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8. Kapitel.
Geburtstags-Vorfreuden

Obwohl Bärbel in Dresden alle Liebe und Sorgfalt in höchstem Maße genossen hatte, empfand die Kleine doch sehr bald das Verlangen, wieder nach Hause zurückzukehren.

Frau Lindberg merkte, daß Bärbel das Köpfchen hängen ließ, immer öfter von den Eltern sprach und schließlich die Augen voller Tränen hatte, wenn man davon erzählte, daß die Kleine noch viele Tage in Dresden bleiben sollte.

Frau Lindberg war schließlich zu dem Entschluß gekommen, Goldköpfchen nach Dillstadt zurückzubringen, weil sie die Sehnsucht begriff, die das kleine Kinderherzchen erfaßt hatte.

Goldköpfchen war überglücklich, als man wieder in den Zug stieg; und die Freude steigerte sich zur Ungezogenheit, als man endlich in Dillstadt auf dem Bahnhof ankam.

Frau Wagner hatte sich inzwischen recht gut erholt, sie hatte eine zuverlässige Pflegerin für die Zwillinge gefunden; und man konnte daher Bärbel zurückkommen lassen.

Goldköpfchen drückte die Eltern fast tot vor Freude; sogar Joachim bekam ein paar zärtliche Küsse, die er gnädigst entgegennahm.

Nun ging's ans Erzählen. Was wußte Bärbel nicht alles zu berichten! Sie kam sich dem großen Bruder gegenüber ordentlich gelehrt und großstädtisch vor. Joachim behauptete zwar, daß er, als er vor einigen Jahren in Dresden gewesen sei, das alles auch schon gesehen habe; aber er horchte doch aufmerksam auf Bärbels Erzählungen.

Nur mit den Zwillingen wollte sich die Kleine noch immer nicht aussöhnen. Sie hatte geglaubt, daß die Brüderchen in ihrer Abwesenheit gewachsen und klüger geworden wären. Als aber die Säuglinge immer noch so viel schliefen und schrien, schüttelte Bärbel mißbilligend das Köpfchen und meinte, es sei wirklich nicht viel mit den beiden los.

»Wünsch' dir doch andere zum Geburtstag,« lachte Joachim.

»Wann hab' ich Geburtstag?«

»Am 26. Juni.«

»Wann ist das?«

Joachim führte die Schwester zum Abreißkalender, hob einige Blätter hoch und sagte: »Wenn die Blätter abgerissen sind, und du bist hier, dann ist dein Geburtstag.«

Der Bruder hatte kaum ausgesprochen, so griff Bärbel nach den Blättern und riß sie ab.

»Hab' ich nun Geburtstag?«

»Bist ja dumm! Ein Blatt bedeutet jedesmal, daß man schlafen gehen muß.«

»Und hier hab' ich Geburtstag?«

»Ja, am 26. Juni.«

Nun ging das Fragen beständig; Bärbel wollte, daß möglichst bald der 26. Juni sei, forschte bei Vater und Mutter, ob sie auch am 26. Juni Geburtstag hätten, und ließ sich immer wieder beschreiben, wie lange es noch dauere, bis sie Geburtstag habe.

»Dein Vati muß noch viel länger warten; dein Vati ist im Oktober geboren.«

»Und die Mutti?«

»Ist am 4. Januar geboren.«

»Und wann bin ich geboren?«

»Am sechsundzwanzigsten Juni.«

»Ooch, Vati, dann bin ich ja gerade an meinem Geburtstage geboren!«

»Natürlich, du Schäfchen. – Was wünscht du dir denn?«

»Schenkst du mir das?«

»Wenn du bis dahin artig bist, – ja.«

»Zuerst ein großes Glas mit Bonbons, wie es beim Kaufmann steht, – und dann – – sollst du den Emil Peiske verhauen, der hat mich geärgert. Und dann – – daß ich die Zwillinge mal zwicken darf. Und dann – – eine Tafel Schokolade. Und dann – – einen neuen Esel! Und dann – – daß die Zwillinge groß sind und mit mir spielen. Und dann – – daß mir der Joachim das grüne Buch gibt. Und dann – –«

