Ludwig Tieck
Die Klausenburg
Ludwig Tieck

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– Ja, mein Freund Blomberg, krank und sterbend siehst Du mich wieder, eben so elend ist meine Gattin, die noch 125 vor zwei Jahren ein Musterbild der Gesundheit und Schönheit war. Die Klausenburg ist zur wüsten Ruine geworden, die uns einigemal so traut und heimisch bewirthete, Gewitter und Brand haben sie zerstört, und was von Holzwerk und brauchbaren Steinen übrig blieb, haben meine grausamen Gläubiger, mir zum Hohne, herausgerissen und für geringes Geld verkauft. Du weißt es, mein Freund, welcher Glaube oder Aberglaube mich verfolgt, doch braucht davon unser lieber Arzt nichts zu erfahren, denn dies hat äußerlich keinen Einfluß auf mein nächstes Schicksal, auch habe ich von meinen neuesten Begebenheiten so viel Sonderbares vorzutragen, daß es hinreichen wird, den gelehrten Doctor mehr als vollkommen zu überzeugen, daß ich wahnsinnig sei. –

Bei dieser Einleitung begegneten sich meine Blicke mit den forschenden des Arztes, dann betrachteten wir beide wieder prüfend den bleichen Kranken, welcher jetzt mit größerer Lebhaftigkeit also fortfuhr: –

So jung ich auch noch war, so hatte ich mein Leben doch schon aufgegeben, denn ich hielt es für völlig beschlossen. Wie aber zuweilen wohl die Kraft eines schönen Frühlings einen abgestorbenen Baum von neuem belebt, daß seine Zweige wieder grünen, und aus dem Laube eine Blüthe wiederum hervorquillt, so begegnete es auch mir. In menschenfeindlicher Stimmung reisete ich im Lande umher, und verweilte in einer kleinen Stadt, welche in einer anmuthigen Gegend liegt, und in welcher ich, als ich meine Briefe abgab, interessante Menschen kennen lernte. Ein freundlicher Mann, ein sehr weitläufiger Verwandter, führte mich in das Haus ein, wo ich meine theure Elisabeth zum erstenmale sah, und schon beim zweiten Besuch mein Herz und meine Ruhe verloren hatte. Wozu Beschreibung von Reizen und Vollkommenheiten, welche verschwunden sind? Ich war 126 bezaubert, und schmeichelte mir bald, daß man meine Gefühle verstand, und nach einiger Zeit, daß man sie vielleicht erwiedern könne. Elisabeth lebte im Hause einer alten Tante, beide waren nicht wohlhabend, aber von gutem alten Adel. Ich setzte mich über das Geschwätz und die Verwunderung der Kleinstädter hinweg, daß ich so lange in diesem unbedeutenden Orte verweilte, wo es weder ein Theater gab, um mich zu zerstreuen, noch große, glänzende Assembleen, oder Feste und Bälle, um mich zu beschäftigen. Ich war so glücklich, daß ich nur den Tag und die Stunde genoß. Die Familie war sehr musikalisch, Elisabeth eine wahre Virtuosin auf dem Fortepiano, ihre Stimme war gebildet, voll und schön, und sie überraschte mich freundlich dadurch, daß sie meinen vielleicht einseitigen Geschmack für ältere Musik mit mir theilte. Wohllaut, Kunst, freundliche Blicke der schönsten Augen, alles bezauberte mich so, daß Wochen wie Tage, und Tage wie Stunden in diesem poetischen Taumel verschwanden.

Ich sprach von der Familie. Auch die Tante war musikalisch und accompagnirte uns auf dem Instrument, wenn wir beide sangen. Es that mir nebenher auch wohl, mich meiner Talente wieder bewußt zu werden, welche zu üben ich seit langer Zeit vernachlässiget hatte.

Ja wohl, Talente, Liebenswürdigkeit, gesellige Gaben, Feinheit des Betragens u. s. w. – so fuhr Franz nach einer Pause fort, in welcher er ganz in sich versunken schien – diese Eitelkeit, diese Vorzüge zu besitzen, haben von je mich und andere unglücklich gemacht. – Wenn ich nun von der Familie spreche, so muß ich jetzt von einer älteren Schwester Elisabeths, von Ernestine reden. Die Eltern meiner Geliebten waren schon früh gestorben. Sie hatten, entfernt von jener kleinen Stadt, in einer Residenz gelebt, und, wie 127 man es so nennt, ein großes Haus gemacht. Dies geschah, ohne ihr Vermögen zu Rathe zu ziehen, und so waren sie schon früh verschuldet und verarmt. Wo diese Verwirrung einreißt, wo die Noth des Augenblicks immer wieder die Sicherheit von Tagen und Wochen verschlingt, da haben die wenigsten Menschen Stärke und Haltung genug, um in dem Sturme des wiederkehrenden Wirbelwindes das Steuer fest zu halten. Und so war denn in diesen zerstörten Haushalt die wildeste und regelloseste Wirthschaft eingerissen. Die Eltern zerstreuten sich nicht nur an Gastmählern, Putz und Schauspielen, sondern gewissermaßen selbst an neuen und sonderbaren Unglücksfällen. Auf diese Weise beschäftigte sie ihre älteste Tochter Ernestine. Das arme Wesen war als dreijähriges Kind bei Gelegenheit eines wüsten, tobenden Gelages, wo Niemand auf die Kleine achtete, über eine Flasche starken Getränkes gerathen, hatte die betäubende Flüssigkeit in sich geschlürft und war dann trunken, ohne es zu wissen, eine hohe Treppe hinuntergestürzt. Das Unglück war kaum bemerkt worden, und als man es nachher inne wurde, nahm man die Sache leichtsinnig. Der Arzt, ein lustiger Freund des Hauses, scherzte mehr über den Vorfall, als daß er die richtigen Heilmittel angewendet hätte, und so zeigten sich denn am Kinde die Folgen bald, die es späterhin der Lieblosigkeit seiner Eltern mit Recht zur Last legen konnte. Brustknochen und Rückgrat waren verschoben, so wie die Arme wuchs, wuchs sie immer mehr in die Mißgestalt hinein. Sie war ziemlich groß, aber um so auffallender war ihr doppelter Höcker, die Arme waren übermäßig dürr, so wie die Hände, Finger und Arme von einer erschreckenden Länge. Auch der hoch ausgestreckte Körper war dürr, und das Gesicht vom sonderbarsten Ausdruck. Die kleinen lebhaften und klugen Augen konnten kaum unter der 128 Knochenwölbung der Stirn und der breit gequetschten Nase hervor blicken, das Kinn war lang und die Wangen eingefallen. So war die Unglückselige eine sonderbare Folie für ihre Schwester Elisabeth. Die Tante, als sie von dem gänzlichen Verfall des Hauses hörte, war hinzugetreten und hatte geholfen, so viel ihre beschränkten Kräfte vermochten. So ward die jüngere Tochter gerettet und blieb gesund, indem die Schwester des Mannes schon vor dem Tode der Eltern beide Kinder zu sich nahm, um sie zu erziehen und auszubilden. Die körperliche Pflege kam für Ernestine zu spät, aber ihr Geist ward gebildet, ihre Talente wurden geweckt. Sie zeigte sich verständig, lernte leicht und behielt, was sie gefaßt hatte. Sie übertraf offenbar die Schwester an Witz und Gegenwart des Geistes. Da sie gern philosophische Schriften las, so übte sie ihr Urtheil, und zeigte einen so durchdringenden scharfen Verstand, daß selbst Männer oft vor ihren kecken und schroffen Urtheilen erschraken. Denn da Schönheit und Anmuth sie nicht mit ihrem Geschlecht verbanden, so übte sie nicht selten eine Gewalt aus, die mehr als männlich war. Was aber an das Wunderbare gränzte, war ihr großes musikalisches Talent. Niemals hatte ich so das Fortepiano behandeln hören. Alle Schwierigkeiten verschwanden, und sie lachte nur, wenn man ihr von schweren Passagen sprach. Freilich half es der Unglückseligen sehr, daß ihre Hand und Fingerspannung alles übertraf, was gesunden Clavierspielern möglich ist. Sie war aber auch in der Kunst des Satzes erfahren, und componirte mit Leichtigkeit große Musikstücke, die wir dann oft zu ihrem Ergötzen ausführten.

