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3. Leistungen der Singschulen

Den umständlichen äußern Zurüstungen für die Übung des Meistergesangs entsprechen die Leistungen desselben allerdings der Masse nach, mit welcher jedoch der poetische Wert derselben in keinem Verhältnis steht. Von den zahllosen Liedern, die zum Teil mit den Singnoten in den handschriftlichen Meistergesangbüchern auf den Bibliotheken zu Augsburg, Heidelberg, Nürnberg, Dresden usw. begraben liegen, ist im ganzen nur weniges zum Drucke gegeben. Die Lieder der ältern Meister, vom Schlusse des 13. Jahrhunderts, vor dem erweislichen Bestande der zunftmäßigen Genossenschaften, sind zwar aus der Manessischen und der Jenaer Handschrift in den früher angeführten Sammlungen abgedruckt. Auch sonst ist manches Einzelne in den Schriften über den Meistergesang, in den Zeitschriften und Kollektaneen für ältere deutsche Literatur, in Görres Volks- und Meisterliedern usw. bekannt gemacht. Aber der eigentliche Hort des Meistersanges liegt doch noch unerhoben in den Handschriften und es wird auch niemand das Gelüste haben, ihn vollständig zu erheben. Dennoch wird man sich etwas tiefer, als bisher geschehen, in die durch Umfang und Inhalt ziemlich abschreckenden Liederbücher hineinwagen müssen, bevor über das in mancher Beziehung gewiß merkwürdige Institut der Singschulen und das Verdienst ihrer Leistungen eine ganz befriedigende Rechenschaft möglich ist. Dies ist nun neuerdings durch die von Bartsch veranstaltete Auswahl aus der Colmarer Liederhandschrift wesentlich erleichtert morden. H.)

Wir finden im Meistergesange kein vorschreitendes Wachstum der Poesie. Es ist vornherein geistig belebter, dem Inhalte nach mannigfaltiger, der Form nach beweglicher, als im Verfolge der Zeit. In poetischer Hinsicht ist er in stetiger Abnahme begriffen; er ist nicht als eine selbständige Entwicklung, sondern nur als das Erstarren und Hinwelken der Liederkunst des Mittelalters zu betrachten.

Die Gegenstände der Meisterlieder sind, nach dem angegebenen Zwecke der Singschulen, vorherrschend religiöse und moralische. So besonders in unsrem Zeitraum. Doch ließ noch im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts Muscatblut, dessen Weisen in der Singschule langehin im Ansehen blieben, in meistersängerischer Form Anklänge des älteren Minnesanges vernehmen. Ganz waren auch im weitern Verlaufe des 15. und 16. Jahrhunderts weltliche und nicht unmittelbar lehrhafte Gegenstände vom Meistergesange nicht ausgeschlossen. Wurden sie auch in den Hauptsingen nicht zugelassen, so waren doch in den vorangehenden Freisingen auch »wahre und ehrbare weltliche Begebnisse« (Wagenseil 543) gestattet. Noch weniger Strenge dürfen wir hinsichtlich der Lieder voraussetzen, welche bei den Mahlen abgesungen wurden, und der Zechkranz (Wagenseil 555) mochte wohl auch mitunter durch einen mutwilligen Gesang gewonnen werden. Es sind auch wirklich manche Meistergesänge scherzhaften, verliebten, romantischen Inhalts vorhanden. (Vgl. Grimm 125 f.) Unter denen der letzten Art verstehe ich solche, worin Gegenstände behandelt sind, die sonst mehr der Erzählung im Geschmacke der Ritterzeit, der Legende, Novelle, Romanze angehören. Stücke dieser Klasse stehen in der Sammlung von Görres, in Eschenburgs Denkmälern altdeutscher Dichtkunst S. 347 ff. usw. Sie waren auch schon am Schlusse des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts auf einzelnen Druckbogen als fliegende Blätter verbreitet. Seltene Exemplare aus gedachter Zeit sind in einem alten Oktavbande der Augsburger Bibliothek Scheint von Docen benützt worden zu sein unter der Bezeichnung »Schleich, im Liederbüchlein 1584«, woraus die Nummern 226. 139. 138 angeführt werden. Aretin, Beiträge IX, 1181 f, 1185, 5. (klein Oktav N.1 D. a. D, 22) mit Flugschriften andern Inhalts zusammengebunden, darunter ein Meistergesang, der »in des Regenbogen Zugeton« eine Geschichte erzählt, welche mit der in Shakespeares Kaufmann von Venedig behandelten gleiche Grundlage hat; ein Auszug davon im Museum für altdeutsche Literatur II, 280 ff. Ein andres Lied, das auch nach einem fliegenden Blatt im Wunderhorn II, 229 ff. (auch im Neuen Literarischen Anzeiger, Museum I, 141) gegeben ist, singt vom Ritter Bremberger »in seinem Ton«, wie ihn der eifersüchtige Gemahl der von ihm besungenen Frau ermorden ließ und ihr das Herz des Sängers zu speisen gab. Der Ton dieses Liedes ist in der Hauptsache derselbe, in welchem mehrere Gedichte Reinmans von Brennenberg, in der Minnesangersammlung I, 184 b ff., verfaßt sind und der auch sonst unter dem Namen »des Prenbergers Ton« bei den Meistersingern gangbar war (Grimm 135. Vgl. auch 109 und Wunderhorn III, 113). Auch unter den Dichtern des Colmarer Liederbuches erscheint der Brannenberger (Museum II, 184). In bayerischen Chroniken unter dem Jahr 1324 kommt Reimann von Brennenberg (Prenberg in der Nähe von Regensburg) vor (Museum I, 140. Vgl. Duel. Excerpt. S. 258. 269 und ebend. unter den Wappen S. 286 das von Prennberg, Pranberg, ein Berg mit Flammen; das Wappen in der Manessischen Handschrift ist ein ganz andres, mit einem zackigen Querstrich). Die nämliche Geschichte wird aber von dem provenzalischen Sänger Guillem de Cabestaing (Raynouard B. V, S. 187ff. Diez, Leben und Werke der Troubadours S. 77 ff., hiernach Boccaz, Hans Sachs, in Laßbergs handschriftlichem Liederbuche der Fenchlerin Bl. 11b ff. fragm.) und dem nordfranzösischen, dem Kastellan von Coucy, berichtet. Eine Erzählung Konrads von Würzburg enthält gleichfalls diese Sage, wiewohl ohne Beziehung auf einen Sänger (Müllers Sammlung I, hinter dem armen Heinrich S. 208: Von der Minnen. (Vergl.: Die Mähre von der Minne oder die Herzmähre von Konrad von Würzburg, nach acht Handschriften herausgegeben von Franz Roth. Frankfurt am Main 1846. 8. H.) Auch als Volksballade wurde sie gesungen (Plattdeutsches Liederbuch Nr. 44: Brunenberch. Vgl. Koch, Compendium II, S. 87); Anfang:

