geben kann, während die Flüche Einzelner die verzehrende Macht des Zaubers zu Hilfe nehmen; in einer solchen Femformel heißt es: »So verfeme und verführe ich ihn hier von königlicher Macht und Gewalt wegen usw. und weise ihn forthin von den vier Elementen, die Gott dem Menschen zu Trost gegeben und gemacht hat usw. und ich vermaledeie hier sein Fleisch und sein Blut, auf daß es nimmer zur Erde bestattet werde, der Wind ihn verwehe, die Krähen, Raben und Tiere in der Luft ihn verführen und verzehren« usw. Letzteres lautet in Vcrbannungsformeln: »Und künde dich den Vögeln frei in den Lüften und den Tieren in dem Wald und den Fischen in dem Wasser.«

Bei den Liederdichtern des deutschen Mittelalters finden sich mancherlei Anlaute formelhafter Verwünschung. Wurden ehrenwerte und milde Herren mit Heilwünschen begrüßt, so wurden unwürdige und karge mit Flüchen beworfen. Meister Rumeland bedenkt einen »lottern« (nichtswürdigen) Ritter so: »Daß dein Weib Gott von dir löse! Fische, Vögel, Würme, Tiere, mit den Leuten, erstürmen deiner Freuden Burg! was ich in allen Landen Günstiges kenne (waz ich kan gediuten gnâde usw.?), soll dir gehaß sein! dich meide Gruß von allen guten Frauen! dein Same und deine Saat verdorre, wie dem Berge Gelbon aller Thau versagt ist, der Fluch müsse dir anhaften! Unheil begegne dir, wohin du dich wendest! Schwefel, Pech, Feuer, regne auf dich! Gott soll meinen Unwillen (anden) an dir noch besser ›rächen‹!« Der Unverzagte eifert gegen solche, die (um nicht geben zu müssen) sich ärmer stellen, als sie sind: »Eines fremden Mannes Kleid mög' ihre Hand auf ihres Weibes Bette finden, so sind sie doch kleiderreich und entehrt.« Im Minnesang sind es hauptsächlich die Merker, die Aufpasser und Angeber verstohlener Minne, denen Unheil gewünscht wird. Heinrich von Beldeke sagt: »In den Zeiten, da die Rosen erzeigten manches schöne Blatt, so flucht man den Freudelosen, die Rüger sind an mancher Statt«; derselbe wünscht dem, der ihm an seiner Frau schade, das Reis, daran die Diebe ihr Ende nehmen, dem Schonenden aber das Paradies; den Neidigen soll der Neid das Herz entzweischneiden. Andre wünschen dem Freudenstörer: Daß er zu einem Steine werde, daß er von Weib und Kind auf das Meer versegeln müsse, oder daß er in der See ertrinke; Rosen und aller Vöglein Sang sollen ihn meiden. Vollständig aber sammelt und formelt sich noch einmal die Verwünschung in zwei Spruchgedichten aus dem 14. Jahrhundert. Das eine berichtet, wie in einer Gesellschaft minniglicher Frauen beschlossen wird, den treulosen Männern zu fluchen, was sofort auf die Weise geschieht, daß zuerst diejenige, die es vorgeschlagen, ihre besten Flüche spricht und hernach alle miteinander einstimmen. Da wird nun dem Unstäten angewünscht: Daß, wenn seine Gesellen um Leib und Leben fechten wollen und er sie in Not sehe, doch seine Zagheit ihn schmählich zurückzubleiben zwinge; daß man auf großen Reisen (Ritterzügen) ihn für den untüchtigsten halte, daß ihm Roß und Pferd (Streitroß und Reisepferd) abstehe, wo sonst niemand einen Riemen verliere; daß ihm sein steinhartes Waffenzeug weich, seine Schwertklinge wie Wachs werde, das man knetet, daß seine Harnischringe von ihm faulen und abfallen, daß ihm seines Rosses Gurt in rechter Not aufgehe und er, wenn er einem jämmerlichen Tod entfliehen sollte, in einen Graben falle; daß ihm auf weiter Heide sein Roß