Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Eine Kapelle schwach erleuchtet.

Der heilige Bonifacius tritt mit Schwert und Palmzweige herein.

Bonifacius.
Ich bin der wackre BonifaciusBonifacius (Winfried, 680–755), von Geburt Angelsachse, hochverdient um die Christianisierung Thüringens und Hessens, um die Zeit, in der etwa die Handlung des Stückes vor sich gehen soll (ca. 732–739), als Erzbischof und Primas von ganz Deutschland auf der Höhe seiner Thätigkeit.
Der einst von Englands Ufern in die Wälder
Der Deutschen Christus' heil'gen Glauben brachte.
Schon war Italia von dem Glanz erleuchtet,
Hispania kniete vor dem Kreuze nieder,
In Frankreich wie in Deutschland war die Kirche
Auf ihren festen Säulen schon gegründet:
Nur blieb das Volk der Sachsen roh und wild.
Ich kam mit Friedensbotschaft, unermüdet
Und redlich war mein Streben für den Herrn.
Ich war es, der die roh zerstreuten Kräfte
Zuerst dem heil'gen Vater Roms verband:
Drauf ging ich in die Wildnis zu den Friesen
Und starb alldort den Tod der Märtyrer.
Mein Name ward an Karol Magnus' Hofe
Mit lautem Preis genannt, der Strom der Zeit
Trug mich auf seinen mannigfalt'gen Wogen,
Und immer hieß ich noch Deutschlands Apostel.
Das Alter sprach von mir, und meiner dachte
Die Jugend mit des Herzens Innigkeit;
Man zählte mich den großen Helden zu,
Die schon in frühern Zeiten für die Wahrheit,
Für Christus ihren Tod den Sündern gaben. –
Nun kehr' ich wieder,
Und oftmals geht in dieser späten Zeit
Mein Geist umher und schaut nach Christen um,
Und wenn ich die Gesinnung und die Herze
Der Menschen prüfe, die an selber Stätte wohnen,
Wo sonst die Tempel standen mit den Bildern
Wo sonst in Andacht stille Seelen knieten,
Wo sonst der Englein süßer Otem
In Bitt' und Klage der Bedrängten floß
Und Feuerfunken in die Herzen goß: –
Und wenn mein schweres Auge nunmehr schaut,
Wie keiner sich und Gotte mehr vertraut
Und auf dem Sande seine Wohnung baut,
Wie wenige nur meinen Namen kennen,
Die wenigen ihn nur mit Mitleid nennen,
Die Schlimmeren mit Höhnen und mit Spott
Und lachen drob, daß ich geglaubt an Gott,
Geglaubt, daß er mich in die Wüste sandte
Und mich zu seinem Prediger ernannte:
Ja, wenn ich sehe, daß der frevle Mut
Verachtet der Apostel heil'ges Blut
Und selbst der Heiland ihnen dünkt nicht gut:
So wend' ich härmend und voll Zorn den Blick
Und geh' in die Verborgenheit zurück.

(Gesang des Priesters aus der Ferne.)

Jetzt wird ein Spiel euch vor die Augen treten,
O, laßt den harten Sinn sich gern erweichen,
Daß ihr die Kunde aus der alten Zeit,
Als noch die Tugend galt, die Religion,
Der Eifer für das Höchste, gerne duldet.
Alsbald wird ein Gedicht vor euch erscheinen:
Leben und Tod der heil'gen Genoveva,
Die noch vor Zeiten Karol Magnus' lebte.
Als Majordomus herrschte Karl MartellusKarl, gen. Martell, d. h. Hammer, Sohn Pippins von Heristal, 719–741 Regent (Majordomus, Hausmeier) der Franken; sein berühmter Sieg über die Araber zwischen Tours und Poitiers 732.
So zubenannt von seiner Tapferkeit;
Er war ein Hammer für der Christen Feinde.
Jetzt sind in Spanien MohrenHier, wie oft, s. v. w. Mauren, Araber, Sarazenen, Mohammedaner, Heiden. eingebrochen,
Die Mahoms Zeichen auf die Tempel pflanzen,
Sie stürzen ungezähmt ins fränk'sche Reich;
Da schickt er Herold' aus durch seine Staaten,
Da schickt er Schreiben in des Reichs Provinzen
Und bietet auf die Grafen, Ritter, Herrn,
Daß alle sich dem Reichspaniere fügen
Und ihm den AbdorrhamanAbd-ur-Rahman (Abderrahman), arabischer Statthalter von Spanien, überschritt 732 die Pyrenäen, schlug den Herzog Eudo von Aquitanien an der Dronne und fiel in der Niederlage bei Tours und Poitiers. schlagen helfen.
Das Aufgebot ist auch nach Trier kommen,
Wo Siegfried lebt als wackrer Graf und Ritter.

Siegfried tritt mit seinem Gefolge auf, sie gehen durch die Kapelle, einige von dem Gefolge bleiben zurück.

Da geht der edle Mann, zum Streit gewappnet,
Doch will er vorher beichten, Sakramente
Empfahen aus des Priesters heil'ger Hand.
So seid nun aufmerksam und laßt euch gern
In alte deutsche Zeit zurückeführen. – (Geht ab.)

Grimoald. Benno. Wendelin.

Grimoald. Es ist noch früh am Tage, alles ist ruhig draußen, und im Schlosse brennen noch die Lichter.

Benno. Man kann kaum um sich schauen, und die Ampel wirft nur einen matten Schimmer durch die Kirche.

Grimoald. Ich bin von draußen aus meiner Köhlerhütte hereinkommen, um meinen Sohn noch einmal zu schauen und ihm auf seinem Feldzuge lebewohl zu sagen. Wer weiß, ob ich ihn wiedersehen mag; jetzt empfängt er das heilige Abendmahl und Absolution.

Wendelin.
Sprecht leiser, Lieben, in dem Kreuzgewölbe
Und betet für euch still: Ave Maria,
Und kreuzigt eure Brust, daß ihr nicht so
Die heil'ge Kirchenruhe stört und plaudert.

Grimoald.
Bist du denn älter, daß du so darfst sprechen?
Schweig stille, junges Blut, laß andre reden,
Die mehr erfahren in der Welt und klüger.

Benno.
O, laß ihn, denn er ist ein halber Pfaff'
Und wäre besser, bei der Mess' zu dienen
Dem Priester, als ein Rittersknecht zu sein.

Grimoald.
Die Sonne kommt herauf, die bunten Fenster
Erhellen sich – es ist die vierte Stunde,
's ist einem seltsam in der ruh'gen Kirche,
Seht die Gewölb', die Bilder in den Fenstern,
Die alten Chör', Gemälde an den Pfeilern,
Altäre da, die Ampel aus der Mitten;
Ich war hier lange nicht zugegen, ehrbar
Dünkt mich der Ort, die christliche Versammlung,
Sie muß sich hier gar sehr erbaut befinden.

Wendelin.
Warum begehrst du nicht zur Kirche öfter?

Grimoald.
Der Weg aus meinem Wald ist ziemlich weit,
Und vielerlei hab' ich im Holz zu schaffen,
Denn leicht ist nicht mein Handwerk, und ein Köhler
Darf nicht viel müßig sein, die Hände schonen;
Ich bin nicht aufgelegt zum Beten, Singen;
Da geh' ich manchmal wohl zur Waldkapelle,
Wo unsre heil'ge Jungfrau bildlich steht,
Und thu' die Andacht, wie sich's schicken will.

Benno.
Glaubt mir, es kömmt auch all auf eins hinaus.

Grimoald.
Die Mönche sind zum Beten in der Welt,
Ritter und Knecht, um wacker drein zu schlagen,
Wir aber, mit der Hand uns zu ernähren.

Wendelin.
Doch mag sich alles gut zusammenfügen.

Grimoald.
Sagt an, was hat das Bild hier zu bedeuten?

Wendelin.
Es stellt den heiligen LaurentiusLaurentius, aus Spanien gebürtig, seit 257 Diakonus und Schatzmeister in Rom; soll auf einem Rost lebendig gebraten worden sein. vor,
Der in des Feuers Schmach den Leib verzehrte,
Die Seele in des Himmels Raum verklärte.
Die Heiden legten ihn in Feuerbrunst,
Die Seele stand in lichter Himmelbrunst,
Wie sich Elias hob im Himmelsfeuer,
Ward er erhoben durch ein irdisch Feuer,
Sie wollten ihm die härtste Qual bereiten
Und gaben ihm des Himmels Seligkeiten.

Grimoald.
Es hat doch immer böse Leut' gegeben.
So zieht der wackre Graf auch gegen Heiden,
Die unser Land, die Christenheit bedrohn:

Wendelin.
Auf dieser Tafel steht SebastianSebastian, aus Narbonne in Gallien, seinem Beruf nach ursprünglich Hauptmann in der Prätorianergarde, 283 getötet.
Seht her, an einen Baum ist er gebunden,
Die Brust entblößt, ein Ziel den wilden Schützen;
Die Kriegesknechte, die in blinder Wut
Ein Spiel mit seinem frommen Herzen treiben:
Er sieht mit heitern Augen nach dem Himmel,
Er weiß, dort wohnt der Vater, dort der Sohn,
Für den er alles gern erduldet, leicht
Gibt er den Leib den blinden Wütern hin,
Den Leib wohl können sie, doch nie den Glauben töten.

