Ludwig Tieck
Wunderlichkeiten
Ludwig Tieck

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In einer anständigeren Wohnung war jetzt die arme Witwe mit ihrer Tochter Henriette eingerichtet. Das Quartier war geräumig, die Aussicht auf die Gasse, und der alte Simon, der Schwager der Mutter, der sie hier einlogirt hatte, war jetzt ein ganz anderer Mann geworden. Seit er die Summe in der Lotterie gewonnen hatte, durch welche er, nebst seinem Ersparten, für einen wohlhabenden Mann gelten konnte, war er eher zu freigebig, als daß er, wie man ihn früher dafür ansah, für einen Geizigen gelten konnte. Er hatte nicht nur seine Schwägerin und Nichte gut eingerichtet, sondern er hatte auch den Vater seines früh gestorbenen Stiefbruders, einen alten Müßiggänger und Taugenichts, mit in die Genossenschaft aufgenommen. Dieser sonderbare Greis, der noch alle Gesinnungen seiner frühen Jugend wie eine Naturseltenheit in sich aufbewahrt hatte, war ein Schwätzer, Aufschneider und höchst sonderbarer Mann, der, weil er schon alt und stumpf war, von den Meisten übersehen wurde. Simon und Walther waren schon mehrere Jahre alt, als ihre verwitwete Mutter sich zum zweiten Mal mit diesem schon damals bejahrten Emmrich 259 verheirathete. Emmrich hatte aus voriger Ehe einen erwachsenen Sohn, welcher nach manchen Abentheuern davon ging und als Matrose in seinen besten Jahren starb. Er ließ den Eduard als Kind zurück, dessen sich Simon und Walther annahmen. Sie starb im Kindbett und Walther heirathete die Frau Irmgard, deren Tochter Henriette war. Dieser Walther hatte erst sein Vermögen, dann das seiner Gattin, und nachher Alles, was ihm der gutherzige Simon geben wollte, verzehrt, um nach kurzer Frist in das Ausland zu entweichen, wo er nach einigen Jahren starb. Dieser Emmrich, der Stiefvater Simons, war also jetzt auch Theilnehmer der neuerworbenen Wohlhabenheit, und obgleich er bis jetzt in seiner Verfinsterung als Bettler gelebt hatte, war er dennoch nicht dankbar, oder fühlte sich dem gutmüthigen Simon verpflichtet, der ihn seinem Jammer entrissen hatte.

Menschen, die viele Jahre hindurch Armuth und Elend ertragen haben, stehen selten mit denen, welchen sie nachher Wohlthaten erzeigen, in genauer Rechnung. Darum wunderte sich auch Simon gar nicht, als der steinalte leichtsinnige Emmrich ihn und Irmgard und Henriette so behandelte, als müsse Alles so seyn; er nahm jetzt die Wohlhabenheit, an welcher man ihn Theil nehmen ließ, mit nicht mehr Dankbarkeit auf, als ehemals den Groschen, welchen man ihm aus Erbarmen schenkte.

Diese Verwandte waren jetzt versammelt, und Emmrich, der auf einem Spaziergange gewesen war, trat zu ihnen. Nicht wahr, Simon, sagte er, Ihr habt den jungen Eduard, meinen Enkel, Euern Neffen, verstoßen und ihm obendrein Euern Fluch gegeben?

Ja wohl, sagte der grollende Simon, weil er – verzeiht, Oheim Emmrich, – ich wollte sagen, weil er auf dem Wege ist, ein Taugenichts zu werden.

260 Sprecht es nur aus, mein guter, jugendlicher Simon, antwortete der kleine, magere und eisgraue Emmrich, ein Taugenichts, so wie ich; ein Taugenichts, ein Müßiggänger ist noch gar nicht so ein ganz schlimmes Kraut; wenn wir zu Mördern, Brandstiftern und dergleichen Gesellen hinaufsteigen, kann er noch für einen leidlich tugendhaften Christen gelten. Nun also, unser Eduard ist uns aus der Lehre gelaufen, die wir ihn zu einem brauchbaren Menschen machen wollten. Er will nicht nützen, er will phantasiren, und das dürfen wir ihm freilich nicht gestatten. Ihr wißt, ihr lieben jungen Kinder, daß ich in meiner Jugend auch die Malerei trieb. Ich trieb sie mit solcher Gewalt, daß sie immer weiter, weiter und eiliger vor mir hinwegfloh, und ich war mit der Peitsche so eifrig hinter ihr drein, daß sie meinem kurzsichtigen Auge bald so weit entrückt war, daß ich jedes Vieh am Wege für ein sogenanntes Ideal ansprach. Kurz, es gelang mir nur mittelmäßig, und ich konnte mich kaum mit einem Annibal Carracci oder Domenichino, ja nicht einmal mit einem Julio Romano in dieselbe Reihe stellen. Darum gab ich das Ding auch ganz auf, und wurde nachher, was ich auch lange blieb, ein ächter Menschenfreund, ein Tugendbeförderer. Denn meine Kinder, was ist der Mensch, der gar nicht arbeitet, nie etwas vor sich bringt, weder spart, noch zu Rathe hält und doch nichts erwirbt, aber viel braucht, der also immerdar bitten und betteln, mahnen und borgen, lügen und heucheln muß, was ist der anders, als ein ächter Tugendbeförderer, der das Mitleid, die Gutwilligkeit, Menschenfreundschaft und Mildthätigkeit seiner Mitmenschen immerdar in Thätigkeit setzt? Denn gäbe es gar keine Menschen, wie ich seit so vielen Jahren einer gewesen bin, woran fände denn das Mitleiden und die christliche Liebe Gelegenheit, sich zu üben? Ohne mich und meines Gleichen müßten 261 die edelsten Tugenden gewissermaßen absterben. Also ich wollte nur sagen, weil ich eingesehen, wie die Malerei das Unnützlichste sei, was ein junger Mensch nur treiben könnte, so bin ich nicht saumselig gewesen, und habe mir die Ehre gegeben, meinen Fluch für meinen Enkel und Euern Neffen und Vetter dem Deinigen, mein Freund Simon, noch beizufügen. Aber was hilft es? Der große Mann, der reichste, mächtigste, der berühmte Prinz Xaver hat den Bengel seit vorgestern, als wir ihn aus dem Hause stießen, adoptirt oder an Kindesstatt angenommen. Es soll keine Aussicht seyn daß der Prinz noch Kinder erzeugt, und so hat er denn unsern Ungerathenen angenommen, ihn legitimirt, so daß in zehn oder zwölf Jahren der krausköpfige Bengel ein großer Fürst seyn kann, ein Herr von Millionen, was freilich besser ist, als ein schlechter Maler.

Sollt' es möglich seyn? rief Simon aus; alter Mann, Ihr bindet uns da wieder ein Mährchen auf, wie es wohl so Eure Art ist.

Nein! rief der alte Emmrich, es ist so, und wir leben ja in den Zeiten der Wunder. Gebt nur Acht, das Wort »unmöglich« wird bald aus unserer Sprache ganz und gar ausgestrichen werden.

Aber, lieber Himmel, sagte die Mutter Irmgard, so haben wir uns schlimm gebettet, daß wir ihm so unhöflich begegnet sind damals, als er so übertrieben freundlich zu meiner Henriette that.