»Du hast ja recht viele Wünsche, Goldköpfchen. Ein kleines Mädchen muß bescheiden sein und nicht so viel haben wollen.«

»Weißt du, Vati, ich werd' das andere alles dem Schutzengel sagen, der bringt mir das.«

»Weißt du, was ich mir wünsche, Bärbel?«

»Hast du denn Geburtstag?«

»Ich wünsche mir nur ein liebes, artiges Mädchen.«

Bärbel verdrehte entsetzt die Augen. »Noch ein Zwilling?«

»Nein, – ich wünsche mir, daß das kleine Mädchen, welches vor mir steht, immer recht lieb und artig ist.«

Bärbel zog die Stirne kraus. »Da mußt du mal mit dem Teufel reden, daß er mich in Ruhe läßt, und daß er nicht immer anders will, wie Bärbel möchte.«

»Weißt du, wie ich mit dem Teufel rede? Da hole ich den Stock und schlage den Teufel.«

»Wenn er in mir drin sitzt?«

»Ja, gerade dann.«

»Ooch – ob es der Teufel fühlt?«

»Bärbel fühlt es aber.«

Des Kindes Augen flammten auf. »Wenn der Teufel böse ist und Bärbel werdet gehauen, so ist das doch nicht richtig, Vati.«

»Was richtig ist, weiß Vati viel besser als du, Goldköpfchen. Du wirst jetzt fünf Jahre und mußt anfangen, nicht mehr so wild zu sein. Kleine Mädchen müssen viel braver werden als Jungens.«

»Warum denn, Vati?«

»Nun – – nun – – weil kleine Mädchen später einmal Muttis werden.«

»Und sind Muttis immer braver als Vatis?«

Herr Wagner wurde sichtlich verlegen. »Deine Mutti ist doch eine sehr liebe Mutti.«

»Ist die Mutti lieber als du?«

»Hast du uns denn nicht beide lieb?«

»Warum sind denn Muttis braver als Vatis?«

»Willst du nun einen Esel, den du ziehen kannst, oder einen Esel, der in einem Stall steht?« lenkte Herr Wagner ab.

»Und ein Kamel! Und Affen – und einen Löwen, – wie bei der Großmama!«

Von diesem Tage an kam Bärbel jeden Augenblick mit einem neuen Wunsche an. Alles, was sie in Dresden gesehen hatte, wollte sie besitzen. Es sollte durchaus ein Wagen mit Löchern sein, der Wasser spritzte und ein anderer mit Bildern, und dazu ein richtiges Pferd. Und schließlich der alte Lieblingswunsch: ein Ziegenböckchen.

Auch Joachim wurde mit Wünschen bedacht, ebenso Emil Peiske, der sich heimlich in den Garten stahl; denn es war ihm verboten worden, alltäglich nach der Apotheke zu kommen. Trotzdem wollte Herr Wagner seinem Sohn den besten Spielkameraden nicht ganz rauben; aber er sorgte dafür, daß die Knaben möglichst viel unter Aufsicht waren.

Jetzt, zur warmen Sommerszeit, stand der Wagen mit den Zwillingen häufig im Garten; und da entweder Frau Wagner oder die Pflegerin dabei saßen, konnte man die spielenden Knaben im Auge behalten.

Da im Garten der Apotheke ja Platz genug war, erlaubte man Joachim gern, daß er sich seine Schulfreunde einlud. Herrn Wagner war es viel lieber, wenn sein Sohn mit seinen Mitschülern spielte, als dauernd mit Emil Peiske nur lose Streiche ausführte.

