Ludwig Tieck
Die Vogelscheuche
Ludwig Tieck

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Vierte Scene.

Billige Rechtssprüche.

Alexander war wieder zum Besuch bei Amalie von Weilern, und der Senator Willig hatte die melankolische Elisa hingeführt, die noch immer nicht ihren Liebling sehen durfte. Auch die verständige Tante war zugegen, so wie noch einige Frauenzimmer, die mit dieser verwandt waren.

Alexander erzählte mit Laune, daß der incognito reisende Fürst auf der Rückkehr von seiner großen Weltumsegelung das Städtchen wieder auf einige Tage mit seiner Gegenwart beglücken würde, und daß Ubique, so wie Ledebrinna und der Syndikus, schon in der größten Verlegenheit wären, wie sie den hohen Gast diesmal mit neuen Schauspielen und Festlichkeiten unterhalten sollten. Notre Dame von Victor Hugo lag auf dem Tisch und indem Alexander im Buche blätterte, sagte Amalia: Vielleicht erwarten Sie eine Entschuldigung, daß Sie das Buch hier finden, oder die Betheuerung, daß ich es nicht gelesen habe, aber warum soll ich mit Ihnen unwahr seyn? Ich bin geständig, daß ich es mit großer Spannung und Interesse durchgelesen, und wenn man es einmal angefangen hat, muß man es wohl endigen, 250 man stelle sich, wie man will; aber der Widerwille, der Ekel, den es mir erregte, ist gerade das, was mich fesselte. Jede Geisteskrankheit, jeder Zustand, der von dem abweicht, was wir Natur und das Nothwendige und Wahre nennen, fesselt unsre Aufmerksamkeit, und leider ist etwas in unsrer Seele, Schwäche, Neugier, krankes Gelüst, oder was es sei, was den schlechten Instinkt in uns so stachelt, daß wir uns vom Verdrehten, Scheußlichen und Grauenhaften nicht immer schnell genug hinweg wenden. Bilde man sich nur nicht ein, wenn man sich gefesselt fühlt, es sei die Schönheit, welche uns die unsichtbaren Bande anlegt. Das entschieden Häßliche kann, wenn der Maler Talent hat, uns so fasciniren, wie jene Schlange, die durch ihren Blick die kleinen Vögel so bezaubert, daß sie ihr in den Rachen fliegen müssen. So habe ich also dieses Krankheits-Symptom, oder diese ihre Romantik, wie die Franzosen sie nennen, mir etwas näher ins Auge gefaßt, auch um zu erfahren, in wiefern das neuste Jahrzehend mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bette getreten ist.

Die jetzige Zeit, erwiederte Alexander, bildet nur eine Uebergangs-Periode. Sollten selbst die Ultra-Liberalen oder strenge Republikaner wieder herrschen, so würde auch dann nach zehn Jahren kein Franzose mehr begreifen, wie man die Unmoralität (wie man vor Zeiten Moralités spielte, und gerade unter Franz I.) Le Roi s'amuse nur habe dulden, und gar auf dem Theater aufgeführt sehn können. Hier ist schon das Aeußerste erschöpft, der Krampf muß nachlassen, und wenn auch nicht die Herstellung, bald wenigstens die Ermüdung erfolgen. –

Vieles, bemerkte die Tante, mag auf ähnliche Art Krankheit seyn, die die meisten Menschen ihrer Zeit durchmachen müssen. Es ist nur traurig, wenn das alsdann, was Krisen sind, für Schönheitsgenuß gehalten wird, wenn man diese 251 Haut-Ausschläge, die nothwendig erfolgen müssen, für höhere Kunst-Perioden ausruft, für gesteigerte Bildung und dergleichen.

