Ludwig Tieck
Die Vogelscheuche
Ludwig Tieck

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Sechste Scene.

Kunst-Ausstellung. Gemälde-Gallerie.

Der Apotheker Dümpfellen war sehr begierig zu erfahren, von woher die beiden Kunstfreunde Ledebrinna und der Magister Ubique Bildnisse sollten hergenommen haben, um den Prinzen mit einer Ausstellung zu überraschen. Als er sich im Saale des Rathhauses umsehen wollte, fand er den Syndikus schon dort, und eine große Anzahl von Gemälden war an den Wänden befestigt worden. Wie erstaunte der Apotheker; aber seine Verwunderung wurde noch vermehrt, als er bemerkte und unterschied, was es war. Zuerst fiel sein Blick auf eine hölzerne angestrichene und fast nackte Figur in kolossaler Größe, die am Ende des Saales prangte. Es war die Darstellung eines sogenannten Wilden Mannes, und diente als Zeichen seiner Apotheke. Man hatte die große dicke Figur heimlich von der Mauer oberhalb dem Laden mit vieler Mühe abgelöset, ohne den Eigenthümer um die Erlaubniß zu fragen, weil man dessen Widerspruch fürchtete. Alle Schilder der Gewerke und öffentlichen Gasthäuser hatte der sinnige Ledebrinna und betriebsame Magister ebenfalls den Eigenthümern abgeborgt, um schnell und mit wenigen Unkosten für den hohen Durchreisenden eine Gemälde-Gallerie zu formiren, die von der Bildung des Städtchens Zeugniß ablegen möchte.

Teufel noch einmal! rief der Apotheker, das ist ja ein verfluchter Gedanke, alle die Schilder aus der ganzen Stadt zusammen zu betteln, und mir meinen nackten Kerl auch aus der Mauer heraus zu brechen! Syndikus, alter Spener, wie hast Du nur dazu Deine Einwilligung geben können?

Ja, Freund, sagte Spener, sieh Dich um, es nimmt 112 sich hübsch aus, was ich so von Kunstausstellungen in meinem Leben gesehn habe, wenn ich es ernsthaft überlege, so finde ich den Unterschied so gar groß nicht.

So ist es, nahm Ubique das Wort, ein Dichter, den ich sonst nur mittelmäßig achte, läßt seinen Theseus über das Schauspiel sagen: »Das Beste in dieser Art ist nur Schattenspiel, und das Schlechteste ist nichts Schlechteres, wenn die Einbildungskraft nachhilft.« Man kann dies Wort auch auf Gemälde anwenden, denn die Einbildungskraft des Beschauenden muß immer das Beste dabei thun. – Und sind denn unsre Kunstwerke etwa so ganz schlimm? Sie sind bunt, erfreulich und die meisten leicht verständlich, sie sind nicht schlecht gemalt, wenigstens einige darunter, und ich begreife nicht, wenn man so oft alte verrauchte Tapeten und Seltenheiten aus allen längst vergessenen Winkeln heraus sucht, um sie auszustellen, warum man nicht einmal den Versuch macht, das zu vereinigen, was eine Stadt an öffentlichen Denkmälern dieser Art besitzt. So auf einen Fleck gebracht, charakterisirt es immer die Stadt und giebt ein physiognomisches Bild von dieser. Wären wir wie Pompeji verschüttet und nach tausend Jahren wieder ausgegraben worden, so würden die größten Gelehrten auch den kleinsten Gegenstand hier höchst merkwürdig finden und mehr wie ein dickes Buch darüber schreiben.

