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Im Hause des Barons Fernow war am Abend große Gesellschaft versammelt. Der Ruf, daß der beliebte Kapellmeister und sein erster Tenorist endlich angekommen seien, hatte in die Wohnung des Musikfreundes alles getrieben, was sich für die neue Oper interessierte. Man hoffte, einige der vorzüglichsten Partien vortragen zu hören, und viele drängten sich hinzu, um wenigstens nachher in andern Gesellschaften darüber sprechen zu können.

In diesem Getümmel, welches der Hausherr, seine Frau und eine Tochter mit Klugheit beherrschten, schwamm der behende Enthusiast wie in einem Strome herum, um jedem von der Herrlichkeit der neuen Komposition begeisterte Worte, über die große Manier, die lieblichen Melodien und den vortrefflichen Ausdruck in das Ohr zu raunen, obgleich er selbst noch keine Note davon gehört hatte. Sein rundes, gerötetes Gesicht schob sich wie eine Kugel von einem zuhörenden Kopf zum andern, und die meisten Gesichter zogen jene nichtssagende Miene, die in Gesellschaften geistreiche Aufmerksamkeit bedeuten muß. Jetzt wurde ein Teil der Versammlung auf einen andern Gegenstand hingerichtet, denn in einfacher, höchst sauberer Kleidung trat ein junges Mädchen herein, Von so glänzender Schönheit, daß man ihren unbedeutenden Anzug über den edlen und ausdrucksvollen Kopf, über die vornehme Gebärde, den feinen Anstand gänzlich vergaß, und die Nahestehenden sie mit Ehrfurcht begrüßten. Die Tochter des Hauses eilte auf sie zu, indem sie ausrief: »O, meine teuerste Julie! Wie glücklich machen Sie mich, daß Sie meinen Bitten doch noch nachgegeben haben! Aber Ihr Vater?«   »Sie Wissen ja«, erwiderte die Schöne, »wie menschenscheu er ist, wie wenig er mit seiner Melancholie und Kränklichkeit in die Gesellschaft paßt; und ich gestehe, ich würde auch nicht gekommen sein, wenn ich einen so großen Zirkel hätte vermuten können.« Die Umgebung sprach über die außerordentliche Schönheit dieses Wesens, und man erfuhr, daß sie die Tochter eines armen Musikers sei, die aus einer entfernten Stadt dem Fräulein des Hauses einen Brief einer Freundin überbracht hatte. Immer noch hatte der Kapellmeister mit seinen Sängern keines der Stücke vorgetragen, weil der Wirt noch einen jungen Grafen erwartete, der einer der größten Enthusiasten für Musik sein sollte. »Denken Sie sich«, sagte der Baron zum Kapellmeister, »den sonderbarsten, unruhigsten aller Menschen, nichts interessiert ihn als Musik, er läuft von einem Konzert ins andre, er reist von einer Stadt zur andern, um Sänger und Kompositionen zu hören, er vermeidet allen andern Umgang, er spricht und denkt nur über diese Kunst, und selten ist er doch ruhig genug, ein Musikstück ganz und mit völliger Aufmerksamkeit anzuhören, denn er ist ebenso zerstreut als überspannt. Dazu scheint er den eigensinnigsten und eingeschränktesten Geschmack zu haben, so daß ihm selten ein Kunstwerk zusagt, ebensowenig ist er mit dem Vortrag zufrieden, und dennoch bleibt er Enthusiast. Er ist von großer Familie und reich, war eine Zeitlang in diplomatischen Geschäften an einem angesehenen Hofe, hat aber alles der Musik wegen, die er doch oft nach seinen Reden zu verabscheuen scheint, aufgegeben.«

Die nähern Freunde des Barons waren nach dieser Schilderung sehr begierig, einen Mann zu sehen, der wie von bösen und guten Geistern geplagt und verfolgt wurde. Als daher Graf Alten eintrat, sahen ihm alle mit großer Neugier entgegen. Er begrüßte die Gesellschaft hastig, und sein dunkles Auge durchlief sie eilig; dann senkte er den Blick und setzte sein Gespräch mit einem alten, hagern und eingeschrumpften Italiener fort, welcher mit ihm gekommen war. Doch plötzlich brach er ab und rief halb vernehmlich: »Himmel! was ist das?« Er stand unmittelbar hinter Julien. Jetzt sang der Tenorist eine Arie der neuen Oper, und alles schien begeistert, der Graf war in tiefen Gedanken. »Nun, Eccellenza«, fragte der Italiener am Schlusse, »sein Sie kontentiert?«   »Ich habe keinen Ton gehört«, antwortete der Graf, indem er den Kopf erhob und die schwarzen Locken aus der denkenden, melancholischen Stirne strich.

Er benutzte die Pause, in welcher sich alles lobend und bewundernd um den Kapellmeister drängte, vorzutreten und sich neben Julien zu setzen. Er wollte sie anreden, aber indem sie höflich das Antlitz zu ihm wandte, fuhr er wie erschreckt zurück. »Nein, wahrlich, dergleichen hatte ich nicht erwartet!« sagte er für sich. Das junge Mädchen war erstaunt und verlegen. »Verzeihen Sie«, redete der Graf sie heiterer an, »Sie werden mich sonderbar finden; als ich vorher hinter Ihnen stand, mußte ich glauben, eine ehemalige Bekanntschaft zu erneuen, und jetzt bin ich von Ihrer mehr als wunderbaren Schönheit so geblendet worden, daß ich Zeit haben muß, um mich zu fassen. Die wahre, echte Schönheit kann wohl erschrecken, denn etwas Übermenschliches kündigt sich unsern Sinnen und dem Gemüte an. Himmel! wie müssen Sie singen!«

»Ich singe gar nicht, Herr Graf, und habe weder Stimme noch Kenntnis der Musik«, erwiderte sie mit angenehmem Ton.

Der Graf sah sie prüfend an, schüttelte dann zweifelnd den Kopf und murrete unverständliche Worte verdrossen vor sich hin. Jetzt wurde ein Duett vorgetragen, und alles war aufmerksam, nur der Graf betrachtete unverwandt seine Nachbarin. Das Duett war schwierig, und die erste Sängerin äußerte ihren Verdruß, der Kapellmeister wurde empfindlich, wies zurecht, half nach, alles vergebens; man mußte abbrechen, indem die Virtuosin behauptete, die Passage müsse geändert werden, weil sie ihrer Stimme ganz entgegen sei; der Komponist meinte, er dürfe Ausdruck und Kraft nicht dem Eigenwillen aufopfern, denn die vortreffliche Künstlerin könne dies und noch schwierigere Sachen leisten, wenn sie sich nur bemühen wolle. Darüber aber wurde der Gesang völlig unterbrochen, und indem der Kapellmeister ein anderes Musikstück anordnen wollte, sagte der Graf zu Julien: »Ich wette, Sie können diese schwierige Stelle ohne Anstoß vom Blatte singen, wenn Sie nur wollen.« Als Julie zu leugnen fortfuhr, sagte jener: »Ihre Röte, Ihr Auge widerspricht! Wie? dieser gewölbte Mund sollte in der Mitte der Lippen diese sanfte, seelenvolle Erhöhung von selbst haben, und nicht von den reinen vollen Tönen, die so oft über diesen Hügel schwebten? Denn nur der Ton, wenn er stark und lieblich die rote Straße befährt, darüber klingend weht, bildet diese ausdrucksvolle Erhebung; ganz im Gegensatz jener gefurchten Mundwinkel, die jene berühmte Sängerin dort hat, die mit breitgedrückten und in die Länge gequetschten Lippen den armen kreischenden Ton hervorpreßt. Sie versündigen sich, meine Schöne, daß Sie Ihr großes Talent verleugnen wollen.«

»Sie sind zu scharfsichtig«, erwiderte Julie; »um so trauriger, daß Sie dennoch irren.«

»Sie sprechen auch ganz wie eine Sängerin«, fuhr jener fort, »es ist ein lieblicher, aber unterdrückter Ton in der Rede, der seine Fittiche nicht auszufalten wagt. Wenn Sie doch nur wenigstens einen einzigen Ton anschlagen wollten! das Glück meines Lebens hängt davon ab, daß Sie singen können.«

»Sie quälen mich, Herr Graf«, antwortete die Verlegene empfindlich; »ich versichere Sie auf das teuerste, ich werde nicht singen, weil mir diese herrliche Gabe von der Natur versagt wurde.«

»Gnaden«, sagte der braune kleine Italiener, »sollen alles zu Virtuosen haben: kann aber nicht alles singen, was hübsch und feinen Mund hat. Konträr! haben oft göttliche Primadonna vor pur himmlisch Gesang und forciert Schreien eine Schnauz wie Signor Cerberus, der die Talent hat, dreistimmige Sach solo durchzuführen.« Bekanntlich hatte der Höllenhund Cerberus drei Köpfe.

