Ludwig Tieck
Der junge Tischlermeister
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Abschnitt.

Leonhard saß am anderen Morgen angekleidet am Fenster und schaute über den Garten hinaus in das grüne Feld und zu den benachbarten Hügeln hinauf. Er war früh erwacht und fühlte sich wohl und erheitert, den erquickenden Duft des Morgens einzuathmen. Es freute ihn, einmal so ganz auf dem Lande einige Wochen zubringen zu können, und indem er nach dem nahen Franken hinüberblickte, erwachten alle seine jugendlichen Erinnerungen mit frischer Kraft, und alle Jahre, welche dazwischen lagen, entschwanden seinem Gedächtniß.

Er ging dann in dem geräumigen hohen Zimmer gedankenvoll auf und ab, als der alte Joseph, zwar im Oberrock, aber doch nett frisirt und mit der frischesten Wäsche hereintrat, um ihn zu fragen, ob er das Frühstück auf sein Zimmer befehle, oder ob er es in Gesellschaft der gnädigen Frau und des jungen Barons einzunehmen gedenke. Leonhard entschied sich für das letzte, und Joseph empfahl sich mit einer tiefen Verbeugung, indem er sagte, daß man den Herrn Professor also unten in einer Viertelstunde erwarten werde. Leonhard war wieder, so wie gestern Abend beim ersten Eintritt in 154 das Haus, roth geworden. Sein junger Freund störte die beschämenden Betrachtungen, denen er sich eben hingeben wollte, indem er ihn umarmte und sich theilnehmend und herzlich nach seiner Nachtruhe und seinem Befinden erkundigte. Meine theure Mutter, sagte er dann, darf Dich auf keine Weise geniren; sie ist die beste Frau von der Welt, gönnt jedem alles Gute und liebt ihren Nächsten ohne Ausnahme von ganzem Herzen. In ihrer Achtung, Hochachtung, Verehrung und Ehrfurcht macht sie jedoch natürlich verschiedene Abtheilungen, aber nur, wenn es die Noth und Etikette erfordert. Ich kann Dich versichern, Geliebter, daß Du gestern beim Abendessen schon ihr ganzes Herz gewonnen hast. Und es ist wahr, ich habe mich selbst darüber gewundert, wie Du mit Deiner stillen Bescheidenheit diese ungesuchte Aufmerksamkeit, mit Deiner natürlichen Weise diesen feinen Ton verbinden konntest. Wir bilden uns so oft thörichter Weise ein, so etwas werde nur in unsern, oft so langweiligen Zirkeln errungen.

Ich hoffe, erwiederte Leonhard, daß mich bald diese ängstigende Verlegenheit verlassen wird, und ich mich in allen diesen Thorheiten freier bewegen lerne.

Laß nur erst, sagte Elsheim, den Schwarm, die Gesellschaft, die Weiber kommen, so wirst Du es so gewohnt, daß die Einsamkeit Dir nachher vielleicht drückend wird.

Sie gingen hinab und fanden die Mutter, welche sie freundlich, aber mit einer gewissen Feierlichkeit begrüßte. Indem rief der Baron: Ei, wer kommt da herangesprengt? Was ist das für ein dicker Mann?

Kennst Du denn Deinen intimen Freund nicht mehr? erwiederte die Mutter; er hat sich zwar in den fünf Jahren, daß Du ihn nicht sahest, etwas verändert, aber er ist doch nicht unkenntlich geworden.

155 Ist es möglich? rief der erstaunte Sohn aus; ja, ja, er ist es! Aber wie ist der Mann stark geworden! Er ist ganz verwandelt und nur mit Mühe wieder zu erkennen. Der Baron war schnell vom Pferde gestiegen, und so wie der große wohlbeleibte Mannlich in die Thüre trat, flog Elsheim in seine Umarmung und rief: O, mein Adolph! sehen wir uns endlich nach so manchem Jahre wieder?

Der Baron Mannlich, als der ältere, erwiederte die Begrüßung mit Herzlichkeit, aber gelassener, und beide Freunde betrachteten sich stumm; dann fragten und sprachen sie allerlei Unbedeutendes durch einander, wie es bei dergleichen Scenen des Wiedersehens wohl zu geschehen pflegt. Es wollte in ziemlich langer Zeit kein eigentliches Gespräch in den Gang kommen. Mannlich redete dann die Mutter an, und begrüßte auch den Fremden mit Theilnahme, welcher auch ihm als Architekt und Professor Leonhard vorgestellt wurde.

Leonhard begab sich so bald als möglich nach dem großen Rittersaal, um ihn genau auszumessen und seinen Plan zu entwerfen, wie er am besten zu einem Theater eingerichtet werden möchte. Seine ehemalige Leidenschaft für das Theater kam ihm jetzt sehr zu Statten, da er so manche Bühne gemustert, ausgemessen und sich alle Erfordernisse derselben genau eingeprägt hatte.

Als er aus dem Fenster sehend die beiden Freunde im Garten erblickte, ging er hinab zu ihnen, und sie wandelten in den belaubten Gängen unter heiteren Gesprächen lange auf und ab. Der Mittag war gekommen, und man setzte sich in behaglicher Stimmung an die Tafel. Man war noch beim Nachtisch, als Besuch in mehreren Wagen ankam. Ein Mann von mittleren Jahren half einer alten und zwei jungen Damen aus einem offenen Wagen, und begab sich, nachdem er mit Anstand seinen Dienst verrichtet hatte, zu dem 156 zweiten Wagen, um auch dort zu helfen. Vom zweiten Fuhrwerk hüpfte ein ganz junges, übermüthiges Mädchen lachend herab, indem sie die Hand des Helfenden zurückstieß; ihr folgte ein Kammermädchen, und nach diesem ein ältlicher schlanker Herr, der sehr vorsichtig prüfend auf den Tritt und von dort zur Erde sich begab, indem er die angebotene Hülfe des Hülfreichen so sehr in Anspruch nahm, daß er sich von diesem fast mehr heben und tragen ließ, als daß er mit eigner Anstrengung auf den Boden gelangt wäre.

Da hätten wir ja fast unsere ganze Comödie beisammen! rief Baron Mannlich, der ihnen entgegen geeilt war.

Nachdem die Begrüßungen im Saale mit förmlicher Freundlichkeit, oder kürzeren Redensarten, nach der Eigenheit der Charaktere, vorüber waren, und alle Platz genommen hatten, begann der wohlbeleibte Mannlich mit einiger Feierlichkeit: Vereinigt sind nun die Hauptstützen oder die Träger unsers beabsichtigten Schauspiels, des Lieblingsstückes meines Freundes Elsheim, mit welchem er sich schon seit vielen Jahren beschäftigt hat. Er hat es für uns eingerichtet, und ich werde noch einige Verbesserungen für die bequemere Aufführung vorschlagen, aber zugleich erbitte ich mir die Erlaubniß, es den Theilnehmern nachher in seiner originalen Gestaltung vortragen zu dürfen. Denn es ist natürlich, daß in unserer Umgestaltung und Abkürzung manche Motive, Andeutungen, Charakterzüge und dergleichen mangeln, die der Darsteller sich einprägen muß, um nicht vielleicht völlig in die Irre zu gerathen. Wir haben nicht gewagt, aus eigener Erfindung dem großen Dichter etwas zuzusetzen, und es ist daher um so nöthiger, sich mit dem Original recht vertraut zu machen, um nicht vielleicht aus Unwissenheit der Absicht des Poeten geradezu entgegen zu arbeiten.

Er sah mit seinen großen blauen Augen im Kreise 157 umher; der ältliche umständliche Herr nickte ihm sehr lebhaft Beifall zu, die Damen schlugen die Augen nieder, und jener Hülfreiche, der Mann von mittleren Jahren, ein Herr Emmrich, fragte mit kurzem und bestimmtem Ton: Und wie besetzen Sie das Stück, da Sie doch der Director der Anstalt zu seyn scheinen?

Wir haben manche Rolle, erwiederte Mannlich, wie Olearius, Liebetraut, den Abt von Fulda, ausgestrichen.

O ewig Schade! rief das kleine muthwillige Mädchen, so fehlt ja gerade gleich das Beste im ganzen Stück.

Es läßt sich nicht alles, was wir etwa wünschen, vereinigen, erwiederte Mannlich sehr gesetzt; Wunder genug, daß wir die Sache nur auf unsere Art zu Stande gebracht haben, es gehörte der ganze Enthusiasmus unseres Freundes dazu, die ungeheure Unternehmung möglich zu machen. In jeder großen Bestrebung, die sich vom Alltäglichen losreißt, muß man gleich bei der Ausführung derselben auf einen gewissen Abfall rechnen, auf Späne, die, indem sie das Brett formen, dieses auch dünner und schwächer machen.

Sie meinen gewiß, sagte der alte dürre Herr, die Hobelspäne, und somit ist Ihre Beobachtung eine sehr richtige.

So ist es, mein Herr Graf von Bitterfeld, antwortete Mannlich mit einer fast geringschätzenden Miene.

Wenn uns alle Bildung feiner macht, sagte in seiner trockenen Weise jener Hülfthätige, Professor Emmrich, so müssen wir freilich gehobelt werden, aber, was zu wünschen ist, von geschickter Hand, damit nicht unsere Stärke selbst mit in die Späne geht. Die Ausbildung so vieler besteht darin, daß sie ganz aus der Menschheit hinausgebildet werden, wie dort das kleine, zu fein gedrechselte Wandschränkchen, an das man nur drücken dürfte, um es völlig zu vernichten.

Leonhard sah mit prüfendem Auge nach dem Möbel, 158 und da er ihm ziemlich nahe saß, konnte er es nicht unterlassen, aufzustehen, um es ganz in der Nähe zu untersuchen, indeß Mannlich etwas hochfahrend antwortete: Der Herr Professor Emmrich kann es doch nie unterlassen, witzig zu seyn. Brechen wir aber diese Tischler-Gleichnisse ab, in die wir gerathen sind, ich weiß nicht wie.

Bei dem Worte Tischler eilte Leonhard, indem er sein Erröthen fühlte, zu seinem Sitze zurück. Mannlich, der seine Schlußworte mit einem belobenden Lächeln begleitete, indem er sich zum Professor wendete, fuhr nun so fort: Man hat mir die Ehre erzeigt, anzunehmen, daß mein schwaches Talent für die Darstellung des Götz, des Hauptcharakters, nicht ganz ungeeignet sei. Mein Jugendfreund, Baron Elsheim, wird nach unserem Uebereinkommen die schwierige Rolle des Weislingen übernehmen; ich bin überzeugt, sein schönes Talent, sein edles Sprachorgan, sein Gefühl werden diese Darstellung zu etwas Außerordentlichem erhöhen.

Rühme mich nicht vor der Zeit, mein Freund, rief Elsheim aus, Du möchtest sonst die Rechnung machen ohne den Wirth.

Weil ich Dich kenne, spreche ich so, erwiederte Mannlich. Die höchst schwierige, aber auch reizende Rolle der Adelheid haben wir in unserm Rath für das liebenswürdige Fräulein Charlotte Fleming bestimmt.

Charlotte erhob das edle blasse Antlitz und sah den Sprechenden mit ihrem feurigen dunkeln Auge fragend an, Leonhard hatte sie bis jetzt kaum bemerkt, aber in diesem Moment erschien sie ihm großartig und schön, und er verwunderte sich darüber, wie man diese Schweigsame nicht mehr beachte. Er vernahm nicht genau, was sie bescheiden einwendete, noch wie sie der Schauspieldirector beschwichtigte, weil er den Bewegungen ihrer Mienen, den Geberden ihrer 159 Hände folgte und den einfarbigen, aber angenehmen Ton ihrer Stimme als Klang an sich selbst so eindringlich fand, daß er den Inhalt der Rede überhörte. Er wurde aus dieser Zerstreuung durch die lebhafte Rede Albertinens, des zweiten Fräuleins, geweckt, die mit Scherz und Ernst gegen ihre Rolle der Maria protestiren wollte: der Ton ihrer Stimme war hell und silberrein, die Zunge schnell, ohne doch die Worte zu übereilen; so bestimmt sie sich ausdrückte, so fühlte man in der Weichheit des Accents doch, daß sie sich überreden lassen würde und nicht ungern; es herrschte, mit einem Wort, jene Anmuth in ihrem eifernden Protest, die den kleinen Verstellungen und unschädlichen Unwahrheiten der edlern Geselligkeit einen so großen Reiz verleihen.

Und nun – fing die kleine, muthwillige Dorothea an – die größte Schauspielerin, mich, übersehen Sie so ganz, kunstreicher Baron? Ich hatte mir auf die Adelheid Rechnung gemacht und dachte das ausbündige Laster so recht glänzend darzustellen, daß alle Welt die Tugend nicht mehr achten sollte, – aber Sie –

Gedulden Sie sich, Fräulein von Selten, sagte Mannlich, für dies Mal können Sie nur mit einer Zigeunerin abgefertigt werden, wenn Sie nicht vielleicht die höchst schwierige Aufgabe des Franz übernehmen möchten.

Nein! rief die Kleine aus, den verdrehten Enthusiasten, der von Anfang zu Ende außer sich ist, will ich auf keinen Fall; den hat ja auch schon der Bruder Albertinens, der Cadet; folglich bleibt mir die Zigeunerin, wenn man mir nicht vielleicht ihr Gegentheil, die höchst ehrbare Elisabeth, anvertrauen will.

Aber wo bekommen wir diese edle, hochherzige Elisabeth her? fragte jetzt lebhaft Albertine.

Da erhob sich Mannlich und ging mit edlem Anstand 160 zur alten Dame. die mit den beiden Fräulein gekommen war und sagte: Aus dieser Noth, Fräulein, rettet uns Ihre liebenswürdige, vortreffliche Taute.

Wie? ich? rief die Tante mit dem höchsten Erstaunen aus.

Sie selbst, Verehrungswürdige, und keine andere, antwortete Mannlich. Ich weiß auch, Sie werden sich dem nicht entziehen; ich kenne Ihr Talent und eben so Ihre Gutmüthigkeit, die es nicht über sich gewinnen kann, anderen eine Freude zu verderben.

Lieber Baron, sagte die alte Dame in einiger Verwirrung, vor zehn oder zwölf Jahren hätte ich Ihren Vorschlag vielleicht nicht so ganz unannehmlich gefunden, denn Sie wissen wohl noch, daß ich mich damals verleiten ließ, mit einigen Befreundeten allerhand Stücke, die damals in der Mode waren, aufführen zu helfen; aber seitdem bin ich aus der Uebung, ich habe den Muth, oder Uebermuth, der dazu gehört, völlig verloren. Und hätten Sie mir wenigstens von Ihrer sonderbaren Zumuthung etwas geschrieben, damit ich mich hätte vorbereiten können.

So wären Sie uns gewiß gar nicht gekommen, Vortrefflichste, erwiederte Mannlich, und daher bediente ich mich dieser kleinen Kriegslist und dieses Ueberfalles, um Sie für uns zu gewinnen. Ich habe in früheren Zeiten Ihr Talent kennen gelernt, Sie werden Ihr Gedächtniß nicht ganz verloren haben, und wenn Sie erwägen, daß ohne Ihre gütige Beihülfe alle unsere Anstalten zusammenbrechen müssen, so werden Sie sich uns gewiß nicht entziehen.

Da die beiden Nichten auch schmeichelnd und liebkosend ihre Bitten vortrugen, so ergab sich endlich die freundliche Tante darein, die Rolle der Elisabeth zu übernehmen.

Und was, fragte der Professor Emmrich, haben Sie mir bestimmt?

161 Sie sind Sickingen, Professor, erwiederte Mannlich, und wenn Sie Ihrem edlen Gesicht einen etwas freundlichern Ausdruck geben, so wird der brave Rittersmann sich in Ihrer Darstellung uns sehr lebhaft vergegenwärtigen.

Ich will das Mögliche thun, antwortete der Professor, aber nun fehlt noch Selbitz, Lerse und eine große Anzahl von Nebenpersonen.

Es ist nicht zu vermeiden, antwortete Mannlich, daß mancher von unserer ungeübten Gesellschaft in diesem so reichen Lebensschauspiel wird zwei, vielleicht sogar drei Rollen übernehmen, wie es ja auch wohl früher mit diesem Stücke auf unseren großen, gut eingerichteten Theatern geschah. Unser Professor Lorenz hier zum Beispiel –

Wen meinst Du? fragte Elsheim.

Deinen jungen Freund, den Du unserm Zirkel zugeführt hast, den Architekten.

Ah! Du meinst meinen Freund Leonhard.

Nun also, fuhr Mannlich fort, dieser junge treffliche Mann eignet sich ganz zum Lerse; auch bin ich überzeugt, daß er den Bruder Martin vortrefflich geben wird. So spielte ja auch der große Schröder vor jetzt ungefähr dreißig Jahren, als er das Stück in Hamburg auf die Bühne brachte, diese beiden Personen und den Abt von Fulda obenein.

Sehen Sie, rief Dorothea, daß Schröder die hübschen Geschichten und Späße mit Liebetraut, Olearius und dem Abte nicht ausgelassen hat. Der verstand die Sache. Wir kriegen gewiß nach Herrn von Elsheims Abkürzungen nur das Erbärmliche der Geschichte, und das Lustige geht uns verloren.

Geben Sie sich zufrieden, Fräulein, sagte Elsheim, wir können die Scene noch einschieben, wenn Sie uns den dicken Abt darstellen wollen.