Bärbel, die gern an den Spielen teilnahm, wurde freilich nicht von allen Knaben gern gesehen; man rümpfte die Nase, daß man mit solch einem kleinen Mädchen spielen sollte. Nur manchmal wurde Goldköpfchen von den Knaben gerufen, doch verbarg sich dann meistens eine bestimmte Absicht hinter der Aufforderung.

Auch heute war es Joachim, der Bärbel, die neben der Mutter saß und beglückt auf den Marzipanapfel blickte, der ihm geschenkt worden war, zum Spiele rief. Neidvoll hatte Joachim beobachtet, daß Bärbel den Marzipanapfel noch nicht gegessen hatte, während der seine längst verspeist war.

»Wir wollen fein zusammen spielen, Bärbel!«

Erfreut sprang das Kind auf und lief zu dem Bruder und dessen beiden Freunden.

»Zeck,« schlug einer der Knaben vor. Aber Joachim schüttelte den Kopf.

»Nein, viel was Feineres! Wir spielen Paradies. – Ich bin der Adam, Bärbel ist die Eva, du Max, bist die Schlange, und der Ludwig ist der Engel, der uns 'rausschmeißt.«

Für Ludwig war es natürlich das erste, einen dicken Stock zu suchen, der das feurige Schwert darstellen sollte.

»Nun geht's los!« bestimmte Joachim. »Bärbel und ich sitzen unter einem Baum, und der Max kriecht zu uns.

Der Knabe warf sich sofort auf die Erde und kam zischend heran.

»So, Bärbel, jetzt sagst du, ich soll einen Apfel essen.«

»Nu eß einen Apfel!«

»Du mußt mir nun deinen Apfel herhalten!«

Ahnungslos kam das Kind dem Wunsche nach. Joachim spielte den liebenswürdigen Kavalier, bedankte sich bei Eva, und unter dem Zischen der Schlange, die natürlich auch etwas von dem Apfel abhaben wollte, biß Joachim herzhaft in den Marzipanapfel hinein.

»Gib mir auch ein Stück,« schrie Ludwig, »sonst hau' ich gleich zu!«

Bärbel vergaß die Rolle der Eva, fiel dem Bruder in den Arm und rief: »Das ist mein Apfel!«

»Quatsch, – der Adam ißt den Apfel!«

Die Schlange wollte auch abbeißen, Bärbel wurde immer erregter, wollte dem Bruder den Marzipanapfel entreißen, aber Joachim war stärker, gab der kleinen Schwester einen Stoß, daß sie zur Erde fiel.

»Mein Apfel, das ist mein Apfel!« zeterte Goldköpfchen.

Joachim stopfte den Rest des Marzipanapfels in den Mund.

»Ein Stück hättest du mir abgeben können,« maulte Ludwig, »dafür schmeiß' ich dich jetzt aus dem Paradiese,« und schon bekam Joachim einen kräftigen Schlag mit dem Stock.

»Du bist wohl verrückt, mich so zu schlagen!«

»Mutti, Mutti, der Joachim hat meinen Apfel gegessen!«

Während sich Joachim und Ludwig nun Grobheiten an den Kopf warfen, hatte Max eine Stecknadel hervorgezogen und stach damit Joachim ins Bein.

»Was fällt dir denn ein!«

»Ich bin die Schlange!«

Er bekam eins mit dem Fuße. Und nun begann eine regelrechte Balgerei, bei der es nicht besser zuging, als wenn Schneiders Emil um sich schlug und kratzte.

Frau Wagner sah sich schließlich genötigt, die Knaben zu trennen, die schließlich alle drei um sie herumstanden und weinten.

»Wo hast du Bärbels Apfel, Joachim?«

»Ich bin doch der Adam und hab' ihn gegessen.«

Es dauerte ein ganzes Weilchen, ehe eine Versöhnung zwischen den Kindern zustande kam. Die Mutter versprach Goldköpfchen ein anderes Stück Marzipan, und von den Knaben verlangte man, daß sie jetzt, um Bärbel wieder zu versöhnen, artig mit dem kleinen Mädchen spielten.