rehe (steif) werde, wenn er am allergernsten sähe, daß es ihn aus Nöten trüge; daß er im Feldstreit von seinem Herrn fliehe, dem er geschworen, und so lange verloren sei, bis man ihn bei der Heerschau nach dem Streit in einem Krautgarten liegend finde; daß ihm beim Turnier vor minniglichen Frauen der Rücken zerbläut und die Schlechtesten über ihn Meister werden; daß er beim Ringstechen im Zeug sitze, als hätt' ihn das Schneewasser herbeigeführt, und, mit eines Speerkrönleins Spitze berührt, aus dem Sattel gestochen werde; daß ihm seine Winde- und Vogelhunde erwüten; daß ihm nie ein Jagdhund etwas auftreibe und alle plötzlich schweigen; daß ihm beim Jagen sein Waldhorn nicht schalle, daß es seinen Hall verliere und dumpf werde; daß ihm kein Federspiel gut bleibe und auf der Beize die Krähen und andre Vogel es ihm vertreiben, daß es die Flügel abbreche; daß Heil ihn verlasse bei allen seinen Geschäften, daß er an Leib und Gut verderbe; daß man seinem Eid und seinen Treuen nicht glaube, wo er sie einsetzen will; daß vor ihm allen reinen Frauen graue, daß ihn die Leute vertreiben, bei denen er angesessen sei. Ein Gegenstück zu diesem Spruche bildet nun ein andrer, worin der Dichter selbst, wie er die reinen Frauen höchlich preist, so auch den ungetreuen alles Unheil wünscht: Ihr Lieb kehre sich zu Leide; von ihnen scheide sich jedes werten Mannes Gunst; dem fälsche sich seine Kunst, der lobend von ihnen dichte; ihr Goldgespäng verkehre sich in Blei; ihre Schapel (Kopfbinden) lassen alles Gestein ausfallen; keine Saite tön' ihnen zum Tanze; die Blumen sinken und schrumpfen aus ihrem Kranze; ihre Spiegel betrügen sie, daß ihre Schönheit ihnen unschön erscheine; ihr gelbes Lockenhaar falle von ihren Scheiteln; ihre schattenbreiten Pfauenhüte (Hüte aus Pfauenfedern) schirmen nicht vor der Sonne; die kühlen Brunnen versiegen ihnen im Maien, wenn sie dann reigen wollen, müssen die Rasen falben und die Blumen trübe werden; wohin sie eilen, müssen die Linden ihr Laub fallen lassen; jeglicher Vogel tue, wie ihm nun geboten wird, daß er sich Schweigens befleiße, wo er ihrer eine hören könnte; ihre feinen Perlenöhre verwachsen; dem schmucken Wagen brechen die Achsen, der sie zu Freude tragen solle; zu Helblingen müssen ihre Pfunde unnützlich gedeihen; Heil verlasse sie in allem ihrem Geschäfte; ihr Kräutersamen verderbe in ihrem Wurzgarten; ihre zarten Bräcklein werden wütend auf ihrem Schoß; ihr Gestein verliere seine Kraft und ob eine sich stoße, daß ihr das Auge schwäre, sei ihr der Stein nicht heilkräftig; ihr Sechs verwandle sich in Drei auf ihrem Würfelspiel! – In beiden Sprüchen geschieht die Verwünschung nicht minder gründlich, als in den altnordischen Formeln; Unheil wird im ganzen und im einzelnen angewünscht; das Leben des Mannes und der Frau wird in allen Verhältnissen erfaßt; jedes Glück soll getroffen, alle Ehre zerknickt, alle Lust vergällt, jeder Weg zum Heile vertreten werden; ein vollständiges Bild des unseligen Lebens wird aufgestellt. Der Spruchdichter hat dieses mit den Farben und Zügen seiner Zeit ausgemalt, besonders in dem Fluche wider die Frauen ist er selbsttätig, aber die Form ist überliefert und auch die Einzelheiten knüpfen nach vielen Seiten an älteres an. Das versagende Roß erscheint hier, wie überall; das weichwerdende Schwert und Rüstzeug stimmt mit dem nichtschneidenden Schwerte des Eddaliedes