Ludwig Tieck
Der junge Tischlermeister
Ludwig Tieck

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Es ist ein bekanntes Sprichwort: daß auch Bücher, größere wie kleinere, ihre Schicksale haben. So waren es nur unvermuthete Hindernisse, Störungen und Zufälle, welche veranlaßten, daß gegenwärtige Novelle nicht schon vor vielen Jahren den Lesern mitgetheilt wurde. Der Plan zu dieser Erzählung ist geradezu einer meiner frühesten Entwürfe, denn er entstand schon im Frühjahr 1795. Der Wunsch, klare und bestimmte Ausschnitte unsers ächten deutschen Lebens, seiner Verhältnisse und Aussichten wahrhaft zu zeichnen, regte sich lebhaft in mir. Cervantes Novellen hatten mich schon damals begeistert. Manche andere Entwürfe wurden ausgeführt, und drängten diese Novelle, welche meine früheste war, und den Anlaß zu den spätern gab, zurück. Erst im Jahre 1811 begann ich die Ausarbeitung, die jetzt sich mehr ausdehnte und bunter ausfiel, als es im ersten Entwurfe lag. Rasch schritt ich vor, und damals, wenn das Werk geendigt worden, war mancher Gedanke über Zünfte, Bürgerlichkeit und dergleichen mehr an der Tagesordnung; vieles gewissermaßen neu und noch unbesprochen. Die Ruhe aber fand sich nicht, um die Aufgabe zu vollenden, doch wurde schon im Jahre 1819 das, was geschrieben war, der Presse 6 übergeben, und ich hoffte, mit dem Sommer meinem befreundeten Verleger das ganze Werk, dessen Druck er sogleich begann, übersenden zu können. Diese Erfüllung ist aber jetzt erst eingetreten, und so bietet sich nun die Erfindung, so früh begonnen, so oft verzögert und so spät vollendet, dem Wohlwollen des Lesers.

Ein ähnliches Schicksal traf »den Aufruhr in den Cevennen«. Er wäre jetzt statt dieses Werkes erschienen, wenn mich nicht diese Laune aus meiner Jugend zu lebhaft angeregt hätte, sie fortzusetzen und zu beschließen. Da zu jenem unterbrochenen Werke längst alles vorbereitet ist, so darf ich hoffen, auch dies dem Publikum nächstens übergeben zu können.

Wenn die jüngere ungestüme Welt mich jetzt so oft aufruft und schilt, ich soll lernen, erfahren, mitgehen, verstehen und fassen, und ich werfe einmal Blicke in diese Produkte meiner neusten und frischesten Zeitgenossen, so kann ich mich des Lächelns nicht erwehren, weil so viele dieser neuen großen Entdeckungen und Wahrheiten schon längst in meinen Schriften, zum Theil den frühesten, stehen. Ich darf mir wohl das Zeugniß geben, daß ich immerdar forsche und mehr lerne, je älter ich werde; aber – wie Göthe auch schon einmal das veraltete Sprichwort auf sich anwendet – man soll oft erfahren und über das erstaunen, als über wichtige Entdeckung, was man schon längst an den Schuhsohlen abgelaufen hat. – Oberflächliche Allseitigkeit war mir immer verhaßt. Nur in seinem wahren Beruf kann der Mensch stark seyn, irgendwo muß er ganz zu Hause seyn und feststehen; ich aber glaube nicht, daß ich mir willkührlich meine Kreise zu enge gezogen habe.

7 Es ist wohl nicht unbillig, von Rezensirenden, die mich tiefsinnig tadeln wollen, zu erwarten, daß sie meine Schriften gelesen haben. Da ich die Form der Novelle auch dazu geeignet halte, manches in conventioneller oder ächter Sitte und Moral Hergebrachte überschreiten zu dürfen (wodurch sie auch vom Roman und dem Drama sich bestimmt unterscheidet), so mache ich in dieser Beziehung nur auf jene Andeutung aufmerksam, welche die Vorrede zum eilften Bande meiner gesammelten Schriften beschließt [siehe unten].

Dresden, im April-Monat.

