Mark Twain
Tom der kleine Detektiv
Mark Twain

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Zehntes Kapitel

Bei diesen gräßlichen Worten standen wir wie zu Stein erstarrt und konnten wohl eine Minute lang kein Glied rühren. Sobald wir uns etwas von dem Schreck erholt hatten, hoben wir den alten Mann auf und setzten ihn wieder in seinen Stuhl; er ließ sich von Benny streicheln und küssen, auch die arme Tante versuchte ihn zu beruhigen. Doch waren sie beide so verwirrt und außer sich, daß sie kaum wußten, was sie thaten. Am allerunglücklichsten war aber Tom selbst. Daß er seinen Onkel vielleicht ins Verderben gestürzt hatte, war ihm fürchterlich. Hätte er nicht solchen Ehrgeiz gehabt, berühmt zu werden, und hätte das Suchen nach der Leiche aufgegeben, wie die andern Leute, so wäre es ja am Ende nie herausgekommen. Doch nicht lange, da besann er sich und änderte seine Gedanken:

»Sag' das nicht noch einmal, Onkel Silas; solche Reden sind gefährlich und es ist auch kein Körnchen Wahrheit daran,« versicherte er mit Bestimmtheit.

Tante Sally und Benny atmeten erleichtert auf bei diesen Worten; aber der Onkel schüttelte traurig den Kopf.

»Nein, nein – ich hab's gethan – der arme Jupiter – ich hab's gethan!« – sagte er im Ton der Verzweiflung, während ihm die Thränen über die Backen liefen. Es war schrecklich mit anzuhören.

Dann erzählte er weiter, es sei an dem Tage geschehen, als Tom und ich ankamen, bei Sonnenuntergang. Jupiter hatte ihn gequält und geärgert, bis ihn der Zorn übermannte und er ihm mit seinem Stock über den Kopf schlug, daß er zu Boden stürzte. Sofort bereute er seine Hitze; er kniete neben Jupiter hin, hob ihm den Kopf auf und bat, er solle doch sprechen und sagen, daß er nicht tot sei. Der kam auch bald wieder zu sich; doch als er sah, wer ihm den Kopf hielt, sprang er, wie zu Tode erschrocken, auf, war mit einem Satz über den Zaun, lief nach dem Walde zu und verschwand. Da hoffte Onkel natürlich, er hätte ihm keinen Schaden gethan.

»Aber ach,« fuhr er fort, »nur die Furcht hatte ihm dies letzte Fünkchen Lebenskraft eingeflößt, das rasch erlosch; im Gebüsch ist er dann zusammengebrochen, wo ihm niemand beistehen konnte, und ist gestorben.«

Der alte Mann jammerte und weinte, er sagte, er sei ein Mörder, er trüge das Kainszeichen und brächte seine Familie in Schande und Schmach. Seine Missethat würde entdeckt werden und ihn an den Galgen bringen.

»Davon ist gar keine Rede,« sagte Tom. »Du hast ihn gar nicht umgebracht. Ein einziger Schlag ist nicht gleich tödlich. Den Mord hat ein anderer begangen.«

»Nein, ich habe es gethan, sonst niemand. Wer hätte auch außer mir etwas gegen ihn haben sollen?«

Er sah uns an als hoffte er, wir würden jemand nennen können, der dem harmlosen Menschen grollte; allein das war vergebens, wir mußten alle verstummen. Als er das sah, überfiel ihn die Trauer von neuem; seine jammervolle Miene war zum Erbarmen.

»Aber halt,« rief Tom plötzlich, »jemand muß ihn doch begraben haben. Wer kann das denn –«

Weiter kam er nicht. Ich wußte wohl warum, und es überlief mich kalt. Hatten wir doch beide Onkel Silas in jener Nacht mit der langen Schaufel über der Schulter gesehen. Auch Benny mußte ihn bemerkt haben; sie hatte einmal etwas davon erwähnt. Tom war nun eifrig bemüht, Onkel zu überreden, daß er sich nicht verraten solle; wir andern stimmten ihm bei und sagten, wenn Onkel schwiege, würde man es nie erfahren und er dürfe sich nicht selbst anklagen, weil es uns allen das Herz brechen würde, wenn ihm ein Leid geschähe. Es würde niemand Nutzen bringen und die Seinigen nur unglücklich machen. Zuletzt versprach er es denn auch und wir suchten ihn nun nach Kräften zu trösten und aufzuheitern. Ueber der ganzen Sache würde bald Gras wachsen, sagten wir, und kein Mensch würde mehr daran denken. Gegen Onkel Silas Verdacht zu schöpfen könne niemand auch nur im Traum einfallen; er stehe in viel zu gutem Ruf und sei so lieb und freundlich gegen jedermann.

»Ueberlegt es doch nur,« sagte Tom mit großem Nachdruck, »es liegt ja auf der Hand: Seit so und so vielen Jahren ist Onkel Silas hier Prediger gewesen ohne einen Pfennig Gehalt; alles mögliche Gute hat er gethan, von Alt und Jung wird er geliebt und geachtet. Wie sollte er, der friedliebendste Mensch von der Welt, der sich nie in fremde Angelegenheiten gemischt hat, dazu kommen, sich thätlich an jemand zu vergreifen? Es kann gar kein Argwohn gegen ihn entstehen; das ist ebenso gut ein Ding der Unmöglichkeit wie – –«

»Im Namen und Auftrag des Staates Arkansas verhafte ich Euch als den Mörder des Jupiter Dunlap,« rief in diesem Augenblick der Sheriff an der Thür.

Es war furchtbar. Tante Sally und Benny klammerten sich weinend und schreiend an Onkel Silas und wollten ihn nicht fortlassen; auch die Neger liefen heulend herbei, es war ein herzzerreißender Auftritt und ich machte, daß ich zum Haus hinauskam.

Als er nach dem kleinen Dorfgefängnis geführt wurde, begleiteten wir ihn alle, um ihm Lebewohl zu sagen. Tom hatte schon einen Plan fix und fertig im Kopf, wie wir ihn in einer dunkeln Nacht heldenmütig befreien wollten. Aber als er gegen Onkel etwas davon verlauten ließ, kam er übel an. Der arme Alte meinte, es sei seine Pflicht, zu dulden, was das Gesetz über ihn verhänge; selbst wenn die Thür des Gefängnisses offen stünde, würde er von dort nicht wanken und weichen. Natürlich war Tom sehr enttäuscht, doch mußte er sich drein ergeben. Den Gedanken, seinen Onkel zu befreien, gab er aber deshalb noch lange nicht auf; er betrachtete das als seine Schuldigkeit, denn er fühlte sich gewissermaßen verantwortlich für ihn.

Er versprach auch Tante Sally, daß er Tag und Nacht nicht ruhen würde, bis er Onkels Unschuld ans Licht gebracht hätte, sie solle sich nur keinen Kummer machen. Tante umarmte ihn zärtlich, dankte ihm und sagte, sie sei überzeugt, er werde alles thun, was in seinen Kräften stehe. Dann bat sie uns noch, wir möchten Benny helfen das Haus und die Kinder zu versorgen, und nachdem wir mit Thränen von ihr Abschied genommen hatten, kehrten wir nach der Farm zurück. Tante wollte bei der Frau des Gefängniswärters wohnen bleiben, bis im Oktober die Gerichtsverhandlung stattfand.


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