sowie mit der Waffenstumpfung des altnordischen Zaubersangs und der deutschen Sagen, die Flucht aus dem Streite, das Preisgeben der Heergesellen und des Herrn mit einer Stelle bei Bertran von Born und gemahnt auch an das Traugmundslied; das Verstummen der Leithunde und das Verdumpfen des Jagdhorns erläutert als Gegensatz den guten Wunsch Walthers, daß seinem Gönner des Hundes Lauf und des Hornes Laut recht nach Ehren erhalle; das Verkommen des Federspiels, die Gefährdung desselben durch anderes Geflügel gemeinsam mit Bertrans Sirventes; das Versiegen der Brunnen im Mai, das Welken der Blumen im Kranz und auf dem Felde, des Grases und des Laubes, der verbotene Vogelfang, das Verderben der Gartensamen, im Spruche wider die Frauen, weisen auf entsprechendes in den Minneliedern und auf das Fluchlied Rumelands mit dem ausbleibenden Tau und der verdorrenden Aussaat; das Mißgeschick im Würfelspiele wieder auf eine Strophe des Troubadours. Selbst das Verfahren der Frauen, erst einzeln und dann im Chore zu fluchen, hat den Anschein einer herkömmlichen, dem Gerichtswesen verwandten Förmlichkeit. Aus dem Minnesang insbesondere klingt neben den Flüchen gegen die Merker ein Lied des Herzogs Heinrich von Breslau (1270-90) hier an, das in mehrerem mit dem Spruche wider die unstäten Frauen zusammentrifft und, zwar nur allegorisch, auch eine gleichartige Verhandlung darstellt. Der Sänger klagt dem Mai, der Sommerwonne, der lichten Heide, dem glänzenden Klee, dem grünen Walde, der Sonne, der Göttin Venus selbst, die Strenge der Geliebten und verlangt Hilfe; da will der Mai seinen Blumen, den Rosen und Lilien, gebieten, daß sie vor ihr sich zuschließen, die Sommerwonne will der kleinen Vöglein süßen Fleiß gegen ihn verstummen lassen, die Heide will sie fahen, wenn sie nach lichten Blumen eilt, und ihm festhalten, der Klee will ihr in die Augen leuchten, daß sie schielen muß, der grüne Wald will sein Laub abbrechen, sie gebe denn dem Sänger holden Gruß, die Sonne will ihr Herz durchhitzen, daß kein Schattenhut ihr helfe, Venus will ihr alles verleiden, was minniglich geschaffen ist, sie lasse denn ihm Huld ergehen: »O weh!« ruft er da, »ihr zarter Leib der könnt' es nicht erleiden, laßt mich eh' sterben, sie genesen!« Wieder auf andre Weise werden Vogelsang und Schattenhut, worunter im Minnesange meist noch ein Blumenkranz verstanden ist, in zwei Liedern Walthers von Metze (um 1245) beim Übelwünschen beteiligt. In dem einen beklagt der Dichter, daß mancher Blumen trage, der nicht Laubes wert wäre; manchem Schwachgemuten mißgönnt er die Blumen und den Sang der Vögelein: sollt' er wünschen, so wollt' er den Vöglein wünschen, daß sie unter sich einig wären, die Leute besser zu scheiden und ihnen so zu singen, wie es um ihr Herz stehe, so daß jeder selbst seinen Wert erkennen müßte: wen die Nachtigall mit Sange grüßte, der dürfte sich des freuen, wem der Kuckuck und ein Distelfinklein sängen, den erkennte man daran als einen Tugendlosen. Das zweite Lied besagt: Hätten die Blumen soviel Gewalt, daß sie Männern und Frauen ständen, wie ihr Herz bestellt ist, so möcht ein Weib den Sinn der Männer und der Mann den der Weiber erkennen: welches dann nicht wandellos wäre, das trüg' einen krummen »Blumenhut«; leider haben die Blnmen nicht diese Kraft; sie kann brechen, wer sie will, und es ist manche Kranzfahrt, wo man bei dem Kranz Unsitte sieht.