162 Fräulein Dorothea lachte und meinte, wenn es seyn müsse, wolle sie sich doch lieber in den anständigern Bischof von Bamberg hinein studiren.

Nein, sagte Mannlich ganz ernsthaft, das ist der Theil, der unserm würdigen Freunde da, dem Grafen Bitterfeld, zugefallen ist, und der ihn auch gewiß würdig repräsentiren wird.

Ein Priester! rief der Graf aus, so ein abergläubischer Pfaffe? Es ist eigentlich gegen meine Grundsätze; indessen da er doch ein Bischof ist und, so viel ich mich erinnere, nicht vielen katholischen Fanatismus auskramt. so will ich mich für dies Mal zu diesem Opfer bequemen. Nur, bitte ich, soll es mir zu keinem Präjudiz gereichen, als wenn ich etwa, wie so manche guten Köpfe unserer Tage, zum Katholicismus hinüber neigte.

Sie können ja noch den Anführer der Reichsarmee übernehmen, oder den Kaiser Maximilian, um jenen Verstoß gegen die Rechtgläubigkeit wieder gut zu machen! sagte Elsheim.

Va! es gilt! rief der Graf, ich bitte mir aber lieber den milden, menschenfreundlichen Kaiser aus, der meinem Gemüthe mehr zusagt.

Es paßt zum Stück, sagte Mannlich sehr vergnügt, und Sie können gewiß auch noch eine Gerichtsperson von Heilbronn übernehmen, denn solche Talente, wie die Ihrigen, müssen wir recht gewaltig in Requisition setzen.

Nun fehlt aber immer noch der bedeutende Selbitz, warf Emmrich ein.

Still, Professor! erwiederte Mannlich mit schlauer Miene, es ist für alles gesorgt. Wir haben im nächsten Dorf einen Schulmeister, der früher Corporal war, und dem im Kriege das linke Bein weggeschossen wurde. Dieser, wenn er sich seiner ehemaligen Husarenlaune nur etwas erinnert, wird uns den rauhen Kerl ganz herrlich hinstellen, wozu noch der 163 Vortheil und Vorzug kommt. daß er ein ächtes wahrhaftiges hölzernes Bein mit sich führt. – Den Zigeunerhauptmann, lieber Elsheim, wird Dein alter treuherziger nußbrauner Förster vorstellen, und zum Gesindel, den Reichstruppen, Knechten und so weiter müssen wir dann freilich noch die Klügsten der Dienerschaft aussuchen, denn so ein Privat-Theater macht mehr noch, als die Revolution, alle Stände und Menschen gleich.

Man lachte, und die Frau des Hauses, die Mutter des Barons Elsheim, entfernte sich jetzt, weil sie der Vorlesung des Stückes nicht beiwohnen wollte. Da es ihr ganz unbekannt war, zog sie es vor, sich durch die Darstellung überraschen zu lassen und der Neugier und Spannung freien Raum zu geben.

Die Vorlesung währte länger, als drei Stunden. Der Recitirende hatte viele Noth, Wasser, Citronen und Zucker einzurichten, um in den Pausen seine ermüdete Stimme neu zu beleben. Als er geendigt hatte, nahm der Graf Bitterfeld den jungen Elsheim beiseit und sagte: Es ist ein außerordentlicher Mann mit den wunderbarsten Gaben! Es ist kaum möglich, mehr Talente in sich zu vereinigen. Hat er uns nicht das ganze große ungeheure Stück so in einem Anlauf vorgelesen, daß man erst recht fühlt, wie das Ganze ein einziger Guß, ein mannichfaltiges vielstimmiges Concert in schönster Harmonie ist? Wie groß allein die körperliche Anstrengung, und was muß nun erst in seiner Seele alles vorgehen! Solche Männer, wie unser Baron, sollte der Staat benutzen. Aber daran denkt Niemand.

Elsheim gab dem redseligen Manne vollkommen Recht, und nach einem so bewegten Abend begaben sich alle zur Ruhe.

Doch konnte Leonhard lange nicht einschlafen, so lebhaft bewegten sich vor seiner Seele die mannichfaltigen Bilder und Erinnerungen von dem, was er am Tage gesehen und 164 erlebt hatte. Und wie es zu geschehen pflegt, daß von verschiedenartigen zerstreuenden Eindrücken, von allerlei Vorfällen und Reden, die wir nicht vergessen können, überwältigt, wir uns selbst verlieren, so geschah es Leonhard, daß er sich, sein Gemüth und Wesen, und seine längst eingewohnten Ueberzeugungen nicht wieder finden konnte. So nahe war er in seinem bisherigen Lebenslauf den höheren Ständen noch niemals gekommen, so frei und ungezwungen hatten die Menschen dieser Art ihre Gesinnungen noch niemals vor ihm entfaltet. Sollte er seine Gefühle Lügner schelten, oder sollte er seine Beobachtung sich selber abläugnen? Die wunderlichsten Traumgestalten erlösten ihn endlich von diesen quälenden Betrachtungen.

Als man sich am folgenden Tage an die Tafel begeben wollte, sagte der Baron Mannlich zu Elsheim: Freund, welchen Schatz hast Du an diesem Architekten Leonhard in Dein Haus geführt! Mir ist noch Niemand vorgekommen, der einen so auf das halbe Wort verstände. Das Theater geräth durch seine Einsicht ganz vortrefflich, und wir werden acht Tage früher fertig werden, als ich es dachte, denn er scheut sich nicht, selber mit Hand anzulegen, wenn Deine dörflichen Tischler sich oft sehr ungeschickt benehmen. Der Mann hat gewiß Italien mit großem Nutzen besucht. Aber warum vermeidet er, französisch zu reden, obgleich sein Accent nicht der schlechteste ist? Ich würde bei seinen Talenten und Kenntnissen in meinem Benehmen und Sprechen nicht so schüchtern und bescheiden seyn.

Elsheim war bei Tische sehr vergnügt und neckte sich mit der muntern Dorothea, neben welcher er seinen Platz genommen hatte. Leonhard saß neben Fräulein Charlotte und war erstaunt und ergriffen, so oft sie sich in die Gespräche mischte und laut eine Meinung äußerte. Denn meistentheils 165 saß sie schweigsam und in sich gesammelt und schien kaum das zu beachten, was in ihrer Nähe vorging, oder gesprochen wurde. Wenn sie aber in die Rede einfiel, oder einen Gedanken mittheilte, so schien dem verwunderten Leonhard alles so originell und von der gewöhnlichen Art und Weise abweichend, daß er es nicht begriff, wie diese Art zu denken nicht weit mehr Aufsehen erregte und als etwas Merkwürdiges von allen beachtet wurde.

Man sprach natürlich viel vom Theater, von den Einrichtungen desselben, den Proben und von der Wirkung, welche man von allen den Anstrengungen zu erwarten berechtigt sei. Es ward manches Glas auf das glückliche Gelingen des Abentheuers geleert, und Elsheim, der schon heiter gestimmt war, fing an ausgelassen zu werden. Ihr Freund, sagte Charlotte zu Leonhard, ist heut in einem Humor, der ihm fremd seyn muß, weil er sich so sehr von ihm hinreißen läßt und in seinen Scherzen übertreibt.

Ich versichere Sie, mein Fräulein, antwortete Leonhard, daß ich ihn schon sehr oft in dieser Manier gesehen habe, selbst in ganz nüchternem Muthe. Diese poetische Trunkenheit bemeistert sich seiner in vielen Stunden, so daß er leicht von Altklugen, oder Moralisirenden mißverstanden wird.

So sollte er immerdar so seyn, erwiederte Charlotte, denn dies Wesen kleidet ihn viel besser, als jene Altklugheit, mit der er sonst auf andere Sterbliche hernieder sieht.

Ist das Ihr Ernst, Fräulein? halten Sie ihn für hochmüthig?

Für zu weise wenigstens. Ich habe gestern beobachtet, daß er auf einige allerliebste Thorheiten gar nicht einging, ja sie nicht zu bemerken schien. Und wie behandelt er meine Muhme Albertine! Er läßt es zu sehr heraus, daß er sie für ein Gänschen hält, und daß er in diesen Irrthum 166 hat fallen können, beweist eben, wie wenig Menschenkenntniß er besitzt.

Leonhard erinnerte sich der Geständnisse seines Freundes, und da ihm deutlich war, weshalb diesem Albertine unangenehm erschien. konnte er auch im Augenblick diesen Tadel und Vorwurf nicht beantworten oder widerlegen; Charlotte sah ihn von der Seite an und lächelte etwas boshaft. Ich wette, sagte sie dann, ich weiß, was Sie jetzt denken.

Daß Sie eine Zauberin sind, antwortete Leonhard, braucht mir nicht erst daraus klar zu werden. Doch erzählen Sie mir meine Gedanken, weil ich so vielleicht erfahre, wie ich denken sollte.

Sie denken im Stillen, flüsterte Charlotte, die Frauenzimmer halten gut zusammen und stehen sich redlich bei; wenn beide ihren Verstand so gegenseitig vertreten, so bilden sie eine Assecuranz, die doch am Ende, wenn Mißwachs zu oft eintritt, bankerott machen muß.

Sie sind sehr unbillig, antwortete Leonhard, und Sie halten mich auch weder für so boshaft, noch so einfältig, daß Sie im Ernst so thörichte Gedanken in mir argwöhnen könnten.

Denken Sie nichts Schlimmeres von mir, erwiederte sie etwas scharf, so werde ich mit Ihnen sehr zufrieden seyn. O die Männer! die Männer! Liegt nicht in jedem Blick eine Satire auf unser Geschlecht, und in jeder Schmeichelei eine Verachtung unserer Schwäche?

Woher in dieser Jugend diese feindselige Gesinnung? fragte Leonhard; und woher bei so viel Schönheit solcher Mangel an Selbstvertrauen? fügte er etwas schüchtern hinzu.

Sie wandte schnell das Haupt, und er blickte ihr in die dunkeln Augen. Ihr Ansehen, sagte sie dann, ist recht ernstlich; wenn Ihr Blick auch, wie bei den meisten, Unwahrheit wäre, so hätten Sie es in der Verstellung weit gebracht.

167 Leonhard wußte nicht recht, was er aus dieser Rede machen sollte. Es war ihm fast angenehm, daß man sich jetzt vom Tische erhob, obgleich ihn seine Nachbarin anzog, und ihr Wesen ihm wunderbar und räthselhaft erschien. Elsheim war so ausgelassen, daß er alle seine Gäste, die älteren und jungen Damen, keine ausgenommen, umarmte und küßte. Seine Mutter, die ihm warnende Vorstellungen machen wollte, drückte er mit so starker Herzlichkeit an sich, daß sie sich lachend und klagend von seinem Ungestüm befreite. Die Tante und die jungen Nichten, so wie Dorothea, gingen auf ihr Zimmer; Mannlich schloß sich ein, um seine Rolle zu studiren; die übrigen Herren fuhren spazieren, und Leonhard eilte mit seinem Freunde Elsheim in den Garten, um sich mit ihm in einer kühlen, einsamen Laube in Gesprächen zu ergötzen.

Nun? fragte Elsheim nach einer Pause, in welcher er den jungen Meister etwas schelmisch angeblickt hatte, – wie gefällt es Dir denn bei uns? Du siehst oft so nachdenklich aus.

Gesteh' ich es Dir nur, erwiederte Leonhard, ich bin verwirrt, zerstreut, ich kann mich gar nicht so fassen, bin nicht so sicher und ruhig, wie es mir zu Hause so natürlich war. Ich mache Erfahrungen, auf die ich nicht vorbereitet seyn konnte, ich werde irre an meinen nächsten Ueberzeugungen, ich schwanke so hin und her, daß ich fürchte, ich möchte Dir und mir Unrecht thun, wenn ich in diesem Zustande etwas sagen, oder behaupten wollte.

Schon jetzt bist Du so confus? rief Elsheim; ich dachte, das alles sollte erst viel später kommen. Aber um so besser; Deine Ruhe und Sicherheit können also auch früher wieder eintreten. Aber was kann denn Deinen Sinn so erschüttern?

Ich kann es Dir jetzt noch nicht sagen, lieber Freund, um Dich nicht zu erzürnen. Vielleicht findet sich bald eine 168 Stunde zu meinen Bekenntnissen. Ich habe wohl schon erlebt, daß aus einfachen Mißverständnissen und Irrthümern sich Entzweiung, selbst Feindschaft entwickelte. Sprechen wir von anderen Dingen. – Alles dies sagte Leonhard fast wie verstimmt und furchtsam.

Und ich lasse Dich nicht, rief Elsheim laut lachend, diese Stunde ist zu schön, wir sind hier auf lange ungestört. Und wenn ich fast errathe, was Dir im Herzen steckt, oder wo Dich der Schuh drückt, – wie kannst Du denn so lange auf dem Anstand bleiben und nur zielen und zielen, ohne loszudrücken?

So sei es denn gewagt! sagte Leonhard mit einem komischen Seufzer. Du sprachst mir unterwegs fast begeistert von einem Freund, der auf Deine Bildung eingewirkt, der Dir in Sachen des Geschmacks zur Richtschnur gedient, der Dir beinahe als Ideal erschien, dessen Stimme Du rühmtest, seinen Vortrag bewundertest, der –

Elsheim sprang auf und umarmte den Redenden heftig, indem er wieder laut lachte. Ueber diesen, liebster, allerbester Junge und verehrungswürdigster Freund, genire Dich gar nicht! Recensire ihn, brich über ihn den Stab! Er soll Dir völlig Preis gegeben seyn, denn wie Du über ihn scherzest, oder ihn ernsthaft verurtheilst, das kann mich nicht im mindesten beleidigen.

Er hatte sich wieder an seinen Platz gesetzt, und Leonhard sagte etwas empfindlich: Der Wein hat Dich heut so stürmisch und ausgelassen gemacht, daß mir bange wird. So schonungslos Du diesen alten Freund jetzt aufopferst, so kannst Du mich auch vielleicht in einer ähnlichen Laune irgend einmal wegwerfen.

Sei gescheidt, rief Elsheim, sei nicht kindisch, verständiger Aufgeklärter. Das ist ein ganz anderer Fall. Ich werfe ja diesen trefflichen Mannlich nicht so unbedingt weg; 169 ich kann aber mit einem wahren Freunde, wie Du es mir bist, wohl frei über einen jugendlichen Irrthum sprechen und dreist bekennen, daß damals ein Staar auf den Augen meiner Seele gelegen haben muß, eine blendende Kraft, ich habe den Brill gehabt, wie es unsere guten Vorfahren nannten. Das begegnet ja wohl in der heftigen Jugend, daß man sich irrt; man sieht dies und jenes am sogenannten Freunde, das uns stört, man hält es aber für gottlos, es in Rechnung zu stellen, ja es selbst zu bemerken. So taumelt man hin in einer sonderbaren Selbsttäuschung, bis man denn später erwacht.

Gewiß, sagte Leonhard, soll man aber seine Freunde nicht kritisire; hat man aber auf Treu und Glauben jemand in Zeiten, in denen man noch nicht beobachten kann, als Freund angenommen, so ist es auch nichts Unerlaubtes, wenn man in reiferen Jahren Vertrauen und Liebe beschränkt, oder zurückzieht.

Sehr gesetzt gesprochen, antwortete Elsheim, und so will ich Dir denn gern gestehen. daß ich in meinem Leben noch nicht so getäuscht worden bin, als in dem Augenblick, in welchem ich diesen meinen Mannlich wiedersah. Ich möchte sagen, daß er seit lange schon seine Natur und sein Wesen ausgezogen und irgend wohin, wie alte unbrauchbare Kleider, verkauft hat; so hat er sich nun eine Maske angeschafft, die sein Wesen vorstellen soll, eine treuherzige Biederkeit, die tapfer und gutmüthig aussehen muß, eine Herablassung, wie wenn er alles am besten wisse und den andern nicht immerdar beschämen wolle. Man fühlt es ihm an, daß er nur mit Leuten umgeht, unter denen er stets der Klügste ist, oder es sich wenigstens zu seyn dünkt. Nichts verdirbt den Mann so sehr und erniedrigt ihn nach und nach zum alltäglichsten Philister. Da hören wir nur lauter Phrasen, umständlich 170 ausgesprochen, Dinge. die sich von selbst verstehen, oder die als ausgemachte Wahrheiten mit kalter Unumstößlichkeit gesagt werden, aber erst tausendfache Erörterungen verlangen, ehe sie uns für wahr oder verständlich gelten können. Enfin, er ist ziemlich unausstehlich.

Leonhard mußte lachen. Wie mundet Dir denn sein Vorlesen? fragte er dann.

Du hast vollkommen Recht, fiel Elsheim schnell ein, wenn Du diese Art vorzutragen völlig unausstehlich nennst. Diese hohle, gemachte Stimme, die in trockener Affectation das Edle und Natürliche ausdrücken will. Er schenkt uns keine, auch der allerkürzesten Sylben, er dehnt sie vielmehr auf fühlbare Weise. Unser sogenanntes stummes E wird zwar dadurch nicht beredt, aber wenigstens vorschreiend und langweilig. So entsteht, indem freilich nichts verloren geht oder dunkel bleibt, eine so entsetzliche Deutlichkeit des Vortrags, daß von leisen oder geistigen Uebergängen, von einem feinen, zarten Schwinden und Abfallen der Sylben in Wehmuth und Schmerz nicht mehr die Rede seyn kann. So hat ja auch seine Vorlesung gegen vier Stunden gedauert.