Konnte ein solches Wesen nicht auf ihm eigne Art glücklich seyn? Gewiß, wenn sie sich resignirte, wenn sie vergessen konnte, daß sie ein Weib sei. Unglücklicherweise vergaßen es alle Männer, die in ihre Nähe kamen, sie aber konnte sich 129 über diese Gränze, bis zur Männlichkeit oder Geschlechtslosigkeit nicht erheben.

Dieses seltsame Wesen zog mich durch seine Vorzüge, so wie durch seine Widerwärtigkeit auf eine eigene Weise an. Wir musizirten, ich sang ihre Compositionen, und wenn sie so aufgeregt war, blickte aus dem kleinen Auge ein wunderbar poetischer Geist, wie ein verhüllter, zum Staube erniedrigter Engel mit einem freundlichen, und doch erschreckenden Glanze. Ich vergaß fast immer, daß sie die Schwester meiner Elisabeth sei.

Elisabeth hatte früher schon einige Freier abgewiesen, die sich sehr ernstlich um sie beworben hatten. Als ich einmal unangemeldet in das Vorzimmer trat, hörte ich die beiden Schwestern lebhaft sprechen und mein Name wurde genannt. Diesen wirst Du doch etwa nicht annehmen? rief Ernestine: er sagt Dir und uns nicht zu; sehr reich soll er auch nicht seyn: aber er ist so hochmüthig, so in sich selbst genügsam, so von seiner Vortrefflichkeit überzeugt und durchdrungen, daß er mir Widerwillen erregt, so wie er nur zu uns tritt. Du nennst ihn liebenswürdig? edel? Rechthaberisch, eigensinnig ist er, und glaube mir, seine Geistesgaben sind nicht von dem Gewicht, wie Du sie anzuschlagen scheinst.

Elisabeth nahm mit sanfter Stimme meine Vertheidigung, aber jene erörterte alles Schlimme meiner Natur nur um so mehr und ging das Register aller meiner Fehler durch. Da so sehr von mir die Rede gewesen war, wollte ich nicht sogleich hinein treten, um sie nicht zu beschämen, und so hatte ich gegen mein Erwarten entdeckt, welchen Widerwillen die ältere Schwester gegen mich gefaßt hatte. Ich nahm mir vor, durch Freundlichkeit und Wohlwollen die Unglückliche mit mir auszusöhnen, deren Leben so wenig Reiz und Freude hatte. Als man sich beruhigt hatte, trat ich ein und wir 130 nahmen sogleich, wodurch ich meine Verlegenheit am besten verbarg, unsre musikalischen Uebungen vor, so wie die Tante gekommen war.

Nach einigen Besuchen gelang es mir wirklich, Ernestinen freundlicher zu stimmen. Wenn sie mit mir allein war, vertieften wir uns zuweilen in die ernsthaftesten Gespräche und ich mußte ihren Geist wie ihre Kenntnisse bewundern. Ich mußte ihr beistimmen, wenn sie in mancher Stunde von jenen Männern mit Verachtung sprach, die am Weibe einzig und allein den flüchtigen und wandelbaren Reiz achten und lieben, der mit der Jugend verschwindet. Sie schalt auch nicht ungern auf die Mädchen, die so häufig sich nur als Erscheinung geben und nur als solche gleichsam als Modepuppen oder Kleiderhalter gefallen wollen. Sie entfaltete ohne Affectation den Reichthum ihres Gemüths, ein tiefes Gefühl, großartige Gedanken, so daß ich, über diese mächtige Seele in Bewunderung aufgelöst, mich kaum ihrer verkrüppelten Gestalt mehr erinnerte. Sie drückte mir freundlich die Hand, und schien ganz glücklich, wenn wir eine Stunde so weggeschwatzt hatten. Ich freute mich ebenfalls, als ich zu bemerken glaubte, wie ihre Freundschaft zu mir mit jedem Tage wuchs.

