Ludwig Tieck
Die Klausenburg
Ludwig Tieck

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Am folgenden Tage war die schöne Sidonie wirklich angelangt. So wie ihr Charakter sich immer zeigte, blieb sie sich auch hier getreu, denn sie sagte ihren älteren Verwandten keine Entschuldigung darüber, weshalb sie nicht früher erschienen sei; man nahm nur aus ihren Erzählungen ab, daß Launen und Eigensinn sie unterwegs länger aufgehalten hatten. Diese zufälligen Mittheilungen mußten der ehemalige 90 Vormund, so wie die Tante für Rechtfertigung ihres Betragens gelten lassen.

Es ist eine ausgemachte Sache, fing der Freiherr Blomberg nach Tische an, daß wir auf Reisen eigentlich niemals wissen können, wohin wir gerathen werden. Es sind nicht immer die Pferde allein, welche keine Vernunft annehmen, sondern Postillone, ja Postmeister sind zuweilen noch schlimmer, des Wetters, der verdorbenen Wege und zerbrochenen Räder gar nicht einmal zu gedenken. Und wie es Unglück giebt. so oft auch im Elend selbst ein unbegreifliches Glück. Es ist noch nicht so lange her, daß ein Vetter von mir mit seiner jungen Frau und einem kleinen Kinde drüben auf meinem kleinen Gute ankam, und der Wagen fiel im Hofe sogleich um, indem sie absteigen wollten. Aber kein Wunder, denn er hatte nur drei Räder. Wir erstaunten nur, daß die Reisenden nicht früher umgeworfen hatten, und noch unbegreiflicher wurde die Sache, als die Diener im Walde, eine Viertelmeile hinein, das fehlende Rad an einem Baume ganz nachlässig angelehnt fanden. So hatte sich also der Wagen, ohne daß irgend wer den Mangel bemerkte, von selbst im Gleichgewichte gehalten, und die Freunde waren unbeschädigt angelangt. Und doch dürfte keiner deshalb ein viertes Rad am Wagen für so überflüssig halten, wie jenes berüchtigte fünfte. In meiner Jugend war ich einmal gezwungen, in den kürzesten Wintertagen eine ziemlich weite Reise beim abscheulichsten Wetter zu machen. Einen eignen Wagen besaß ich nicht, und so mußte ich mich mit jenen Fuhrwerken behelfen, die mir die Postmeister gaben, und die oft nichts weniger als bequem waren und ein seltsames Aussehen hatten. So lange ich in der wohlhabenden menschenvollen Gegend reisete, war es noch erträglich. Aber nun gerieth ich in Haidegegenden, wo Dörfer und Städte fehlten und 91 Mangel vollauf war. Mit der zunehmenden Kälte verwandelte sich nun der Regen in Schnee, welcher in ungeheuern Massen aus den Wolken niederfiel, und Wege, Gesträuche, Gräben und alle Kennzeichen, an denen man sich orientiren konnte, verdeckte. Weil es in diesem Landstriche keine Chausseen und große Heerstraßen gab, war das Fortkommen mit tausend Schwierigkeiten verknüpft und Geduld war das nothwendigste Talent, um weiter zu gelangen und auszuhalten.

Hübsch und behaglich wohnte es sich in der Nacht bei einem jungen Postmeister, der sich erst seit kurzem in dieser Wüstenei eingerichtet hatte. Wir schwatzten beim Abendtisch, indem wir guten Wein tranken, fröhlich mit einander. Er wollte am folgenden Tage seine Braut in sein Haus führen, die schon unterwegs war, um mit den Eltern des Mädchens die Hochzeit im ziemlich großen Hause zu feiern. Mein Herr, sagte er zu mir, indem ich zu Bette gehen wollte, wenn Sie den Rath eines Wohlmeinenden annehmen wollen, so bleiben Sie wenigstens morgen hier bei uns, und nehmen an unserer Freude Theil. Sie haben selbst den Sturm gehört, welcher sich seit einigen Stunden aufgemacht hat, er treibt die Schneemassen hin und her, und kein Weg läßt sich unterscheiden. Ich kann Ihnen leider nur einen kleinen, ganz offnen Wagen geben, und die nächste Station ist weit, vier Meilen von hier. Dazu kommt noch, daß ein junger unerfahrner Bursche Sie führen muß, denn die älteren sind fort, mir Eltern und Braut abzuholen. Sie sparen Zeit und gewinnen, wenn Sie es sich wenigstens diesen einen Tag bei mir gefallen lassen.

Mein guter Herr, antwortete ich, ich würde Ihr gütiges Anerbieten annehmen, wenn ich nicht allzusehr pressirt wäre. Ein Freund erwartet mich auf der nächsten Station, dem ich mein Wort verpfändet habe, unfehlbar einzutreffen. Ich darf 92 nicht ausbleiben. Meine Geschäfte sind von der Art, daß ich mit meinem Verwandten auch sogleich von dort in der größten Schnelle weiter reisen muß.

Der Wirth, indem er mir gute Nacht bot, sah mich, wie etwas mißtrauisch, von der Seite an, als wenn er meinen Versicherungen keinen rechten Glauben zustellte. Und er war mit seinem Argwohn auch auf keinem ganz unrechten Wege. Denn, mit Menschenkenntniß ausgerüstet, wie ich damals mir zutraute, nahm ich Alles, was der Mann mir sagte, nur für Vorwand und List, um mich länger in seinem Hause zu behalten. Er hatte bemerken können, daß ich das Geld nicht sonderlich achtete, ich mochte ihm als reich erscheinen, wofür man in der Jugend so gerne gilt, ich hatte ihn gezwungen, mit mir eine Flasche und mehr von seinem theuersten Weine zu leeren, ich hatte ein leckres Abendessen bestellt, welches er mit mir verzehren mußte. Daher dünkte ich mich nicht wenig politisch, als ich schon um fünf Uhr, lange vor Tage, Alles im Hause munter machte, und nach genossenem Frühstück, beim Schein der Laternen, meinen dürftigen Wagen bestieg. Ich lachte innerlich, indem ich von meinem Wirthe Abschied nahm, der auch schon munter war, und dem jungen blonden Postillon alle mögliche Vorsicht empfahl. Vom Schnee war eine gewisse dämmernde Helle verbreitet, und als wir im Freien waren, fragte ich den jungen Menschen, ob er sich getraue, mich bis zur Mittagszeit auf jene Station zu liefern, und ob er auch des Weges recht kundig sei. Er lachte und sagte: Gnaden, ich bin ja von dort gebürtig und habe den Weg, seit ich hier in Dienst stehe, schon über zwanzig Mal gemacht. – Wie wünschte ich mir selber zu meiner Klugheit und Consequenz Glück, als ich diese tröstlichen Worte vernahm.

Es ging auch allem Anschein nach recht gut, wenigstens 93 im Anfange, und ich tröstete mich um so mehr, daß mit einbrechender Helle und dem Tageslicht jede Beschwer völlig müsse überwunden seyn. Mein Postillon sang, pfiff und blies abwechselnd, was auch dazu beitrug, meinen Sinn zu erheitern. Jetzt kamen wir in ein Fichtengehölz, in dem der kältere Morgenwind uns anblies und die Dämmerung etwas lichter wurde. Von einer Straße oder einem Wege war nirgend etwas zu sehen, denn der Schnee hatte alle Spuren verdeckt. Als wir weiter kamen, fiel von neuem Schnee, und mit dem stoßenden Winde wurde er so hin und her gewirbelt, und nach allen Richtungen gestreut und getrieben, daß ich in meinem widerwärtigen offnen Fuhrwerk bald alles Bewußtsein verlor. Wenn der Schnee so stoßweise mir entgegen schlug, das Gesicht erkältete und die Augen blendete, so war es völlig unerträglich. Wir können es Alle schon bemerkt haben, daß ein solches Wetter, auch abgesehen von Frost und Schmerz, selbst eine betäubende Kraft hat, eine Schwindel erregende, so daß man an solchem Tage auf viele Minuten oft das Bewußtsein ganz eigentlich verliert. Das begegnete uns denn auch, und ehe ich mich dessen versah, hatte mein Postillon mich, als wir wieder im Freien waren, in einen tiefen Graben geworfen. Wir hatten ihn nicht bemerkt, und der verhüllende Schnee gab nach. Es kostete Anstrengung und Schweiß, das Fuhrwerk wieder in die Höhe und aus dem Graben zu bringen, und als es gelungen war und ich meinen Sitz wieder eingenommen, war ich eigentlich um nichts besser daran. Fast kam mir schon die Reue, daß ich der Einladung des verständigen Postmeisters nicht nachgegeben hatte, doch nahm ich Zuflucht zum Stolze und einer consequenten Ausdauer. So krappelten wir weiter und mein junger Fuhrmann schien auch von seinem frohen Muthe nach und nach etwas einzubüßen.

