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Auszüge aus Adams Tagebuch

Aus dem Originalmanuskript übersetzt von Mark Twain
Übersetzung aus dem Englischen von Arno Niemer

 

[Fußnote: Ich habe einen Teil dieses Tagebuchs vor ein paar Jahren übersetzt. Ein Freund von mir hat wenige Kopien in unvollständiger Form gedruckt, aber sie sind nie veröffentlicht worden. Seitdem habe ich mehr von Adams Gekritzel entschlüsseln können und ich glaube, daß er jetzt eine hinreichend bekannte Persönlichkeit geworden ist, die diese Veröffentlichung rechtfertigt. – M. T.]

 

Montag

Dieses neue Geschöpf mit den langen Haaren steht mir ganz schön im Weg. Es lungert nur rum und rennt hinter mir her. Ich mag das nicht, ich hatte vorher ja auch keinen Begleiter. Warum bleibt es nicht bei den anderen Tieren? Heute ist es bedeckt, der Wind kommt aus östlicher Richtung; ich glaube, es wird bald regnen. … Wo kommt der Spruch denn her? … Ach ja, das neue Geschöpf hat ihn benutzt.

 

Dienstag

Habe mir den großen Wasserfall angesehen. Das ist der schönste Platz auf dem Grundstück. Das neue Geschöpf nennt ihn »Niagara Wasserfall« – keine Ahnung, warum es ihn so nennt. Das Ding sagt, er sieht eben wie der »Niagara Wasserfall« aus. Das ist ja wohl kein Grund, sondern zeugt von Launenhaftigkeit und Blödheit. Ich habe keine Chance mehr, selber Namen zu vergeben. Bevor ich auch nur protestieren kann, hat das Geschöpf für alles schon einen Namen gefunden. Und immer unter dem gleichen Vorwand – es sieht so aus. Wie zum Beispiel beim Dodo. Kaum hat es ihn gesehen, sagt es schon: »er sieht aus wie ein Dodo«. So wird wohl der Name bestehen bleiben. Ich bin es überdrüssig, mich darüber zu ärgern, denn es bringt einfach nichts. Dodo! Das Tier ähnelt einem Dodo ebenso wenig wie ich.

 

Mittwoch

Ich habe mir einen Schutz gegen den Regen gebaut, kann ihn aber nicht in Ruhe benutzen. Das neue Geschöpf kommt einfach herein. Als ich es rausschmeißen wollte, hat es Wasser aus den Löchern gelassen, mit denen es sonst guckt. Das Wasser hat es dann mit der Rückseite seiner Pfote weggewischt und dabei ein Geräusch wie ein gequältes Tier gemacht. Und dauernd spricht es, ich wünschte, es hörte auf zu reden. Das klingt hart, aber ich meine es nicht so. Vorher hatte ich keine menschlichen Stimmen gehört, und so ist jedes neue Geräusch, das in meine Einsamkeit eindringt, erst einmal wie ein falscher Ton in meinem Ohr. Und dieser neue Klang ist so nah, direkt an meiner Schulter, dicht vor dem Ohr, erst auf der einen Seite, dann auf der anderen. Wo ich doch nur an Geräusche gewöhnt bin, die mehr oder weniger weit entfernt sind.

 

Freitag

Ich kann nichts daran ändern, die Namensgebung geht unaufhörlich weiter. Ich hatte einen so schönen Namen für dieses Gelände; er war hübsch und melodisch – Der Garten Eden. Insgeheim nenne ich es noch weiter so, sage es aber nicht mehr laut. Das neue Geschöpf sagt, daß es hier nur Wald, Felsen und Landschaft gibt, und daß es deshalb keine Ähnlichkeit mit einem Garten hat. Es sagt, daß es wie ein Park aussieht und daher ein Park ist. Deshalb muß es – natürlich ohne meine Zustimmung – in Niagara Wasserfall Park umbenannt werden. Das erscheint mir ganz schön willkürlich. Und schon steht da ein Schild:

Betreten des Rasens
verboten

Ich fühle mich nicht mehr so glücklich wie früher.

