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IV.

Der Hof des Taraß, in dem Wassilij Andrejitsch und sein Knecht als Gäste weilten, galt für einen der reichsten im Dorfe. Die Familie hatte fünf Anteile am Gemeindeland und außerdem noch fremdes Land in Pacht. In den Ställen standen sechs Pferde, drei Kühe, zwei Kälber und zwanzig Schafe. Die Familie bestand aus zweiundzwanzig Gliedern: vier verheirateten Söhnen, zahlreichen Enkeln – einer von diesen, Petruschka, war auch verheiratet – zwei Urenkeln und vier Schwiegertöchtern.

Der Hof war eines der so selten gewordenen Anwesen, die noch nicht geteilt waren, doch war unter den Weibern schon längst eine heimliche Wühlerei im Gange, deren Endresultat zweifellos die Teilung sein würde.

Zwei Söhne der Familie lebten auswärts, der eine als Wasserträger in Moskau, der andere als Soldat. In der Stube befanden sich augenblicklich der Alte, die Alte, der älteste Sohn, der zweite Sohn, der während der Feiertage zu Besuch gekommen war, ferner sämtliche Frauen und Kinder und endlich ein Gast – der Nachbar Starosta.

Die über dem Tisch hängende, durch einen Lichtschirm geschützte Lampe warf ihren hellen Schein auf den darunter stehenden Samowar, das Abendbrot, die Branntweinflasche und ließ auch deutlich die rote Ziegelwand erkennen, an der die Heiligenbilder und einige Kupferstiche hingen.

Wassilij Andrejitsch, im schwarzen Halbpelz, nahm den Ehrenplatz oben am Tische ein. Mit seinen scharfen Habichtaugen musterte er alle Anwesenden gründlich und sog dazu an seinem noch immer hartgefrorenen Schnurrbart. Neben ihm saß der alte grauköpfige Taraß in seinem weißen Hemd, und ihm zur Seite der Moskauer Sohn im Sonntagsstaate. Unten an der Tafel kam der kräftige, breitrückige älteste Sohn, der die Wirtschaft führte, und schließlich der Bauer Starosta, ein dürrer, rothaariger Mann mit eingesunkener Brust.

Zunächst wurde dem Gaste ein Gläschen Branntwein gereicht, und nun machte man Anstalten, um Thee zu bereiten. Der Samowar ward vom Tisch gehoben und auf den Boden am Ofen gestellt von wo bald sein Summen ertönte. Um ihn herum hockten die Frauen und Kinder.

Die kleine alte Hausfrau mit dem eingefallenen Gesicht voller Runzeln und den welken Lippen reichte gerade Wassilij Andrejitsch ein kleines Gläschen Wotka, als Nikita erschöpft und erfroren eintrat. Wie lieblich zog der Geruch in seine Nase, und wie verführerisch blinkte das weiße Naß! Seine Mienen verdüsterten sich; er klopfte den Schnee von seinem Burnus und von seiner Mütze, wandte sich dann an die Heiligenbilder an der roten Wand, verneigte sich vor ihnen, drehte sich dann um, machte zuerst dem Hauswirt und dann allen am Tisch Sitzenden seine Reverenz, und nachdem er sich schließlich noch vor den am Ofen hockenden Weibern verneigt hatte, wünschte er allen gesegnete Feiertage und legte dann seine Oberkleider ab – alles, ohne einen Blick nach dem Tisch mit der verhängnisvollen Flasche zu werfen.

»O, Du gleichst ja einem Schneemann, Onkelchen!« sagte der älteste Sohn zu Nikita, dessen Haare, Augenbrauen und Bart noch immer mit Reif bedeckt waren.

Nachdem der Chalat am Ofen aufgehängt, und Nikita an den Tisch getreten war, bot man ihm ebenfalls Wotka an. Das waren einige Augenblicke der Seelenqual: alles in ihm drängte nach dem duftenden Getränk; schon zuckte seine Hand, da traf ihn Wassilij Andrejitschs Blick. Mit einem Schlage kam ihm sein Eid, die vertrunkenen Stiefel, der Böttcher, sein Weib und seine Kinder ins Gedächtnis zurück, vor allem aber erinnerte er sich des Pferdes, das er seinem Jungen zum Frühjahr kaufen wollte. Ein Seufzer hob seine Brust, dann sprach er ablehnend:

»Danke ganz gehorsamst; ich trinke keinen Branntwein.«

Mit zusammengezogenen Brauen wandte er sich ab und setzte sich ans Fenster.

»Nu aber –« bemerkte einer der Männer.

»Ich will nicht trinken und ich thu' es nicht,« beteuerte Nikita mit niedergeschlagenen Augen.

»Er kann's nicht vertragen,« bemerkte Wassilij Andrejitsch erklärend und langte nach einem Stück Kuchen.