94 Um nicht zu umständlich zu werden, sage ich nur, daß wir langsam fortirrten, daß die Pferde im tiefen Schnee bald müde wurden, daß nach meiner Rechnung und wenigen Besinnung die Mittagsstunde schon vorüber seyn mußte, denn ich hatte vergessen, meine Uhr am Morgen aufzuziehn, und im Nebel und immerwährenden Schneegestöber konnte man vom Stande der Sonne nichts erfahren. Mich hungerte, meine Betäubung ging endlich in eine Schläfrigkeit über, gegen die ich mit Gewalt ankämpfen mußte, um nicht am Ende gar zu erfrieren.

Es dürfte mir schwer werden, irgend von dem Rechenschaft abzulegen, was ich in diesen Stunden dachte, denn mein Geist schlief wirklich, wenn ich auch meinen Körper noch so nothdürftig wach erhielt. Endlich kam es mir vor, als wenn sich die Luft zum Dunkeln anschickte, wenigstens wurden Nebel und Schnee noch dicker. Keine Spur von Wohnung oder Menschen. Die Pferde waren ganz matt, und nach meiner träumerischen Rechnung mochten wir dem Abend nahe seyn. Der junge Postillon war abgestiegen, um an den Strängen etwas zu knüpfen, die beim deutschen Fuhrwesen immerdar schlecht und in Unordnung sind. Als ich mich zu ihm hinbeugte, um mit ihm zu sprechen und etwas Tröstliches zu erfahren, sah ich zu meinem Schrecken, daß der Bursche ganz unverholen weinte, und endlich gar laut schluchzte. Was ist Dir? – Ach! gnädiger Herr, lautete seine Antwort, mit den Pferden, und auch mit uns, ist es völlig aus. Wir sind schon seit stundenlang auf keinem gebahnten Wege mehr. Es hat mich einer behext, ich weiß nicht, wo wir sind. Ich bin in die Wildewahl hinein gerathen. So nannte er, nach seiner Bauernsprache, unsre Verirrung.

Aber was anfangen? – Wenn uns der Heiland nicht durch ein Wunder errettet, so müssen wir hier umkommen. – 95 Muth gefaßt, Kleiner! heut früh warst Du so dreist und lustig. – Ja, damals war ich noch nicht verhext. – Wir können hier aber nicht bis zum Frühling halten. – Ach Gott! wir müssen hier umkommen. Und die heißen Thränen rollten wieder in den Schnee.

Ich sah, daß der Bursche alle Fassung verloren hatte. Zum Glück hatte ich noch einen Rest von süßem Wein bei mir, womit ich den schon ganz Verzweifelnden stärkte, und so setzte er sich, etwas ermuthigt, auf den Bock, um auf gut Glück oder schlimm Unglück weiter zu fahren, indem die Dämmerung, und bald darauf auch die Finsterniß, wirklich hereinbrach.

Ich war jetzt weniger betäubt. Mit der größten Anstrengung horchte ich umher, ob der Laut eines Menschen, das Bellen eines Hundes mein Ohr träfe. Aber alles war still wie die todte Mitternacht. Fast mußte ich sorgen, daß die Pferde, die immer häufiger stolperten, ohnmächtig niedersinken möchten. Ich sprach, so gut es sich bei dem Getöse des Windes thun ließ, mit meinem Fuhrmann, damit er nicht einschliefe, oder von neuem in sein trostloses Weinen verfiele. Meine Situation war in der That keine beneidenswerthe, und in stumpfer Resignation war ich so tief gesunken, daß ich schon auf den andern Morgen zu hoffen begann, obgleich ich es wußte, daß die Nacht nur seit kurzem begonnen hatte.

Eine Art von Schimmer verbreitete in der schwarzen Nacht der fallende und liegende Schnee; dieses Aufdämmern diente aber mehr, Augen und Sinne zu verwirren, als zu irgend einem Sehen zu verhelfen.

Endlich, so bildete ich mir ein, hörte ich etwas, wie aus weiter Ferne: es schien auch etwas Dunkles, Festes sich in die Luft hinein zu erstrecken. So war es auch, denn wir 96 geriethen nun wieder in einen Wald. Immer eine Art von Gewinn, wenn wir die Nacht doch einmal im Freien zubringen sollten. Jene Laute, die auch wohl nur eingebildet waren, ließen sich nun aber nicht mehr vernehmen.

Nachdem wir eine Weile noch fortgestolpert waren, zeigte sich wirklich ein Lichtlein ganz, ganz ferne. Ich wollte erst meinen Augen nicht trauen, aber der Postillon entdeckte es ebenfalls. – – –

Hier wurde der Erzähler unterbrochen, denn Anselm, so wie Theodor, die eben vom Pferde gestiegen waren, traten ein. Theodor wurde roth vor Freude, als er die schöne Sidonie erblickte. Er begrüßte sie so lebhaft und leidenschaftlich, daß die Wirthin lächelte und Blinden herzutrat, um ebenfalls dem jungen Mann Willkommen zu sagen und ihm die Hand zu bieten.

Sie kommen einen Augenblick zu früh, meine werthen Gäste, sagte die Baronin, denn so eben ist unser Blomberg bei der Entwickelung einer interessanten Gespenstergeschichte, die er selbst erlebt haben will.

Man setzte sich wieder, und Blomberg sagte verwundert: Gespenstergeschichte?

Nun ja, fiel Sidonie ein, was kann denn nur das räthselhafte ferne Licht anders seyn, als die erleuchtete Kammer einer Elfe, oder das Begräbniß eines wunderbar Ermordeten, dessen Gespenst dort im Schein der Irrlichter umirrt und Buße thut, oder seinen Mörder auf schauerliche Weise anklagen will.

Sie haben Recht, sagte Blomberg lachend, so sollte eigentlich der Regel nach die Geschichte fortfahren und mein Postillon schien auch derselben Meinung zu seyn; denn hatte er bis jetzt nur im Stillen geschluchzt, so fing er jetzt vor 97 Grausen und Entsetzen laut zu heulen an und wollte anfangs meinen Fragen und Ermahnungen kein Gehör geben.

Immer rief der junge Mensch, als wir näher kamen: Nun sind wir verloren! Lauter Hexen und Gespenster! Das ist nicht die Station! Wir sind in einem fremden Welttheile!

Ich konnte ihn nur mit Mühe dahin bringen, daß er die todmüden Pferde stärker antrieb, denn er zitterte und weinte.

Meine Neugierde ward gespannter, als wir näher kamen. Es schien mir ein großes Haus, welches mir, hell erleuchtet, entgegen glänzte. Meine Phantasie, indem ich von den vielstündigen Leiden alle meine Kräfte erschöpft fühlte, bildete aus der breiten Masse bald einen großen feenartigen Palast, ich sahe Säulen und glänzende Balkone, wunderliche Zinnen und Thürme, nebst allen Zubehören eines Zauberschlosses. Nicht lange, so vernahm ich Musik. Ganz wunderbare Töne schlugen an mein Ohr, und ich rüttelte mich endlich gewaltsam auf, weil ich fürchtete, ich sei eingeschlafen und Alles nur ein Traum. – –

Nun, sagte Graf Blinden, schlieft Ihr wirklich, Freund? Nichts weniger, antwortete Blomberg, Alles war wirklich. Wirklich? rief die Wirthin mit großem Erstaunen aus.

Wenn ich sage Alles, sagte der Freiherr lachend, so meine ich damit, wie jener Hettmann der Kosacken, Einiges, und also bei weitem nicht Alles. Das hell erleuchtete große Haus blieb, die Musik verschwand ebenfalls nicht, wohl aber die prächtigen Balkone, die königlichen Säulen, die romantischen Thürme und Zinnen des Mittelalters, welche sich in ganz alltägliche Schornsteine verwandelten.

Aber so sagen Sie doch endlich, was es nun war! rief Blinden.

98 Mich wundert's nur, sagte Blomberg ganz ruhig, daß Sie es noch nicht errathen haben. – Ich war freudig und beruhigt, daß ich wieder zu Menschen gerieth, mochten es seyn, welche es wollten, da meine Noth den höchsten Grad erreicht hatte, und ich jener unerträglichen, völlig hülflosen Einsamkeit entronnen war. Es war mir daher nur erfreulich, als mir aus der Thür des Hauses jener Postmeister mit einem satirischen Lächeln entgegen trat, den ich heut morgen so überaus früh und in hastiger Geschäftigkeit verlassen hatte. Wir waren in diesen vierzehn Stunden mühselig im Kreise rundum gefahren, um zerschlagen, erfroren, ganz verhungert und übermüdet da wieder anzulangen, wo wir unsere Reise begonnen hatten. Sie hätten es bequemer haben können, sagte der gutmüthige Mann, indem er mich wegen meines Unglücks, zugleich aber auch seine hinfälligen Pferde bedauerte. Ich mußte, da man auf mich nicht mehr gerechnet hatte, in einem kleinen Stübchen mich einrichten, und erst am folgenden Tage konnte ich, ausgeruht, meinen Antheil an den Freuden der Hochzeit nehmen. Ich war aber nun so klug, daß ich das schlechte Wetter austoben ließ, und ohne mich zu übereilen, erst nach vier Tagen weiter reisete. Ein alter, erfahrener Postillon brachte mich zur nächsten Station.