Es fiel mir als eine Schwachheit meiner Geliebten auf, daß sie mit dieser Vertraulichkeit unzufrieden war. Ich begriff diese kleinliche Eifersucht nicht, und tadelte sie im Stillen als zu große weibliche Schwäche. Mir war es im Gegentheil erwünscht, wenn mir Ernestine jetzt deutliche Beweise ihres Wohlwollens gab, wenn mein Eintreten sie erfreute, wenn sie ein Buch, ein Musikstück für mich zurecht gelegt hatte, oder mir sagte, wie sie sich schon auf ein Gespräch mit mir über einen wichtigen Gegenstand vorbereitet habe. Diese ächte Freundschaft schien mir so wünschenswerth, 131 daß ich mich schon im voraus freute, wie sie in der Ehe die schönste Ergänzung der Liebe im gegenseitigen Vertrauen bilden würde. Die Tante hatte meine Verbindung mit Elisabeth gebilligt, die Verlobung war jetzt gefeiert. Bei dieser war Ernestine nicht zugegen, denn sie war an diesem Tage krank. Ich sah sie auch am folgenden Tage nicht, und als ich sie aufsuchen wollte, sagte meine Braut: Laß sie noch, Lieber, sie ist so außer sich, daß es besser ist, ihre Leidenschaft austoben zu lassen. – Was ist denn begegnet? fragte ich erstaunt. – Sonderbar, antwortete Elisabeth, daß Du es nicht schon seit lange bemerkt hast, welche glühende Liebe zu Dir sie ergriffen hat. – Ich war stumm vor Schreck und Erstaunen. Dies Wort erschütterte mich um so mehr, weil ich, seltsam genug, eine Leidenschaft in diesem verständigen Wesen für ganz unmöglich gehalten hatte. Als wenn die Leidenschaft nicht immerdar gegen Möglichkeit, Wahrheit, Natur und Vernunft anrennte, wenn diese sich ihr widersetzen wollen, wie ich es ja selbst, auf ähnliche Weise, in meinem eignen Leben erfahren hatte.

Ja, fuhr Elisabeth fort, fast zur nehmlichen Zeit, als Du erst in unser Haus tratest, bemerkte ich diese Hinneigung zu Dir. Deutlicher zeigte sich ihre Vorliebe, als Du anfingst mich auszuzeichnen, als Du mir freundlich wurdest und ich Dir mein Vertrauen schenkte. Lange Zeit verbarg sie ihre Neigung unter einem vorgegebenen Haß, eine Verstellung, die mich nicht täuschen konnte. O Geliebter, der Geist und die Gefühle, Enthusiasmus und Leidenschaften dieses wunderbaren Wesens sind von so ungeheurer Kraft und Innigkeit, daß ich sie, seit ich zur Besinnung kam, eben so sehr bewundern mußte, wie ich sie fürchte und vor ihrer Riesenstärke erschrecke. Als ich vor Jahren meinen Unterricht in der Musik nahm, und nach dem Zeugnisse meines 132 Lehrers rasche Fortschritte machte, lachte sie nur über mein kindisches Wesen, wie sie es nannte. Sie hatte früher nicht daran gedacht, Musik zu treiben, jetzt warf sie sich mit Heftigkeit auf diese Kunst. Tag und Nacht übte sie, der Lehrer genügte ihr nicht, sie benutzte die Anwesenheit eines berühmten Componisten und ward seine Schülerin. Ich begriff diese geistige wie körperliche Kraft nicht, daß sie Tag und Nacht, fast ohne Schlaf und ohne etwas zu genießen, immer nur mit unermüdlichem Eifer der Uebung ihrer Kunst sich widmen konnte. Nun lernte sie den Satz und der Meister lobte und bewunderte sie. Es währte nicht lange, so tadelte sie den Lehrer, sie meinte, sein Vortrag sei nicht feurig, nicht enthusiastisch, er in Compositionen nicht originell und leidenschaftlich genug. Er gab sich gefangen und ihr Recht. Alle Menschen, pflegte sie wohl zu sagen, liegen immerdar im halben Schlaf, sie sind fast immer wie betäubt und beinah der Pflanze ähnlich und verwandt, die auch wächst, blüht und schön ist, Geruch ausstreut und Kräfte besitzt, ohne darum zu wissen. Was müßten die Menschen vermögen, wenn sie in ihrem wachen Zustande wahrhaft wachten! – Und so gab sie sich denn auch der Philosophie hin, las medizinische, anatomische und andere Bücher, die sonst den Frauen zu gelehrt oder widerwärtig sind. Wir alle, auch ihre Bekannten mußten sie anstaunen. Und so, lieber Franz, wird sie gewiß auch in dieser Leidenschaft der Liebe rasen und sich zu Grunde richten.

Elisabeth schilderte mir nun auch wirkliche alle jene Ausschweifungen, die sie begangen, als sie von unserer Verlobung gehört hatte; sie wollte erst sich und nachher die Schwester umbringen; dann wieder hatte sie gesagt, sie würde mich zu zwingen wissen, daß ich sie liebe und Elisabeth verlasse, denn sie sei verständiger und besser als jene. –

133 Hier, sagte Blomberg, machte Franz in seiner Erzählung eine Pause, um etwas auszuruhen, und fuhr dann so fort: – Daß diese Nachrichten mich betrübten, ist natürlich, ich fühlte ja auch, wie unklug ich gehandelt hatte, mich Ernestinen so freundlich zu nähern, daß ich mich bemüht hatte, sie zu gewinnen. Etwas beruhigt war ich, als mir Elisabeth nach einigen Tagen erzählte, wie die Schwester ihr unter vielen Thränen alles abgebeten habe, was sie im Zorn gesprochen, wie sie sie beschworen, mir nichts von diesen Verirrungen mitzutheilen, und wie sie nur darum flehentlich bitte, uns nach unserm künftigen Wohnsitz begleiten zu dürfen, weil sie es nicht fasse, wie sie ohne meine und der Schwester Gesellschaft, ohne unsere Gespräche und musikalischen Uebungen noch leben könne.