Da saßen denn die Buben gelangweilt herum, jeder wollte vom andern ein paar Vorschläge hören, bis schließlich Ludwig meinte: »Spielen wir doch Hochzeit.«

»Au, fein!« sagte Max, »ich bin der Bräutigam, und Bärbel ist meine Braut.«

»Nee, der Bräutigam bin ich, ich kenne Bärbel am längsten, und man heiratet doch nur die Frau, die man schon lange kennt.«

»Quatsch!« erklärte Ludwig, »wenn man eine Frau lange kennt, heiratet man sie überhaupt nicht!«

Joachim trat sehr freundlich an seine Schwester heran. »Du – ich heirate dich, aber natürlich mußt du eine Mitgift haben.«

»Was ist denn das?«

»Geh zur Mutti und laß dir zehn Pfennige geben.«

Bärbel lief zur Mutter und verlangte die zehn Pfennige. Frau Wagner sah sich genötigt, ihren Sohn zu rufen, damit er Auskunft über die zehn Pfennige gebe.

»Nun, ich werde doch keine Frau heiraten, die nischt hat. Hochzeitmachen kostet Geld.«

»Hier hast du fünf Pfennige, das genügt!«

»Ein bißchen wenig ist es ja, aber – meinetwegen. Ich mache eben eine schlechte Partie.«

»Will dich Bärbel denn haben?« lachte Frau Wagner, »zum Heiraten gehören doch zwei.«

»Ooch, Mutti,« rief Bärbel erfreut, »dann nehme ich den Joachim und den Ludwig!«

»Nein, du darfst nur einen Mann haben. Da aber Joachim dein Bruder ist, würde ich mich mit Ludwig verheiraten.«

»Bekomm ich dann auch fünf Pfennige?« fragte der vorgeschlagene Bräutigam.

Lächelnd gewährte Frau Wagner die Bitte. Max wollte läuten, und stürmte schon davon, um einen Eimer und einen Fleischklopfer zu holen.

Bärbel wollte, daß ihre Puppen zugegen seien; aber Ludwig erklärte, Kinder hätten bei einer Hochzeit nichts zu suchen. – Da gab es den ersten Streit, und der Bräutigam lief schließlich davon und schrie zornig:

»Die heirate ich überhaupt nicht!«

So nahm das Hochzeitspielen ein jähes Ende. Alle Vermittelungsversuche der Mutter fruchteten nichts. Während Bärbel nach ihrem Marzipan drängelte, liefen die drei Knaben davon und waren nicht mehr zu sehen. –

In den nächsten Tagen hielt es Joachim für ratsam, sich etwas mehr um seine Schwester zu kümmern. Bärbels fünfter Geburtstag stand vor der Tür, und er hatte erfahren, daß die Kleine allerlei Süßigkeiten bekam. Die Lotte vom Doktor würde einen ganzen Kasten mit Katzenzungen bringen, die kleine Paula von nebenan Keks; und auch von den Eltern würde es sicherlich allerlei Gutes geben. Da mußte man die Gelegenheit benutzen, um Bärbel schon von vornherein etwas abzuschwatzen.

Bärbel war vor freudiger Erwartung so erregt, daß sie von nichts anderem mehr sprach als von dem bevorstehenden Freudentage. Drei kleine Mädchen und sieben Knaben waren eingeladen worden. Frau Wagner wollte selbst die Spiele überwachen, damit es nicht wieder zu Streitigkeiten oder gar zu Tränen käme.

Man hatte für Bärbel einen prächtigen Kuchen und eine Kirschentorte gebacken; dazu gab es Schlagsahne, alles, was das Kinderherz begehrte.

Endlich war der ersehnte Tag da. Auf dem weißgedeckten Tisch brannten fünf Lichter und dazu das große Lebenslicht. Es gab eine Menge Spielsachen, Süßigkeiten, und als Hauptgeschenk einen kleinen, reizenden Wagen, in dem Bärbel bequem sitzen konnte.