So waren wir denn, sagte die Wirthin, getäuscht, indem wir eine Gespenstergeschichte erwarteten. Wir dürfen Ihnen aber jene nicht schenken, deren Erzählung Sie noch nicht vollendet haben, und welche neulich Graf Theodor dem Hinzugekommenen erläuterte.

Man setzte sich in einen Halbkreis und die übermüthige Sidonie sagte: Wenn ich auch wenig oder nichts von jenem Vorfalle weiß und so mitten hinein gerathe, so will ich 99 dennoch Interesse nehmen, denn Gespenster und Alles, was damit zusammenhängt, sind meine Passion.

Recht so! rief Anselm aus, kann man doch nicht wissen, ob wir nicht alle noch einmal umgehn werden, denn keinem steht es an der Stirn geschrieben, ob er nicht aus eines Bäckers Tochter oder Sohn zur Eule wird.

O ihr junges Volk! sagte der alte kranke Binden mit einem tiefen Seufzer: euch fällt es doch niemals ein, daß ihr schon vor dem Tode zu Gespenstern werden müßt; denn was ist der hülflose, mürrische, runzelvolle Greis anders, wenn man das Bild jenes blühenden Jünglings zurückruft, welches er vor vierzig oder funfzig Jahren darstellte. Wie wird unser Sidonchen aussehn, wenn sie achtzig Jahr alt werden sollte.

Ich bitte mir einen andern Discurs aus! wie manchmal der Wiener sagt, – rief Sidonie ganz empfindlich; Vormünder dürfen unhöflich seyn, und von diesem erloschenen Recht machen Sie noch immer Gebrauch.

Also denn, rief der kranke Graf, zu jenen wirklichen, ächten Gespenstern, lieber Blomberg, um uns von den imaginären abzuwenden. Ihre idealischen sind vielleicht angenehmer.

Blomberg fing an. Sie wissen also, theuere Freunde, wie Graf Moritz mehr und mehr verarmte, und seinen Nachkommen nur wenig von jenem großen Vermögen hinterließ, welches ihm durch Erbschaft zugefallen war. Kriege brachen auch ein, doch erhielt sich der nächste Besitzer der Klausenburg und seine Familie und war in der Nachbarschaft angesehen und geachtet. Fleiß, Glück, die Heirath mit einem wohlhabenden Fräulein brachten ihn wieder empor. Und so gelang es den Bemühungen jenes Erben, daß sein Schloß noch einige funfzig oder sechzig Jahre mit seinem alterthümlichen Schmuck in unsrer Nachbarschaft glänzte, daß 100 Freunde und Verwandte ihn gern besuchten, und daß er seinem einzigen Sohne, als er starb, die übrig gebliebenen Güter im guten Zustande und noch bedeutende baare Summen hinterlassen konnte. Jener Fluch der Zigeunerinnen schien also gänzlich beseitigt, erloschen oder eingeschlafen zu seyn. Der Graf und sein Sohn hatten die frühere Begebenheit völlig vergessen, von dem Fluche mögen sie auch vielleicht nichts erfahren haben.

Ich war ein munterer Knabe, als ich die Bekanntschaft mit dem letzten jungen Erben, Franz, dort auf der Klausenburg machte. Dieser Franz, etwa um ein Jahr älter, als ich, war heiter, schön, liebenswürdig, die Freude seines Vaters, jenes thätigen Mannes, der den Glanz seiner Familie zum Theil wieder hergestellt hatte. Da mein Vater nur einige Meilen von hier auf seinem Gute wohnte, so kam ich oft von den jenseitigen Bergen nach der Klausenburg herüber, und habe auch oft Ihrer Frau Mutter, meine gnädige Baronin, meine Aufwartung gemacht, zuweilen auch, als ein ungezogener Junge, hier vielen Unfug getrieben.

Ich war damals noch nicht geboren, sagte die Wirthin.

In jenen Tagen, sagte Graf Blinden, bin ich niemals in diese Berggegenden gekommen.

Dieser mein Spielkamerad, Franz, fuhr Baron Blomberg fort, erwuchs nicht nur zur Freude seines Vaters, sondern aller Menschen. Er war schön, witzig, beliebt, geschickt als Tänzer und Reiter, und im Fechten konnte sich Niemand mit ihm messen. Er hatte sich dem Fürsten vorstellen lassen, dessen Gunst er auch durch sein heiteres Wesen gewann, und in dessen Dienst war er nach wenigen Jahren zum Rath empor gestiegen. Wenigen Menschen auf Erden schien ein so glückliches Loos bereitet zu seyn. Alle Mütter und Tanten in der Nachbarschaft sahen und wünschten in ihm auch 101 den künftigen Mann ihrer Töchter und Nichten, und in der Stadt war er auf den Bällen der vergötterte und verzogene Held der jungen Mädchen, so wie der Gegenstand des Neides und der Verfolgung aller männlichen Stutzer. Man begriff es nicht, daß der junge Mann so lange mit seiner Wahl zögerte, und lange wollte man den Gerüchten, die darüber umliefen, keinen Glauben schenken. Es hieß nehmlich, es habe sich ein Verständniß mit der Tochter des Fürsten angesponnen. Die beiden Liebenden warteten also, so erzählte man sich im Vertrauen, auf irgend einen Zufall, auf eine Begebenheit, die ihnen zum Glück ausschlagen möchte, um öffentlich ihre gegenseitige Leidenschaft und ihre Wünsche zu bekennen. Dieser Fall ereignete sich aber nicht und Jahre vergingen, und mit ihnen erloschen die Gerüchte und jene mannichfaltigen Deutungen der vielklugen Politiker.

Plötzlich, als kein Mensch mehr dieser Sache dachte, ward mein Jugendfreund durch die Ungnade seines Fürsten vom Hofe und aus der Stadt verbannt. Alle seine ehemaligen Freunde wichen von ihm zurück. Noch schlimmer, daß ihm die von oben beschützte Chikane einen gefährlichen Prozeß an den Hals warf, der ihn mit dem Verlust seines ganzen Vermögens bedrohte. So sah sich der geschmeichelte, bewunderte und von aller Welt geliebkos'te Franz in der schlimmsten Lage und mußte sich gestehen, daß sein Lebenslauf beschlossen, und alle glänzenden Aussichten für immer verdunkelt seien.

Ich sah ihn um diese Zeit wieder. Er ertrug sein Unglück wie ein Mann. Noch war er jugendlich schön und die Heiterkeit seines Humors hatte nur wenig gelitten. Wir bereiseten die hiesige Gegend, und da die Klausenburg fast schon eine Ruine geworden war, so hatte er nicht gar weit davon, am Abhange eines Berges sich ein niedliches Haus 102 gebaut, von welchem er der schönsten Aussicht genoß. Es ist dasselbe, das eine halbe Meile von hier liegt, und jetzt dem alten kranken Förster, dem verarmten Matthias, gehört.

Jenes, rief plötzlich Theodor aus, vor dem sogenannten Eibensteige?

Dasselbe, antwortete Blomberg.

Dasselbe? wiederholte Theodor fast mechanisch, und wie in Gedanken verloren.

Aber, warf Anselm lebhaft ein, – was kümmern uns alle diese Dinge? Sorgen wir doch lieber, daß die einleitende Erzählung zu Ende kommt, damit wir nur an den Anfang der Gespenstergeschichte gelangen. Das neue Haus, welches wir, wie ich glaube, alle kennen, ist eben das neue Haus, und jene veraltete Klausenburg ist das Gespensternest. Und von diesem sollten wir etwas mehr erfahren.

Sie machen mich irre, sagte Blomberg verdrüßlich, denn wenn ich erst weiter vorgerückt bin und im Namen und der Person meines Freundes Franz erzählen werde, darf ich noch weniger unterbrochen werden, und muß mich noch mehr vor Zerstreuung hüten. – Also, ich fand diesen Franz ziemlich heiter und verständig. Er vermied es, von seinen früheren Verhältnissen zu sprechen, doch war er eines Abends sehr gerührt, als ihm ein Brief den Tod der jungen Fürstin meldete, die am gebrochenen Herzen verschieden war, oder die, wie man später behaupten wollte, willkürlich ihren Tod gesucht hatte, weil sie die Last eines verbitterten Lebens nicht mehr ertragen konnte.

Ich sah wohl, daß eine stille Melancholie meinen Freund in den meisten Stunden beherrschte, indessen war er nicht gemüthskrank, es zeigten sich bei ihm keine Spuren von Lebensüberdruß; so daß ich hoffen durfte, sein Unglück und die Schicksale, die er erlebt hatte, würden dazu dienen, seinen 103 Charakter zu läutern und ihm die ächte Haltung zu geben, die auch dem Unangefochtenen nothwendig ist, wie vielmehr dem, welcher schwere Prüfungen durchzugehen hat.