Der frohe leichte Geist der Musiker war gestört, der Kapellmeister verstimmt und die erste Sängerin mehr als verdrießlich. Der Enthusiast war in der Klemme, weil er es mit keinem verderben und doch keinen stummen, gleichgültigen Zuschauer abgeben wollte. Da man sah, daß für diesen Abend nichts Bedeutendes mehr geschehen würde, so entfernten sich nach und nach die Fremden, auch die Musiker gingen, und nur der Kapellmeister blieb, dem sich der Enthusiast, ohne eine nähere Einladung abzuwarten, anschloß; der gedankenvolle Graf und sein Italiener verweilten ebenfalls, um mit der Familie des Barons beim Glase Wein und einem leichten Abendessen sich zu erheitern.

»So ist es nun wieder wie fast immer ergangen«, fing der Kapellmeister an, als sie um den runden Tisch saßen; »man arbeitet sich ab, man studiert, man quält und endlich freut man sich auch, wenn das Werk vollendet ist und gelungen scheint, und dann muß es diesen elenden, verdorbenen Handwerkern übergeben werden, die nichts gelernt haben und mit dem Wenigen, was sie wissen, noch wie mit Wunderwerken hinter dem Berge halten wollen. Kann es einen traurigern Beruf als den eines musikalischen Komponisten geben? Denn endlich nun, wenn auch dieser Jammer durch Bitten, Drohen, Scherzen, Vergötterung, Lüge und Falschheit, durch kleine Änderungen, Zusätze und Wegnahme überwunden ist, wird das gemarterte Werk der Laune des Publikums und dem blinden Zufall, seinem allmächtigen Beherrscher, übergeben. Nun muß es aber weder zu heiß, noch zu kalt, das Haus muß weder zu voll, noch zu leer sein, keine große politische Neuigkeit darf sich eben haben hören, ja keine Seiltänzer und Springer anmelden lassen, um das so notwendige Klatschen und mit diesem armen Beifall einigen Enthusiasmus zu erregen. Und doch kann man es nicht lassen, sich wieder in der Vorstellung zu erhitzen, um eine neue undankbare Arbeit zu beginnen.«

»Wo ist die Dame geblieben?« fuhr der Graf plötzlich auf.

»Neben der Sie lange saßen?« fragte die Tochter. »Diese ist längst fort und von einer Magd abgeholt worden, denn sie wohnt entlegen, in einer fernen, unbekannten Gasse.«

»Die sollte Ihre treffliche Arbeit singen«, sagte der Graf, »da würden wir etwas anders hören.«

»Sie irren«, berichtigte die Tochter, »ich weiß, daß das junge Frauenzimmer durchaus nicht musikalisch ist. Sie ist aber sonst in weiblichen Arbeiten sehr geschickt, auch hat ihr Vater, ein alter, verarmter Musikus, sie etwas zeichnen lernen lassen.«

»O du alter Sünder!« rief der junge Graf im höchsten Verdruß, »und keinen Gesang diesen Lippen, keinen Ton diesem schwellenden Munde! Ist es nicht, als wenn man der Rose den Duft rauben wollte, den die Natur ihr gleich im Erblühen mitgegeben hat?«

Die Tochter War etwas empfindlich, denn sie glaubte auch eine Sängerin zu sein, da aber der Kapellmeister in seiner Klage fortfuhr, so blieb ihre gespitzte Antwort unbeantwortet. »Abgesehn aber«, fuhr der Kapellmeister fort, »von diesen armseligen Zufälligkeiten, so verkündigen sich auch erst am Kunstwerke selbst bei der öffentlichen Darstellung Mängel, welche sich der Komponist vorher auf seinem Zimmer nicht hat träumen lassen. Denn mögen wir ein Werk noch so oft durchsingen, genau kennen, von allen Seiten prüfen, das Urteil aller Freunde und Kenner vernehmen, so bleibt manches, und oft das Beste, zurück, und das Schlimmste zeigt sich bei der Aufführung erst. Und überhaupt   die Bestimmung des Künstlers! Ist sie nicht eine traurige? Ich setze mich zu keinem neuen Werke nieder, ohne innig überzeugt zu sein, daß ich nun etwas ganz und durchaus Treffliches, Vollendetes erschaffen werde, das meine großen Vorgänger erreicht und sie selbst hie und da übertreffen möchte. Diese himmlische Ruhe und Sicherheit verschwindet aber bald während der Arbeit; mein Entzücken an meiner Hervorbringung wechselt mit den bittersten Zweifeln. Dann fühl' ich oft recht innig, daß ganz, ganz nahe an dem, was ich schreibe, das Wahre und Himmlische liegt, daß meine Noten anklopfen und den Wandnachbar, den unbekannten, begrüßen: mir ist, ich dürfte nur den Kopf so oder so wenden, so müßte mir der Genius sichtbarlich entgegentreten   und immer, immer wieder erscheint er nicht! Mein Geist quält sich, um außen, weitab, die Bahn anzutreffen   und so im Jammer, im Resignieren, arbeite ich weiter. Es gemutet mir Es mutet mich an, kommt mir vor. wie der Affe mit seiner traurigen Unruhe und dem fatalen Gesichterschneiden: vielleicht hat er jeden Moment dunkler oder deutlicher eine Ahndung von der Vernunft, will sie nun, die nah' Erreichbare, und nun wieder haschen und sich dann besinnen und findet sich immer wieder in seinem widerwärtigen Zustand eingeriegelt.«

Jetzt trat noch ein Mann reifen Alters zur Gesellschaft, ein Gelehrter und Hausfreund des Barons, der sich fast täglich einfand, aber gern die größeren Versammlungen vermied. »Sie haben wieder«, redete ihn der Wirt an, »unser Konzert, wie Sie es gewöhnlich machen, nicht mit anhören wollen.«   »Ich bin zu sehr Laie«, erwiderte der Freund, »und darum mag ich mich nicht unter die Kenner drängen; soll der Unmusikalische den Gebildeten durch seine trockne Gegenwart ihren Genuß verkümmern?«

»Wir kennen diesen Schalk schon«, rief ihm der Kapellmeister zu, indem er den alten Bekannten begrüßte. »Sie haben recht gethan, denn unsre Sängerinnen haben wieder den alten Spuk getrieben, schlecht gesungen, sich zu vornehm gedünkt, die Musik kritisiert und endlich damit beschlossen, alle Musik in Verstimmung und Eigensinn zu beerdigen.«

»Sie sind also wirklich unmusikalisch?« fragte der Enthusiast; »und Sie machen auch kein Hehl daraus?«

»Warum sollte ich es?« antwortete der Laie; »kein Mensch kann alle Talente in sich vereinigen oder alle seine schlummernden Anlagen erwecken und ausbilden.«