L. Tieck.

[Wir brauchen jetzt das Wort Novelle für alle, besonders kleineren Erzählungen; manche Schriftsteller scheinen sogar in diese Benennung eine Entschuldigung legen zu wollen, wenn ihnen selbst die Geschichte, die sie vortragen wollen, nicht bedeutend genug erscheint. Was wir mit dem Roman bezeichnen wollen, wissen wir jetzt so ziemlich; aber der Engländer nennt schon seit lange alle seine Romane Novellen. Als das Wort zuerst unter den Italiänern aufkam, sollte es wohl jede Erzählung, jeden Vorfall bezeichnen, die neu noch nicht bekannt waren. So wurde der Name fortgebraucht, und die Italiäner zeichneten sich dadurch aus, daß ihre meisten Geschichten, die sie gaben, anstößig, obscön oder lüstern waren. Unzucht, Ehebruch, Verführung, mit lustigem Geist, sehr oft ohne alles moralisches Gefühl vorgetragen, nicht selten bittre Satyre und Verhöhnung der Geistlichen, die seit Boccaz, um so mehr sie regieren wollten, um so mehr von den Witzigen verspottet wurden, ist der Inhalt der meisten dieser Novellen. Als Cervantes seinem züchtigern Volke, das unter einer strengen geistlichen Polizei stand, Novellen geben wollte, mußte er diesem ärgerlichen Titel das Beiwort moralisch hinzufügen, um anzuzeigen, daß sie nicht im Tone jener italiänischen seyn sollten.

Boccaz, Cervantes und Göthe sind die Muster in dieser Gattung geblieben, und wir sollten billig nach den Vorbildern, die in dieser Art für vollendet gelten können, das Wort Novelle nicht mit Begebenheit, Geschichte, Erzählung, Vorfall, oder gar Anecdote als gleichbedeutend brauchen. Das Wort Humor entstand gegen 1600 bei den Engländern zufällig, und jetzt können wir es in unsern Kunstlehren nicht mehr entbehren, um Productionen und Eigenschaft des Geistes zu bezeichnen, die weder mit Laune, Geist noch Witz charakterisirt sind. Eine Begebenheit sollte anders vorgetragen werden, als eine Erzählung; diese sich von Geschichte unterscheiden, und die Novelle nach jenen Mustern sich dadurch aus allen andern Aufgaben hervorheben, daß sie einen großen oder kleinern Vorfall in's hellste Licht stelle, der, so leicht er sich ereignen kann, doch wunderbar, vielleicht einzig ist. Diese Wendung der Geschichte, dieser Punkt, von welchem aus sie sich unerwartet völlig umkehrt, und doch natürlich, dem Charakter und den Umständen angemessen, die Folge entwickelt, wird sich der Phantasie des Lesers um so fester einprägen, als die Sache, selbst im Wunderbaren, unter andern Umständen wieder alltäglich sein könnte. So erfahren wir es im Leben selbst, so sind die Begebenheiten, die uns von Bekannten aus ihrer Erfahrung mitgetheilt, den tiefsten und bleibendsten Eindruck machen.

Um uns an ein Beispiel zu erinnern. So ist in jener Göthischen Novelle in den Ausgewanderten, der sich aufhebende Ladentisch, der das Schloß überflüssig macht, welches der junge Mann eine Zeitlang benutzt, um sich mit Geld zu versehen, ein solcher alltäglicher und doch wunderbarer Vorfall, eben so wie die Reue und Besserung des Jünglings, die in eine Zeit fällt, daß sie fast unnütz wird. Das sonderbare Verhältniß der Sperata im Meister, ist wunderbar und doch natürlich, wie dessen Folgen; in jeder Novelle des Cervantes ist ein solcher Mittelpunkt.

Bizarr, eigensinnig, phantastisch, leicht witzig, geschwätzig und sich ganz in Darstellung auch von Nebensachen verlierend, tragisch wie komisch, tiefsinnig und neckisch, alle diese Farben und Charaktere läßt die ächte Novelle zu, nur wird sie immer jenen sonderbaren auffallenden Wendepunkt haben, der sie von allen andern Gattungen der Erzählung unterscheidet. Aber alle Stände, alle Verhältnisse der neuen Zeit, ihre Bedingungen und Eigenthümlichkeiten sind dem klaren dichterischen Auge gewiß nicht minder zur Poesie und edlen Darstellung geeignet, als es dem Cervantes seine Zeit und Umgebung war, und es ist wohl nur Verwöhnung einiger vorzüglichen Kritiker, in der Zeit selbst einen unbedingten Gegensatz vom Poetischen und Unpoetischen anzunehmen. Gewinnt jene Vorzeit für uns an romantischem Interesse, so können wir dagegen die Bedingungen unsers Lebens und der Zustände desselben um so klarer erfassen.

