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Der Saal.
Morgengrauen schleicht durch die Fenster. Tribüne von trübem Licht erhellt. Am langen Tisch sitzen links die Frau, rechts der Namenlose. An den Türen des Saales Arbeiterwachen. Im Saal hocken vereinzelt an Tischen Arbeiter und Arbeiterinnen.
Die Frau Sind Nachrichten gekommen letzte Stunde?
Ich schlief, verzeihen Sie, Genosse.
Der Namenlose Meldung auf Meldung kommt.
Kampf ist Kampf,
Ist blutiges Kräftespiel und kühl zu wägen.
Vor Mitternacht besetzten wir den Bahnhof.
Um eins war er verloren.
Jetzt rücken Bataillone an
Zum neuen Sturm.
Das Postgebäude ist in unserem Besitz.
In diesem Augenblick
Verkündet Telegramm den Völkern unser Werk.
Die Frau Das Werk! Welch heiliges Wort!
Der Namenlose Ein heilig Wort, Genossin!
Es fordert erzne Panzer,
Es fordert mehr als Rede heißen Herzens.
Es fordert rücksichtslosen Kampf.
(Sekundenlang flackernde Stille im Saal.)
Die Frau Genosse, im Letzten überwind ichs nicht.
Kampf mit Eisenwaffen vergewaltigt.
Der Namenlose
Auch Kampf mit Geisteswaffen vergewaltigt.
Ja, jede Rede vergewaltigt. --
Nicht so bestürzt, Genossin,
Ich packe nackte Dinge.
Dächt ich wie Sie, ich würde Mönch
In jenem Kloster ewigen Schweigens.
(Stille will sich schwer auf den Saal senken. Erster Arbeiter tritt ein.)
Erster Arbeiter Ich bringe Meldung.
Wir rückten dreimal gegen den Bahnhof.
Der Platz bäumt sich vor Toten.
Die drüben liegen gut verschanzt,
Mit allen Waffen ausgerüstet,
Mit Flammenwerfern, Minen, giftgen Gasen.
Der Namenlose Ihr rücktet dreimal an.
Beim viertenmal?
Erster Arbeiter Wir kamen nicht zum viertenmal,
Die drüben wagten Ausfall.
Der Namenlose Ihr hieltet Stand.
Braucht Ihr Verstärkung?
Erster Arbeiter Wir sind zersprengt.
Der Namenlose Rückschlag war zu erwarten.
Merk auf -- geh in den dreizehnten Bezirk,
Dort liegen die Reserven.
Geh -- eile dich.
(Arbeiter geht.)
Die Frau Er sprach von Toten.
Viele hundert.
Schrie ich nicht gestern gegen Krieg??
Und heute ... laß ichs zu,
Daß Brüder in den Tod geworfen? --
Der Namenlose Ihr Blick ist unklar,
Im Kriege gestern warn wir Sklaven.
Die Frau Und heute?
Der Namenlose Im Kriege heute sind wir Freie.
(Stille fiebert.)
Die Frau In ... beiden Kriegen ... Menschen ...
In ... beiden Kriegen ... Menschen ...
( Stille taumelt. Zweiter Arbeiter stürzt herein.)
Zweiter Arbeiter Das Postamt verloren!
Die Unsern fliehen!
Feind gibt kein Pardon.
Gefangener Schicksal Tod.
(Erster Arbeiter eilt herein.)
Erster Arbeiter Ich komm vom dreizehnten Bezirk,
Vergeblich Mühen.
Die Straßen gesperrt.
Bezirk hat sich ergeben.
Sie liefern Waffen ab.
Dritter Arbeiter Die Stadt ist verloren!
Das Werk mißlang!
Die Frau Es mußt mißlingen ...
Der Namenlose Noch einmal: Schweigen Sie Genossin!
Das Werk ist nicht mißlungen.
War heute unsere Kraft zu schwach,
Morgen dröhnen neue Bataillone.
Vierter Arbeiter (
schreit in den Saal). Sie rücken an!
O furchtbares Gemetzel. Erschossen meine Frau,
Erschossen mein Vater!
Der Namenlose Sie starben für die Masse.
Aufrichtet Barrikaden!
Noch sind wir Schützer!
Trächtig ist unser Blut zum Kampf!
Sie sollen kommen!
(Arbeiter stürmen in den Saal.)
Fünfter Arbeiter Sie metzeln alles nieder.
Männer, Frauen, Kinder.
Wir liefern uns nicht aus,
Daß sie uns töten eingefangnes Vieh.
Alle metzeln sie nieder, wir müssen uns wehren!
Die jenseits der Grenzen schützte Völkerrecht,
Uns meucheln sie wie ausgebrochne wilde Tiere,
Setzen Prämien auf unsre Leiber. --
Waffen sind uns in Händen.
Gefangene Bürger führen wir mit uns,
Ich gab Befehl, die Hälfte zu erschießen,
Die andere folgt, greift Sturmtrupp an.
Der Namenlose Ihr rächtet eure Brüder.
Masse ist Rache am Unrecht der Jahrhunderte.
Masse ist Rache.
Die Frau Einhaltet Kampf verstörte!
Ich fall euch in den Arm.
Masse soll Volk in Liebe sein.
Masse soll Gemeinschaft sein.
Gemeinschaft ist nicht Rache.
Gemeinschaft zerstört das Fundament des Unrechts.
Gemeinschaft pflanzt die Wälder der Gerechtigkeit.
Mensch, der sich rächt, zerbricht. --
Die Hälfte ist erschossen!