Viele Sagen und Lieder nehmen zum Ziele des Wunsches die Verwandlung. Werden durch solches Wünschen andre verwandelt, meist in Tiergestalt, so ist dies ein böser Zauber, eine Verwünschung. Das unselige Vermögen, sich oder andre in die Gestalt und wilde Natur des Wolfes, zum Werwolfe, zu verzaubern, findet man im Aberglauben vieler Völker, auch der germanischen. Aber auch das läßt sich nachweisen, daß in den Dichtungen der letztern die Verwandlungen nur bildliche sind und der Aberglaube, wenn er nicht selbst wieder im Mißverstehen und der Verdumpfung des poetischen Bildes seinen Ursprung hat, doch eigentlich nur zum Ausdruck eines über ihm stehenden Sinnes verwendet wird. Die Tiergestalt dient zur Bezeichnung mannigfacher Eigenschaften und Zustände des Menschen. Im alten Norden hatte jeder Mensch eine Abspiegelung seiner Gemütsart und Persönlichkeit in einer Fylgia (Mitfolge, Begleitung), die besonders Träumenden, häufig in Tiergestalt, ihre Nähe ankündigte und ihm selbst auch seine Zukunft vorbildete; Fylgien der Männer erschienen als Adler, Bär, Wolf, weibliche am liebsten als Schwäne. Ein äußerer Zustand, die Acht, wird durch ein mehrerwähntes Bild aus der Tierwelt, den friedlosen Wolf, dargestellt und man kann den Übergang der alten Rechtssprache in die wunderbare Verwandlungssage Schritt für Schritt verfolgen. Der Landesverwiesene, zum Waldgang und damit zum Raubleben Gezwungene, hieß Wolf (vargr), angelsächsisch Wolfshaupt, das nordischchristliche Sonnenlied sagt von zwei solchen Männern: »Nackt wurden sie, gänzlich beraubt (naemir?) und liefen wie Wölfe zum Walde«; nach der alten Sühnformel soll der Friedensbrecher: »So weit wolfflüchtig und wolfgejagt sein, als irgend Männer Wölfe jagen«; Sigrun glaubt denn auch für den Tod des Gemahls an ihrem eidbrüchigen Bruder nur dann Rache zu finden, wenn dieser ein Wolf wäre draußen in Wäldern, des Guts entblößt und aller Lust, nicht Speise hätte, wo er nicht auf Leichen spränge (ebend.), und nun erzählt die Sage von den Völsungcn, wie Sigmund und sein Sohn Sinfiötli landflüchtig als Räuber im Walde leben und, was bildlich dasselbe, in Wolfshaut den Wald durchlaufen, Wolfsgeheul oder, wie es im Eddaliede heißt, Wolfslieder anstimmen und Menschen zerreißen. An diese altnordische Vorstellung erinnern noch die normannischen Volkssagen von Robert dem Teufel, der, seiner Frevel wegen geächtet und gebannt, mit einer Schar von Raubgesellen aus einem festen Haus im Walde sein Wesen trieb; das Schloß Roberts, ein wildüberwachsenes Burggetrümmer am Ufer der Seine, umschweift der einstige Inhaber in Gestalt eines von Alter gebleichten Wolfes mit kläglichem Geheul, auch gibt es eine Meute gespenstischer Wölfe (lubins), die zur Nachtzeit scheu umhergehn und im Verschwinden schreien: »Robert ist tot!«