Es lebte damals ein verwildertes altes Weib in den hiesigen Gegenden, und trieb sich bettelnd und halbwahnsinnig in den Dörfern herum. Die Vornehmeren nannten sie scherzend nur die Sibylle, und die gemeinen Leute trugen kein Bedenken, sie geradezu für eine Hexe auszugeben. Man wußte nicht eigentlich, wo sie wohnte, auch mochte sie wohl keine Hütte oder eine ihr zugehörige Einkehr besitzen, weil man sie stets auf den Landstraßen traf und sie allenthalben in der Provinz umherschwärmte. Einige alte Jägersleute wollten behaupten, sie sei noch ein Nachkomme jener berüchtigten Zigeunerbande, welche Graf Moritz vor Jahren verfolgt und zerstreut hatte.

Indem wir in einem schönen Buchenwalde in Gesprächen wandeln, die uns ganz von der Außenwelt abziehn, steht plötzlich, bei einer Wendung des Fußsteiges, diese alte häßliche Sibylle vor uns. Wir waren verwundert, aber auf keine Weise erschreckt, denn wir waren beide in einer heitern Stimmung. Als wir die freche Bettlerin lachend mit einigen Münzen beschenkt hatten, kam sie, nachdem sie schon fortgesprungen war, in Eile zurück, indem sie sagte: Wollt ihr denn für euer Geld nichts prophezeit haben? – Wenn es was Gutes ist, erwiederte ich, so kannst Du Dir noch einige Groschen verdienen. Ich hielt ihr die Hand hin, die sie mit Aufmerksamkeit betrachtete, und dann höhnisch sagte: Ihr habt, guter Gesell, eine ganz miserable Hand, an der jeder, auch der beste Prophet, zu Schanden werden muß. So ein mittelmäßiges Geschöpf, wie Ihr es seid, ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen: weder klug noch dumm, weder böse noch gut, weder glücklich noch 104 unglücklich. Ohne Leidenschaften, Geist, Tugend oder Bosheit, seid Ihr so recht einer der ABC-Schüler von unsers Herrgotts dummen Jungen, und Ihr werdet nicht einmal das kleine Verdienst haben, jemals in Eurem Leben Eure eigene Erbärmlichkeit einzusehen. Aus der elenden Hand und dem nichtssagenden Gesicht ist gar nichts zu prophezeien, denn ein solcher trockner Baumschwamm, wenn er nicht erst präparirt und gebeizt ist, kann keinen Funken in sich aufnehmen: so könnt Ihr, Hans von Unbedeutend, in Eurer stumpfen Natur auch nichts erleben. –

Hier erhob sich im Saale von allen Zuhörenden ein lautes Gelächter. Daß Sie diese Recension so auswendig behalten haben, sagte Anselm, macht Ihnen alle Ehre. – Nun, ist denn diese Prophezeiung in Erfüllung gegangen?

Der gutmüthige Blomberg hatte mit den übrigen gelacht und sagte nun etwas empfindlich: Jetzt, Herr Baron, sind bei uns diese Wahrsager ausgestorben, sonst könnten sich unsere jungen Leute auch Raths erholen, um an Selbstkenntniß zuzunehmen. Ich trage diese unbedeutende Begebenheit als Geschichtsschreiber mit der gehörigen Treue vor, und es kann dabei von der Kritik meines eignen Selbst nicht die Rede seyn.

Sehr wahr, sagte die freundliche Wirthin. Sie, Baron, sind die Güte selbst; und wenn man so über sich selbst zu scherzen versteht, so haben die jungen Leute keine Ursach, aus diesem Scherz Ernst machen zu wollen.

Ich glaube gar nicht, sagte Sidonie mit gespitztem Tone, daß das alte Weib so zu unserm Freunde gesprochen hat, sondern ich meine vielmehr, er improvisirt diesen Panegyrikus, damit wir ihm alle widersprechen und sein Lob in den lautesten Tönen singen sollen.

Dann hat er sich aber über die Maßen verrechnet, meine 105 schnippische Schönheit, sagte Graf Blinden, denn ein solches beifälliges Lachen, wie er es erregt hat, kann gewiß nicht für Widerspruch gelten. Fahren Sie fort, Freund, und hören Sie auf die Jünglinge gar nicht hin.

Blomberg erzählte: Mein Freund Franz lachte nicht über meine Charakteristik und die Aussprüche des alten Weibes, sondern weil er mich liebte, ward er im Gegentheil böse und fuhr sie mit heftigen Redensarten an. Eben so unbillig, als über die Worte der alten Vettel Schadenfreude zu empfinden! Sie hörte ihm ganz ruhig zu und sagte dann. Warum so böse? Wenn Ihr mir für meine Bemühung und Weisheit nicht noch etwas schenken wollt, so laßt mich ruhig gehn. Denn die Menschen können es freilich nicht gut vertragen, wenn man ihnen so ihr eigenes Inneres an das Tageslicht zieht. Was kann ich denn dafür, daß in Deinem Freunde da nicht mehr und Besseres steckt? Er ist nicht mein Sohn, noch mein Zögling. – Sehn Sie, meine Freunde und Zuhörer, so wollte die Wahrsagerin ihre vorige Grobheit durch eine neue gut machen und rechtfertigen. – Franz war auch wieder besänftigt und gab der Bettlerin einen Dukaten, indem er sagte: Pflegt Euch, Alte: wo wohnt und hauset Ihr?

Wo ich bin, antwortete sie, mein Dach wechselt so oft, daß ich nicht sagen kann, wie es aussieht: nicht selten ist es offen, und mein Camrad der Sturmwind. Natur nennen sie's, wo die Menschen nichts hingebaut haben. Aber ich danke und muß Euch Eure Freundlichkeit vergelten. – Mit Gewalt faßte sie schnell die widerstrebende Hand des Freundes, hielt sie zwischen den knöchernen Fingern fest und betrachtete sie lange, dann ließ sie den Arm mit einem tiefen Seufzer fallen und sagte mit einem Tone, der tiefe Trauer ausdrückte: Sohn! Sohn! ei, Du stammst aus einem bösen 106 Blut, von schlimmen Vorfahren ein schlimmer Sproß. Aber zum Glück bist Du der letzte Deines Stammes, denn Deine Kinder würden noch schlimmer werden. Was einmal böse angefangen hat, muß auch ein böses Ende gewinnen. Ei! ei! und Deine Physiognomie! Deine Mienen! Dein ganzes Gesicht! Ist mir doch fast zu Muthe, als wenn ich einen Mörder vor mir sähe. Ja, ja! Du hast ein junges, schönes und vornehmes Mädchen umgebracht. Auf ihrem Sterbebette hat sie lange mit Gram und Angst gerungen. Könnt ihr denn nicht treu seyn und eure Schwüre halten, ihr Bösewichter? Nicht Messer, Degen und Flinte tödten und schneiden. Auch Blicke, auch süße Worte: o die verführerischen Reden und all das lügenhafte Schönthun! Nun bricht die glänzende Hülle zusammen und wird der Verwesung gegeben, die erst euer dummes Auge blendete. Schönheit! o du unglückselige Gabe des Himmels! Und auch Du, Mordgesell, bist schön genug, um noch andere umzubringen. Die Flüche des Vaters verfolgen Dich nun, Du magst nun hier im Walde, oder in Deinen schön tapezirten Stuben seyn. Meinst Du nicht, fühlst Du es nicht, wie sie, recht aus dem Herzen kommend, das Unglück und Elend auf Dich hinwehen, wie der Sturmwind die dürren Blätter in die Tiefe des Gebirges hinstreut? Wo ist Deine Ruhe, Dein Glück, Dein Vertrauen? Alles zerstiebt wie Flugsand in der dürren Ebene; keine Frucht kann hier Wurzel fassen.

Mit einemmale jauchzte die Wahnsinnige laut auf und lief schreiend und widerwärtig singend in den dichtesten Wald hinein. Als ich mich umsah, erschrak ich, denn mein Freund war todtenbleich geworden; er zitterte so heftig, daß er sich auf einen Grashügel wie ohnmächtig niedersetzen mußte. Ich setzte mich zu ihm und suchte ihn zu trösten und zu beruhigen. Ist diese Besessene, rief er aus, von der Wahrheit 107 begeistert? Sieht sie wirklich Vergangenheit und Zukunft? Oder sind es nur wahnsinnige Laute, die sie in thierischer Gedankenlosigkeit herausstößt? Und wenn dies ist, – sind diese zusammengewürfelten Worte nicht vielleicht die ächten Orakel aller Zeiten gewesen.

