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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Wie Henden den Schutzmann zu nehmen weiß.

Der kurze Wintertag ging zu Ende. Die Straßen auf dem Weg zum Gefängnis waren öde. Nur hin und wieder eilte jemand raschen Schrittes vorbei, um bald wieder das behagliche Heim zu erreichen, das ihn vor Nacht und Nebel schützte. Keiner schaute sich nach unseren Freunden um. Eduard fragte sich, ob wohl je ein König auf dem Wege zum Gefängnis so wenig Aufsehen erregt habe. Als sie auf die Mitte des menschenleeren Marktplatzes kamen, faßte Henden den Schutzmann am Arm und sagte mit leiser Stimme: »Wartet einen Augenblick, guter Mann. Hier hört uns niemand, und ich möchte ein Wörtchen mit Euch sprechen.«

»Das verbietet mir meine Pflicht, Herr. Bitte, haltet mich nicht auf; die Nacht bricht herein.«

»Das macht fast gar nichts. Was ich zu sagen habe, ist höchst wichtig für Euch. Schaut Euch einen Augenblick um und laßt derweil den Knaben entfliehen.«

»Das mir, Herr? Ich verhafte Euch im – – –«

»Nur nichts überhasten, Mann. Nehmt Euch wohl in acht, daß Ihr keine Torheit begeht.«

Dann senkte er seine Stimme zu einem Flüstern herab und sagte: »Das Ferkel, das Ihr für drei Viertel Schillinge gekauft habt, kann Euch den Hals kosten, Mann.«

Der Schutzmann war erst sprachlos vor Erstaunen, dann fand er seine Sprache wieder und begann aufzubrausen und zu drohen. Aber Henden blieb ruhig und wartete geduldig, bis der andere nichts mehr zu sagen wußte. Dann entgegnete er: »Ihr gefallt mir, Freund, und ich möchte Euch nicht gerne in Ungelegenheiten bringen. Paßt wohl auf; ich hörte alles, Wort für Wort. Ich will es Euch beweisen.«

Er wiederholte das ganze Gespräch, das der Polizist mit der Frau geführt hatte und schloß: »Nun, habe ich meine Sache gut gemacht? Glaubt Ihr, ich könne es nicht auch ebenso gut vor dem Richter hersagen, wenn es dazu kommt?«

Helle Angst malte sich auf dem Gesichte des Schutzmannes. Aber er faßte sich wieder und suchte einen leichten Ton anzuschlagen: »Ihr macht da eine furchtbar ernste Geschichte aus diesem Scherz. Ich wollte ja doch die Frau nur ein wenig zum besten halten.«

»Deshalb wohl behieltet Ihr auch das Ferkel?«

Der Mann antwortete mit angenommener Schärfe: »Nichts weiter, Herr. Ich sage Euch, es war nur ein Spaß.«

»Ich fange an, Euch zu glauben«, erwiderte Henden halb ironisch und halb mit angenommenem Ernst. »Aber wartet hier einen Augenblick. Ich will nur schnell den Richter hierüber befragen. Er ist ein gesetzeskundiger Mann und wird wohl verstehen, Scherz und Ernst aus einander zu halten.«

Während er sprach, bewegte er sich langsam rückwärts. Der Schutzmann schwankte, wurde unruhig, stieß endlich eine Verwünschung aus und sagte: »Halt, halt, lieber Mann ... bitte, wartet noch ein wenig ... der Richter ... ei, Herr, der hat nicht mehr Sinn für einen guten Witz, als ein toter Leichnam. Kommt, wir wollen weiter verhandeln. In des Kuckucks Namen! Das ist eine ganz verwünschte Geschichte! Und alles nur wegen einer unschuldigen, harmlosen Laune. Ich bin Familienvater, und meine Frau und meine Kleinen ... Nehmt Vernunft an, Euer Ehren: was wollt Ihr von mir?«

»Ihr sollt nur blind und taub und lahm sein für die kurze Zeit, bis Ihr auf 100000 gezählt habt; das heißt, Ihr müßt aber langsam zählen«, sagte Henden mit der Miene eines Mannes, der eine ganz selbstverständliche Kleinigkeit verlangt.

»Das bringt mich ins Verderben«, rief der Schutzmann ganz fassungslos. »Seid vernünftig, lieber Herr. Ihr könnt mein Gespräch mit der Frau ansehen, wie Ihr wollt, Ihr müßt schließlich zur Überzeugung kommen, daß es nur ein Scherz war. Und selbst, wenn es nicht als Scherz aufgefaßt würde, so wäre es ein so geringfügiges Vergehen, daß es mir im schlimmsten Falle nur einen Rüffel und eine Vermahnung vom Richter zuziehen würde.«

Henden erwiderte feierlich:

»Für diesen Euern Scherz hat das Gesetz einen Namen. Wißt Ihr, wie er lautet?«

»Das wußte ich doch nicht. Vielleicht bin ich unvorsichtig gewesen. Das war mir nie eingefallen, daß dieses ... Versehen auch noch einen Namen habe. Ach, du lieber Himmel, ich dachte, es wäre ein Originalspaß.«

»Ja doch, es gibt einen Namen dafür. In den Gesetzbüchern heißt ein solches Vergehen » Non compos mentis lex talionis sic transit gloria mundi«.

»Ach, mein Gott, welch langer Name!«

»Und die Strafe ist auch entsprechend. Sie lautet auf Tod.«

»Gott sei mir armem Sünder gnädig!«

»Ihr habt die Not und Hilflosigkeit einer Frau zu Euerem eigenen Vorteil mißbraucht und Euch fremdes Gut für drei Viertel Schillinge angeeignet, das drei und drei Viertel Schillinge wert war, unrechterweise angeeignet, also gestohlen. Das kommt folglich einem Diebstahl von drei Schillingen gleich, worauf schon, wie Ihr wißt, die Todesstrafe steht. Dann aber habt Ihr auch Amtsmißbrauch getrieben und zwar zu Betrug und Übervorteilung. Das Gesetz nennt dieses Verbrechen » Ad hominem expurgatis in statu quo«. Ihr müßtet also mehrfach gehängt werden, ohne daß Ihr durch Geld oder Einspruch der Geistlichkeit oder Umänderung in Galeerenstrafe Euch dem Galgen entziehen könnt.«

»Haltet mich, haltet mich, Herr; meine Kniee wanken. Seid barmherzig, verschonet mich, und ich will mich abwenden und nichts sehen von dem, was hinter mir vorgeht.«

»So, nun redet Ihr doch endlich verständig und klug. Und wollt Ihr das Ferkel der Frau zurückgeben?«

»Ja, das will ich, bei meinem Amtseid. Ich könnte auch gar kein Ferkel mehr anrühren, wenn auch ein Engel vom Himmel es mir gebraten auf den Tisch brächte. Geht; ich bin blind, ich will nichts sehen. Ich will sagen, Ihr seid ins Gefängnis eingebrochen und hättet den Gefangenen mit Gewalt befreit. Es hat nur eine alte, morsche Tür. Ich will sie selbst um Mitternacht mit meiner Axt zusammenschmettern.«

»Tut das, gute Seele, und es wird Euch kein Leides geschehen. Der Richter hat ein mitleidiges Herz für den armen Knaben und wird Euch keine Schwierigkeiten machen, wenn der Junge auch entwischt ist.«


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