Die Tat nicht Notwehr.
Blinde Wut! nicht Dienst am Werk.
Ihr tötet Menschen.
Tötet ihr mit ihnen Geist des Staats,
Den ihr bekämpft?
Die draußen schütze ich.
Ich war bereit,
Mein Gewissen zu lähmen,
Der Masse willen.
Ich rufe:
Zerbrecht das System!
Du aber willst die Menschen zerbrechen.
Ich kann nicht schweigen, heute nicht.
Die draußen Menschen,
Im Blute stöhnender Mütter geboren ...
Menschen ewige Brüder ...
Der Namenlose Zum Letzten: Schweigen Sie Genossin!
Gewalt ... Gewalt ...
Die drüben schonen unsre Leiber nicht.
Mit frommem Blick ist harter Kampf
Nicht durchzuführen. --
Hört nicht auf diese Frau.
Geschwätz von Weiberröcken.
Die Frau Ich rufe: Haltet ein!
Und Sie ... wer .. sind ... Sie?
Treibt dich entfesselte Wollust des Herrschens
In Käfig gesperrt seit Jahrhunderten?
Wer ... sind ... Sie?
Gott ... wer ... sind ... Sie?
Mörder ... oder ... Heiland?
Mörder ... oder ... Heiland ...?
Namenloser: Ihr Antlitz?
Sie sind ...?
Der Namenlose Masse!
Die Frau Sie ... Masse!
Ich ertrag Sie nicht!
Die draußen schütze ich.
In vielen Jahren war ich Euch Gefährtin.
Ich weiß ... Ihr littet mehr als ich ...
Ich bin in hellen Stuben aufgewachsen,
Litt niemals Hunger,
Hört nie das Wahnsinnslachen der verfaulenden Tapeten.
Doch -- fühle ich mit Euch
Und weiß um Euch.
Seht, ich komme bittend Kind.
Ich bringe alle Demut.
Hört auf mich:
Zerbrecht die Fundamente des Unrechts,
Zerbrecht die Ketten der geheimen Knechtschaft,
Doch zerschellt die Waffen der verwesten Zeit.
Zerschellt den Haß! Zerschellt die Rache!
Rache ist nicht Wille zur Umgestaltung,
Rache ist nicht Revolution,
Rache ist Axt, die spaltet
Den kristallnen, glutenden,
Den zornigen erzenen Willen zur Revolution.
Der Namenlose Wie wagst du Frau aus jenen Kreisen,
Die Stunde der Entscheidung zu vergiften?
Ich höre andern Ton aus deinem Mund.
Du schützest sie, die mit dir aufgewachsen.
Das ist der tiefre Grund.
Du bist Verrat.
Masse im Saal (bedrängt drohend die Frau). Verrat!
Ruf Die Intellektuelle!
Der Namenlose Dein Schutz Verrat.
Die Stunde fordert Handeln,
Rücksichtsloses Handeln.
Wer nicht mit uns, ist wider uns.
Masse muß leben.
Masse im Saal Muß leben.
Der Namenlose Du bist verhaftet.
Die Frau
Ich ... schütze ... sie ... die mit mir aufgewachsen?
Nein, ich schütze euch!
Ihr selbst steht an der Mauer!
Ich schütze unsre Seelen!
Ich schütze Menschheit, ewige Menschheit.
Wahnsinniger Ankläger ...
In meinen Worten Angst ...
So niedrig nie ...
Ich wählte ...
Du lügst ... du lügst ...
( Ein Arbeiter betritt den Saal.)
Arbeiter Bellt einer auf von den Gefangenen
Bellt monoton, bellt immer wieder,
Er will zur Führerin!
Der Namenlose Beweis.
Die Frau Noch einmal ... du lügst ... --
Wer will mich sprechen ... wer?
Vielleicht der Mann.
Um ihn beging ich heute nimmermehr Verrat ...
Jetzt verrietet ihr euch selbst ...
Ich weiß nichts mehr ...
(Der Namenlose verläßt die Tribüne, taucht in der Masse im Saal unter. Von draußen dringen Arbeiter ein.)
Die Arbeiter Verloren.
Rufe Fliehen! Kämpfen!
(Draußen vereinzelte Schüsse. Die Arbeiter drängen zur
Tür.)
Rufe Die Tür ist verrammelt.
Gekesselt wie Hasen!
(Schweigen der Todeserwartung.)
Ruf Sterben!
(Einer beginnt die Internationale zu singen. Die andern fallen ein. Mächtig.)
Lied Wacht auf im Erdenrund, ihr Knechte,
Ihr Angeschmiedete der Not,
Aus Tiefen donnern neue Rechte.
Der Tag bricht an, die Fackel loht.
Frei die Bahn, heran zum Handeln,
Packt an! ihr Massen, erwacht:
Die Welt will sich von Grund aus wandeln,
Wir Sklaven ergreifen die Macht.
Völker hört die Signale,
Reiht euch ein, der Würfel fällt.
Die Internationale
Erkämpft -- befreit die Welt.
(Plötzlich kurzes Maschinengewehrfeuer. Das Lied zerbricht, Tür am Haupteingang und seitliche Türen werden mit einem Ruck eingestoßen.
Soldaten mit Gewehren im Anschlag stehen an den Türen.)
Offizier Widerstand ist nutzlos!
Hände hoch!
Hände hoch, befehle ich.
Wo ist die Führerin?
Warum streckst nicht die Hände hoch?
Legt ihr Fesseln an.
(Soldaten fesseln die Frau.)