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Jäher Selbstmord des k. k. Steuersekretärs Adam Hofdämel
(mittels baumwollener Halsbinde)

Natur der Bürger ist, einander eng aufzusitzen. Wabenzellen werden hierbei sechsflächig, und Bürger erhalten, was man Gepräge nennt. Sie teilen den Zug mit noch einfacheren Lebewesen, unter anderm ihrem Lieblingsgewächs namens Geranium. Bei diesem strebt ein sphärischer Blütenstand allseits in den Raum hinaus; in dem kugeligen Gesamtwesen sind ganz solide Stiele, alle beschäftigt, aus gleichem Mittelpunkte das grüne Pflanzenblut in sich zu ziehen. Schießt eines, besessen vom einzigen Genie der Pflanze, Wachstum, aus dem lockerroten Ball vor, so verliert es demzufolge die Blütenblätter am Wind und erstreckt sich verdutzt, sinnlos geworden, ein peinlicher Gegenstand fürs warme Gefühl, in den zugigen Raum. Wieder andere Teile des Sammelwesens bleiben im Wachstum zurück, ohne Licht und Luft gehen sie ein, verzwergt, hart, schwärzlich innerhalb des heiter und gleichmäßig erblühten Balles. An sich nicht minder peinlich, – doch schließt sich hier über bürgerlichem Trauerspiel der mordende Schoß der Familie. Ahnten Bürger, wie unverschämt ihre Nationalblume das Geheimnis des bürgerlichen Kollektivdaseins von jedem Balkon prostituiert, – trotz allem, ihrer berühmten Anspruchslosigkeit, ihrer Farbglut, welche der Bürger exotisch zu nennen liebt, ihrer nie genug anzuerkennenden Beharrlichkeit im Absenker- und Stecklingemachen, würden sie, durch Mehrheitsbeschluß einer innerhalb dreier Tageeinzuberufenden zuständigen Körperschaft hierzu ermächtigt, ihr Wappengewächs überall ausrotten, verbrennen, die Asche in die Luft streuen und sich etwas anderes angewöhnen. Beispielsweise die Mohrrübe, sittlich genug gefestigt, um auf Erscheinung – immer und unter allen Umständen etwas Bedenkliches – von vornherein zu verzichten und dafür um so grüner, gediegener, anspruchsloser ins Kraut zu schießen, was sie nicht hindert, die zinnoberroten Seiten ihrer Natur unterirdisch auszuleben und noch zu guter Letzt Vitamine zu enthalten.

Die Götter haben es trotz verzweifelt zu nennender Sachlage vermocht, der bürgerlichen Körperschaft mit einem Segen beizukommen. Die Wahrheit, ihr höchster Segen, kam allerdings nicht in Betracht, da in Gemeinwesen hierfür keine Verwendung besteht. Demnach handelt es sich um den nächstherrlichen Segen: Täuschung. Der Bürger behält seine Geranie nebst der Vorstellung, er lebe, und zwar als Mensch.

Da gerade von Weltanschauung die Rede ist, – diese italienischen oder auch Geremsbalkons sind doch in der Gattung das weitaus Bürgerlichste. Korridorartig gehen sie, mit Bretterwänden abgeschlagen, an den Stockwerken hin und schweben, dem Haus angeklebt, um den würfelförmigen Luftraum eines durch vier Fronten gebildeten Schmalhofes. Überall gibt es im September Geranien, überall Kinder in den zwischen sechs Wochen und sechs Jahren üblichsten Abstufungen, überall sägt und schlägt man Holz, klopft Teppiche aus, singt auf wienerisch: »Beschattet von der Pappelweide«, sonnt rot gewürfeltes Bettzeug, hält in überdrahteten Verschlägen geräuschlos mummelnde Kaninchen. Schwärmer, wie solche in keinem Stand völlig auszurotten sind, tun bisweilen Meerschweinchen ein, welche zwar gleichfalls in Verschlägen mit Drahtgitter herummummeln, jedoch, anerkannt uneßbar und lediglich auf Gestank beschränkt, nicht umhin können, die rein kontemplativen Seiten des Daseins zu pflegen. Der Bürger, der doch im Grund ein goldenes Herz hat, duldet hin und wieder das Schöne als solches.