Freilich, sagte der Großvater, denn er ist doch immer euer Neffe und Vetter, und mir besonders geht er näher an als euch, denn als ich damals mit Eurer Mutter, Simon, die mir Euch und den Walther schon ins Haus als Kinder brachte, mich verband, hatte ich schon längst meinen nachher ertrunkenen Seekapitän erzeugt, und so blieb uns der Eduard, 262 der Nachkomme des großen Seehelden, und ich that für den Jungen auch Alles, was in meinen schwachen Kräften stand, so lange ich selbst noch einen Groschen im Vermögen hatte. Von mir hat er ja auch seinen Enthusiasmus für die Malerei, der auch sein Leben lang nicht von ihm loslassen wird. Aus Gefälligkeit für Euch, Simon, der Ihr mir nur zugebracht, nur Stiefsohn seid, habe ich Euern Fluch noch mit dem meinigen verstärkt, denn ich bin immer ein sehr gefälliger Charakter gewesen, – und nun werde ich ebenfalls unschuldigerweise wegen meiner Complaisance zu leiden haben.

Schwätzer und kein Ende! rief Simon ungeduldig aus; Eduard, der Windbeutel, vom Prinzen adoptirt! Ein Taugenichts zum Prinzen gemacht! Nein, das ist in der ganzen großen Weltgeschichte noch niemals vorgekommen.

Aber, Mann! sagte der Greis ganz entrüstet, das ganze große Hotel von Xaver wird ja heut Abend mit tausend und tausend Lampen illuminirt, und über dem Thorweg, wo man hineinfährt und geht, über diesem Portal brennt Eduards Namenszug in Brillantfeuer. Die ganze Stadt ist auch schon aufgeregt und auf den Beinen; es wird ein fürchterliches Gedränge in dem Stadtviertel geben. Wenn nur nicht Menschen bei den vielen Equipagen zu Schaden kommen.

Henriette, sagte die Mutter, ziehen wir uns ein wenig an, denn das müssen wir Alles sehen. Es wird schon finster, und die Illumination muß nun schon fertig seyn. Himmel! wer hätte gedacht, daß in so kleiner Zeit mit unsrer Familie eine so große Veränderung vorgehen könnte.

Ja wohl, sprach der greise Emmrich, nun kann er sich selber eine Gemäldegallerie anlegen, anstatt ein Maler zu seyn; nun kann er dem hochmüthigen Reishelm, diesem Director der Akademie, ein Schnippchen schlagen, und der 263 galante Allerweltskerl muß ihm die Hand küssen, wenn unser Eduard sich von ihm malen läßt.

Simon nahm seinen großen Knotenstock aus dem Winkel und setzte murrend den breitkrempigen runden Hut auf. Mich geht die Dummheit eigentlich nichts an, sagte er, aber der Neugier halb will ich doch auch mitlaufen.

Die Frauenzimmer standen schon wartend, und so verließen die vier Personen ihre Wohnung, welche Frau Irmgard, die so kürzlich erst dem tiefsten Elend entrissen war, immer noch mit Entzücken betrachtete. Sie stieg jetzt mit großer Selbstgefälligkeit die breite bequeme Treppe hinunter. Auf der Gasse war Alles ruhig und die wenigen Menschen, welche vorübergingen, wandelten langsamen Schrittes. In den Hauptstraßen, vor den Kaffeehäusern war Geräusch, hier und da lebhaftes Gespräch, aber nirgend war eine Aufregung der Neugier zu spüren. Simon schüttelte immerdar sein großes Haupt und man sah, wie in der Finsterniß sein breiter Hut sich mißbilligend bewegte. Jetzt waren sie dem Quartier, in welchem das mächtige Haus des Prinzen Xaver stand, schon ziemlich nahe; aber hier war die Stadt schon wieder ruhiger als in jenem belebteren Theile, und als man nun vor dem Palast selber ankam, war Alles ganz still, die Fenster waren nicht erleuchtet und nur ein einziges kleines, unmittelbar über dem Thorwege, die Loge des Portiers schimmerte von einem bescheidenen Lichtlein erhellt. Als sie nun da so einsam vor der breiten und langen ganz verfinsterten Masse des Gebäudes standen, brach der mürrische Simon in ein lautes boshaftes Gelächter aus. Nun, alter Emmrich? fragte er dann.

Es muß doch anders seyn, als ich es geglaubt habe, antwortete dieser, denn wirklich machten sie sich vorher hier mit einigen Lampen zu thun. Es ist aber auch möglich, daß 264 sie diese zu der Marionettenbude trugen, in der sie, dort im Winkelgäßchen, seit einigen Tagen spielen. Ich habe dem Principal ein Drama angeboten, das schon seit zehn Jahren in meinem Pulte liegt; der Narr meinte aber, die Zeiten wären seitdem so vorgeschritten, daß eine so alte Dichtung nicht mehr gefallen könne.

Hansnarr! brummte Simon, und so wendete man um, um den Rückweg anzutreten, als der Thorweg des Prinzen sich mit Geräusch öffnete und eine schlanke Gestalt ihnen eilig vorüberlief. Das war ja wohl Eduard? sagte die Mutter Irmgard. Eduard stand still, und als sie näher kamen, sagte er: Ei! da ist ja die ganze hochlöbliche Compagnie beisammen. Wollt ihr mir nicht auch hier diese öffentliche Straße verbieten?

Du wohnst also doch hier? fragte Simon. – Ich wohne, wo ich will, und thue, was ich kann, erwiederte Eduard, und von meiner ganzen verehrten Familie nehme ich nun künftig keine Notiz mehr. Das ist das Neueste vom Jahr. Mit diesen Worten sprang er fort.

Er muß doch was geworden seyn, sagte die Mutter, sonst wäre er nicht so grob.

Ja wohl, sagte Emmrich, er bringt es gewiß noch weit; denn als ich gestern bei dem Handelsmann einige Farben einkaufte, traf ich einen alten Capitain im Laden. Der versicherte, der Professor Reishelm habe neulich bei Hofe, in Gegenwart aller Großen des Reiches, erklärt, ein solches Malertalent, wie das unsers Eduard, sei seit Rafael auf unsrer Welt nicht zum Vorschein gekommen.

Geht es schon wieder los? schrie Simon und stampfte mit seinem großen Prügel auf das Steinpflaster. Er stieß noch einen heftigen Fluch aus und eilte dann nach seiner 265 Wohnung zurück, unbekümmert, wie früh oder spät ihm die Uebrigen nachfolgen würden.

Eduard rannte indessen durch viele Gassen, bis er vor das Haus kam, in welchem die Witwe Mühlen wohnte. Als er in das Zimmer trat, wo Friederike der Mutter und Schwester eben aus einem unterhaltenden Buche vorlas, rief sie ihm entgegen: Guten Abend, Titian!

Warum nennen Sie mich so? fragte der junge Mann.

Sie sagten ja, antwortete das Mädchen schnippisch, Sie würden gar nicht, oder nur als Titian wiederkommen. Es ist aber schnell damit gegangen.

Und nur, wenn es schnell damit zugeht, sagte Eduard lachend, kann es mir etwas nützen. Aber ich bin wenigstens geadelt worden, denn der Reishelm hat mich schon Herr von Winter titulirt, so wird das Uebrige wohl bald nachfolgen.

Wie können Sie aber heut Ihren Posten verlassen? fragte Frau Mühlen.