Haben wir Deutschen, fuhr Alexander fort, nicht diese Periode längst schon erlebt und hoffentlich so gut wie überstanden? Die Franzosen sind auf diese neue Originalität eitel, und vergessen, daß Müllners Schuld, Werners Februar, Grillparzers Ahnfrau schon seit lange das Häßliche und Unwahre uns für große Tragödie eingeschwärzt haben. Das Absurde und Grausame ist auch hier vorherrschend, die vollkommene Unnatur und Unmöglichkeit machen auch hier die Grundbedingung der Dramen, und zwar sind diese Grundpfeiler nicht auf poetische oder mährchenhafte Weise gelegt (wie denn Shakspeare in einigen Werken wohl auch mit Vorsatz die prosaische Wahrheit fallen läßt), sondern als trockne, prosaische Nothwendigkeit so ausgesprochen, als müßten wir daran, wie an die nothwendigen Bedingungen des Lebens glauben. Wie die wahre Begeisterung den Menschen erhebt, so kann auch ein falscher, verderblicher Enthusiasmus, der Fanatismus nehmlich, sich der Seele bemächtigen. In der Kunst muß dies jedesmal zur Barbarei führen. Aristoteles Wort von der Reinigung der Leidenschaften ist so oft gedeutet und mißdeutet worden, und Müllner führt so oft den Stagiriten im Munde: nehme man, welche Erklärung man wolle, so läßt sich doch deutlich machen, daß dieser Dramenschreiber in seiner Schuld, wie so viele andere, erst diese Leidenschaften des Grauens und des Mitleidens, dann den Fanatismus in Bewegung setzte, um alle Leidenschaften, die mit diesen zusammenhängen, zu trüben, zu verfinstern und durch und durch unrein zu machen, damit sie nur ihre Effekte hervor bringen konnten. Diese Geburten der falschen Tragödie, von denen sich der Gebildete mit Mißbehagen wegwendet, können darum lehrreich werden, weil sie den 252 vollkommenen Gegensatz zum Sophokles bilden, und die Lehre des Aristoteles, freilich auf eine umgekehrte Weise, erläutern.

Ist aber nicht Talent in diesen Fehlgeburten, wie Sie sie taufen? fragte Willig.

Nur das Talent, erwiederte Alexander, kann seine Zeit, oder wenigstens die Menge in derselben, fanatisiren. Hätte Müllner schon in der Jugend gedichtet, sähe aus allen seinen poetischen Versuchen nicht immerdar der scharfsinnige und alles auf die Spitze stellende Advokat heraus, wäre er weniger Egoist gewesen und mit mehr Gemüth begabt, so hätte er gewiß weit mehr leisten können und Besseres, als was er uns gegeben hat. Grillparzer war wohl mehr als dieser ein geborner Dichter, aber er huldigte unbedingt der Mode der Zeit und komponirte, wie Müllner, nach einem willkürlich angenommenen System, welches sich selbst dem oberflächlichen Denker als falsch erweiset, und das dem poetisch fühlenden Gemüth verhaßt seyn muß. Auch dieses Mißverständniß der sogenannten Schicksals-Tragödie, durch welches man sich den Griechen zu nähern hoffte, ist für Kritik und Geschichte als merkwürdiges Beispiel der Verirrung lehrreich.

Willig nahm das Wort: unser Hoffman hat die Franzosen neu aufgeregt, sie haben alles von ihm übersetzt, und von diesem phantastischen Gemüth, welches bei schönen Anlagen doch niemals das Richtige fand, weil ihm Willkür und Schrankenlosigkeit Muse war, haben sich unsre überrheinischen Nachbarn ihren buntgeschmückten Pegasus satteln lassen, und pochen nun auf ihre Originalität.

Die Frau von Edelmuth meinte, daß in der großen Masse von dunkler Verirrung, welche die neuste französische Literatur aufzeige, große Talente durchschimmerten, die sich wohl zum Bessern herausarbeiten könnten.