Reich an Verwandlungen sind die schwedisch-dänischen Märchenlieder, besonders erzählen sie, mannigfach wechselnd, wie ein Mädchen, von der boshaften Stiefmutter verwünscht, als schmucke Hindin im Walde geht und durch den Liebsten erjagt und erlöst oder bald von ihm, bald altertümlicher von ihrem Bruder, totgeschossen und nun erst unter der abgestreiften Hülle mit ihren Goldlocken und Goldringen erkannt wird. Die Volksdichtung beschäftigt sich viel mit dem Schicksal verlassener, insbesondre durch stiefmütterlichen Haß in das Elend vertriebener Jungfrauen oder Kinder und es wird davon im Verfolge noch ausführlich' zu handeln sein. Die Darstellungsweise, welche den landräumigen Friedebrecher zum Wolfe geschaffen, bildete schicklich weiter, wenn sie einer ausgewiesenen Stieftochter, auch einem gejagten Wilde, die Gestalt der scheuen Hindin gab; im deutschen Hausmärchen wird, unter gleichen Umständen, das Brüderchen als Rehkälbchen von der kleinen Schwester am Bande durch den Wald geführt. Der gegensätzliche Zusammenhang erweist sich vollständig damit, daß, während die Stieftochter als Hindin gejagt wird, der kräftigere Stiefsohn auch zum Wolfe verwandelt ist und sich nachmals durch das Blut der bösen Zauberin oder ihres Schoßkindes gräßlich selbst befreit. Auch zum Waldvogel wird die Jungfrau von der Stiefmutter verwünscht oder sie fliegt erst als solcher auf, wenn sie als Hindin von den Jagdhunden zu sehr bedrängt ist; die Entzauberung geschieht dadurch, daß der Jäger ein Stück aus seiner Brust schneidet und dem wilden Vogel zur Lockspeise reicht, dann steht die schöne Braut vor ihm unter der Linde, deren Laub zum Hochzeitbette gebrochen wird. Anderwärts muß der Stiefsohn als wilder Walrabe umfliegen und erhält durch ein ähnliches Opfer seine rechte Gestalt zurück. Rascher Entschluß, furchtloses Standhalten und Zugreifen, hebt den Zauber des bösen, verwünschenden Wortes. In deutscher Rechtssprache heißt ein Heimatloser Wildflügel und im Märchen wird ein im Walde gefundenes Kind Fundenvogel genannt. Deutsches mit Nordischem verbunden gibt die Ballade von der Nachtigall, die, auch eine verwünschte Jungfrau, um Mitternacht auf der Linde singt und hier von dem Ritter ergriffen wird, in dem sie ihren Bruder findet, der selbst zum Wolfe verzaubert war. Zur Linde selbst auch, die abwärts im Wald oder auf dem Felde steht, ist die Stieftochter umgeschaffen; einem Mädchen, das dahin gekommen, klagt sie ihre Not, wie sie draußen friere und der Zimmermann nach ihr umschaue, während das Mädchen daheim sich wärme und die Freier um es werben; ihr Bräutigam erlöst sie, indem er die Linde küßt und in die Arme nimmt, oder indem er ihr schönstes Blatt abbricht. Die gescheuchte Hindin, der fliehende Vogel zeigen in milderem Bilde das Umherirren der scheuen Waise, die säuselnde Linde, die nächtlich singende Nachtigall erheben den sanften Klagelaut, den Einsamkeit und Stille aus der Brust der Verlassenen hervorlocken. Die geistigste solcher Wandlungen ist es, wenn in einem deutschen Volkslied ein verführtes, beschämtes Mädchen selbst sich weit hinweg von den Seinigen, in reine Lichtgestalt geborgen wünscht:

»Wollt' Gott, ich wär' ein weißer Schwan!
ich wollt mich schwingen über Berg und tiefe Thal,
wohl über die wilde See,
so wüßt' mein Vater und Mutter nicht,
wo ich hin kommen wär.«