Und wie wird erst sein Spiel ausfallen, sagte Leonhard, wenn seine Geberden eben so umständlich sind, wie seine Aussprache! Dann muß diese hohle Feierlichkeit einen merkwürdigen Effekt machen. Und so dürfte denn unser Lieblingsgedicht zu einer Parodie herabgewürdigt werden.

Man muß ihn nun schon gewähren lassen, antwortete Elsheim; es geht ja oft so im Leben, daß enthusiastische Plane zum Lächerlichen ausschlagen.

Nur, fing Leonhard nach einer Pause wieder an, hättest Du an mir nicht einen kleinen Verrath begehen sollen, und mich ihm gewissermaßen opfern, da Du selbst ihn ganz anders ansiehst, als vor einigen Jahren.

171 Was kannst Du meinen? lieber Leonhard.

Er weiß ja, daß ich ein Tischler bin, und von wem kann er es erfahren haben, als von Dir? –

Er weiß es, sagst Du –

Nun ja, denn er sprach gestern höhnisch von Tischler-Gleichnissen und dergleichen.

O mein Freund, rief Elsheim aus, deute nur nicht gleich jede Zufälligkeit so, wie einer, der kein gutes Gewissen hat. Ich schwöre Dir, er läßt sich dergleichen von Dir nicht träumen; er bewundert Dich im Gegentheil als einen außerordentlichen Architekten und gelehrten Professor. Er hat Dich höchlich gelobt, und erstaunt nur darüber, daß Du selbst mit dem Hobel so gut umzugehen weißt. Die eigentliche Handarbeit solltest Du daher auch lieber unterlassen.

Du kannst es Dir nicht denken, erwiederte Leonhard, wie es einem tüchtigen Arbeiter in die Hände fährt, wenn er diese Meister vom Dorfe und diese Gesellen aus den kleinen Städten so ganz ungeschickt handthieren sieht. Man kann nicht lassen zuzugreifen, und dem linkischen Volk einige Griffe zu zeigen. Die Glieder sind bei vielen Menschen eben so dumm, wie der Kopf. – Giebt es denn aber, mein Freund, viele solcher vornehmen Leute, wie dieser Graf Bitterfeld einer zu seyn scheint?

Guter Leonhard, erwiederte der Baron, dieser Mann ist eigentlich der wahre einfache Typus unserer Classe, und was drüber oder drunter ist, ist nur als Abweichung zu betrachten. Von allem etwas wissen und von nichts etwas Gründliches; Gründlichkeit und Tiefsinn, wo sie sich zeigen, zu verlachen und in demselben Augenblick eine ernste Miene, ja eine andächtige der Verehrung ziehen zu können, wenn man merkt, daß ein Höherer, oder Fürst diese Eigenschaften an diesem und jenem hochschätzt. Spricht er dann in seiner 172 Familie, oder zu den Vertrautesten über den Fürsten, so ist die Achtung, welche er jenen Kenntnissen zollt, nur als Krankheit anzusehen; darüber sind denn auch alle Genossen einig, und zwar mit der festesten und kältesten Sicherheit. Alles ist ihm nur Erscheinung, vorübergehend aus Mode, außer dem Begriff des Adels, der Etikette an den Höfen, der Uniformen und des Ranges, den jeder bei Tafel, oder in den Assembleen einzunehmen hat. Alle Mesalliance bei Heirathen, vertrauter Umgang mit Bürgerlichen, Studium einer Wissenschaft, Absonderung und Meiden der großen Gesellschaft, alles dies erscheint ihm eben so als Schwärmerei und Fanatismus, wie die Secte der Wiedertäufer oder Adamiten.

Und doch läßt er sich herab, Comödie zu spielen? warf Leonhard ein.

Wenn Du erfährst, antwortete Elsheim. daß einer der berühmten Kaunitze, ein Kobenzl ein enthusiastischer Comödiant war. der sich mehr als einmal durch diese Leidenschaft lächerlich machte; wenn Du Dich erinnerst, daß die unglückliche Königin von Frankreich und der Comte d'Artois auch gern Comödie spielten, den Herzog von Orleans und den Duc Conti nicht einmal gerechnet, so wird Deine Verwunderung aufhören. Es ist seitdem als die Schwäche und Herablassung großer Charaktere anzusehen. Darum wird er auch auf dem Theater mit dem geringsten Spielenden freundlich und fast vertraut umgehen, denn Bühnen-Verhältnisse lösen noch mehr als Bade-Bekanntschaften die Fesseln der Etikette.

Leonhard fuhr fort: Wenn sich mir Deine Beschreibung des Baron Mannlich nicht bestätigte, so bin ich noch mehr an jener in Ansehung des Fräuleins Albertine irre geworden.

Wie so?

Sie ist ja so liebenswürdig, innig und kindlich 173 freundlich, daß Deine Schilderung gar nicht auf sie paßt. Und ihre Stimme, ohne ihre anderen Vorzüge! Ich habe noch nicht leicht einen Ton gehört, der so unmittelbar zum Herzen spricht. Man braucht nicht einmal auf den Inhalt ihrer Rede hinzuhorchen, so erweckt der Silberklang dieses schönen Organs auch ohne Weiteres poetische Vorstellungen in unserm Gemüth, eine anmuthige Rührung, eine schöne Erhebung unsers Geistes.

Still! mein Freund, rief Elsheim, Du bist ganz nahe daran, Dich in dieses Gesichtchen und die klaren blauen Augen zu verlieben, wenn es nicht schon geschehen ist. – Nun, was werde ich über Charlotten hören?

Verliebt! rief Leonhard; sieh Freund, dies ist eins von den Worten, die in der Welt am allermeisten gemißbraucht werden. Ich werde einer solchen Gefahr nicht unterliegen. – Nun, Charlotte? diese ist eins von den Wesen, so scheint es mir nach kurzer Bekanntschaft und Beobachtung, über welche es unendlich schwer, vielleicht unmöglich ist, ein wahres Urtheil zu fällen. Sie ist ein tiefes, poetisches Gemüth, schweigsam, weil ihr der gewöhnliche, hergebrachte Ausdruck nicht genügt, weil der gemeine Gegenstand der meisten Reden und Gespräche ihr wohl zu gering seyn mag. Sie scheint ganz Leidenschaft und Enthusiasmus. In ihrer Nähe und von ihren Worten berührt, ist mir gewesen, wie in der schönsten, ganz poetischen Einsamkeit. Wald und Fluß sprechen dann auch, aber in gereizter und erhobener Stimmung so innigst, daß jeder der räthselhaften Laute eben so sehr zum Schmerz als zur Wonne wird.

Du bist in einer fatalen hyperpoetischen Stimmung, antwortete Elsheim. Auf solchen Wegen wirst Du die Menschen niemals kennen lernen. Ich sage Dir, Deine vergeistigte Albertine ist ein albernes Gänschen, und diese Deine 174 wundersame Charlotte eine recht eigentliche Coquette, nur auf ihre eigenthümliche, etwas seltsame Art. Dich haben gewiß in früher Jugend auch jene Sterne, Sonnen und Blumen erfreut, die man aus dunkelrother, oder rubinfarbener, himmelblauer und glänzend grüner Folie und dünnen Blechen schneidet. Diese Zierrathen waren einmal sehr Mode. Wie matt sieht gegen diese funkelnden Stücke jede Malerei aus! Selbst die Natur kann in Laub und Blumen nicht mit diesen Prachtstücken wetteifern. Aber nur ein kindischer Sinn wird davon geblendet; der Maler kann diese Effekte weder hervorbringen, noch will er es. Die heilige Zartheit der Natur zieht sich vor jedem Wettstreit mit diesen Decorationen zurück. Zu diesen zauberischen Prunkflittern, diesen dunkel-glänzenden Folieblumen gehört eben Charlotte.

Du nennst sie Coquette, sagte Leonhard; ist sie es, so muß man sie hassen.

Warum das? fragte der Freund; nur nicht Natur, Gesinnung, Gemüth und Wahrheit in ihr sehen wollen, oder die Begeisterung und Freude von ihr erwarten, die uns ein Kunstwerk zuführt.

Du bist Deiner Sache auch vielleicht zu gewiß, erwiederte Leonhard etwas empfindlich; vielleicht wäre die Verbindung mit Albertinen – Du sagtest mir, daß Deine Verwandten sie wünschten – Dein Glück.

Wie bist Du nur? rief Elsheim aus, ich kenne Dich heut nicht wieder; Du solltest doch Deine Freude, die Du an diesen thörichten Mädchen hast, nicht mir anzwingen wollen. Suche jeder sein Glück auf seinem eigenen Wege.

Leonhard wollte eben antworten, als sie durch einen Bedienten unterbrochen wurden, der, weil er den jungen Baron schon allenthalben gesucht hatte, keuchend in die Laube trat. Was giebt's? fragte dieser.

175 Ach! gnädiger Herr, sagte der Diener, hier ist der alte Förster Rudolf, der im Hause und im ganzen Garten herumläuft, heulend und schluchzend, und der Sie mit aller Gewalt sprechen will.

Elsheim ging dem alten Jäger entgegen, und dieser lief schon mit den Zeichen des größten Schmerzes auf ihn zu, die Hände ringend und dann wieder mit seinem Tuch die Augen trocknend. Alter, um Gotteswillen! rief der junge Edelmann aus, was ist Euch für ein Unglück begegnet? Faßt Euch, alter Mann! Mit diesen Worten ergriff er die Hand des Alten und suchte ihn zu beruhigen, erschrocken, wie er selber war.

O, gnädiger Herr, klagte der Alte, daß mir noch in meinen allerletzten Tagen dergleichen begegnen muß! Ich dachte, nun bald mit Ehren in die Grube zu fahren, und soll noch solchen Schimpf vor meinem seligen Ende erleben!

Aber was ist Euch zugestoßen.

Man sagt ja, rief der Förster, daß Sie es durchaus wollen, junger Herr. Der Heinrich ist zu mir gelaufen gekommen, ich soll einen Comödianten abgeben, und wenn es noch Kaiser, König, oder eine Art Herzog wäre, den ich ausführen soll! Nein, geradezu einen Spitzbuben, einen Mordbrenner! Und auch das würde ich mir noch gefallen lassen, wenn der Mensch noch ein ehrlicher, ordinärer Spitzbube wäre. Aber einen Zigeuner soll ich agiren! Ich werde vor allen meinen Jägerburschen zu Schimpf und Schanden, denn es sind noch nicht zehn Jahre her, als sie drüben, jenseits, über der Gränze einen solchen verruchten Zigeuner aufknüpfen thaten, wie er es auch verdiente. Damals ist die ganze Landschaft von hier, und ich selber mit, hinüber gelaufen, um den Skandal anzusehen. Und nun soll ich einen solchen giftigen heidnischen 176 Hund vor meiner Herrschaft und allen Dienern und den Fremden vorstellen. Das überleb' ich nicht.

Elsheim nahm den alten Mann, der ganz außer sich schien, beiseit und ging in der Lindenallee lange mit ihm auf und ab, um ihn durch gütliches Zureden zu beschwichtigen. Leonhard beobachtete aus der Ferne ihr lebhaftes Gespräch, und als sich die Freunde am Abend wieder trafen, sagte der Baron: Nun fängt das Leiden der Comödie auch schon an, daß die Menschen nicht mit ihren Rollen zufrieden sind.


Es vergingen nun mehrere Tage unter mancherlei Zerstreuungen und verschiedenen Arbeiten. Das Theater war unter Anleitung Leonhards und des Barons Mannlich schon bedeutend vorgeschritten; man hatte die Leseprobe gehalten, zu unendlicher Ergötzlichkeit der kleinen muthwilligen Dorothea. Denn bei Abschrift und Austheilung der Rollen hatte es sich erst erwiesen, daß man eine der hauptsächlichsten bis dahin völlig vergessen hatte, den muntern, herrlichen, treuen Georg nehmlich. Nun bat man dringend und freundlich, daß Dorothea diesen, statt ihrer Zigeunerin, übernehmen möge, und sie ließ es sich endlich gefallen, in der Tracht eines Knaben aufzutreten. Beim Lesen ihrer Rolle wendete sie manche Stellen höchst muthwillig so, daß es wie Verspottung der zerstreuten und vergeßlichen Directoren klang. »Da flog das Meislein auf ein Haus und lacht den dummen Buben aus«, klang, von ihrem Gelächter accentuirt und durch ihre Blicke commentirt, für den Baron Mannlich fast etwas zu anzüglich. Indessen ließ sich seine ehrenfeste Haltung von dem kleinen Schadenfroh, wenn auch einige mitlachten, nicht aus der gesetzten künstlerischen Fassung bringen.

177 Leonhard hatte auch schon einen Brief von seiner Frau durch seinen Freund erhalten, nachdem er ihr sogleich nach seiner Ankunft auf dem Gute geschrieben hatte. In seinem Hause stand alles gut, und so war er jeder Sorge enthoben.

Ein Theil der Gesellschaft hatte sich bei dem schönen Wetter auf die Reise begeben, um einige theatralische Vorstellungen in einer namhaften Stadt, wo sich derzeit eine gute Schauspieler-Truppe befand, anzusehen. Der Ort war zwar eine ganze Tagereise entfernt, indessen bestand diese Sommergesellschaft, die sich auf dem Landhause versammelt hatte, aus Menschen, die mit der Zeit etwas großmüthig umgehen konnten, weil sie, Leonhard abgerechnet, alle ohne Beruf und Beschäftigung waren. Elsheim vorzüglich betrieb diese Reise, da er sich von der Langeweile und Anstrengung erholen wollte, die ihm die gerichtliche Uebergabe des Gutes verursacht hatte, wobei die Förmlichkeiten, die Gerichtspersonen, das Ceremoniel und alles, was zu dergleichen Acten gehört, ihn wirklich sehr verstimmten und ihm in diesen Tagen für sein Theater und die poetischen Ergötzlichkeiten keine Zeit übrig ließen.

Als die jungen Leute nach vier Tagen etwas ermüdet zurückkamen, so wendeten sie sich wieder zu ihren theatralischen Belustigungen. Es war jetzt auffallend, wie oft man Leonhard mit Charlotten im eifrigen Gespräche sah, und wie die Schweigsame eilig in Fragen und Antworten war. Elsheim beobachtete sie lächelnd aus der Ferne und wendete sich zuweilen an Dorothea, um mit dieser über das Bündniß zu scherzen, welches jene beiden auf dieser Reise geschlossen zu haben schienen. Dorothea selbst aber war unterweges der schwermüthigen Albertine viel näher gekommen, und es bildete sich schnell eine vertraute Freundschaft unter den beiden jungen Mädchen, von denen jedermann bisher geurtheilt hatte, 178 da ihre Art und Weise so völlig verschieden war, daß sie sich niemals einander nähern würden.

Unter den Männern verbanden sich, so wie Elsheim den Baron Mannlich mehr vernachlässigte, dieser und Graf Bitterfeld mit jedem Tage inniger. Der Graf bewunderte die ausgebreiteten Kenntnisse seines neuen Freundes, so wie er immerdar von seiner Biederkeit gerührt wurde. Mannlich war gegen diese Anerkennung sehr dankbar, und übersah mit Freundlichkeit die Unwissenheit seines Genossen, dessen edles Herz und Menschenkenntniß er um so höher stellte.

Am einsamsten schien sich der Professor Emmrich in diesem bunten Zirkel zu befinden. Er studirte viel in seiner Gartenwohnung, die ihm Elsheim, weil er des Freundes Launen kannte, gern eingeräumt hatte. In diesem abgelegenen Pavillon sah die Dienerschaft noch oft Licht, wenn im Schlosse schon längst alles zur Ruhe gegangen war. Emmrich hatte es sich schon früh angewöhnt, in der Nacht fast mehr als am Tage zu leben; er bedurfte nur wenigen Schlafs und weniger Nahrung und hielt in seiner bizarren Laune das Meiste von dem, was andere Menschen Naturbedürfnisse nannten, nur für Angewöhnung und Nachgiebigkeit gegen Schwächen. So konnte er lange fasten, viele Meilen dabei zu Fuß gehen, ohne sich ermattet zu fühlen, und er gestand, daß er fast niemals Hunger oder Durst empfinde und sich eben so ohne Anreiz, nur mit willkührlichem Vorsatz an die Tafel begebe, wie er sich zum Schlafe endlich niederlege, ohne sich jemals überwacht zu fühlen. Diese seltsame Lebensweise war auch die Ursache, daß sich viele Menschen vor ihm fürchteten, welche unheimliche Furcht sein klarer Verstand und unbestechliches Urtheil noch vermehrten. Denn viele Menschen mögen mit sich selbst und ihren sogenannten Freunden nur in einer gewissen Dämmerung leben, wo nichts bestimmt 179 gesehen und unterschieden, wo nichts scharf ausgesprochen wird. Um so schlimmer, wenn diese einmal aus ihrem Schlaf erwachen. Darum erregt es dem Menschenkenner kein Erstaunen, wenn so oft Freundschaften, die innig schienen, sich um eine Kleinigkeit lösen und zuweilen sogar in bittern Haß verwandeln. Am meisten war Emmrich mit der verständigen Tante in Gesellschaft, und es war sichtlich, daß auch er Albertinen, welche von der Tante vorzüglich geliebt wurde, den übrigen jungen Frauenzimmern vorzog.