Eigentlich war der Magister nicht so ganz im Unrecht. Eines jener verwilderten Talente, die in Deutschland nicht selten sind, und eine gewisse Fertigkeit erwerben, um bald unterzugehn, war vor einigen Jahren durch diese Stadt gekommen. Er zeichnete und malte Karikaturen nicht ohne Glück, arbeitete schnell und war mit mäßiger Zahlung zufrieden. Das Portrait gerieth ihm nicht, wenigstens wollten die, die sich hatten verleiten lassen, von ihm abgebildet zu 113 werden, die Aehnlichkeit niemals anerkennen. Jedermann, der den Abgezeichneten sah, schrie auf und nannte seinen Namen, verfiel aber zugleich in ein unmäßiges Gelächter, denn die nachgebildete Person war die seltsamste Karikatur, so war alles Bedeutsame und Zufällige in der Physiognomie und dem Ausdruck zum Lächerlichen auf eine geistreiche Art erhoben. Mit zwei Häusern war der reisende Künstler am vertrautesten geworden, mit dem Weinschenken und dem Branntweinbrenner des Ortes. Hier hatte er sich eingewohnt und für seine Freunde zwei große Tafeln recht con amore ausgearbeitet. Da die beiden Schenken ihn während der Arbeit frei hielten und reichlich ernährten, so war die Summe, die er von ihnen im baaren Gelde erhielt, nur mäßig, doch verzögerte er deshalb die Arbeit, unter dem Vorwand, sie recht gründlich auszuführen, um so länger, um die Freundschaft seiner Vertrauten, die den Trunk nicht weniger liebten, als er selbst, dauernder und inniger genießen zu können. In einem breiten Schilde, welches über der Weinschenke in hellen Farben prangte, hatte er in verschiedenen Stellungen und Graden der Begeisterung eine Gesellschaft dargestellt, die sich der verschiedenen Weinsorten, der rothen und weißen, süßen und sauern erfreuten. Alle waren fröhlich, lachten, stießen mit den Gläsern an, kosteten, tranken oder erzählten lustige Geschichten. Für den Branntweinschenken hatte er zwei lange und nicht breite Schilder ausgearbeitet, die an beiden Thüren des Ladens befestigt wurden. Hier war der Ausdruck der Leidenschaft heftiger, vom leisen Nippen bis zum Hineinstürzen des vollen Glases. Zugleich hatte Gosler, so hieß der Künstler, boshafter Weise auf der zweiten Tafel verschiedene Personen in Karikatur gemalt, die in der Stadt als sehr mäßig bekannt waren und sich selbst dem Etablissement dieser Branntweinschenke, als einer 114 verderblichen Anstalt, sehr lebhaft widersetzt hatten. Diese waren alle als leidenschaftliche Trinker, und in Zuständen eines komischen Rausches dargestellt. Derselbe Mann hatte für den Brauer, so wie für den Zuckerbäcker einige bunte Gemälde, wenn auch mit weniger Liebe, gemacht, die aber alle so behandelt waren, daß selbst ein heiterer Kunstfreund in diese Abbildungen wohl einige Minuten verlieren konnte. Diese Goslerschen Arbeiten waren also die Glanzpunkte dieser Kunstausstellung und kontrastirten scharf gegen manche ganz alte Schilder, die von Meistern herrührten, deren Namen der Strom der Zeit verschlungen und auf immer hinunter gewälzt hatte. Der Magister hatte es so geordnet, daß diese Goslerschen, in die Augen fallenden Malereien die Ausstellung beschlossen und im Vorgrunde der Beschauer zuerst an die dunkeln, ältern und unscheinbaren gerieth, die recht gut die Anfänge der Kunst auf ihren geschwärzten Brettern repräsentiren konnten.