Alles im Hause ist krank, sagte Eduard, man will früh schlafen gehen, es ist auch kein Besuch- und Gesellschaft-Abend, und so sitzt der alte vorige Portier, der jetzt eine Art von emeritirtem Kammerdiener vorstellt, in meinem Thronsessel, bis ich wiederkomme. Er kann dort schlafen und träumen, denn heut wird er gewiß nicht gestört werden, bis ich selber die Glocke ziehe. Das ist ein curioser und merkwürdiger Mann, dieser Elias; sie sagen nehmlich, er sei einmal, es wird ein Jahr her seyn, vergiftet worden.

Vergiftet? rief die erstaunte Lucie aus: ei! das ist ja so was, wie wir so eben in dem Roman da gelesen haben.

Es ist eine weitläufige und verwickelte Geschichte, fuhr Eduard fort. Ein Fremder hatte ein Geschäft im Hause, die Fürsten gaben einen großen Ball, doch war die Gemahlin des Herrn unwohl, wie sie es oft ist, und tanzte nicht. 266 Der Fremde kam zurück, fragte beim Portier nach etwas und nahm einen Brief wieder, den er ihm aufzuheben gegeben hatte. Die Dienerschaft brachte dem Alten, weil es im Hause so lustig herging, eine Flasche köstlichen Weins. Der fremde Mensch war herablassend, sie tranken mit einander und waren guter Dinge. Am Morgen entstand großer Lärm, denn es fehlte der kostbare Juwelenschmuck der Fürstin, den sie noch auf dem Ball getragen, dann selbst in das Kästchen gelegt und dieses mit eigner Hand abgeschlossen hatte. Man dachte nun auf den Fremden; – aber wie? Die Möglichkeit? – Es war aber der Argwohn natürlich, denn der alte Portier war betäubt, schlaftrunken, er konnte sich lange nicht erholen und ist auch seitdem dumm geblieben. Von dem Fremden glaubte man nun, er müsse ein vornehmer Mann gewesen seyn. Nun wurde ins Unendliche hinein gefabelt und gelogen. Die nächsten Verwandten sollten in den Diebstahl verwickelt seyn, die Fürstin selber einen Bruder, der ungeheuer im Spiel verloren, mit dem Schmuck gerettet haben, und dergleichen mehr. Alles dies habe ich früher, und noch mehr seit ich im Hause wohne, von männlicher und weiblicher Dienerschaft gehört. Bedenklich ist es, daß die Untersuchung, nachdem sie kaum angefangen war, niedergeschlagen wurde. Der alte Portier war so schlaftrunken gewesen, daß er sich nicht erinnern konnte, wie lange jener Fremde bei ihm gewesen sei, was er mit ihm gesprochen, wann er fortgegangen. Das Wahrscheinlichste ist, daß er dort blieb, dieser Unbekannte, die abfahrenden Equipagen aus dem Thore ließ und daß er nachher, als Alles im Schlafe lag, auf unbegreifliche Weise Mittel gefunden hat, sich jenen sorgfältig verschlossenen Schmuck anzueignen. Nach der Beschreibung des Portiers sei jener Fremde ein feiner, schöner und gewiß vornehmer Mann gewesen.

267 Wenn aber die Fürstin, warf die kluge Friederike ein, irgend von dem scheinbaren Raube gewußt hätte, so waren ja diese überklugen und künstlichen Anstalten und das Betäuben des Thorwächters gar nicht nothwendig.

Sie haben Recht, Geliebte, sagte Eduard – aber was kümmern wir uns um diese Absurditäten? Warum sprechen wir nicht von unserer Liebe? – Sie sehen wenigstens, Mütterchen, welchen wichtigen Posten man mir interimistisch anvertraut hat, und welchen Mann der Prinz in mir ausgewählt hat, damit ein solcher Schabernack ihm nicht zum zweiten Mal passiren kann.

Zeichnen Sie auch fleißig? fragte Lucie.

Tag und Nacht, erwiederte Eduard, und seit ich an allen Anklopfenden die Physiognomik studire, mache ich ganz unglaubliche Fortschritte. So habe ich mich jetzt auf das Viehwesen gelegt; ich copirte erst Viehstücke, Hammel, Rind, Schwein, Gans, Ente &c. nach den berühmtesten Meistern. Nun ging ich aber weiter und componirte frei und genial. Das heißt: ich setzte Mensch und Vieh künstlich und so, daß es jeder kennen muß, zusammen. Meinen Prinzen, den ernsthaften trübsinnigen Xaver, stellte ich in seiner Dürre als Windspiel hin; wenn sie das Bild stechen, wie es ist, so muß jeder Mensch auf den ersten Blick meinen Mäcen erkennen. Die eine Kammerfrau bei uns steht als Ente da, und ein gewisses Fräulein Marie, die Gesellschafterin der Fürstin, als große schöne Cyperkatze; aus dem Grafen, dem Bruder der Prinzeß, habe ich einen kräftigen Bullenbeißer oder Schlächterhund gemacht und, um die Sammlung zu krönen, aus meinem Meister in der Malerei einen Seehund.

O pfui! Herr Winter! Wie können Sie sich so vergehen! rief die Frau Mühlen, beinahe weinend, aus. Wenn die Herren das nun erfahren sollten.

268 Still, Mütterchen! sagte lachend der junge Mensch, das Genie muß sich ungehemmt seine freie Bahn brechen. Dem Herrn Reishelm habe ich sein Portrait selber hingeschickt und deutlich darunter geschrieben: Der Director der Kunstakademie, Herr Reishelm, als Seehund.

Ich falle in Ohnmacht, sagte die Mutter.

Unnöthige Mühe, sagte Eduard; der einsichtsvolle Mann hat mir einen verbindlichen Brief geschrieben und mir gesagt, ich wäre ein verwünscht geistreicher Spitzbube, die Sache sei aber so hübsch gerathen, daß er nicht böse werden könne; wenn ich das Blatt aber in den Kupferstich gäbe, möchte ich wenigstens seinen Namen nicht darunter setzen. Wenn della Porta und Lavater und viele einsichtige Männer gepredigt haben, daß die Menschen den Thieren ähnlich sehen, soll denn der Künstler nicht diese Ueberzeugung und Anschauung in Thatsache verwandeln, um die Entdeckung populair und allgemein zu machen?

So verging der Abend unter mannigfaltigen Gesprächen, bis der Glockenschlag den jungen Mann erinnerte, daß er sich wieder auf seinen Posten begeben müsse.

Am folgenden Morgen hatte die Mutter die große Freude, daß sie wieder einen Brief von ihrem Sohne aus Brüssel empfing. Er lautete so.

»Ich weiß nicht, Geliebte, ob ich diesen Brief noch hier, oder unterwegs endigen werde, denn es kann seyn, daß wir morgen, oder selbst heute von hier abreisen. Auf jeden Fall bin ich in weniger Zeit Ihrer Heimath näher, ja ich glaube vorhersehen zu können, daß ich Sie in acht oder zehn Tagen (wie glücklich ich!) an meine Brust drücken und, von Ihnen umarmt, Ihnen sagen kann, wie sehr ich Sie liebe.

Der Graf, dessen Secretair ich bin, wie Sie wissen, ist noch immer ganz Güte und Freundschaft für mich. Außer 269 jenem kostbaren Ringe hat er mir noch eine Busennadel mit einem großen Diamanten geschenkt, deren Werth, wie man mir sagt, noch den des Ringes weit übertreffen soll. Es ist jetzt so ziemlich ausgemacht, daß ich mit ihm nach Portugal oder nach Italien reise. Das Letzte wäre mir noch lieber.