So wurden denn Plane gemacht, Einrichtungen getroffen, die Tante begleitete uns und wir kamen auf der Klausenburg an, um hier, von wenigen Vertrauten umgeben, eine kleine, stille Hochzeit zu feiern, da Elisabeth von je allem Prunk und Geräusch beinah übertrieben abhold war. Ich hatte einige Zimmer und den Saal in der Klausenburg, so gut es sich thun ließ, einrichten lassen, denn der größte Theil des alten Gebäudes war schon Ruine. Elisabeth aber hatte eine poetische Vorliebe für alte Schlösser, einsame Gebirgsgegenden und die geschichtlichen oder poetischen Sagen, die sich an diese knüpfen. Nach der Hochzeit wollten wir dann das nahegelegene neue Haus am Eibensteig beziehn, und nur gelegentlich uns tage- oder stundenlang in der Klausenburg aufhalten.

Wir kommen an, das Thor wird uns aufgethan, und das Erste, was uns im Hofe aus den Epheuranken, die die hohen Mauern hinauf wachsen, entgegenspringt, ist jene tolle, alte Sibylle, die Du, Freund Blomberg, vor einigen 134 Jahren hast kennen lernen. Meine Frau erschrak und ich schauderte. Gegrüßt! Gegrüßt! schrie die Alte, indem sie widerwärtig herum hüpfte, da kommt der Menschenwürger, der Mädchenmörder, und bringt seine beiden Bräute mit, die er umbringen wird. – Wie kommst Du hieher? schrie ich auf. – Sie muß, sagte der Thürhüter, von jenseit die Klippen hinunter geklettert seyn, die die letzte Mauer des kleinen Gartens dahinten formiren, und sich nachher in den Gesträuchen und Ruinen versteckt haben. – Ja wohl! Ja wohl, kreischte die widerwärtige Alte, da wohnt sich's gut. – So sehr wir erschrocken waren, so lustig schien Ernestine, denn sie hörte nicht auf zu lachen.

Während der Tage, in welchen wir das Fest begingen, zeigte sich Ernestine nicht, sie war verschwunden und wir waren sehr um sie besorgt, sendeten Leute aus, sie zu suchen, als sie am dritten Tage zu Fuß heiter und fröhlich zurückkam. Sie erzählte, daß sie dem Hange, im Gebirge umherzustreifen, nicht habe widerstehen können, da sie von Jugend auf dergleichen gewünscht. – Aber so allein, ohne es uns zu sagen? sprach Elisabeth. – Allein? antwortete sie, nein, ich bin immer in Gesellschaft gewesen, mit jener alten Prophetin, die ihr so unfreundlich weggeschickt habt. Da habe ich auch ganz neue Sachen gelernt, die ich noch in keinem Buche fand; wir sind recht gute Freunde geworden.

Elisabeth und ich sahen uns mit großen Augen an. Ich faßte den Glauben, ohne ihn auszusprechen, Ernestine sei wahnsinnig geworden. – So unheimlich, grauenhaft war der Eintritt in unsre Wohnung, so traurige Vorbedeutungen kamen uns entgegen, daß ich, trotz meines Glückes, kein Vertrauen zum Leben, und Elisabeth keine sichere Heiterkeit gewinnen konnte.

Sonst fügten wir uns und genossen die Gegenwart und 135 die Schönheit der Wälder und Berge. Mit den wenigen Gästen hatte uns auch die Tante verlassen und wir konnten in froher Einigkeit uns in der schönen Einsamkeit genügen, wenn ich nicht bemerkt hätte, daß Elisabeth sich von ihrer Schwester zurückzog, so sehr es die Umstände nur erlaubten. Als ich sie darüber zur Rede stellte, sagte sie nach einigem Zögern: Liebster, ich fürchte mich vor ihr, die Ernestine ist boshaft geworden, wozu sie ehemals gar keine Anlage hatte. Wo sie mich ärgern, wo sie etwas verderben, ja selbst was Gefährliches herbei führen kann, so daß ich erschrecke, stolpere oder wohl falle, wenn von oben Steine niederstürzen, wie neulich die Gardine meines Bettes brannte, dem sie mit dem Licht zu nahe gekommen war, zeigt sie immer die größte Schadenfreude. Sie selbst hat es mir mit Lachen erzählt, daß man in der Provinz davon spreche, wie Reisende und Förster an einsamen Stellen, bei Mondschein und Morgendämmerung zwei Gespenster wollten wahrgenommen haben, die sie auch als schreckliche fratzenhafte Wesen beschrieben. Sie sei es nebst jener Prophetin gewesen, und sie wünsche nur, daß in einem Blatte der Vorfall erzählt würde, damit sie im Druck, mit ihres Namens Unterschrift, als Ernestine, Fräulein von Jertz, die Lüge von den Gespenstern widerlegen und aussagen könne, daß sie die eine Spaziergängerin war. Ist das alles nicht fürchterlich?

Liebes Kind, sagte ich jetzt, ich will Dir vertrauen, wie ich glauben muß, sie sei wahnsinnig geworden. – Ist jede leidenschaftliche Bosheit etwas andres als Wahnsinn? bemerkte hierauf Elisabeth ganz richtig.

Wir verließen mit dem Herbst die Klausenburg, um das neue bequeme Haus zu beziehen. Denn zu meinem Erschrecken entdeckte ich eine Anlage zur Melancholie an meiner Gattin, für welche die Einsamkeit dort nicht heilsam war. 136 Wir gingen einst durch die alten Zimmer, durch den ziemlich erhaltnen gothischen Saal und indem unsre Tritte im einsamen Gemach wiederhallten, zuckte meine Gattin plötzlich zusammen und schauderte. Ich fragte. O es ist grausig hier, sprach sie zitternd, ich habe das Gefühl, als wenn Gespenster unsichtbar hier umgingen. – Ich erschrak, und der Gedanke sah mich mit grauen Augen eines Ungethüms an: daß auch der Verstand meiner Elisabeth vielleicht wie der der Schwester möchte gelitten haben.