Du wirst krank werden, Albertine, sagte Dorothea, indem sie die Freundin liebkoste. Die beiden Mädchen hatten sich von der Abendgesellschaft zurückgezogen und saßen, in traulicher Dämmerung plaudernd und erzählend, einsam im Zimmer der Tante. Wie ich Dich kennen lernte, fuhr Dorothea fort, warst Du so heiter, sahst so klar aus den Augen, sprachst so richtige Vernunft, daß es eine Freude war, Dich zu hören und zu sehen. Und auch noch jüngst, als wir hieher reiseten – wie heiter und selbst fröhlich warst Du, – und jetzt verfällt Dein Gemüth von Tage zu Tage mehr. Unsere Herzen sind sich auf der Reise so schön begegnet. so gestehe mir nun auch, was Dich so traurig machen kann.

Ich weiß es selbst nicht, erwiederte Albertine, indem sie weinend die Freundin umarmte. Es ist ja so schwer, das, was uns oft ängstigt, in Worte zu fassen. Du bist immer heiter und unbesorgt, Dich ängstigt das Leben noch nicht, und darum hüte Dich, daß Du nicht auch einmal in diese Stimmung geräthst. Sieh, mein Herz, das Leben selbst ist es, was mich so wehmüthig stimmt, denn ich wüßte mich für meine eigene Person über nichts zu beklagen. Wie schnell ist der Frühling vergangen, wie bald wird der Sommer vorüber seyn! Wie hinfällig ist alles, wie vorübergehend und in den Händen verwelkend, worüber wir uns freuen 180 möchten! Alles verschwindet, ehe wir es genossen haben, und jeder folgende Tag straft uns Lügen, daß wir uns gestern auf ihn freuen konnten.

Das kann ich Dir alles nicht glauben, erwiederte Dorothea; ich habe zwar noch nicht so gar viele Erfahrung, aber ich denke denn doch, alle diese Weichmüthigkeiten kommen uns erst, wenn irgend was Wirkliches, ein wahres Leid unser Herz belästigt. Dich drückt etwas, Du geliebtes Wesen, und Du willst es mir entweder nicht bekennen, oder weißt es noch selber nicht recht, wie denn das auch wohl zuweilen der Fall seyn mag.

Nein, Geliebte, erwiederte das trauernde Mädchen, mir ist wohl, mir selbst tritt nichts feindlich entgegen; es ist eine allgemeine Trauer, die sich meiner bemeistert hat, eine Wehmuth, möcht' ich doch sagen, über alles Geschaffene. Du bist jetzt meine Freundin; weiß ich, wie lange Du es seyn kannst und wirst? ob Du mir nicht einmal, vielleicht bald, feindlich gesinnt bist? Wie wandelbar, wie schwach ist das menschliche Gemüth! Ich habe ja dergleichen auch schon in meinem jungen Leben erfahren.

Jetzt wurde auch die muntere Dorothea betrübt und sagte: Nein, so weit muß Deine Schwermuth nicht gehen, daß Du Deinen Freunden unrecht thust, Du versündigst Dich damit. Man muß Dich schwer verletzt haben, daß es Dir möglich ist, so unbillig zu seyn.

Nein! nein! rief Albertine heftig, Du irrst Dich, mein Herz, und so laß uns denn lieber von anderen Dingen sprechen. Wie hast Du Dich auf dieser Reise unterhalten?

Angenehm genug, erwiederte die Kleine; denn erstlich haben wir einander näher kennen gelernt, dann habe ich viel Neues gesehen, eine Oper, die mir fremd war, und ein neues Lustspiel, das Museum, die vielen Gemälde, die große 181 Wachtparade, und was dann noch außerdem an der zahlreichen table d'hôte im eleganten Gasthofe vorfiel.

Ja, ja, viel Neues! sagte Albertine seufzend, wären die Sachen nur auch löblich, wahrhaft aufregend gewesen. Diese armselige Oper und diese neue Sorte von Theaterstücken, – wie kann man nur Interesse an ihnen nehmen?

Doch, wenn man jung ist. Sind wir denn nicht überhaupt dazu da, immerdar etwas zu lernen?

So sprach Dorothea, und Albertine sah sie forschend an und fuhr dann fort: Sieh, mein Kind, ich verstehe die Menschen gar nicht mehr. Nicht wahr, mein Vetter, der junge Elsheim, wird von allen Leuten für einen sehr angenehmen Menschen gehalten? Man nennt ihn geistreich, wohlgebildet, fein, witzig, wohlwollend, selbst gelehrt, und wer weiß, was nicht sonst noch alles! Und doch sind wenige Männer, vielleicht giebt es keinen einzigen, der mir in jeder Minute, ja fast in jedem Augenblick, wenn ich in seiner Gesellschaft bin, einen so lebhaften Unwillen, ja einen tief empfindlichen Schmerz erregt. Wie ist es Dir denn in seiner Gegenwart?

Mir? fragte Dorothea; wahrlich, mir ist es noch gar nicht einmal eingefallen, mir diese Frage zu stellen. Er gefällt mir übrigens ganz wohl und kommt mir vor, wie die meisten Männer.

O Du unschuldiges Kind! rief Albertine aus, – Du siehst also nicht, wie in diesem jungen, hübschen, hochfahrenden Mann die ganze Verkehrtheit unsers Zeitalters so recht sichtlich dargestellt ist? Wie ist er mit sich selbst zufrieden, wie belehrt und hofmeistert er oft Andere über Dinge, die diese doch viel besser wissen. Er ist freundlich gegen alle ohne Ausnahme, aber in diesem Wohlwollen ist so viel bewußte und absichtliche Herablassung, daß es den Unschuldigen, 182 dem er sich auf diese Weise nähern will, weit mehr verletzen, als erfreuen muß. Und sein Lachen, sein höhnisches Lachen – meist über Dinge, die ihm nur deswegen komisch vorkommen, weil er sie nicht versteht. Ist nicht ein recht hochadliger Hochmuth in seiner Art, wie er mit seinem bürgerlichen Freunde Leonhard umgeht, der ihn doch, sogar in Gesellschaft, Du nennen darf?

Kind, sagte Dorothea, du thust dem Vetter Unrecht. Er ist ein ganz gutmüthiger und, wenn ich es recht überlege, ein allerliebster Mensch. So gefällig, so nachgiebig, der beste Wirth; gegen seine Mutter, die er doch so sehr übersieht, so ganz kindlich, so daß er es sie nie merken und empfinden läßt, wenn sie manchmal in seiner Gegenwart so ganz einfältig spricht. Er muß Dich einmal eigen beleidigt haben, oder ein Fremder hat Dich gegen ihn aufgebracht, sonst ist mir alles dies unerklärlich.

Sind doch andere Männer, fuhr Albertine fort, ganz anders beschaffen. Betrachte nur diesen bescheidenen, wahrhaft verständigen Leonhard. Möchte ich diesen doch das Muster eines gebildeten Mannes nennen, so ruhig und fest steht er auf sich selbst und bedarf keiner Bestätigung von außen oder von Andern. Er hat auch gar nicht das männlich Männliche, was mir schon als Kind so anstößig und ärgerlich war.

Ich verstehe Dich wieder gar nicht, sagte Dorothea.

Das ist ja mein Leid, fuhr Albertine fort, daß ich so ganz anders empfinde, und nichts davon, noch dazu thun kann. Ist es Dir denn nicht schon einmal im Leben recht empfindlich zuwider gewesen, wenn Männer beisammen sind und etwa im Preisen einer Pastete, oder eines delikaten Weines sich ergehn? Hast Du denn noch niemals bemerkt, daß dann dieser und jener auf eine recht widerliche Art den Mund verzerrt, schielt und lächelt und mit den Augen blinzelt? Mag 183 das Gespräch vorher gewesen seyn, welches es wolle, von Religion, Natur oder Kunst, wobei sie sich oft recht erhaben vorkommen: – nun wird dieser Ton angeschlagen – und das Thier, das gleichsam künstlich untergeschoben, an den Ketten der Förmlichkeit und Heuchelei festgebunden lag, springt nun plötzlich hervor. Viele finden dergleichen an solchen Männern liebenswürdig, und ich schwöre Dir, mir ist schon oft ein Grausen darüber angekommen. Und wenn ich mir dann denke: dieser, der bei Erinnerung an einen sinnlichen Genuß so widerwärtig grinsen kann, so garstig lachen – dieser soll sich irgend einmal einbilden, er könne lieben, oder werde es einem armen getäuschten weiblichen Wesen vorlügen – oder gar ich selbst könnte seiner Falschheit unterliegen – so muß ich schaudern. – – Siehst Du, Dorothea, nun bist Du selbst nachdenklich geworden.

Es war wirklich so. Die Kleine hatte den Kopf in die Hand gestützt und machte eine Miene, wie sie Albertine noch niemals an ihr bemerkt hatte. Du hast wohl nicht Unrecht, sagte sie nach einer Pause recht schwermüthig, es kann oft im besten Menschen etwas seyn, was eigentlich, wenn man es genau nimmt, recht unmenschlich ist. Ich habe nur niemals darauf Acht gegeben, oder, wenn ich es einmal bemerkte, und es mir widerlich auffiel, habe ich es nicht so wichtig genommen.

Und nun gar, fuhr Albertine mit unterdrückter Stimme fort, wenn sie von Mädchen und Frauen sprechen, und man, ohne es zu wollen, ihre Erzählung zufällig anhört, wie sich wo unversehens eine Schulter, oder ein Busen enthüllt, oder gar ein Knie entblößt hat: – plötzlich dann jene Satyr-Larven, jenes Faunen-Gelächter, an dem sich die Brüderschaft erkennt und ohne Worte sich zuruft: Lassen wir die Maske fallen, 184 zwingen wir uns nicht, da wir uns doch alle gegenseitig als Thiere und Vieh längst kennen!

Die Mädchen sanken sich weinend in die Arme. Ja, ich bin krank, sagte Albertine dann, am Leben krank, und der Tod ist vielleicht meine Heilung. Wie oft träumte ich in meinem kindischen Sinn, daß der ächte Mann zugleich das Wesen einer Jungfrau haben müsse.

Manche von uns, erwiederte Dorothea kleinlaut, sind aber auch nicht viel besser. Und viele Bücher in Prosa, wie in Versen, suchen ja auch alles das, worüber wir hier klagen, lächerlich zu machen. Ach ja, man muß sich eben, um leben zu können, in alles finden.

Ich will aber nicht! rief Albertine mit der größten Lebhaftigkeit, – hörst Du? ich will es nicht! Und sieh, der Elsheim, den Du vorher so vertheidigen und loben wolltest, ist in allen diesen Punkten einer der Schlimmsten. Nicht wahr, ich werde den meisten rasend vorkommen, wenn ich verlange, daß Mann und Frau, Vater und Mutter auch in der Ehe noch unschuldig bleiben sollen, daß den Geliebten nach dem höchsten Genuß ein Händedruck seines Mädchens noch so beglücken soll, wie beim ersten scheuen Begrüßen?

Ach, Liebe, Liebe, sagte Dorothea und schmiegte sich an die Freundin, Du sprichst da etwas Göttliches aus, worüber wir vielleicht alle unsere schönen Träume haben. Wörtlich sagt dasselbe auch Novalis, was Du eben aussprachst.

Novalis?

Dieses herrliche Buch will ich Dir geben, Du mußt es lesen, es ist erst ganz kürzlich herausgekommen, antwortete Dorothea.

Ach Kind, fuhr Albertine fort, Du wirst mich für ganz thöricht halten. Erzähle wenigstens keinem Menschen, auch der Tante nicht, von dem, was ich Dir eben anvertraut 185 habe. Ist mir Elsheim gleich zuwider, so kann ich ihn doch nicht hassen. O, seine Blicke sind oft fürchterlich! In der Gemäldegallerie dort in der Stadt und noch mehr unter den Antiken und Abgüssen wußte ich mich, von seiner Gegenwart geängstigt, gar nicht zu lassen. Die Unschuld selbst, das Heilige und die Größe der Kunst wird anstößig und zum Frechen, wenn er erst diese nackten Bilder und dann Dich mit jenem kritischen forschenden Auge mustert. Ich hätte mich so gern dort unter den Götterbildern recht ergangen und mein Gemüth in dieser Schönheit erhoben, aber diese Säle wurden mir durch seine schuldvollen Blicke ein Aufenthalt der Sünde. O welche Verschiedenheit unter den Männern! Dieser Leonhard mit seinen redlichen, unschuldigen Augen konnte selbst dem Zweideutigen Reinheit geben. Er war in diesen beklemmenden Stunden mein einziger Trost. Mit ihm konnt' ich allenthalben seyn, ohne mich gestört zu fühlen. In seinem Wesen herrscht das vor, was ich das Weibliche, das Jungfräuliche nennen möchte. Wie glücklich muß die Gattin und die Geliebte seyn, die er sich auserwählt! Ich bilde mir ein, daß es nur wenige Männer giebt, wie diesen.

O mein Kind! mein armes Kind! rief jetzt Dorothea aus, dachte ich es doch, daß Dein Leidwesen aus einer ganz andern Gegend herstammen müsse. Wie soll das endigen? Was soll daraus werden?

Nun? fragte jene erstaunt, und was ist es denn, das mir fehlt?

Du hast Dich, war die Antwort, in diesen fremden Menschen, in diesen Leonhard sterblich verliebt. O, Du Unglückselige! mich dünkt, ich habe gehört, er sei schon verheirathet.

Die beiden Mädchen waren jetzt aufgestanden. Verliebt? sagte Albertine nachdenkend – und in Leonhard? Nein, liebste Freundin, das kann ich doch unmöglich glauben.

186 Alle Merkmale sind da, sagte Dorothea seufzend, es ist so klar, daß Du es nur nicht mehr läugnen solltest.

Es war ganz finster geworden, und ein Bedienter, welcher sie schon allenthalben gesucht hatte, rief sie zur Gesellschaft ab, die sich im Comödien-Saal versammelt hatte, um die eben fertig gewordene Wald-Decoration zu betrachten, die dort aufgestellt war. Sie gingen hinüber und fanden die Freunde und Bekannten, die bei angezündeten Lampen das neue Kunstwerk beurtheilten und sich daran freuten. Am lautesten sprach der Maler selbst, ein kleiner dicker Mann, der in einem nahe gelegenen Städtchen ansässig war. Er setzte die Richtigkeit, die Perspektive und die Schönheit aller einzelnen Theile weitläufig aus einander, und der Professor Emmrich schien ihm mit der größten Aufmerksamkeit zuzuhören. Die Wand, so wie die Coulissen waren ziemlich grell gefärbt, und es war augenscheinlich nur guter Wille der Anschauenden, wenn sie dem Lobredner in keiner seiner Behauptungen widersprachen. Als sich der Künstler entfernt hatte, sagte Emmrich: Es ist für mich fast rührend, einen schwachen Handwerker dieser Art zu sehen, wenn er in seiner Mittelmäßigkeit meint, ein Meisterwerk verfertigt zu haben. Wer könnte so grausam seyn, den von seiner Kunst Entzückten auch mit dem gegründetsten Tadel zu Boden zu schlagen? Lassen wir ihm das Glück seiner Einbildung, denn für das, was uns sein Machwerk nutzen oder bedeuten kann, ist es immer gut genug. Grün ist der Wald wenigstens, das kann Niemand läugnen, und das können manche wirkliche Wälder in der Mark und auch anderswo nicht zu allen Zeiten von sich rühmen.

Als wenn er es besser machen könnte! sagte Graf Bitterfeld zu Elsheim und Leonhard, die etwas entfernt standen. Der gute Mann, fuhr der Graf fort, will in allen Dingen 187 den Kenner spielen, und das ist recht bequem und leicht, wenn einer, wie der Professor, kein eignes bestimmtes Fach hat, in welchem er sich auszeichnen könnte.

Als der Graf sich entfernt hatte, sagte Elsheim zu Leonhard: Mit diesem Emmrich mußt Du nähere Bekanntschaft machen. Er ist ein tüchtiger Mann, ein Original, wie sie immer seltner bei uns werden, selbständig bis zum Eigensinn, dabei aber billig und freundlich. Er ist hart und tadelt oft scharf diejenigen als Schwächlinge, die sich beim Frost zu sehr beklagen, und verachtet geradezu alle, die in der Hitze verschmachten wollen. Und doch ist kein Mensch auf Erden in einem Punkt so schwach, ja lächerlich empfindlich, als er selbst. Dieser Punkt betrifft den Zug. Er kann heftig bis zur Grobheit werden, ja selbst tyrannisch, wenn irgend wer durch übereilte Oeffnung eines Fensters oder einer Thür plötzlich Zugwind erregt. Er behauptet, dieser sei eigentlich das gefährlichste Gift in der Welt, und tausende von Menschen stürben an diesem Arsenik; doch sei für einen solchen offenbaren Giftmischer in den Gesetzen keine Strafe festgestellt, was eine Barbarei der Zeit beweise und eine gefühllose Unachtsamkeit der meisten Menschen, die doch sonst für Leben und Gesundheit so übermäßig ängstlich besorgt wären. Die Aerzte schilt er, was diesen Punkt betrifft, Ignoranten, und er ist fest überzeugt, daß alle diejenigen, die sich dem Zuge aussetzen und auch in scheinbarer Gesundheit keinen Nachtheil spüren, es in Zukunft durch Schmerz und Krankheit abbüßen müssen. – Doch sieh, nun geht die Thür auf; jemand hat das Fenster geöffnet; ich bin überzeugt, er fühlt nichts davon, aber aus Vorurtheil, aus Vorsatz wird er dennoch todtenblaß. Laß uns näher treten; er spricht nicht mehr leise mit der Tante, sondern hat sich erhoben und mit zorniger Geberde Fenster und Thür wieder verschlossen.