Herr Hofdämel, Steuersekretär, im Besitz eines jener genannten Korridorabschläge, hatte hier, zwischen Himmel und Erde, einen Abschlag im Abschlag für seine Meerschweinchen gezimmert, ein bei verwaltender Raumbeschränkung bequem zu nennendes Bauer für seine Dompfaffen, ferner grün angestrichene Kästen für seine Geranien. Sonst wäre für den Augenblick nur zu sagen, daß er Freimaurer war, was sich mit dem unzeitigen Tode Josephs II. weniger harmlos erwies als der andere Schnörkel, der mit dem Meerschweinchen. Ferdinand, ein finsterer Jesuitenhabsburger, erstarrte gegenüber den Logen in lähmender Nichtachtung, Humanität kam höheren Orts aus dem Kurs, und Herr Hofdämel, schließlich nicht nur Besitzer des Korridorabschlages, der Meerschweine, Dompfaffen und Geranien, sondern Steuersekretär in k. k. Diensten, sah vor sich das Isisgesicht des Lebens. Dies oder doch dahin Zielendes hat er an jenem tragischen Herbsttage gegen die Frau geäußert, geborene Würz aus Linz. Es war eine Art zigeunerischen Schlages, obschon der Vater eine angesehene Handschuh- und Spazierstockfirma daselbst; der Weltgeist bleibt unergründlich. Eine schöne und besondere Frau, versetzte sie jeden, der sie das erstemal sah, in Erstaunen. Sie saß beim Spiegel, bemüht, einen übermächtigen Schwall finsterer Haare durchzupudern, wozu gut und gern ein Viertelpfund Reismehl benötigt wurde. Drei kleine Kinder beschäftigten sich nach Maßgabe ihrer noch zarten Kräfte mit den ausgebrochenen Meerschweinchen, welche vom Holzgange in die Stube und wieder hinaustrotteten.

»Adelheid,« sagte der Steuersekretär, »du gehst nicht, gelt?«

Sie sprach aus weißem Gewölke: »A Schaberl bist. Geh fein her, liebes Herzel,« sagte sie zum Zweijährigen an ihrem Knie, »tu die Mama net derangieren. Da, geh außi, spiel mit'm Butzi.«

»Adelheid, geh nicht,« sagte der Mann. »Ich bin in der Desperation, und du laufst daher zum Herrn von Zetto und zum Herrn von Sonnenfels. Und zur Baronin a noch. Was willst hernachher in derer Assemblée, wo der Adel unter ihme selber is? – Auf die Letzt werdens noch tanzen, und du, wo du im vierten Monat gehst –«

»Geh, sei ein goldenes Herzel; da, spiel a weng mit'm Butzi,« schlug die Frau vor.

»Adelheid! jetzt da will ich es dir hiermit einmal für allemal untersagt haben, kraft meiner ehelichen Gewalt, hörst? Eh daß du gingest, lieber da wöllt' ich –«

Ein offenes Rasiermesser kam zum Vorschein. Mit diesem schlich er dicht hinter das schöne Weib und versuchte, über ihr aufgetürmtes Haupt weg, einen Blick in den sehr kleinen Spiegel zu tun. Doch war die Luft zu stark vom Puder vernebelt, er mußte, Messer in Händen, auf den Anblick seines eingeseiften Kinnes warten.

Mittlerweile sah er sich ein Hymentempelchen unter Glas an, silhouettiert, die Flamme des Altars, aus Goldpapier, war abgegangen, sie klemmte wahrscheinlich im Rahmen fest. An Stelle des ehelichen Feuers war Leim zum Vorschein gekommen. Vom Tempel geriet er auf die Zauberflöte, überall besprochenes Zugstück des Wiedener Theaters, von dieser auf die Freimaurer und anderes, das ihm noch unerträglicher war. Er versuchte es nochmals am Spiegel, welcher ihm aber ein Bild nach wie vor nicht lieferte, der Puder vernebelte ihn zu stark. Als er sich erkundigte: »Ist's bald gar mit derer Sauwirtschaft?« entgegnete die Frau: »Für deine drei Haar' schon, da, bitt ich,« und so gab er zunächst seinem Sohn beim Erledigen eines kleinen Wunsches Hilfestellung. Von der Galerie, wie dies stattfand, wieder ins Zimmer getreten, mußte er seine Adelheid in einem schwarzen, mit Flittern überreich benähten Kleide phantastischen Zuschnitts erblicken. An der Busenschnürung steckte sie einige Messingsterne vor.