Grimoald.
Sind denn die wilden Männer nicht gestraft?
Wie kann es Gott erdulden, daß die Kinder,
Die ihm die liebsten sind, gemartert werden?

Benno.
Wer weiß, ob alles sich so hat begeben.

Grimoald.
Das denk' ich auch, es ist wohl lange her.

Siegfried kommt mit seinem Gefolge zurück, der Kapellan begleitet sie

Kapellan.
So wird euch Gott mit seinem Schirm geleiten,
Wie ihr für Christum Leib und Leben waget,
Des Herren Engel steht zu eurer Seiten,
Und wenn ihr nicht im schweren Kampf verzaget,
Wird er voran zu eurem Besten streiten.
Zieht hin mit meinem Segen. Seht, es taget;
Gott mit euch! Fürchtet nichts auf blut'gen Bahnen,
Euch stärkt das rote Kreuz in euren Fahnen.

(Sie gehen alle ab.)

 

Freies Feld mit Bergen.

Heinrich und Dietrich, zwei Schäfer.

Heinrich. Spielen und singen wir das Lied noch einmal?

Dietrich. Es ist nicht so gar leicht.

Heinrich. Ich will wieder anfangen, denn ich habe gar großes Gelust zur Kunst. – Heda! Tyras! (pfeift) treib die Schafe am Abhange da herunter. Waldmann! – von der Saat! – Nun, wenn du willst. – (Singt)
    Dicht von Felsen eingeschlossen,
    Wo die stillen Bächlein gehn,
    Wo die dunkeln Weiden sprossen,
    Wünsch' ich bald mein Grab zu sehn. –

Dietrich. Warum hältst du ein im Singen?

Heinrich. Sieh da drüben den Reiter auf dem Weißen Hengste! Hurra, was das Pferd Sprünge den Berg herunter macht!

Dietrich. Wer ist der Herr?

Heinrich. Kennst du den Golo nicht, den Hofmeister des Grafen Siegfried? Ein edler Herr! Sieh, wie ihm der bunte Federbusch im Winde flattert! Wie stolz er auf dem Rosse sitzt! Wie es sich unter ihm mit herrlichen Sprüngen gebärdet – still, mir deucht, er singt.

                Gesang draußen.
    Reit' ich beim roten Schein
    In den frischen Morgen hinein,
    Dünk' ich mir König zu sein.
    Der grüne Hain
    Macht mit dem Winde Gruß und Nicken,
    Von Bergen steigt ein herrliches Erquicken.

Dietrich. Der Herr hat eine schöne Stimme.

Heinrich. Er kann alles: er singt, er musiziert, er kann Gemälde machen und Reimweisen. – Jetzt reitet er zum Bache – sieh! es springt hinüber – o weh! da liegt das stolze Roß am Ufer – er steigt herab –

Golo tritt auf.

Heinrich. Habt Ihr keinen Schaden genommen, Herr Ritter?

Golo. Nein, ich weiß nicht, was den Hengst im Sprunge irrte.

Dietrich. Ihr reitet, mit gnädiger Erlaubnis, ein wenig allzu keck – ich habe für Euch gezittert.

Golo. Ihr macht, daß ich lache; ich habe das Reiten nicht anders gelernt. – Ihr sangt, wenn mich mein Gehör nicht trügt, laßt euch nicht stören; fahre fort, mein lieber Heinrich.

Heinrich. Wenn Ihr es so haben wollt.Das folgende Lied (vgl. die Einleitung) auch in den »Gedichten« unter dem Titel »Der Trostlose«.

Dicht von Felsen eingeschlossen,
Wo die stillen Bächlein gehn,
Wo die dunkeln Weiden sprossen,
Wünsch' ich bald mein Grab zu sehn.
Dort im kühlen, abgelegnen Thal
Such' ich Ruh' für meines Herzens Qual.

Hat sie dich ja doch verstoßen,
Und sie war so süß und schön!
Tausend Thränen sind geflossen,
Und sie durfte dich verschmähn –
Suche Ruh' für deines Herzens Qual,
Hier ein Grab im einsam grünen Thal.

Hoffend und ich ward verstoßen,
Bitten zeugten nur Verschmähn –
Dicht, von Felsen eingeschlossen,
Wo die stillen Bächlein gehn,
Hier im stillen, einsam grünen Thal
Such' zum Troste dir ein Grab zumal.

Golo. Ein trübseliges Lied und höchst klägliche Weise, die sich meines Ohrs so leise bemeistert hat, so mein Herz überwältigt, daß ich mich kaum der Thränen enthalten kann. – Aber wie bist du leichtfüßiger Knabe so schwermütig geworden?

Heinrich. Ach, es ist nicht meine Art so, Herr, Dietrich hat mir nur das Lied gelehrt, weil mir die Weise so besonders gefiel, und weil ich gern alle schönen Gesänge singen möchte; es ist ein altes Lied, das ein verstoßner unglücklicher Liebhaber gedichtet hat.

Golo. Da habt ihr beide ein Geschenk, damit ihr bei frischem Mut zum Singen bleibt.

Heinrich. Großen Dank, gnädiger Herr, nun will ich Euch ein anderes singen, das ich selbst gereimet habe; nimm die Schalmei, Dietrich, und blas eins dazu.

Dietrich (bläst), Heinrich (singt).Das folgende Lied (1797 gedichtet) steht zuerst im »Sternbald«; später auch in den »Gedichten« unter dem Titel »Schalmeiklang«.

Himmel blau,
Hellbegrünte Frühlingsau'
Lerchenlieder
Zur Erde nieder.

Frisches Blut,
Zur Liebe Mut,
Beim Gesang
Hüpfende Schäfchen auf Bergeshang.

Froh und zufrieden
Mit mir und der Welt,
Was Gott mir beschieden,
Mein Liebchen hienieden;
Die Sorgen im Dunkel weit von mir gestellt.

Wie fern liegt dies Thal
Von der Welt Herrlichkeit,
Hier wohnen zumal
Nur Fried' und Freud'.
Ach Herzeleid –
Wie weit
Um Geld und Größe das nagende Herzeleid!

Nun ist es Mai,
Sie ist mir treu,
Und fährt auch Frühling und Sommer hin,
Und wenn ich auch nicht mehr Bräutigam bin,
Kommt Sommerszeit doch balde zurück,
Und Ehestand ist noch schöneres Glück.

Frisch und froh
Ohne Ach und Oh!
Vergehen
Verwehen
Die Tage mir so! –

Seht, das habe ich ganz besonders für mich eingerichtet.

Grimoald kommt.

Grimoald. Grüß' euch Gott, Schäfer, ihr mögt wohl in Frieden das Glück des Landlebens preisen, mein Sohn ist fort.

Golo. Ist der Graf schon aufgebrochen?

Grimoald. Noch stehen die Ritter und Knechte im Schloßhof versammelt, mein Sohn Traugott unter ihnen.

Golo. Ist die schöne Gräfin schon aufgestanden?

Grimoald. Die edle Genoveva zeigte sich einmal auf dem Altan, in einer Stunde wollen sie alle aufbrechen; ich konnte nicht länger bleiben, denn ich muß zu meinen Meilern – lebt wohl, ich gehe in den einsamen Wald, zu meiner leeren Hütte; mein Traugott ist nicht mehr dort, um mich zu erwarten. (Geht ab.)

Golo. Lebt wohl. (Geht ab.)

Heinrich. Ein schöner, edler Herr, hat er uns da nicht ein Goldstück verehrt?

Dietrich. Wenn er mit dem Zuge ginge, könnte was Großes aus ihm werden. Sieh, da rennt er nach dem Schlosse zurück. Ich habe noch keinen so schönen Junker, solange ich lebe, gesehen.

Heinrich. Die Jugend und die Freude sehn ihm aus den Augen, er ist nicht wie die übrigen, man muß ihm gut werden, wenn er einen nur ansieht. Er bleibt nun zurück, um das Schloß des Grafen in Obacht zu nehmen, der Herr Siegfried setzt ein großes Vertrauen auf ihn.

Dietrich. Er ist noch jung und hat schon ein so großes Glück gemacht.

Heinrich. Alles Gesinde steht unter seinem Befehl in der Abwesenheit des Grafen, ja, auch der alte Ritter, der ihn zuerst in das Schloß gebracht hatte, Herr Wolf.

Dietrich. Wenn er nur nicht so unbändig ritte, wie leicht kann er Schaden nehmen.

Heinrich. O, daran denkt er nicht, und das begegnet ihm auch nicht. – Komm, wir wollen nach dem kleinen Walde gehen, unsere Herde hat sich entfernt –

(Sie gehen.)

