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Kinderweisheit und Männertorheit.

Das Osterfest war früh im Jahr. Das Schlittenfahren hatte eben erst aufgehört. Auf den Höfen lag noch Schnee und durchs Dorf flossen kleine Bäche. Zwischen zwei Höfen, in einer Quergasse, war unter dem Düngerhaufen hervor eine große Pfütze ausgelaufen. An dieser Pfütze trafen sich zwei kleine Mädchen aus verschiedenen Höfen, ein jüngeres und ein etwas älteres. Beide Mädchen waren von ihren Müttern in neue Sarafans gekleidet worden. Das kleinere hatte einen blauen, das ältere einen gelbgemusterten an. Dazu trugen beide rote Kopftücher. Die beiden Kleinen waren nach dem Mittagessen an die Pfütze gekommen, hatten einander ihren Putz gezeigt und begannen nun zu spielen. Sie wollten gern ein bißchen im Wasser plantschen. Die kleinere wollte mit den Schuhen in die Pfütze treten, die ältere aber sagte:

»Tu das nicht, Malchen, die Mutter wird schelten. Wollen wir lieber Schuhe und Strümpfe ausziehen.«

Die Mädchen zogen Schuhe und Strumpfe aus, hoben die Röckchen auf und wateten durch die Pfütze einander entgegen. Malchen trat bis an die Knöchel hinein und rief dabei:

»Tief ist's, Akulinchen, ich fürchte mich!«

»Das macht nichts,« antwortete die andere, »es wird nicht tiefer werden. Komm' nur gerade auf mich zu.«

Sie näherten sich einander. Und Akulinchen sagte:

»Du, Malchen, paß auf, bespritz' mich nicht. Vorsichtig!«

Kaum hatte sie das gesagt, als Malchen – plumps! – den Fuß ins Wasser setzte und Akulinchens neuen Sarafan ganz bespritzte. Ja sogar auf die Nase und ins Auge kamen Tropfen. Akulinchen sah die Flecken auf ihrem Sarafan, wurde sehr böse, schalt Malchen und lief hinter ihr her, um sie zu schlagen. Malchen erschrak, als sie sah, was sie angestellt hatte, sprang aus der Pfütze und lief nach Hause. Da ging Akulinchens Mutter vorbei und sah, daß der Sarafan ihres Töchterchens und sogar die weißen Hemdärmel bespritzt waren.

»Wo hast du unartiges Kind dich so schmutzig gemacht?« rief sie.

»Malchen hat mich mit Absicht so bespritzt.«

Da ergriff Akulinchens Mutter Malchen und schlug sie in den Nacken. Malchen brüllte über die ganze Straße. Nun kam auch ihre Mutter heraus.

»Warum schlägst du mein Kind?« fuhr sie die Nachbarin an.

Ein Wort gab das andere, die Frauen schimpften sich gegenseitig, die Männer kamen aus den Häusern gelaufen, schließlich stand auf der Straße ein ganzer Menschenknäuel. Alle schreien durcheinander, keiner hört auf den andern. Sie schimpften und schimpften und stießen sich gegenseitig; bald wäre eine große Schlägerei entstanden, doch da trat eine alte Frau, Akulinchens Großmutter, zwischen die streitenden Bauern und redete auf sie ein:

»Was macht ihr denn, Freunde? Ist jetzt zu so was die Zeit? Fröhlich sollte man sein, ihr aber habt da den sündhaften Streit angefangen.«

Niemand hört auf die Alte, ja selbst sie wird beinahe zu Boden geworfen, und sie hätte schwerlich Frieden gestiftet, wenn nicht Akulinchen und Malchen gewesen wären. Während nämlich die Weiber sich stritten, hatte Akulinchen ihren Sarafan rein gerieben und war wieder in das Gäßchen an die Pfütze getreten. Sie hob ein Steinchen auf und scharrte damit in der Erde, um das Wasser aus der Pfütze auf die Straße zu leiten. Während sie damit beschäftigt war, kam auch Malchen wieder heran und half ihr mit einem Holzspan den Kanal erweitern. Die Männer hatten eben ihre Schlägerei begonnen, als der Kanal fertig war und das Wasser auf die Straße rieselte, gerade auf die Stelle zu, wo die Alte zwischen den Bauern Frieden stiften wollte. Die beiden Mädchen liefen zu beiden Seiten ihres Baches.

»Halt, Malchen, halt,« schrie Akulinchen.

Malchen wollte auch irgend etwas sagen, konnte aber vor Lachen nicht sprechen. So laufen sie dahin und lachen über den Holzspan, der im Bächlein treibt, und kommen mitten zwischen die Streitenden gelaufen. Die Alte steht sie und sagt zu den Männern:

»Ihr solltet Gott fürchten; wegen dieser beiden Kleinen habt ihr erwachsenen Männer euch prügeln wollen! Sie selbst aber haben längst allen Streit vergessen, die guten Dinger, und spielen wieder in Liebe und Eintracht miteinander. Klüger sind sie als ihr!«

Die Männer schauten die kleinen Mädchen an und schämten sich. Dann aber mußten sie über sich selbst lachen und gingen lachend heim.

»So ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.«


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