»Jetzt, was is hernach dös?« fragte er, Schaum vorm Munde, er trocknete auf und fing bereits an, peinlich zu kitzeln.

»Königin der Nacht,« sprach sie und schwenkte das Zimmer mit ihren Hüftbäuschen voll.

»A Redouten is es a noch?«

»Na, da is die Baronin zu beschränket dafür. Halt ein kostümierter, tanzeter Kaffee.«

»Mir hast eh g'sagt, ein g'sungener.«

»Oder ein g'sungener oder ein tanzeter, wie sich's schicken will. Da geh her, steh net alleweil herum. Hab' ich dich ang'schafft, daß du mich sekkierst? Kannst net par exemple den Pepi von dem Kostüm halten mit sei' drecketen Tatzerln?«

Herr Hofdämel nahm ihn auf den Arm, wo das Kind am Seifenschaum leckte. Herr Hofdämel bekam dabei Seife in die Augen, schlug, ohnehin gereizt, auf den Pepi los, dieser schrie, die Frau vervollständigte den Anzug durch goldenen Halbmond, welcher ihr, schalenförmig nach oben geöffnet, an elastischem Draht über der Frisur wippte.

Der Spiegel blieb, sah der Mann ein, unzugänglich, er behalf sich ohne ihn, tief in Gedanken.

»Kommen Künstler?« fragte er nach längerer Zeit.

»Mer werden halter zuschaug'n.«

»Jetzt, da gib Obacht, Adelheid: wann daß der Fischer kömmt oder der Schack oder wer, – Weib, du sollst mich kennenlernen. Bei der Baronin lauft all solchenes Gesox aus und ein.«

Die Frau war beschäftigt. »Kommt,« fragte er, mit einem starken Schritt plötzlich vor sie hingetreten, »der Mozart?« und sah ihr ins Gesicht, das sich nicht veränderte. »Die Hoferin ist da,« sprach sie, »die Langin auch mit der Mozartin. Möglich wär's schon.«

»Und dös wagst mir einzugestehen?« Wobei Herrn Hofdämels Stimme Aufschwung nahm, wie heut allerdings schon mehrmalen, doch war dies der weitaus bedeutendste.

»Jetzt, da is die Millich anbrennt,« sagte die Frau. »Jess', Mar' und Joseph, hast hernacher eine Nasen oder net?«

Er begab sich in die Küche, ein Meerschweinchen und ein Kind gingen mit. Die Frau lächelte ihr Bild an und ließ den Halbmond wippen.

In der Küche war es eng, zumal das Geschirr vom Mittag, noch unaufgewaschen, herumstand. Die Milch riß er zwischen den Flammen weg und goß sie teils in den Hafen, teils auf einen seiner mit Rosenkränzchen bestickten Pantoffel. Über das Meerschweinchen gingen nur Spritzer. Die Aussicht war auf eine Brandmauer, er genoß sie, die Hand, ohne es zu wissen, am Herzen, wo ihm ein Druck saß.