 

Saal auf dem Schlosse

Graf Siegfried und Genoveva.

Siegfried.
Nun sammle dich, liebwertestes Gemahl,
Und zeige dich als eine deutsche Frau.
Nicht diese Thränen – warum willst du weinen?

Genoveva.
Werd' ich dich jemals, jemals wiedersehn?

Siegfried.
Als Sieger kehr' ich bald zur Heimat wieder.

Genoveva.
Dann bin ich tot, so spricht mein armes Herz.

Siegfried.
Du sollst nicht jammern; ruft mich nicht die Pflicht?
Mein Lehnsherr, unser guter, lieber König,
Der tapfre Mann, der große Majordomus,
Der längst ein Schrecken seiner Feinde war?
Du stehst im Bündnis mit den blinden Heiden,
Wenn deine Seufzer, deine Thränen mich zu halten
Versuchen, vorwärts solltest du mich treiben:
Sieh, Frankreich zittert vor den Sarazenen,
Schon haben sie Hispania unterjocht,
Schon sind sie Meister von den südlichen
Provinzen Frankreichs, dräuen nun dem Rhein.
Von dort das Heidentum, nicht weit von uns
Die Sachsen, in der deutschen Christenheit
Nur zu oft Zwiespalt, Haß: da muß der Mann
Sich fest dem Mann verbünden, daß das neue Kreuz
Nicht umgerissen Götzenbildern weiche,
Daß von den armen Menschen die Erlösung,
Die teu'r erkaufte, blutbesiegelte,
Nicht wieder in den alten Wahn verschwinde;
Da müssen wir so Blut wie Leben opfern,
Mit unserm Blut das heil'ge Kreuz besprengen,
Damit es höher wachse, weiter glänze.
Und jeder Tropfen unsers roten Bluts
Ist dann ein neues Siegel unserm Glauben!

Genoveva.
Ja, Christ hat uns zu seinem Dienst geworben,
Er ist für unser Seelenheil gestorben.
Seitdem ist Tod ein blütenvolles Leben;
Im Sterben hat uns Christ Geburt gegeben,
Wer wollte nicht den Leib der Erde bringen,
Die Seele zum Erlöser aufzuschwingen? –

Siegfried.
Nun, warum denn willst du zurück mich halten?

Genoveva.
Nicht halten, nein, zum Ruhm möcht' ich dich treiben,
Zu widerstehn den feindlichen Gewalten.
Doch zittr' ich, hier allein zurück zu bleiben: –
Es schweben vor mir furchtbare Gestalten,
Ich muß an seltsam gräßlich Elend glauben,
Mir ist, als harrte mein ein tiefes Trauern,
Als trieben Geister mich aus diesen Mauern.

So jung sah ich schon manche trübe Stunde,
Und mehr noch stehn und warten auf dein Scheiden,
Kein Vater gab den Segen unserm Bunde,
Die Mutter starb, ich kannte kaum die beiden,
Noch fühlt die Brust den Schmerz von dieser Wunde,
Und sieh', da wachsen schon die neuen Leiden.
Das liebste Gut, dich selbst, muß ich verlieren
Und soll in diesem Jammer mich regieren.

Drago tritt auf.

Drago.
Verzeiht, mein edler Graf, wenn ich Euch störe.

Siegfried.
Hausmeister, sei willkommen! Willst du was?

Drago.
Noch einmal Abschied nehmen, einmal noch
Die teure Hand an meine Lippen drücken,
Dann will ich Euch des Herren Schutz befehlen,

Siegfried.
Warum thut ihr denn alle so gar ängstlich?
's ist nicht das erste Mal daß wir entboten,
's soll nicht, mit Gottes Hülf', das letzte sein.

Drago.
Wir alle sind in seine Hand gegeben,
Er sei in Ewigkeit gelobet. Amen!

Golo und Wolf treten auf.

Siegfried.
Nun sieh, da kommt der wackre Golo auch
Und Wolf, der Alte, mich noch mal zu grüßen.
Lebt wohl, ihr Freunde, Gott behüt' euch alle.

Genoveva.
So gehst du von mir, Herr, Gemahl, mein Leben,
So ist die Stunde nun, der Augenblick,
Der längst gefürchtete, gekommen wirklich?

Drago.
Mein lieber Herr, mein wackrer, edler Graf –

Siegfried.
Du weinst? Ein Mann und Thränen?

Drago.                                                       Laßt sie fließen,
Ich weiß es ganz gewiß, wir sehn uns nimmer.

Siegfried.
Ihr alle wollt mir nur mein Herz beschweren,
Geh fort von mir, kindisch gesinnter Mann.

(Drago ab.)

Wolf.
Herr Siegfried, seht, ich will nicht klagen, weiß
Ist dieser Schädel, alt und mürb mein Herz,
Die Arme kraftlos, blöd' mein Auge; keck
Darf ich es sagen, fahret wohl, seid glücklich,
Auch wenn wir uns nicht wiedersehn.

Siegfried.                                                   Du, Wolf,
Ich weiß es, gingest gern mit mir zu streiten.

Wolf.
So thät' ich, wär' nicht meine Zeit vorüber.
Wem wird's nicht in den Adern warm beim Namen
Des Helden Karl? Dem Hammer, dem Martellus,
Dem Würger aller Frankenfeinde, ihm,
Dem Blitze Gottes, möcht' ich gerne folgen.
Doch Abend ist's mit mir geworden, und
Kein Sohn geht für mich in das schöne Feld,
Wo unsre Christenfahnen wehn, den Arm
Ins Sarazenenblut zu tauchen.

Golo.                                               Dennoch,
Mein Vater (duldet diesen Namen gern,
Denn Ihr habt mich an Kindes Statt genommen),
Soll ich den Grafen nicht ins Feld begleiten,
Ihr beiden edlen Freunde wart dagegen.

Siegfried.
Du bleibst zu Haus und bist des Hauses Stütze
Hofmeister über mein Gesinde, Vogt
Des Schlosses, meines teuern Weibes Hüter.
Gern hätt' ich dich in mein Gefolg' genommen,
Gern, lieber Knab', dich bei mir streiten sehn;
Doch weil ich keinen kenne, dessen Treue,
Des Herz mir so von Herzen ist ergeben,
So hab' ich dich gewählt, zurückzubleiben.
Dem Vaterland kannst du hier wenig nutzen,
Doch mir als Freund magst du hier alles sein,
Mein Schützer, mein Berater und mein Auge.

Golo.
Die Seele wäre in der tiefsten Hülle,
Im letzten Abgrund ewiglich verdammt,
Die taub und fühllos für die große Liebe,
Die Ihr seit lang' zu mir getragen, bliebe,
Ja, gerne füg' ich mich und bleib' zurück,
Ich schirme Euch das allergrößte Glück,
An Worten arm, an Thaten sollt Ihr kennen
Den treuen Knecht und mich den treusten nennen.

Trompeten von außen.

Siegfried.
Wir weilen im Gespräch, die Reiterei
Ist aufgesessen, alle Mannschaft schon
Im Zuge – nun, in Gottes Namen denn.

Genoveva.
O Siegfried! – Golo, Wolf, laßt uns allein. –

Golo und Wolf ab.

Siegfried.
Was willst du, Genoveva? Wahrlich, nicht
Erkenn' ich wieder, was du vordem warst.

Genoveva.
O mein Gemahl, seit wenig Monden erst,
Auf viele Monden mir zum Leid entrissen,
Ach! könntest du die Herzensqualen wissen,
Die meine junge Brust wie Dolche schneiden,
Du trügst Erbarmen mit den bittern Leiden.

Siegfried.
Die Liebe fühl' ich, doch ich muß nun fort.

Genoveva.
Du gehst, mein Licht, mein Trost, mein Leben, Hort?
O, nimm mich mit dir in das blut'ge Feld,
Wer soll dein pflegen, deine Wunden heilen?
Wer kümmert sich um dich mit treuer Sorgfalt,
Wer achtet wohl auf deine leisen Wünsche?
Wer möchte deinen Schlummer doch bewachen,
Wenn nicht dein treues Weib zugegen ist?

Siegfried.
Sprich nicht dergleichen Worte, Genoveva.
Sollt' ich dem weib'schen Römer gleich ins Lager
Ein neuvermähltes Weib denn mit mir führen,
Daß alle alten Krieger auf mich deuten
Und spöttelnd sagen: seht, er konnt' sein Herz
Nicht zwingen, mehr als Krieg gilt ihm die Frau;
Wie dürft' ich doch Martellus' Antlitz schauen?
Nein, Genoveva, mach' mich nicht erzürnen
Und lern' von mir, wie man entbehren soll.

Genoveva.
O, mögt Ihr mich nicht lebend wiederfinden,
Wenn nicht die treuste Liebe aus mir spricht,
Die Bitte gab kein weltlicher Gedanke,
Kein ungeziem'nder Wunsch auf meine Lippen.
Siegfried, die Welt ist einsam mir und öde,
Die Mauern schaun auf mich mit grimm'gen Zügen,
Kaum seid Ihr fort, so tritt aus jedem Winkel
Ein Unhold auf mich zu, ich suche Schutz
Und finde keinen, keinen als in Euch.
Ihr dürft nicht bleiben, darum nehmt mich mit,
O ja, Ihr werdet, ja, Ihr müßt es thun.