Bedenklich ist es immer, sagte Willig, daß, wie alle 253 diese neuen Romantiker den Shakspeare verstehn und Göthe verehren wollen, man doch nirgend, so sehr sie jetzt die Deutschen nachahmen, eine Spur von Verständniß des Britten und großen Deutschen, oder unsers Schiller entdeckt.

Nodier und Balzac, so nahm Alexander das Wort, stehn unter den Neusten, die am stärksten aufgähren, schon wie Talente einer älteren Zeit. Verwechselten wir nur nicht ewig den Effekt, nach welchem auch diese zu sichtlich haschen, und die Spannung, mit der Kunst der Darstellung. Erleben wir es doch immerdar, daß dasjenige, was vor zehn Jahren die Menge packte, sie jetzt ganz kalt läßt. Die Spannung, die ein wahres Kunstwerk erregt, muß, wie in einer guten Uhr, ohne daß ich sie merke, immer dieselbe bleiben, sie muß sogar zunehmen, wenn ich das Gedicht recht genau kenne, und dies den Reiz der Neuheit verloren hat.

Hoffen wir also, sagte Amalie, daß das Gute und Schöne immer einmal wiederkehrt, so wie ja auch der Frühling niemals sein Wiederkommen vergißt. Sind doch auch in diesem manche Tage rauh und unfreundlich. Halten wir uns, wenn uns das Neue durchaus mißbehagt, an das Alte, Vortreffliche und Vollendete, welches wir schon kennen: vereinigen wir uns immer inniger mit diesem und wir werden keinen Mangel spüren.

Dem Schönen wird nur auf die wahre Art gehuldigt, sagte Alexander scherzend, wenn wir immer wieder zu ihm zurück kommen: darum, verehrte Freundinnen, sehn Sie mich so oft in Ihrem Hause. Aber es wäre unbillig, das Neue, besonders in unserm Vaterlande, gar nicht zu beachten, wenn es auch nicht immer vollendet ist; wenn es das Höchste, oder auch das Bessere, nur erstrebt, wenn es sich nicht der Laune der wandelbaren Menge sklavisch unterwirft. Und wir können von Deutschland hoffen, daß so viele Ausstrahlungen den 254 Mittelpunkt finden und sich doch irgend einmal als ächte Kunstschule, die nicht wieder an irgend ein blendendes Ausländisches verloren geht, konsolidiren werden.

Ich habe, sagte Amalia, auf Ihren Rath, den Merlin von unserm Immermann mit großer Freude gelesen. Wenn ich das Gedicht und seine Absicht auch nicht ganz verstehe, so hat es mich doch durch seinen wunderbaren Ton, durch die Fülle herrlicher Bilder tief ergriffen, und der Schluß, dieser Untergang aller geliebten Gestalten, hat meine Seele mit einem tiefen tragischen Grauen durchdrungen.

Und das allerliebste Tulifäntchen! rief Alexander, haben wir vorher dergleichen im Deutschen besessen? Diese harmlose Ironie, dieser poetische Scherz, diese durch und durch heitre Laune! Ich kann es nur mit der Nymphiada des alten Engländers Drayton vergleichen, und möchte doch diesem nicht den Vorzug geben.

Vergessen wir nicht, sagte Willig lebhaft, sein tiefsinniges und ergreifendes Trauerspiel »Alexis«. Mit dem Schluß, der in antiker Manier gedichtet ist, kann ich mich nicht einigen, weil er zu schwer und dem Gegenstande widersprechend scheint. Es ist aber deutlich zu bemerken, wie dieser Dichter sich in seinen letzten Arbeiten erhoben hat.

Der Alexander von Uechtritz, nahm der junge Mann die Rede auf, hat bei allen Freunden der ächten Poesie seine Anerkennung gefunden, und noch heller leuchtet der Genius in seiner Rosamunde. Diesen schwierigen, fast undramatischen Gegenstand, an welchem schon viele Talente scheiterten, hat er auf eine neue und glückliche Weise durchgeführt, und große Schönheiten in diesem hochtragischen Gemälde hervor leuchten lassen. Er hat nur noch den Fehler so vieler jungen kräftigen Geister, er dichtet jede Scene mit derselben Energie, Licht und Schatten ist in dem vortrefflichen Bilde nicht genug ausgespart.