Als der Prinz mit seinem Begleiter eintrat, gingen ihm die Herren entgegen, und der Magister Ubique war derjenige, der sich ihm sogleich als Cicerone und Erklärer der Bildwerke vorstellte. Der Prinz nahm seine Lorgnette zur Hand, und der Kammerherr Hollabrunn setzte seine Brille auf, um so gerüstet die Werke mit Aufmerksamkeit und Nutzen betrachten zu können. Das erste Bild war das unbedeutendste, das Schild eines Bäckerladens, uralt und schwarz, eine Bretzel, von zwei Löwen angefaßt, eine ungewisse Stellung, ob sie das verschlungene Backwerk halten oder zerreißen wollten. Dieses Bildwerk, mein gnädigster Herr, begann Ubique seine Erklärung, ist ohne Zweifel eines der ältesten, welches unsre Stadt besitzt, es erinnert an die Zeit des Giotto oder Cimabue, und wenn es auch nicht aus diesem Jahrhundert herrühren sollte, woran ich selber mit Recht zweifle, so ist es in Colorit 115 und Zeichnung dem Alterthum angemessen, ja in Ansehung der einfachen Darstellung, der fast steifen Symmetrie und der tiefsinnigen und mystischen Symbolik prägt es den Charakter der allerältesten Kunstperiode aus. Wir sehen, den Mittelpunkt des Gemäldes macht das Backwerk, welches wir im gemeinen Leben eine Bretzel nennen. Scheinbar ein geringfügiger Gegenstand, den aber der sinnige alte Künstler, welcher seinen Dante gewiß studirt und begriffen hatte, so braucht, daß wir an das Größte und Bedeutendste durch ihn erinnert werden. Ich weiche nehmlich von Adelung und andern Sprachforschern bedeutend in der Etymologie des Wortes Bretzel ab. Vom uralten Ratisha stammt sie ab, unser rathen, berathen, Rathschluß sind von jenem Stammworte abgeleitete Bedeutungen; späterhin das Räthsel, und wie ich sage »rathen« und »berathen« und beide dasselbe bedeuten, so meine ich auch, daß Räthsel und Bretzel ursprünglich ein und dasselbe Wort sind, was auch die Bemerkung bestätigt, daß in manchen Provinzen, wie im Elsaß noch heut zu Tage, die in der Mitte zusammengewachsenen Augenbraunen eines Menschen ein Räthsel heißen. Dieses Räthsel, was kann es anders seyn, als die Tiefe des Lebens selbst? Und wie, womit ward dieses von je her angedeutet? Die nährende Erde, die Mutter, Demeter, das Waizenkorn im Gleichniß sowohl wie in der Wirklichkeit ward von den ältesten Zeiten her als mystisches Symbol dem Menschengeiste gegenwärtig. Wir wissen nicht die eigentliche Beschaffenheit der eleusinischen Mysterien, aber doch so viel, daß sie sich auf die oft besungene Demeter bezogen. Also ist diese unsre sogenannte Bretzel hier ein Räthsel, ein Mysterium, nicht sind es zwei in einander geschlungene Arme, sondern es stellt uns ein gedankenvolles Backwerk eines denkenden Künstlers dar, der hier seine Vertrautheit mit dem Alterthum bekundet. Ein 116 solches Räthsel wie dieses braucht nicht aufgelöset, nicht zerrissen zu werden; es übergiebt sich in seiner Lebensfülle dem freundlich Genießenden, man beiße hier an, oder dort, man wird immer im Mittelpunkte des Verständnisses seyn; so löset es sich selbst, wie alles Geheimnißvolle, wie die Liebe, wie die Kunst, wie die Anschauung des Höchsten. Dem Thoren ein vielverschlungenes Räthsel, dem sich gläubig Hingebenden ein süßer Genuß. Aber das höchste Geheimniß darf nicht ohne Wächter seyn. Von den Eleusinien wurden die Ungeweihten zurück gehalten, bei den Egyptern war die Sphinx der Wächter, sie selbst ein Räthsel, welches als solches in der thebischen Mythe auftritt und dem Oedipus die Macht, und ihm und seiner ganzen Familie den Untergang bereitet. Sein Dasein war gegen den Willen der Götter, ein frecher, weltlicher Heros zerstört er das Geheimniß, wird elend und kann nur durch Mysterie und seltsame Weihe des Todes gesühnt zur Schattenwelt eingehn. Auch bei den Sagen des Mittelalters finden wir Wächter des heiligen Graals. Aber schon früh, schon vor dem Christenthum ward der Löwe als Symbol der Kraft, als Schützer des Heiligen beliebt, der Löwe vom Stamm Juda, dann die Vertheidiger so vieler fürstlichen und andern Wappen. Welche große Bedeutung das Brot, die Frucht der Erde, im Christenthum wieder erhalten hat, brauche ich nur in Erinnerung zu bringen, und wie ich in meiner Ansicht der Bretzel Recht habe, beweiset, daß schon in der katholischen Zeit, und gewiß schon in frühern Jahrhunderten in der Zeit der Fasten ganz eigene Fastenbretzeln gebacken wurden, welcher Gebrauch sich noch bis auf unsre Tage erhalten hat. Ja, denken soll der Mensch in dieser Zeit der Buße über die Geheimnisse und hochwichtigen Gegenstände. Der Wächter, der Löwe rechts sieht dem Beschauenden gerade ins Gesicht, als spräche er: Schaue, denke, erwäge! 117 Jener links ist nur um ein weniges dem Räthsel, welches er in den Pfoten hält, und der geheimnißvollen Speise zugewendet: er ist der forschende Wächter, der denkende Geist, der immerdar nachsieht, ob nichts am Heiligen verletzt ist, ob es noch in seiner Ganzheit besteht. Die Löwen selbst aber stehn in der Luft, ohne alle Basis, auf die sie den Fuß setzen könnten. Wahrlich! groß gedacht! Nicht von der Erde, vom Irdischen kann dieses Verständniß ausgehn, es ruht ganz auf sich selbst, hat in sich Genüge und verschmäht, was die gewöhnlichen Menschen Dauer und Festigkeit nennen. – Will der Kenner übrigens die Löwen selbst als etwas zu sehr im Byzantinischen Styl dargestellt, tadeln, will ich hierin den alten Künstler nicht unbedingt rechtfertigen: aber zur Entschuldigung wird ihm dienen, daß er die ganze Kraft seines Gemüthes auf das Ideal dieser sogenannten Bretzel wendete. Und so ist dieses uralte Denkmal gewissermaßen als die erste Ankündigung oder Ahndung des Werkes anzusehen, welches späterhin auf andre Weise, aber auch noch immer symbolisch, der unsterbliche Rafael in seinem ersten großen Freskogemälde, der sogenannten Disputa, ausführen wollte.