»Da muß er wenigstens eine Tasse Thee trinken, denn das gute Freundchen ist ja ganz ausgefroren,« sagte die Alte freundlich. »Was ist denn das für eine Trödelei, Ihr Frauenzimmer!« fügte sie, nach dem Ofen gewendet, hinzu.

Eine junge Frau trug den schweren Samowar aus dem das kochende Wasser sprudelte, mühsam heran und hob ihn auf den Tisch.

Während sie dort den Thee bereitete, berichtete Wassilij Andrejitsch umständlich von ihrer Irrfahrt, wie sie zweimal in dasselbe Dorf gekommen waren, wie und wo sie die betrunkenen Bauern getroffen. Die Wirtsleute warfen Ausrufe der Verwunderung dazwischen, erklärten, wann und warum sie vom Wege abgekommen waren, und gaben den guten Rat, sie sollten hier über Nacht bleiben.

»Die Frauen mögen Euch ein Lager zurecht machen, und Ihr könnt dann, sobald der Morgen graut, wegfahren,« fügte der Alte einladend hinzu.

»Geschäfte gehen vor, Brüderchen, wir können unmöglich bleiben!« lehnte Wassilij Andrejitsch ab. »Du weißt, ein ganzes Jahr kann eine versäumte Stunde nicht wieder gut machen.« In Gedanken beschäftigte er sich mit dem Wald und den Händlern, die ihm denselben wegschnappen wollten. »Wir werden's schon durchsetzen; nicht wahr, Nikita?«

Der letztere war ärgerlich, weil er sich unbändig nach Branntwein sehnte, den er doch nicht trinken durfte, und weil man ihm noch keinen Thee angeboten hatte – das Einzige, was ihm einigermaßen über seine Begierde nach Branntwein weghelfen konnte. Außerdem war sein Bart noch ganz gefroren, und es wollte ihm nicht gelingen, denselben aufzuthauen. Deshalb blieb er eine ganze Weile stumm und sagte dann endlich mürrisch:

»Ja, wenn wir uns nicht wieder verirren.«

»Ach, das ist ja garnicht möglich! Wir fahren erst bis zum Scheideweg, und von da ab geht's durch den Wald,« beruhigte Wassilij Andrejitsch.

»Wenn Sie denken, daß wir fahren müssen, nun, so fahren wir eben!« sagte Nikita etwas freundlicher, indem er nach der dargebotenen Tasse griff.

»Dann also ab, sobald wir Thee getrunken haben!«

Nikita nickte nur noch mit dem Kopfe, schüttete bedächtig den Thee in die Untertasse und hielt dann seine starren Hände über den aufsteigenden Dampf. Darauf entnahm er der Zuckerschale ein Stückchen Zucker, biß ein Eckchen davon ab und nachdem er sich vor den Anwesenden verneigt und ein »Auf Euer Wohl!« gemurmelt hatte, schlürfte er den erquickenden Trank.

»Könnte uns nicht jemand bis zum Scheideweg begleiten?« frug Wassilij Andrejitsch.

»Das möchte gehen!« stimmte der Aelteste bei. »Petruschka mag anspannen und mitfahren!«

»Ich würde mich Dir dankbar erweisen, Bruderherz, wenn Du das thun wolltest!«

»Nichts von Dank, Freundchen!« schaltete die Alte ein. »Wir thun es von Herzen gern.«

Petruschka, dem der Auftrag anscheinend angenehm war, ergriff freundlich lächelnd seine Mütze und lief hinaus.

Nachdem also die Angelegenheit der fremden Gäste erörtert worden war, kamen die Anwesenden wieder auf das Thema zurück, in welchem sie durch Wassilij Andrejitschs Ankunft unterbrochen worden waren. Der Taraß sprach über seinen dritten Sohn und beklagte sich bei seinem Nachbar, dem Starosten darüber, daß jener ihm zum Feste kein Geschenk gemacht, wohl aber seiner Frau ein prächtiges Tuch geschickt habe.

»Ja, ja, es ist nichts mehr mit den jungen Leuten anzufangen,« fügte er hinzu.

»Nein, sie werden uns Alten zu klug; es ist nicht mehr mit ihnen auszuhalten.«

Nikita interessierte das Gespräch augenscheinlich; er sah die Sprechenden aufmerksam an und hatte nicht übel Lust, mitzureden, doch beschäftigte ihn sein Thee so stark, daß er nur ab und zu beistimmend mit dem Kopfe nicken konnte. Je mehr er trank, um so behaglicher fühlte er sich.

Lange Zeit drehte sich das Gespräch um denselben Gegenstand – die Teilung der Güter – und obwohl man ganz im allgemeinen zu sprechen schien, hatte doch jedermann die Verhältnisse dieses Hauses im Sinn, denn der zweite Sohn, der jetzt mürrisch und in sich gekehrt da saß, brannte auf die Teilung.