Als wir in dem neuen Hause am Eibensteige wohnten, vermißten wir oft Ernestine und erfuhren, daß sie in der Klausenburg und in den Ruinen des alten Schlosses verweile. Da es einmal zu dieser Mißhelligkeit gediehen war, hatte ich sowohl, wie die Frau, ein besseres Gefühl, wenn wir die Arme nicht bei uns sahen. Aber wie verschieden war mein Leben doch von jenem, wie ich es mir vorgebildet hatte, als ich um die Hand meiner Elisabeth warb!

Noch anderes häusliches Unglück gesellte sich zu unseren Leiden, um unsern Gram zu vermehren. Jenes Dokument, welches eigentlich mein Vermögen, mein Dasein begründete, jener Beweis, daß Summen bezahlt seien und ich noch welche zu fordern hatte, alle diese Akten und Papiere, die schon nach dem Tode des Grafen Moritz waren als Beweisthümer in Anspruch genommen worden, diese wichtigen Blätter, die ich nach langem mühevollen Suchen wieder gefunden und die ich nur kürzlich noch in Händen gehabt hatte, waren verschwunden. Ich hatte sie immer aufmerksam behütet und verschlossen gehalten, ich hatte sie jetzt meinem Advocaten ausliefern und selber mit diesen höchst wichtigen Beweisen, die mir meine Güter frei machten und wieder schafften, nach der Stadt reisen wollen. Und sie waren fort, und wie ich dachte und sann, konnte ich weder ergründen, ja selbst keine 137 Spur auffinden, wie es möglich gewesen, sie mir zu entwenden. Als ich endlich in meiner Herzensangst meiner Frau meine Sorge mittheile, ist sie scheinbar ganz ruhig und sagt mit kalter Stimme und Fassung: Und Du kannst noch zweifeln? Ich kann es nicht. Ernestine hat einen Augenblick der Abwesenheit Deiner, des offnen Pultes, oder wer weiß, welches augenblickliche Vergessen benutzt, um diese Papiere Dir zu rauben.

Nicht möglich! rief ich im Entsetzen. – Möglich? wiederholte sie; was ist ihr unmöglich? – Da diese Documente fehlten, ging jener uralte Prozeß nur sehr langsam vorwärts und ich konnte es mir selber sagen, daß ich ihn durchaus verlieren müsse, wenn es irgend einmal zur Entscheidung käme. Ich benutzte daher eine Gelegenheit, als ihn die Gerichte selbst niederzuschlagen vorschlugen, um den wahren Bescheid auf künftige Jahre möglich zu machen. Ich konnte aber nicht unterlassen, Ernestine zu befragen, und ihr meinen Verdacht mitzutheilen. Die Haare richteten sich mir empor über die Art und Weise, wie sie diese Anmuthung, die jedes unschuldige Herz empören mußte, aufnahm. Als ich meine Verlegenheit überwunden, und ihr die Sache vorgetragen hatte, fing sie so laut und heftig an zu lachen, daß ich alle Fassung verlor. Als ich mich gesammelt hatte, und in sie drang, mir zu antworten, sagte sie mit schneidender Kälte: Mein guter Herr Schwager, hier sind, wie Sie selbst, trotz Ihrer Bornirtheit, einsehen, nur zwei Fälle möglich. Entweder ich bin schuldig, oder unschuldig. Nicht wahr? Wenn ich den Raub begangen habe, so mußte ich durch wichtige Ursachen bewogen seyn, oder durch Bosheit, oder was es sei, zu dieser Handlung gestachelt. Und dann sollte ich sagen: Ja, ich habe es gethan, nehmen Sie es doch ja nicht übel? Sie müssen selbst gestehn, das wäre dummer als 138 dumm. Wenn ich also blödsinnig wäre, hätte ich es vielleicht so ohne alle Absicht gethan, um das Küchenfeuer damit anzuzünden, oder auch weil mir die rothen Siegel gefielen, und ich spräche nun: da nehmen Sie die hübschen Papiere zurück, weil ich sehe, daß sie einen Werth für den liebwerthen Herrn Grafen haben. Blödsinnig aber bin ich bis dato noch nicht, und wenn ich boshaft bin, so bin ich natürlich nicht so einfältig, die Sache einzugestehen. Oder aber, der zweite Fall, ich bin unschuldig. Und Herr Schwager, widersprechen Sie ja nicht, dann sind Sie der Gimpel, diese so ganz ungeziemenden Fragen an mich zu thun.

Ich konnte dem gespenstigen Wesen nichts antworten. Als ich in unsrer Einsamkeit jetzt gar nicht mehr meine Elisabeth beim Fortepiano beschäftigt sah, das ich eigen für sie vom Auslande hatte kommen lassen, und ich sie darüber zur Rede stellte, sagte sie klagend: Lieber, wenn ich nicht tödtlichen Verdruß haben will, darf ich nicht mehr spielen. – Wie so? – Weil mir es Ernestine geradezu verboten hat. Sie sagt, in einem Hause, wo eine solche große Virtuosin wie sie selber lebe, könne sie nicht zugeben, daß irgend jemand anders auch nur einen Ton anzuschlagen wage. – Diese Anmaßung ging über alle Geduld hinaus. – Ich lief nach ihrem Zimmer hinüber, und forderte sie im ironischen Tone auf, mir etwas vorzuspielen, da sie es andern schwachen Sterblichen nicht erlauben wolle, das Instrument anzurühren. Sie folgte mir laut lachend. Und es ist wahr, sie spielte mit solcher Meisterschaft, daß mein Zorn sich in Bewunderung und Entzücken verwandeln mußte. – Nun? sagte sie ganz ernsthaft, als sie geendigt hatte; das kann man in seinem Hause haben, den Genuß, nach welchem Kenner funfzig Meilen herreisen würden; – und doch kann man sich auch mit jener Stümperei, diesem Hin- und Herklappen und 139 Tapsen unfähiger Finger zufrieden stellen? O ihr Thörichten und Aberwitzigen! Da schwatzen sie von Kunst, die Schäker, und meinen den Dunst, nur nippen können sie vom Himmelstrank und das Wunder wird in ihren groben Händen zum Plunder und Zunder. Wenn mich nicht das Leben immerdar anekelte, wenn die Menschen mir nicht widerwärtig wären, würde ich gar nicht mehr zu lachen aufhören.