188 Ist Ihnen wieder besser, lieber Herr Emmrich? fragte die Tante mit dem freundlichsten Ton.

Gewiß, meine gnädige Frau, antwortete der Professor; dergleichen geht schnell vorüber, wenn man nur sogleich die Ursach aus dem Wege räumen kann.

Sie werden sich aber der Luft zu sehr entwöhnen, sagte der Graf, der ebenfalls hinzugetreten war.

Luft und Zug, antwortete Emmrich, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Und dann auch diese Luft! Was nennen wir denn so? Wir haben ja keine Instrumente, die fein und geistig genug wären, um die Qualitäten, die Eigenheiten, die sublimirten Essenzen dieses höchst wunderbaren Elements zu wägen, zu messen, oder gar zu prüfen und zu analysiren. Unser armer Körper ist nur da, um durch Leid, Schmerz und Krankheit von den unsichtbaren Eigenschaften dieser Luft Zeugniß zu geben. Man muthet niemand zu, so simpel hin ein Getränk gut zu finden, das in bösen Gegenden erzeugt, oder in den Kneipen als Wein ausgeschenkt und gebraut wird. Ist der Wein nicht ein edles Gewächs? Stärkt er nicht Leib und Seele? Erheitert er nicht das Gemüth? Gewiß! Aber das ist nicht Wein, was roth, weiß und gelb, bitter, süß und sauer oft dem unkundigen Gaumen geboten wird, um Kolik, Ekel und verdorbenen Magen hervorzubringen. Hat man nun wohl, wenn man im Jammer liegt, die Gottheit des Bacchus in sich? Den Lethe mochte man aussaufen, um diesen Acheron nur wieder aus dem Leibe zu spülen und zu vergessen. Ein heitrer Frühlingsmorgen – wie balsamisch! Wie wird unser Wesen gekräftigt und geläutert! Man schwelgt in den kühlenden lieblichen Wogen und fühlt, daß auch unsere Lunge ein Organ ist, um geistig sinnliche Wollust zu empfinden. Aber das Zeug, was sich so oft im November, Februar, oder nach vielen nassen Tagen und in der Nähe von Sümpfen 189 draußen im Freien herumtreibt, – ist das Unwesen denn wohl noch Luft zu nennen? Mag der Doctor es vor den Geistern der Blumen und der Dichter verantworten, der seine Opfer in die Höllen-Atmosphäre hinausschickt, um sich in ihr Gesundheit zu erwandeln, oft in einem Hexenwetter, wo der Cerberus sich in sein Hundehaus verkriecht und weder dem Befehl des Pluto gehorcht, noch dem Locken der Proserpina nachgiebt, so weit, daß er nur die Schnauze aus der Höhle steckte. Und hat denn die Luft nicht gewiß auch Krankheiten, wie Wein und Wasser? und Gesundheits-Krisen und Umsetzungen? Und dennoch – wer draußen wandelt oder reitet, ist doch noch in einem Krieg gegen das Unwetter begriffen; ein Element kämpft dann gegen das andere, und in diesem zornigen Anstrengen kann sich die menschliche Gesundheit noch etwas wahren; – aber wenn die Menschen im Spätherbst, oder in schnöder Märzluft oft draußen sitzen, um so recht phlegmatisch das zerstörende Gift einzuschlürfen, so stehen oder sitzen sie noch unter den Thieren, die der Instinkt beschützt, den diese Luftschnapper in sich ertödtet haben.

Die Tante sagte lachend: Ich sehe, Sie tragen in Ihrem Busen einen erhabenen Zorn gegen das, was so viele zu ihrer Erholung und Erquickung thun. Es scheint, Sie haben die Luft so recht nach ihren verschiedenen Qualitäten ausgekostet, und viele derselben verabscheuen gelernt.

Die Luft, fuhr Emmrich fort, ist Leben und Tod, Schaffen und Vernichten; aus ihr strömt alles Gedeihen herab, und sie zieht wieder alle Lebenskraft an sich; sie ist abwechselnd das Edelste und Schlechteste, Heil und Unheil und in sich selbst ein Räthsel. – Wir verlassen ein Landhaus. Thüren, Fenster, Läden, alles wird dicht, fast hermetisch verschlossen; kein Sonnenstrahl, kein Luftzug fällt in den verfinsterten Saal: – treten wir nun nach Jahren in dieses 190 Gemach, so befällt eine beklemmende Angst unsere Brust; ein schwermüthiger Lebensüberdruß bedrückt uns; wir fühlen, wir athmen eine todte Luft ein, ein verwesetes Element. Und woher kommt nun der fußhohe Staub, der auf dem Boden und auf allen Tischen so widerwärtig liegt? Wie hat dieser sich erzeugt? – In jedem Gemach, welches lange verschlossen war, empfinden wir in geringerem Grade etwas Aehnliches. Man weicht vor pestilenzialischen Gerüchen mit Abscheu zurück, aber weil das Ungesunde der Luft weder Auge noch Nase so deutlich empfindet, vertrauen wir uns ihr oft mit tadelnswürdigem Leichtsinn.

Sie könnten uns ganz ängstlich machen, sagte die Tante wieder; unmöglich kann man so genau auf sich Acht geben.

Und soll es auch wohl nicht immerdar, fuhr der Professor fort; wer aber so fein, oder so krankhaft organisirt ist, daß er diese Unterschiede dunkler, oder deutlicher fühlt, dem soll man diese Krankheit nicht abstreiten, oder ihn gar davon bekehren wollen. Und nun noch der feine, giftige, arsenikalische Zugwind! Von dem gewöhnlichen, der den meisten Sinnen fühlbar ist, will ich jetzt gar nicht einmal sprechen. Aber, wer hat es nicht einmal, in der Krankheit wenigstens, erlebt, daß aus einer dicken, festen Mauer ein Luftzug strömt, fühlbar, unverkennbar? Man hat es zuvor an dieser Stelle nie gespürt, auch scheint es dort unmöglich. Es muß Strömungen der Atmosphäre geben, die auf unbegreifliche Weise auch durch feste Mauern dringen, oder die Lust reflektirt zuweilen auf ähnliche Art, wie Licht und Sonnenstrahlen; der Stoß und Widerstoß erzeugt sich plötzlich aus Ursachen, die wir nicht entdecken können. Man hat mich oft verspotten wollen, indem meine Freunde mich fragten, ob ich keinen Zug verspüre, indem ein Schrank, oder eine Schieblade geöffnet wird? Ich scheue mich gar nicht, zu behaupten, daß 191 ich allerdings etwas Aehnliches empfinde; es ist die abgestorbene Luftmasse, die sich mit der Zimmerluft plötzlich mischt, wenn der Schrank leer ist; und wenn es ein Behältniß der Wäsche ist, so quillt aus der feinsten und reinsten eine widerwärtig erkältende Strömung, der ähnlich (freilich nur im geringen Grade), die uns so trostlos befällt, wenn wir einem Trockenplatze vorübergehen.

Der Graf sagte: Darin ist aber etwas Wahres, so sehr unser Herr Professor auch übertreibt; darum muß man auch, wie ich es hatte, immer Wohlgerüche zwischen die Wäsche legen und sie selbst im Sommer vor dem Ankleiden wärmen und durchräuchern.

Nun fingen die Damen, die jüngern, wie die älteren, an, sich lebhaft in das Gespräch zu mischen; plötzlich aber sprang Albertine eilig auf und rannte mit einem Freudengeschrei einem hübschen, aber noch sehr jungen Manne in die Arme. Dieser war ihr Bruder, der Cadet, der von der entfernten großen Stadt gekommen war, um an den ländlichen Festen und Theaterspielen Theil zu nehmen.


Es war natürlich, daß die Freunde das Gedicht vom Berlichingen sehr zusammengezogen, verschiedene Scenen verlegt und vereinigt und alles so eingerichtet hatten, daß es mit nicht gar vielen Decorationen und einer bescheidenen Anzahl von Mitspielern dargestellt werden konnte. Es ist übrigens nicht unbekannt, daß bei Liebhaber-Comödien die Proben eigentlich das ergötzlichste sind. Alle erstaunten, mit welcher Wahrheit und innigen Rührung Albertine die Maria spielte und sprach; in der Sterbescene Weislingens war sie und Elsheim so tief erschüttert, daß beide mit lautem Schluchzen den Auftritt endigten, und das Fräulein sich nachher unwohl 192 fühlte. Am meisten war der alte Schulmeister, der invalide Husar, welcher mit großer Freude den Selbitz auswendig gelernt hatte, beseligt, daß er mit hohen Herrschaften durch diese Kunstübung in ein so vertrautes Verhältniß trat. Es war ein Glück, daß dieser Raubgesell keine Scene mit dem edlen Bischof von Bamberg hatte, denn Graf Bitterfeld, der Vertreter des geistlichen Herrn, nahm es dem jungen Baron doch sehr übel, daß er diesen Invaliden aus einem fremden Dorfe herübergeholt hatte, um in Göthes Dichtung mitzuwirken. Daß des Barons Förster und andere Dienstleute in kleinen unbedeutenden Rollen auftraten, verzieh er und fand es zulässig, weil er auch dafür entschuldigende Beispiele in der Theatergeschichte hoher Aristokratie fand, aber ein unheimischer Diener war ihm unerträglich. Dazu kam, daß dieser Selbitz sich sehr breit machte und sich mehr hervordrängte, als es seine Rolle eigentlich zuließ, so daß selbst Mannlich, als Götz, etwas empfindlich wurde, und nun, um jenen zu strafen und zurückzustellen, in den Scenen mit ihm noch gedehnter, langsamer und accentuirter sprach, woraus aber der lahme Selbitz den Vortheil zog, daß man sein Spiel besser und natürlicher fand, als das der Hauptperson. Mannlich war aber auch glücklich, da er in jeder Probe seine tapfere Gesinnung und seine Biederkeit so recht breit, und sicher, nicht gestört zu werden, aus einander wickeln konnte. Zudem er nun den Platz der Scene ganz allein einzunehmen strebte, kam es, daß er auf die mit ihm Sprechenden kaum hinhörte und in die Weise, wie er diese anblickte, eine unendliche Verachtung legte. Dies geschah aber nicht vorsätzlich, sondern unbewußt und in aller Unschuld; denn nicht allein seinen Gegner Weislingen, sondern Frau und Schwägerin, so wie Georg, behandelte er eben so, bloß von dem Gefühl geleitet, welches er über sich selbst und seinen hohen Werth 193 empfand. Elsheim sah dies alles mit einer gewissen Schadenfreude an und vergaß darüber ganz, daß er bedeutende Kosten, Zeit und Anstrengung darauf verwandt hatte, das herrliche Werk seines hochverehrten Dichters zu parodiren, und in ein komisches Licht zu stellen.

Leonhard war in jedem Augenblick hinter der Scene mit Einrichtungen, Verbesserungen und Rathgeben so beschäftigt, dabei von seinen eigenen Rollen so hingerissen, daß er von diesen Nebensachen, wie von wichtigern Vorfällen wenig bemerkte. Er spielte wirklich den Bruder Martin und in den spätern Acten den Lerse. Wenn ihn etwas zerstreute, so war es die Aufmerksamkeit, welche er, selbst wider seinen Willen, Charlotten widmen mußte. In jeder Bewegung, in der Art zu sprechen, in der Manier, mit welcher sie oft aus der Recitation ihrer Rolle in die gewöhnliche Sprache, um etwas zu fragen oder anzuordnen, überging, fand er neue Reize. Er begriff es jetzt nicht, warum sie nicht jene Lebhaftigkeit und vornehme, ja höchst edle Schalkheit, mit welcher sie die Adelheid so meisterhaft vortrug, auch in ihrem wirklichen Leben annehme; denn ihm schien, als wäre ihr diese Sprechweise und ihre Geberde viel natürlicher, als jene schweigsame Ruhe und fast tonlose Kälte der Rede. Indem nun alle sich mehr oder minder mit ihren Rollen abmühten, verschwand ihnen in diesen Tagen ihr eignes wirkliches Leben fast gänzlich, und jeder ertappte sich darauf, daß er auch in den Freistunden seine angelernte Rolle fortspielte.

Diese Selbsttäuschung erreichte beim Grafen Bitterfeld einen so hohen Grad, daß er sich es jetzt erst lebhaft zu Herzen nahm, daß man im letzten Friedensschluß die Bisthümer Bamberg und Würzburg säkularisirt habe. Er faßte so lebhaft Partei für die geistlichen Fürsten, daß er sich mit dem Baron Mannlich, den er verehrte, fast ernsthaft 194 verfeindete, weil dieser, seiner Rolle als Götz getreu, den Despotismus, die Heuchelei und den Geiz der Kirchenfürsten heftig schalt und mit den grellsten Farben ausmalte, und selbst nicht hinhörte, als Emmrich, um ihn zu beruhigen, erinnern wollte, daß dieser Tadel die letzten milden und großmüthigen Bischöfe nicht treffen könne. Der Schulmeister Selbitz, als Mitglied der Kirche, so wie der Ritterschaft, war dreist genug, in diesem Streit auch seine Meinung abzugeben, auf die der hochgestellte Bischof aber gar nicht achtete, und die Götz mit den lautesten Worten und Redensarten als ganz ungehörig abwies. Als Husar war Selbitz ganz der freibeuterischen Gesinnung des lahmen Kämpen beigetreten, konnte sich aber als Schulmeister, obgleich er Protestant war, eines gewissen Respekts vor der Würde eines Bischofs nicht erwehren. So war denn also seine Meinung schwankend und ungewiß und wurde deshalb auch bald aus dem Felde geschlagen.

Alle mußten über das Talent des blutjungen Cadeten erstaunen. Er spielte seinen Franz mit einer solchen wahren Leidenschaftlichkeit, daß er in jeder Scene von allen Anwesenden große Lobsprüche einerntete. Charlotte lächelte über diese lebhaften Liebeserklärungen, und Albertine wurde um ihren Bruder besorgt. Die kleine Dorothea erregte in ihrer Rolle des Georg Freude und Gelächter, weil sie alles neckisch und doch tief empfunden zu sagen wußte, so sehr, daß sich alle um so mehr, ohne es sich zu gestehen, über den ganz hölzernen, hochfahrenden Götz ärgerten.

Der einzige Unglückliche war der alte Förster mit seinem Zigeunerhauptmann. Denn so viel ihm auch Elsheim zugeredet hatte, so sehr er ihm den Scherz aus dem richtigen Gesichtspunkte vorzustellen versuchte, so gelang es ihm doch nicht, die Schwermuth des Alten zu bekämpfen.

195 An einem Nachmittage, als Leonhard sich in den Garten begeben hatte, um die Kühlung aufzusuchen, traf er Charlotten in jener abgelegenen Laube, in welcher er neulich sich lange mit dem jungen Baron unterhalten hatte. Sie war ganz allein und schien völlig in Lesung eines Buchs vertieft, doch bemerkte sie ihn und erwiederte seinen Gruß mit freundlicher Höflichkeit. Auf ihre Einladung nahm er Platz an ihrer Seite, und indem er sie betrachtete, schien ihm das blasse schöne Angesicht in der Dämmerung der grünen Blätter noch schöner und erhabener. Ihr Auge war schwermüthig, und indem sie das Buch aus der Hand legte, sagte sie mit ihrem silberklingenden vollen Ton: Es ist wundersam, wie man sich immer wieder mit Vorsatz und Kunst diese tiefen Schmerzen bereitet. Ich weiß es nun stets voraus, wie tief mich dieser Werther bis in den Grund meiner Seele erschüttert, und dennoch muß ich immer wieder, selbst wenn ich nur etwa in dem Buche blättern will, die ganze so furchtbar schöne Dichtung durchlesen.

Es ist ein Buch an sich selbst, sagte Leonhard, man vergißt völlig, daß es von einem Autor herrührt. Ich kann niemals ohne den Schauer einer Andacht diese geweihten Blätter aufschlagen. Will man von Natur, Liebe, Leidenschaft, Lebenslust und Todessehnsucht, von der erhabenen Verzweiflung an sich und allem Geschaffenen, von Kinderweisheit und dem Wahnsinn des gebrochenen Herzens etwas Ewiges vernehmen, so sind hier die Orakelsprüche, die jedem verständlich tönen, der nur Herz und Gemüth zum Tempel mitbringt.

Sie sah ihn durchdringend an. Sie sprechen, sagte sie dann, als wenn Sie alles dies erlebt hätten.

Mit diesem Dichter, erwiederte Leonhard, erlebt man alles, was er uns sagt und singt. Es ist kein vergängliches 196 Wort, kein gefärbter Schatten, der vorüberfährt, sondern die Wahrheit selbst, das Leben des Herzens. Wer diesen Dichter nur lesen will, wie etwa anmuthige Lieblings-Autoren, wer nicht ganz in ihm sich verliert und mit allen Gesinnungen in ihm aufgeht, wer dies nicht kann, der thut besser, ihn aus der Hand zu legen.