Bedeckt mit einer fremden Gestalt, als flüchtiges Wild, als entfliegender Vogel ausgetrieben, ist der verwandelte Mensch den Blicken der andern entronnen, aus ihrem Kreise verschwunden und verloren. Die Verwünschung verstärkt sich aber dadurch, daß dem Vertriebenen auf seine Flucht noch eine todfeindliche Verfolgung nachgeschickt wird. Auch hierzu läßt es die Tierwelt nicht an Bildern fehlen. Eine alte Fabel erzählt: Gott habe den ersten Eltern nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies eine Wünschelrute verliehen, mit welcher sie nur in das Meer schlagen sollten, sobald sie etwas nötig haben würden; Adam schlägt mit der Rute und ein Schaf steigt aus der Flut, Eva schlägt und ein Wolf erscheint, der das Schaf ergreift, Adam schlägt wieder und ein Hund geht hervor, der den Wolf verfolgt; so oft Adam schlägt, zeigen sich zahme, auf jeden Schlag Evas aber wilde Tiere. Diesen Evaschlag führt nun auch die verwünschende Stiefmutter: indem sie das arme Kind zur kleinen Hindin umschafft, läßt sie zugleich dessen sieben Gespielen zu Wölfen werden, die es zerreißen sollen, aber ihr zum Verdrusse nicht anlaufen. Auch die Verwandlung des Stiefsohns in einen Werwolf ist mit derjenigen seiner Schwester in eine Hindin zusammengehörig zu denken, diese soll durch jenen verfolgt und erwürgt werden. In einer beliebten schottischen Ballade jammert und wünscht ein verstoßenes Weib: »Wären meine sieben Söhne sieben junge Ratten, an der Schloßmauer laufend, und war' ich selbst eine graue Katze, gleich wollt' ich sie alle zerreißen; wären meine sieben Söhne sieben junge Hasen, über jene Wiese laufend, und wär' ich selbst ein Windspiel, bald sollten sie alle zerrissen sein.« Das Verschwinden durch Umwandlung kann aber auch, als ein selbstgewünschtes oder andern zum Heile bewirktes, die rettende, listig behende Flucht ausdrücken, und wenn alsdann Verfolgung stattfindet, so fährt der Flüchtling oft proteusartig von einer Gestalt in die andre. Odin kriecht als Schlange in Suttungs Höhle, um den Dichtermet zu rauben, und fliegt als Adler hinweg, von dem Beraubten in gleicher Hülle verfolgt; in Gestalt eines Falken entfliegt er, als König Heidrek, im Rätselkampf überwunden, mit dem Schwerte nach ihm haut; auch in Falkengefieder holt Loki die geraubte Idun zurück, die er in eine Nuß, nach andrer Lesart in eine Schwalbe, verwandelt hat, und der Riese Thiassi fliegt ihm in Adlerhaut nach. Die Formen der Verwandlung haben an letzter Stelle je ihren besondern Anlaß im Naturmythus, unbeschadet jedoch der allgemeineren Bedeutung des Vogelfluges, wonach er die Eile des Entweichens und der Nachfolge verbildlicht. In einem der dänischen Heldenlieder ergreift Hvitting die alte Königsmutter, die ihm sein gutes Schwert in Stücke gezaubert hat, sie verwandelt sich in Kranichsgestalt und fliegt hoch in die Wolken, da eilt auch er in Federhaut ihr nach, sie fliegen drei Tage lang ohne Rast, bis er sie erhascht und zerreißt. Zwei fliehende Kinder in deutschem Märchen blenden ihre Verfolger durch mehrfache Verwandlung: erst wird der Knabe zum Rosenstöckchen und das Mädchen zum Röschen darauf, dann er zu einer Kirche und sie zur Krone (?) darin, zuletzt er zum Teiche, sie die Ente darauf. Polnische Volksmärchen ergeben, neben andrem Gestaltwechsel, einen Briefboten, der sich in einen Hasen, das schon bekannte Muster der Boteneile, dann in ein Reh und, um über das Wasser zu kommen, in eine Krähe wandelt; ferner einen Zauberlehrling, der als Sperling seinem Meister entflieht und von einer schwarzen Krähe, dem verwandelten Zauberer, verfolgt wird, ebenso als Zaunkönig von einem Sperling, worauf er als ein schöner Ring an die Hand der lustwandelnden Königstochter springt; aus dem Ringe, nachdem er zur Erde geworfen ist, entsteht eine große Menge Erbsen, der Hexenmeister läßt einen Schwarm Tauben herbeifliegen, welche die Erbsen auffressen, nur ein Körnchen schiebt sich in die Hand der Schönen und aus ihm fällt wieder eine Menge kleiner, schwarzer Mohnkörner, nun werden Sperlinge versammelt, um den Mohn aufzupicken, und der Zauberer selbst ist unter ihnen, wird aber von der Krähe, wozu sich der Lehrling macht, sogleich totgebissen. Noch mannigfachern Übergang hat ein schottisches Volkslied: Das Mädchen steht in der Tür und vor ihr, als Bewerber, der Hufschmied, den Hammer in der Hand; sie hebt ihre Hand auf und schwört bei der Erde ( mold), nicht um eine Kiste voll Goldes wolle sie eines rußigen Schmiedes Weib sein; auch er hebt die Hand auf und schwört bei der Scholle (masa?), um halb soviel oder weniger soll sie seine Liebste werden; da wird sie eine Turteltaube und will in die Luft auffliegen, er aber wird eine andre Taube und sie fliegen als ein Paar; drauf wird sie eine Ente und will im Teiche plätschern, er aber wird ein rotkammiger Entrich; sie wird zu einem Hasen und er zu einem Windspiel; sie zu einem muntern Schimmel und er zu einem vergoldeten Sattel; sie wird ein Schiff und will über die Flut segeln, er ein Steuer (nail) und bringt es zum Stillstand; sie ein seidenes Bettuch und er eine grüne Überdecke; dazwischen ruft der Singchor mit dem Schmiede fortwährend der Fliehenden zu, daß sie weile, und freut sich, daß ihr Hochmut bezwungen wird. So hat sich abermals die altertümlich ernste Formel zum geselligen Scherze verflüchtigt; auch im Verzeichnis der Spiele bei Fischart heißt eines; »Du der Has', ich der Wind (das Windspiel).«