Jetzt habe ich denn auch verschiedene Briefe für ihn abschreiben müssen, andere hat er mir dictirt; alle von sehr wichtigem Inhalt. Er steht in Verbindung mit den allervornehmsten Personen, und ich könnte Ihnen Manches erzählen, wenn es nicht schändlich wäre, sein Vertrauen so zu mißbrauchen. Sie verlangen dergleichen, das weiß ich, auch nicht von mir. Wenn wir aber in die Residenz zu Ihnen kommen, so wird mein edler Beschützer und Freund (ich darf ihn wohl so nennen) auch Sie besuchen, und Sie werden ihn persönlich kennen lernen, denn er hat mir selbst gesagt, er müsse die würdige Frau sehen, die einen so liebenswürdigen Sohn zur Welt gebracht und ihn so vortrefflich erzogen habe. Ich schreibe Ihnen das so einfach hin, weil er es mir ganz so, mit denselben Worten gesagt hat. Und das ist keine Ziererei bei ihm, wie es wohl bei so manchen andern Vornehmen oft der Fall ist. Er beträgt sich überhaupt gegen unser eins ganz schlicht, wie ein Bürgerlicher, und hat nachher wieder gegen Große einen so vornehmen, selbst majestätischen Anstand, daß man ihn für einen Prinzen halten könnte.

Der hiesige Gouverneur, die Fürsten, Herzoge und Grafen hier sind alle mit ihm verbunden und mehr oder minder seine Freunde. So hat man seinetwegen an den herrlichen Kaiser, Joseph den Zweiten, geschrieben, in dessen Dienste er auch wohl treten wird. Denn dieser Kaiser ist auch nicht wie die übrigen Potentaten, er weiß die Menschen wohl zu unterscheiden und brauchbare, aufgeklärte Männer auf solche 270 Posten zu stellen, wo sie ihm und der Welt am nützlichsten seyn können. Wenn der Kaiser von Paris zurückkommt, wird ihm der Graf entgegenreisen, um sich ihm persönlich vorzustellen.

Ueber die vielen Geschäfte ist nun das Studiren der spanischen Sprache etwas bei Seite gelegt. Ich habe ihm in dieser Zeit auch nur selten etwas vorgelesen, denn er ist jetzt immer in Gesellschaften, wo sehr hoch gespielt wird, und er erst gegen Morgen nach Hause kommt. Er gewinnt fast immer. Die Herrschaften sagen ihm nach, er sei der großmüthigste Spieler auf der Welt, und den Damen, die am leidenschaftlichsten sind, sieht er immer durch die Finger. Das ist in der großen Welt was Absonderliches, daß so kleine Schelmereien oder Spitzbübereien nicht sehr in Anschlag kommen oder sonderlich geachtet werden. Unbeschreiblich reich muß mein Graf seyn, weil er das Geld, auch große Summen, so gar nicht achtet.

Wenn er erst sein hohes Amt bekommen hat, so ist es ihm ein Leichtes, mir auch zu einer ansehnlichen Stelle zu verhelfen, von da ich denn leicht durch seinen Schutz von einer Staffel zur andern emporsteigen kann. Er hat es mir verboten, es irgend laut werden zu lassen, daß ich eigentlich Theologie studirt habe und eine Art von Geistlicher bin; er sagt, das könne mir bei vielen Leuten schaden und bei meinem Emporkommen hinderlich seyn, denn die meisten Großen und Vornehmen affectirten zwar eine besondere Ehrfurcht vor dem geistlichen Stande, als vor einem hohen und nothwendigen, achteten aber die Individuen, die sich diesem Berufe widmeten, in der Regel nur geringe, weil sie meinen, daß bloß Armuth und dringende Noth die Menschen zwingen könne, sich diesem Stande zu widmen, weil jeder irgend Wohlhabende lieber Jurist und Mediciner würde. Das sei 271 freilich in der katholischen Kirche ein ganz anderes Ding, wo die reichen Abteien, Bischofswürden, Cardinalstellen und dergleichen die Leute lockten und Talente belohnten. Und selbst in England stehe die Geistlichkeit in einem ganz andern Ansehen. Diese Redensarten gingen mir erst sehr empfindlich ein, aber ich wußte ihm doch auch nichts Reelles zu antworten. Denn, liebe Mutter, so demüthig ich auch von Hause aus bin, so bescheiden ich seyn mag, so kriegt man in diesen vornehmen Umgebungen doch auch nach und nach von dem Hochmuth dieser Welt etwas ab. Ich werde es künftig diesen Leuten nicht mehr so sehr wie bisher übel nehmen, wenn sie Bürgerliche oder Arme nur geringe achten, denn ich habe mich selber schon mehr als einmal auf dieser Empfindung ertappt, der ich doch so gar nichts, und obenein ganz arm bin, meinen Ring und die Busennadel abgerechnet.

Das seh' ich wohl, er will mich zu einem Diplomaten machen. Er meint, das sei die Carriere, die meinen Talenten gezieme. So würde ich denn vorerst vielleicht bei ihm Attaché, oder zweiter Secretair, dann sein wirklicher, nachher kann mir, wenn ich mich eingearbeitet habe, der Titel als Legationsrath nicht entgehen; hat die Regierung zu mir Vertrauen, habe ich einige wichtige Sachen ausgearbeitet, mich ausgezeichnet, so gelingt es mir wol, wirklicher Gesandter zu werden, oder in den geheimen Rath zu kommen, wozu, um dies zu erlangen, ich mich aber vorher wahrscheinlich müßte adeln lassen, – und nachher dann noch Excellenz, Ordensband und große Sterne, – nicht wahr? liebe Mutter, – das ist denn doch ein weniges anders, als auf einem dürren unbekannten Dorfe oder in einem kleinen Nest von Städtchen als Pfarrer zu sitzen, und die Bauernjungen mit bloßen schmutzigen Füßen um ihn her stehend, die er zu Christen und Menschen machen soll?

272 Doch ich versteige mich in Träume hinein, die aber doch nicht ganz der wahrscheinlichen Erfüllung entbehren.«

– – Jetzt lachte Lucie laut auf und sagte: Unser Bruder Martin ist ein hübscher Narr geworden unter seinen verrückten Menschen da.

Warum? fragte Friederike, wenn er Glück haben soll, wenn es ihm bestimmt ist, so kann alles dieses sehr wohl eintreffen. Durch Protection wird der Mensch Alles, selten nur etwas durch Talent und Verdienste. Unser Martin ist vielleicht ein Glückskind, und ich habe immer geglaubt, er sei für einen Prediger zu gut.

Sprich nicht so sündlich! sagte die Mutter, Frau Mühlen, eifernd; das war immer mein Lieblingswunsch und meine schönste Aussicht, daß mein Martin einmal eine gute einträgliche Dorfpfarre in einer schönen Gegend erhielte und daß ich dann zu ihm ziehn und so in ländlicher Einsamkeit meine letzten Tage ruhig verleben könnte.

Auf einer Dorfpfarre? sagte Friederike; in einer fernen Gegend, in einem kleinen Hause? Und wo bliebe dann Ihre schöne Bildergallerie? Und die wollten Sie auch niemals vermehren?