Als man Goldköpfchen ins Zimmer rief, war die Kleine zunächst sprachlos. Daß alle diese schönen Sachen von heute an Goldköpfchens Eigentum sein sollten, erschien dem Kinde unfaßlich.

Joachim war der erste, der das Schweigen brach. »Die Schokolade habe ich dir geschenkt, da gibst du mir doch ein Stück ab? Wenn du alles ißt, wirst du krank.«

»Gefällt dir der Wagen? Dann kann dich Joachim ziehen.«

»Na, das wäre gelacht!« klang es entrüstet aus dem Munde des Knaben, »soll sie sich doch 'nen Diener halten.«

Bärbels Gesichtchen strahlte. Zunächst wagte das Kind nicht, die schönen Sachen anzurühren; dann aber tippte es bald hier, bald da mit dem Fingerchen auf die Spielsachen, und endlich sagte Goldköpfchen mit vor Freude zitternder Stimme:

»Soll Bärbel das alles haben?«

»Alles, mein liebes Kind.«

Ein schriller Schrei brach aus der Brust des kleinen Mädchens, dann hüpfte es stürmisch im Zimmer umher, nahm den Kasten mit den weißen Schäfchen, setzte sich auf die Diele und begann die Tiere aufzustellen. Aber schon sprang es wieder empor, holte den bunten Ball, warf ihn in die Luft, und Herr Wagner hatte Mühe, zu verhindern, daß der Ball auf eine Kristallschale fiel und diese herunterwarf. Eine Minute später saß Bärbel im Wagen und ließ sich vom Vater durch das Zimmer ziehen.

Aber plötzlich wurde das Kind mäuschenstill. Es blickte den Vater und die Mutter an, schmiegte sich an die Mutter und sagte leise:

»Sagst du mir nun auch ein Verschen her?«

»Ein Verschen nicht, mein liebes Goldköpfchen, das sagen nur die Kinder den Eltern. Aber viele herzliche Wünsche will ich dir sagen. Du wirst heute fünf Jahre alt; bleibe mein liebes, gutes Mädchen, das seine Eltern niemals betrübt, das keine Unwahrheit spricht, das alle Menschen gern haben, und bemühe dich, mit jedem Jahre etwas hinzuzulernen.«

Auch der Vater gratulierte seinem Töchterchen herzlich; dann kam Joachim, der materielle Wünsche in die Gratulation einflocht.

»Heute nachmittag bekommst du noch viel mehr Schokolade; gibst du mir etwas davon ab?«

Bärbel nickte. Zum Antworten hatte sie jetzt keine Zeit, sie mußte immer wieder die vielen erhaltenen Spielsachen betrachten.

Am Nachmittag kam die Kinderschar. Apotheker Wagner war zwar an Lärm gewöhnt; aber heute ging es besonders stürmisch zu. Alles schrie und lärmte durcheinander, und Frau Wagner war froh, als schließlich durch Kakao und Kuchen die kleinen Schnattermäulchen gestopft wurden.

»Ooch, Mutti,« frohlockte Bärbel, »Kirschkuchen mit schon ausgespuckten Steinen, den ess' ich furchtbar gern!«

Die Torte verschwand; auch der Kuchen nahm rasch ab, und immer wieder wurde nach neuen Stücken gegriffen.

Bald schallte es von hier, bald von dort: »Bitte, noch ein Stück Kuchen, ich kann doch den Kaffee nicht so trocken trinken!«

»Nun, Bärbel, willst du auch noch ein Stück haben?« fragte Frau Wagner.

Goldköpfchen blies die Bäckchen auf. »Ich könnte schon noch beißen, aber 'runterschlucken kann ich ihn nicht mehr!«

»Dann laß es lieber bleiben, mein Kind, sonst wirst du krank.«

Darauf ging es ans Spielen. Das war eine schwere Aufgabe, denn Joachim und sein Freund wollten stets etwas anderes, und Frau Wagner hatte alle Mühe, die Verschiedenaltrigen in gemeinsamem Spiel zu sammeln.