Seine Gedanken, nicht klar, gingen von der Frau zu Mozart, von diesem zu den Freimaurern, von da auf kaiserliche Ungnade, Untersuchungskommission, drohenden Brotverlust. Aus der Logen kömmst nimmer aus, es is für die Ewigkeit. Ob der Mozart was tun kann? fragte er sich in seiner Angst. Er hatte den Sekretär ehedem eingeführt und bei der Gelegenheit Geld von ihm geliehen. Herr Hofdämel hatte nicht umhin gekonnt, dem Logenbruder auszuhelfen, als am 1. Juli die Gehaltsaufbesserung der Beamten gekommen war. Mit dem Rückzahlen war es nun voraussichtlich auf lange nichts. Schikaneder, der es zu keinem schriftlichen Kontrakt hatte kommen lassen, rückte ein wahres Lumpengeld heraus für die Zauberflöte, und Mozart, nachdem er ihm einen kurzen Auftritt gemacht, der häuserweit zu hören gewesen, schlug ihm jeden Abend friedlich den Takt, um wenigstens ein Kapellmeistergeld davon zu haben. Dieser Umstand mit den ausgefallenen Geldern, obschon für Herrn Hofdämel als den Gläubiger nicht günstig, machte, daß er düster-befriedigt zu nicken begann. Siehgst, siehgst, mer sein alle anbunden, war sein verschwommener Gedanke dabei. Um so unerhörter, wenn jetzt dieser Mozart, wo er dergestalt aufsaß, in der Assemblée sein durfte, bei der lustigen Waldstätten, verkleidet womöglich, der Madame Hofdämel aufwartete womöglich, wie die andern Male. Wer weiß, dachte er, was geschieht? Wer weiß, was geschehen? Lüderliche Wirtschaft bei der Baronin, stadtbekannt lüderlich! Und noch erst der Herr Landrat von Zetto dabei, Cousin der Exzellenz, in deren Büro Herr Hofdämel arbeitete. Warum, bitt' schön, dörf ein Künstler, der, wo doch nicht minder in der Logen ist, überall umeinandspazieren, Kaffee und Sekt saufen, ordentlichen Leuten ihren Weibern nachstellen, und ein Steuersekretär muß Gott danken, wann er und er schlupfet still in sein Loch? Warum, wo der Mozart doch wahrlich hart aufsitzet, in Schulden über Schulden stickt, dörf er in aso einem goldenen Glanz durch das Wien laufen?

Herr Hofdämel sah die räucherige Brandmauer an und setzte derweil einen starken Hafen Wasser zu, für das Geschirr. Warum, fragte er sich, dörf das Weib überall mit am Brett sein? Ihr Mann ist in der Desperation, a jeden Tag könnens ihn kassieren z'wegen derer Irreligiosität, und sie geht daher und stellt eine Königin der Nacht vor. Sie tanzt mit dem Herrn von Zetto, Cousin meiner Exzellenz, dazu im vierten Monat, da bitt' ich. Ein jeder find't es in der Ordnung, daß die scharmante Hofdämelin Figur macht. So nimmt man die Frau, sagte er, – warum? So nimmt man den Mozart, – warum? So ist alles selbstverständlich mit ihnen, – warum? Sie is im vierten Monat, er hat eh nix, und Sekt saufen's mit der Waldstätten und löffeln miteinander, daß es zum Dreinschlagen ist.

Eine furchtbare, unerträgliche Begierde nach Leichtigkeit ergriff ihn, nach Luft, Licht, Rausch, Rhythmus, Gelächter, Pracht, geistreichem Geplauder auf vergoldeten Polsterstühlen. Er mußte die Hand wieder gegen die linke Seite halten. Seinem plötzlich wachen Schönheitssinn tat alles Gewalt an, was er um sich sah, er nahm wenigstens dem Jungen mit dem Taschentuch ein langes Licht von der Nase weg, aber was war das? Ein Tropfen auf einen heißen Stein in der verdrecketen Kuchen, der ganzen verschlampeten Wirtschaft miteinand. – Kaffeehaus? Schon recht, da fragen sie: »Nu, Herr Hofdämel, wie ist's? Werdens ausm Amt getan? Oder ergeht noch amal Gnaden vor Recht?« »Jess', Mar' und Joseph,« murmelte er, gedachte aber augenblicks der Loge und des Weltsinnes, welchen sie ihm bereits durch zahlreiche Lektionen aufgeschlossen, wenngleich die höheren Grade bisher unerreicht blieben. Jesus, Maria und Joseph befanden sich bei obwaltenden Verhältnissen im Zustand der Verdünnung und halfen ihm zu gar nichts. Jetzt schwatzte und lachte die Frau auf der Galerie draußen, erklärte der Nachbarin das Kostüm und sprach von der Zauberflöte. »Königin der Nacht – Papagena,« hörte er. »Na, dös Federweiberl wär' gar z'kurzrocket. Wer tut da nachher mei' Mann halten, bitt' schön?« sagte sie. »Er kennet ihme nimmer aus, wann daß er in a Wut kömmt.«

Sehen möcht' man sich amal, dachte der Sekretär, in einer unkenntlichen Furi, zum Fraiskriegen, so. Er besann sich, ob er es je gewesen, und wußte 's nicht. Ob ja oder nein, – wann du dir net selber dabei zuschaugst, nachher da is es so gut, als wär' es nimmer. Wer wann d' dir zuschaugst, bist nachher noch in einer Furi? Was is dös jetzt für a Sachen mit dem Leben dahier? Er begann aufzuwaschen. – Nu, haltern an abstufete Angelegenheit, dachte er, – wann man dös net eh schon wüßt', aus der Logen her!