Die Mutter seufzte. Es läßt sich freilich in unsern irdischen Verhältnissen nicht Alles vereinigen. Vielleicht nähme der Staat meine Sammlung dann für eine große Summe an sich, die uns auf immer aller Noth enthöbe und Martin und auch uns wohlhabend machte. Aber gut, daß Du mich erinnerst. In der Nacht habe ich das bestimmte Vorgefühl gehabt, daß ich in der Blasien-Vorstadt ein Bild finden werde, welches unserer Sammlung noch fehlt. Dahin müssen wir nachher sogleich eilen, damit kein Anderer es vielleicht zufällig antrifft. Ich ahnde so was von Rubens; 273 mich dünkt, es wird auch ziemlich groß seyn. Dann weiß ich aber wirklich noch gar nicht, wohin wir es placiren wollen.

Können nicht Bilder, sagte Lucie, ebenso wie Bücher, doppelt gestellt werden?

Es wird wohl dahin kommen müssen, antwortete die Mutter; aber wir wollen doch unsern Brief nicht ganz vergessen. Sie las weiter:

»Unsre Abreise von Brüssel macht sich noch schneller, als ich es vermuthet hatte, denn ich habe meine Sachen schon alle gepackt, die Bedienten sind für den Grafen in eiligster Thätigkeit gewesen, und wir fahren schon in dieser Nacht. Ich schreibe, so lange ich ruhig bin, und sende von einer andern Station meinen Brief ab. Wie gesagt, das unglückliche Spiel und die vornehmen Damen, und das ganze Unwesen, was mir schon immer ängstlich war, hat uns denn auch den gehörigen Verdruß gemacht. Mein Herr lacht zwar nur darüber und spielt den starken Geist; ich fühle es ihm aber doch an, daß er innerlich ganz erboßt ist, und zwar auf sich selber, und das auch nicht mit Unrecht.

Eine Herzogin, die ich nicht nennen will, hatte ihn mit ihrem Vertrauen beehrt. Ich will nicht sagen, daß es irgend eine Liebesgeschichte war, aber sie waren Beide recht gute Freunde mitsammen. Diese Dame hat nun ungeheuer im Spiel verloren, wovon mein Graf einen ansehnlichen Theil mag gewonnen haben; sie macht ein großes Haus, sie giebt Bälle und Diners – kurz, sie ist hier in der allerhöchsten Stellung. Diese Dame also läßt meinen Herrn ersuchen, zu ihr zu kommen, weil sie ihm etwas zu entdecken habe. Wie er kommt, bekennt sie ihm, halb mit Lachen, halb im Verdruß, ihre quälende Verlegenheit. Sie muß Geld haben, und zwar eine recht große, recht bedeutende Summe, und das im Augenblick; da ist kein Aufschub möglich, denn sie muß an einen 274 zudringlichen Prinzen eine Spielschuld bezahlen. Sie sagt dem Grafen, wie sie sich an moralisirende Verwandte und grämelnde Oheims, die ihr schon immer ihren Lebenswandel vorgerückt hätten, nicht wenden könne, sich mit Wucherern, wenigstens unmittelbar, nicht einlassen wolle, um ihrem Credit und guten Namen nicht zu schaden; so habe sie denn zu meinem Grafen schon seit lange ein unbedingtes Vertrauen, sie übergebe ihr Wohl daher seinen Händen, er möge ihr die Summe eiligst schaffen, wie und auf was für Art er wolle, und dafür beim Bankier oder reichen Juden einen Ring verpfänden, dessen Solitair allein, die umfassenden Steine abgerechnet, jene Tausende weit aufwiege, die sie in diesem Moment nöthig habe. Mein galanter Graf küßt die schöne Hand, sagt, sein eignes ganzes Vermögen stehe zu ihrem Befehl, es brauche keiner Vermittlung, denn er sei selbst glücklicherweise so gut versehen, daß er diese Summe entbehren könne. Die Herzogin möge also die Gnade haben, ihn selbst als ihren Bankier oder Hofjuden anzusehen, und er wolle sich nur darin auszeichnen, daß er ihr keine Zinsen anrechne, auch das kostbare Unterpfand niemals annehmen wolle, weil ihr Wort ihm genüge, und dieser Dienst, den er ihr leisten könne, ihn glücklich mache. – Nicht wahr, liebe Mutter, recht nobel, und ganz wie ein Cavalier? – Sie aber, die Herzogin, erkennt mit Dank und Rührung seinen Edelmuth, sie will aber auch im hohen Sinne nicht zurückbleiben, und zwingt ihm den Stein auf, den er endlich annehmen muß. – So weit ist nun Alles recht schön und gut, und ich mußte mich mit dem Herrn freuen, als er mir diese Sache in seinem Entzücken erzählte.

Der Teufel läßt sich aber das Spiel nicht immer ganz verderben. Hüte man sich, wenn man so eben recht tugendhaft, großmüthig und edel gehandelt hat, daß irgend ein 275 böser Geist uns nicht beim Ohrläppchen erwischt und so lange kneift, bis wir uns erinnern, daß wir nur arme, schwache, elende sterbliche Menschen sind. Der Graf konnte nicht müde werden, den großen herrlichen Stein in seinem verpfändeten Ringe zu betrachten. Ob er gleich selbst sehr schöne Juwelen hat, so verdunkelte dieser Ring doch Alles, was er irgend nur besitzt. Am Abend ist großer Ball beim Gesandten, welcher durchreiset; die ganze vornehme Welt ist eingeladen, und der Graf auch. So wie er in den Wagen steigen will, kehrt er noch einmal um, so prickelte ihn der Satan, geht an sein Pult, holt das Kästchen heraus und steckt richtig den großen glänzenden Stein an seinen Finger.

Immer drängen sich Herren und Damen an ihn, es kann nicht fehlen, der Ring wird bemerkt. So etwas Reiches, ja Einziges hat man noch niemals an seiner Hand gesehen, man fragt, will sich unterrichten, er aber schweigt und spielt den Geheimnißvollen. Galt er schon für sehr reich, erhöht dies Kleinod noch die vorgefaßte Meinung. Es sind aber auch einige Damen und Herren zugegen, die den Ring kennen. Einige necken ihn boshaft, als wenn er der begünstigte Liebhaber, wohl gar der künftige Gemahl der schönen Witwe sei; wieder halbe Antworten und Drittel-Verneinungen; der eine Vetter der Dame will aber direkten Aufschluß haben, und mein Herr mochte es nun wohl schon bereuen, daß er seiner ganz thörichten Eitelkeit so nachgegeben hatte. Noch schlimmer aber, die Herzogin selbst, die erst nicht hatte kommen wollen, neigt sich ihm plötzlich über die Schultern, um den Gegenstand des Disputs kennen zu lernen, und was ihr zuerst in die Augen fällt, ist ihr Ring. Sie sagt empfindliche Worte, der Graf will und kann nicht antworten, er ist verlegen, bittet um Vergebung und entfernt sich schnell. So kam er zu mir, außer sich, ohne alle Fassung, denn er sah 276 wohl ein, wohin das führen müsse. Schon am frühen Morgen kam der Haushofmeister der Herzogin und brachte die geliehene Summe, indem er ohne alle Höflichkeit den anvertrauten Ring zurückforderte. Der barsche Mann erklärte auch, er habe den Auftrag, mündlich zu sagen, da man nicht wissen könne, wie selbst ein kleines Billet durch Indiscretion gemißbraucht werden könne, wie sich die Herzogin nicht nur jeden Besuch in Zukunft verbitte, sondern auch streben würde, den Credit des Herrn Grafen und das Vertrauen, welches man ihm geschenkt habe, in allen Cirkeln, welche sie besuche, zu untergraben und zu vernichten. Sie sage ihm dies jetzt eben so unverholen, wie sie ihn bis dahin öffentlich und mit dem besten Willen beschützt habe. –

Als sich der Mann entfernt hatte, ging mein Graf lange im Zimmer auf und ab, indem er sich mit der flachen Hand heftige Schläge an die Stirn gab, so daß der Puder der Frisur in Wolken weithin in den Saal flog. Dabei rief er immer mit der größten Erbitterung aus: Dummkopf! Dummkopf! – Sage selbst, Martin, so redete er mich nach einer Weile an, – habe ich mich nicht wie ein Mensch betragen, der gar noch nicht in der großen Welt gelebt hat?