 

Samstag

Das neue Geschöpf ißt zuviel Obst. Wahrscheinlich werden wir bald nichts mehr haben. »Wir« ist wiederum ein Wort, das ich nun auch benutze, weil ich es so oft höre. Heute morgen hatten wir starken Nebel. Ich selbst gehe im Nebel nicht raus. Aber das Geschöpf geht raus. Es geht bei jedem Wetter raus und kommt mit schmutzigen Füßen wieder reingestampft. Und redet. Es war so wohltuend ruhig hier.

 

Sonntag

Durchgehangen. Dieser Tag wird immer nervtötender. Letzten November wurde er ausgewählt und zum Ruhetag bestimmt. Davor hatte ich weitere sechs pro Woche davon. Heute morgen habe ich das neue Geschöpf dabei erwischt, wie es Äpfel vom verbotenen Baum pflücken wollte.

 

Montag

Das neue Geschöpf sagt, sein Name sei »Eva«. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Aber es sagt, ich muß den Namen rufen, wenn es zu mir kommen soll. Da habe ich gesagt: »das ist wohl überflüssig«. Dieser Satz hat mir Respekt eingebracht, ich werde ihn mir merken und noch öfter verwenden. Dann sagt es zu mir noch, daß es kein » Es«, sondern eine » Sie« sei. Das ist vermutlich fragwürdig, mir aber im Grunde egal. Ich nenne sie wie sie will, wenn sie mich nur in Ruhe läßt und aufhört zu reden.

 

Dienstag

Sie hat das ganze Grundstück mit scheußlichen Namen und widerwärtigen Schildern übersät:

Hier entlang zum Strudel

Hier entlang zur Ziegeninsel

Hier geht es zur Höhle der Winde

Sie sagt, dieser Park würde eine schöne Sommerfrische abgeben, wenn es dafür Bedarf gäbe. Sommerfrische – wieder eine ihrer Erfindungen – Worte ohne Bedeutung. Was ist eine Sommerfrische? Aber lieber nicht fragen, sie hat eine fürchterliche Erklärungswut.

 

Freitag

Sie fleht mich an, nicht mehr den Wasserfall herunterzustürzen. Wen kümmert das schon? Sie sagt, es bringt sie zum Zittern. Versteh ich nicht. Ich mache das doch schon immer – ich liebe diesen Kopfsprung, die Aufregung und die Kälte. Ich dachte, dafür seien die Wasserfälle gemacht worden. Ich sehe keinen anderen Zweck, und irgendeinen Zweck müssen sie ja haben. Sie sagt, sie seien nur für die Landschaft gemacht – ebenso wie das Rhinozeros und das Mastodon.

Diesmal bin ich den Wasserfall in einer Tonne hinuntergesaust. Damit war sie aber auch nicht zufrieden. Habe dann eine Wanne genommen – immer noch unzufrieden. Dann bin ich im Strudel und in den Stromschnellen mit dem Feigenblatt-Schwimmanzug gewesen. Ist völlig kaputtgegangen. Danach gab es weitschweifige Beschwerden über meine Extravaganz. Ich werde hier ganz schön behindert. Brauche bald einen Standortwechsel.

 

Samstag

Letzten Dienstag bin ich abgehauen und bin zwei Tage unterwegs gewesen. Ich habe mir eine neue Behausung an einem einsamen Ort gebaut und meine Spuren so gut wie ich konnte verwischt. Aber sie hat mich mit der Hilfe eines Biestes aufgespürt, das sie sich gezähmt hat und dem sie den Namen »Wolf« gegeben hat. Und wieder macht sie dieses bemitleidenswerte Geräusch und verschüttet Wasser aus den Stellen, womit sie sonst sieht. Ich war gezwungen mit ihr zurückzukehren, aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich wieder ausreißen. Nun beschäftigt sie sich mit vielen dämlichen Dingen; unter anderem möchte sie herausfinden, warum die Tiere, die »Löwen« und »Tiger« genannt werden, sich nur von Gras und Blumen ernähren. Sie sagt, deren Zahnform sei dafür geschaffen, daß sie einander auffräßen. Sowas ist dumm, denn dann müßten sie sich ja gegenseitig töten. Und das würde etwas bewirken, das man – so wie ich es verstehe – den »Tod« nennt. Und der Tod – so wurde mir gesagt – ist im Park nicht vorgesehen. Manchmal eigentlich schade.

 

Sonntag

Durchgehangen.