Er überließ sich den Thränen und lauten Wehklagen, er rief jetzt laut in die Lüfte, was er bis dahin so sorgsam in seinem Innersten geheimnißvoll verschlossen hielt. Ja Fluch, Fluch! rief er aus, allem Talent, der Rede, der Anmuth und allen Gaben, die uns ein schadenfrohes Schicksal mittheilt, um uns und andere zu verderben! Konnt' ich nicht dem ersten ihrer freundlichen Blicke aus dem Wege gehn? Warum ließ ich mich bethören, Blick mit Blick und nachher Wort mit Wort zu erwiedern? Ja, sie war liebenswerth, edel und schön, aber in meinem Herzen erhob sich mit den besseren Gefühlen auch die Eitelkeit, daß gerade sie, die höchste es war, die mich so auszeichnete. Nun trat ich näher, dreister, bestimmter, und mein geläutertes, hochgestimmtes Gefühl überraschte und gewann sie. Sie schenkte mir ihr Vertrauen. Ihr Herz war so schön und groß; ach! alle diese Jugendgefühle so zart und innig; es war ein Paradies, was sich uns beiden aufthat. Wir glaubten, kindisch genug, es könne kein höheres Glück auf dieser Erde uns geboten werden, diese himmlische Gegenwart, der Moment genügte uns. Nun erwachte aber in meinem Herzen die Leidenschaft. Das hatte sie nicht erwartet, sie erschrak und zog sich zurück. Das stachelte meine Eigenliebe, ich fühlte mich unglücklich, zerstört, der Krankheit nahe. Das erbarmte sie, sie kam mir wieder näher. Durch eine vertraute Kammerfrau ward es uns möglich, uns oft ohne Zeugen zu sehn und zu sprechen. Unser Verständniß war inniger, unsre Liebe gewisser und zärtlicher, aber da diese Gefühle in Worte gefaßt und 108 bewußtvoller ausgesprochen wurden, so war auch auf immerdar jener paradiesische Hauch, jener überirdische Duft verschwunden. Es war ein Glück, aber ein anderes, irdischer, freundlicher, vertraulicher, aber nicht von jener Magie umgeben, die mich in der früheren Zeit entzückt hatte, so daß ich mich wohl oft im Stillen fragen konnte: Bist Du denn glücklich? – Ach! mein Freund! indem wir uns oft sahen – wie viel Entwürfe, thörichte und wahnsinnige, wurden da gemacht! Es war von unserer Zukunft die Rede, an welche der schwärmend Liebende in den ersten Zeiten seiner Entzückung niemals denkt. Einmal schien eine Gelegenheit sich anzubieten, sie zur Ehre des Hauses zu vermählen. Da erwachte Wuth und böser Hader in mir. Sie ward von meinem Zorn bis in das innerste Herz mißhandelt, da es schien, als wenn sie dieser glänzenden Verbindung nicht abgeneigt wäre. Ich war schlecht in meiner Leidenschaft, und tief fühlte sie meine Entartung, mehr in ihrer Liebe um meinetwillen, als ihrer Schmerzen wegen. O, sie hat dieses Bild meiner Raserei niemals wieder in ihrer Seele vertilgen können. Um mir die Schmerzen gut zu machen und mich ganz zu versöhnen, stieg sie zu meinem geringern wildern Wesen herab. Unsre Herzen hatten sich wieder ganz ausgesöhnt, aber mit Sehnsucht sah ich aus den schwefelgelben Gewitterwolken, die mich jetzt umgaben, nach jener Himmelsklarheit zurück, die mich anfangs so blendend angestrahlt hatte. Wir lebten in unserm Dünkel wie Verlobte und träumten von unserer Vermählung, von unerwartetem Glück, von Freuden aller Art und Wendungen des Schicksals, die niemals eintreffen konnten. Aber wir tappten im Nebel umher und hielten das Unmöglichste für nahe und natürlich.

Diese Angewöhnung in unsrer Liebe vertilgte allgemach die nöthige Vorsicht. Die Augen der Späher erwachten und 109 schärften sich an unsrer Unvorsichtigkeit. Gerüchte entstanden, die den Herrn selbst vielleicht niemals erreicht hätten, wenn nicht sein eigener Blick unser Verhältniß geahndet und errathen hätte. Nun vernahm er auf seine halben Fragen mehr, als er wissen wollte, und weit mehr, als mit der Wahrheit verträglich war. Er ließ mich zu sich kommen, ganz allein in sein Kabinet. An diesem feierlichen Abend enthüllte sich mir die Schönheit seiner großen Seele. Ohne mir Vorwürfe zu machen, maß er sich selbst die nächste Schuld meiner Anmaßung bei, daß er mich mit zu großem Vertrauen fast wie einen Sohn behandelt habe, daß er für mich so viel vom Herkommen und der Etikette nachgelassen, daß er sich selber thöricht gefreut, daß seine Tochter durch meinen Umgang sich bilden und von mir lernen könne. Als er ernster wurde, und ich dem erschütterten Vater der Wahrheit gemäß bei meiner Ehre und bei Gott betheuern konnte, daß unsere Leidenschaft uns zu keinem Verbrechen hingerissen habe, daß unser Genius uns nicht verlassen, ward er wieder milde, und sagte und verbot mir nur, was ich mir selber sagen konnte. Ich durfte die Tochter niemals wieder heimlich sehn, ich sollte durch Verstand und Charakter sie allgemach von dieser kranken Leidenschaft heilen, die ich thöricht in ihr entzündet hatte, und mich dadurch seines Vertrauens und seiner Liebe von neuem würdig machen.

Mir war, so fuhr Franz fort, plötzlich wie eine Decke von meinem Angesicht genommen. Ich kann wohl sagen, daß durch diese eine Unterredung mein ganzes Wesen verwandelt war. Die Wahrheit, die Wirklichkeit war nun endlich mit siegender Gewalt auf mich eingedrungen. Manche Lebensperioden sind einem lebhaften, wundersamen Traume zu vergleichen, man erwacht zur Nüchternheit, aber man fühlt sich doch erwacht.

110 O mein Freund, diese Wahrheit aber war, oder erzeugte mir die Hölle. Mein Geist gab dem edeln Vater in allen Dingen nach, er hatte Recht, im vollkommensten Sinne des Wortes. Wenn ich Juliane bewunderte und ihren Werth erkannte, wenn sie mir Freundin war, und ich ihr wichtig genug, daß ich ihr Dasein erhöhen konnte, – was hatte das mit der Leidenschaft, mit dem Ringen nach ihrem Besitz zu thun? Von dieser Ueberzeugung war ich jetzt durchdrungen und dieses Gefühl that mir wohl. Wie anders aber war es mit ihr! Wenden sich die Verhältnisse so, so werden in der Regel dann die Frauen in das verzehrende Feuer der Leidenschaft treten. Welche Briefe erhielt ich von ihr, nachdem ich ihr meinen Entschluß und den Rath, sich der Nothwendigkeit zu fügen, mitgetheilt hatte! Ich sagte ihr fast nur dieselben Sachen, die ich früher, als mein Ungestüm in sie drang, aus ihrem schönen Munde gehört hatte. Aber ihr Ohr war jetzt ein anderes, als damals. Taub jedem Rath, gefühllos jeder Freundlichkeit, unzugänglich jeder Ueberzeugung, hörte sie nur die wilden Eingebungen ihrer Leidenschaft. Meine Vernunft schien ihr Feigheit, meine Resignation nannte sie Niederträchtigkeit. Sie, einzig und allein sie sollte bei dieser Frage, die jetzt in meinem Herzen war erörtert worden, berücksichtiget werden. Kurz, sie spielte jetzt dieselbe Rolle, die ich ihr früher dargestellt hatte. Da ich auf mein Betragen später mit Reue und Beschämung blickte, so glaubte ich, durch ruhiges Beharren sie auf denselben Punkt allgemach führen zu können. Aber meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Seltsam, daß ich jetzt deshalb geängstigt war, weil ich das im übervollen Maß besaß, was ich ehemals für mein höchstes Glück gehalten hätte: und daß sich jetzt mein innigster Wunsch nur erstreckte, sie zur Ruhe, ja Kälte, und Gleichgültigkeit zurückführen zu können. So wunderlich behandeln 111 uns oftmals die Götter in Austheilung ihrer Gaben. Meine Briefe verletzten sie, so sah ich aus ihren Antworten, immer tiefer. So kam es denn, daß ich selbst wünschen mußte, wieder einmal eine vertraute Unterredung mit ihr in einsamer Abend- oder Nachtstunde haben zu können, deren mir ehemals so viele zu Theil geworden waren. Es gelang durch Bestechung, Bitte, Erniedrigung. Aber, o Himmel! wie war diese Juliane eine andere, als jene, die mich ehemals entzückt und begeistert hatte! Sie glich in ihrem Schmerz, verletztem Gefühl und beleidigten Stolz einer rasenden Bacchantin. Ich sagte mir, so wie ich zu ihr trat: Zu diesem Bilde also hat sie deine Liebe, Eitelkeit und Redekunst erniedrigt! O ihr Männer, die ihr durch eure Kraft diese weichen Wesen zu Engeln erheben, oder zu wildsinnigen Trunkenen verwandeln könnt! Doch diese Betrachtungen kamen zu spät. Waren ihre Briefe schon leidenschaftlich gewesen, so waren die Reden ihres Mundes noch viel ungestümer und stürmischer. Nur meine Liebe, nichts weiter in der ganzen weiten Welt verlangte sie. Für sie gab es keine Rücksichten mehr. Flucht in die Welt hinein, Verletzung ihres Rufs, Kränkung des Vaters und ihres Hauses, Alles war ihr jetzt recht und erwünscht. Ich erschrak vor diesem Taumel, der keine Scheu mehr anerkennen wollte. Je milder ich war, je mehr ich ihr die unabweisliche Nothwendigkeit deutlich machen wollte, um so wahnsinniger ward ihre Rede und Geberde. Gleich wollte sie mit mir entfliehn. Es bedurfte nur, das fühlte ich, des ausgesprochenen Wunsches, so ergab sie sich mir in diesem Taumel ganz und unbedingt. Ich war im tiefsten Herzen elend, ja vernichtet in allen meinen Kräften.