»Viel Charakter, es so dreist zu bekennen«, erwiderte der junge Mann, der durch vieles Schwatzen während der Musik und den hastigen Genuß des starken Weines in eine Laune erhitzt geraten war, deren Sonderbarkeit er selber nicht zu bemerken schien. »Sehn Sie«, fuhr er fort, »daraus ist schon viel Unheil für mich entstanden, daß ich mich zu solchem Mute nicht habe entschließen können Ich war anfangs (und wie es schien, von Natur so geschaffen) gar kein Musikfreund, ich hatte kein Ohr, ich konnte keine Melodie behalten; darum vermied ich auch Konzerte und Opern, und in Gesellschaften, wenn Lieder gesungen, wenn Kantaten aufgeführt wurden, sprach ich entweder oder suchte eines Buches habhaft zu werden. Denn gewiß, nichts verschließt unser Ohr so sicher vor all den herein und durcheinander fahrenden Tönen, als ein tüchtiges und vorhaltendes Gespräch über Stadtneuigkeiten oder einige interessante Verleumdungen, ›Sehe man nur den Stock!‹ ertönte es nun von allen Seiten, ›hat die dicke Figur wohl ein menschliche Seele in seinen weitläufigen Fleischanlagen sitzen? Von der Musik, der göttlichsten aller Künste, nichts zu verstehn! Ist wohl ein Block, ein Stein, der nicht gewissermaßen von der himmlischen Harmonie gerührt werden müßte?‹   Nun gefiel mir dazumal auf mehr als gewöhnliche Weise ein gewisses Frauenzimmer: diese pflegte, sowie gesungen wurde, vor übermäßiger Empfindung herzlich zu weinen. Dieser nun war ich mit meinem kalten Herzen gradezu ein Abscheu. ›Wie?‹ sagte sie, ›lieben wollen Sie, der Sie nicht einmal eine Ahndung jener Wonne haben, die aus dem Himmel stammt und mit der Liebe so nah' verwandt ist?‹   Da, Freunde, faßte ich nun den großen Entschluß, umzusatteln und von der Musik gehörig begeistert zu werden. Alle meine Freunde und Bekannten erstaunten, als ihnen meine neugeprägt? blanke Entzückung in die Augen strahlte. Da war nun auch gar kein Halten mehr, ich übertraf alles in der Begeisterung, was ich nur je in den Gesellschaften hatte beobachten können; alles zappelte an mir vor Freude, sowie nur das Klavier angeschlagen wurde, die Beine trommelten, die Arme schlenkerten, die Augen wackelten, ja, ich nahm die Zunge zu Hülfe und leckte mir zuweilen die vor Erstaunen weitgeöffneten Lippen. Dann mußten die Hände klatschen, die Augen, wenn es irgend möglich zu machen war, weinen, die ausgestreckten Arme Bekannt und Unbekannt an dies stürmische Herz schließen, das mit mächtigen Schlägen im wildesten Enthusiasmus klopfte. Ja, wenn ich nachher in mein einsames Zimmer trat, war ich so müde und matt, so mürbe und zerschlagen, daß ich zuweilen Kunst und Künstler, Liebe und Harmonie sowie alle die bezaubernden Gefühle zum Satan wünschte.«

»Aber empfanden Sie nun wirklich recht viel«?« fragte der Laie lachend.

»Das ist eine bedenkliche Frage«, erwiderte der Enthusiast; »was der Mensch so stürmisch will, davon muß wohl etwas auch wirklich in sein Wesen übergehn; es wäre unbegreiflich, wenn durch das vorsätzliche Nachspielen nicht hie und da ein Gefühl in unsrer Brust widerklingen sollte. Aber um doch ganz aufrichtig zu sein, so war mir bei all diesem Bewundrungsbemühen oft unerträglich nüchtern zu Mute, so recht, was der Haufe langweilig nennt, und wenn ich nicht so stark mit Händen und Füßen gearbeitet hätte, so wäre mir wohl oft ein herzliches Gähnen angekommen. Das Schlimmste aber ist, ich habe doch nichts dabei gewonnen; denn meine boshaften Freunde meinten, ich hätte den Ansatz zu hoch genommen und sei von der andern Seite vom Pferde wieder hinuntergefallen. Sei ich erst wie ein verstocktes dumpfes Tier gewesen, so erscheine ich jetzt wie ein verwilderter Hasenfuß, mein Enthusiasmus träte als ein verzerrender Krampf auf, man müsse fast glauben, mein Arzt habe mir diese übertriebene Motion nur empfohlen, um sie gegen mein Fettwerden zu gebrauchen. Ach! und die Musiker! Von denen habe ich das meiste gelitten. Vor acht Monaten war es, als hier im Saal die beiden berühmten Kompositeurs ihre Sachen aufführten. Wie der erste geendigt hatte, konnte ich ihm richtig mit fließenden Thränen an seinen Hals fallen, und der Mann klopfte mir selber, über mein Entzücken gerührt, mit aller Freundschaft auf den Rücken, wir drückten uns recht herzlich zusammen, und er sagte ganz laut, er habe noch keinen so gründlichen Kenner in allen Reichen der musikalischen Welt angetroffen. Nun brannte der andere Mann aber auch sein Kunststück los. Thränen hatte ich nicht mehr, es meldete sich aber ein großartiges Schluchzen, was noch höher lag als die Thräne   und ein ganz stummer Druck, ein Vergehen, Aufgelöstsein, fast sterbend in die Arme des zweiten Hinfallen, ja ein reelles Abstehn Hinsterben. mußte diesen großen Meister belohnen. Der grobe Schelm ließ mich aber geradezu auf das Parkett hinschlagen, ohne mir seine dankbare Brust unterzustemmen, und sagte, wie ich in der Kunstohnmacht lag, höhnisch zu mir: ›Bleiben Sie in des Himmels Namen liegen, denn wer über die Stümperei jenes Menschen dort weinen kann, verdient gar nicht, einen Ton von mir mit seinen Ohren aufzufassen.‹ So erhob ich mich, um Trost bei meinem großen Freunde zu suchen, dessen allergrößter Kenner ich war. Er sprang aber auch vor meinem Ausruf weg, so daß ich mit der Nase fast an die Wand stieß, unter dem nichtigen Vorwande, daß, wer so wenig echtes Gefühl besitze, daß er das Armselige wie das Edle so übermäßig bewundern könne, für die Kunst ein mißgeschaffenes Ungeheuer sei. Wie ich nun bei meiner Geliebten Hülfe suchen wollte, war sie ebenfalls gegen mich empört, denn ich hatte bei ganz unrechten Stellen geweint und da am lebhaftesten empfunden, wo grade die wenigste Empfindung hingehörte. O Teuerste, Verehrteste, möchte man nicht fast veranlaßt sein, den Schwur zu thun, daß man bei Arioso und Cavatine, Finale und Ouvertüre, Adagio und Presto nur mit ruhig gekretschten Beinen dasitzen und höchstens zuweilen den Takt schlagen wolle; denn wenn all dies Hämmern und Puffen, dies Abarbeiten unsers irdischen entzückten Herzens, diese weissagende rinnende Thräne, die den Widerschein der Unsichtbarkeit abspiegelt, wenn alles dies nichts fruchtet, sag' ich noch einmal, und statt paradiesischer Sympathie nur die infernalische Antipathie erregt, so wünschte man ja lieber Balgentreter Bälgetreter bei der Orgel. oder Schmiedegesell als echter Enthusiast zu werden. Darum wundert euch nicht, wenn ich der undankbaren Kunst wieder einmal den Rücken wende.«

Als man über diese Geständnisse lachte, sagte der Laie im frohen Mut: »In meinem Leben gehören die Leiden der Musik auch zu den empfindlichsten. Nicht der zu starke Enthusiasmus hat mir geschadet, wohl aber sind meine Kinder- und frühen Jugendjahre mir durch Musik verbittert worden. Lächerlichkeiten, an die ich noch jetzt mit einigem Schrecken denken muß.«

»Sprechen Sie, alter Freund«, rief der Kapellmeister, »habe ich doch auch schon erst mein Leiden geklagt, was Sie freilich nicht mit angehört haben.«