 

Montag

Ich glaube, nun weiß ich, wofür die Woche da ist: um sich von der Langweiligkeit des Sonntags zu erholen. Das ist eine gute Idee. … Sie war schon wieder im Baum. Habe sie da herausgeholt. Sie sagt, es hätte doch niemand gesehen. Das scheint ihr eine hinreichende Rechfertigung zu sein, um gefährliche Dinge zu tun. Das habe ich ihr gesagt. Das Wort Rechtfertigung hat bei ihr Bewunderung und auch Neid hervorgerufen, so glaube ich. Ein gutes Wort.

 

Donnerstag

Sie erzählt mir, daß sie aus einer Rippe meines Körpers gemacht worden sei. Diese Aussage ist mehr als zweifelhaft. Ich vermisse nämlich keine Rippe. … Sie hat mit dem Bussard große Probleme; sie sagt, daß er nicht mit dem Gras klarkommt; sie glaubt, er sei zum Verzehr verfaulten Fleisches vorgesehen. Der Bussard soll zusehen, wie er mit dem klarkommt, was er kriegt. Wir können nicht das ganze System umdrehen, nur um den Bussard zu versorgen.

 

Samstag

Gestern ist sie in den Teich gefallen, als sie sich in ihm betrachteten wollte. Letzteres macht sie häufiger. Sie wäre beinahe ertrunken und sagte mir, daß es sehr unangenehm gewesen sei. Deshalb hat sie jetzt Mitleid mit den Kreaturen, die dort leben. Sie nennt sie »Fische«, denn sie vergibt immer noch Namen an Dinge, die keinen Namen brauchen, und die auch nicht kommen, wenn man sie bei ihrem Namen ruft. Das stört sie aber gar nicht, weil sie ein Dummkopf ist. Sie hat eine Menge herausgeholt und gestern abend mitgebracht und sie dann zum Wärmen in mein Bett gelegt. Ich habe sie die ganze Zeit beobachtet und festgestellt, daß sie in keiner Weise glücklicher als vorher waren, nur ein bißchen ruhiger. Wenn es dunkel wird, werde ich sie rausschmeißen. Ich will nicht wieder mit ihnen zusammen schlafen, denn sie sind feucht, kalt und klebrig. Und wenn man nichts anhat, ist das ein unangenehmes Gefühl.

 

Sonntag

Wieder durchgehangen.

 

Dienstag

Jetzt hat sie es mit der Schlange. Darüber freuen sich die anderen Tiere, die sie dauernd quält, weil sie mit ihnen herumexperimentiert. Ich bin ganz froh, denn die Schlange kann sprechen und ich habe meine Ruhe.

 

Freitag

SIe sagt, die Schlange habe ihr empfohlen, eine Frucht vom Baum zu kosten. Das würde einen hohen Bildungsstand zur Folge haben. Ich sagte ihr, daß es noch eine andere Folge hätte – der Tod würde auf die Welt kommen. Diese Aussage war ein Fehler, ich hätte sie besser für mich behalten. So hat sie die Idee bekommen, daß sie den kranken Bussard heilen und Tiger und Löwe mit frischem Fleisch versorgen könnte. Ich habe ihr geraten, vom Baum fernzubleiben. Sie sagt, das macht sie nicht. Das gibt bestimmt Ärger. Ich hau ab.

 