Teller, Töpfe, Messer klirrten ihm unter Händen, es war eine Unzahl, es war ganz unabsehbar. Für drei Erdäpfeln tut dös Weib allemal an Arsenal benötigen, dachte er. Es is zu viel, – doch war es ihm, wie er so damit herumklapperte, kaum Geschirr; alle seine Sorgen liefen ihm durch die Finger und nahmen kein Ende. Die ganze Kuchen vollrumpelt für drei Erdäpfeln, wie soll nachher einer dös bewältigen, bitt' schön? »Es is zu viel,« sagte er vor sich hin, indes nahm die Frau den Schlüssel vom Brett und ging mit dem gewöhnlichen »Tu net auf mich warten« davon. Er lief auf die Galerie und sah sie übern Hof schwanken, in breitem, braunem Mantel. Sie rief Nachbarsleuten zu, man sah ihr nach, sah einander an, lachte auf unangenehme Weise. »Es is zu viel,« sagte er, es war ein Gestöhne, er hörte 's nicht. Das Häuserviereck ging drohend vor ihm auf; in einem matten Oktober-Spätnachmittagslicht, das grad herstand, glotzten alle Scheiben und wollten gezählt sein. Eins, zwei, drei, – er kam bis siebenundfünfzig und ließ es: es war zu viel. Es ging durch seinen Kopf, wie grausenhaft viel Dinge es gäbe, die doch ordnungshalber gezählt sein müßten, am Himmel und auf Erden. Wer zählt sie? Wer ist da zuständig? –»Gott der Herr hat sie gezählet.« Nu alsdann, wo er eh weiter nix zu tun hat, mit Respekt zu sagen. Die Welt erst erschaffen, hernacher kannst drin herumaddieren. Aber als Mensch so –. »Es ist zu viel,« sagte er wieder, zupfte an den Geranien, schloß die Meerschweinchen hinters Drahtgitter, fütterte die Dompfaffen, stärkte sich durch ein Gefühl von Besitz, Umgrenzung, Idylle, bürgerlichem Frieden. Bald war er Mensch genug zu einer Pfeife, aber indem er sie, den müden Peperl auf dem Schoß, rauchte, warf er sich bereits wieder vor, daß er nicht eifersüchtiger, gewalttätiger, kurz, mehr ins Große sei. Da läßt' so a Frauensmensch auf den kostümierten und tanzeten Kaffee laufen, zu denen Künstlern und Adelsherren. Nu, nächstes Mal, jetzt ist's damit basta. Aso is das: posito, man hat an saubres Weibsbild, hernacher so lasset sie ihren Kram verdrecken. Herrschaft, soll man a schiache Kraxen nehmen bloß z'wegen die Ordnung? Es gehet wahrlich nimmer außer noch eini damit, dachte er. Was is dös mit dem Leben dahier? – »Ja, wann daß d'erst amal an das Denken kömmst,« sprach er zum Meerschweinchen, denn sonst war keiner da für eine Konversation. Pepi schlief, die beiden anderen spielten im Hofe.

Der Bürodiener kam, blankes Messingschild an der Mütze, übern Hof, es blinkte empor, wie noch soeben der Halbmond. »Adam, wo bist du?« rief er, und von schlechtem Vorgefühl ergriffen lief ihm der Sekretär auf die Treppen hinaus entgegen. Es war um ein Aktenstück, ob es bereits bearbeitet sei? – Freilich. – Ja, alsdann schnell her damit, vor allem mit dem Original-Ministerial-Erlaß, »den sollst eh nimmer vom Amte in die Wohnung verschleppen, Hallodri.«