Siegfried.
Schweig, Weib, es kann nicht sein, es soll nicht sein;
Darf ich ins Lager ein Gespötte bringen?

Genoveva.
Bist du so rauh, Gemahl, so wenig freundlich
Dem schwachen, kranken Weibe? – Nun, so höre,
Ich will die Zunge zwingen, es zu sagen.
Ich fühle mich seit wenig Wochen Mutter.

Siegfried.
Daher kommt dir so Angst wie leere Furcht,
Ich freue mich und zieh' mit doppelm Mut
Und kehre froher heim, den Sohn zu finden.
Drum sei der Bitte Thorheit dir verziehn.
Leb' wohl, noch einen Kuß, und diesen noch.

Genoveva wird ohnmächtig.

O schwaches Weib! Ermuntre dich, sei mutig!
Wie, Genoveva?

Genoveva.                 Lebe wohl!

Siegfried.                                     Leb' wohl! – Geht ab.

Genoveva.
Er geht, ich bin mit meinem Gram allein.

            Das Heer draußen singt.
    So streiten wir für Gott den Herrn,
    Gehn in den Feind von Herzen gern,
    Fleug uns voran, o teurer Christ,
    Der du uns Heil und Retter bist.

Golo kömmt zurück.

Golo.
Ihr habt wohl, Gräfin, den Gesang vernommen?
Sie ziehn mit frischem Herzen fröhlich fort,
Bald ist der Feind besiegt, sie kommen heim. –
Ihr sprecht nicht, und ich seh' die stillen Thränen,
Die Ihr mir lieber noch verbergen möchtet.

Schaut um Euch, wie der Frühling aufgegangen,
Im jungen Laube neues Leben spielt,
Wie hold in ihrer Blüt' die Bäume prangen,
Im Zweig der Vogel sich vergnüglich fühlt,
Schon färben sich der Blumen zarte Wangen,
Die Winterfrost im dunkeln Hause hielt,
Allseitig fühlt die Welt ein muntres Regen
Und drängt sich süß dem Frühlingsglanz entgegen.

Von Bergen ab die silbern Bächlein kommen
Und tanzen in die grünen Thäler munter,
Den Nachtigallen ist die Furcht benommen,
Sie singen laut den dunkeln Wald hinunter,
All' süße Farben sind nun angeglommen,
Der Garten wird von tausend Blumen bunter,
Mit Strahlen ist die ganze Welt umzogen,
Um jede Blume spielt ein Regenbogen.

Genoveva geht ab.

Golo.
Dem Troste ist die holde Brust verschlossen,
Doch ist es Pflicht, man läßt sie nicht allein,
Jetzt ist die Schwermut um sie ausgegossen,
Doch sucht sie bald den zarten Frühlingsschein,
Dann wird ihr tiefer Gram, hinweggeflossen,
Nur lieblich dämmernde Erinnrung sein.
Ich will ihr nach hinab zum Garten gehen,
Allein darf sie nicht sein mit ihren Wehen.

(Geht ab.)

 

Vor dem Schlosse.

Heinrich. Else.

Else. Die Gegend ist leer an Menschen, alles ist in den Krieg gezogen.

Heinrich. Nun gibt es bald schöne Neuigkeiten von da und von dort, wie die Feinde geschlagen sind, wer von den Unsrigen im Treffen geblieben ist.

Else. Du bist immer munter, immer vergnügt.

Heinrich. Wie sollt' ich es anders? Wenn meine Schafe zur Ruhe gebracht sind, habe ich in der ganzen Welt nichts zu sorgen; auf dem Felde denk' ich an dich und unsre Liebe, schnitze einen künstlichen Stock oder dichte ein Lied für uns; ich weiß, daß du mich liebst, ich fühle, wie ich dir gut bin, was bleibt mir da noch zu sorgen übrig?

Else. Und du liebst mich recht von Herzen?

Heinrich. Von Herzen und mit meiner ganzen Seele. Laß mich nur, ich spare jetzt, wo ich mag und kann; in einem Jahre kauf' ich mich aus der Leibeigenschaft, dann hab' ich meine eigne kleine Herde, dann bist du mein Weibchen, und dann ist diese Erde mein Himmelreich.

Else. Ach, Heinrich! ist denn das alles so gewiß?

Heinrich. So gewiß mir deine Liebe ist, denn nichts anders kann uns trennen als dein Wille. Was geht mir ab? Wär' ich jetzt ein Freier gewesen, so hätte ich mit in den Krieg gemußt, und dann waren alle unsre Hoffnungen geendigt.

Else. Lebe wohl, lieber Knab', meine Mutter möchte uns gewahr werden.

Heinrich. Leb' wohl. – (Beide ab.)

 

Fränkisches Lager. Bei Poitiers.

Otho, Günther und zwei andere Hauptleute.

Günther. Was mag Karl denken und im Sinne führen, daß er sein Heer ohne Schanzen, ohne Verteidigung hier dem Feinde gegenüber legt?

Erster Hauptmann. Eine Schlacht ist unvermeidlich, wenn er sich nicht tiefer ins Land zurückzieht.

Zweiter Hauptmann. Eine Schlacht? Und bedenkt Ihr denn nicht, daß die Heiden zehnmal stärker sind als wir?

Otho. Wer fragt, wie stark sie sind? Wenn Karl es befiehlt, so schlagen wir; wenn er es uns heißt, so siegen oder sterben wir. Der Unterthan muß nie die Pläne seines Obern meistern.

Erster Hauptmann. Ei, du böser und höchst verdrüßlicher Kriegsmann, sollen wir denn nicht einmal sprechen, wie es uns einfällt?

Otho. Nein, denn ihr macht dadurch euch und andre weibisch. Was geht den Diener die Überlegung an? Er ist der Arm, sein Feldherr das Haupt: was dieser gebietet, muß er verrichten, sein größter Stolz sei, diese Verrichtung gut auszuführen, dann ist er im Felde zu gebrauchen: wenn ihr aber klügelt und dahin und dorthin zweifelt, so seid ihr schon halb verloren.

Günther. Ei, du wärst dem Bischof Bonifacius ein willkommener Schüler, solcher Leute bedarf er, um das geistliche Regiment einzurichten.

Otho. Hütet euch, Freunde, anders als mit Ehrerbietung von dem großen Manne zu reden, ihr seid nicht gestellt, ihn zu begreifen oder zu tadeln, begnügt euer einfältiges Gemüt, ihn von Herzen hoch zu halten.

Erster Hauptmann. Der Feldherr!

Otho. Der stattliche, herrliche Mann. O du edle Stütze des fränkischen Reichs! Seht, seine Miene ist voll Zorn; o, laß es den Sarazenen entgelten, nicht den Christen.

Karl Martell kommt mit dem Gefolge.

Karl.
So weit sind wir in Frieden fortgezogen,
Nun stehn wir in des Feindes Angesicht,
Nicht länger gilt's zu zögern und zu harren,
Die meisten Herrn und Grafen sind zugegen,
Der edle Herzog Aquitaniens ist
Mit seinem frischen Heere angelangt.

Otho.
Die Bundsgenossen alle sind zugegen,
Vasallen, Unterthanen, keiner fehlt,
Nur Siegfried, Pfalzgraf in dem Trierlande,
Er zögert noch zu kommen.

Karl.                                             Siegfried ist
Ein treuer Mann und hat das Aufgebot
Gewiß zuletzt erfahren, denn er wäre,
Zuerst entboten, auch zuerst zugegen.

Der Herzog von AquitanienEndo von Aquitanien (Guyenne, der südöstliche Teil von Gallien, unter den spätern Merowingern unabhängig vom Frankenreich), 688–735 Herzog, besiegte die Araber bei Toulouse 720, geriet in Streit mit Karl Martell, wurde 732 von Abderrahman geschlagen, floh zu Karl und zog, von diesem freudig aufgenommen, mit ihm sofort gegen die Mauren. kommt.

Herzog.
Nun, großer Martell, beim allmächt'gen Gott!
Ich dürste recht, zur Seite dir zu kämpfen!
Was warten wir noch länger, warum ruhn
Die Schwerter noch in ihren Scheiden, daß
Die Felder nicht, die Berge von dem Hall
Geschlagner Waffen, Schilderklang ertönen?

Karl.
Bezähm' den Mut, o dreimal edler Jüngling,
Verzeih, daß ich mit diesem Namen grüße,
In deiner Jugend seh' ich Heldenthaten
Zum Ruhm der Christenheit, zur Glorie
Der heiligen Religion, in zarten Knospen
Noch schlummern, die Gelegenheit, die Stunde
Sehnsüchtig heiß erwarten, aufzubrechen,
Damit die Welt dem neuen Glanz erstaune.