255 So dürfen wir auch Raupach nennen, sprach der verständige Willig. Der Mann ist sehr angefeindet worden, weil man seine ersten und schwächsten Stücke mit übertriebenem Lobe empor heben wollte, und da er sehr viel und schnell schreibt, so giebt er der Kritik, auch der billigen, manche Blößen. Aber in seinen historischen Schauspielen ist viel zu loben, und die Absicht ist preiswürdig, das verwöhnte, ganz irre geleitete Publikum doch wieder in die Bahn des Rechten zu lenken. Wenn er nicht, von der Autorität des Berliner Theaters beschützt und von den dortigen Talenten dem Volke vorgeführt, durchgedrungen wäre, – wie stände es da um unsre deutsche Bühne? Wir hätten gar nichts anders mehr als Jocko's, Melodramen mit Tableaus, Feuerwerk und Maschinen, Ballette, und jene Fratzen von den Pariser Vorstädten, die unsre schlechten Uebersetzer sich aus den Händen reißen, immer in der Eil an die elendesten gerathen, und sie in ein so stümperhaftes Undeutsch umsetzen, daß die Schulknaben es besser als Exercitium machen müßten. Fast alle Regisseure unsrer Theater, Sekretäre, viele Schauspieler, alle diese schreiben und übersetzen, und welche Armseligkeiten es sind, weiß jeder, der sich irgend um die Bühne kümmert. So ragt denn Raupachs Schiff aus dieser sündigen Fluth der Armseligkeit hoch empor, und da sein Name gilt, so wagen es alle diese Herren nicht, die sich der Zügel bemächtigt haben, seine Stücke so abzuweisen, wie sie es mit allen denen thun, die nicht von Verfassern herrühren, die zu ihrem Bunde gehören. Dies kann auch Raupach bei denen entschuldigen, die ihn anklagen, daß er zu viel schreibt. Alles doch besser, als diese eisernen Masken, Thurm zu Neuilly, Doppelgänger, Richards Wanderjahre, oder gar das Leben des Spielers und die Galeerensklaven und dergleichen Widerwärtiges oder Armseliges.

256 Wie sehr danke ich Ihnen, rief jetzt Amalia aus, für die drei hübschen Bändchen von Oehlenschläger, die mir, so oft ich zu ihnen zurück kehre, neue Freude und Ergötzen gewähren. Ich möchte sagen, so etwas Liebliches, Wundervolles, wie seine Fischerstochter ist, habe dieser dänische Poet noch gar nicht geschrieben. Immer neu bleiben mir auch nach wiederholter Lesung diese seine Drillinge von Damaskus. Hier ist doch einmal das wahrhaft Ergötzliche ohne alle herbe Beimischung. – Und, da mir das Wort einmal entfahren ist: wie kommt es nur, daß selbst große Geister und ächte Poeten so oft in das Persönliche, in Bitterkeit, Anklage und dergleichen verfallen? Mich dünkt, das große Buch des einzigen Cervantes verliert in seinen letzten Blättern viel dadurch, daß er so oft auf den feindseligen Aragoneser zurück kommt, der unberufen eine Fortsetzung seines Romans herausgegeben hatte. Wie schneidend sind viele von den Xenien, die uns Göthe und Schiller gegeben haben, und ob ich mich gleich jetzt an diese Ausbrüche der Laune gewöhnt habe und mich ihrer auf meine Art erfreue, so wünsche ich doch immer noch, jene moralisch bittern Ausfälle auf Lavater und Reichardt wären nicht den übrigen neckenden und stechenden beigesellt. Warum haben sich doch die Schlegel damals unnöthig einen so übeln Ruf in Deutschland gemacht?