O Sie Prophet! sagte Charlotte, – warum ist es mir nicht so gut geworden, Sie viel früher kennen zu lernen? – Sie gab ihm die Hand und drückte sie ihm so herzlich, daß es ihm durch alle Sinne zuckte. Es kam Gesellschaft, mit der sich jetzt beide schweigend vereinigten.


Am Vorabend der Aufführung waren die meisten Mitglieder der Gesellschaft im Gartensaal versammelt. Auch die Mutter Elsheims war zugegen, und man ging noch einmal die Liste der Gäste durch, welche man zu der Feierlichkeit gebeten hatte. Denn Elsheim hatte seinen Willen nicht durchsetzen können, daß nur vor der Mutter und den Bauern des Gutes gespielt werden sollte. Einige Künstler äußerten, daß es sich nur lohne, vor Freunden und Kennern sich so, wie sie thäten, anzustrengen, und die alte Baronesse wollte durch ihre Einladung einige vornehme Damen sich verbinden, die sich seit einiger Zeit, da sie ihnen lange nicht geschrieben, für vernachlässigt halten konnten. Alles war mehr oder minder in Spannung, und viele träumten schon von den Siegen, die sie am folgenden Abend erringen würden.

Ein Bedienter übergab der alten Dame einen Brief, bei dessen Anblick diese ausrief: Was ist denn das? Was soll ich denn damit? Er ist nicht an mich und auch nicht an meinen Sohn. »An den Meister Leonhard – abzugeben auf dem Schlosse bei –« Meister! Was heißt denn das?

197 Meister? wiederholte die Tante, Mannlich und am lautesten der Graf Bitterfeld. Indem trat Elsheim mit seinem jungen Freunde herein. Er hörte den Ausruf, sah den Brief und bemerkte, wie Leonhard roth geworden war, auf den sich aller Augen sogleich prüfend richteten. Er ging schnell zu seiner Mutter, nahm den Brief ihr aus der Hand und sagte: Ach! ich wette, Leonhard, das kommt von Deiner großen Beschützerin, der italiänischen Gräfin Manfredoni. Du erlaubst mir doch, das Schreiben zu erbrechen? – Richtig, sie mahnt Dich ziemlich dringend an die versprochenen Baurisse zu ihrem Sommer-Palais; höre nur, mein saumseliger Freund, wie dringend sie es macht. – Er las:

Mio caro Maestro,

Ich habe Ihm schon, ehrenwerther Professore und auch großer Maestro in Architettura, vor'gen Jahreszeit sehr ersucht und angeflehentlich erbeten, mich zu helfen von wegen meiner Bau-Enthousiasme für mein schön Gartenhaus. Aber Ihr, sehr angebeteter Maestro, scheint Dolce far niente zu sehr zu exercire auf Unkost meiner Gartenanlagenheit. Caro amico, bedenk Du doch, daß ich sehr alt Weib bin, eine Donna von die sechs und sechzig, und habe nicht mehr viel Zeit zu verpasse und Maul aufzusperre, denn die Dringlichkeit will, wenn nicht vorher in mein Erbgräbniß spatzir soll, daß Er, Maestro, Meister oder Professore, schnell mach und auch geschwind und cito citissime weil ich in die andre Welt dort nichts von Ihm kann baue lasse; denn warum? ist nichts dort von Zimmerleut und Mauermann anzutreffen, als die armselig Todtengräber. Hat Er also, Carissimo, christlich commiseratione und amore zu mich oder amico mir verbleiben will, so thu Euer Hochgeborn Professore und Meister sich über eine alte Person erbarmen. Eure Riß haben mir, die Er mir dargestellt, sehr wohlgefallen; thu mir nun, 198 liebster Mann, die complaisance, mit Ausführung nachzukommen. Wenn aber kleine Landstreicher wird, ein vagamundo, so kann freilich Architettura in mein Garte nicht gedeihe. Will Ihm nur sagen, Meister, daß meine türkische Generation von die bunte hübsche Ente, die Er so gerne füttern that, abgestorben und verschieden sind, konnte Clima hier und Cultus nicht vertrage; das nun, mit mein Alter zugleich, und auch Schmerze in die Hüfte, so da genannt und titulirt wird Sciatica hat mich denn auch an mein seelig Ende erinnert. Die ich übrigens verharre con l'estimazione, wie sich dem, Meister auf deutsch, auf mein besser Sprach Maestro, gebührt,

l'amica sua
Contessa Carolina Elisabetha
Manfredoni.
       

Post Scriptum. Bitte mir gute Bleistift von Seiner Reise mitzubringen, hier brechen alle ab, wenn sie schreiben sollen. Sonst lebt hier noch alles und ist, bis auf mich, ziemlich gesund.

Die Zuhörer erfreuten sich dieses verwirrten Briefes, und Leonhard war beschämt, denn er wußte wohl, daß sein Freund diesen halbdeutschen Gallimathias nur improvisirt hatte, um ihn aus der Verlegenheit zu ziehen. Mannlich erging sich in weitläufigen Beweisen, wie sich eine verwöhnte italiänische Dame auch in solchem kleinen Briefe nicht verläugnen könne, und wie die Fremden doch niemals, wenn sie auch noch so lange in unserm Vaterlande wohnten, zu Deutschen würden. Indem nun dieses Capitel erörtert ward, zog sich Leonhard mit seinem Briefe nachdenklich auf sein Zimmer zurück und las dort unter mancherlei widersprechenden Empfindungen den wirklichen Brief seiner Frau.

Lieber Leonhard.

Ich sehe, daß es Dir gut geht, und wünsche, daß dies 199 so bleiben möge. Mir bleibt es noch ungewohnt, Dich nicht hier in unsern Stuben zu sehen. Alles ist mir so öde, und unser kleiner Franz kommt sich auch so verwaiset vor. Der Meister Krummschuh kommt öfter zu uns und giebt mir und Deinem ältesten Gesellen, dem Hannoveraner, guten Rath. Ich kann dem kleinen dicken Mann unmöglich böse seyn (denn er meint es so gut mit uns), wenn er immerfort auf Dich stichelt, und sagt, Du würdest noch ganz zum Edelmann werden in Deiner hochadligen Gesellschaft; denn Du hättest Dich schon als wandernder Handwerksgeselle mit Deines Gleichen nicht viel eingelassen; Du wärest immer zu stolz und hochmüthig gewesen, und dergleichen mehr. Er hat, so gut er ist, doch immer einen kleinen Neid auf Dich, daß Du Dich ansehnlicher ausnimmst und in jeder Gesellschaft Deine Person so ziemlich vorzustellen weißt. Denn das muß wahr seyn, guter lieber Wilhelm, daß ich Dich noch fast nie mit den Vornehmen so verlegen gesehen habe und so linkisch oder großthuerisch, wie so manche Bürgersleute, die dann auch oft so kuriose Redensarten gebrauchen, daß die Ausgelernten heimlich, oder auch öffentlich darüber lachen. Der Hannoveraner hat einen großen künstlichen Schrank für den Herrn von Heimbüttel übernehmen müssen, der die Arbeit eilig eilig haben will. Krummschuh that sich damit groß, daß er Rath geben mußte; er schmunzelte viel, wurde aber dunkelroth, wie er das an sich hat, bis in seinen fetten Nacken hinein, wo ihm dann, wie Du weißt, die Ader so dick aufschwillt. Er war nehmlich so verlegen und wußte eigentlich nicht links, nicht rechts, so daß es ihm unser Hannoveraner Gottfried immer wieder anders auseinander setzen mußte, der das Ding gleich weg hatte, während der Kleine es doch nicht wollte merken lassen, wie er es nicht recht begriffe. Das ist mit euch Handwerksleuten doch etwas recht Besonderes, daß der 200 eine so viel Einsicht und Verständniß hat, und ihm das Gerathen so zu sagen in die Hände läuft, und andere sich placken und quälen und es doch immer nicht recht zu Stande bringen. Doch das ist wohl in allen Ständen, mit Gelehrten und Beamten und selbst Generalen und Fürsten eben so. Das ist die große, große Ungleichheit im Reiche der Geister, und dann wollen die Menschen doch oft noch die völligste Gleichheit unter den Menschen. Aber darin versteht der kleine Krummschuh keinen Spaß; er will allen Adel abgeschafft haben und auch die Fürsten und Minister; jeder soll sich selber regieren, meint er, und keiner sich um den andern kümmern; und wenn er dann recht in Eifer geräth, so schilt und zankt er auch auf Dich, besonders weil Du mit einem Edelmann so mir nichts dir nichts fortgereiset bist. Das wäre mir alles nicht so ganz wichtig, aber mit unserem alten Magister geht es viel ernsthafter her. Der wunderliche greise Mann tritt ganz über die Stränge. Ich fürchte, er bleibt uns ganz aus, so gewaltig hat er sich verändert, und der kleine Franz sagt auch, er könne gar nichts mehr von ihm lernen, weil er immer so confuse spreche; und einmal hat er so wunderlich handthiert und sich ohne Noth ereifert, daß das Kind ihm weinend fortgelaufen ist und mir seine Noth geklagt hat. Der alte Mann hat, wie ich in die Stube ging, was hergefaselt, was ich nicht habe begreifen können. Er hat mir auch einen Brief geschrieben, ziemlich umständlich, aus dem ich mich auch nicht habe finden können. Das ist entweder recht dummes Zeug, oder recht tiefsinnig, vielleicht beides. So thut es mir also recht weh und bang, Liebster, daß Du nicht hier bist und mir das Alles recht auseinandersetzen kannst. Denn ohne Dich bin ich doch in vielen Sachen gar zu einfältig, und so ärgert es mich jetzt eben auch, daß ich mit der Briefschreiberei nicht so recht fort kann; mir 201 däucht, mit der Zunge und mit dem Sprechen geht es um vieles besser. So ist auch der König, der benachbarte, hier durchgekommen; dem sind sie hier nicht grün und gewogen, aber sie hatten ihm doch etliche Ehrenpforten aus Latten und Leinwand aufgebaut und alles dann recht hübsch überpinselt. Wie sie denn mit Pinseln jetzt alles machen. Am Abend hatten sie auch Lampen hinein gehängt, von allen Farben. Jetzt ist alles wieder abgerissen. Sie sagen jetzt, Stadt und Bürgermeister hätten zu viel gethan, indessen hat unser Fürst doch gewiß um diese Herrlichkeiten gewußt und sie gebilligt. Neulich hätte fast ein großes Unglück entstehen können. Unsere große Cyperkatze saß ganz ruhig vor unserer Thür in der Sonne. Da kommt der junge Herr von Wermuth vorbei mit seinen zwei großen grimmigen Jagdhunden. Und, wie die jungen Barons oft sind, hetzt der junge Mensch seine Hunde auf die arme friedfertige Katze, die an so was nicht gewöhnt ist. Anfangs will sie sich dann wehren und macht die Anstalten, wie die Katzen thun, aber die Hunde ließen sich nicht abhalten. Franz lag im Fenster und weinte und schrie. Ich will hinausrennen, aber so wie ich die Stubenthür aufmache, rennt unsere Katze, ohne sich umzusehen, denn sie konnte nur in die Stube treten, mir in der Angst vorbei und in unseren Hof hinein, von dem die Thür gerade offen stand. Ich denke, sie wird sich auf den alten Nußbaum hinaufretten, wie das die Katzen pflegen. Aber in ihren Nöthen vergißt sie alles Vernünftige und springt zu unserm Phylax, unserm großen Kettenhund, in sein Hundehaus hinein. Nun dacht' ich doch wirklich, die arme Creatur wäre aus dem Regen in die Traufe gekommen, denn Du weißt es ja, daß sie den Phylax, und er sie nicht leiden konnte. Aber, wie ein galanter Ritter, von denen man liest, stellt sich der dickköpfige ramassirte Hund vor sein Hundehaus hin und treibt 202 so grimmigen Spektakel, daß er die beiden großen Bestien wegbeißt und fortbellt. Schon wie sie weg waren, räsonnirte das Thier in seiner Sprache noch lange über diesen unverschämten Bruch des Burgfriedens. Der junge Herr wollte mir mit seiner höflichen Galanterie einige Entschuldigungen sagen, ich aber antwortete ihm ganz schnippisch und empfindlich, der Hund wäre diesmal galanter als er gewesen, denn dieser hätte, wie ein Ritter, die Katze, als Dame, die er eigentlich nicht leiden könne, vertheidigt. Er lachte und ging ab. Nun ist das nur das Wunderbare, daß seitdem der Hund und die Katze die allerbesten Freunde sind. Sie besucht ihn oft, sie darf mit ihm speisen, und wenn er von der Kette los ist, sieht man sie manchmal beide im Sonnenschein im Hofe liegen, und wie sie ihren Kopf an den seinigen lehnt und ihn so vertraulich mit den zugekniffenen Augen ansieht. Auch spinnt sie in seiner Nähe, worüber, wie Franz versichert, sich der Phylax gewaltig soll verwundert haben, als er das zum ersten Mal gehört hat. Seitdem hat auch Franz mit dem Phylax, vor dem er sich sonst immer fürchtete, einen zärtlichen Freundschaftsbund geschlossen, und so sieht man jetzt die drei lieben ungleichen Creaturen oft auf dem Hofe spielen. So wäre das denn alles Wichtige und Unwichtige, was ich Dir erzählen könnte; am meisten liegt mir der Magister auf dem Herzen. Ich schicke diesmal den Brief gerade an Dich, und nicht, wie wir ausgemacht hatten, durch Einschluß an Deinen Baron; denn, aufrichtig gesagt, ich traue dem jungen Herrn nicht so recht. Vielleicht liest er heimlich mein Geschreibe, um darüber zu lachen, oder er liefert es nicht gehörig ab, weil ich Dich vielleicht antreibe, recht bald bald zurückzukommen, und das thu' ich denn auch hiemit, denn mir wird oft so bänglich, daß Du nicht da bist. Ich gehe oft aus einer Stube in die andere, als wenn ich was 203 suchte, und wenn ich mich dann besinne, ist es bloß, daß Du mir fehlst. Ja, wo der Hausherr nicht ist, da ist das ganze Haus verödet. Ach, Liebster, es ist ja auch gut und hübsch hier. Aber freilich, treibe dort nur Dein Geschäft zu Ende, freue Dich an der Reise und mit Deinem Freunde, nur denke auch hübsch oft an mich und bleibe mir gut dort unter allen den wildfremden Menschen, die es doch niemals so gut mit Dir meinen können, wie sie sich auch anstellen mögen, als ich,

Deine getreue Friederike.

Dieses Blatt versetzte den jungen Meister unmittelbar in die rührende Beschränktheit seines bürgerlichen Verhältnisses. Er sah sein Hinterstübchen vor sich, den Hofraum, die aufgeschichteten Bretter, den duftenden alten Nußbaum, in dessen Blättern die Abendröthe spielte, er vernahm das Geräusch seiner arbeitenden Gesellen und den rührenden, herzlichen und heitern Ton seiner Friederike. Er mußte sich fragen, wie er denn in diese Umgebung gekommen sei, und was er hier wolle. Plötzlich mit allen seinen Gefühlen aus dem Taumel herausgerissen, der ihn bis jetzt umkreiset hatte, erinnerte er sich mancher wunderbaren Erzählung, wie ein Mensch verzaubert und gebannt seyn könne, daß er sich, trotz seines bessern Willens, den ihn fesselnden Kreisen nicht zu entziehen vermöge. So gemahnte er sich. – Er ging unwillig, unbestimmt im Zimmer auf und ab, setzte sich an das Fenster, öffnete dies, schaute über den Garten hinweg in das Feld hinaus und suchte eigentlich nach Gedanken, um diesen verwirrenden Empfindungen zu entgehen.

So traf ihn Elsheim, der ihn aufsuchte und besorgt forschte, ob jener Brief auch keine betrübenden Nachrichten enthalte. Nein, Liebster, sagte Leonhard, aber wie sehr ich mich beschämt fühlte, als Du mit Deiner Geistesgegenwart jenen italiänischen Brief improvisirtest, damit ich nur nicht 204 als Tischlermeister in eurer Mitte stände, kann ich Dir nicht ausdrücken. Seh' ich nun Säge, Hobel, die Geräthschaften dort im Saale an, so ist jeder Ruck des Instruments, jeder Aufschrei desselben für mich wie ein höhnender Vorwurf.

Du hast meiner Freundschaft Dich und Deine Zeit aufgeopfert sagte Elsheim, ihn begütigend. Du hattest selbst Lust an dieser Reise, Deine Maskerade ist jetzt nicht mehr aufzuheben, und Du kannst mir nur danken. daß ich Dich nicht für einen Reichsgrafen ausgegeben. Als solchen würden Dich die alten Mütterchen und Bitterfeld so in Untersuchung und ins Gebet nehmen, daß Deine Unwissenheit in Genealogie und Stammbäumen bald an das Tageslicht käme; in der Architektur kannst Du es aber hier gewiß mit allen aufnehmen.