Ich erfuhr, daß der Fürst nur in Andeutungen mit ihr gesprochen hatte: das Wichtige wußte sie nur aus meinen Briefen. Sie schalt auf mich, ihren Vater und das 112 Schicksal, und erst, als sie einen Strom von Thränen vergossen hatte, war sie etwas mehr beruhigt. Ich mußte ihr versprechen, nach einigen Tagen wieder zu kommen, um dann die Mittel zu unserer Flucht verabreden zu können. Also war es nun so weit gekommen, daß ich mich vor dieser angebeteten Juliane fürchten, ja daß ich sie verachten mußte. Und doch war sie dieselbe, und nur diese unselige Leidenschaft, die ich aus meinem Herzen in das ihrige gegossen hatte, machte sie zu diesem furchtbaren Wahnbilde. Ich zitterte, sie wieder zu sehn. Ich wußte nicht mehr, welche Worte ich ihr sagen, welchen Aufschub, oder welche Entschuldigung ich ersinnen sollte. Einige Wochen vergingen so, in denen wir nur Briefe wechselten. Um zu endigen: ich ging wieder zu ihr. Sie schien mir krank, aber noch in derselben Aufregung, die keine vernünftigen Gründe zulassen wollte. Sie hatte einen Wagen besorgt, ihre Juwelen verpackt, an der Gränze Anstalten getroffen, Pässe angeschafft, Beschützer in fernen Gegenden in Anspruch genommen, kurz Alles gethan, was der Wahnsinn einer unbegränzten Liebe nur immer unternehmen mag. Ich behandelte sie als Kranke, die um sich nicht weiß, und gab ihr in allen Ausschweifungen Recht und lobte alle ihre höchst wunderlichen Plane. So glaubte sie dann mit mir einig zu seyn, und in acht Tagen, während einer glänzenden Maskerade, indem alle Menschen beschäftigt und zugleich unkenntlich waren, wollten wir entfliehn. Ich bewilligte Alles, um sie nur für den Augenblick zu beruhigen, nahm mir aber im Stillen vor, den Hof und die Stadt zu verlassen. Indem wir noch so unsere höchst vernünftigen Projecte verhandelten, gewahrte ich plötzlich den Fürsten hinter mir, der schon eine geraume Zeit unserer Unterredung zugehört hatte. Die Scene, welche nun vorfiel, mag ich nicht beschreiben. Des Vaters Zorn überstieg alle Gränzen, weil 113 er mich wortbrüchig vorfand, und der Ueberzeugung war, ich sei ganz mit dem wilden Plane seiner Tochter einverstanden. Sie warf sich zu seinen Füßen; ganz dem früheren schönen Bilde unähnlich, war sie, wie von Federn eine mechanische Figur in gewaltsame Bewegung gesetzt wird, eine Gestalt, deren Leben sich nur in den krampfhaftesten Geberden kund thut. Es ist zu verwundern, daß man manche Momente überlebt. – Ich ward verbannt, mußte in die Einsamkeit entfliehn, und hörte lange nichts von der Stadt und den dortigen Begebenheiten, weil ich alle Menschen vermied. Als ich wieder zur Besinnung kam und den Anblick von Freunden ertragen konnte, vernahm ich denn, daß sie an einer unheilbaren Krankheit leide und von ihren Aerzten schon aufgegeben sei. Wie wunderlich spielt das Schicksal mit dem Menschen und allen menschlichen Absichten. In dieser höchsten Noth, so sagte man mir, hätte mir der Vater gern seine Tochter gegeben, wenn er dadurch sein geliebtes Kind nur hätte retten können. Er wollte sich über die Meinung der Welt und über die Einrede seiner Familie hinwegsetzen, wenn ihm durch diesen festen Entschluß seine Juliane nur könne gerettet werden, durch deren Krankheit er erst erfahren hatte, wie er sie liebe, wie sie mit seinem Herzen verwachsen sei. – Alles war umsonst, sie starb in Schmerzen und nach mir rufend, und der trostlose Vater rief mir seine Flüche nach, die mich auch einholen werden, o ja, so wie ihre Verwünschungen.

– So ungefähr äußerte sich damals die Leidenschaft meines unglücklichen Freundes. Er erzählte mir noch zum Beschluß, daß sein ganzes Vermögen verloren gehe, wenn sich nicht ein Dokument vorfände, das er schon seit lange suche, aber nirgend, in keinem seiner Schränke entdecken könne.

Es giebt Leiden, bei denen es thöricht ist, nur den 114 Versuch zu machen, um Trost einzusprechen. Solche Schmerzen müssen sich selbst durchleben, sie gehören zum Menschen, und wer ihnen nicht erliegt, wer sie übersteht, wird späterhin einsehen, daß diese hohe Schule durchzuarbeiten zu seinem Heile nothwendig war.

Ich bin überzeugt, sagte mein Freund nach einigen Tagen, als ich von ihm Abschied nahm, daß diese Flüche, diese Prophezeiungen der Furie mich finden werden. Mein Leben wird sich in Krankheit, Elend, Wahnsinn und Armuth verzehren. Der Geist der Abgeschiedenen wird auf meinem Pfade in meine Fußtapfen treten und Gift säen, wo vielleicht noch eine Freude aufsprießen möchte. –

Jetzt fing ich an zu trösten und aus allen Gegenden Hoffnung und Beruhigung herbei zu rufen, weil dergleichen Befürchtungen nur allgemein poetische sind, die sich bekämpfen lassen. Die Hoffnung ist wenigstens noch unendlicher, als die weitumgreifende Ahndung dieser gespenstischen Furcht. – Wir trennten uns, und ich erfuhr lange nichts von meinem Franz. Ich war im Auslande und kehrte erst nach einigen Jahren zurück.

Wir hatten uns nicht geschrieben. und als ich nun wieder in meinem Wohnsitze mich behaglich fand, wie überraschte und erfreute mich sein erster Brief. Keine Spur mehr der alten Leiden; alles war vergessen. Durch die Zeit und das Glück war mein Franz zu einem wahrhaft neuen Menschen geworden. – Er schrieb mir nehmlich von seiner bevorstehenden Hochzeit. Das schönste Mädchen der Provinz, jung, heiter und unschuldig, hatte ihm ihre Liebe zugewendet: er hatte an demselben Tage, nach Jahren, jenes ihm so wichtige Dokument aufgefunden, als das schönste Brautgeschenk seines vollendeten Glücks. Jene trübe Zeit, so meldete er mir, sei in seinem Geiste nun völlig erloschen, eine neue 115 Jugend blühe ihm auf und er fange jetzt erst an zu leben. In acht Tagen sollte seine Hochzeit gefeiert werden, und er lud mich dringend ein, zu ihm zu kommen, um Zeuge seines Glückes zu seyn.

Gern wäre ich diesem Rufe gefolgt, wenn mich nicht mein Oheim, der auf dem Sterbebette lag, vierzig Meilen weit von hier hinweg gerufen hätte. Der Fürst, der unsern Freund am meisten haßte und verfolgte, war auch seitdem gestorben, und so ließ es sich denn nach aller menschlichen Aussicht und Berechnung so an, daß alles Ahndungsvolle, Drohende, Unheilbringende, verlöscht, eingeschlafen und vergessen sei, und sich Geister des Glückes und der Lust vor den Lebenswagen unsers Freundes spannen würden. – –

Hier schwieg der Erzähler und Graf Blinden fragte: ist denn damit die Geschichte aus?

Wie Sie wollen, antwortete Blomberg.

Wie Sie wollen? rief Sidonie heftig: Sie sind mit Ihren weit ausgreifenden Reden unausstehlich, wenn jetzt nicht noch ganz andere Sachen kommen.

Ich will mich erst am Thee erquicken, erwiederte Blomberg ruhig, nachher, wenn der Abend so recht still geworden ist, wollen wir sehen, ob die Geschichte noch eine Fortsetzung zuläßt.

Wenn die übrigen nur neugierig schienen, so konnten alle bemerken, daß sich der junge Graf Theodor in der größten Spannung und Aufregung befand. Anselm wandte von diesem kein Auge, und schien eine Art von Schadenfreude zu empfinden, daß Theodor von der Erzählung so ergriffen war. Er wechselte Blicke mit der stets lebhaften Sidonie, die auch den Grafen Theodor mit ihren schönen Augen prüfte, als wenn diese Begebenheiten, die vorgetragen waren, auf ihn eine besondere Beziehung hätten.