Er schickte mich aus, und als ich wiederkam, that er, als wenn gar nichts vorgefallen wäre; er lachte über sich und nannte den Vorfall eine ordinaire Bêtise. Aber es wurmt ihn, das ist nur allzuklar, und wir reisen mit dem Abend. Er sagt mir aber nicht, wohin. Ich fürchte nur, diese Albernheit wird seinem und meinem Schicksale einen fatalen Stoß versetzen, denn sein Credit leidet gewiß durch den einfältigen Streich. –

– Wir sind nun hier auf dem Wege zu Ihnen, und ich bin sehr verdrüßlich, daß ich nicht zu Ihnen habe fliegen können, da ich hier in einem kleinen Neste träge und ohne 277 Beschäftigung wie ohne Zeitvertreib sitze, um meinen Grafen zu erwarten, der mit der größten Eile vorangereist ist, um sich dem Kaiser Joseph vorzustellen. Ob er seinen Zweck erreicht? Ich zittre, wenn mich der Zweifel übermannt, denn ob er gleich für mich sorgen wird, so weiß ich doch, da ich in seinem Vertrauen bin, daß er ganz unglückselig seyn wird, wenn er eine abschlägige Antwort erhalten sollte. Er hat nun einmal sein Augenmerk und auch sein Herz auf diesen Staatsdienst gerichtet, und am heilsamsten wäre ihm ein Gesandtschaftsposten. Ich denke immer, er setzt es durch, denn seine Empfehlungen sind gar zu gut, auch empfiehlt er sich selbst durch seine Person am allerbesten; die kürzlich begangene Dummheit wird ja auch nicht gleich auf den Flügeln der Winde in alle Welttheile getragen werden.

Ich lerne jetzt das Portugiesische mit aller Macht, da doch immer die Wahrscheinlichkeit vorherrscht, daß man ihn dahin senden wird. Das ist eine curiose Sprache, die mir noch immer so kindisch vorkommt. Menschen, die das R wohllautender als das L finden, welches sie beinah ganz aus ihrer Sprache verbannt haben, sind mir ganz unbegreiflich. Freilich sagt man, daß sie das R auch fast gar nicht aussprechen, wie sie es auch beinah ebenso mit dem N machen. So verschluckt der Portugiese fast Alles, und spricht und seufzt mehr innerlich, als daß er Mund und Lippen die Silben austönen läßt. Die meiste Beschäftigung hat noch die Nase, weit mehr als selbst im Französischen. Das klingt freilich wie Ferkel und Saugeschweinchen. Aber mein Graf ist ganz vernarrt in diese allzuweiche Sprache. Nach dem Spanischen, das, die X und I und G abgerechnet, so voll lautet, ist sie mir besonders widerwärtig. Die Spanier und Portugiesen haben sich auch niemals leiden können, was ich sehr begreiflich finde.

278 Hier habe ich einen alten Edelmann zufällig auf dem Kaffeehause kennen lernen. Es ist ein Baron von Flinter. Herzensgut, aber ganz einfältig. Er ist auf das Schachspiel ganz versessen, und weil ich zufällig der Einzige hier war, der damit etwas Bescheid weiß, so machte ich seine Partie. Ich spiele nicht sonderlich, das wißt Ihr noch von alten Zeiten her, aber diesem Herrn gegenüber konnte ich für einen außerordentlichen Virtuosen gelten. So schlecht er spielt, so zieht er es sich doch sehr zu Gemüthe, wenn er verliert, und so war er dem Weinen ganz nahe, als ich ihn nach ungefähr zwanzig Zügen matt gesetzt hatte. Die Umstehenden erstaunten über meine ungeheure Virtuosität in diesem schweren philosophischen Spiel, wie sie es nannten. Bis ich mit ihm hier gespielt habe, hat er immerdar gewonnen und galt für unüberwindlich. Ich weiß nicht, was das für Stümper gewesen seyn müssen, die sich vorher bei ihm für Schachspieler ausgegeben haben. Wie ich nun seine Schwachheit kennen gelernt hatte, ließ ich den guten Mann immer gewinnen. Er merkt es nicht, daß ich vorsätzlich schlecht spiele, und ist ganz entzückt über sein großes Ingenium. Zugleich aber hat er mich in Affektion genommen und bestürmt mich wahrhaft mit einer recht zärtlichen Liebe. Er schwört, daß er noch niemals einen Freund gehabt, mit dem er so innigst sympathisiren könne. Er sagt allenthalben, daß ich der größte Gelehrte und angenehmste Gesellschafter sei. Der Mann ist reich und gutmüthig, er besitzt in dieser Landschaft hier die schönsten und einträglichsten Güter. Ich weiß nicht, wie ich mich in so weit im vertrauten Gespräch verschnappt habe, da mein Graf es mir doch so strenge verboten, daß ich mich verlauten lassen, ich sei eigentlich ein Candidat der Theologie, der alle seine Examina schon überstanden habe. In der Stube sprang der alte Baron herum und tanzte und sang 279 vor Freuden. Ich müsse sein Pastor werden, das schwor er hoch und theuer, der jetzige Seelsorger sei schon alt und steif, und werde froh seyn, wenn er auf mäßige Pension gesetzt werde. Ich bin ein reicher Mann, rief der Baron in seiner Extase aus, es kommt mir auf ein paar hundert Thaler nicht an, und der alte Narr soll es durch meine Verpflegung nachher recht gut haben. Aber die Wonne, Junger Freund! mit Ihnen zu conversiren, mit einem solchen Meister Schach zu spielen! – Er berechnete mir, daß die Pfarre, weil ein nahes, sehr großes Filial dazu gehöre, sich auf funfzehnhundert Thaler belaufe, die Wohnung natürlich und das freie Holz nicht einmal eingerechnet; was in einer so wohlfeilen Gegend, wie die hiesige es ist, sehr viel sagen will. Er ließ mir auch keine Ruhe, ich mußte mit ihm auf sein herrliches Gut hinausfahren und Alles selber in Augenschein nehmen. Er hat keine Kinder, ist aber noch stark und rüstig, so daß er noch lange leben kann, ja, es ist die Frage, ob er nicht noch heirathet, um allen seinen habgierigen Vettern einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ich fand an Ort und Stelle, daß er gar nicht übertrieben hatte, der Einkünfte sind eher mehr als weniger, das Pfarrhaus so geräumig, groß, ja elegant, wie man es nicht leicht anderswo finden wird. Das Filial ist nur einen Spaziergang weit entfernt, und der Pfarrer hat so viel, daß er auch Wagen und Pferde halten kann. – Und – liebe Mutter – der Pfarrer hat eine Nichte, Annchen geheißen – nun, ich will nicht beschreiben, ich will meine lieben Schwestern nicht böse machen, aber ich habe in meinem Leben noch nichts so Anmuthiges gesehen. Sie ist noch sehr jung, und wie der Baron und der alte Priester sie immerdar neckten und mich ihr als ihren Zukünftigen vorstellten, sah und merkte ich es wohl, daß ich dem kleinen allerliebsten Wesen, dem holdseligen Kinde als 280 nicht uneben erschien, daß ihr meine Erscheinung auch eine erfreuliche war. Der Baron drang auf meinen Entschluß, – die andere Woche, – übermorgen, morgen könne ich in die Pfarre einziehen, er, der Baron, mein enthusiastischer Gönner, habe das unbeschränkte Patronat, ich solle nur Ja sagen, so habe ich in Händen, wonach Hunderte vergeblich aussehen.« – –