Herzog.
Lenk' meinen Arm und den ergebnen Sinn,
Mein Geist ist deinem Geiste unterthan,
Lehr' mich das große Kriegeshandwerk, Held,
Der zu den Waffen nur geboren ward,
Die fabelhafte Zeit, die vor'gen Helden
Von Rom und Griechenland, Theoderich
Samt Alarich, selbst Attila zu verdunkeln.
Dir streb' ich nach mit allen meinen Kräften,
Zwar überzeugt, dich niemals zu erreichen,
Doch schon zufrieden, wenn du nur zuweilen
Mir Beifall winkst auf meinem rauhen Wege.

Karl.
Beschämt mich nicht mit diesen Schmeichelei'n,
Gebt mir die Hand, mein edler Herzog, seid
Für Gott und Christum in dem Streite wacker,
Und Gott und Christus krönen Euch mit Ruhm.

Herzog.
O Ruhm, du Palme der erhabnen Geister,
Du schönster Thron, aus lauter Glanz erbaut,
Sei du mein Preis am heißesten der Tage,
So will ich wie der allerkühnste Falke
Mit jugendlichen Schwingen zu dir schießen,
Und noch Gefahr noch Tod soll mich erschrecken.

Otho.
Mein Feldherr, von dem Sarazenenheere
Sind jetzt Gesandte allhier angelangt,
Sie bitten, daß du sie doch hören magst
Und ihnen Sicherheit gewähren.

Karl.                                                   Laßt
Sie kommen, sicher sind sie durch den Stand,
Durch heil'ges Recht, das selbst die Heiden ehren,
Vielmehr denn wir, die wir uns Christen nennen.

Derar und Ali treten mit Gefolge auf, Diener bereiten für Karl einen Sessel, die Ritter und der Herzog stellen sich ihm zur Seite.

Karl.
Nun redet, Männer, was zu sagen not thut.

Derar.
Beim Allah, der auf uns herniederschaut,
Bist du der Mann, auf den der fränk'sche Thron,
Der lang erschütterte, die Hoffnung setzt?
Bist du es, den sie ihren Helden nennen,
Mit dessen Namen sie den Feinden drohn?

Karl.
Ich bin der Karl, den unser König sandte,
Der Ungebühr, von euch erzeugt, zu steuren;
Den Freunden wird es wohl, wenn sie mich anschaun.
Doch seid ihr Feinde, sollt ihr diesen Arm,
Mein gutes Schwert empfinden: aber wart
Ihr nur gesandt, die Frage zu verhören?

Derar.
Abdorrhaman hat uns hierher gesendet,
Der für die Lehre des Propheten streitet,
Er läßt dir, seinen Gruß entbietend, sagen:
Was willst du doch der Armen nicht verschonen,
Die dir aus weit entlegnen Landen folgten?
Glaubst du, es werde einer deiner Schar
Entrinnen und den Tod der andern künden?
O, laß die Thorenhoffnung fahren, sieh
Die tausend halben Monde, die Paniere,
Die hunderttausend und noch hunderttausend!
Ihr denkt doch nicht zur Heimat umzukehren,
Ihr wähnt doch nicht, das Schlachtfeld zu behaupten?
Wie Sternennacht unzählbar unser Heer,
Gestärkt, ermutigt durch den hohen Glauben
An Mahom, hochbeseligt durch Verheißung –
Wie wird es doch das kleine zage Häuflein
Umzingeln und erdrücken, das nur kam,
Die Rüstung uns zur Beute herzuschleppen,
Zu unserm Prunk die buntgestickten Fahnen,
Zur Sklaverei die nicht ermord'ten Ritter
Und Grafen und dich Übermüt'gen selbst.

Herzog.
Bei Gott, du feiger Mohr, dafür will ich
Dir Bart samt Haupt vom schnöden Rumpfe reißen.

Karl.
O, laß ihn sprechen, stehn wir alle doch
In jenes Hand, der alles sieht und lenkt.

Derar.
Drum läßt Abdorrhaman dir dies entbieten:
Da er, dein Freund und aller Christen Freund,
Gern ihres Lebens, ihres Blutes schont,
So magst du dich mit deinem Haufen retten,
Er fordert nur die Waffen eurer Scharen,
Und daß eu'r keiner gegen ihn sich stellt
In diesem Jahr, damit er ungehindert
Durch Frankreichs Ebnen ziehen mag und frei
Den Lauf der Flüsse und das Land besuchen:
Er ist von Gott zum Herrscher auserkoren,
Ihr aber seid zu Dienern ihm geboren.

Karl (aufstehend).
Bei Gott, ich mag nicht gern mit Hochmut sprechen,
Auch ziemt sich Stolz für keinen Christen nichtDoppelte Negation oft bei Tieck.,
Doch muß ich mich am Übermüt'gen rächen,
Das schwör' ich hier bei diesem Sonnenlicht!
Nicht soll die künft'ge Nacht zur Erden steigen,
Ich habe ihn dann unter mich gebracht,
Noch morgen soll sich die Erklärung zeigen,
Ob größer Mahoms oder Christus' Macht.
Ungläub'ge Hund', an allen Sinnen blöde,
Der Christenheit zur Strafe hergesandt,
Als Geißel scharf für ihre Sünden schnöde,
Und drum besiegtet ihr Hispanias Land.
Doch haben wir uns all' zu Gott gekehrt,
Und keine Heidenmacht kann uns bezwingen,
Wir sind mit seinem heil'gen Wort bewährt,
In seinem Namen muß es uns gelingen.
Ihr Bettler aus Arabiens Wüstenein,
Die nackt gelegen dort im heißen Sand,
Die nie gesehn des Goldes Glanz und Schein,
Die weder Acker, Pflug noch Brot gekannt,
Bis euch empört ein hochverfluchtes Haupt
Und euch gestellt in die verruchten Rotten,
Daß ihr die teure Christenheit beraubt,
Es wagt, den dreimaleinigen Gott zu spotten,
Euch Tigertieren will ich dies verkünden,
Ihr sterbt auf diesem ebnen Schlachtgefilde,
Oder niemals will ich seiner Gnade finden
Vorm allerteuersten Marienbilde.
Jetzt schweigt, ich will nicht weiter Antwort hören,
Kein Wort, bei Himmelsmacht will ich es schwören,
Ich achte nicht, daß ihr hierher gesandt,
Und morde euch mit meiner eignen Hand.

Herzog.
Jetzt eilt zurück, verkündigt unser Zürnen
Und fleht vergeblich heut zu den Gestirnen.

Otho.
Ihr seid gesandt, das schützt euch, lieben Brüder,
Doch morgen sehn wir uns im Felde wieder.

(Otho mit den Gesandten ab.)

Karl.
Rück' bald herauf, du wicht'ger großer Tag,
Und schlinge schnell die kurze Nacht hinweg,
Mir brennt zum Kampf so Herz wie Eingeweide.
Welch frohes Spiel von Zimbeln und Trompeten,
Welch Freudejauchzen tönt durch unser Lager?

Otho kommt zurück.

Otho.
Graf Siegfried ist soeben angelangt.

Karl.
Ich dacht' es wohl, daß er nicht fehlen würde.

Siegfried tritt auf.

Siegfried.
Da bin ich, edler Fürst, auf dein Gebot,
Doch kam dein Ruf nur spät in unser Schloß;
Gleich macht' ich mich zum heil'gen Kriege auf.

Karl.
Und geht es allen wohl bei dir daheim?

Siegfried.
Gottlob, ich habe alle wohl verlassen.
Mein junges Weib wollt' zwar ein wenig bangen,
Doch hat sie auch sich endlich finden müssen.

Karl.
Du bist vermählt?

Siegfried.                   Erst seit drei Monden, Herr.

Karl.
So wünsch' ich unsern Feldzug schnell geendigt,
Damit du bald zur Heimat kehren magst.

Siegfried.
Ich hab 'nen treuen Dienstmann heim gelassen,
Der mir mein Schloß und teures Weib beschirmt.

Karl.
Lebt Euer Bischof noch, Hidulf der Weise?

Siegfried.
Er hat Euch seinen Segen mitgeschickt.

Karl.
Ich danke ihm! Seid nochmals mir willkommen,
Ich denk', wir gehn schon morgen an das Werk,
Drum rüstet Euch, mein edler, tapfrer Graf,
Ich will noch einmal jetzt das Lager mustern.

(Ab mit dem Herzoge und Gefolge.)

Siegfried.
Schon morgen? Nun, je früher desto besser,
Je eh'r vollbracht, die Freude desto größer.

Otho.
Könnt Ihr Euch meiner, teurer Freund, erinnern?

Siegfried.
Ihr seid ja Otho wohl, mein Waffenbruder?

Otho.
Derselbe.

Siegfried.       Nun, so laßt Euch froh umarmen.
Ei, wie man unvermutet Freunde trifft!
Kommt mit zu meinem Zelt, wir wollen trinken,
Als Freunde uns beim Becher Willkomm sagen!