Es wurde sogar getanzt. Dann gab es eine kleine Maskerade.

Als die Kinder in ihrer Verkleidung in die Apotheke kamen, lief Bärbel auf den Vater zu und flüsterte ihm ins Ohr:

»Fürcht' dich nur nicht vor uns, ich bin es, und ich tu' dir nichts!« Aber Herr Wagner und sein Provisor gaben sich doch den Anschein, als hätten sie vor der maskierten Schar furchtbare Angst, worauf Bärbel besorgt rief:

»Na, Vati, guck' mich doch an, ich bin doch das Bärbel! Ich behüte dir!«

»Dann ist's ja gut, Bärbel, da brauchen wir uns nicht zu fürchten.«

»Nein, dir tut keiner was!«

Dann ging's an einen Umzug durch Haus und Garten. Joachim und sein Freund führten den Zug an.

Aber Frau Wagner hielt es doch für geraten, diesen Umzug mitzumachen. Als sich Joachim anschickte, über die Hecke zu steigen, wehrte sie ab. Sie mußte auch noch öfter ein Verbot ertönen lassen, denn Joachim wollte den Zug über die unmöglichsten Stiegen und Gefährnisse führen und behauptete schließlich ärgerlich:

»Macht ja keinen Spaß, wenn die dummen Mädels nicht mitkönnen.«

Dann gab es Himbeerbowle. Herr Wagner hatte Selterwasser gegeben, in das nun Himbeersaft gegossen wurde.

»O,« jauchzte Goldköpfchen, als es den ersten Schluck nahm, »das schmeckt nach eingeschlafenem Fuß.«

Man trank, bis Frau Wagner den Kindern die Gläser fortnahm.

Ganz ohne Streitigkeiten verlief auch dieser Tag nicht, denn Goldköpfchen bekam mit Joachims Freund das Zanken. Da schritt Ludwig zum Tisch, nahm seine geschenkte Schachtel Konfekt unter den Arm und erklärte:

»Wenn du nicht nett zu mir bist, brauche ich dir nichts zu schenken.« Damit verließ er das Zimmer, zog sich im Flur den Mantel an; und erst im letzten Augenblick gelang es Frau Wagner, den Ergrimmten wieder zu besänftigen und zurückzuhalten.

Beim Topfschlagen war der Frieden gänzlich aus. Joachim und Ludwig fühlten sich berufen, die Oberaufsicht zu führen, zumal Frau Wagner für ein paar Augenblicke abgerufen war. Die Geschenke, die unter den Topf gelegt werden sollten, erschienen den beiden Knaben für die kleinen Mädchen zu wertvoll.

»Du – Ludwig, wenn ich an die Reihe komme, legst du das alles unter den Topf.«

Die kleinen Kinder ließen sich auch wirklich täuschen und waren mit wenigen Bonbons einverstanden.

Aber als dann Joachim die Augen verbunden wurden, nachdem er sich vorher selbst die Süßigkeiten unter den Topf gehäuft hatte, ging Ludwig rasch und stellte den Topf an eine andere Stelle. Währenddessen rückte Joachim die Binde halb von den Augen fort, und nun ertönte es zornig:

»Du oller Schwindler, laß den Topf stehen, das ist gemein!«

»Du mogelst, du siehst ja!«

»Laß den Topf stehen!«

Joachim rannte zur Stelle, holte den Topf wieder in die Bahn und machte sich nun daran, darauflos zu marschieren.

»Gemogelt, – gemogelt,« schrie Ludwig, hob rasch den Topf auf, nahm die Leckereien fort und eilte davon.

Die Binde flog von der Stirn, Joachim rannte hinter dem Freunde drein; der floh in die Apotheke, rannte gegen das Regal, warf einige Flaschen um, hörte die Scheltworte des Provisors, rannte zurück, stieß mit dem Apothekenbesitzer zusammen, der im nächsten Augenblick einen heftigen Schlag auf den Rücken bekam. Als er sich umwandte, sah er seinen Sohn mit dem Stecken. Der Knabe starrte entsetzt seinen Vater an.