»Ich mochte zwölf Jahre alt sein«, fing der Laie an, »es ging mir gut, in der Schule rückte ich schnell hinauf, meine Lehrer sowie meine Eltern waren mit mir zufrieden, als ein böser Geist, dieser Behaglichkeit und Harmonie zürnend, sein Unkraut unter den aufwachsenden Weizen säete. Mein Vater, ein strenger aber heiterer Mann, ließ mir frei, meine Bestimmung zu wählen er war ein Freund der Musik, aber ohne alles Talent. An einem Nachmittag fragt er mich, ob ich vielleicht Lust hätte, ein Instrument zu spielen. Mir war der Gedanke noch niemals gekommen; ich solle es mir überlegen, er verlange es nicht, aber wenn ich mich entschließe, müsse ich auch Ernst machen. Darauf kannte ich ihn, ich wußte, daß er sich nicht wundern würde, im Fall ich keine Musik triebe, aber einmal angefangen, durfte ich die Sache niemals wieder fallen lassen. Mir war, weil mein Ohr noch schlief, bis dahin alle Musik höchst gleichgültig und langweilig vorgekommen. Die Opern haßte ich geradezu, weil bei den Arien und Duetten, von denen ich nichts vernahm, die Handlung, die mich einzig interessierte, stehen blieb. Nie war in unserm Hausbedarf von Musik etwas vorgekommen, außer in den Stunden bei dem Tanzmeister, zu dessen vorzüglichsten Scholaren ich gehörte, der es mir aber nie hatte deutlich machen können, daß die Musik seiner Geige mit zum Tanz gehöre. Traf ich daher gleich anfangs den Takt, so tanzte ich meine Menuett, Kosak, Altmodischer Tanz von sehr gemäßigtem Tempo. oder was es war, trefflich hindurch. Fehlte es mir aber, so half kein Aufkratzen, Anhalten, Beschleunigen, mich wieder in den verlornen Takt zu werfen. Ich hielt es auch geradezu für Aberglauben, daß man herkömmlich zum Tanzen aufspiele. Konnte mich schon hier die Musik ängstigen, so brachte sie mich in der Kirche, die mir schon nicht erfreulich war, fast zur Verzweiflung. Meine Nerven waren schwach, und die losbrausende Orgel mit ihren schmetternden Tremulanten Bewegliche Klappen, die vermittelst eines Registerzuges den Ton vibrieren lassen. verwirrte mein Gehirn, und unerträglich fiel mir der unisone kreischende Gesang der Gemeine. Mit beiden habe ich mich auch noch nicht vertragen lernen: die Orgel, sei sie eine erhabene Erfindung, erschreckt und ängstigt mich in der Nähe, und dieser Choralgesang, der sich so demütig, wie gefesselte, reuige Verbrecher, auf dem Boden hinschleppt, nimmt mir, so oft ich ihn auch gut vorgetragen höre, allen Mut, alle Poesie und Musik erlischt bis auf das letzte Fünkchen in meinem Gemüt, und ein nüchterner Lebensüberdruß bemächtigt sich meines Geistes.«

Darüber ließe sich viel sagen, meinte der Kapellmeister, doch komme auch wohl eine seltne Eigentümlichkeit des Laien hinzu.

»So fern«, begann dieser wieder, »war ich aller Musik, und keine Spur eines Talents hatte sich gezeigt, als der böse Geist es mir in den Kopf setzte, in mir sei vielleicht ein großer Violinspieler verborgen. Die Geige wurde angeschafft, ein Lehrer angenommen. Es hatten sich aber nun der seltsamste Scholar und der wunderlichste Meister zusammengefunden, denn dieser unterrichtete mich eigentlich so, als wenn ich schon seit Jahren ein nicht unwissender Violinspieler gewesen wäre. In der ersten Stunde ließ er mich nur die Geige anstreichen, was mir bei meinen zarten Nerven keine Freude verursachte. Zur folgenden hatte er mir schon ein Buch gemacht und einige leichte Lieder hineingeschrieben. ›Dies Stück‹, sagte er, ›geht aus D dur‹; es war: ›Blühe, liebes Veilchen.‹ »Der Knabe an ein Veilchen«, Gedicht (1778) von Christian Adolf Overbeck (1755 1821), früher sehr volkstümlich durch die Komposition von Johann Abraham Peter Schulz (1747 1800). Ich bekümmerte mich nicht weiter darum, was die beiden Kreuze oder D dur zu bedeuten hatten, ob es eine oder mehrere Tonarten gäbe, was die Taktabteilung oder die Striche an den Noten bedeuteten, sondern wir spielten nun wohlgemut das Lied durch und ich ihm nach, Fingersetzung und alles aus dem Gedächtnis. So ging es beim zweiten und dritten Liede, welches aus C dur ging. Ich sah wohl, daß nun die Kreuze fehlten, und er nannte jedesmal die Tonart, wenn ich falsch griff, fand es aber gar nicht notwendig, weitere Erklärung hierüber oder über die Dauer der Noten hinzuzufügen. Es klingt märchenhaft, aber ebenso wahr ist es, daß ich in dieser Manier sechs bis sieben Jahr die Geige gestrichen habe, ohne daß der Trieb in mir erwachte, der Sache näher auf den Grund zu kommen, oder daß er es notwendig geachtet hätte, unsrer praktischen Kunst einige Theorie anzuhängen. Übrigens kann man sich vorstellen, wie es lautete. Da ich Länge und Kürze der Töne, ihre Abweichung in Moll und alles, was die Musik ausmacht, ohne jedes Verständnis, nur aus dem Gedächtnis spielte (denn ich kannte nur die Note an sich selbst, so wie sie auf der Linie stand, und nichts weiter), da ich überdies gar kein Gehör hatte, den Bogen schlecht führte und in der Fingersetzung häufig irrte, so begreift sich's, was ich für ein Charivari Durcheinander, Katzenmusik. hervorbrachte. Mein Meister, der wirklich geschickt im Spiel war, klagte in jeder Stunde über seine Ohren. Ich selbst litt, so oft ich die Violine unters Kinn nahm, wahre Höllenpein. Dies Schnarren, Pfeifen, Mauzen und Girren war mir unerträglich; selbst der beste Geiger hat, wenn man ihn zu nahe hört, einen Nebenton, die stark angestrichene Saite, besonders in der Applikatur, Es sind die höchsten Tonlagen gemeint. überschreit sich zuweilen, aber bei mir thaten sich fast nur die abscheulichsten Mißtöne hervor. Da meine Nerven so stark affiziert wurden, so zeigte sich mein Widerwille gegen das Geheul und Schnarzen, Schnarren. welches meine Finger so dicht vor meiner Nase erregten, auch deutlich in meinen Gesichtsmuskeln, der Mund und die Wangen begleiteten mit widerlichen Verzerrungen die hohen und tiefen Töne, die Augen klemmten sich zu und rissen sich auf, und ich fühlte deutlich, daß manche neue Falten und Lineamente sich formierten, die ursprünglich nicht für ein gewöhnliches Menschengesicht berechnet waren. Mein tiefsinniger Meister schüttelte oft sein Haupt und meinte, so wenig Talent als ich habe keiner seiner Scholaren. Mir begegneten aber auch in der That mehr Unglücksfälle, als ich sonst bei ausübenden Künstlern wahrgenommen hatte. Kamen wir so recht in Eifer und lieferten, nachdem ich schon länger studiert hatte, die raschen, mutigen Passagen, so rutschte im Allegro mein Bogen über den Steg, Saitenhalter. und im Entsetzen ließ mein Lehrer die Geige sinken, denn welcher Ton alsdann im heftigen Streichen aufquiekt, weiß nur der, dem dieses Abenteuer begegnet ist. Mehr wie einmal fiel der Steg selber um, wie aus Mitgefühl, und ein heftiger Knall endigte mit Macht ein schmachtendes Largo mitten in der Note. Einmal sogar, und ich dachte, der Tod ergriffe mich, brach der Knopf ab, der unten das Saitenbrett In ihm endigen die über Griffbrett und Steg gespannten Saiten. Durch einen starken Darm wird es an einem auf der schmalen Rückwand der Geige angebrachten Holzknopf festgehalten. festhält, und sprang unbarmherzig gegen meine Nase. Für diese Stunde war denn unsre Harmonie zu Ende, und das Instrument mußte erst wiederhergestellt werden. Nach einem Zeitraum war denn auch mein Vater so neugierig, zu hören, wie ich mich appliziere. Anlasse. Ich trug ihm einige der Lieder vor, die ich am besten innezuhaben glaubte. Er erschrak über das, was er hörte, und erstaunte noch mehr über das, was er sah. Er meinte nämlich, in der Kunst, Gesichter zu schneiden, sei ich unbegreiflich weit vorgeschritten, und meine Musik könne doch von Nutzen sein, Ratten und Mäuse zu vertreiben; er warnte mich nur zum Beschluß, den Ausdruck meiner musikalischen Physiognomie doch etwas zu beschränken, weil ich außerdem auf dem graden Wege zum Affen sei. Das war mein Lohn dafür, daß ich das damals populäre rührende Lied: ›Hier schlummern meine Kinder ec.‹ Gedichtet von Gottlob Wilhelm Burmann (1737 1805), komponiert von Otto Karl Erdmann Freiherr von Kospoth (gestorben 1817), beide in Berlin. Ersteren scheint Tieck persönlich gekannt zu haben. ihm nicht ganz ohne Glück vorgetragen hatte, denn dies war gradezu meine Lieblings-Arie, in der ich firm zu sein glaubte, die auch in den Mitteltönen mit melancholischer Gesetztheit verweilte und nicht in den Diskant oder gar in die Applikatur hinaufstieg, die ich ein für allemal verabscheute.«

