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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Wie Eduard zum König der Kampfhähne ernannt wird.

Noch einmal mußte König »Fufu der Erste« mit den Geächteten und Stromern herumziehen. Er war das Ziel ihrer rohen, stumpfsinnigen Witze und gelegentlich auch das Opfer der Bosheit Cantys und Hugos, wenn der Hauptmann gerade nicht zugegen war. Nur diese beiden mochten ihn nicht leiden. Die andern hatten ihn recht gern und bewunderten seinen kecken Trotz und Mut. Hugo besonders tat ihm zuleide, was er insgeheim nur konnte, und machte ihm das Leben schwer. Einst bei einer nächtlichen Orgie trat er ihn wie zufällig zweimal kräftig auf die Zehen.

Der kleine König ging verächtlich darüber hinweg. Als aber Hugo es noch einmal versuchte, schlug ihn der König mit einem Knüttel nieder, worüber sich die ganze Bande unbändig freute. Voll Zorn und Scham sprang Hugo auf, ergriff ebenfalls einen Knüppel und kam wütend auf »Hans« los. Sofort bildete sich ein Ring um die beiden Kämpfer, ermunternde Zurufe erschollen, und man begann auf den Ausgang zu wetten. Aber Hugo hatte trotz seines höheren Alters nur wenig Aussicht auf Erfolg. Was bedeutete seine Lehrlingspfuscherei gegenüber einem Arm, den die ersten Meister Europas im Fechten geübt hatten!

Ruhig und in anmutiger Haltung stand der kleine König da, parierte gewandt den Hagel von Schlägen, so leicht und genau, daß die Augen der Zuschauer bewundernd an ihm hingen. Dann und wann, wenn sein geübtes Auge eine Blöße des Gegners erspähte, hatte Hugo blitzschnell auch schon einen derben Hieb weg, und stürmisches Gelächter belohnte den kleinen Helden. Nach einer Viertelstunde schlich sich Hugo, ganz zerbleut und voller Beulen, die Zielscheibe erbarmungsloser Spöttereien, von der Walstatt hinweg. Den unverletzten kleinen Sieger aber hob die fröhliche Bande jubelnd auf die Schultern und trug ihn zum Hauptmann, wo er mit großer Umständlichkeit zum König der Kampfhähne gekrönt wurde, während sein früherer Titel feierlich als nichtig erklärt ward.

Alle Versuche der Bande, den kleinen König sich und ihren Zwecken dienstbar zu machen, hatten fehlgeschlagen. Hartnäckig hatte er sich dessen geweigert, ja sogar wiederholt Fluchtversuche unternommen. Am ersten Tage seiner Wiederankunft hatte man ihn in eine unbewachte Küche hineingestoßen. Aber nicht nur kehrte er mit leeren Händen zurück, sondern versuchte auch, die Hausbewohner aufzurütteln. Dann gab man ihn einem Kesselflicker als Gehilfen mit; er wollte nicht arbeiten. Mehr noch; er drohte dem Kesselflicker mit dessen eigenem Lötrohr. Hugo und der Kesselflicker hatten Mühe genug, ihn nur an der Flucht zu hindern. Sein königlicher Zorn ergoß sich wie Lava auf die Häupter derer, die seine Freiheit antasteten oder suchten, ihn zu Diensten willfährig zu machen.

Einmal schickte man ihn und Hugo mit einer schlampigen Frau und einem übelfeilen Kinde auf Bettelei aus. Das Ergebnis war nicht ermutigend. Eduard lehnte es ab, für das kranke Kind zu betteln und wollte überhaupt nichts von dem Treiben wissen.

So vergingen mehrere Tage. Dieses elende Herumstrolchen, das ganze Leben bei dieser gemeinen, schmutzigen Bande ward ihm zum Ekel und bald so unerträglich, daß er beinahe wünschte, er wäre vom Erzengel abgeschlachtet worden.

Des Nachts aber, in seinen Träumen, vergaß er alles wieder. Da saß er auf seinem Throne und war Herr und König. Das Erwachen war indes nur um so peinigender für ihn, und noch sah er kein Ende ab.