Der Prinz ließ die Lorgnette, die an einer goldenen Schnur befestigt war, niederfallen und sagte zu Hollabrunn, welcher sich in Anschauung des Gemäldes vertieft hatte: Doch etwas Schwärmerei, nicht wahr? – Haben Sie auch Paysagen? fuhr er fort, zu Ubique gewendet, ich liebe in der Malerei die Paysagen, besonders in der Stadt; auf dem Lande, und in Lusthäusern müssen Schlachten seyn und Historien, so erfordert es der Kontrast.

An Landschaften, erwiederte Ubique demüthig, haben wir keinen großen Ueberfluß, das Genie der hiesigen Künstler hat sich mehr auf die Genres verlegt. – Hier folgt nun, fuhr 118 er fort, ein Tableau, welches gleichsam ein mir und allen Gelehrten nahe verwandtes Wesen vorstellt.

Er ward unterbrochen, denn der Prinz und der begleitende Kammerherr brachen in ein lautes Gelächter aus. Der Magister nehmlich, da er die Bilder selber geordnet hatte, vertraute seinem Gedächtnisse und folgte seiner beliebten Weise im Reden und Erklären. Er stand nehmlich mit dem Rücken gegen die Bilder gewendet vor seinen Zuhörern und drückte beide Augen fest zu; als seine Ohren also dies Lachen, das er nicht begriff, vernahmen, drehte er sich plötzlich um und sah, daß die Herren eben vor einem großen Ochsen standen, den der Schlächter mit seinem Beile erlegen wollte, das Schild eines Metzgers. Daneben hing erst das, was er einer Schule weggenommen hatte, Kinder um einen alten Lehrer versammelt, der eine lange Ruthe in der Hand hielt. Ubique sammelte sich bald wieder und sagte nach überwundener Verlegenheit: Ihr Lachen, mein gnädigster Herr, war allerdings nicht unpassend. Ich glaubte schon mit Ihnen vor diesem Schulmeister, diesem Gelehrten zu stehn, wir befinden uns aber dermalen noch vor dem mythologischen Bilde, dem Theseus, welcher den Minotaurus tödtete. Die Sagen über diesen Minotaurus, und noch mehr die Erklärungen dieser Mythe sind sehr von einander abweichend, so wie auch die Abbildungen des fabelhaften Thieres sehr verschieden ausfallen. Dieser neue Künstler, welcher in seiner Darstellung beinah an das Humoristische streift, hat es vorgezogen, das Ungeheuer als einen gewöhnlichen großen Ochsen zu malen; und es ist nicht zu leugnen, daß es der Kunst der Malerei weit mehr, als der Sculptur eignet, die Gestalten der Götter und Vorwelt uns in eine bekannte, vertrauliche Nähe zu rücken, daß es ihr erlaubt ist, das Ideal und das Ueberirdische mehr fallen zu lassen, um heimische, weiche Gefühle 119 zu erregen. So zeichnet selbst Rafael in der Farnesina die griechischen Götter gemüthlicher, fast bürgerlich, und spätere, vorzüglich die Niederländer, haben sich dieser Erlaubniß noch freier bedient. So hat die griechische Tragödie ihre drei Stufen und sehr merkliche, unterschiedene Manieren oder Arten des Styls, auch hat man es dem guten Euripides in neueren Zeiten hart genug vorgeworfen, daß er seine Gegenstände zu geringe behandle und Fürsten und Könige allzu bürgerlich auftreten lasse. Ich möchte nun sagen, hier ständen wir jetzt vor einem Gemälde, welches seinen Vorwurf gewissermaßen auf die Weise eines Euripides ausspricht und durchführt. Der Minotaurus, wie gesagt, schiene ein gewöhnlicher Ochse, wenn seine übermäßige Größe und Kraft nicht das Geheimniß errathen ließe. Dem scheinbaren Ochsen gegenüber erscheint nun Theseus auch, um das Ganze uns moderner näher zu bringen, beinah als ein gewöhnlicher Metzger unsrer Tage. Und, war Minotaurus ein Ochse, wie sollte ihn auch der Held anders bezwingen und tödten, als dadurch, daß er ihn wie einen Ochsen behandelte, welcher geschlachtet werden soll? Der Maler geht sogar so weit, daß er ihm eine leinene Schürze umbindet, und ihm ein noch jetzt übliches Schlächterbeil in die Hände giebt. Die aufgestreiften Hemdsärmel, die kräftigen Muskeln des nackten Armes drücken vortrefflich die Heldengröße aus.

Was ist das da hinten? fragte der Prinz, an der Wand, das ganz wie eine Wurst aussieht?