Mittwoch

Ich hatte eine turbulente Nacht. Ich bin am Abend abgehauen und mit meinem Pferd so weit geritten, wie es mich trug. Bevor die eigentlichen Probleme beginnen, wollte ich aus dem Park heraus sein und mich in einem anderen Land verstecken. Das hat aber nicht geklappt. Eine Stunde nach Sonnenaufgang ritt ich durch eine blühende Ebene, auf der Tausende von Tieren grasten, schlummerten oder miteinander spielten. Plötzlich erhob sich ein Sturm von Schreckensschreien, und die gesamte Ebene war in Aufruhr, da jedes Tier seinen Nachbarn anfiel. Ich wußte sofort, was dies bedeutete – Eva hatte die Frucht gegessen und der Tod war auf die Welt gekommen. … Die Tiger haben mein Pferd gefressen und sich nicht darum gekümmert, als ich darum bat, davon Abstand zu nehmen. Wäre ich stehen geblieben, hätten sie womöglich auch mich gefressen. Das habe ich natürlich nicht getan und bin schnell abgehauen. … Ich habe einen schönen Platz außerhalb des Parks gefunden und habe mich dort ein paar Tage recht wohl gefühlt. Aber sie hat mich aufgespürt. Kaum gefunden, nennt sie diesen Platz »Tonawanda« – weil er so aussieht. So ganz traurig war ich nicht, daß sie gekommen war, denn ich hatte fast keine Beute gemacht und sie brachte einige der Äpfel mit. Da ich hungrig war, habe ich sie gern gegessen. Eigentlich ging es mir gegen das Prinzip; aber was bedeuten Prinzipien, wenn man hungrig ist. … Sie kam mit Zweigen und Blättern behängt bei mir an. Als ich das Zeug runtergerissen und fortgeworfen hatte und sie fragte, was das den nun wieder bedeute, hat sie nur gekichert und ist rot geworden. Ziemlich idiotisch und unpassend, denn ich hatte noch nie jemanden erlebt, der kicherte und auch noch dabei errötete. Sie sagte nur, ich würde das bald selbst bemerken. Das stimmte tatsächlich. Obwohl ich sehr hungrig war, legte ich den halb gegessenen Apfel beiseite (es war der beste, den ich in einer so späten Jahreszeit jemals gegessen habe) und begann, mich mit den herumliegenden Zweigen und Blättern zu bedecken. Dann sagte ich ihr, sie möchte sich doch bitte nicht so zur Schau stellen und noch mehr Blätter für sich besorgen. Das hat sie auch gemacht und dann sind wir dorthin gegangen, wo sich die Schlacht der Tiere zugetragen hatte. Ich habe ihr aus den Fellen dann ein paar Kleider für den täglichen Gebrauch gemacht. Eigentlich sind sie unbequem, aber trotzdem elegant. Das ist wohl der Hauptzweck von Kleidung. … Sie ist doch ein guter Kumpel. Ohne sie wäre ich doch einsam und unglücklich, wo ich nun meine Bleibe verloren habe. Sie hat mir auch erzählt, daß man uns befohlen hat, nun für unser eigenes Auskommen zu sorgen. Sie wird mir nützlich sein. Und ich werde die Aufsicht führen.

 

Zehn Tage später

Sie klagt mich an, ich sei der Grund unseres Unglücks! Sie sagt mir ehrlich und überzeugt, die Schlange hätte ihr gesagt, daß die verbotenen Früchte nicht Äpfel, sondern Kastanien gewesen sein sollen. Dann bin ich ja unschuldig, denn ich habe keine Kastanien gegessen, sagte ich. Sie sagte, die Schlange hätte gesagt, daß das Wort »Kastanie« bildlich für einen alten, faden Witz gebraucht würde. Da wurde ich bleich, denn ich hatte früher viele Witze gemacht, um die Langeweile zu überbrücken. Einige könnten so gewesen sein, obwohl ich glaube, daß sie neu waren. Sie fragte, ob ich einen genau zur Zeit der Katastrophe gemacht habe. Beinahe hätte ich zugegeben, daß ich mir einen erzählt hatte – natürlich nicht laut. Er war folgendermaßen: Ich dachte an die Wasserfälle und sagte zu mir »wie schön ist es, diese Menge Wasser dort herunterspritzen zu sehen!«. Und dann kam mir ein plötzlicher Gedanke in den Sinn und ich dachte »es wäre noch schöner, wenn es auch irgendwie hochspritzen könnte!« – ich wollte mich gerade darüber totlachen, als plötzlich Krieg und Tod ausbrachen und ich um mein Leben rennen mußte. »Aha«, sagte sie triumphierend, »das ist es; die Schlange nannte diesen Witz ›Die Erste Kastanie‹ und er sei gleichbedeutend mit der Schöpfung.« Naja, dann bin ich wieder einmal schuld. Ach, wäre ich nur nicht so witzig gewesen, hätte ich nur nicht diesen brillianten Gedanken gehabt!