Am Morgen nach jenem Zweikampf erhob sich Hugo, das Herz voll böser Rachegedanken. Besonders zwei Pläne hatte er sich zurechtgelegt. Einmal wollte er »Hans« demütigen, wo es nur immer anging und so sehr er nur konnte. Sein anderer Gedanke ging dahin, dem König irgend ein Verbrechen in die Schuhe zu schieben und ihn sodann den Klauen des Gesetzes zu überantworten.

Zunächst nahm er sich vor, den siegreichen Gegner körperlich zu verunstalten. Zu diesem Zwecke wollte er ihm ein Pflaster um die Beine legen. Diesen Umschlag setzte er zusammen aus einem Kleister von ungelöschtem Kalk, Seife und Rost von altem Eisen. Das ganze wurde auf ein Stück Leder gestrichen und mußte sodann dicht um das Bein gewickelt werden. Die Haut würde sich an dieser Stelle bald ablösen und das Fleisch sich entzünden, brennen und schmerzen. Dann sollte das Bein mit Blut eingerieben werden. Wenn dieses trocknete, so nahm das wunde Bein eine dunkle, abstoßende Färbung an. Sodann wollte er es mit schmutzigen Lumpen in absichtlich sorgloser Weise umhüllen, so daß das Geschwür leicht zu sehen war, um das Mitleid der Vorübergehenden zu erregen. Mit diesem Bein sollte »Hans« auf der Landstraße sich Zeigen und so zur Bettelei gezwungen werden.

Zu diesem Vorhaben sicherte er sich die Hilfe des Kesselflickers, der also »Hans« als Gehilfen mitnehmen mußte. Das geschah. Sowie sie außer Sicht des Lagers waren, warfen die ruchlosen Gesellen den kleinen König zur Erde. Der Kesselflicker hielt ihn fest, und Hugo legte ihm den Verband an.

Der König raste und strampelte, so gut er konnte. Er gelobte ihnen, sie hängen zu lassen, sobald er wieder auf dem Throne sei. Aber er konnte sich nicht losmachen, und seine Peiniger verlachten seine Drohungen. Es währte nicht lange, da begann das Pflaster zu wirken und hätte bald seine volle Schuldigkeit getan, wäre nicht ein störender Zufall eingetreten. Diesen führte der Leibeigene herbei, welcher jene famose Rede gegen die englischen Gesetze gehalten hatte. Er erschien plötzlich auf der Bildfläche und machte der Sache rasch ein Ende, indem er das Pflaster einfach wegriß und fortschleuderte.

Der König wollte sich den Stock seines Befreiers borgen und den beiden Schurken den Rücken verbleuen. Aber der Leibeigene wollte das nicht zugeben, sondern die ganze Sache dem Hauptmann zur Entscheidung überlassen. Er brachte alle drei ins Lager zurück und berichtete dem Hauptmann, was vorgefallen war. Dieser überlegte sich's eine Weile und entschied dann, der König solle nicht mehr angehalten werden zu betteln, da er offenbar zu gut dafür sei. Deshalb erhob er ihn aus dem Bettlerstand und beförderte ihn in den Rang der Diebe.

Hugo freute sich über die Maßen. Er hatte ja schon den König zum Diebstahl verleiten wollen, ohne daß es ihm gelungen war. Jetzt aber, nach dem Ausspruch des Hauptmanns, würde es »Hans« wohl nicht mehr im Traume einfallen, dem so deutlich ausgesprochenen Befehle zu trotzen. Schon für den nämlichen Tag plante er einen Streifzug, mit dem Vorhaben, den König dabei der Obrigkeit zu verraten. Das mußte natürlich so schlau ins Werk gesetzt werden, daß sein schmähliches Vorgehen nicht an den Tag kam. Die ganze Bande hatte ja den kleinen König der Kampfhähne lieb gewonnen und würde also mit seinem Verräter nicht sehr glimpflich umgehen.

Früh am Nachmittage schlenderte Hugo mit seinem Opfer einem nahen Städtchen zu, wo sie die Straßen absuchten, der eine in der Hoffnung auf Beute, der andere mit der Absicht, wenn immer möglich zu entrinnen.