Ein Skolion bei Athenäus lautet; »Wär' ich doch nur eine schöne Leier, künstlich aus Elfenbein, trügen mich dann die schönsten Knaben zu Dionysos festlichem Tanz! Wär' ich doch nur ein schöner Dreifuß, zierlich von Gold gemacht, trüge mich dann die schönste Frau reinen Gemütes in ihrer Hand!« Diese poetische Weise, sich unter allerlei Verwandlungen in die Nahe und den eigensten Dienst geliebter Personen zu wünschen, ist auch in unsrem Liederkreise schwunghaft. Selbst die böswilligen Verwünschungen der Stiefmutter im dänischen Volksliede werden durch solche Näherung zum innigen Behagen der Verwandelten; zum scharfen Schwerte geschaffen, hängt sie bei Tag an des Ritters Seite, liegt bei Nacht unter seinem Haupte; zur Schere geworden, ist sie tags in einer Jungfrau Hand und schneidet den weißen Lein, nachts schläft sie in der Jungfrau Kammer, in ihrem vergoldeten Schrein; der letzte Zauber, zur Hindin oder zum Wildvogel, führt sie in den Arm ihres Liebsten. Darum kann auch in einem andern schwedisch-dänischen Liede das Mädchen selbst sich und den Geliebten in solche Verwandlungen wünschen, nur daß sie dafür kein Entgegenkommen findet; aus den verschiedenen Aufzeichnungen des Liedes hier eine Auswahl von Wünschen und ausweichenden Antworten. »Du solltest der schönste Ritter sein, der sitzen könnt' am Tische, und ich wollt' ein Becher von Golde sein und stehen vor dem Ritter. – Es ist so übel, ein Becher zu sein und vor dem Ritter zu stehen, da kommt so mancher trunkne Tor und wirft den Becher zur Erde. – Da solltest du sein der schönste Ritter, der je ein Roß könnte reiten, ich wollte sein ein Schwert von Gold und hängen an seiner Seite. – Es ist so übel, ein Schwert zu sein und hängen an Ritters Seite, da kommt so mancher trunkne Tor und will mit dem Ritter streiten. – Ich wünsche, du wärest der schönste Teich, der schweben könnt' auf dem Sande, ich wollt' ein kleines Entchen sein und schwämm' auf dem blanken Wasser. – Es ist so übel, ein Entchen zu sein, zu schwimmen auf blankem Wasser, da kommen die Schützen, sie schießen dich, so schwimmst du tot zum Lande. – Da solltest du sein die schönste Linde, die stehen könnt' auf der Erde, ich wollt' ein kleiner Grashalm sein und wüchs' an der Linde Wurzel. – Es ist so übel, ein Gras zu sein und an der Wurzel zu wachsen, der Ochse fährt so früh heraus und tritt es unter den Fuß. – Ich wünsche, du wärest ein Apfelbaum, der schönste wohl auf dem Felde, und daß ich ein goldner Apfel wär' und hing an des Baumes Aste. – Es ist nicht gut ein Apfel zu sein, zu hängen an Baumes Aste, da kommt der Hirte mit seinem Stab und schlägt dich herab auf den Boden. – Da solltest du sein der schönste Baum, der stehen könnt' auf der Heide, so wollt' ich eine Nachtigall sein, und bauen darin mein Nestchen. – Es ist so übel, die Nachtigall sein und bauen im Baum ein Nestchen, da horcht so mancher auf ihren Sang und jagt sie von ihrem Sitze. – Ich wünsche, du möchtest ein Vogel sein, der schönste, der wär' in der Welt, und daß ich wär' eine goldne Feder und säß' in des Vogels Brust. – Das wäre nicht gut, Goldfeder zu sein, in des Vogels Brust zu sitzen, es käme der kalte Winterwind und wehte dich nieder vom Zweige.« Ungetrübter und nur leise an die Verfolgungen streifend, ergeht dieses Wünschen in einem schottischen Lied: »O wär' mein Lieb die rote Rose, die auf der Burgmauer wächst, und ich selbst ein Tropfen Tau, herab auf die rote Rose wollt' ich fallen: o wär' mein Lieb ein Weizenkorn, erwachsen auf dem Feld ( lily lee), und ich selbst ein winzig Vögelein, mit dem Weizenkorne flög' ich weg; o wär' mein Lieb eine Kiste von Gold und ich der Schlüsselhüter, ich öffnete, wann ich hätte Lust, und in der Kiste wollt' ich sein.« Den frühzeitigen Gebrauch dieser Wunschweise im deutschen Volksgesange bekundet die schon kunstmäßige und sehr ergiebige Ausbeutung derselben in einem der Nithartslieder des 13. Jahrhunderts. Dem Sänger ist eben ein Blick aus zwei spielenden Augen geworden, aber schon wirft die Schöne den dichten Schleier über ihre lichten Wangen, das gibt ihm Anlaß zu einer Reihe verliebter Wünsche: »O weh! daß ich nicht ein seiden Risel (Kopftuch) bin, das die Wänglein decken sollte bei so rotem Munde! wenn dann der Wind ein wenig gegen uns wehte, daß sie mich näher hin zu rücken bäte! wär' ich doch der Gürtel, der sie umfing, da sie am Tanze ging! wär' ich der Gern (Streifen), da die Spange liegt, was wollt' ich mehr? wär' ich ein Deckelaken von Hermelin oder ein Mantel von Baldekin (Seidenzeug), den eine Frau gerne trägt, wenn Ritter sie schauen, so würde man mich schön bewahren und unterweilen nahe zu ihr falten! wie gerne wär' ich ein Vogel, der unter ihrem Schleier säße und aus ihrer Hand äße! ein Zeislein möcht' ich sein, so trüge sie mich allzeit, und so wäre mir Trinken aus ihrem roten Munde bereit, durch die Röte säh' ich ihre kleinen weißen Zähne, und vor Freude biß ich sie in ihr Zünglein«; sofort folgen noch minder zarte Wünsche für den ländlichen Nebenbuhler des Dichters: »Engelmar! Du solltest ein großer Esel sein, daß du unmäßige Säcke zur Mühle trügest; sollt' ich dich treiben, so wäre das meine Freude, daß ich dir den Rücken mit Knütteln wohl zerschlüge, die tiefen Wege bergauf, da müßtest du dein Zippelzehen (Zehentrippeln) über den Anger lassen! sollt' ich wünschen, so wärest du ein breiter Fladen, den die Dörper mit den Zähnen zerrissen.« Der Dichter eines Meistergesangs, etwa vom Schlusse des 15. Jahrhunderts, wünscht sich, ein Spiegelglas zu sein, damit die allerschönste Frau täglich ihr goldfarbes Haar vor ihm ausschmücke; ein goldenes Ringlein, das sie in ihren Händen wüsche; ein braunes Eichhorn, das auf ihren Schoß spränge und in ihren Arm geschlossen würde. Aber auch in den Volksliedern selbst sind Proben solcher Wünsche aufbehalten. Eines, auf Flugblättern des 16. Jahrhunderts, hebt an:

»Wär' ich ein wilder Falke,
so wollt' ich mich schwingen aus,
ich wollt' mich niederlassen
für eins reichen Burgers Haus.

Darinnen ist ein Mägdlein,
Madlena ist sie genannt usw.«

Ein anderes, das in verschiedener Form aufbehalten ist, ruft zum neuen Jahr alle Narren herbei, um in ihrem Geleite närrische Wünsche zu tun:

»Wollt' Gott, ich wär' ein kleins Vögelein,
ein kleins Waldvögelein!
gar lieblich wollt' ich mich schwingen
der Lieben zum Fenster ein.

Wollt' Gott, ich wär' ein kleins Hechtelein,
ein kleins Hechtelein!
gar lieblich wollt' ich ihr fischen
für ihre[n] Tische.

Wollt' Gott, ich war' ein kleins Kätzelein,
ein kleins Kätzelein!
gar lieblich wollt' ich ihr mausen
in ihrem Hause.

Wollt' Gott, ich wär' ein kleins Pferdelein,
ein artlichs Zelterlein!
gar zärtlich wollt' ich ihr traben
zu ihrem lieben Knaben.

Wollt' Gott, ich wär' ein kleins Hundelein,
ein kleins Hundelein!
gar treulich wollt' ich ihr jagen
die Kirsche, Hünlein und Hasen.«

Paarweise Verwandlungen, auf den See die Ente, wie im schwedisch-dänischen Liede, auf das Rosenstöckchen die Rose, sind aus dem deutschen Märchenschatze beigebracht worden; gewünscht wird wieder in einem Lied aus dem 16. Jahrhundert:

»Und wär' mein Lieb ein Brünnlein kalt
und sprang' aus einem Stein,
und wär' ich dann der grüne Wald,
mein Trauren das wär' klein;
grün ist der Wald,
das Brünnlein das ist kalt,
mein Lieb ist wohlgestalt.«

So haben die Verwandlungen, erst aus bösem Willen angewünscht, allmählich wieder zu den freundlichen Wünschen übergeleitet. Schon in dem einen Worte der Rechtsformel: »wolfgejagt ( vargrekinn)« ergab sich der Anstoß, die Bilder der Heimatflucht, eben den Wolf, die Hindin, den Wildvogel, in Handlung zu setzen und zu stets belebteren Märchendichtungen fortzuführen. Aus den zärtlichen Wünschen der Liebenden gehen notwendig mildere und ruhigere Gestaltungen hervor, als der hungrige Wolf oder das angstvolle Wild, das von Wölfen und Jagdhunden gehetzt wird. Aber auch in den Stilleben der Liebeswünsche zeigt sich eine leise Bewegung, die der einfachen Gruppe dadurch Reiz verleiht, daß man sie entstehen sieht. Am Baumzweig erglüht der Apfel, am Rosenstocke blüht das Röschen auf, in die Rose fällt der Tautropfen, in das Laubdunkel nistet die Nachtigall, im Wasserspiegel taucht das Entchen auf, um das Brünnlein, das frisch aus dem Steine springt, ergrünt ein schattiger Wald. Selbst die Bedrängung wird rege, doch weniger gewaltsam; der Apfel fällt vom Stabe des Hirten, die Nachtigall wird von den Liebhabern ihres Gesanges verscheucht, die Goldfeder vom Winterwinde weggeblasen. Bei den Verwandlungen, wie in der Wunschdichtung überhaupt, dienen die Bilder des Sommers dem guten Wunsche, die des Winters dem bösen. Mit denselben Farben waren schon im Traugmundsliede die Glücks- und die Unglücksseite abgemarkt, hier der grüne Klee, dort der weiße Schnee, hier die grünen Matten, der tiefe Strom, dort der bereifte Wald und der graue Wolf. Der Liebesgruß wünscht mit der Fülle des Grases und der Blumen, des Laubes und der Vogelwonne; die Fluchformeln wollen, daß die Brunnen versiegen, Gras, Laub und Blumen fallen, daß Sturmwind den Schiffenden oder Reitenden schlage. Wieder auf Liebeswerbung angewandt, wird mit dem Blumenwunsche geworben, mit dem Sturmfluche verschmäht, wie beides zusammen in einem schottischen Wechselsange zu hören ist:

»O Mägdlein! kannst du lieben mich
und reichst mir deine Hand,
die Blumen meines Gartens all
geb' ich dir zum Gewand.

Die weiße Lilie sei dein Hemd,
sie steht dir recht zur Lust,
die Schlüsselblume (?) deck' dein Haupt,
die Rose deine Brust.

Dein Mantel soll die wilde Nelk',
dein Rock Kamille sein,
die saubre Schürze sei Salat,
der lieblich schmeckt und fein.

Dein Strümpfchen sei ein Blatt von Kohl,
das breit und schlank zumal,
breit muß es an dem Beine sein
und an dem Knöchel schmal.

Die Handschuh sein Mariengold (Ringelblume),
hell glitzernd auf die Hand,
gesprenkelt mit der blauen Blum',
die wächst im Weizenland.

»Aus Sommerblumen ein Gewand,
mein Junge! schufst mir du,
so schneid' ich nun ein andres dir
aus Winterschauern zu.


Dein Hemd sei frischgefallner Schnee,
der steht dir recht zur Lust,
zum Rocke nimm den kalten Wind,
Frostregen auf die Brust.

Das Roß, darauf du reiten magst,
soll Ungewitter sein,
wohlaufgezäumt mit Sturm aus Nord
und scharfem Hagelstein.

Der Hut auf deinem Haupte sei
von Wolken, grau und graus,
und wann du zu Gesicht mir kommst,
so wünsch' ich dich landaus.«

Ein Rückblick auf die gemusterte Folge von Rätselliedern, Handwerks- und Sängergrüßen, Weidsprüchen, Kranzliedern, Liedern von unmöglichen Dingen, Lügenliedern, Wunschliedern, kann es bestätigen, daß alle diese Formen, auch bei verschiedener Grundbedeutung ihres Inhalts, doch in ihrer gemeinsamen Zubildung zu geselligen Zwecken mittels des phantastischen Witzes zusammenhängen und auch im einzelnen durch beständiges Übergreifen der einen Art in die andre genau verbunden sind. Die mannigfachen Formeln der Begrüßung und Wechselrede stehen nicht als bloßes Beiwerk da, sie haben sich zu selbständigen Bildungen entwickelt und machen für sich eine Liedergattung aus. Ist auch der ernstere Ursprung in der unbegrenzten Herrschaft des Phantasiespiels großenteils aufgegangen, so war es doch immer ein poetisches Verdienst, die Vorkommenheiten und Verhältnisse des täglichen Lebens in diesem märchenhaften Lichte sich bewegen zu lassen.


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