 

Im nächsten Jahr

Wir nennen es Kain. Sie hat es gefangen, als ich am Nordufer des Erie-Sees Fallen stellte. Sie fing es im Wald zwei Kilometer von unserer Hütte entfernt … es können auch vier Kilometer gewesen sein, sie ist sich nicht ganz sicher. Es sieht uns irgendwie ähnlich, und könnte ein Verwandter sein. Das glaubt nur sie, aber in meinen Augen ist das ein totaler Fehler. Allein der Größenunterschied berechtigt zur Annahme, daß es eine andere und völlig neue Tierart ist – vielleicht ein Fisch. Denn als ich dies überprüfte und es ins Wasser legte, ist es untergetaucht. Sie ist sofort reingesprungen und hat es wieder herausgeholt, bevor mein Experiment die These bestätigen konnte. Ich glaube immer noch, das es ein Fisch ist; aber sie ist noch über seine Herkunft unsicher und läßt mich keine weiteren Experimente machen. Sie ist mehr um das Ding besorgt als um alle anderen Tiere, aber sie kann mir nicht den Grund dafür angeben. Ihre Gedanken sind verwirrt – man merkt es immer wieder. Manchmal trägt sie den Fisch die halbe Nacht auf ihren Armen, wenn er das Wasser haben will. Dann kommt bei ihr Wasser an den Stellen, wo sie normalerweise nicht mit sieht, und dann klopft sie dem Fisch auf den Rücken und macht Geräusche mit ihrem Mund, um ihn zu beruhigen. Sie zeigt ihre Sorge auf hunderterlei Art. Noch nie hat sie sich um einen anderen Fisch derartig gekümmert, das macht mir große Sorge. Sie hat die jungen Tiger ebenso herumgetragen und mit ihnen gespielt, aber sie hat sich nicht darum gekümmert, wenn denen das Essen nicht gefallen hat.

 

Sonntag

Sonntags arbeitet sie nicht mehr. Stattdessen liegt sie herum und freut sich, wenn sich der Fisch auf ihr herumwälzt. Sie gibt blöde Laute von sich, um ihn zu unterhalten und kaut an seinen Flossen, damit er lacht. Ich hatte bisher keinen Fisch gesehen, der lachen konnte. Ich bin nicht mehr so sicher. … Jetzt gefällt mir auch der Sonntag. Immer nur aufpassen ermüdet schließlich. Es sollte mehr Sonntage geben. Früher waren sie schwer zu ertragen, aber nun sind sie angenehm.

 

Mittwoch

Es ist kein Fisch. Aber ich kann es immer noch nicht genau bestimmen. Wenn es unzufrieden ist, macht es kleine höllische Geräusche, aber es sagt »gu-gu«, wenn es zufrieden ist. Es kann kein Mensch sein, denn es kann nicht laufen. Es ist kein Vogel, denn es kann nicht fliegen. Es ist kein Frosch, denn es kann nicht hüpfen. Es ist keine Schlange, denn es kann nicht kriechen. Ich bin mir sicher, daß es kein Fisch ist, aber ich bekomme keine Gelegenheit zum Überprüfen, ob es schwimmen kann oder nicht schwimmen kann. Es liegt nur herum, meistens auf dem Rücken, dabei die Füße hochgestreckt. Das habe ich noch bei keinem anderen Tier gesehen. Ich habe gesagt, es sei ein Rätsel, aber sie fand nur das Wort gut, ohne es zu verstehen. Entweder ist es ein Rätsel oder ein Käfer. Falls es stirbt, nehme ich es auseinander und sehe mir die Einzelteile an. Noch nie hat mich etwas so verwirrt.

 