Beide verwarfen mehrere Gelegenheiten, die sich ihnen darboten, denn alle beide wollten diesmal sicher gehen. Hugo hatte zuerst Erfolg. Eine Frau kam mit einem dicken Pack in einem Korb auf sie zu. Hugo sah es mit höllischem Grinsen. »Bei allen Teufeln, wenn ich ihm nur das anhängen kann, dann fahre wohl, König der Kampfhähne!«

Er wartete noch einen Augenblick und beobachtete, bis die Frau vorüber und der rechte Zeitpunkt gekommen war. Dann sagte er mit leiser Stimme: »Warte hier, bis ich wiederkomme!«

Dann ging er verstohlen seiner Beute nach. Freude erfüllte des Königs Herz. Jetzt konnte er fliehen, sobald Hugo außer Sicht war. Aber ein so großes Glück war ihm nicht beschieden. Hugo schlich hinter der Frau her, ergriff das Pack und rannte zurück, während er es rasch in einen alten Fetzen einhüllte, den er bei sich trug. Die Frau, deren Korb leichter geworden war, merkte den Diebstahl sogleich, obwohl sie den Dieb nicht gesehen hatte, und erhob ein mächtiges Geschrei. Hugo gab das Bündel dem König rasch in die Hand, flüsterte, ohne sich aufzuhalten: »Nun laufe rasch hinter mir her. Suche die Leute von mir abzuhalten und sie irre zu führen.«

Beleidigt und entrüstet warf der König das Pack hin. Die Umhüllung fiel aus einander und brachte das Pack zum Vorschein, gerade als die Frau bei ihm ankam. Im Handumdrehen stand eine ganze Menge von Leuten um den kleinen König. Die Frau ergriff ihn beim Handgelenk und hob mit der Linken ihr Pack auf. Eine wahre Flut von Schimpfworten ergoß sich über den armen Eduard, während er sich vergeblich mühte, die Hand frei zu bekommen.

Hugo hatte genug gesehen. Seines Feindes hatte er sich entledigt, und das Gesetz würde den »Hans« schon zu fassen wissen. So enteilte er flüchtigen Fußes dem Schauplatz seines Verrates und sann dabei nach, was er seinen Gefährten angeben wollte.

Indessen fuhr der König fort, sich der Frau zu erwehren und rief zornig: »Gib mir die Hand frei, du törichtes Weib; nicht ich habe deine Habseligkeiten geraubt.«

Dichter nur umschloß ihn die Menge und stieß Drohungen und Verwünschungen gegen den armen Knaben aus. Ein sonngebräunter Grobschmied in Lederschürze und aufgekrempelten Ärmeln trat auf ihn zu und wollte ihn durchdreschen, wie er sagte. Aber gerade, als er sich anschickte, seine Drohung wahr zu machen, blitzte ein langes Schwert durch die Luft und fiel, die flache Seite nach unten, mit überzeugender Gewalt auf seinen bloßen Arm. Zugleich ließ sich der wehrhafte Eigentümer der blanken Klinge also vernehmen: »Ei, ihr lieben Leute, laßt uns in Güte vorgehen, nicht mit bösem Blut und unchristlichen Worten. Das Gesetz hat hier einzig dreinzureden, ihr aber laßt die Hände davon, wenn ich euch raten darf. Ihr da, gute Frau, gebt den Knaben frei!«

Der Grobschmied musterte den kecken Krieger mit einem raschen Blick. Es schien ihm aber doch nicht geraten, mit ihm anzubinden, und so ging er brummend davon. Die Frau ließ zögernd den Knaben los, und die Menge schaute den Fremden mit feindseligen Augen an, wagte aber nicht, Einwendungen zu erheben. Der König indes sprang mit geröteten Wangen und blitzenden Augen an die Seite seines Befreiers und rief jubelnd aus: »Lange hast du gezaudert, aber du kommst noch zur rechten Zeit, Herr Michael Henden. Hau mir diesen Pöbel zusammen!«


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