116 Als man sich um den Theetisch versammelt hatte, suchte Theodor der schönen Sidonie nahe zu kommen.

Er sprach leise und sehr eifrig mit ihr und Graf Blinden beobachtete indessen Anselm, der still und fein über diese lebhafte Unterredung lächelte. Wie kann man nur so dringend seyn? sagte Sidonie endlich laut.

Wovon ist denn die Rede? fragte der alte Blinden; wenn es erlaubt ist, sich darnach zu erkundigen.

Mein junger Freund, sagte Sidonie, will mich berauben, und fordert mit Ungestüm eine meiner Locken, die ich ihm, wie er behauptet, schon seit lange versprochen habe.

Sie können es nicht leugnen, Sidonie, sagte Theodor mit lauter Stimme, und ich muß mein Recht behaupten, da aus meiner Privatangelegenheit einmal ein öffentlicher Prozeß gemacht worden ist.

Wollen Sie mich zum Schiedsrichter annehmen? rief jetzt Anselm lachend.

Sie, Baron, am wenigsten, antwortete Theodor mit einiger Bitterkeit. Sie möchten zu sehr Partei werden. Auch ist es wohl passender, wenn die schöne Sidonie selbst und allein das Richteramt vertritt.

Es wird sich Alles finden, sprach Sidonie, nur müssen wir nichts übereilen wollen. Wenn der Richter frei und heiter stimmen soll, so muß man ihm nicht durch Andrang und Vorwürfe die heitere Laune verderben.

Die Wirthin, welche das Verhältniß der beiden jungen Leute kannte, und wie sehr Theodor eine Verbindung mit Sidonien wünschte, suchte durch eine Erzählung alle zu zerstreuen, weil sie immerdar Anselms eifersüchtigen Ungestüm fürchtete, der sich keine Mühe gab, seine ziemlich feindliche Stimmung gegen Theodor zu verbergen.

Mit dem Abend trat ein sonderbares Wetter ein. Dunkle 117 Wolken jagten sich durch den Himmel, plötzliche Finsterniß wechselte mit Helle; zuweilen klatschte der Regen gegen die Fenster, dann vernahm man wieder Windesbrausen, welches über die Wälder dahin fuhr. Das ist eine schauerliche Witterung, sagte Blinden, die paßt so recht, daß man sich am Kamin etwas gräßliche Geschichten erzählt. Wenn man auf den großen Teich da unten hinblickt, der nur von Zeit zu Zeit sichtbar wird, so hat er auch, wie der Wind stoßend drüber hin kräuselt, vor innigem Schauer eine Gänsehaut. Lieber Blomberg, jetzt wäre die rechte Stunde, Ihre Geschichte zu endigen.

Die Bedienten hatten bei der naßkalten Witterung ein Feuer im großen Kamin gemacht, welches jetzt laut knisternd hell aufloderte. Anselm sprach heimlich mit Sidonien, und jetzt beobachtete Theodor ihre Blicke und Mienen. Indem er sich nahte, sagte das Fräulein: Nachher, lieber Theodor, sprechen wir mit einander, lassen Sie jetzt den Baron in seiner Erzählung fortfahren, und ich wünschte nur, daß er uns recht zu fürchten macht, denn ich liebe dergleichen.

In wahren Geschichten, warf Anselm dazwischen, wofür sich diese doch ausgiebt, kommt dergleichen nicht vor. Denn was wir bis jetzt von dieser Zigeunerin, der Sibylle, dem väterlichen Fluch und dergleichen mehr vernommen haben, macht keinen großen Eindruck. Alles dieser Art ist nur von einer zweideutigen Wirkung, denn der Leser oder Zuhörer muß dem Erzähler schon mit gutem, ja sogar dem besten Willen entgegen kommen, damit nur eine Täuschung, geschweige ein tiefer erschütternder Eindruck möglich werde. Jene Poesieen und Mährchen aber, die darauf ausgehen, uns Schauder und Entsetzen zu erregen, verabscheue ich geradezu, und sie waren mir schon in meiner Kindheit verhaßt. Giebt es etwas Unsinnigeres, als daß ich mir freiwillig ein 118 Gefühl errege, welches mich peinigt, ängstigt und quält? Ich verlange von der Dichtung, daß sie mich in einen behaglichen Zustand versetze, der mich die Wirren und Aengsten des wirklichen Lebens vergessen macht. Darum rühren mich auch jene phantastischen Mährchen niemals.

Weil es Ihnen wohl an Phantasie gebricht, versetzte Theodor. Wer bloß Schreck und Angst empfindet, und wem in jenem süßen Grauen sich nicht das Räthsel des Lebens in einem halbverständlichen Wunder darlegt, der kann freilich zu jener geistigen Region keine Einlaßkarte bekommen.

Da gerathen wir, sagte Anselm höhnisch, freilich auf jene bahnlosen Schmuggler-Pfade, auf welchen so viele ästhetische Contrebandiers verdächtige und verbotene Waare aus dem Gebiet des Unsinns in das Land der Vernunft hinüber paschen wollen.

Theodor wollte wiederum antworten, aber die alte Baronin nahm das Wort, indem sie freundlich sagte: Meine Freunde, wir Frauen verstehen nichts von diesen gelehrten Dispüten, Sie müssen uns erlauben, uns an dergleichen wie die Kinder zu ergötzen. O es ist gar so hübsch, in guter Gesellschaft sich so recht zu fürchten, vor dem Schatten an der Wand zu erschrecken, uns bei jedem Geräusch umzusehen, und endlich mit Grauen und Angst in das Bett zu steigen. Wird man recht übermannt, so muß wohl gar unter allerhand Vorwänden die Kammerjungfer in derselben Stube schlafen, und man spricht und fragt, um sich zu überzeugen, daß sie noch da ist. Wir sterblichen Menschen haben gar seltsame und mannigfaltige Vergnügungen, und wen soll man darum schelten, daß wir so eingerichtet sind?

Meine Freunde, fing Blomberg jetzt, indem sich alle in der Gegend des Kamins niedergelassen hatten und das Zimmer nur von zwei Kerzen und dem flackernden Feuer erhellt 119 war, mit einiger Feierlichkeit an: wie meine Erzählung wirken, ob sie interessant seyn mag, kann ich nicht verbürgen, ich kann nur bekräftigen, daß ich sie für wahr halte, und daß ich, wie Sie gesehn haben, einiges davon selber mit erlebt habe. Wie man es auslegen, in wiefern man mir glauben mag, welche Consequenzen man daraus ziehen will, ob dieser und jener es für Erfindung erklären möchte, alles dies kümmert mich nicht sonderlich. –

Der Aufenthalt bei meinem todkranken Oheim zog sich in die Länge. Seine Qual währte länger, als seine Aerzte es vermuthet hatten, und es war mir beruhigend, daß meine Gegenwart ihm so tröstend und hülfreich seyn konnte. Als er gestorben war, hatte ich viel zu thun, seine Verlassenschaft zu ordnen, mich mit den übrigen Verwandten, da mir ein Theil des Vermögens zufiel, zu einigen, und Alles so einzurichten, daß wir alle befriedigt und ohne Streit auseinander gingen. Ueber diese Angelegenheit, da das Geschäft zugleich verschiedene Reisen nothwendig machte, war mehr als ein Jahr, fast achtzehn Monate waren darüber verflossen. Die Reisen hatten mich weit von dieser Gegend hinweg geführt, und gesteh' ich es nur, in diesen Verhältnissen und im Drang der Geschäfte hatte ich meinen Franz so gut wie vergessen. Er hatte mir nichts geschrieben, ich hatte nichts von ihm vernommen, und so war ich denn überzeugt, daß es ihm gut gehe, daß er verheirathet sei und sich in seiner neuen Lebensbahn glücklich fühle. Ich machte hierauf, weil ich einmal der Schweiz nahe war, noch in dieser eine Reise zu meinem Vergnügen, und besuchte nachher ein Bad am Rhein, zu welchem mir mein Doktor schon seit lange gerathen hatte.

Hier überließ ich mich den Zerstreuungen und genoß auf Spaziergängen die schöne Natur. Mir war lange nicht so wohl gewesen. Indem ich an der Wirthstafel die Badeliste 120 zufällig in die Hand nehme, sehe ich, daß mein Freund Franz schon seit acht Tagen im Bade sich mit seiner Gattin aufhält. Ich verwunderte mich sehr darüber, daß er mich nicht sogleich aufgesucht hatte, da ihm in der Liste mein Name doch aufgefallen seyn mußte. Indessen sagte ich zu mir selber, er hat die Blätter vielleicht nicht mit Aufmerksamkeit gelesen, er hat mich nicht nennen hören, er ist vielleicht ernsthaft krank und sieht nur wenige Gesellschaft. So beruhigt, suchte ich ihn in seiner Wohnung auf, und man sagte mir, er sei nicht zu Hause. Ich hoffe, ihn auf dem Spaziergange zu treffen, aber ich werde ihn nirgends gewahr. Als ich am folgenden Tage wieder bei ihm vorfrage, – dieselbe Antwort – er sei ausgegangen. Ich gebe meine Karte ab, mit dem Ersuchen, er solle zu mir kommen, oder schicken, um welche Zeit er meinen Besuch annehmen wolle. Ich erfahre nichts. Früh gehe ich wieder bei ihm vor, und der Bediente sagt mir wieder mit einem bekümmerten Gesicht, sein Herr sei schon ausgegangen.