Hier ließ die Mutter die Hand mit dem Briefe in den Schooß sinken. Himmel! rief sie gerührt aus, wenn der gute liebe Martin doch diesen Vorschlag annehmen wollte; das ist ja, als wenn ein Mensch das große Loos in der Lotterie gewinnt. Konnt' ich mir jemals früherhin etwas so Glückseliges für ihn träumen? Ach! wenn er diese herrliche Versorgung doch angenommen hätte. Ich fürchte immer, alles Andere sind doch nur Hirngespinnste.

Sie sammelte sich und las weiter. »Nicht wahr? Alles das war anlockend genug? Wo blieben aber die Orden, die Sterne, die Excellenzen und das Reisen in fremde weitentlegene Länder hinein? Auch muß ich bedenken, daß der wunderliche Baron deshalb so freigebig gegen mich war, weil er mich mit meinem Grafen in so prächtiger Equipage hatte ankommen sehen, weil er wußte, daß ich der Secretair des angesehenen Herrn war und die ganze Welt mir zu Ehren und Würden offen stände. Wäre ich als supplicirender Candidat hier angelangt, so würde mein Patron wohl eine ganz andere Sprache gegen mich geführt haben. Kurz, ich schlug es ihm rund ab, ein für allemal, was ihn herzinnigst kränkte und auch die kleine Annchen so betrübte, daß sie still fortging und ich sie nachher nicht wiedergesehen habe.« – –

Verrückt ist Bruder Martin! rief jetzt die lebhafte Lucie aus; völlig ausgetauscht ist er. Nun geben Sie Acht, 281 Mutter, wenn wir ihn einmal wiedersehen, ist er ein Dummerjan geworden. Da bringen sie ihm das schönste Erdenglück wie auf einer silbernen Schüssel entgegen, er dankt aber und wendet sich von dem Gerichte ab, als wenn es ihm Ekel erregte. Das wird der Himmel nicht ungestraft lassen.

Jetzt zum Schluß des Briefes, sagte die Mutter seufzend. Sie las: – – »Der Graf ist froh und glücklich zurückgekommen. Der Kaiser ist ihm so huldreich gewesen, daß es seine kühnsten Erwartungen übertroffen hat. Er ist zum Gesandten nach Portugal designirt. Gleich ließ der neue Gesandte seinen ganzen Haushalt zusammenkommen und stellte mich ihnen Allen als seinen wirklichen Gesandschafts-Secretair vor, denn auch diese Gnade, mich zu diesem Posten ernennen zu dürfen, ist ihm vom Kaiser gewährt. Nun, liebste Mutter, werden wir sehr bald in Ihren Mauern seyn und ich werde auf einige Jahre von Ihnen und meinen guten Schwestern Abschied nehmen. Von meiner Vaterstadt reisen wir nach Wien, wo sich mein Gesandter von dem großen Kaiser noch einmal persönlich beurlauben will. Bei dieser Gelegenheit werde ich ihm auch wohl vorgestellt, und ich bin dann so glücklich, dem größten Mann des Jahrhunderts in die hellblauen Augen zu schauen. Wo bleibt gegen diesen doch Friedrich der Große von Preußen, der nun schon anfängt alt zu werden? Wo bleibt vollends der hiesige Fürst, das gute Männchen, der es gut meint, aber mir fast so vorkommt wie mein Protector und schachspielender Freund, der wunderliche Baron. Nein, die Bedienten des Hauses nennen mich jetzt schon Herr von, und zeigen submisse Devotion, ich trete in die große Welt, ich werde mit Fürstlichkeiten vertraut umgehen, ich lerne die ächte Politik kennen, sehe die Fäden und helfe an ihnen ziehen und lenken, wodurch die Begebenheiten der Welt hervorgebracht werden. Für das 282 kleine, enge, häusliche Glück bin ich nun für immerdar verdorben und verloren. Ja, meine Lieben, die Empfindung könnt Ihr freilich nicht begreifen, wenn sich uns die weite, große, unendliche Welt eröffnet. Hier treten, so wie andere Pflichten, so auch andere Tugenden auf uns zu und nehmen uns in Anspruch. So ist denn die Galeere flott gemacht, segle sie nun mit glücklichem Wind und aufgespannten Segeln, wohin ihr Cours gerichtet ist. Leben Sie wohl, Mutter, ich küsse die Hand; meine herzlichen Grüße den Schwestern. – Martin.« –

So ist er nun doch schon, gegen alles Verhoffen, Legationssecretär, sagte Friederike. Und wie ihm dies gelang, so wird er auch Legationsrath und nachher Minister werden.

Still, Kinder, sagte die Mutter, hier ist noch eine kleine Nachschrift. – »Ist es nicht traurig, daß der herrliche Kaiser Joseph dort in den Niederlanden so allgemein verhaßt ist? Wie soll es ein Herrscher dem verwirrten Menschenvolke nur recht machen? Läßt er Alles beim Alten, so maulen sie, macht er nützliche Aenderungen, so klagen sie, und sucht er gar die Institutionen zu erneuen, den Geist zu wecken, Alles in rasche Bewegung zu bringen, so werden sie wüthend und rasen nach Gelegenheit gegen ihr eignes Fleisch. Die babylonische Confusion ist allenthalben ausgesäet und wird wohl bei warmem Wetter in die Höhe schießen. Darum nach Portugal, wo das vorige Jahrhundert bis jetzt noch so hübsch stehen geblieben ist.

Ich habe mir auch ganz neue und schöne Kleider machen lassen. Der Graf giebt mir ein recht ansehnliches Gehalt. Ich lebe wie ein Baron.«

Nach diesen frohen Nachrichten war die Frau Mühlen um so mehr begeistert, jenes Gemälde aufzusuchen, von welchem ihr die Vorahndung gesagt hatte. Friederike, auch von 283 neuem ermuntert, begleitete sie, wie es immer bei diesen abentheuerlichen Zügen geschah. Der innere Geist meldete sich nicht, bis sie in der Blasien-Vorstadt sich vor einem mittelmäßigen Hause befanden. Ein Mann stand in der Thür desselben, der in allerhand Papieren kramte, die er zu ordnen schien. Die Mutter fragte, ob er in das Haus gehöre und ob hier vielleicht Bilder anzutreffen wären. Bilder? antwortete der unansehnliche Mann; hier sind welche, aber sie sollen erst in Kupferstich gebracht werden. Rare Sachen! – Er zeigte einige Blätter vor und die alte Frau bemerkte mit Erschrecken, daß es diejenigen seyn müßten, von denen ihnen der leichtsinnige Eduard gesprochen hatte. Sie entsetzte sich, als sie sah, daß unter jedem Bilde ein Name stand und der Haupttitel der Sammlung lautete: Viehbestand der Residenz, oder vornehme Menagerie der großen Welt. In einem Anhang fand sie sich selber, mit der Unterschrift. Frau Mühlen, als Kaffeekanne.