Mein Verehrter, sagte Ubique, wir wissen alle, daß die That dieser Ermordung in dem weltberühmten Labyrinth auf Creta vorfiel. Dieses hat der Maler, weil er unsre ganze Aufmerksamkeit für die historische Gruppe in Anspruch nehmen wollte, ganz im Sinn der großen Alten, durch diesen Zirkel oder diese elliptische Figur nur andeuten wollen. Sehr 120 glücklich hat er dadurch die schwierige Architektur, die am Ende doch nur unbefriedigend ausgeführt werden konnte, vermieden, wenn gleich nicht zu leugnen steht, daß er hier in Art und Weise der hetruskischen oder griechischen Vasenkünstler gehandelt hat, die sich nur allzuoft mit Stricken, Zäumen, Ketten, Anhängseln und dergleichen auf ihren Gefäßen behelfen, und oft so die wichtigsten Dinge abfertigen, wodurch nicht selten die Erklärer dieser Kunstschätze in wahre Verzweiflung geworfen werden. So konnte man fast in die Versuchung geführt werden, anzunehmen, daß es das letzte Gewirk oder der Rest von der Fädensammlung sei, den er, im Mittelpunkt des Gebäudes angelangt, nicht mehr gebrauchte, und welches ihm Ariadne, die Königstochter, gegeben hatte, um nicht zu verirren. Doch scheint mir meine erste Deutung die nähere. Erinnern wir uns nun, daß auch in Egypten ein wundervolles Labyrinth war, welches wohl ganz astronomischen Zwecken diente, bedenken wir, daß man dort den Apis verehrte, fällt uns dabei ein, daß späterhin Ariadne vom Theseus auf Naxos verlassen wurde, dafür aber dem jugendlichen Gotte Bacchus vermählt und selber zur Halbgöttin erhoben ward, so thun wir wohl nicht Unrecht, hier Spuren zu fühlen und Andeutungen, wie Astronomie, Eintheilung des Jahres, Wunsch und Bitte um Fruchtbarkeit und Segen, die Befreiung von Drangsal, und endlich Lust und Uebermuth in der Fülle des Weines und Scherzes dem Menschengeschlecht verkündigt und mitgetheilt werden. Und so ist es denn wohl nicht bloße Sucht nach Hypothesen, wenn wir in unserm Bürgerfeste, dem deutschen aufgeputzten Pfingstochsen, den Apis wie den Minotaurus wieder antreffen und noch in der heutigen Freude unsrer Jugend, wenn der Aufgeschmückte mit Kränzen und vergoldeten Hörnern durch die Straßen zieht, den Jubel der athenischen Jünglinge hören, die von dem 121 entehrenden Tribut befreit waren; klingt nicht zugleich der bacchantische Jubel mit hinein, welcher die arme Ariadne wiederum trösten konnte? Und wenn diese Uebersiedelung einer uralten Fabel und Geschichte in unsre Sitten und Gebräuche keine bloß willkürliche Annahme ist, wie ich es denn nicht glauben kann, so ist unser braver moderner Künstler nur um so mehr zu loben, daß er den Gegenstand so völlig modern entworfen und ausgeführt hat. Wie dem ächten Menschen und Denker Alles symbolisch wird, so kann ja jeder Hausvater oder jeder etwas gebildete Metzger, so oft ein Ochse geschlachtet wird, an den Minotaurus denken, damit auf diese Weise immermehr die Poesie in das Leben gezogen werde und dieses durch sie Bedeutung erhalte.

Der Prinz wendete sich wieder um und sagte: Also Paysagen haben Sie nicht?

Nur wenige, gnädiger Herr, erwiederte Ubique.

Alles, antwortete die Durchlaucht, zu gelehrte Gemälde, bei Paysagen braucht man nichts zu denken. Bin gern mit dem Herzen bei der Kunst.

Hollabrunn mischte sich jetzt auch in das Gespräch und bemerkte, daß es freilich auch wohl eine tiefsinnige Kunst geben müsse, daß aber die erheiternde, wohlbehagliche mehr für alle Stunden des Lebens passe, wenn jene denkende mehr die höhere Weihe in Anspruch nehme.

So ist es, sagte Ubique, und so wenden wir uns denn zu diesem Bilde, wo Kinder erscheinen, und ein alter, etwas verdrüßlicher Mann mit der Ruthe. Ob der Maler hier die Legitimität hat darstellen wollen, weiß ich nicht, auch ohne Allegorie gefällt durch seine Einfalt das gutgemeinte Bildchen. Einige von den Kindern möchten wohl, genau genommen, einen zu dicken Kopf haben. Vielleicht doch eine Andeutung, daß diese, der Ruthe gegenüber, keine Denker werden wollen.