Alexander nahm das Wort: Liebste Freundin, in Ansehung der Xenien möchte ich Ihnen nicht so ganz Unrecht geben, obgleich ich auch hier meine alte Klage wiederhole, daß der Deutsche nur schwer Spaß versteht. Die Bitterkeiten gegen Lavater und Reichardt haben mich auch immer verletzt, denn Göthe war in frühern Jahren mit beiden im engen, vertrauten Verhältniß. Aber sonst kann ich Ihnen nicht, am wenigsten in Ansehung des Don Quixote beistimmen. Die Vorrede jenes Aragonesers zu seiner Geschichte 257 des Manchaners ist gerade zu niederträchtig, sein Buch völlig schlecht, und es ist eine mißverstandene Billigkeit der Spanier, daß sie es noch auf irgend eine Weise wollen gelten lassen. Auch der Edelste kann nicht immer, im Scherz oder Ernst, die persönlichen Angriffe und Satiren vermeiden, und selbst Shakspeare, der recht ausdrücklich gentle genannt werden muß, hat wahrscheinlich mehr der Art, als wir jetzt, da die Spuren, die seine Gegner gingen, verschüttet sind, in seinen Offenbarungen wahrnehmen können. Sie haben es, weil Sie zu jung sind, nicht erlebt, und wissen es daher nicht, wie am Schluß des vorigen Jahrhunderts Göthe von allen Seiten geneckt, von den mittelmäßigen Autoren, die einigen Einfluß auf das Publikum hatten, gemißhandelt und von einer Unzahl schlechter geschimpft wurde. Und weshalb? Weil es nun Ernst mit dem Ausspruch werden sollte, ihn als großen Menschen und großen Dichter anzuerkennen. Nun von allen Seiten Geschrei und Toben, alle Gevatterschaften verschworen, alle literarischen Kläffer losgelassen. Und was die Schlegel anbetrifft, so hat sich unser Deutschland noch gegen keinen seiner Autoren so undankbar erwiesen, als gegen diese beiden reich begabten Geister. Friedrich Schlegel hat sich dadurch unpopulär gemacht, daß er zu auffallend von einem Extrem zum andern sprang, und daß sein starker tiefer Geist in den letzten Jahren mit unbedingter Einseitigkeit sich Forschungen und Ansichten hingab, in denen nur Wenige seine Genossen sehn mochten. Der ältere Schlegel hat sein Alter fast unbedingt dem Studium der indischen Poesie gewidmet. Rührt aber nicht von ihnen unsre eigentliche gründliche deutsche Kritik her? W. Schlegel, in allen neuern und alten Sprachen wie ein Eingeborner einheimisch, mit dem feinsten Sinne für alles Schöne begabt, ein so vollendeter Uebersetzungskünstler, wie er wohl noch in keiner Sprache 258 gefunden wurde, ist bei diesen Vorzügen ein anmuthiger Dichter und meisterhafter Prosaist.