Eine Zeitlang hielt der Takt die Sprechenden davon ab, diesen Punkt vor den Fremden zu erörtern; endlich trat dem Alten aber doch das Herz auf die Zunge, und mit einer Stimme, durch die die Thränen klangen, versicherte er, daß er nie in eine Teilung willigen würde, denn sei einmal geteilt, so zerstreue sich das Besitztum in alle Winde, und keiner habe was Rechtes. »So ist's bei den Matwejews gegangen, und so willst Du's nun auch haben!« wandte der Alte sich dann bekümmert zu seinem Sohne.

Es erfolgte keine Antwort, und alle fühlten das Schweigen drückend. Endlich wurde es durch Petruschka unterbrochen, der schon mit dem Anspannen fertig war und einen Teil des Gespräches mit angehört hatte.

»Da steht bei Pulsson eine Fabel,« sagte er lächelnd. »Ein Vater gab seinen Söhnen sieben zusammengebundene Stäbe. Keiner konnte das Bündel zerbrechen, aber aufgelöst, zerbrach jeder einzelne den seinigen ganz leicht. So ist's auch hier!« erklärte er mit dem strahlendsten Gesicht der Welt. Dann fuhr er fort: »Es ist angespannt.«

»So wollen wir aufbrechen,« sagte Wassilij Andrejitsch. »Aber in die Teilung willigst Du nicht, Großväterchen! Du bist der Herr, Du hast es erworben und kannst darüber verfügen. Das wird ihn der Friedensrichter auch lehren, wenn sonst nichts hilft.«

Inzwischen war Nikita mit der fünften Tasse Thee fertig geworden. In der leisen Hoffnung, daß man ihm noch eine sechste anbieten würde, hatte er sie nicht umgestülpt, aber zu seinem Leidwesen mußte er sehen, daß es nichts mehr setzte, denn das kochende Wasser im Samowar war alle. Da Wassilij Andrejitsch sich auch schon anzog, blieb Nikita nichts übrig, als ebenfalls aufzustehen. Er legte das von allen Seiten angeknabberte Stück Zucker in die Schale zurück, wischte sich mit der Hand den Schweiß vom Gesicht und kleidete sich dann seufzend an. Nachdem er sich noch bei seinen Wirten bedankt und von ihnen verabschiedet hatte, mußte er die schöne warme Stube verlassen und trat, innerlich sehr zufrieden, in den kalten, dunklen Hof hinaus.

Mitten im Hof stand der angespannte Schlitten, daneben Petruschka, der laut Verse aus seinem geliebten Pulsson hersagte. Eben sagte er:

»Es stürmen die Wolken am nächtlichen Himmel,
Es singet der Wind sein klagendes Lied.
Bald klingt's wie des Wolfes grimmiges Heulen,
Bald säuselt es leis' wie ein weinendes Kind.«

Er war offenbar äußerst befriedigt davon, daß sein Gedicht so gut mit der Wirklichkeit übereinstimmte, und auch Nikita nickte beistimmend mit dem Kopfe.

Schon beim ersten Schritt aus dem Hause sah man, das der Schneesturm bedeutend stärker geworden war: die Laterne, die der Alte in der Hand trug, um den Abfahrenden zu leuchten, wurde sofort ausgeblasen, und in den Ecken des Hofes sah man hohe Schneewehen aufgetürmt.

»Wenn wir nur auch bei dem Wetter durchkommen!« bemerkte Wassilij Andrejitsch. »Aber es muß versucht werden, denn ich habe ein wichtiges Geschäft, das nicht warten kann. Mit Gottes Hilfe werden wir schon unser Ziel erreichen.«

Der alte Taraß, der ihnen schon zum Bleiben zugeredet hatte, dachte bei sich: Mir scheint das eine gefährliche Geschichte; aber vielleicht ist es eine Folge meines hohen Alters, daß ich so schwarz sehe. Ich werde nichts mehr sagen. Bleiben sie nicht, so können wir ja auch bei Zeiten schlafen gehen und haben keine Schererei davon.

Auch Petruschka war nicht Wohl zu Mute, doch wollte er um keinen Preis Furcht zeigen und suchte sich dadurch Mut zu verschaffen, daß er die erhebende Deklamation von vorhin für sich wiederholte.

Nikita verspürte nicht die geringste Neigung, in dieses Wetter hinauszufahren, aber im Dienst für andere hatte er sich schon längst abgewöhnt, selbständig zu denken und zu handeln, noch viel weniger wagte er, einen eigenen Willen zu äußern.

So setzte denn niemand der Abreise ein ernstes Hindernis entgegen.


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