Seitdem spielte sie oft mit uns, und erlaubte höchstens Elisabeth und mir, zu singen, obgleich sie behauptete, daß wir weder Schule noch Methode besäßen. So ging der Winter hin. Ich war schon arm, und hatte die Aussicht vor mir, ganz zum Bettler zu werden, Elisabeth kränkelte, und mir war die Heiterkeit des Lebens verschwunden.

Es war fast eine Erleichterung unsers Daseins zu nennen, als mit dem nahenden Frühling Ernestine krank und kränker, und endlich gar bettlägerig wurde. Sie ward, so wie ihre Krankheit zunahm, immer unleidlicher. Am meisten zürnte sie darüber, daß sie nicht nach der Klausenburg konnte, welche sie sehr lieb gewonnen. An einem warmen Tage ließ ich sie hinfahren, und sie kramte lange in den Gemächern, trieb sich lange zwischen den Ruinen und den Gesträuchen umher, und kam uns dann viel kränker zurück, als sie uns verlassen hatte. –

Franz ruhte wieder eine geraume Zeit und fuhr dann so fort: Jetzt sah man wohl, daß die Arme nicht wieder aufkommen würde. Der Doktor meinte, er begriffe die Krankheit und den Zustand der Leidenden nicht, denn die Lebenskraft sei bei ihr so stark, daß alle jene Symptome, die sonst einen nahen Tod verkündigten, bei ihr sich nicht zeigten, und sie wahrscheinlich bald genesen würde. Aber nach einigen Tagen ließ er selbst alle Hoffnung fahren.

Wir sahen eigentlich einer ruhigeren Zukunft entgegen. 140 Wenn uns die Unglückliche auch dauerte, so konnten wir es uns doch nicht ableugnen, daß sie störend in unser Leben und das Glück unsrer Liebe hinein gebrochen war. Wir hörten, sie liege im Sterben, und da sie beim Arzt und ihren Pflegern es sich eigen bedungen hatte, daß wir sie nicht belästigen sollten, so hatten wir uns fern gehalten. Jetzt verlangte sie plötzlich dringend, mich zu sehen, bedang sich aber dabei aus, daß die Schwester nicht zugegen seyn dürfe. Ich ging hinüber und sagte, so wie ich eintrat: Liebe Freundin, Sie wollen gewiß so gut seyn, mir jene Dokumente wieder auszuliefern, die Sie, um mich zu necken, aus meinem Pulte genommen haben. Sie sah mich bedeutend mit den sterbenden Augen an, die jetzt viel größer und verklärter als vormals leuchteten. In ihrem Blick war etwas so Seltsames, Leuchtendes, Grünfunkelndes, daß man nichts Entsetzliches, Unbegreifliches zu sehen braucht, wenn man dergleichen erblickt hat. Haben Sie, Schwager, sagte sie nach einer Pause, immer noch diese Narrenspossen im Kopfe? Doch freilich, lebt jeder so hin, wie er leben kann. Setzt Euch, Freund; fügte sie dann mit einer verächtlichen Miene hinzu, und ich ließ mich an ihrem Bette nieder.

Ihr glaubt, fing sie dann mit einem widerwärtig scharfen Tone an, ihr werdet mich jetzt los. O täuscht euch ja nicht, und schmeichelt euch nicht allzufrüh. Sterben, Leben, Nichtsein, Fortdauer. Welche unnütze, nichts sagende Worte! Ich war fast noch ein Kind, als ich lachen mußte, wenn die Menschen sich so um ihre Fortdauer nach dem Tode ängstigten. Da schleppen sie Beweise auf Beweise zusammen und zimmern sie thurmhoch hinauf, Wahrscheinlichkeiten und Wünsche, Bitten und Gebete, des Ewigen Barmherzigkeit und wie so manche gute liebe Anlagen in ihnen hier diesseits, wie sie es nennen, unmöglich ausgebildet, geschweige zur Reife gebracht 141 werden könnten, – und alle die Anstalten nur, um ihre niederträchtige Feigheit, ihre Furcht vor dem Tode etwas zu beschwichtigen. Die Armseligen! Wenn ich mich sammle, mir nach allen Richtungen hin meiner vielfältigen Kräfte bewußt werde, und der Ewigkeit, dem Schöpfer und den Millionen Geistern der Vorzeit und Zukunft entgegenrufe: Ich will unsterblich seyn! ich will! was braucht's da weiter, und welche Allmacht kann einschreiten, um meinen ewigen allmächtigen Willen zu vernichten? Was braucht der Mensch, der irgend Besinnung hat, noch für eine andere Gewähr, daß er unsterblich und ewig sei? Wie, auf welche Art, – das ist eine andere Frage. Welch Possenspiel und welche Fratze, welcher bunte Haarbeutel, welch höckerartiges Labyrinth von Eingeweiden und Liebesorganen uns wieder eingesetzt wird, welche Etikette und Hofsitte von Häßlichkeit und Schönheit eingeführt mag werden, das steht dahin, da, ins Unendliche, Dumm-Weise, Geregelte, Abgeschmackte und ewig Tolle hinein, wie Alles. – Aber, ihr guten Freunde, wie meine eigene Kraft, ohne weiteres, mich unsterblich erhält, so kann dieselbe Stärke und derselbe Willenstrotz mich zu euch zurückführen, wann, und wie oft ich will. Glaubt es mir nur, ihr Narren, die Gespenster, wie ihr sie nennt, sind nicht gerade die schlimmsten oder schwächsten Geister. Mancher möchte gern wiederkommen, aber er hat dort eben so wenig Charakter als hier. Und Du Ausbündiger, Schelmischer, Eitler, Liebenswürdiger, Talentreicher, Du Tugendknospe, Du Schönheits-Mäkler, – daß ich Dich so innigst, innigst habe lieben müssen, müssen, trotz dem innersten Kern meiner Seele, der mir sagte, daß Du es nicht verdientest, – Dir glatthäutigem, gerade gewachsenem Menschenthier werde ich immer, das kannst Du mir glauben, ganz nahe seyn. Denn diese Liebe, Eifersucht, diese Wuth nach Dir und Deinem Athmen 142 und Deinem Gespräch wird mich nach der Erde hinreißen, und das wird, wie sich ein Frommer ausdrücken würde, mein Fegefeuer seyn. Also, ohne Abschied, auf Wiedersehn!