Sie haben Recht, sagte der ältere Willig, und was ist es denn nun, wodurch es diese Männer verschuldet haben, daß die Menge und allwissende Jünglinge jetzt ihre großen Verdienste um die Literatur nicht anerkennen wollen? Es wird keiner Rechenschaft darüber ablegen können. Sei es, daß die Lucinde ein ungeschicktes Buch ist, daß man sie keinen Roman nennen kann, daß einiges Anstößige zu herbe ausgesprochen ist, daß vieles besser fehlen könnte. Dem Ardinghello, der Hildegard von Hohenthal von Heinse hat man eben so große, wenn nicht schlimmere Anstößigkeiten übersehn. Die Schlegel haben damals zu stark über Wieland und Herder sich geäußert. Es ist ein sonderbares Zeichen der Zeit, daß jetzt Schriftsteller, die sich gewiß mit den Schlegeln nicht messen können, in einem ganz andern Ton über Göthe abgeurtheilt haben, ganz verwerfliche Libellisten sind in eine Sprache der Wuth gerathen, und man kann den Ausdruck unverschämt und schaamlos brauchen, weil diese Worte für sie noch zu gut seyn würden. Jetzt erhebt sich kaum eine Stimme dagegen. Die Verehrer des großen Mannes und alle, die ihn zu würdigen wissen, halten es für überflüssig, die Gleichgültigen und selbst Billigen denken auch wohl: Ei! warum hat er sich denn auch so sehr ausgezeichnet? Er wird ja auch verehrt genug; er hat selbst als Staatsmann einen hohen Rang eingenommen: das alles ist hinlänglicher Ersatz. Wer dagegen nur eine bescheidene, anständige Kritik Schillers versucht, um ihm die Stelle zu geben, die er in der Reihe der Poeten einnehmen kann, gegen den schreit man von allen Seiten: er beschimpft unsern größten Dichter, er lügt, er lästert, und dergleichen. Ein seltsames Symptom unsrer Zeit. Ein Zeichen, daß Poesie und Kunst auch bei uns 259 Standarten und Feldgeschrei der politischen Faktionen werden sollen. Diejenigen, die sich für die Liberalen ausgeben, haben Schiller, der sie jetzt nicht widerlegen kann, zu ihrem Wortführer gemacht. Göthe im Gegentheil gilt ihnen als Aristokrat. – Lesen wir nun jetzt, nach mehr als dreißig Jahren, jene Aufsätze der Schlegel, die damals die Welt so sehr in Bewegung setzten, so sind wir erstaunt, nichts darin zu finden, als worin wir alle, jung und alt, einstimmig sind. Alle Welt hat jetzt diese Meinungen, die so verrufen waren, stillschweigend angenommen, ohne den Urhebern und Entdeckern derselben irgend dankbar zu seyn, ja, ohne es zu wissen, daß sie von ihnen herrühren. Die eigentliche Sünde der Schlegel aber war die, daß sie es zuerst mit aller Kraft und voller Ueberzeugung aussprachen, daß Göthe unser größter Schriftsteller sei, und daß sich kein anderer, wie viel Talent er auch besitze, mit ihm messen dürfe. Bis dahin war Göthe unter den Stimmführern gewissermaßen mehr geduldet, als anerkannt; man schrieb ihm Talent und Eigenthümlichkeit zu, war aber im Stillen überzeugt, daß die anderen berühmten Autoren eine höhere Stufe einnähmen. Sein erstes Fragment vom Faust, in welchem ohne Zweifel schon sein tiefstes Gemüth sich ausgesprochen, war längst gedruckt, aber nur von wenigen beachtet. Alle nun, die sich durch die neue Verkündigung zurückgesetzt glaubten, befeuerten ihre Schüler und Anhänger, Menschen aller Art, mit und ohne Talent, dieser neuen Religion in allen Richtungen zu widerstreben. Das geschah nun auch in den verschiedensten Melodieen. Welche Bitterkeit spricht Jean Paul aus, wenn er die Schlegel nur nennt, wie gewaltsam zieht er oft die Gelegenheit herbei, um sie schmähen zu können. Von dem ganz verschollenen Merkel nicht einmal zu sprechen, der aber doch von Herder und Engel nicht verachtet wurde. Auch viele sogenannte Kritiker, 260 die sich das Ansehn gaben, zu Göthe's Verehrern zu gehören, verfolgten doch seine Lobredner. Die Klatschblätter, deren freilich noch nicht so viele waren, wie jetzt, zehrten von diesem Gegenstande, und ergossen sich in unermeßlichen Armseligkeiten. Ist noch eine bessere Kritik und Auseinandersetzung der Schönheiten von Herrmann und Dorothea erschienen, als jene von W. Schlegel? Man lese sie jetzt, nach dem Verlauf der Jahre, und man wird sie billig und nicht schmeichelnd und übertrieben lobredend finden. Es scheint aber, als wenn die jüngere Welt aus der richtigen Perspektive getreten ist, um den Werth eines Mannes, wie W. Schlegel, richtig zu fassen. Man muß fast glauben, bei uns müßten die Autoren noch in der Jugend, oder in früher Zeit wenigstens sterben, um nicht von ihren Landsleuten verkannt zu werden.