Zitternd gab sie dem Alten die Blätter zurück und sagte, als dieser sich entfernt hatte: Der Mensch ist ein Pasquillant geworden. – Im Hofe kam ihr ein kleiner Mann entgegen, den sie ebenfalls befragte, ob sie das Haus besehen könne und ob es vielleicht Gemälde enthalte.

Bis auf wenige Zimmer steht das Haus leer, erwiederte der Alte, und der Besitzer wünscht so bald wie möglich zu vermiethen. Wollen Sie aber bei dem Schneidermeister eintreten, so will ich erst bei dem scrupulösen Manne anfragen und Sie anmelden.

Er ging und Friederike war auf ihren anmaßlichen Liebhaber so böse, daß sie die Thränen nicht zurückhalten konnte. Er ist ein Bösewicht! rief sie aus und stampfte mit dem kleinen Fuße. Der alte Mann kam zurück und führte sie behutsam in die stille Familie des gewissenhaften 284 Schneidermeisters hinein. Alle, der Mann sowie Frau und Töchter und Gesellen, waren in Arbeit. Als man sich begrüßt hatte, sah die Mühlen an allen Wänden umher, ob sie ein Bild entdecken könne, es zeigte sich aber nichts, worauf sie sich die Erlaubniß erbat, auch die Schlafkammer besichtigen zu dürfen. Bilder suchen Sie, sagte der blasse Meister, indem er von seinem Arbeitstische aufstand; was denken Sie auch, Sie alte gute Frau? Mit des Teufels Blendwerken, mit dem Sündenschund sollte ich meine weißen unschuldigen Wände behängen? Ich bin so strenge, daß sich auch nicht einmal in unsern Andachtsbüchern eine Zeichnung oder Kreuzigung und dergleichen befinden darf, denn alle diese Sinnentäuschung lockt uns nur ab vom einzig richtigen Wege und macht die enge Pforte, durch die wir eingehen sollen, immer enger. Wehe Dem, durch welchen Aergerniß kommt! Kennen Sie den Spruch? Durch diese Sudler aber wird sie hauptsächlich in die Welt gebracht.

Frau Mühlen empfahl sich dem überfrommen Manne und fragte ihren Begleiter, ob wirklich sonst nichts im Hause sei. Auf meine Ehre, erwiederte der Alte, Sie finden in allen Stuben nichts als die leeren weißen Wände.

Das ist das erste Mal, sagte die Mutter, daß ich so bin getäuscht worden. Hätte ich doch darauf schwören wollen, daß ich hier im Hause einen Rubens antreffen würde.

Gewiß! rief der Alte aus, der ist auch hier, da ganz weit ab im Hofe, im Hintergebäude, die Stube geht nach dem Wasser hinaus.

O bringen Sie uns gleich hin! rief die Mutter.

Er ist jetzt nicht zu Hause, sagte der Greis, Sie haben ihn eben vorher hier auf dieser Stelle gesprochen. Er handelt mit allerhand, auch manchmal mit Bildern. Der heißt Ruben; er soll ein Jude seyn, oder wenigstens sonst den 285 Glauben bekannt haben. Wenn er aber auch ein Christ geworden ist, so ist er doch ein Schelm und Taugenichts geblieben. Er lügt abscheulich und hat immer mit verdächtigem Volke zu thun. Ich dachte schon, Sie wollten vorher auch einen Handel mit ihm treffen. Nach Gemälden suchen Sie? Er hat es auch viel mit Bildermachern zu thun und Kupferstechern, und wie die Leute alle heißen. Er giebt den ganz Verarmten manchmal Vorschüsse. Aber die müssen ihm dann auch recht bluten. Aber mit dem Malen wird jetzt eine große Unzucht getrieben, das hört man von allen Seiten. Es ist mehr Nachfrage nach dem Zeuge als jemals, und die Staaten, Könige und Regierungen fangen auch an, Alles aufzusammeln. Nun geht auch darüber in unserer Stadt hier ein gar seltsames Gerücht umher. Bedenken Sie einmal, schon seit dreihundert Jahren soll eine unentdeckte Gallerie, oder ein Museum bestehen, oder wie man das Ding nennen will, das seit vielen, vielen Jahren kein menschliches Auge gesehen hat. Ein alter Geisterseher und Goldmacher hat es in jener finstern Zeit begründet. Dabei soll ihm zuerst ein gewisser Bonrott, ein Maler, und später ein anderer Kunstmann, Carrasch, geholfen haben. Mitten in der Stadt ist nun diese große Sammlung, aber vor allen Augen versiegelt, denn kein Mensch kann sie finden. Ist das nicht recht wunderbar? Alle Gemälde, die dem Karl von England gehörten, demselben, dem sie den Kopf abschlugen, sollen hieher geflüchtet seyn, die allerkostbarsten Sachen, die man nirgend in Europa findet. Ein unschuldiges Kind hat einmal durch das Schlüsselloch geguckt und dann ausgesagt, der Saal sei ganz von gediegenem brennendem Golde, das Gewölbe vom schönsten Himmelblau. Wie ich es mir erkläre, alles von Lapis Lazuli, oder wenigstens mit Ultramarin gemalt. Das Kind hat aber auch die Gasse und das Haus niemals wiederfinden 286 können. Unsere Akademie denkt darauf, einen hohen Preis auszusetzen, den Der erhält, der diesen Palast entdeckt, der aber auch vielleicht von außen nur ein ganz schlechtes Wohnhaus seyn kann. Nun entsteht Bosheit auf Bosheit, denn weil der kleine Fluß durch unsere Stadt und nebenweg fließt, so rathen einige witzige Menschen dazu, eine Flotte auszurüsten, um am Nord- oder Südpol diese unsichtbare Bildergallerie zu finden. Den bösen Witz und Spaß hat neulich der Director der Akademie verboten, – aber was geschieht? – Nun geben sie den würdigen Mann im Bilde heraus, mit der deutlichen Unterschrift: Der Director der Akademie als Seehund.

Der Geschwätzige würde noch nicht geendigt haben, wenn seine Zuhörer ihm länger hätten Stand halten wollen. Frau Mühlen aber eilte schnell mit ihrer Tochter fort, wie geängstigt vor diesem Alten, der ihr einen furchtbaren Eindruck machte. Ich fürchte, sagte die Mutter, man ist meiner Gallerie auf der Spur, und dieses unsinnige Mährchen, welches schon der Pöbel ableiert, ist in seiner tollen Uebertreibung die Vorrede zur Untersuchung und Entdeckung. Und dieser elende Eduard! Hast Du ihm denn vielleicht etwas anvertraut?

Friederike, die auch ganz verstimmt war, versicherte das Gegentheil. Sie kennen mich seit so lange, Mutter, sagte sie, und können mir eine solche Unbesonnenheit zutrauen? – Indem ging Eduard ihnen vorbei, aber sie thaten, als kennten sie ihn gar nicht, erwiederten seinen Gruß nicht und setzten unter mancherlei Gedanken und Bekümmernissen ihren Weg fort.



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