»Hatten Sie denn aber gar keinen Ersatz für diese mannigfaltigen Leiden?« fragte der Kapellmeister launig.

»Wenig«, erwiderte der Laie; »als mein Lehrer es nötig fand, wegen des Ausdrucks für mich einen Sordin Sordino, Dämpfer; ein Holzkämmchen, das auf den Steg geklemmt wird, um die Resonanz zu schwächen. zu kaufen, den ich mit Freuden aufsteckte, weil es doch einmal einen andern Ton gab, die Dämpfung auch wie ein spanischer Reiter Starker wagerechter Balken mit senkrechten, zugespitzten Latten, früher verwendet zur Absperrung von Festungsthoren und -brücken. es dem reißenden Bogen unmöglich machte, wieder jenseit dem Steg zu springen. Auch machte es mir innige Freude, als wir erst weiter vorgerückt waren, in den Ouvertüren die Vierundsechzigstel als eine und dieselbe Note dreißigmal abzuspielen, welche meistenteils gegen Ende des Stücks, kurz vor dem Aufzug der Gardine, vorkommen. Diese wiederholte ich gern in der Einsamkeit, weil in diesen Passagen keine große Schwierigkeit ist, mir auch der so oft wiederholte Ton die Empfindung gab, als wenn ich in meinem geliebten Theater säße.« »Aber damals«, fragte der Kapellmeister, »hatten Sie doch wohl einige klare Begriffe von der Musik?«

»So wenige«, antwortete der Laie, »wie in der allerersten Stunde; Takt, Vorzeichnung, Tonart, nichts von alledem begriff ich, sondern spielte Sonaten und Symphonien so pur aus dem Gedächtnis hin, wie ich es von meinem Lehrer hörte! Auch vernahm ich keine Melodie, keinen musikalischen Gedanken; hie und da führten mir wohl ein paar Takte eine Art von Verständnis herbei, das ich aber nie weiter verfolgen konnte. So fern war ich allem Begreifen, daß ich mir einmal einbildete, weil g, h, a und b vorkommen, daß das ganze Alphabet wohl in den Noten enthalten sei, und daß man bei der Komposition eines Liedes nichts zu thun habe, als die Noten zu nehmen, die die Buchstaben eines Wortes bezeichneten, und sie dann schneller oder langsamer abzuspielen. Wie ich nun meinen Lehrer fragte, wo denn das m, r oder p stecke, wurde ich zwar von diesem sehr verlacht, aber doch nicht besser belehrt, denn er erstaunte nur immer von neuem über meine ungeheure Einfalt, daß ich das alles nicht wisse, was sich doch von selbst verstehe. Eben da mir alle Musik nur wie ein Charivari vorkam, so ließ ich mir beigehn, auch selbst einmal zu komponieren. Der Takt schien mir gleich ein Vorurteil, eine Tonart brauchte ich noch weniger, und nie werde ich die Freude vergessen, die ich meinem Meister machte, als ich meine wild zusammengewürfelten Noten ihm als meinen ersten dichtenden Versuch überbrachte. Er wollte sich ausschütten vor Lachen und konnte nicht müde werden, sich unter Lust und Freude meine Phantasie vorzuspielen. Mir klang sie wie jede andere Musik.«

Der braune alte Italiener erfreute sich sehr über diese Erzählung, und selbst der finstere Graf lächelte. »Es ist unbegreiflich«, sagte der Baron, »daß Sie so lange ausgehalten haben.«   »Ich mußte wohl«, erwiderte der Erzähler, »meines strengen Vaters wegen, da ich das Ungetüm einmal begonnen hatte. Sonst bekümmerte er sich nicht weiter um meine Kunst, weil er einigemal, da ich ihm Sonntags nachmittags einen Zeitvertreib machen sollte, von meinem Spiel, wie er behauptete, Zahnschmerzen bekommen hatte. Einmal widerfuhr mir als ausübenden Künstler eine ausgezeichnete Demütigung. Die Besitzerin des Hauses, in welchem wir wohnten, hatte zum Geburtstage ihrer erwachsenen Tochter eine große Anzahl hübscher Mädchen gebeten. Um das Fest unerwartet fröhlich zu machen, hatte die gute Dame mit meiner Mutter die Abrede getroffen, ich sollte heimlich mit meiner Geige hinaufkommen, im Nebenzimmer plötzlich stimmen und den überraschten schönen Kindern dann einige englische Tänze aufspielen, damit sie einmal im Saale recht wohlgemut herumspringen könnten. Ich wurde in das Nebenzimmer mit allem Geheimnis geführt: ich sah durch den Vorhang in die allerliebste Versammlung hinein   aber nun   die Geige stimmen! Wie gemein! Ich hatte es auch in meinem Leben nie versucht, weil mein Meister das besorgte, ich hörte auch niemals einen Unterschied, wenn sie nach seiner Meinung im stande war, und wenn sie nicht jetzt schon richtig stimmte, so konnte ich auf jeden Fall nur das Übel ärger machen. Es schien mir edler sowohl wie vorsichtiger, mit meiner Lieblings-Arie mich anzukündigen, und so ließ ich dann plötzlich das: ›Hier schlummern meine Kinder‹ anmutig ertönen. Die Freude dieser Nicht-Schlummernden war unbeschreiblich, mit Jubel ward ich in den Saal gezogen, wo ich wie geblendet stand, da ich noch niemals so viele reizende Wesen beisammen gesehen hatte. Das war ein Fragen und ein Bestellen; ich zeigte ihnen die englischen Tänze, die mir mein guter Meister in mein Notenbuch geschrieben hatte, ich spielte einen auf, aber er wollte nicht passen. Sie fragten nach der Anzahl der Touren und dergleichen, was mir alles unverständlich war. Ich sollte ihnen den Tanz und die Musik dazu arrangieren. Ich versuchte noch eine Anglaise Jetzt Française genannt. und ebenso die dritte, nun war meine Kunst zu Ende, und da auch diese nicht paßten und wir uns gar nicht verständigen konnten, so mußte ich, den sie im Triumph eingeholt hatten, mit der größten Beschämung wieder abziehen, und sie endigten ihren Nachmittag in Verdruß, der ihnen ohne die plötzliche unerwartete Freude heiter verflossen wäre. Meiner Mutter, die mich ausfragte, erzählte ich, die Mädchen hätten eigentlich gar nicht tanzen können; und so kam es mir auch vor, da sie sich aus meinem Spiel nicht zu vernehmen Es begreifen, sich hineinfinden. wußten.   Mein Meister wurde endlich zu einer auswärtigen Kapelle verschrieben, und nun glaubte ich, meiner Qual los zu sein: mein konsequenter Vater aber hatte schon wieder einen neuen Lehrmeister bei der Hand, der, als ich ihm meine Künste vorgespielt hatte, die Sache gründlich wieder von vorne anfing. Ich, der ich schon Symphonien und die schwierigsten Sachen vorgetragen hatte, mußte jetzt jene mir verhaßten Choräle und Kirchenmelodien einlernen, lauter Noten aus halben oder ganzen Takten, weil mein neuer Meister behauptete, ich hätte weder Strich noch Fingersetzung. Dieser hatte ein so delikates Ohr, daß er bei meinen Mißtönen fast ärgere Gesichter schnitt als ich selber, er lachte auch niemals über meine Ungeschicklichkeit und Mangel an Talent, wie der erste, sondern nahm sich die Sache sehr empfindsam zu Herzen und war manchmal fast dem Weinen nahe. Zum Glück dauerte diese neue Schererei etwa nur ein halbes Jahr, worauf ich zur Universität abging und seitdem kein Instrument wieder angerührt habe. Diese Bekenntnisse, meine Herren, schildern nur kurz den geringsten Teil meiner musikalischen Leiden, denn wenn ich sie ganz hätte darstellen wollen, würde mir Zeit und Ihnen die Geduld ermangeln.«