Bedenkt man nun, sagte Alexander, wie so oft der Mensch, der mit Kräften ausgestattet, das Beste will, ihm seine Zeit und sein Leben opfert, und nun von der Mittelmäßigkeit und Dummköpfen geneckt wird, wie man ihm alles schief auslegt, ihm Meinungen unterschiebt, die er niemals gehabt hat, wie Elende sich nicht schämen, ihn in Schenken und beim Volk zu verleumden, und dieser gemeine Handel dauert schon zwölf, funfzehn, zwanzig Jahr, – da soll er, der Gemißhandelte, nicht auch einmal die Waffen ergreifen, und es öffentlich sagen, wie er von diesem Volke denkt? Ist es nun gar in der Form des Scherzes, so wird dadurch der gemeine Gegenstand geadelt. Wenn das Schlechte und Nichtsnutzige als albern und als komisch und lächerlich auf die Bühne tritt, so muß es selbst mitlachen, wenn es noch irgend Anspruch auf Verstand macht.

Wir sprachen vorher von Göthe's Verfolgern, nahm Willig wieder das Wort, sie bilden eine bestimmte Sekte, 261 die kenntlich genug ist, und ich muß es nur beklagen, wenn so gute Köpfe, wie Wolfgang Menzel, diesen Bilderstürmern Worte und Gedanken leihen.

In diesem Augenblick wurde Alexander abgerufen. Der Bediente sagte, der Senator Ambrosius sei draußen, der ihm etwas sehr Wichtiges vorzutragen habe. Dieser habe den jungen Rechtsgelehrten schon in der ganzen Stadt aufgesucht, endlich habe man den Forschenden hieher gewiesen. Der Advokat entfernte sich schnell.

Wir sind, fing jetzt die Tante des Fräuleins an, in weitschichtige, kritische Fragen hinein gerathen. Es ist zu beklagen, daß so wichtige Gegenstände nicht von kenntnißreichen, aber auch unparteiischen Männern so abgehandelt sind, daß Laien und wir Frauen uns über diese großen Gegenstände leicht und doch gründlich unterrichten können. Wer sich dafür interessirt, dem wird angemuthet, daß er alles vom Anbeginn lesen soll, das Gute wie das Schlechte. Und so geräth man denn doch unter die Klätscher, oder zu parteiischen Berichterstattern, die wohl gar die Wahrheit entstellen und geschickt die Lüge wissentlich unterschieben, sich aber dabei das Ansehen geben können, als sei es ihnen bloß um das Heil der Literatur zu thun.

Nur keine Bücher für Frauen, rief Amalia unwillig aus. Ich kann nicht aussprechen, wie ich dergleichen hasse.

Ja wohl, nahm die Tante das Wort, man will uns so gern weiß machen, das Weib sei höherer Natur, geistiger, feiner und edler; und dann behandeln uns diese Verehrer in demselben Augenblicke wie halb Blödsinnige, die tausend Dinge nicht begreifen können und zehn tausend gar nicht erfahren sollen. Wie selten findet man einen Mann, und ich möchte sagen noch seltner einen Autor, der die Wahrheit und Schönheit des weiblichen Gemüthes auf die richtige Art 262 zu würdigen wüßte. Die meisten beschämen und erniedrigen uns nur, indem sie uns erheben wollen.