Drei Monate später

Die Verwirrung steigt, anstatt sich zu verringern. Ich schlafe kaum noch. Es liegt jetzt nicht mehr herum, sondern krabbelt auf seinen vier Beinen. Aber es ist verschieden von den anderen Vierbeinern, denn die Vorderfüße sind ungewöhnlich kurz. Daher ist der Körper unverhältnismäßig hoch in der Luft, und das sieht nicht besonders schön aus. Es hat viel Ähnlichkeit mit uns, aber seine Art der Fortbewegung zeigt, daß es nicht unserer Gattung entstammt. Die kurzen Vorderbeine und die langen Hinterbeine zeigen eine Verwandschaft mit den Känguruhs. Aber es muß eine Variation dieser Familie sein; denn richtige Känguruhs können springen, dieses Exemplar aber nicht. Es ist aber immer noch eine merkwürdige und interessante Varietät und wurde sicher noch nie vorher beschrieben. Als ich es entdeckte, habe ich mir gedacht, daß es meinen Namen tragen könnte und habe es seitdem »Kängururum Adamiensis« genannt. … Als wir es bekamen, muß es ein Jungtier gewesen sein, denn es ist seither unwahrscheilich gewachsen. Es ist jetzt fünfmal größer als früher. Und wenn es unzufrieden ist, macht es zweiundzwanzig- bis achtunddreißigmal mehr Lärm als früher. Gewaltanwendungen machen es nur noch schlimmer. Daher habe ich diese Methode aufgegeben. Sie verwöhnt es mit Überredung und gibt ihm Dinge, die sie ihm vorher verboten hatte. Wie ich schon sagte, war ich nicht zu Hause als sie es im Wald fand. Es ist seltsam, daß es das einzige seiner Art ist, aber es kann nur so sein. Ich habe mich viele Wochen abgemüht, ein anderes Exemplar für meine Sammlung zu finden, damit sie miteinander spielen können und ruhiger sind. Aber ich habe keins gefunden, nicht einmal eine Spur davon. Und auch keine Fährte. Es muß am Boden leben, es kann sich nicht selbst helfen; wie kann es da sein, ohne eine Spur zu hinterlassen? Ich habe Dutzende von Fallen gestellt, aber ohne Erfolg. Alle kleineren Tiere habe ich gefangen – außer diesem. Manche Tiere gehen nur aus Neugier in die Falle, um zu sehen, wofür die Milch da ist. Aber sie trinken sie nie.

 

Drei Monate später

Das Känguruh wächst immer noch, das ist seltsam und verblüffend. Ich kenne keins, das so lange braucht, um erwachsen zu werden. Jetzt hat es Fell auf dem Kopf, aber nicht so wie Känguruh-Fell, sondern eher wie unser Haar. Nur ist es feiner und weicher. Und es ist rot statt schwarz. Ich verliere bald meinen Verstand über diese kapriziöse und schikanöse Entwicklung dieser unklassifizierbaren zoologischen Mißgeburt. Könnte ich nur noch ein anderes Exemplar fangen – aber das scheint unmöglich zu sein. Es ist eine neue Art und wir haben nur ein Exemplar, so ist es eben. Aber ich habe ein richtiges Känguruh gefangen und habe es mitgebracht. Ich glaubte, daß unseres, das allein zu Hause ist, jenes gern als Gefährten hätte; besser als gar keinen Kameraden zu besitzen. Vielleicht wäre jedes Tier geeignet, das ihm nahesteht oder von dem es Zuspruch in seiner verlorenen Situation unter Fremden erhielte, sodaß es sich unter Freunden fühlen könnte. Das war ein Fehler – unser Exemplar bekam einen solchen Anfall beim Anblick des Känguruhs, daß ich glaube, es hat noch nie ein Känguruh gesehen. Mir tut das arme, kleine und laute Tier leid; aber ich kann ihm nicht helfen, glücklich zu werden. Könnte ich es nur zähmen – das ist aber außer Frage – je mehr ich es versuche, desto schlimmer mache ich es. Es betrübt mich, es in seinen kleinen Sorgen und Zornausbrüchen zu sehen. Ich würde es ja freilassen, aber sie will nichts davon hören. Das erscheint hart und paßt gar nicht zu ihr, aber vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist es dann einsamer als je zuvor. Ich muß unbedingt ein anderes finden.

 

Fünf Monate später

Es ist kein Känguruh. Es hält sich an ihrem Finger fest, geht ein paar Schritte auf seinen Hinterfüßen und fällt dann wieder um. Vielleicht ist es eine Bärenart? Aber es hat keinen Schwanz – jedenfalls bisher noch nicht. Und auch kein Fell – bis das auf dem Kopf. Es wächst immer noch – das ist seltsam, denn Bären haben ihre Größe schon früher erreicht. Seit unserer Katastrophe sind Bären gefährlich, und ich möchte dieses Ding nicht länger auf unserem Grundstück umherschleichen haben, ohne daß es einen Maulkorb trägt. Ich habe ihr ein Känguruh angeboten, wenn sie das Ding laufen läßt. Aber es brachte nichts – ich glaube, sie wird uns in einige dumme Gefahren bringen. Bevor sie ihren Verstand völlig verlor, war sie irgendwie anders.