»Jetzt ist die Reihe an Ihnen«, sagte der Baron Fernow, indem er sich zum alten Italiener wandte, »Sie haben bei diesen Erzählungen eine besondere Freude gezeigt, und es ist wohl billig, daß Sie uns auch einige Ihrer Leiden mitteilen, die Ihnen wohl, als einem alten Virtuosen, nicht gefehlt haben können.«

»Ach! meine Herren«, sagte der Alte mit einem sonderbaren Gesicht, »meine Leiden sein zu tragisch, um Pläsir zu machen, auch kann meine welsche Zunge nicht in die Landstraße von der deutsch Idiom recht fortkommen, muß daher um Nachsicht anfleh, wenn meine Konfession etwas mit Konfusion verschwägert sein sollte. Ich war von Jugend auf geübt im Sang, fertig im Klavierspiel und guter Tenor, frisch auf Theatern mit Glück in Napoli gesungen und brav beklatscht und e viva! mich zugerufen. Ging nach Rom, gefiel nicht so ausnehmend, denn die Herren Romani sein kritischer Natur, bilden sich ein, die feinste Ohreinrichtung in den ganzen Italia zu haben. Ach! aber hier sah ich im Karneval eine junge Demoiselle, die Stunde bei mich nahm, um nachher in Firenza Florenz. zu singen, auch auf das Theater. Ach! welcher Ton! welche Talente! welche Augen! Nun das war ein cara mia, amor und mio cuore, Meine Teure, mein Liebling, mein Herz. bis wir, eh' wir uns das Ding versahn, mitsammen davongelaufen waren und singen nun in Firenza auf Theater aus Leibesmacht als Mann und Frau. Hatten viel Zärtlichkeit in der Eh', aber auch manchen Verdruß, denn cara mia war der Jalousie ergeben, und meine Wenigkeit war dazumal ein gar hübscher giovine, Jüngling. und die Frauenzimmer rührten leicht mein Herz. Doch alles ging gut, bis wir in eine deutsche Residenz engagiert wurden. Da lebte ein Kompositeur, ein Maestro, so recht ein Theoretiko, voll Prätension, aber gescheidt, dabei ein hübsch wohlgewachsen Männer. Der Hortensio gefiel meiner Cara, und sie wollte nun seine Schülerin vorstellen, in edel große Manier singen, mit Seele, wie Hortensio sagte, nicht mehr aus Hals und Kehle, sondern, so wie die Deutsche meinen, aus das Gemüt heraus. Gemüt! Eine extra deutsche Erfindung, die alle andern Natione gar nicht kennen. Bis dahin hatte die Gute ihren schönen Ton gehabt, grausame Höhe, hell wie Glas, spitz, laut, mochte Kompositeur komponieren, wie er wollte, brachte er seinen hohen Ton, flugs hatten wir ihn weg, richtig mußte er in seine Passage und Kadenz hinein, hinaufgeschroben, höher und immer höher, da oben dann umgeschwenkt und wieder hinabgegurgelt, und brava! brava! bravissima! aus den Logen heraus geschrieen, mit Fächern und Händchen geklopft, mia cara sich verneigt, Arme kreuzweis vor der Brust, und keinem Menschen war's eingefallen, daß Monsieur Kompositeur da hatte Gedanken, aparte Fühlungen hineindrechseln wollen. Aber Hortensio! Hortensio! bestia maledetta! Verdammte Bestie! denk ich, der Schlag soll mich rühren, wie ich zum erstenmal die seelische Manier in mein Ohr hinein hör'! Keine Passage, keine Übergänge, keine Triller, singt daher wie ein Kalb, das geschlacht werden soll, pur ohne Manier und Methode. Ich war der primo uomo, Wörtlich: der erste Mann, d h. erster Tenorist. konnte aber nicht lassen, meine ›Primadonna‹ im Liebesduett rechtschaffen in den runden Arm zu zwicken. Schreit sie auf gefährlich: meinen die Leut', das soll' auch große neue Manier sein, und fangen an zu lachen. Von dem Tage Zwietracht unter uns, kein Beifall vom Publikum mehr. Hortensio war großer Theoretiker und Enthusiast, wollte aber keinen Amanten abgeben, war verheiratet an eine gute Frau, die nach deutscher Manier ganz Seele war. Nun steigt in meiner zarten Isabelle die Bosheit immer höher. Sie will retour in alte brillante Manier, verflucht Seele und Gemüt, aber war nicht anders, als wenn die Töne wie Besessene durcheinander schrieen, kochte und zwirbelte oft in der Gurgel, murrte und pfiff, als wenn Satansbrut in dem kleinen Hals miteinander auf Gabel und Besenstiel wie zum Schornstein hinaus auf die liebe Blocksberg fahren und rutschen wollten. So war das Elend komplett, fehlte nur noch, daß sie mir alle Schuld gab, und das that sie denn auch redlich: ich sänge so schlecht, wäre rückwärts gegangen: enfin, wir kriegten beide unsern Abschied mit kleine Pension. Zogen durch alle Provinz, den wohlfeilsten Ort anzutreffen, und fanden immer die allerteuersten, gaben Konzert, ich Privatstund im Singen. Die cara Isabella konnte aber Musik nicht aufgeben, und je ärger es wurde, je lieber sie sang; als kein Mensch mehr zuhören wollte, trieben wir das Spektakel privatissime auf unserer Stube. Ja, da mußte ich ganzer Mann sein, um mit meine Heroismus das Schlachtgeschrei auszuhalten, und oftmals dachte ich, es müßte gestorben werden. Wir hatten großen, mächtigen Kater, der lag immer auf das Klavier: sehn Sie, das Kerl fürchtete sich weder vor Ratz noch Maus, lief vor keine noch so große Hund und hatte sich 'mal mit einem allmächtigen Bullenbeißer gekratzt; aber sowie meine Gemahlin nur den Deckel aufmachte, um die Harmonie loszulassen, so lief das Katz, was es konnte, bis auf den allerobersten Boden. Wir tobten so gewaltig, daß uns kein Wirt mehr zum Mietsmann einnehmen wollte. Natürlich mochte nun kein Mensch mehr unser Konzert hören, denn die menschliche Ohr sein meistenteils etwas zart konstruiert, und sehr viel Menschen haben fast natürlichen Widerwillen gegen Detonieren Falsch singen. und widerwärtigen Gesang.