(Gehn ab.)

 

Siegfrieds Schloß.

Golo. Benno.

Golo. Wo ist die Gräfin?

Benno. In ihrem Zimmer, mit dem alten Kaplan in einer Andachtsübung.

Golo. Die edle Frau! Immer denkt sie nur an ihren fernen Gatten: wollte Gott, wir könnten etwas ersinnen, ihren Gram zu zerstreuen.

Benno. Wenn Ihr sie nicht fröhlich machen könnt, so ist es der ganzen Welt unmöglich.

Golo. Wie meinst du das?

Benno. Je nun, ich meine, daß Euer lustiger, vergnügter Umgang, Euer helles Auge, Euer wackres Ansehen dem traurigsten Menschen das Herz erfrischen müssen. Wenn Ihr so dreinschaut und lacht einem entgegen, so fühlt jedermann einen frischen Mut in seiner Brust.

Golo. Du schilderst mich wie einen leichtsinnigen Thoren.

Benno. Bewahre, gnädiger Herr, ich kann die Worte freilich nicht so recht setzen  –

Golo. Nimm! ich weiß, du trinkst gern; – wo ist der Hausmeister Drago?

Benno. Er sitzt mit dem Wendelin drinne ob einem heil'gen Buche, ich weiß aber nicht, wovon es handelt. – Gehabt Euch wohl, ich will einen Krug Wein auf Eure Gesundheit leeren. (Geht ab.)

Golo.
Was willst du hier? Weiß ich doch wahrlich nicht,
Weswegen ich hierher gekommen bin;
Wie unsichtbare Mächte hält es mich
umstrickt und lenkt die Schritte, wenn ich träume,
Hierher, und wie ein Nachtwandler erwach' ich
Und finde mich, wo ich am mind'sten dachte.
Was soll es denn, daß ich mich nicht beherrsche?
Ich fühl's, das leichte Leben nimmt den Abschied,
Es schleicht das Blut in meinen Adern, nimmer
Will Wein mir schmecken; keine Fröhlichkeit,
Gesellschaft, nichts will mich fortan erquicken;
Mein schönes Roß ist mir zuwider, alles,
Was sonst mir auf den andern Tag so Freude
Wie Lust versprach, ist mir dahingeschwunden.
Zu träge bin ich, Waffenwerk zu treiben,
Zu trübe, Lieder zu dichten und zu singen,
Nicht Weis' und Reim will mir wie sonst gelingen,
Es muß sich ändern! Soll in jungen Tagen
Mein Leben mir so ungenossen schwinden?
Ich möchte mich mit eignen Fäusten schlagen,
Die alte Kraft, sie soll sich wiederfinden!
Ich will, du goldner Wein, zu dir mich flüchten:
Ich muß die alten Liebesreime singen,
Ich will in frischer Jugend wieder dichten,
Auf meinem Roß über Bach und Gräben springen:
O, fern von mir, trübselige Gedanken,
An euch will ich wohl nimmermehr erkranken.

Wolf kömmt herein.

Wolf.
He! Golo! bist du im Gemach allein?

Golo.
Allein, was willst du mir denn, alter Vater?

Wolf.
Ist Genoveva wohl?

Golo.                               In heiliger
Ergötzung mit dem würd'gen Kapellan,
Da sprechen sie von biblischen Geschichten,
Von Helden aus dem Alten Testament,
Die auch einmal, vielleicht noch vor der Sündflut,
Von ihrem Ehgemahl getrennt gewesen.
Dann zeigt er ihr den Riß der Arche Noäh,
Und wieviel Säulen standen in Saloms Tempel,
Wodurch sie sich gar sehr erbauet fühlt
Und neugestärkt den Herrn Siegfried erwartet.

Wolf.
Wie rollt dir denn die Zung' im Kopf so wild?
Hast wieder 'mal getrunken? Golo, Knabe,
Sei doch besonnen, nimm vernünft'ge Weis' an.
Wie lange soll die Zeit der Jugend dauern?

Golo.
Verzeiht mir, Alter, denn es war nur Scherz,
Habt Ihr mir wohl 'was Ernstes aufzutragen?

Wolf.
O, Ernst genug, wenn dein Sinn darnach steht.
Ich sah, wie's meine Sitt' ist, gestern abend,
Es war die zehnte Stunde oder später,
– Doch laß es nur die zehnte Stunde sein,
Ein wenig auf und ab hat nichts zu sagen –
Nun also, wie gesagt, ich schaut' zum Fenster
Hinaus und überhin das grüne Feld,
Der Himmel war von allen Wolken rein,
Ein dunkles Blau umzog die Silbersterne,
Und in der Mitte hing der goldne Mond:
Wie ich noch so den blanken Schein betrachte
Und im Gemüt die helle Nacht erwäge,
Die Wunder Gottes preise, kommt vom Walde
Ein leises, leises Rauschen, rührt die Bäume,
Daß sich die vollen Wipfel neigen und nicken;
Währt gar nicht lange, wird das Brausen stärker,
Da fängt der Rhein an, seine Ufer zu klatschen –
So dacht' ich innerlich: ist's doch nicht anders,
Als führt das Wasser mit den Bäumen Gespräche,
Was mögen sie sich doch erzählen, die beiden,
Der alte Rhein und diese alten Eichen?
So dacht' ich und gemahnt' mich wie ein Kind:
So hob ich auf den Blick, da zogen Wolken
Dicht um den Mond und immer dichter und dichter,
Und plötzlich waren sie wieder weg, aber um die Scheibe
Lag weit umher ein Meer, so wie von Blut,
Recht dunkelrotes Blut und zum Entsetzen.

Golo.
Es spielt der Himmel mit dem Glanz, mit Wolken.

Wolf.
Sprich so nicht, lieber Golo, Krieg bedeutet's,
Unglück bedeutet's, ob nun uns, oder ob
Den Sarazenen, das ist nur die Frage.

Golo.
Der Himmel wird sein Kriegesheer beschützen.

Wolf.
Es geht da in der Natur manch Wunder vor.
So sagen sie auch, nämlich die das verstehn,
Es wäre anjetzt in den Sternen großer Zwiespalt,
Da kämpfte einer gegen den andern, erbost
Sind aufeinander die Kräfte der Natur.
Doch schweig davon; mein allerliebster Golo,
Nur dir allein hab' ich's vertrauen mögen,
Weil ich wohl weiß, du findest dich als Mann.
Noch gestern sprach ich solchen Sternengucker,
Der mir bei seinen Wissenschaften schwur,
Es stehe um das Heer der Christen schlimm,
Er sprach da von Planeten und Kometen,
Von wunderbaren KonjunkturenWörtlich: Verbindungen; in der Astrologie gewisse Stellungen derjenigen Sterne zu einander, die von Einfluß auf das Menschenleben sein sollen., siehst du,
Von Auf- und Niedersteigen, daß sich mir
Die Haare aufwärts bäumten; er beschloß,
Wir hätten eine blut'ge Schlacht verloren,
Graf Siegfried sei mit seiner Schar geblieben.

Golo.
Dies sind die nicht'gen Träumer, die mit Künsten,
Mit unerlaubten, unsern Sinn betrügen,
Es lehrt uns die Vernunft und unsre heil'ge
Religion, daß wir dergleichen nicht
Erfahren können durch ein falsches Wissen.

Wolf.
Mit Einschränkung, mein lieber Golo, alle
Sind nicht Betrüger. O, es wäre viel,
Sehr viel davon zu sprechen, doch du bist
Noch jung, ich will dir nicht das Herz beschweren,
Ich wollte dir nur sagen, was ich wüßte,
Kein andrer weiß hier noch um das Geheimnis,
Verschweig es, bitte, ja vor Genoveva.

Golo.
Sie soll kein einzig Wort davon erfahren.

Wolf.
Sie ist ein Weib, zu jung, vielleicht – ich schweige,
Du weißt, mein Golo, was ich sagen will,
Da muß man sie um alles nicht erschrecken.
Leb' wohl, gib mir die Hand. Halt reinen Mund!

(Geht ab.)

Golo.
Du guter alter Mann!
Du Abbild der verfloss'nen treuen Zeit,
Wie könnt' ich doch ob deinem Glauben spotten,
Dein kindliches Gemüt doch bitter tadeln?

Genoveva und der Kapellan treten auf.

Genoveva.
Ihr geht aus meinem Hause nie, Ihr laßt
Mir Hoffnung, Andacht hier als liebe Freunde.

Kapellan.
Gott kann die Seinen nimmermehr verlassen,
Im Herzen steht sein Name eingeschrieben,
Ist dieser nur in uns zurückgeblieben,
Wir schaun ihn an und wissen uns zu fassen.

Doch wenn wir unser eignes Herze hassen,
So bleibt uns fern Andacht und frommes Lieben,
Von neuem aus dem Paradies getrieben,
Sind wir von Gott und Welt und uns verlassen.