Und morgen also? –

Ja morgen, Freund Leonhard, läuft nun das große gewaltige Kriegsschiff vom Stapel. Ich habe mit meiner Mutter noch viele Kämpfe gehabt. Da hat sie die Schwester meines Vaters einladen müssen, die zwölf Meilen von ihrem Kloster herkommt, wo sie protestantische Aebtissin ist. Diese Dame hat eine Zeit lang in Paris gelebt, sie hat in der Jugend am Hofe eines Fürsten Racine's Andromaque französisch declamirt und gespielt, zum Erstaunen, wie man erzählt, aller Menschen. Wird also in ihrer Familie Comödie gespielt, so würde sie, wie meine Mutter sagt, es für die allergrößte Beleidigung halten, wenn man sie als Kennerin und ausgemachte Künstlerin nicht dazu beriefe. Sie bringt nun gar noch eine Fürstin mit, eine alte Dame, die wenigstens den Titel Durchlaucht verlangt. Diese furchtbare Fee genirt selbst meine Mutter. Ein Minister-Resident des benachbarten Hofes hat sich auch melden lassen, so daß wir, da das Haus schon besetzt ist, fast in Verlegenheit kommen, wo wir alle 205 diese vornehmen Gäste einquartieren sollen. Ich hatte es mir Anfangs so schön ausgedacht, daß wir alle diese Späße so ganz unter uns treiben wollten, von allen Kritikern fern und unbeachtet, und nun drängen sich Auge und Nase aus den Zeiten Louis quatorze in unsern Saal.

Und dabei die Darstellung selbst, erwiederte Leonhard, wie weit sind wir doch von unserer Absicht weg verschlagen! Wenn Göthe während der Aufführung in den Saal träte, – müßten wir uns nicht schämen? Ist es doch, als habe man aus Bosheit sein Werk in das Komische übersetzen wollen.

Ich gebe es zu, erwiederte Elsheim verdrüßlich, daß es durch meine Schuld geschehen ist; gehen wir aber auch nicht zu weit. Die Hauptperson abgerechnet, macht sich das Uebrige sehr gut; manches sogar über meine Erwartung.

Aber eben die Hauptperson, meinte Leonhard, um die sich doch das ganze Gedicht drehe, wenn diese so völlig von aller Natur und allem Menschlichen abweiche, so müsse ja, möchten die andern thun, was sie wollten, die Darstellung zur Farçe herabsinken.

Lassen wir der Galeere ihren Lauf, erwiederte Elsheim; mag sie sehen, wie sie mit Wind und Wellen zurecht kommt.

Indem fuhren mehrere Equipagen vor; es waren die vornehmen Gäste, und Elsheim eilte hinunter, um sie zu empfangen und zu bewillkommnen. Im Gartensaal war nun große Verwirrung und viel Durcheinanderlaufen von Herrschaften und Domestiken. Emmrich, Leonhard und die jungen Mädchen hatten sich entfernt, um die Unruhe nicht zu vermehren und um ihre Rollen für den morgenden Abend noch einmal genau durchzugehen. Als man unten im Saal etwas beruhigt und zum Sitzen gekommen war, sagte die Aebtissin zur Wirthin des Hauses: Ja, ma chère soeur, so sehen wir 206 uns doch noch einmal wieder, und zwar führen uns die Musen selbst zusammen. Aber, Liebe, wie ich auch in der Littérature dramatique bewandert zu seyn glaube, von diesem Götz eines gewissen Herrn von Berlichingen habe ich noch niemals etwas vernommen.

Er ist mir auch ganz unbekannt, antwortete die Mutter, und ich habe mich auch jetzt nicht weiter um die Sache bekümmert, weil mir alles neu bleiben soll, und ich mich gern überraschen lasse.

Da es keine Tragédie ist, sagte die Aebtissin, so hast Du nicht ganz Unrecht, ma soeur.

Die Berlichingen, fing der Reichsgraf an, sind eigentlich, so viel ich weiß, ein fränkisches Geschlecht. Es sind aber auch Berlichingen im österreichischen Dienst. Vielleicht rührt also das Gedicht von einem jungen Wiener Poeten her.

Sie haben Recht, Graf, fiel die Aebtissin bei; ein anderer österreichischer Cavalier, der zwar jetzt nicht mehr jung seyn kann, gab uns ja damals den Postzug oder die noblen Passionen. Der große Friedrich von Preußen erklärte diese Production für das beste deutsche Theaterstück. Dieses Urtheil machte dazumal dem Cavalier, dem Herrn von Ayrenhof, sehr viele Ehre.

Gnädige Tante, antwortete Elsheim, das Stück selbst heißt: Götz von Berlichingen, und Göthe ist der Verfasser desselben.

Dank, mon neveu, erwiederte sie; nun orientiren Sie mich einigermaßen. – Ah ciel! wenn mich mein Gedächtniß nicht ganz täuscht, so wird dieser Monsieur Göthe auch in derselben Schrift des höchstseligen Königs erwähnt. – O ma soeur, da wirst Du ein monstre zu sehen bekommen, ein ganz geschmackwidriges Ungeheuer. Da sind alle Einheiten verletzt, und keine Kunst und keine Schönheit zu hoffen. – O mon 207 neveu! daß die Jugend so gern von der Regel abweicht, denn Sie haben ja das Ding eingerichtet.

Wenn ich nur überrascht werde, sagte die Mutter, so frage ich nach den sogenannten Regeln nicht so gar viel.

Und verwechseln Sie nicht, Gnädigste, fiel der Reichsgraf ein, diesen mir unbekannten Dichter Gotha mit jenem Engländer Shakspeare, gegen den, wie ich mich etwas dunkel erinnere, der Zorn des Monarchen sich vorzüglich wendete.

Kann seyn, antwortete die Dame, denn ich bin seit lange der critique und den belles lettres etwas fremd geworden.

An diesem Abend speiseten die Fremden, die spät angekommen waren, mit dem älteren Theil der Gesellschaft und begaben sich früh zur Ruhe; die künstlerischen Personen legten sich mit einiger Besorgniß nieder, wie das unternommene Wagestück morgen gelingen und ausfallen werde; nur Baron Mannlich war völlig sicher und sorglos, weil er seinem Talent unbedingt vertraute.

Aurora führte nun auch diesen wichtigen Tag herauf, und wenn man die Künstler beobachtete, so war es nicht zu verkennen, daß die meisten in einer großen Aufregung sich befanden. Sie aßen an der Mittagstafel nur wenig und verfügten sich eilig in ihre Zimmer, die Umkleidung zu bewerkstelligen. Schon in den letzten Tagen war mit Schneidern und Nätherinnen vielfach verhandelt worden; jetzt wurden noch die letzten Verbesserungen vorgenommen. Endlich wurden auch nach und nach die Lampen und Lichter angezündet, und man hörte schon hinter dem Vorhange das Wogen und Rauschen der Eintretenden, und wie verschwimmende Laute das mannichfaltige Gespräch.

In reichen seidenen Armsesseln saßen vorn die Baronesse Elsheim und die Aebtissin, so wie die Fürstin und der Reichsgraf; auf gewöhnlichen Stühlen einige geladene Gäste aus 208 der Nachbarschaft; etwas von den Herrschaften entfernt die Dienerschaft des Schlosses und Landleute, Unterthanen des Barons, denen Elsheim diese Freude gönnen wollte. Von den Gerichtspersonen, die vor einiger Zeit bei der Uebergabe des Gutes an Elsheim waren betheiligt gewesen, hatten sich einige auch die Erlaubniß ausgebeten, an diesem Abend sich wieder einfinden zu dürfen. So war der große Saal ziemlich angefüllt, und so ruhig sich auch, aus Respect vor den Herrschaften, die Landleute hielten, so vernahm man doch in halblauten Gesprächen, wie sie alle, die wohl noch nie ein Schauspiel gesehen hatten, auf das Heben des Vorhanges und die Entwickelung der Darstellung neugierig und gespannt waren.

Mannlich, als Regisseur, stand schon mit seiner Klingel in der Hand bereit. Das Theater war leer, und Leonhard hatte eben mit Lachen die kleine Dorothea betrachten müssen, die sich in dem zu großen Küraß des Hans komisch, aber allerliebst ausnahm. Die erste Scene in der Schenke blieb weg, und das Stück sollte sogleich mit dem Monologe des Götz beginnen. Die Scene war daher Wald, und vorn als Seiteneinsatz das Wirthshaus. Aus dem offenen Fenster desselben, in der Coulisse stehend, lehnte jetzt Leonhard, als Mönch gekleidet. Er erschrak fast, da jetzt von gegenüber Charlotte, als Adelheid, hereintrat, im weißen Atlaskleide; im vollen braunen Haar einen leichten Kranz von Myrthen und weißen Rosen; Hals, Schultern und ein Theil des schön gewölbten Busens frei. Leonhard hatte nie geglaubt, daß weibliche Schönheit so groß und glänzend, so bezaubernd einhertreten könne. Wie schalt er jetzt auf sich, daß er sonst oftmals auf geschminkte Weiber im moralischen Zorne gescholten hatte. Denn nur mittelst der Schminke konnten beim Schein der Lichter diese dunkeln Augen so überirdisch glänzen, 209 nur gegen aufgetragenes Roth Stirn und Augenbraunen von den Wangen durch reinen Glanz so abstechen. Um so mehr leuchteten dadurch Busen und Schultern. Während er noch diese Betrachtungen anstellte, trat sie zu ihm, stellte sich an das Fenster und sagte, indem sie ihm das Buch reichte: Ach, lieber Leonhard, ich bin so ängstlich, überhören Sie mir schnell noch einmal die ersten Reden meiner Rolle, ob ich auch sicher bin. Er nahm das Buch, und sie stand, nur durch die leinene Wand von ihm getrennt, dicht neben ihm; sie sah mit in das Buch, das er ihr hinhielt, und so kam von selbst die Hand, welche die Blätter hielt, auf den schönen festen Busen zu liegen. Sie sagte die Worte her, und er half ein. Nun die Stelle, rief sie, wo ich immer am unsichersten bin. Sie zeigte mit den Fingern, etwas mehr umgewendet, in die Schrift, und so drückte sie seine zitternde Hand fester auf den Busen. Er konnte die Stelle, die sie suchte, nicht finden, sie sah vom Buche auf und ihn lächelnd an, doch, indem sie den Mund öffnete, um zu sprechen, erscholl die Klingel des Regisseurs, und sie schlüpfte hinter die Scene. Nach einer kurzen Musik hob sich der Vorhang. Leonhard verließ träumend und seltsam bewegt seinen Standpunkt, um hinter dem Walde wegzugehen, damit er als Mönch von der anderen Seite hereinkommen könne. Er hörte nichts von dem zu laut gesprochenen Monolog des Götz; er sah den kleinen liebenswürdigen Georg nicht, bei dessen Erscheinen der ganze Saal von lautem Gelächter erscholl; er dachte einzig an die unbillige Rüge seines Freundes, der Charlotten mit jenen grell funkelnden Kunstblumen verglichen hatte, die aus der Folie geschlagen werden. Er mußte sich sagen, daß Gold, Demant und Edelstein, Blume und alles, was im Lichte schimmert und glänzt, vor dem hellen Leuchten eines schönen weiblichen Körpers erblindet. Diese Betrachtungen waren 210 ihm jetzt die natürlichsten, sie rissen seine Seele ganz in diese Anschauung und Fühlung hinein, und es kostete ihm einen harten und beschwerlichen Kampf, um auf sein Stichwort zu achten, welches nun bald ertönte, und das den ganz Zerstreuten auf die Bühne und vor die Blicke aller Zuschauenden hinrief.

Es war ihm schwer sich zu sammeln, und seine ersten Worte zitterten; doch fand er die Fassung wieder und sprach die Scene nun, um nicht in jenes undeutliche Lallen wieder zu gerathen, zu stark. Als er an die Rede kam: Und eure Weiber? – Ihr habt doch eins! – Und doch war das Weib die Krone der Schöpfung! sprach er mit einem unbilligen Enthusiasmus. Er war froh, als er seine Scene geendigt hatte und sich nun in das angewiesene Zimmer begeben konnte, um sich zum Lerse neu anzukleiden und anders zu schminken.

Elsheim als Weislingen erschien sehr liebenswürdig. Sein weicher Ton, seine schlanke Gestalt und sein edles Antlitz imponirten den Zuschauern und rührten sie zugleich. Bei seinem Auftreten verschwand Mannlich als Götz völlig in ein Nichts. Dessen rohe Art, mit der er die Sprache behandelte, sein ungeschicktes Benehmen und die stets zu weit ausgreifende Geberde fielen nun erst recht als unziemlich ins Auge. Die Tante als Elisabeth und Albertine als Marie waren zu loben; ein hübsches Kindchen hatten die Frauen zum Carl gut abgerichtet, und so ging der erste Act zum Wohlgefallen der meisten Zuschauer zu Ende.

Weislingen hatte schon während des Spieles ein lautes störendes Schluchzen, welches zwischen den Coulissen hervortönte, und das er zu kennen glaubte, zu seinem Verdrusse vernommen. So wie also der Vorhang fiel, ging er zu dem alten Förster, von dem diese Klagelaute herrührten, und der 211 händeringend und stark weinend hinter dem Theater herumirrte. Der Alte gewährte in seinem Zigeunercostüme und in seiner Verzweiflung einen fratzenhaften Anblick. Da er sich gar nicht zufrieden stellen wollte, und Elsheim einsah, wie die Sache sich im letzten Augenblick nicht einrichten ließe, er auch eine lächerliche Störung befürchtete, so gab er den Alten frei, der auch sogleich mit heulendem Jubel davonrannte. Weislingen nahm sich vor, nach seinem Tode selbst noch die kleine Rolle des Zigeunerhauptmanns auszuführen. Doch eine weit schlimmere Störung kam von einer ganz anderen Seite, denn das Schicksal hatte beschlossen, daß diese Sorgen Elsheims für heute anderen Platz machen sollten.

Beim Umkleiden sagte Leonhard zu sich selbst: Wie ist mir denn? Ich komme mir wie ein Knabe vor. Ist dies das erste Mädchen, welches mir jemals seine Gunst zu erkennen gab? Es ist ja auch möglich, daß alles nur Zufall war und ohne Absicht geschah. Doch war ihr Blick von einer Freundlichkeit, mit der ihr Auge mich noch niemals angeschaut hat. Auch irre ich wohl nicht, wenn ich Schalkheit in diesem lächelnden Auge zu lesen glaubte.

Er eilte, um so wenig als möglich die Scenen zu versäumen, in welchen Adelheid auftrat. Sie kam ihm bewundernswürdig vor, und immer tiefer wuchs dieses zauberhafte Wesen in sein Herz hinein.

Es schien fast, als wenn Elsheim ungern seine Scenen mit Albertinen spielte, und als nun der überaus treuherzige, etwas rohe Selbitz auftrat, vernahm man im ganzen Saal eine Bewegung und das Summen eines ungetheilten Beifalls. Die Dienerschaft und die Landleute glaubten einen aus ihrer Mitte zu vernehmen, und dieser Charakter war ihnen um so lieber, weil sie den Darsteller, den Schulmeister, persönlich kannten und oft in der Schenke, oder in ihren 212 Häusern ganz vertraut mit ihm umgingen. Die höchsten Herrschaften aber, die den Schauspieler nicht kannten, kamen darin überein, daß er der beste von allen sei und wahrscheinlich als ein vollendeter Künstler, von irgend einer großen Bühne vom jungen Elsheim für dieses Spiel sei verschrieben worden. Warum, sagte die Fürstin, hat man diesem Manne nicht die Hauptrolle übertragen? – Der Reichsgraf flüsterte der Fürstin und Aebtissin zu: Aber bemerken Durchlaucht die unendliche Kunst des Mannes, mit welcher er seine Maske angeordnet hat. Wie hat er nur diesen unvergleichlichen Stelzfuß zu Stande gebracht? Sollte man nicht schwören, das Bein sei ihm unterhalb des Knies wirklich abgenommen worden? Und wie er mit dem scheinbaren oder wirklichen Holze stampfen kann, wenn er in Zorn geräth! Ich vermuthe fast, dieser Selbitz ist der berühmte Iffland selbst, der nach Aussage von Kennern so einzig die Kunst sich zu maskiren versteht.

Wäre das Stück nur nicht, erwiederte die Erlauchte, so ganz vom gemeinsten Charakter! Das Decorum und der Anstand sind doch nicht im allermindesten beobachtet. Wo hat der Autor diese Menschen nur aufzufinden gemeint, denn sie handeln und sprechen in einer Weise, die ganz an das Unmögliche gränzt.

Wir Deutschen, bemerkte der Reichsgraf, sind noch zu sehr in Bildung und Kritik zurück. Und vollends jetzt! Man hat, wie ich höre, die französischen Muster, die uns noch zur Richtschnur dienen konnten, völlig verlassen und will nun mit Sitten des gemeinen Mannes, mit Sprichwörtern und Provinzialismen, mit der ärmsten Bürgerlichkeit und der Rohheit der ungebildeten Stände ein deutsches Wesen etabliren, das nun eben so national werden soll, wie Racine und Corneille bei den Franzosen. So hat mich wenigstens ein gelehrter 213 Freund versichern wollen. Und dies Ding, was wir hier vor uns sehen, ist offenbar jenem Shakspeare nachgeahmt, der auch Welt und Menschen nicht kannte, und in der Rohheit seine Originalität suchte und fand.

Sehr wahr, erwiederte die Aebtissin, und man sieht wohl, daß mein guter Neveu auch aus dieser seltsamen Schule herkommt. Aber er sieht hübsch aus in seinem Costüme, nicht wahr,ma soeur?

Ich verstehe den Zusammenhang von der ganzen Sache nicht recht, erwiederte die Mutter; es ist weder eine Conspiration, noch eine Liebesgeschichte; man erfährt immer wieder etwas Neues und muß darüber das Vorige vergessen. Am meisten gefällt mir Albertinchen; ich wollte, die weiche Personage wäre die Hauptperson, denn sie hat mich schon ein Paar Mal recht herzlich gerührt. Mein Sohn. das fürchte ich immer mehr, wird sich schlecht gegen sie betragen, und sich in die Stadtdame vergaffen.