 

Zwei Wochen später

Ich habe mir sein Maul angeschaut. Er ist noch keine Gefahr – denn er hat nur einen Zahn. Und hat auch noch keinen Schwanz. Aber es macht viel mehr Geschrei als früher – und das meistens nachts. Ich bin ausgezogen. Ich werde aber morgens, am besten zum Frühstück, herübergehen und nachschauen, ob es schon mehr Zähne bekommen hat. Wenn es das ganze Maul voll Zähne hat, sollte es endlich abhauen, egal ob mit Schwanz oder ohne. Denn ein Bär ist gefährlich, auch wenn er keinen Schwanz hat.

 

Vier Monate später

Ich war zum Fischfang und Jagen für einen Monat in einer Gegend, die sie »Buffalo« nennt. Ich weiß nicht, warum sie die Gegend so nennt, denn es gibt hier keine Büffel. Der Bär kann mittlerweile überall auf seinen Hinterpfoten herumwatscheln und sagt »Papa« und »Mama«. Es muß eine neue Tierart sein. Die Aussprache von Worten kann rein zufällig und ohne Bedeutung sein. Aber es ist dennoch außergewöhnlich und trifft für andere Bären nicht zu. Die Nachahmung unserer Sprache allein zeigt, daß es sich um eine neue Bärenart handeln muß, obwohl das Fell weitgehend und der Schwanz vollständig fehlt. Das weitere Studium dieser Spezies erscheint äußerst interessant. Ich werde jetzt erst einmal eine größere Expedition in die Wälder des Nordens machen und ausgiebig suchen. Es wird gewiß noch ein ähnliches Tier aufzutreiben sein, und unseres ist sicherlich weniger gefährlich, wenn es einen Kameraden hat. Ich haue sofort ab, aber vorher kriegt dieses einen Maulkorb.

 

Drei Monate später

Es war eine beschwerliche Jagd und ich hatte keinen Erfolg. Inzwischen hat sie sich noch einen gefangen, ohne daß sie sich weit vom Grundstück entfernt hatte! So ein Glück habe ich nie. Ich hätte noch hundert Jahre jagen können und wäre nie zu solch einem Ding gekommen.

 

Am nächsten Tag

Ich habe das neue mit dem alten Ding verglichen; sie sind definitiv miteinander verwandt. Ich wollte eins von den beiden ausstopfen und in meine Sammlung aufnehmen. Aber sie ist aus irgendeinem Grund dagegen. Daher habe ich diese Idee fallengelassen, obwohl ich glaube, das dies ein Fehler ist. Ein großer Verlust für die Wissenschaft, falls sie beide verschwinden. Das ältere ist jetzt zahmer als früher und kann lachen und sprechen wie ein Papagei. Es hat es wohl vom Zusammenleben mit dem Papageien gelernt und hat diese Fähigkeit hochgradig imitiert. Ich wäre aber erstaunt, wenn es einer neuen Papageienart angehörte. Ich wäre aber nicht erstaunt, da es ja schon alles erdenkliche gewesen war, seitdem es wie ein Fisch war. Das neue ist genauso häßlich wie anfangs das alte. Es hat die gleiche schweflig-fleischige Gesichtsfarbe wie das ältere und der große Kopf hat ebenfalls keine Haare. Sie nennt es »Abel«.

 

Zehn Jahre später

Wir haben schon vor ein paar Jahren festgestellt, daß es Jungen sind. Wir waren nur verwirrt, weil sie so klein und unvollständig waren. Das kannten wir natürlich nicht. Nun sind auch ein paar Mädel da. Abel ist ein braver Junge, aber wenn Kain ein Bär geblieben wäre, hätte es ihm besser getan. Nach diesen vielen Jahren erkenne ich, daß ich mich in Eva anfangs getäuscht habe. Ich lebe viel lieber mit ihr außerhalb des Gartens als ohne sie im Garten. Früher glaubte ich, sie rede zu viel; aber nun wäre ich traurig, wenn ihre Stimme verstummte und aus meinem Leben verschwände. Gelobt sei die Kastanie, die uns zusammenbrachte und die mir die Güte ihres Herzens und die Süße ihres Charakters zeigte.


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