Der Sekretär ging und suchte und kehrte die Schubfächer umeinand und schob Schränke von der Wand ab, der Bürodiener half. »Jessas, es is doch eh noch da g'wesen.« – »Du, dös is schlecht für dich,« sagte der Bürodiner, »indeme, daß d' so schon halber auf der Straßen bist, z'wegen denen Zauberern von der Logen und so.« – Gott sei Dank, da war es, da lag es. – Ja, aber das Originalstück aus dem Ministerium, das mit dem Stempel, Siegel, Namenszug Seiner Exzellenz? Der Sekretär wälzte von neuem die Wohnung um, wobei der Bürodiener angriff, da war nix, nicht oben, nicht unten. Wie viele Stücke in so einer kleinen Wohnung! – »Da feit si' nix, an toter Mann bist,« sagte der Mann mit dem sehr blanken Schild und kratzte, zum Spiegel hingebeugt, an einem Wimmerl bei der Nase. »O Isis und Osiris,« rief er da, des Toilettetisches ansichtig, »o Isis und Osiris,« – so drückte im Oktober 1791 ein jeder Fiaker zu Wien seine Erschütterungen aus, – »was is jetzt nachher dös dahier?« und hob dem bleichen Sekretär das unschätzbare, köstliche Originalstück vor die Augen, bräunlich, zur Rolle gedreht, eingeriffen, angesengt, unter der Brennschere gewesen, Opfer der sternflammenden Königin, mit einem Worte. »An toter Mann bist,« beschloß der Bürodiener, »da muß ich schon sagen: was zu viel is, ist zu viel,« und ging.

Der Sekretär lief ihm nach, die halbe Treppe, die ganze. Er fuhr zurück in seine Wohnung, kleidete sich mit fliegenden Händen in sein bestes Zeug, wollte sogleich zur Exzellenz, zum Cousin des Herrn von Zetto, – von Zetto, – ja, vielleicht war er nicht im Palais, war auch auf dem Tanzkaffee der Waldstätten? Ob er einen Kniefall tat? Ob er die Königin der Nacht einen Augenblick herausrief, damit sie sich für ihn beim Zetto verwende? Er machte ihr eh schöne Augen, man zog den Gatten schon auf, weil die Frau so starke Faveur habe. Ja, das war das Rechte, und sollt' es mit Unzucht zugehen, alles gleich, nur Rettung! Er frisierte sich hastig vor gleichem Spiegel wie zuvor die Frau, und indem er sich da sah, ohne sich zu erkennen, sang er bewußtlos zum jagenden Viervierteltakt seiner Pulse: »Zu Hülfe, zu Hülfe, sonst bin ich verloren, der listigen Schlange zum Opfer erkoren.« Selbst die Hosen bürstete er im Takt der Szene, più mosso: »Barmherzige Götter, schon nahet sie sich,« und stürzte ab.

Es war Nacht, als er heimkam. Die Kinder, hungrig von der Nachbarin aufgelesen, schliefen in deren Wohnung. Das Zimmer war leer, in der Küche stand noch der unvollendete Aufwasch. Der Sekretär ging quer durch dieses alles auf die Galerie. Hier kühlte ihm die Nachtluft die Augen. Zwei Bilder standen vor seinem Geiste: die Antichambre Seiner Exzellenz, wo zweimal, dreimal zu ihm, der, verzweifelt, nicht gehen wollte, der Diener getreten: »Aber nun, da lassen doch Seine Exzellenz wirklich sehr schön bitten. Sie seind vor Ihme nimmer zu sprechen. Das Weitere geht Ihme frühe genug zu. Da pack' Er sich nunmehro, bitt' schön, presto.« Das andere Bild war das Haus der Waldstätten. Wie er darauf zugegangen, war innen, bei Kerzenlicht, herausbauschenden weißen Spitzengardinen, Ambréeduft, der bis zu ihm heruntergedrungen, nach wenigen sanften Klavierakkorden die Tenorstimme des Schack zu hören gewesen mit Taminos Bildnisarie. Auf den letzten Ton, den er, auf dem Pflaster, beim Überqueren des Dammes gehemmt, reglos abwartete, ein starker Applaus; – auf die Balkontür, und hinaus, unters Sternenlicht, die Königin der Nacht, Mozart dabei. Da hatten sie es eine kurze Weile mit Lachen, Händeküssen, hierauf, wie er sich näher zu ihr bog, die kaum auswich, ward sie des Menschen ansichtig, der von unten heraufstarrte, lief zurück in den Salon, die Gardinen schlugen zusammen, Mozart verweilte sich noch an der Balkonbrüstung und ging ihr dann nach.