Die Adelheid, oder wie sie heißt, fing die Erlauchte wieder an, müßte sich aber ganz anders betragen, denn sie ist bei weitem nicht vornehm genug.

Ja wohl, sagte die Aebtissin. Ah! das verstand die Clairon, die ich noch in meiner allerfrühsten Jugend gesehen habe, ganz anders. Sie ist, diese junge Charlotte hier, viel zu liebenswürdig für ihre Rolle.

So war der zweite Act vorübergegangen, und, als der Vorhang wieder fiel, lobten sich die Spielenden unter einander, und Adelheids Benehmen und ihr Ton wurden von allen bewundert. Aber daß wir nur nicht unsere liebe herrliche Dorothea darüber vergessen, rief Elsheim aus; was sind wir nicht diesem allerliebsten Fräulein für ihre Gefälligkeit schuldig! Ohne ihre Bereitwilligkeit war das Stück unmöglich; 214 und welch ein schönes Talent hat sie entwickelt! Ich halte diesen Georg für eine der wichtigsten Personen im Stück und für eine der schönsten Charakterzeichnungen, die uns der große Dichter nur jemals gegeben hat.

Nun aber, sagte Mannlich, entwickelt sich erst im dritten Act am meisten der heroische Charakter des Götz. Auch Georg tritt dreister auf, und der alte Selbitz hat die herrliche Scene, wo er verwundet unten am Thurm liegt, in dessen Luke der Knecht hinaufsteigt. Da müssen wir uns recht angreifen. Wie Schade, daß ich nicht zu Pferde kommen kann, wie es im Original vorgeschrieben ist.

Ha! was Pferde, schrie der Schulmeister, indem er seine Krücke schwang; die können wir entbehren. Ich und der Baron Mannlich, wir wollen beide schon selbst so bestialisch wettern und rumoren, daß man keine andere Creatur vermissen soll!

Mannlich sah den Alten. der zu sehr begeistert war, von der Seite an und wußte nicht, was er ihm antworten sollte. Er eilte von der Bühne, um nachzusehen, ob alle Verwandlungen und Umkleidungen vorbereitet seien, damit man so bald als möglich den dritten Act beginnen könne.

In diesem Act hatte Elsheim am meisten zusammenziehen müssen, weil die Scenen im Original zu schnell wechseln und eine ganz wörtliche Aufführung unmöglich machen; doch hatte er mit großer Sorgfalt jeden charakteristischen Zug, jede schöne Rede beibehalten, nur waren die Reichstruppen und Götzens Leute mehr in ihren Scenen beisammen, und Elsheim hoffte, daß in dieser Zusammenziehung seine kleine Bühne so ziemlich schicklich das Gedicht darstellen würde.

Da man in der Anordnung den Wechsel der Scenen mehr andeutete, als ihn wirklich ausführte, und ein 215 vorgeschobener oder weggezogener Busch eine andere Landschaft vorstellte, so konnte man rasch vorschreiten und vereinigen, ohne daß der ursprünglichen Form des Gedichts zu sehr Gewalt angethan wurde. Selbst Mannlich, hingerissen von der Bewegung, spielte und sprach schneller, als in den vorigen Acten. Der Auftritt, in welchem Selbitz verwundet herbeigeführt wird, ward mit Präcision gegeben und fand vielen Beifall; über die Reichstruppen wurde gelacht, und Götz hatte den vollständigsten Sieg davon getragen. Leonhard hatte sich wieder gesammelt, und gab seinen Lerse mit der einfachen Biederkeit, die ihm selbst so natürlich war, so daß er gegen Mannlich, der immer mit vollem Munde predigte, lebhaft contrastirte. Früher schon hatten Adelheid und der Cadet als Franz ihre Scene vortrefflich gespielt, und Sickingen, der Professor, war in allen Auftritten so gehalten und ruhig, wie es sein Charakter erforderte. Georg erschien allen als unverbesserlich und darum noch mehr zu loben, weil man ganz vergaß, daß ein junges Mädchen diesen heroisch muntern Knaben spielte.

Nun aber waren die bis dahin glücklichen Kämpfer in ihrer Burg eingeschlossen. Mannlichs Brust hob sich stärker, als gewöhnlich, und man sah es ihm an, daß er einen großen Moment, einen auffallenden Effect präparire. Er hatte schon von Sickingen und seiner Schwester Abschied genommen, und nun vernahm er von außen die Trompete und die Aufforderung, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Mannlich hatte durch seine tapfre und muthige Haltung jetzt die Meinung Aller gewonnen; selbst die hohen Herrschaften auf ihren Sesseln schwatzten nicht mehr und hatten sich einer gewissen Täuschung ergeben, als jetzt der Ritter dem Trompeter jene ungezogene Antwort giebt, die er freilich in seiner 216 Lebensgeschichte aufgeschrieben, und die auch Gothe in den ersten Auflagen des Gedichtes beibehalten, nachher aber weggestrichen und bloß angedeutet hat. Mannlich aber, um dem ächten Original und der Wahrhaftigkeit der Geschichte nichts zu vergeben, sprach mit der lautesten Stimme und in noch langsamerem Tempo, als sonst, noch gehaltener und jedes Wort und jede Sylbe accentuirend, die ganze Ungezogenheit schreiend aus.

Es ist nicht leicht zu beschreiben, welche Wirkung diese declamirte Stelle im ganzen großen, mit Menschen überfüllten Saale hervorbrachte. Es ist keine Uebertreibung, wenn man behauptet, daß noch niemals ein dargestelltes Theaterstück so ungeheuer drastisch gewirkt habe. Die Bauern ergaben sich dem unmäßigsten Gelächter, die Dienstleute erschraken; denn alle waren überzeugt, die Stelle sei vom Baron extemporirt, es sei irgend etwas auf dem Theater vorgefallen, und er richte sie im Zorn und in der Wuth an jemand anders, als an den Trompeter. Die Gerichtsleute schmunzelten und bedeckten in der Verlegenheit ihre Gesichter mit dem Taschentuch. Wahrhaft furchtbar aber traf der Schlag in das Parterre noble. Die Erlauchte schrie laut auf und lag in Ohnmacht; die Aebtissin bekam ihre Krämpfe und rief nach ihrem Kammermädchen und um Hülfe; die Mutter, selbst einer Ohnmacht nahe, bemühte sich um die Freundinnen und rettete in lautes Weinen und Schluchzen ihre Besinnung; der Reichsgraf rief scheltend nach Bedienten, und Weislingen, der, selbst erschreckt, aus den Coulissen diesen ungeheuern Aufruhr sah, der sich unten im ganzen Saal erhob, denn alles war aufgestanden und lief durch einander, sprang schnell über das Orchester hinweg vom Theater herunter zu seiner Mutter und der hülfsbedürftigen Gruppe, um welche sich 217 alles drängte. Dort war Schreien, Weinen, Krampf, Ohnmacht und Schelten, und Elsheim wußte nicht, was er zuerst thun, wie er am besten rathen sollte. Mannlich hatte sich erstaunt und mit offenem Munde vorn an das Proscenium gestellt, denn auch auf dem Theater war ein Stillstand des Entsetzens eingetreten, als Weislingen von unten zur Bühne hinauf rief, daß man den Vorhang niederlassen solle. Dies geschah, und so war im allgemeinen Tumult, ohne Epilog oder Entschuldigung, das historische Schauspiel vom Götz von Berlichingen für diesen Abend zu Ende und beschlossen.

Bediente, Kammermädchen, Läufer, der Haushofmeister, alles hatte sich herbei gemacht, um die alten Damen zu führen, zu heben und aus dem Saal zu tragen. Man begab sich nach einem anderen Zimmer; Sofas und Lehnstühle wurden für die Kranken und Leidenden herbeigeschoben und geordnet, so wie die Hausapotheke in Anspruch genommen. Als die Damen sich etwas erholt hatten, ergossen sich alle, unter Vortritt und Vorspruch des Reichsgrafen, in unerschöpfliche Vorwürfe gegen Elsheim, der in sein Haus einen Mann eingeführt und als seinen Freund dargestellt habe, welcher, uneingedenk seines Standes und was er der Gesellschaft schuldig sei, sich so ungeheure Sottisen erlaube.

Ja wohl, ja wohl, unterbrach sie die Mutter weinend, – ach, wer hätte so was in dem Manne gesucht! Ja wohl war das eine Ueberraschung, die mir zubereitet wurde. Um den Schlag zu kriegen!

Er ist zu sehr unter mir, rief der Reichsgraf, sonst würde ich diesen Herrn von Mannlich auf Ritterweise darüber zur Rechenschaft ziehen, daß er frech und roh es gewagt hat, uns, der Durchlaucht, der Frau Aebtissin und mir, so was in Gegenwart von Bauern und Domestiken laut zuzurufen.

218 Wie? sagte Elsheim erstaunt, Sie meinen gar, wenn ich Sie nicht mißverstehe –

Ja, ja! rief die Erlauchte, die sich jetzt etwas erholt hatte, das leidet gar keinen Zweifel. Er sah schon immer in den vorigen Scenen so giftig nach uns hin. Er war darüber erboßt, daß wir uns einige Zweifel erlaubten.

Wohl! fuhr der Reichsgraf zornig fort, er mochte merken, daß wir dem ächten großen Schauspieler, dem Selbitz, den Vorzug gaben; wir sprachen laut, er hat es wahrscheinlich oben gehört; und nun stellt er sich vorn an die Lampen, sieht uns starr und höhnisch grinsend an und schreit uns – uns diese niederträchtige Grobheit, ärger, als es ein Sackträger, schlimmer, als es ein Stallknecht thun könnte, entgegen, winkt und dreht dabei mit den Händen und Augen noch so wunderlich –

Ja, recht absonderlich, rief jetzt die Aebtissin. Ich hätte, wenn ich es nicht erlebte, dergleichen niemals für möglich gehalten.

Was hat sich der Mann nur dabei gedacht, sagte die Mutter, den wir immer so freundlich aufgenommen haben?

Verehrte, sagte jetzt Elsheim etwas ungeduldig, fern sei es von mir, die Ungezogenheit des Barons auch nur irgend entschuldigen zu wollen; die Rohheit ist zu auffallend; aber ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, Ihr unbegreiflicher Argwohn wenigstens ist ganz ungegründet. Diese anstößigen gemeinen Worte sind in der That im Stück, sie sind so gedruckt, nur hat sie später der Verfasser selbst als unziemlich wieder weggestrichen. Höchst tadelnswerth ist Mannlich, daß er die alte abgesetzte Leseart so willkührlich wieder aufgenommen hat. In den Proben ließ er sich nichts davon merken, daß er sie sprechen und wie sprechen würde.

219 Und wie! wiederholte der Reichsgraf, uns so starr dabei ansehen, so mit den Händen gegen uns fechten und wie ein Zahnbrecher schreien!

Also, sagte die Aebtissin, in dieser deutschen Tragédie findet sich wirklich diese ganz unzüchtige und obscöne Tirade? Und ein solches Stück, Neveu, suchen Sie aus und studiren es ein? Das also ist die neue deutsche Bildung und der jetzige Geschmack?

Es war Ihre Pflicht, Herr Baron, sagte die Erlauchte mit starkem Ton, uns davon in Kenntniß zu setzen, daß es eine Parade sei, die Sie uns zum Besten geben wollten; hätten wir dieses erfahren, so hätten wir uns gewiß nicht hieher bemüht!

Parade? nahm die Aebtissin das Wort auf; ungezogene und skandalöse Paraden wurden wohl früherhin auch in den Palästen der Herzoge von Orleans und Conti gespielt, aber, auf meine Ehre, niemals hörte man doch so pöbelhafte Grobheiten, die ohne Witz und Bedeutung bloß niederträchtig sind.

Ich kann den Baron jetzt nicht und noch lange nicht wiedersehen, sagte die Mutter; bedeute ihm nur dies, das bitte ich mir aus von Dir, mein Sohn. Er hat mich und uns alle zu gröblich beleidigt.

Und wir verlassen das Haus morgen mit dem Frühesten, sagte die Erlauchte. Eine Art von Glück, daß das edle deutsche Schauspiel so endigen mußte, denn wer weiß, was uns nach diesem échantillon noch alles bevorstand.

Ohnerachtet der dringenden Bitten der Mutter wollten die Damen nicht länger verweilen, weil man sie zu tief und schonungslos verletzt habe, und der Reichsgraf, der durchaus ihren Zorn billigte und theilte, gab ihnen in allen ihren Beschwerden und Aeußerungen Recht. Auch die Mutter war 220 so aufgebracht, daß sie sehr leicht dem Ersuchen der Aebtissin nachgab, sie alle nach der Residenz zu begleiten, wo sie wenigstens acht Tage hindurch in Concerten, Opern, Schauspielen und Assembleen, wie in einem Gesundbrunnen, dieses ungeheure Erlebniß von sich abwaschen und die Verwundung des Herzens heilen wollten.

 

Auf dem Theater, zu welchem Elsheim jetzt zurückkehrte, herrschte noch größere Verwirrung. Alle Mitspielenden hatten den Baron Mannlich bestürmt, gefragt, getadelt und gescholten, wie er sich so sehr habe vergessen können, auf so skandalöse Weise das Schauspiel zu beschließen, als wenn das letzte Epigramm gleichsam die moralische Nutzanwendung des ganzen Gedichtes hätte vorstellen sollen. Er wehrte sich, so gut er konnte, doch ließ man ihn nur wenig zu Worte, und da einige der Nebenpersonen, am meisten aber der husarische Schulmeister, mit etwas empfindlichen Vorstellungen in ihn drangen, der Graf Bitterfeld aber beinahe beleidigend wurde, so fürchtete Emmrich schon, daß er den Ausdruck des classischen Dichters, oder wenigstens einen ähnlichen in seiner eignen Angelegenheit wiederholen möchte. Elsheim kam gerade zur rechten Zeit, um die streitenden Parteien, wenn auch nicht zu versöhnen, so doch einander näher zu bringen. Er beruhigte also den zu ungestümen Schulmeister, lobte und beschwichtigte den eifernden Cadeten, der außer sich war, daß er seine schöne Rolle nicht hatte zu Ende spielen können, in welcher ihm noch Umarmung und herzlicher Kuß der vergötterten Adelheid bevorstanden, die er nicht so obenhin und nur andeutend zu spielen gedachte, wie es ihm in den Proben war vorgeschrieben worden. Die Damen, wie empfindlich sie auch natürlich waren, äußerten sich billiger, und so gelang 221 es Elsheim und dem Professor Emmrich, die Sache nach und nach mehr in das Komische zu lenken.

Wie durft' ich glauben, rief Mannlich, nachdem es etwas ruhiger geworden war, daß eine Tirade, freilich aus dem gemeinen Leben, aber doch aus der wirklichen Geschichte des treuherzigen Götz genommen, von unserm größten Dichter geweiht und geheiligt, ein solches Aergerniß erregen könnte. Ist die Ungezogenheit, oder Rohheit, wenn wir es so nennen wollen, nicht ganz deutsch und bei uns national? Der Franzose drückt sich anders aus, eben so der Engländer und Spanier, und diese besitzen, so viel ich weiß, diesen oder einen ähnlichen Ausdruck des geringschätzenden Zornes gar nicht. Der Deutsche also zum Deutschen, der Rittersmann, der kein Hofmann seyn will und darf, dieser sollte in einer alterthümlichen Zeit, wo allerdings Rohheit und Grobheit auch manchmal in besserer Gesellschaft herrschten, sich dieses Sprichwortes nicht bedienen dürfen?

Aber Satan von einem Menschen! rief Elsheim ungeduldig, vor Damen, die am Hofe gelebt, die in Racine's Tragödien gespielt haben! Und die Stelle war ja doch gestrichen, Du hast sie nie in der Probe gesagt.

Ich wollte eben überraschen! rief ihm Mannlich entgegen; ich wollte diese nichts sagenden Striche der neuern Editionen zur alten richtigen Lesart zurückführen. Diese Schattirung, diese Eigenthümlichkeit ist nach meiner Ueberzeugung dem originellen Dichterwerke unentbehrlich.

Alle lachten, und Emmrich sagte: Man hat mir erzählt, doch kann ich die Wahrheit der Anekdote nicht verbürgen, daß, als der großherzige Fürst von Weimar mit seinem Freunde Göthe auf einer Reise sich in Frankfurt aufhielt, sie in Sachsenhausen, wohin sie spaziert waren, von einem groben Sachsenhäuser, der sich mit den Nachbarn zankte, 222 diesen nationalen Ausdruck, wie ihn der Baron nennt, vernahm. Der Herzog sagte hierauf ganz ernsthaft zu Göthe: Es muß Dir doch wohlthun, zu erleben, wie Deine Dichtungen mit dem Volke verwachsen und in ihm Wurzel schlagen. Hast Du gehört, wie dieser ganz gemeine Mann so eben eine Stelle aus Deinen Werken citirt hat?

Die übrigen lachten, doch Mannlich blieb verdrüßlich und wurde es noch mehr, als er hörte, daß die Dame des Hauses sich für jetzt seine Besuche verbeten habe. Er ritt zornig fort und schwur, sich und seine Zeit niemals wieder für Freunde und für die Kunst aufzuopfern. 223

 


 


 << zurück weiter >>