»An einem Tage sagte mir die Gattin, ich solle meine beste Kleid anziehn, es sei große reputierliche Gesellschaft von Zuhörer gebeten. Wir sangen und tobten, es war aber kein Mensch da. Wie ich in der Nacht darüber mit ihr redete, sagte sie, die gewöhnliche Menschheit sei zu platt und grob organisiert, ihre Kunst zu fassen, darum habe sie Überirdische invitiert, die klagten niemals über Dissonanz, ich aber sei ein Gesell, zu plump, um die feinen Kreaturen mit meine dumme Augen zu sehn. Nun ging's immer so fort mit die Engelssocietäten, und sie erzählte mich viel von dem großen Beifall, den ihr Vortrag bei die Kenner fände. Am andern Abend, als wieder große Geisterassamblee bei uns war, und wir beide g'nug schrieen, sagte sie zu mir plötzlich, ich sänge entsetzlich falsch, es sei nicht auszuhalten, und König David, der gewiß ein Kenner in Musiken sei, wolle gar nicht wiederkommen, wenn ich nicht richtiger und mit mehr Respekt sänge. Ich sollte gleich hin und Majesté um Verzeihung bitten. Wo sitzt er denn? Da, nahe am Ofen, denn der alte Herr hätte etwas kalt. Ich trug meine submisse Devotion in höfliche Redensart vor und wurde pardonniert.«

»Armer Mensch!« sagte der Kapellmeister gerührt, »und wie lange lebte die Wahnsinnige noch?«

»Bitte sehr um Verzeihung«, erwiderte der Italiener, »meine selige Gattin nicht zu lästern, war nichts weniger wie etwa toll im Kopf, dachte es auch erst, sah aber bald meinen Irrtum. Denn als es noch kälter wurde, die Tage immer kürzer, die Selige mich auch tüchtig tribuliert Gequält. hatte und ich mir fast den Hals entzwei gesungen, weil diesmal alle Makkabäer uns die Ehre erzeigten, da sah ich, wie ich Licht hereinbrachte, die ganze Stube voll unsichtbarer Menschen, will sagen, verstorbene Geister. Seitdem mir nun die Binde von meine Augen heruntergefallen war, habe ich manche interessante Bekanntschaft unter die Abgeschiedenen gemacht und hatte nun gar nicht mehr nötig, viel mit die sterbliche Menschen umzugehn.«

»Das glaub' ich«, sagte der Baron, indem er den Erzählenden mit einem prüfenden Blicke anstarrte; die Tochter rückte etwas weiter von ihm weg, der Enthusiast war erstaunt, der Laie lachte, und nur der Graf, welcher ihn schon kannte, blieb ruhig. »Wir sahen ein«, fuhr der Alte fort, »daß die zu weit ausgebreitete Bekanntschaft mit die ganzen Vorzeit etwas lästig werden könnte, und beschränkten uns nachher fast nur auf die berühmte Musiker. Ja, meine Herren, da habe ich nachher erst Dinge über Kontrapunkt, Wirkung, Ausbeugung Übergang in eine andre Tonart. und über Charakter von die Tonarten erfahren, die in keinem Buche stehen. Aber meine liebe Frau starb bald, und seitdem habe ich den Umgang auch nicht fortsetzen können, denn alle die Herren haben sich mich allein, da cara mia, nicht zugegen, seitdem nicht wieder gezeigt.«

Der Baron fragte den Grafen nach einer Pause, ob er nicht auch vielleicht einige musikalische Leiden vorzutragen habe, und dieser, der bis jetzt geschwiegen hatte, fing so an: »Ihre Klagen, meine Herren, waren zum Teil darüber, daß Sie mit der Musik in Verbindung kamen, ohne eigentliche Lust oder scharfen Sinn für diese Kunst zu besitzen. Mein Elend kommt von der entgegengesetzten Seite. Von frühester Jugend war meine Freude an Musik, mein Trieb zu ihr überreizt zu nennen, auch machte er meinen Eltern und Erziehern genug zu schaffen. Ich wollte nichts anders lernen und verwünschte oft meinen Stand, der mich hinderte, ein ausübender Künstler zu werden. Wo nur ein Ton erklang, wo nur Gesang sich hören ließ, da war ich gleich mit ganzer Seele und vergaß alle meine Geschäfte. Mein Vater, ein ernster, heftiger Mann, zürnte über meinen Enthusiasmus, der allen seinen Absichten feindlich zu werden drohte. Da ich auch zu leidenschaftlich war und im jugendlichen Eifer wähnte, ich könnte meine Kunst nicht fanatisch genug verteidigen, so verletzte und kränkte ich oft meinen Vater auf ungeziemende Weise, und dieser Kampf, diese Reue und Zerknirschung über meine Hitze, Verstimmung gegen die Welt und mich, dies traurige, zerrissene Wesen verdarb mir völlig die Heiterkeit meiner Jugend, denn der gewaltsam errungene Genuß meiner Kunst war doch nicht im stande, mir alles das zu ersetzen, was ich einbüßen mußte. Ja, sei es nun, daß meine Erwartungen zu hoch gespannt waren, daß meine Ahndung für das Höchste zu sehr meine Forderungen stimmte, genug, es wurden mir auch die Werke der Kunst selbst, so gut wie ihr Vortrag, oft allzusehr verkümmert. Denn ich glaubte nicht selten wahrzunehmen, daß man so vieles in die Musik aufgenommen habe, was dieser Kunst ganz fremd bleiben müsse, daß sie meistenteils zu sehr zum Zeitvertreibe herabgesunken sei, daß sie um Effekte buhle, die ihrer unwürdig sind, und daß die wenigsten Sänger nur wissen, was Vortrag und Gefühl zu bedeuten habe. Eine tiefe Schwermut konnte sich meiner bemeistern, daß fast nirgend in der Welt die Stimmung angetroffen werde, die ich für notwendig hielt, wenn diese hohe Kunst ihr Element finden sollte. Ich mußte denn endlich meinem Vater doch nachgeben und an den Geschäften teilnehmen. Die Arbeit wurde mir leichter, als ich mir vorgestellt hatte, und mein Vater, der mich wegen meiner Kunstliebe für fast blödsinnig gehalten, war so mit mir zufrieden, daß seine ehemalige Zärtlichkeit gegen mich erwachte. Nach einigen Jahren ward ich in diplomatischen bedeutenden Geschäften an einen großen Hof gesendet. Seit lange hatte ich die neuen Sänger und Sängerinnen beobachtet und war fast mit allen unzufrieden. Wenn die Stimme das Gefühl, den Enthusiasmus der Leidenschaft ausdrücken soll, so muß sie sich großartig erheben, mächtig anschwellen und die Höhe nur deswegen suchen, um die stärkste Lichtregion und Kraft zu gewinnen. In dieser Gegend ist es, wo Komponist und Sängerin das Übermenschliche der Liebe, der Klage, der Andacht und jeder Regung der Seele ausdrücken können: und doch fand ich fast immer, daß der Wohllaut, die Wollust dieser Klänge nur gebraucht wurden, um eine kleine Künstlichkeit, eine Art Springerei anzubringen, eine Virtuosität, die wohl ganz nahe an die Seiltänzer grenzt und von der echten Kunst ganz ausgeschlossen sein sollte. Noch schlimmer fast erschienen mir diejenigen, die nach einer ziemlich verbreiteten neuen Manier den Ausdruck anbringen wollten. Kein Crescendo, kein Portament Portamento: getragenes Singen mit leichtem Hinüberschleifen von einem Ton zum andern. der Stimme, sondern ein plötzlicher Aufschrei, wie ein Angst- oder Hülferuf, dann ein ebenso plötzliches Verhauchen, ein unmotiviertes Sinkenlassen des Gesanges, ein dumpfer Seufzer statt des Tons und so fort in diesem schroffen, eckigen Wechsel, so daß ich jetzt nichts hörte und jetzt wieder von grellen Tönen erschreckt wurde, ein Unfug, den oft ein ganzes Publikum bewunderte, und der mir noch jenseit dem Anfange der Schule zu liegen schien oder mir vielmehr wie der rohe unmusikalische Gegensatz alles Gesanges vorkam. Von dem neuesten Geschmack der Opern will ich schweigen, denn hier fände ich meinen Klageliedern kein Ende.