Sie reichte mir die kalte Todtenhand. Als sie verschieden war, ging ich zu Elisabeth, hütete mich aber wohl, ihr von den tollen Phantasieen der Verstorbenen etwas mitzutheilen, da ihre Nerven ohnedies schon auf ängstigende Weise aufgeregt waren, und sie oft an Krämpfen litt.

Ich lebte jetzt mit meiner Gattin in stiller Ruhe und in einer ländlichen Einsamkeit, die wohl schön werden konnte, trotz unserer Verarmung, wenn ich nicht hätte bemerken müssen, daß die kränkelnde melancholische Stimmung Elisabeths im Zunehmen sei. Sie ward blaß und mager, wenn ich in ihr Zimmer trat, fand ich sie oft in Thränen. Sie sagte, sie wisse selbst nicht, was ihr fehle, sie sei immerdar gerührt, ohne sagen zu können weshalb, wenn sie allein sei, fühle sie sich so unheimlich, es sei ihr schrecklich, daß die Schwester in dieser wahnsinnigen Leidenschaft habe sterben müssen, und oft, wenn sie im Zimmer allein sitze, in die Kammer trete, sei es, als wenn Ernestine nahe stehe, ihr dünke, sie höre den Gang, sie spüre den Athem wehen, als wollten Blicke aus der leeren Luft dringen.

Ich beruhigte sie, ich war viel mit ihr, um sie nicht allein zu lassen, ich las ihr vor, wir gingen aus und besuchten zuweilen die Bekannten in der Nachbarschaft. Sie ward ruhiger, erholte sich und ihre schöne Farbe begann allgemach wieder zu kehren. Als ich einmal mich unwohl fühlte, und sie mir eine interessante Geschichte vorlas, indem ich behaglich auf dem Sofa ausgestreckt ruhte, sagte ich: Wie schön und wohlklingend ist Deine Stimme, willst Du denn nicht einmal wieder singen? Du hast seit lange alle Deine Musikbücher nicht aufgeschlagen, Dein Klavier bleibt auch 143 verschlossen, und die schönen Fingerchen werden am Ende ganz ungelenk werden. –

Du weißt. antwortete sie mir, wie mir in den letzten Monaten die Schwester es geradezu verbot, Musik zu treiben, wir mußten ihrer Krankheit nachgeben und so habe ich mich wirklich entwöhnt. – Singe jetzt, rief ich, durch die Neuheit des Genusses wird er mir um so größer seyn. – Wir suchten ein heitres, wohlgefälliges Musikstück aus, um dem Trübsinn ganz aus dem Wege zu gehn, und mit wahrhaft himmlischer Stimme ergoß Elisabeth die klaren lichten Töne, die beseeligend durch mein Herz gingen. Auf einmal stockte sie und fiel wieder in jenes heftige, krampfhafte Weinen, das mich schon so oft erschreckt hatte. Ich kann nicht, rief sie tief bewegt, alle diese Töne stehn wie feindselig gegen mich auf: immer fühle ich die Schwester, ganz in meiner Nähe, ihr Gewand rauscht an dem meinigen, ihr Zürnen entsetzt mich. – Ich fühlte es deutlich, mein und ihr Leben sei gebrochen.

Unser Doktor, ein verständiger Mann, war zugleich unser Freund. Als sie ihm alle diese Gefühle, ihr Zittern und die Angst bekannte, die in ihrem Innern fast immerdar arbeiteten und ihre Gesundheit aushöhlten, wandte er alle Mittel an, um sie körperlich und geistig zu beruhigen. Sein redlicher und vernünftiger Zuspruch that gute Wirkung, auch seine Medikamente schienen heilsam. So waren wir denn, als es Sommer war, viel im Freien. Wir waren zu einem Bekannten auf dessen Gut gefahren, und er hatte die Absicht, auf seinem Schlosse von Freunden und einzelnen Virtuosen ein musikalisches Fest zu geben. Meine Frau, deren großes Talent bekannt war, hatte sich anheischig gemacht, auch zu spielen und zu singen, denn sie war in der fremden Umgebung, geschmeichelt von vielen Männern und Frauen, 144 einmal wieder in einer fröhlichen Stimmung. Mir was er um so lieber, da unser Arzt es mit zu den Vorschriften seiner Diät rechnete, daß sie allen diesen dunkeln Gefühlen und dieser hypochondren Aengstlichkeit mit Gewalt widerstreiten müsse. Sie hatte sich vorgenommen, ihm Folge zu leisten. Recht heiter und vergnügt kehrten wir in unser Häuschen zurück. Elisabeth ging mit Eifer die schweren Musikstücke durch, und ich freute mich, daß sie auf diesem Wege ihre frische Jugend vielleicht wiederfinden möchte.

Nach einigen Tagen las ich einen angekommenen Brief, als plötzlich die Thür aufgerissen wird, und mir Elisabeth todtenbleich und wie sterbend in die Arme stürzt. Was ist Dir? rufe ich, vom tiefsten Entsetzen ergriffen. Ihr Auge irrte wild umher, ihr Herz klopfte, als wenn es die Brust zersprengen wollte, sie konnte lange Athem und Stimme nicht wiederfinden. O Himmel! rief sie endlich, und jedes Wort war vom Ausdruck des Grausens begleitet, – drinnen, als ich mich übe, – ganz heiter gestimmt bin – zufällig werfe ich den Blick in den Spiegel – und ich sehe hinter mir Ernestinen, – die mich mit jenem Lächeln, dem seltsamen, anschaut, die langen dürren Arme über der Brust gefaltet. Ich weiß nicht, ob sie noch dort ist, ich begreife nicht, wie ich hieher gekommen bin. –

Ich übergab sie ihrer Kammerfrau, sie legte sich zu Bette, nach dem Doktor ward eilig gesendet. Ich ging in das andere Zimmer hinüber. Die Notenbücher lagen unter dem Klavier verstreut, Elisabeth mußte sie im Schrecken heruntergerissen haben.