Doch wer den Engel Demut in sich heget,
Dem ist die Andacht auch zum Gast gegeben,
Er sieht im Herzen Christi wahren Zeugen:

Drum glaubt er fest, so sich auch Trübsal reget,
Er führt die Kraft im innerlichsten Leben
Und bleibt verfolgt, im Kerker, tot, sein eigen.

Es segne Euch der Herr, behüte Euch,
Er sei mit Euch auf allen Euren Wegen. (Geht ab.)

Genoveva.
Ihr seid hier, Golo? – Eben seh' ich Euch.

Golo.
So heiligen Gedanken müssen freilich
Die andern all' entweichen, niemals möge
Mein Nam' Euch ins Gedächtnis fallen, wenn
Die heil'ge Sehnsucht Euren Geist regiert.

Genoveva.
Warum das nicht? Ihr seid so gut und edel,
Der edle Mensch ist nur ein Bild von Gott.

Golo.
Ja, Ihr habt recht, Ihr seid ein göttlich Bild.
Drum muß man Euch Reliquien gleich verehren
Mit stummer Inbrunst und aus frommer Ferne.

Drago tritt auf.

Drago.
Hier ist das Buch, wohledele Frau Gräfin,
Das Ihr befahlt von Straßburg zu verschreiben,
Es ist in schöner Schrift, ein wackrer Mönch
Hat alle Züge rein und klar gezeichnet.

Genoveva.
Wie lieb ist mir, daß es nun angekommen,
Ich hegte große Sehnsucht, es zu lesen;
Nun ist es da, ich will mich dran erquicken.

Drago.
Gar wunderwürdig ist da die Beschreibung
Von Sankt Laurentio, vom heiligen
Sebastian und der heil'gen KatharinenEs gibt in der katholischen Kirche sechs verschiedene heilige Katharinen.
Nebst andern alt verlaufenen Geschichten,
Die inniglich so Herz wie Geist erregen.
Ich hab' ein wenig schon darin geblättert,
Ihr werdet mir verzeihn, wohledle Frau.

Genoveva.
Ich kenne deinen lehrbegier'gen Sinn.

Drago.
Jetzt will ich mich zur Abendtafel richten. (Geht ab.)

Genoveva.
Ihr seid nicht froh in diesen Tagen, Golo.

Golo.
Ich denke oft an unsern edlen Grafen,
An die Gefahr –

Genoveva.               Wohl habt Ihr Recht zu trauren –
Was war es für ein Lied, das ich Euch erst
Im Hofe singen hörte, als der Vater
Mit mir im Zimmer war?

Golo.                                     Verzeiht, ein bäurisch
Einfältiges Gedicht, das ich durch Zufall
Vor ein'gen Tagen hörte, und das so,
Ob ich's gleich nicht begreife wie, mich faßte,
Daß mein Gedächtnis es mit Widerwillen
Behält und ich es allerwegen singe.

Genoveva.
Die Weise ging recht still und traurig fort,
So daß es mich bis in mein Herz bewegte.
Hier ist die Laute, spielt es noch einmal.

Golo.
Es kann Euch wirklich nicht ergötzen, Herrin.

Genoveva.
Doch wünsch' ich mir die sanften Töne wieder,
Und daß Ihr's ganz so schlicht und herzlich singt.

Golo.
Wenn Ihr befehlt, so muß ich wohl gehorchen.

(Er spielt und singt.)

    Dicht von Felsen eingeschlossen,
    Wo die stillen Bächlein gehn,
    Wo die dunkeln Weiden sprossen,
    Wünsch' ich bald mein Grab zu sehn

(Er läßt die Laute plötzlich fallen.)

Genoveva.
Was ist Euch, Golo? Wie, Ihr weint? Ihr könnt
Vor Schluchzen nicht mehr sprechen? – Faßt Euch, Lieber!
Was kommt Euch denn so plötzlich in den Sinn? –

(Golo geht fort.)

Der treue Mensch, ihm geht der Schmerz von Herzen,
Er liebt den Herrn mit wunderbarer Tugend;
O, jeder muß ihn lieben, der ihn kennt.
Die schwarze Nacht kömmt schon vom Wald herauf,
Nun sitzt er wohl mit trübem Blick im Lager
Und schaut nach unsern lieben Bergen her,
Ihn reu'n im stillen seine strengen Worte.
Vielleicht ist jetzt die wilde Schlacht geendigt,
Man sucht ihn unter den Verwundeten
Und kann ihm keine Hülfe mehr erschaffen.
O, Auge Gottes, das vom Himmel schauet,
Nimm du ihn gern in deinen großen Schutz,
Wer auf den Herrn mit sicherm Mut vertrauet,
Der beut den allerärgsten Feinden Trutz.
O, Allmacht, wer auf deine Hülfe bauet,
Der ist verwahrt, geschirmt vom schönsten Schutz.
Dir übergeb' ich ihn und will nicht klagen,
Nicht Wohlgefall' ist dir der Menschen Zagen.

Verworren wandern wir in bunten Reihen,
Und Tod und Unglück gehn durch uns dahin,
Wen du mit deiner Milde willst erfreuen,
Der findet im Verderben den Gewinn;
Er darf nicht drohende Gefahren scheuen,
Er singt: Im Tod und Leben dein ich bin;
Du gabst ihn mir, dir sei er übergeben,
Er sei der dein' im Tode oder Leben. – (Geht ab.)

 

Sarazenisches Lager. Nacht.

Derar und Abdorrhaman. Ali.

Abdorrhaman.
Der Himmel hat sie unsrer Hand gegeben,
Wir wollen ihm gefällig Opfer bringen,
Daß keiner dieser Christenhund' entrinne.

Derar.
Ihr Feldherr sprach von dir verachtungsvoll,
Dafür mußt du den Stolzen züchtigen.

Ali.
Sie können unsrer Macht nicht widerstehn,
Die Scharen all' in wilder Glut entbrannt,
Nach Beute gierig und zum Morden schnell.
Dir, junger Held, hat Allah vorbehalten,
Von Spanien aus Europa zu verwüsten
Und Christus' falsche Lehre zu vernichten.
Ist nur der Karl zu Boden erst geworfen,
So findest du bis zu den Eisgebirgen,
Bis zu den Ländern, wo die Zwerge wohnen,
Kein Auge mehr, des Feuer es noch wagte,
Mit Trotzen dir ins Angesicht zu blicken.

Abdorrhaman.
Gepriesen sei der mächtige Prophet,
Der bis hierher mit uns gekämpfet hat.
Doch möcht' ich diesen Karl zum Freunde lieber
Als gegenüber mir zum Feinde haben,
Der Ruhm hat ihn mit allen seinen Kränzen
Geschmückt, und dürft' ich einen Mann beneiden,
So wär' es dieser heldenmütige Karl.
Sieh, er ist König von dem fränk'schen Reich,
Denn hat der König mehr als nur den Namen?
Italien eifert um des Helden Freundschaft,
Was gilt's, er stellt das Reich des Occidentes,
Das alte Kaisertum mit erstem her,
Wenn nicht das Schicksal ihm den Tod bereitet?
Daß keiner dieser Christen seinen Vorteil
Erkennen will, und was ihm wahrhaft nützt,
Sonst müßte der Martell mit mir sich einen:
So dürft' er kühn mit mir die Welt beherrschen.
Doch haben es die Sterne so gefügt,
Daß wir als Feinde Stirn der Stirne bieten,
Und Allah lenkt zu seinem Vorteil alles.

Derar.
So steht der Mensch dem Menschen stets entgegen,
Ein jeder geht für sich auf eignen Wegen,
Dir dient's, dich vom Kalifen loszusagen
Und auf dein eignes Glück dein Glück zu wagen;
Er hat Konstantinopel nicht gewonnen,
Ihm ist die Gunst der Sterne schon zerronnen!
Dir blühen glänzend alle günst'gen Zeichen!
So magst du denn die höchste Palm' erreichen.

Abdorrhaman.
Mit Allah und im Namen des Propheten,
Denn bald beginnt der Morgen sich zu röten. (Sie gehen.)

Zulma (tritt in Kriegeskleidung auf).
O Zelte, die ihr meinen Liebsten bergt!
O nächtlicher, mondbeglänzter Himmel!
O ihr Bäume! Wo wandelt jetzt sein Fuß?
Er weiß nicht, daß ich hier zugegen bin,
Er will nicht, daß ich ihn begleiten soll,
Er wähnt nicht, wie so nah' mein Herz ihm schlägt.
Die Wachen gehn umher mit ernstem Gange,
Schon lassen sie das bleiche Feu'r erlöschen,
Der Mond wird blasser mit den kleinen Sternen,
Die Hähne krähen aus den nahen Dörfern,
O Abdorrhaman, liebst du deine Zulma?
Fühlst du den Geist durch ihre Gegenwart erregt?

    Gegen dein Gezelt,
    Wo der Waffen Klang,
    Wend' ich den Gesang,
    Du bist mir die Welt!

    Willst im Harnisch gehn?
    Schlachten willst du streiten,
    Und es soll von weiten
    Ungekannt die Liebe stehn?