Nun sah ich wohl ein, daß Franz mich nicht sprechen wolle, und daß er sich vor mir verleugnen lasse. Ich ging alle meine Erinnerungen durch, ob und wie ich ihn könne beleidigt haben, aber auch bei der überstrengen Nachforschung fand sich auch nicht der kleinste Flecken, in Hinsicht seiner, in meinem Gewissen. Ich schrieb ihm also einen etwas empfindlichen Brief, und forderte es, nicht bloß als Zeichen der Freundschaft, sondern der Achtung zugleich, die er sich selbst schuldig sei, daß er meinen Besuch annehmen solle und müsse.

Man öffnete mir, als ich wieder vor der Thür erschien. Als ich im Zimmer eine Weile gewartet hatte, kommt aus der Schlafkammer ein Fremder herein, kein Mann, sondern ein wankendes, zitterndes Gerippe, mit eingefallenem 121 leichenblassen Antlitz, das, wenn nicht die brennenden Augen gewesen, man für einen Todtenschädel hätte halten können. Großer Gott! rief ich mit Entsetzen ans, denn ich erkannte nun in diesem Gespenst meinen Franz, diesen ehemals so schönen, so liebenswürdigen Mann.

Ich war erschreckend in einen Sessel gesunken und er setzte sich jetzt ebenfalls zu mir nieder, nahm meine Hand in seine dürre, und sagte: Ja, so, mein Blomberg, sehn wir uns wieder, und Du begreifst jetzt wohl, warum ich Dir diesen traurigen Anblick ersparen wollte. Ja, Freund, alle jene Flüche sind in Erfüllung gegangen, das Elend hat mich eingeholt, so rüstig ich ihm auch voran geeilt war, ich bin zum Tode krank, meine junge Frau, die ein Musterbild der Schönheit war, nicht minder, ich bin ein Bettler, und Alles ist vorüber.

Ich konnte mich immer noch von meinem Erstaunen nicht erholen; nach jenem eisigen, ersten Schrecken trat jetzt das tiefste Mitleiden, ein unaussprechliches Erbarmen in meine Seele, und der unglückliche Freund sah meine Thränen fließen. Aber wie, wie ist alles dies möglich geworden? rief ich aus, sprich! erzähle! theile Dich Deinem Freunde mit. – Verschone mich, sagte er mit matter Stimme, werfen wir einen Vorhang über alle diese Trauer, denn was kann es Dir frommen, das Wie und Warum zu erfahren. Du würdest nicht begreifen, nicht glauben und noch weniger kann Dein Rath und Trost etwas helfen.

Ich konnte nichts erwiedern, sein Elend schien so groß, daß er vielleicht vollkommen Recht hatte. Reden, Erzählungen und Klagen sind oft nur Stacheln in der Todeswunde. Ich bat ihn, mich mit seiner Frau bekannt zu machen. Er führte sie herein, sie war eben so leidend, wie er, aber man sah, daß sie schön mußte gewesen seyn. Sie war 122 groß und edel gebaut, ihr blaues Auge von einer durchdringenden Klarheit und ihre Stimme hatte den lieblichsten, seelenvollsten Klang. Nach wenigen Gesprächen nahm ich Abschied, weil der Doctor herein trat, und ich bedang mir nur aus, daß Franz den Freund künftig nicht mehr abweisen dürfe.

Ruhe war mir nöthig, mich zu sammeln, und ich suchte den einsamsten Platz auf, um mich in meinen Gedanken und Gefühlen wieder zu finden. Wie sonderbar erschien mir in diesen Augenblicken das menschliche Leben, Liebe, Freundschaft, Tod und Gesundheit. In meiner Träumerei wurde ich durch eine freundliche Stimme unterbrochen, die mich anredete. Es war der Badearzt, ein gutmüthiger, nicht mehr junger Mann, welcher sich zu mir setzte. Ich habe erfahren, begann er, daß Sie ein Jugendfreund unsers armen Kranken sind, und ich habe Sie aufgesucht, um mit Ihnen über seinen eben so kläglichen als räthselhaften Zustand zu sprechen. Mir ist noch keine ähnliche Krankheit vorgekommen, ich verstehe sie nicht, und deshalb tappe ich auch nur mit meinen Mitteln im Dunkeln, und weiß auch nicht, ob ihm das hiesige Wasser irgend heilsam seyn kann, ihm, oder der kranken Frau, die an demselben Leiden dahin schwindet. Ich habe keinen Namen für dieses Fieber der Auszehrung, welches allen bisherigen Gesetzen spottet. Nach manchen Stunden möchte ich sie beide für wahnsinnig halten, wenn sich nicht die Vernunft in ihnen unwiderleglich offenbarte. Sollte ihr Verstand aber auch nicht verletzt seyn, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß beide gemüthskrank sind. Und das Schlimmste ist, daß der Graf nicht spricht und erzählt, sondern im Gegentheil allen Fragen über seinen Zustand, jeder Erörterung über die Ursache, den Anfang desselben, ängstlich ausweicht. Erzürnen kann und mag ich ihn nicht, und meine 123 Fragen und Forschungen haben ihn schon einigemal aufgebracht, und doch scheint es mir nöthig, die Geschichte der Krankheit von ihm zu erfahren. Und das ist meine Bitte an Sie, geehrter Herr, daß Sie, als sein Vertrauter, Ihren Einfluß auf ihn dahin wenden, daß er Ihnen und mir die Entstehung seines Uebels bekennt. Erfahre ich diese, so ist es vielleicht erst möglich, ihm und der Frau Hülfe zu verschaffen. Kommt die Krankheit aus dem Geiste, wie ich fast schon überzeugt bin, so kann der Arzt nur etwas ausrichten, wenn er im Vertrauen ist; wird ihm dieses versagt, so kann er nicht nur durch seine Vorschriften, selbst durch ein unbehütetes Wort zum Mörder werden. Ich beschwöre Sie also, Alles zu thun, damit der Leidende sich uns eröffne.

Ich versprach, zu versuchen, was der vernünftige Mann verlangte, denn ich selber hatte mir schon dasselbe sagen müssen. Als ich aber dem Freunde am folgenden Tage deshalb Vorstellungen machte, fand ich die Aufgabe viel schwieriger, als ich sie mir gedacht hatte, denn er war in diesem Punkte unzugänglich. Erst als ich meinen Bitten Thränen zugesellte, als die leidende Frau endlich selbst auf meine Seite trat, weil der Wunsch in ihr lebendig war, daß der Arzt ihrem Gatten helfen möchte, gab er nach; doch bedang er sich aus, daß, was er uns vortragen werde, im stillen Zimmer bei mir geschehen müsse, von keinem Diener gestört, denn er könne seiner Frau nicht anmuthen, bei der Erzählung zugegen, oder nur in der Nähe zu seyn.

So ward es auch eingerichtet. Mein Gartenstübchen war so still und einsam, daß keine Störung zu besorgen war, nach dem mäßigen Abendessen sendete ich die Diener fort und befahl, mich jedem möglichen Besuch zu verläugnen. Bei der Kranken blieben ihre Kammerfrauen: und eine Dame 124 war auf mein Gesuch so freundlich, ihr in Abwesenheit des Mannes etwas Leichtes und Erfreuliches vorzulesen.

Nun saßen wir also in meinem trauten Zimmerchen, beim Scheine zweier Kerzen, indessen draußen vor dem Fenster die Bäume im Sommerwinde lieblich säuselten.

Aber jetzt, geehrte Freunde, sagte der Baron Blomberg mit erhöhter Stimme, mache ich von der Freiheit Gebrauch, im Namen meines Freundes selbst, und nicht in der dritten Person zu erzählen. Ich schrieb damals jenes seltsame Bekenntniß sogleich nieder, deshalb sind mir noch jetzt alle Umstände gegenwärtig. Ich habe bisher diese Erzählung noch Niemand mitgetheilt, jetzt, nach so manchem verfloßnen Jahre, kann sie, in diesem Kreise vorgetragen, keinen Anstoß erregen, oder irgend jemand auch nur einen leichten Verdruß verursachen. –  –

Theodor stand auf und putzte die Kerzen, Anselm legte Scheite Holz in den Kamin, die Wirthin setzte sich begierig in ihren Lehnsessel zurecht, Sidonie sah erwartend um sich, und der kranke Graf Blinden nahm das Barett vom Haupt, um noch besser hören zu können.

Also denn, begann Blomberg, der kranke Freund saß auf meiner Stube im Sofa, der Arzt und ich waren ihm gegenüber, und langsam, oft pausirend, weil ihm das Sprechen sauer wurde, und er mehr wie einmal der Ruhe bedurfte, begann Franz auf folgende Art, denn in seiner Person erzähle ich, und ich ziehe es vor, unmittelbar aus der Erinnerung zu sprechen, statt jene Blätter Ihnen vorzulesen. –



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