»Als ich dem fremden Hofe mich vorgestellt hatte, empfing ich bald darauf den Bescheid, daß ich mit einem wichtigen Auftrage schnell in mein Vaterland zurück müsse. Am Abend war beim Bruder des regierenden Fürsten Konzert, und eine fremde Sängerin wollte sich zum erstenmal hören lassen. Ich begab mich in den Konzertsaal. Nur der Sängerin Nacken, dessen blendende Weiße von einem wunderlich gekräuselten braunen Löckchen erhöht wurde, konnte ich wahrnehmen sowie einen Teil des feingerundeten Ohres, so dicht war das Gedränge. Aber jetzt erhob das Mädchen den Ton und ging in einen zweiten über und strahlte den dritten aus, so mächtig, edel, rein, voll und lieblich zugleich, daß ich wie bezaubert stand, denn das war es, wie ich es mir immer gedacht, ja es war mehr, wie ich gewünscht hatte. Dieser reine, himmlische Diskant war Liebe, Hoheit, zarte Kraft und Fülle der edelsten, der überirdischen Empfindung. Da hörte ich nicht den spitzen, blendenden Glaston, der noch die Harmonika Die Glasharmonika, ein im 18. Jahrhundert beliebtes Instrument aus verschieden abgestimmten und mit den Fingern gestrichenen Glasglocken. überschleift, nicht die Betäubung in der letzten, schwindelnden Höhe, die wie mit Spitzen das Ohr verletzt und durchbohrt, nicht die Ohnmacht an der Grenze der Stimme, die erst ein Mitleidsgefühl in uns erregt und von diesem dann Hülfe und Beifall bettelt: nein, es war die Sicherheit selbst, die Wahrheit, die Liebe. Nun begriff ich erst, wie Hasse Johann Adolf Hasse (1699 1783), Komponist von Opern und Kirchenmusiken, 1731 63 Hofkapellmeister in Dresden. hatte wagen können, zuweilen in seinen Arien durch viele Takte den Sopran auf ein und zwei Silben trillern, sich senken und wieder steigen zu lassen. Ich war so entzückt, daß ich mich und alles vergaß, ich legte in diesem höchsten Augenblick meines Lebens das sonderbare Gelübde mir selber heimlich ab, daß nur dieses Wesen mit dieser Wunderstimme oder keins meine Gattin werden sollte. Der Rat und der Laufer des Fürsten hatten mich schon zwei-, dreimal erinnert. Ich ging zum regierenden Herrn in das Schloß hinüber. Es ward mir schwer, meine Lebensgeister zu dem sehr bedeutenden Gespräche zu sammeln. Nach der Audienz mußte ich mich in stürmischer Nacht in den Wagen werfen. Kein Diener, am wenigsten der alte Rat, mein Begleiter, wußten mir von der Sängerin etwas zu sagen. In meinem Vaterlande angekommen, erwarteten mich dringende Arbeiten, die mich selbst in den Nächten beschäftigten, ich konnte meinen Vater, der auf dem Krankenbette lag, nur wenig sehn. Als ich fertig war und meinem leidenden Vater jetzt meinen Trost und Dienst widmen wollte, konnte ich ihm nur noch die Augen zudrücken. Jetzt wußte ich erst, wie teuer mir der edle Mann gewesen war, doch war es mir jetzt erlaubt, meiner Neigung zu folgen; ich entzog mich den Staatsdiensten. Sobald es meine geordneten Geschäfte zuließen, reisete ich nach jener Residenz zurück   aber   und wie ist dies zu begreifen?   kein Mensch, kein Musiker, niemand am Hofe wollte von jener Sängerin oder jenem Abend, den ich beschrieb, etwas wissen, als sei diese einzige, himmlische Stimme eine der gewöhnlichsten Erscheinungen, die man kaum bemerkt und dann vergißt, oder als sei ich in Wahnsinn und Bezauberung, daß ich mir alles nur eingebildet habe.

»Als jede Nachforschung vergeblich war, suchte ich auf Reisen jenes Wunder wieder anzutreffen. Darum versäumte ich kein Konzert und keine Oper, suchte jede musikalische Versammlung auf, und immer vergebens. Seit zwei Jahren führe ich dies unruhige, traurige Leben, und heut abend dacht' ich thöricht zu werden, denn in der fremden Dame glaubte ich meine Unbekannte gefunden zu haben, dieselbe Locke im Nacken, derselbe feine Kontour des Ohrs, und Mund und Physiognomie schienen mir ganz wie die einer Sängerin.«

Die Tochter des Hauses versicherte noch einmal, daß der Graf sich durchaus irre, und daß seine Bemerkungen über Gesang fast ebenso einseitig als fein zu nennen wären.   »Denken Sie denn Ihr sonderbares Gelübde zu halten?« fragte hierauf der Baron.

»Ich muß wohl«, erwiderte der Graf, »denn mögen Sie auch lächeln und es unbegreiflich finden, jener wunderbare süße Ton hat mir Liebe, wahre Liebe eingeflößt. Warum soll denn unser Auge der einzige Sinn sein, der uns dies Gefühl, diesen enthusiastischen Taumel zuführt? Ich träume von dieser Engelsstimme, immer vernehme ich sie, alles erinnert mich an diesen Ton: o Himmel! wenn er verschwunden, wenn sie gestorben sein sollte! Ich mag mir die Unermeßlichkeit dieses Elends gar nicht vorstellen.«

Die übrigen, den Laien abgerechnet, schienen diese Leidenschaft nicht begreifen zu können oder an sie glauben zu wollen. Da es spät war, trennte man sich, und der Italiener begleitete den Grafen, in dessen Hause er wohnte.

»Eccellenza«, fing er in einer einsamen Straße an, »thut mir die Gefälligkeit, mich übermorgen vor das Thor da in den Tannenwald zu begleiten, da will ich mir umbringen.«

»Narr!« sagte der Graf, »was fällt Euch einmal wieder ein? Habe ich nicht versprochen, für Euren Lebensunterhalt zu sorgen?«

»Alles recht schön«, sagte jener, »danke auch für die Großmut; aber ich bin mein Leben völlig satt, so sehne ich mir nach meiner abgeschiedenen Hälfte.«

»Damit ihr auch jenseit«, fragte der Graf, »euer Katzenkonzert wieder fortsetzen könnt?«

»Nicht bloß deswegen«, erwiderte der Alte, »bin aber mit Isabellen so gewohnt gewesen, mit Palestrina, Durante, Bach Giovanni Pierluigi Palestrina (1515 94), der größte katholische, Johann Sebastian Bach (1635-1750), der größte protestantische Kirchenkomponist;l Francesco Durante (1684 1755), bedeutender Kirchenkomponist, Vertreter der sogenannten neapolitanischen Schule und alle große Leute, den königlichen Kapellmeister David mit eingerechnet, zu leben, daß ich es mit so ordinären Menschen nicht mehr aushalten kann. Wie raten mich, Eccellenza, daß ich mir umbringen soll, hängen, schießen oder ersaufen?«

»Ich werde den Narren einsperren lassen«, sagte der Graf.

»Hat jedes etwas für sich«, fuhr der Italiener fort, ohne sich stören zu lassen; »Luft, Feuer, Wasser; jedes ein ganz gutes Element. Ein einziges Ding könnte mich mein Leben versüßen, so daß ich wieder in die Lebenslust einbisse.«

»Nun, und was?«

»Daß ich den Herrn Hortensio nochmal anträfe.«

»Und weshalb?«

»Daß ich ihn so recht abwamsen, durchdreschen könnte, daß er dazumal meiner cara die Gesangmethode so verdorben hat.«

»Phantast!« sagte der Graf, indem sie durch die Thür schritten,   »Und was ist Eccellenza?« murmelte der Alte, indem die Diener ihnen entgegenkamen.


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