Es wird sich auch anbieten, daß Gesinnung, Beruf und Meinung, im Contrast, im Kampf der handelnden Personen sich entwickeln, und dadurch selbst in Handlung übergehen. Dies scheint mir der ächten Novelle vorzüglich geeignet, wodurch sie ein individuelles Leben erhält. Eröffnet sich hier für Räsonnement, Urtheil und verschiedenartige Ansicht eine Bahn, auf welcher durch poetische Bedingungen das klar und heiter in beschränktem Rahmen anregen und überzeugen kann, was so oft unbeschränkt und unbedingt im Leben als Leidenschaft und Einseitigkeit verletzt, weil es durch die Unbestimmtheit nicht überzeugt und dennoch lehren und bekehren will, so kann auch die Form der Novelle jene sonderbare Casuistik in ein eigenes Gebiet spielen, jenen Zwiespalt des Lebens, der schon die frühesten Dichter und die griechische tragische Bühne in ihrem Beginn begeisterte. So hat man wohl dasjenige, was sich vor dem Auge des Geistes und Gewissens, noch weniger vor der Satzung der Moral und des Staates nicht ausgleichen läßt, Schicksal genannt, um die Streitfrage vermittelst der Phantasie und der religiösen Weihe in einen höhern Standpunkt hinaufzurücken; Orest vom Gott der Weissagung begeistert, wird Muttermörder, und als solcher vom ältesten und einfachsten Naturgefühl in der Gestalt der Erynnien verfolgt, bis Gott und Mensch ihn frei sprechen. Und wie der Dichter hier das Geheimnißvolle zwar klar, menschlich und göttlich zugleich, aber doch wieder durch ein Geheimniß ausgleichen will: so ist in allen Richtungen des Lebens und Gefühls ein Unauflösbares, dessen sich immer wieder die Dichtkunst, wie sie sich auch in Nachahmung und Darstellung zu ersättigen scheint, bemächtigt, um den todten Buchstaben der gewöhnlichen Wahrheit neu zu beleben und zu erklären. Strebt die Tragödie durch Mitleid, Furcht, Leidenschaft und Begeistrung uns in himmlischer Trunkenheit auf den Gipfel des Olymp zu heben, um von klarer Höhe das Treiben der Menschen und den Irrgang ihres Schicksals mit erhabenem Mitleid zu sehn und zu verstehn, führt uns der Roman der Wahlverwandschaften in die Labyrinthe des Herzens, als Tragödie des Familienlebens und der neuesten Zeit; so kann die Novelle zuweilen auf ihrem Standpunkt die Widersprüche des Lebens lösen, die Launen des Schicksals erklären, den Wahnsinn der Leidenschaft verspotten, und manche Räthsel des Herzens, der Menschenthorheit in ihre künstlichen Gewebe hinein bilden, daß der lichter gewordene Blick auch hier im Lachen oder in Wehmuth, das Menschliche, und im Verwerflichen eine höhere ausgleichende Wahrheit erkennt. Darum ist es dieser Form der Novelle auch vergönnt, über das gesetzliche Maaß hinweg zu schreiten, und Seltsamkeiten unpartheiisch und ohne Bitterkeit darzustellen, die nicht mit dem moralischen Sinn, mit Convenienz oder Sitte unmittelbar in Harmonie stehn. Es läßt sich ohne Zweifel das Meiste und Beste im Boccaz nicht nur entschuldigen, sondern auch rechtfertigen, was niemand wohl mit den spätern italiänischen Novellisten versuchen möchte.

Ich habe hiermit nur andeuten wollen, warum ich im Gegensatz früherer Erzählungen verschiedene meiner neueren Arbeiten Novellen genannt habe.]

 


 


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