Idt is nicht lange, dat idt geschach,
Dat Brunenberch usw. (Vergl. Uhlands Volkslieder Nr. 75. H.)

Von diesem besondern Gegenstände haben wahrscheinlich solche romanzenartige Lieder überhaupt, im Volkston oder in den Weisen des Meistergesangs, den Namen Bremberger erhalten. Die Freiburger Einladung 1630 nennt unter den auf einer geistlichen Singschule verbotenen Gesängen: »Bossenlieder, Bremberger, Bergrisch (?)« usw. (S. 206). Auch Fischart, nach der Mitte des 16. Jahrhunderts, kennt diese Liederart (Gargantua Kap. 26, S. 308: »ein gut Gesetzlein Bergrein, Bremberger« usw.: Podagrammisch Trostbüchlein B. V). Die künstliche und gedehnte Weise des Meistersanges war übrigens solchen romantischen Stoffen durchaus ungünstig, alle freiere Bewegung in Handlung und Rede ging zugrunde, und die in ein Meisterlied umgesetzte Ballade verlor eben damit ihren besten Klang. Auch die einheimische Heldensage war vom Meistergesange nicht ausgeschlossen; von der Singschule zu Worms, wo dieselbe örtlich haftete, berichtet Johann Staricius, der in der Mitte des 17. Jahrhunderts lebte, in seinem neuvermehrten Heldenschatz (6. Auflage 1734):

»Wenn auch jemand in der Singschulen der Meistergesänge öffentlich daselbsten die Geschicht vom hörnin Seifriede aus dem Kopf also aussingen kann, daß von den dazu bestellten Merkern oder Judicirern, wie man sie zu nennen pfleget, kein Verslein ausgelöscht oder notirt wird, so wird ihm ein gewiß Stück Geld zu schuldiger Verehrung vom Rath der Stadt Worms, alter Gewohnheit nach, gereichet.«

Aber auch bem Heldenliede wird diese Einkleidung nicht sonderlich gepaßt haben.

Wenn wir nun in poetischer Hinsicht die Leistungen des Meistergesangs, als solches, nicht hoch anschlagen können und wenn auch der musikalische Wert desselben, worüber es jedoch an einer gründlichen Untersuchung fehlt, nicht höher zu stellen sein sollte, so ist ihm doch eine geistige Wirksamkeit überhaupt nicht abzusprechen.