122 Ledebrinna, der den begleitenden Cavalier und höhern Aufseher oder Direktor der Gallerie spielte, weil von ihm der Gedanke dieser Ausstellung herrührte, hatte unvermerkt und leise viele Bürger mit ihren Frauen herein gelassen. Es waren die Handwerker oder Eigenthümer, von deren Häusern der sinnige Ledebrinna die Schilder ihres Gewerbes hatte wegnehmen lassen. Sie hatten sie ihm nur unter der Bedingung anvertraut und geliehen, daß es ihnen erlaubt seyn müsse. auch in den Saal zu kommen und die Bilder und den fremden Prinzen in Augenschein zu nehmen.

Ubique hatte sich beim Schulmeister nicht lange verweilt, weil er fürchtete, der Prinz oder der Kammerherr könnten wieder in jenes Lachen verfallen, welches ihn doch etwas verdrossen hatte. Er war zu dem Bilde geeilt, welches Ledebrinna von einem kleinen Schenkwirth aus einer Nebenstraße entlehnt hatte, es war ganz grob gemalt und zeigte auf einem Tisch einen Teller mit Schinken, ein schwarzes Brot und ein hohes Glas mit schäumendem Bier angefüllt. An der Wand hingen zwei Schinken und eine geräucherte Wurst. Hier, sagte Ubique, befinden wir uns vor einem sogenannten Stillleben. Keine Mythologie oder Allegorie, keine Leidenschaft und Mord, keine Volkssage oder Gruppe, eben so wenig ein Ideal, sondern mit stiller Kraft und ruhigem Sinn ein einfacher, alltäglicher Gegenstand, Nahrungsmittel des gemeinen Mannes, frugale Kost mit aller Bescheidenheit eines frommen Gemüthes unserm beschauenden Auge geboten. Nicht unähnlich dem berühmten Heringe aus der Bildergallerie in Dresden. Mit einem Worte, ein Stillleben.

Es muß wohl ein stilles Leben seyn, ließ sich ein Mann, der hinzugetreten war, vernehmen, wenn die 123 Nahrungslosigkeit so zunimmt, und so wenige Menschen in mein Haus einkehren, oder ein Glas Bier bei mir trinken.

Ledebrinna erschrak und zog den Redenden zurück, weil er fürchten mußte, daß seine Intrigue bei fortgesetzter Rede an den Tag kommen könne. Als Ledebrinna mit dem Verdrüßlichen in den Hintergrund getreten war, sagte der Schenkwirth: Warum muß der gelehrte Herr Schwatzmann denn auch so dreist von dem stillen Leben in meinem Hause reden? Kann ich denn dafür? Sonst hatten wir alle Sonntage Musik und Tanz, aber freilich, die vornehmen Gasthöfe, der hochmüthige Meister Ehrlich da, der nun auch einen Saal für die Handwerksburschen gebaut hat, stiehlt mir ja die Nahrung. Und warum hat das der Rath erlaubt! He! warum?

Ledebrinna wendete alles an, den zürnenden Mann zur Ruhe zu sprechen. Der Prinz sah sich um, verwunderte sich über die vielen Menschen und sagte zum Magister: Nicht wahr, das ist der Pöbel?

Gnädiger Herr, antwortete Ubique, wir leben in dem schmeichelhaften Wahn, daß es keinen Pöbel in unserm Städtchen gebe. Ein solcher würde sich auch schwerlich für diese Bilder interessiren.

Nun also, sagte der Prinz, so ist es der Plebs, nicht wahr? Denn wie Patrizier sehn sie doch nicht aus.

Sie haben um die Erlaubniß nachgesucht, fuhr Ubique fort, den gnädigen Herrn etwas in der Nähe sehen zu dürfen, denn alle fühlen sich geehrt und beglückt, daß unsre Mauern einen solchen Gast beherbergen.

Gutes Volk, das! sagte der Prinz, und wendete sich wieder zur Betrachtung des Stilllebens. Hollabrunn, der lange nicht gesprochen hatte, rief jetzt: Sehn Sie, mein Gnädigster, diese Stange Bier! Wie natürlich gemalt!

124 Wie nennen Sie das Glas? sagte der Prinz.

Eine Stange Bier! sagte der Kammerherr.

Der Prinz lachte unmäßig. Eine Stange Bier! rief er freudig; wie passend! Weil das Glas so lang und dünn ist. Eine Stange Bier! hahaha! der Hollabrunn ist doch einzig in seinen Einfällen. Nicht wahr, Herr Magister? Eine Stange Bier! Auf solchen Einfall kommt nur der Hollabrunn. Als wenn es Holz wäre, oder Eisen, oder Zinn, oder so was, was man in Stangen hat. Eine Stange Bier! Einzig! Passend! Wir wollen heut Mittag aus solchem Glase Champagner trinken, so können wir doch sagen, wir haben etliche Stangen Champagner getrunken! Herrlich. Nicht wahr, Magisterchen?