Der Sekretär hatte nach diesem das Haus nicht betreten, vielmehr, wie ein Planet diese Bahn fährt und ein anderer eine andere, war er langsam übers Glacis zurück in die Wohnung. Hier gedachte er anfänglich noch aufzuwaschen, war aber in der Gala, seidenen Strümpfen, atlassener Weste. Er kam von der Galerie wieder herein, schlug am Spiegel Licht, sah in einer Wüstenei von Puder, Haarnadeln, überzähligen Messingsternen den Ministerial-Erlaß als braungebrannte Papillote liegen. Indem er seine lange, haltbare, weißbaumwollene Halsbinde abtat, gedachte er, daß sie noch zu anderem gut sei, als in den Schrank gelegt zu werden, stand und hatte sie, halb schlüssig über diese Angelegenheit, in Händen. Im Spiegel sah er Schweißtropfen sich aus Stirn und Schläfen treten trotz der kühlen Oktobernacht. Ein Stück des Erlasses war geschont, auch war es frei von Schrift, zeigte nur den Stempel, über diesen setzte er seine Worte, welche sogleich stattzuhabende Ungewöhnlichkeit der Nachwelt erläutern sollten. Er zögerte, was anzugeben sei. »Es ist zu viel,« herrschte in seinen Gedanken vor, war aber, weil unklar, nicht anzuwenden. »Indeme, daß ich vom Brot gejagt bin. Gott helfe den armen Waisen,« dachte er und setzte die Feder an, als ihm ein brennendes Schmerzgefühl die Wendung unmöglich machte. Nur net an die Kinder denket, sonst nachher da läßt du's gar. Schon recht ein Glück, daß die Nachbarin sie heint bei ihrer hat. Seine Frau stand ihm vor Augen, auf dem Balkon, neben Mozart. »Mein Motiv war Eifersucht,« konnte man schreiben, und etwa noch Verfluchung hinzugefügt, ad libitum. Da man jedoch, wenn je, so in letzter Stunde diesseits des Grabes gewissenhaft sein muß, so – der Steuersekretär erkannte es ohne nennenswertes Erstaunen – mußte auch diese Wendung, als zu eng, preisgegeben werden. Schließlich, um nicht von seiner Adelheid noch unter den Lebenden angetroffen zu werden, schrieb er hin: »Es war alles miteinander,« löschte, Feuersgefahr zu verhüten, die Kerze, ging auf die Galerie und nahm, als könne's nicht anders sein, die Dompfaffen vom Haken. Es war ein starker Eisenhaken, mittels Steinbrecher in die Wand gebracht, sein eigenes Stück Arbeit; er wußte: es hielt. Er sah hierauf noch einmal nach den Meerschweinchen, – sie schliefen, aneinandergekauert, hinterm Drahtverschlag, – stieg auf einen Schemel und hatte ja nun allerdings zur Bedeutsamkeit bevorstehenden Schrittes immerhin Stellung zu nehmen. Was denn? Wo er doch ohnehin im schwarzen Anzug war, mit den Seidenstrümpfen? – Gebet wollte keines kommen, – durfte nicht, denn was er tat, wollte Gott nicht haben. Als Freimaurer jedoch? – Mit sehr schneller Gedankenverbindung über Schikaneder, seinen Logenbruder, war er abermalen bei der Zauberflöte, sah Papageno, sah Pamina im Begriff, das gleiche zu unternehmen wie jetzt er, hörte der drei Knaben Warnungsstimme: »Selbstmord strafet Gott an dir.« Auch hier Mozart, auch auf seinem kleinen eigenen Balkonabschlag Mozart. Ist er auf allen Balkons der Welt? Oder ist hernacher die ganze Welt, alle Balkons miteinand', in der Oper? Ist man, bitt' schön, nirgend unter sich vor derer Kunst? – »Herr, mischen Sie sich nicht in meine Familienangelegenheiten!« oder so etwas dachte er, sprang, dumpf-bewußt, noch als Letztes ein Plagiat auf den Papageno denken zu müssen, den Schemel mit Füßen wegstoßend, ab, ratlos, waffenlos, verfolgt, den Applausdonner vom Wiedener Theater, das Klingeln der Papagenoglöckchen in den Ohren. Es war alles miteinander, war sein letzter Gedanke.


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