Vereinigungen zum Zweck einer geistigen Beschäftigung und Mitteilung, vom Bürgerstande so vieler ansehnlicher deutschen Städte durch Jahrhunderte fortgesetzt, können an sich schon nicht unwirksam gedacht werden. Für die Poesie selbst dürfen wir das Verdienst des Meistergesanges nicht lediglich nach dem bemessen, was er innerhalb der engern Grenzen der Singschule geleistet hat. Wenn hier die Beschränkung des Inhalts und die Starrheit der Form von hemmendem Einfluß war, so mochte sich doch schon bei dem Singen über und nach dem Mahl oder der Zeche eine lebendigere Regung äußern. War einmal durch die Singschule der Sinn für die Dichtkunst geweckt, so machte sich dieser bei den Fähigern auch in andern, freieren Kunstgattungen Bahn. Die berühmtern Meistersänger haben sich daher großenteils auch außerhalb des Meistergesanges in verschiedenen Formen der Poesie versucht und eben in diesen ihr Bestes geleistet. Von den Singbrüderschaften wurden auch die Fastnachtspiele und andre poetische Festlichkeiten veranstaltet und ausgeführt. Die Meistersängerschulen werden uns darum auch in den folgenden Abschnitten unsrer Darstellung noch häufig begegnen. Allein auch die unmittelbare Wirkung des geistlich-lehrhaften Gesanges der Singschulen ist nicht gering zu achten. Ein selbständiges Nachdenken über Gegenstände der Religion und der Kirche war dadurch auch bei den Laien angeregt und die Ergebnisse dieses Nachdenkens wurden in der Landessprache vor öffentlichen Versammlungen vorgetragen. Die heiligen Schriften, die auf dem Pulte der Merker aufgeschlagen waren, eröffneten auch auf diesem Wege ihren Inhalt einem allgemeinern Verständnis und riefen die Vergleichung dieses Inhalts mit den Lehren und Einrichtungen der Kirche, wie solche sich durch Gebrauch und Mißbrauch gestaltet hatten, hervor. Schon die ältesten Meister, welche von den Singschulen zu ihren Stiftern gezählt wurden, standen in offenem Kampfe gegen die Anmaßungen der Päpste und die Verderbnis der Geistlichkeit: so Walther von der Vogelweide und Reinmar von Zweter. Was Liederbuch der Colmarer Singschule, welches von Mainz dahin gekommen sein soll, enthält mehrere Gedichte unter dem Namen Klingsors, auch eines der Stifter, und darin folgende Stellen:

Ein brot, das im got selber glich gemachet hat.
Das wollen uns die Pfaffen hie verkaufen,
Den krisem, Das Chrisam, erisma, geweihtes Saböl. Schmeller II, 395. den sie feile tragen,
Das wird noch manger sele leit, fürwar ichs sagen;
Dasselbe haben sie auch mit der taufen usw.
Der bobest nimmet teile,
Man sint es aller schrifte fri;
Merk, ob der babst nit böser vil, dann Judas, si!
Er treit got nu umb einen Pfennig feile.
Ich mein der Pfaffen gitikeit: usw.

In einem andern Liede: (F. H. von der Hagen, Minnesinger III, S,. 330. H.)

Du bist gesezzen, geistlich orden, hoch uf glückes rat,
Nu Hab dich vast! unt valst herab, ez Wirt din michel schal, usw.

Und wieder: (F. H. von der Hagen a. a. O. H.

Ez ist niht wunder, daz der wagen vür diu rinder gat,
Sit daz der kristenheite houpt in krumber wise stat; usw.

Endlich:

Got minnet valsche kutten niht,
Sie sin wiz oder gra,
Ein reinez herz an valsche pfliht
Daz hat got liep, wär ez joch uzen bla (Mus. II, 192ff.).

Lieder dieser Art, an der Spitze des Meistergesanges, konnten leicht zu der Sage Anlaß geben, daß die zwölf Stifter desselben als Ketzer angeklagt worden seien und sich darüber vor dem Kaiser und dem päpstlichen Legaten haben verantworten müssen. Es erklärt sich uns nun auch die früher angeführte Stelle eines Liedes von 1450, worin von der Stiftung der Augsburger Singschule gesagt wird:

Augspurg hat ain weisen rat,
Das prüft man an ir kecken tat
Mit singen, dichten und klaffen;
Si hand gemachet ain singschuol
Und setzen oben auf den stuol
Wer übel redt von pfaffen.

Wenn hierauf die Reformation Luthers in den Reichsstädten, in welchen der Meistergesang vorzüglich gepflegt worden, zu Nürnberg, Straßburg, Augsburg usw. so bereite Aufnahme fand, wenn der berühmteste Nürnbergische Meistersänger, Hans Sachs, dort einer der ersten Anhänger und eifrigsten Verbreiter dieser Lehre war, so dürfen wir wohl annehmen, daß die Singschulen das ihrige beigetragen, den Boden aufzulockern, in welchem der neue Samen so gutes Gedeihen fand.


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