Der Magister zwang sich zum lauten Lachen, auch Ledebrinna stimmte mit ein, und der Kammerherr sagte: Mein gnädiger Herr wird so beredt wie ein Cicero. Das hat mein geringer Einfall nicht verdient, aber es muntert auf.

So war unter den Beschauern jener Kunstschätze ein andrer Ton herrschend geworden, der jenen der feierlichen Betrachtung verdrängte. Der Magister fühlte selbst, daß die beste Zeit seines Lehramtes jetzt vorüber sei, er zwang sich also, in die neue Methode dieses unschädlichen harmlosen Witzes mit einzustimmen. Auch der Syndikus und der Apotheker wurden heiter, und da die Bürgersleute die frohe Laune der Vornehmen bemerkten, so theilten sie sich unter einander auch Bemerkungen und Späße mit, die sie erfreuten. Hollabrunn, der zum Witz angeregt war, wendete sich jetzt wieder an jenes Stillleben und sagte: Herr Magister, hier auf diesem häuslichen Brett hängt auch im Hintergrunde solches wurstische Labyrinth, wie dort bei dem Minotaurus und Theseus.

Wurstisch Labyrinth! rief der Prinz unter schallendem 125 Gelächter, so wie kretisch Labyrinth! Er bleibt einzig der Mensch, mit seinen sublimen Einfällen.

So wendete man sich denn zu den übrigen Bildern, und da man nun an die von Gosler kam, so konnte sich der Magister kürzer fassen, da diese Darstellungen mehr dem allgemeinen Sinn und Verständniß entgegen kamen. Auch sagten diese Scenen froher Trunkenheit der lustigen Stimmung zu, der sich der Prinz und sein Kavalier jetzt ohne Zwang überließ. Immer keine Paysagen! rief der Fürst wieder aus. Wir stehen gerade vor einer, sagte Ubique, wenn Sie geruhen, den Blick hieher zu wenden. Es war das Schild des Lebkuchenhändlers, oben war die Stadt Nürnberg in freier Landschaft abgebildet, und umher standen Pfefferkuchen in allerhand Größen und Formen, auch als Reiter, von denen zwei, wie man in Buchstaben las, Wellington und Buonaparte waren. Sonderbar! sagte der Prinz, weil man bei Nürnberg wohl an die Lebkuchen denkt, so hat der sonderbare Mann auch die Dinger gleich hergemalt.

Sehr richtig bemerkt, mein gnädiger Herr, sagte Ubique, ein kapriziöser Einfall, Landschaft so mit Stillleben zu vereinigen. Diese Kunstverbindung möchte zu tadeln seyn, weil eigentlich hier kein Motiv einer solchen Verschmelzung obwaltet, es erscheint vielmehr ganz willkürlich und dies ist immer zu mißbilligen.

Die Dame eines Modehändlers, das Schild eines Friseurs ward noch betrachtet und besprochen, und sie standen jetzt vor der Schilderei, die der einzige Kaufmann, der mit italienischen Waaren handelte, hatte malen lassen. Es war ein Orangenhain, in dem viel goldne Aepfel glänzten, Amorinen, die dem Künstler etwas zu dick gerathen waren, pflückten diese und andre trugen sie in Körben nach einer offenen Halle. In dieser saß ein korpulenter Mann, welcher von 126 aufgeschürzten Nymphen Citronen empfing, er war im Begriff, den Saft der einen über eine dampfende Schüssel auszupressen. In der Ferne waren Mohren, die Reis trugen, andre hatten Flaschen mit Rum und Arrak. Man sah Palmen, die den Horizont begrenzten. Dieses heitre Bild gefiel dem Prinzen und seinem Begleiter vorzüglich. Freilich, sagte Ubique, erwärmt und stärkt uns hier der südliche Himmel. Es ist sinnreich, alle warmen Gegenden fast unseres Globus vereinigt zu haben, denn dadurch ergiebt sich die Allegorie der Landschaft wie von selbst, und so ist denn dieser Punsch, der hier in der Halle von dem gesetzten Manne bereitet wird, so zu sagen die Quintessenz der Erde und der Wärme.

Schöne Paysage, sagte der Prinz, den Punsch aber kann ich nicht leiden, könnte was besseres thun, der Dicke da, als die Citronen auszupressen.

Er macht auch ein saures Gesicht bei seiner Arbeit, bemerkte Hollabrunn: er leidet sichtlich an der Preßfreiheit.