Wir kommen da, fiel Willig ein, auf einen sonderbaren Punkt unsers Jahrhunderts. Nicht nur, daß unsre Mädchen schlecht erzogen werden, daß man sie mit Kenntnissen quält und ihnen Talente aufzwängt, die gar nicht zum glücklichen Leben und noch weniger zur ächten Bildung nothwendig sind, die Mode geht auch so weit, daß eine Jungfräulichkeit, Mädchenhaftigkeit und Weiblichkeit patentirt und gestempelt ist, die ein für allemal allgemein gelten soll. Mit der sogenannten Mütterlichkeit verfahren sie eben so. Sie hemmen dadurch die freie und schöne Entwicklung der ächten Weiblichkeit, sie zwingen den ruhigen stillen Sinn, an jener Unruhe Theil zu nehmen, die sie nun jetzt einmal alle in Thätigkeit setzt. Diejenigen aber, die dies und jenes abreichen möchten, die einen wahren Trieb zu Kenntniß und Gründlichkeit haben, werden gehemmt, ja nicht selten als Unweibliche verfolgt. Kein Autor hat in dieser Hinsicht so schlimm gewirkt und die schlechte Mode befördert, als unser reich begabter Jean Paul. Er trennt immerdar willkürlich die beiden Geschlechter und verwandelt die Jungfrauen, die in seinen Büchern die höhern vorstellen sollen, in Gespenster. Alle sind nach seiner Meinung zart. Der Zarte aber, der nicht eben durch Zartheit kräftig und stark ist, ist nur krankhaft und schwach, und niemals zart. Es ist nicht Rohheit, wenn im Mittelalter die Frauen und Mädchen die Kranken pflegten, Wunden verbanden und heilten, und sich auf edle Art Pflichten auflegten, wovon sich die neue Bildung mit Ekel abwendet. Als Mütter und Hausfrauen liegen ihnen Anstrengungen ob, die der Mann nicht so erfüllen kann. Sah ich ja noch in Brügge das Spital in der Kirche ganz so eingerichtet, wie im Mittelalter, und die Beguinen oder 263 ärztlichen Nonnen waren dort noch immer Chirurgen. So war es in so vielen Städten in unserm denkwürdigen Befreiungskriege. Das Weib kann leichter einen gewissen Schauder und Ekel der Natur überwinden, als der Mann. Und so hat es die Natur gewollt.

Ich bin Ihrer Meinung, fiel die Matrone ein, und aus dem, woraus Sie, mein Freund, ein Lob bilden, haben eben manche Menschen zu andern Zeiten beweisen wollen, der Mann sei von den beiden Geschlechtern das edlere und feinere Geschöpf, welches in allen Beziehungen höher als das Weib stehe. Und in gewissem Sinn können wir Frauen auch dieses zugeben, wenn wir unparteiisch seyn wollen.

Jedes Theil, sagte Amalia, muß wohl auf seinem eigenthümlichen Wege die Vollendung seiner Bestimmung erreichen können. Und jedes Individuum wohl wieder auf seine besondre Weise. Aus der neusten Humanität hat sich aber ein orientalischer Despotismus entwickelt, der alle Frauen in ein und dieselbe Form preßt. Die Pietisten nun gar, und die sogenannten Alt-Deutschen und Republikaner gehn, wie ich auf meinen Reisen gesehn habe, noch schlimmer mit den Weibern um. Was aber den Hang zur Grausamkeit und die Lust am Widerwärtigen und Scheußlichen betrifft, da, müssen wir gestehn, übertreffen wir die Männer. Sind nicht Frauen die eifrigsten Anhänger jener neuen französischen Romantik? Schreiben nicht französische Weiber noch grellere und tollere Bücher, als die Männer dort?

Alexander kam nach einiger Zeit wieder und erzählte unter Lachen einen so seltsamen Prozeß, den er einleiten und führen werde, daß die Frauen anfangs seiner Erzählung keinen Glauben beimessen wollten, und die Sache nur für einen tollen Einfall und ausschweifende Erfindung erklärten. 264



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