»Dich hab' ich nicht schlagen wollen,« stammelte er, »nur den Betrüger dort!«

Mit festem Griff hielt Herr Wagner die beiden Knaben fest. »Nennt ihr das Geburtstag feiern?«

Von beiden Seiten schrie man auf ihn ein.

»Ich höre schon, was los ist, ihr habt alle beide gemogelt. Nun vertragt euch, oder ich schicke dich heim, Ludwig, und der Joachim bekommt Stubenarrest.«

So wurde wieder Friede geschlossen, man kehrte zu den ruhig spielenden Kindern zurück und hatte das Nachsehen; denn inzwischen waren die restlichen Leckereien verteilt worden.

Kurz nach sieben Uhr wurden die Kinder abgeholt; nur Ludwig blieb noch.

»Mußt du nicht auch heimgehen, mein Kind?« fragte Frau Wagner.

»Jetzt wird es ja erst gemütlich.«

Er blieb bis acht Uhr; dann drang Frau Wagner darauf, daß er heimgehe.

»Meine Eltern schmeißen ihre Gäste nicht 'raus,« erklärte der Knabe, »die können bei uns bis tief in die Nacht bleiben.«

»Bärbel muß zu Bett, und du auch.«

»Ach was, zu Bett, ich bin doch kein Baby mehr.«

Schließlich ging er doch heim; und Bärbel wurde von den Eltern zur Ruhe gebracht.

»Nun, Goldköpfchen, hat dir dein Geburtstag gefallen, – hast du dich gefreut?«

Das Kind schlang beide Arme um den Hals der Mutter: »Es war furchtbar schön, liebe Mutti, gute, gute Mutti.« Dann kam der Vater an die Reihe, und auch er wurde stürmisch umhalst und geküßt.

»Nun schlafe ein, mein Kind, schlafe gesund ins neue Lebensjahr hinein. Der liebe Gott möge dich auch weiter behüten und möge dich brav erhalten.«

»Wenn ich wieder Geburtstag habe, gibt's dann wieder den Kuchen mit den ausgespuckten Steinen, Mutti?«

»Ja, Bärbel, aber das dauert jetzt noch eine ganze Weile.«

»Kann man da nicht schnell machen?«

»Nein, mein Kind, da müssen erst viele Tage vergehen. Inzwischen sollst du auch klüger werden. Im nächsten Jahre gehst du dann in die Schule; dann hört die Zeit auf, in der du nur spielen kannst. Dann kommen Pflichten an dich heran.«

»Geht der Schutzengel auch in die Schule?«

»Der braucht nicht zu gehen.«

»Na, der hat's gut, Mutti. – Hat der auch Geburtstag?«

»Nein.«

»Bekommt der niemals was geschenkt?«

»Nein, das braucht er nicht.«

»Das würde mir gar nicht gefallen, Mutti.«

»Jetzt bist du mein artiges, liebes Kind und bemühst dich, bald einzuschlafen. Denke nochmals daran, daß dich alle Menschen heute sehr liebgehabt haben, weil du ein liebes Kind warst. Nimm dir fest vor, auch in der nächsten Zeit sehr brav und artig zu sein, damit man unser Goldköpfchen gern hat, und vergiß auch nicht, daß der liebe Gott immer bei dir ist und all dein Tun und Lassen beobachtet, daß er dir den Schutzengel schickt, der dich behütet.«

Goldköpfchen hatte sich fest in den Arm der Mutter geschmiegt und aufmerksam zugehört.

»Mutti, Goldköpfchen möchte ein gutes, liebes Kind sein.«

»Wenn du dir immer ernstlich Mühe gibst, wird es dir auch gelingen. Und nun gute Nacht, mein Liebling.«


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