Der Prinz lachte wieder übermäßig, und Ubique, welcher meinte, er dürfe als Gelehrter die Preßfreiheit nicht fallen lassen, bemerkte, daß ohne eine solche Presse weder Punsch, Bischoff, noch Kardinal existiren könne, auch gebe die Kelterung des Weines das beste Gegenbild zu dem, was die Druckerpresse für die Gelehrsamkeit anrichte; der Prinz sagte aber ganz kurz: Ich mag die Gelehrsamkeit nicht, worauf Hollabrunn hinzufügte, die meisten Gelehrten – sind sie denn etwas anders, als die Geleerten?

Der Prinz lachte wieder, ward aber fast beleidigend zu plötzlich ernsthaft, indem er den Magister anblickte, der ihm ein feststehendes verlegnes Lächeln entgegen hielt, welches in ein Grinsen überzugehen drohte. Sprechen wir nicht länger so gottlos, sagte der Prinz, nachdem er lange das seltsame 127 Gesicht des Magisters aufmerksam betrachtet hatte, es muß auch gelehrte und literarische Männer geben, denn die Menschheit ist so groß, daß sie vielerlei brauchen kann.

Man betrachtete, weil man schon ermüdet war, die übrigen Bildwerke nur in Eil; endlich kam man an das Ende des Saales, an welchem die kolossale hölzerne Gestalt, der wilde Mann des Apothekers stand. Der Prinz war von dem imposanten Anblick ergriffen. Wer ist der greuliche Kerl? fragte er endlich, das ist wohl ein berühmter Straßenräuber?

Der Apotheker machte eine verdrüßliche Miene, daß das Schild seines ehrbaren Hauses und Gewerbes so geschmäht würde, der Gelehrte aber sagte: Keinesweges stellt diese Figur, das einzige plastische Kunstwerk unsrer Stadt, einen Mörder vor, sondern diese Bildsäule, welche zwar nur aus Holz besteht, weil wir keinen Marmor hier besitzen, ist die Darstellung dessen, was wir einen wilden Mann nennen, wie wir auf manchen Thalern finden, wie er auch wohl als Wappenhalter mancher fürstlichen Geschlechter wiederkehrt, es soll, genau genommen, das Bildniß eines Vorfahren aus längst verflossenen Jahren, oder eines alten Deutschen seyn.

Der Prinz ging näher, besah den Riesen ganz genau durch seine Gläser und sagte dann mit bedenklicher Miene: Mein Herr Magister, der ist nicht ganz getroffen. Wir hatten einen einmal bei mir zu Hause, den mein Vater wollte auf die Festung setzen lassen, weil er sich mit Umtrieben und Rebellion eingelassen hatte. Fast einen solchen Bart hatte der Altdeutsche auch, er ging auch mit Hals und Brust ganz frei, aber er trug doch wenigstens noch Beinkleider. Im Park hatten wir neben Bären und Affen auch einen Zwerg und Riesen, und man rieth meinem Vater, diesen Altdeutschen, statt ihn auf die Festung zu schicken, zum Andenken in diese 128 Menagerie zu setzen, da die Art vielleicht ganz ausgehen würde, aber der pfiffige Patron, dem die Festung so wenig wie dies Projekt gefallen mochte, machte sich in der Nacht davon und über die Grenze, die in unserm Lande leider allenthalben sehr nahe ist.

Verzeihung, Gnädigster, sagte Ubique mit einer listigen Miene, wir müssen einen Unterschied machen zwischen jenen ächten alten Deutschen, welche vor zwei tausend Jahren gelebt haben, von denen dieser Held ein Abbild seyn soll, und jenen neuen Alt-Deutschen, dieser Spielart, welche freilich sehr früh ausgegangen ist.

Der Prinz verließ den Saal, und Ledebrinna, der Magister, der Syndikus und Apotheker speiseten an seiner Tafel. Hollabrunn brachte viele seiner häuslichen Späße vor, an welchen der Fürst sich außerordentlich ergötzte. Als man den Champagner wirklich aus jenen hohen Biergläsern trank, half der Rausch noch mehr dazu, daß der vornehme Fremdling auch den fadesten Einfall seines Favoriten vortrefflich fand. Der Magister und selbst Ledebrinna und der Syndikus mußten viel leiden, und man trennte sich erst spät, jeder vom Rausch der andern überzeugt, so wie von der eignen Vernunft und Nüchternheit.

Hollabrunn wirkte es vom Vater des Prinzen aus, daß Ledebrinna, der die Gemälde-Ausstellung besorgt hatte, den Titel eines Legationsrathes erhielt, und der Magister Ubique ward mit einer goldnen Tabatiere beschenkt. 129



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