Was halfen Vernunft, Scherz und Trost, Diät und Medikamente gegen den vollendeten Wahnsinn? So sagte ich zu mir selber, und doch mußte ich jener Worte der Sterbenden gedenken, mit denen sie uns gedroht hatte.

145 Man hörte auf dem Schlosse, daß meine Frau krank geworden sei. Dies drohte das Musikfest zu stören. Die Frau des Hauses kam also mit einer Sängerin nach einigen Tagen selber zu uns, um sich nach dem Befinden Elisabeths zu erkundigen. Da wir nicht einmal dem Doktor von jener Erscheinung etwas gesagt hatten, die Elisabeth wollte gesehn haben, so sprachen wir noch weniger zu Fremden von dieser seltsamen Begebenheit. Meine Frau war wieder auf und hatte sich, dem Anschein nach, völlig von ihrem Schrecken erholt. Man erging sich also mit den Besuchenden in unserm kleinen Garten, sprach vom Fest, und endlich wollten sich die Baronin und jene Sängerin ein Gesangstück einüben, in Gegenwart meiner Frau, um ihren Rath anzuhören, wenn sie auch vielleicht nicht selber mitsingen könne. Wir kehrten also in das Zimmer zurück und da es schon spät geworden, wurden die Kerzen angezündet. Die Sängerin saß vor dem Klavier, um den Gesang zu begleiten; neben dieser rechts die Baronin, vor dem Notenbuche; neben dieser, etwas rückwärts, hatte ich mich gesetzt, und meine Frau saß links, nahe an der Sängerin. Wir mußten im Duett die Stimme dieser, so wie den Gesang der Baronesse bewundern. Die Musik ward immer lebhafter und leidenschaftlicher, und ich hatte es schon einmal verfehlt, das Blatt der Dame zur rechten Zeit umzuschlagen. Indem die Seite wieder zu Ende geht, legt sich ein langer, knöcherner Finger auf das Musikbuch, die Melodie bewegt sich fort, und das Blatt wird schnell und a tempo umgeschlagen. Ich sehe zurück, und die schreckliche Ernestine steht dicht an mir, hinter der Baronin. Ich weiß nicht, wie ich die Fassung behalte, prüfend, beinah kalt das entsetzliche Gespenst zu betrachten. Sie lächelte mich an, mit jener boshaften Miene, die auch im Leben ihr Gesicht so widerwärtig entstellen konnte. Sie war in ihrem 146 gewöhnlichen Hauskleide, die Augen feurig, das Gesicht kreideweiß. Ich versenkte mich fast mit Genuß in ein dunkles Grauen, blieb stumm, und war nur froh, daß Elisabeth die Erscheinung nicht bemerkte. Plötzlich ein Angstschrei, und meine Frau stürzt ohnmächtig nieder, indem der dürre Finger eben wieder das Notenblatt umschlagen will. Die Musik war natürlich zu Ende, meine Frau fieberkrank, und die Fremden fuhren nach dem Schlosse zurück. Sie hatten nichts Unheimliches gesehn und bemerkt. – –

– Hier machte der Kranke wieder eine Pause. Der Badearzt sah mich bedeutsam an und schüttelte den Kopf. Und Sie haben, fragte er dann, auch jetzt Ihrem Doktor nichts von dieser Gespenster-Erscheinung gesagt?

Nein, erwiederte Franz, nennen Sie es Schaam, Furcht vor seinem kalten und scharfen Menschenverstande, taufen Sie meine Schwäche, wie Sie wollen, genug, ich konnte es nicht über mich gewinnen, ihm diese Mittheilung zu machen.

Es war aber sehr nothwendig, sagte der Arzt, denn wie konnte er ohne diese Nachweisung Ihre Krankheit richtig beurtheilen?

Seit dem, fing Franz mit matter Stimme wieder an, war es so gut wie beschlossen, jene Gegend zu verlassen, weil wir hoffen konnten, daß uns das wilde Gespenst nicht jenseit der Berge und Flüsse verfolgen werde. Aber im Hause sahen wir sie nun oft, am meisten im Musikzimmer. An einem Morgen war der Doktor bei uns. Er setzte sich an das Klavier, und spielte so in Gedanken hin einige Passagen. Plötzlich stand die Entsetzliche wieder am Sessel meiner Frau, und legte dieser die dürre kalte Hand auf die Schulter. Krämpfe, Ohnmachten waren wiederum die Folge.

Und hat sie Ihr Doktor diesmal auch gesehn?

Nein, sagte Franz, er hatte der Erscheinung den Rücken 147 zugekehrt. Aber ich sahe sie deutlich, am hellen Tage, und nachher, wie oft. Es durfte einer nur die Tasten des Flügels berühren, so stand sie da, so daß es wie eine Citation war, einen Ton anzuschlagen. Als ich einmal wieder die alte Klausenburg besuchte, saß sie dort auf einem Stein und sah mich groß an. So verfolgt, geängstigt, in steter Furcht, in beständigem Schauder und Angst sind wir zum Tode reif geworden, und der Arzt hat uns endlich, selbst verzweifelnd und ohne Rath und Hülfe hieher gesendet, ob die hiesigen Bäder vielleicht unserer ganz zerstörten Gesundheit wieder aufhelfen könnten. Aber bis jetzt sehe ich auch noch nicht den mindesten Erfolg. Und wer steht uns dafür, daß das Gespenst sich auch nicht hier einmal zeigt? Sie will uns vernichten, und ihrem starken Willen ist das Unbegreiflichste möglich. Ich glaube, wir dürften nur es wagen, auch hier in dieser Entfernung ein Lied zu singen, oder eine Sonate zu spielen, so stände sie wieder unter uns.

Dafür stehe ich Ihnen, geehrter Herr Graf, rief der Doktor jetzt mit fester Stimme aus, einem solchen boshaften Unthier weiß unsre medizinische Polizei am besten die Wege zu weisen.

Wir sorgten jetzt dafür, daß der Kranke in einer Sänfte nach seiner Wohnung gebracht wurde, und ich begleitete den verständigen Arzt.



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