    Lockt dich kein Heimweh zurück?
    Gönnst du mir gar keinen Blick?
    Bleib zurücke, roter Morgen!
    Ach, er dämmert mehr und mehr,
    Mit ihm Pein und Angst und Sorgen,
    Blaß steht nun der Mond daher;
    Ja, der Mond ist in der Trauer,
    Daß sein Bildnis soll entfliehn,
    Daß nun fällt die span'sche Mauer,
    Daß mein Liebster soll verblühn!
    O, ihr hohen Himmelsmächte,
    Ist die Zeit dahinverschwunden?
    Wo sind jene Tag' und Nächte,
    Jene Brunst der Liebesstunden?
    Jene Blicke,
    Jenes Winken,
    All mein Glücke,
    Alle Küsse,
    Die Genüsse,
    Muß so schnell das all versinken?
    Schwert ertönt an Schild geschlagen,
    Und der Tod hält Musterungen,
    Wen er will als Beute schlagen.
    O, dies Herz will schon verzagen;
    Allah, sei es uns gelungen!

Abdorrhaman zurück.

Abdorrhaman.
Wer bist du?

Zulma.                 Ach, ein armer Knabe, den
Sie jung her in den wilden Krieg geführt,
Um in dem Treffen umzukommen.

Abdorrhaman.
Warum bist du zu Hause nicht geblieben,
Wenn du dem Herzen und dem Arm nicht traust?

Zulma.
Mich zog die Liebe her zu meinem Herrn,
Ich sterbe hier, doch wär' ich auch gestorben
Am innern Weh der Trennung und Entfernung.

Abdorrhaman.
Ergib dich dem Gebet, bald rückt das Heer aus. (Ab.)

Zulma.
Er kennt mich nicht,
Er argwöhnt nicht, daß ich es sei;
Ja, beten will ich, brünstig Allah flehen,
Daß ich gesund den Abend möge sehen
Und lebend, Liebster, dir zur Seite stehen.
O Sterne, hüllet ihn in eure Gunst,
Werft um ihn Netze, stärker denn von Stahl,
Treibt ihm zurück der Feinde Zahl,
Liebt ihn mit meines Herzens Brunst! (Geht ab.)

 

Das fränkische Lager.

Karl Martell (allein)
Wie, wenn ich hier mein bestes Glück versuchte?
Wer kann mir sagen, daß ich übel thäte?
Es kömmt Fortuna niemals uns entgegen,
Wir müssen ihr vielmehr entgegengehn.
Ich bin ja König, nur fehlt mir der Name –
Doch ist der Name, diese äußre Ehre,
Der Glanz des Throns, die Anbetung des Volks,
Das Diadem, wonach mein Ehrgeiz ringt:
Der ist nicht groß, der das verachten mag.
Was frommen meine Schlachten, meine Siege,
Daß sich nach meinem Wink das Reich bequemt?
Wenn ich nicht dreist es sagen darf: Ich bin's!
So ist es doch nur halbe Büberei,
Erschlichene Gewalt und unrechtmäßig.
Und, o, der süße, süße Name König,
Gebeugtes Knie von Rittern, Grafen, Herrn,
Die heil'ge Scheu des Volks vor meiner Krone,
Der Sitz hoch über allen Häuptern weg. –
Mein Herz bequemt sich nicht, das zu verachten,
Ich weiß, der Papst, er wär' mir nicht zuwider,
Der Bischof Bonifacius ist mir freund.
Zwar hab' ich keinen großen Dank von Priestern
Und Mönchen mir verdient, denn wo ich mag,
Vermindr' ich gern die großen Kirchengüter;
Allein mein Name und der Drang der Zeiten,
Sie würden alle rauhen Hügel ebnen
Und meinen Weg mir frei und leichte bahnen.
Der König endete im Kloster dann,
Wie vor ihm schon so mancher Schwache that,
Und keiner wagte mich deshalb zu tadeln.

Wer hat doch nie die große Lust empfunden,
Nach einer Krone seinen Arm zu strecken?
Die stolze Brust muß kühne Wünsch' erwecken,
Dem Kühnen ist das Glücke stets verbunden.

Auf ferner Höh' ist Furcht und Angst verschwunden,
Der Glanz des Throns muß jede Schuld verdecken,
Der Pöbel kriecht, den Staub vom Fuß zu lecken,
Und Jahre lebst du dann in allen Stunden.

Der Ew'ge kann die Triebe nicht verdammen,
Die unsern Geist mit neuem Mut beflügeln,
Uns auf des Gipfels höchsten Gipfel stellen.

Gelegenheit facht höher an die Flammen!
Wer wird noch da die wilden Wünsche zügeln?
Nicht Himmel fürchtend, biet' ich Trutz der Höllen. –

Und wieder führt die Phantasie Gebilde
Mir vor den Blick, die ich oft zu verdrängen
Zu schwach mich fühle, denn es zwingt der wilde,
Ehrsücht'ge Satan ihnen nachzuhängen;
O, komm auf mich, du Geist des Friedens, milde,
Sing' in mein Ohr mit deinen sanften Klängen,
Und herzlich sei im Herzen der verflucht,
Der mich zu derlei Übelthat versucht.

Oft, wenn ich mich im Feld allein befinde,
Tritt der Versucher heimlich auf mich zu
Und zischelt mir ins Ohr die große Sünde,
Laßt auf der Jagd im Walde mir nicht Ruh',
Ja, wenn ich mich zu beten unterwinde,
Flüstert er mir die schnöden Worte zu.
Nimm mich, du heil'ger Gott, in dein Beschirmen,
Daß sich in mir nicht bös' Gedanken türmen.

Mit Purpur angethan zeucht Morgenröte
Herauf und schreitet durch das Himmelblau,
Es stammt die Glorie der frühen Röte
Herab und spielet auf die grüne Au,
Der Tod schaut nieder; welchen er ertöte,
Weiß jener nur, jenseit des Himmels Blau;
Vertilg' die Sündenschuld aus meinem Leben,
Vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben!

Der Herzog von Aquitanien kommt.

Aquitanien.
Seht, fröhlich hat der Tag sich angethan,
Er glänzt daher im festlichen Gewand,
Des Feindes Scharen stehn schon Mann an Mann
Und decken weit umher das grüne Land.

Karl.
Auch unser Herz ist schon zum Streit gewappnet.

Siegfried und Otho treten auf.

Otho.
Die Schlacht der Ungetauften steht geordnet,
Der Schein der Waffen deckt so Feld wie Hügel,
Die leichten Reuter sprengen hin und her.

Karl.
Der Heiden Macht ist wohl um zehnmal größer,
Doch weh', wer heut' nach Zahl und Scharen fragt;
Ist unsers Mutes Rüstung um so besser,
So sei's in Gottes Namen kühn gewagt.

Aquitanien.
Der Feige wird an diesem großen Morgen
Des Mutes und der tapfern Thaten voll,
Jedweder Brust entweichen ird'sche Sorgen,
Weil jeder Sinn nur Ruhm gedenken soll.

Siegfried.
Wir sind mit Gottes Hülf' zum Schlagen fertig
Und nur des Worts und der Trompet' gewärtig.

Karl.
In Gottes Namen dann!
Rückt aus! Trompeten, blast!

(Das Zeichen zur Schlacht wird gegeben, sie rücken mit lautem Feldgeschrei aus.)

 

Schlachtfeld.

Feldgeschrei, die Mohren ziehn sich zurück, Getümmel.

Zulma (gewaffnet, mit Schwert und Schild).
    Sie weichen! Sie fliehn!
    Die Mohren weichen
    Der Christen Streichen,
    Ich seh' die Monde ziehn!

    O Qual! o Schmerz!
    O Allah, höre,
    Wie ich beschwöre –
    O, brichst du, Herz?

    Laß Blitze zücken,
    Wirf Donner von oben,
    Soll'n wir dich loben,
    So laß es uns glücken.

Abdorrhaman kommt.

Abdorrhaman.
Zurück in die Schlacht! – (Zulma ab.) Ihr feigen Sklaven!
Dich, Derar, lass ich um 'nes Kopfes kürzen,
Du bist es, der den großen Tag verliert!

Ein Haufen Flüchtiger tritt auf.

Abdorrhaman.
Wer seid ihr? Seid ihr jene Sarazenen,
Vor deren Tritt der Orient erbebte?
Ein feig Gewürm, 'ne niederträcht'ge Herde,
Die vor dem blanken Schlachtermesser fliehn.
Brüll'n möcht' ich, so fühl' ich mein Herz erglühn,
Ich könnt' euch all' mit diesem Arm vernichten,
Allein mich mitten unter die Feinde flüchten!
Mir her den halben Mond! Ich will ihn tragen
Und so mich in den dicksten Haufen wagen,
Wer Muselmann noch ist, der folgt mir nach. – (Ab.)

Alle.
Allah, Allah, Mahom, Allah, ihm nach! (Alle ab.)

Getümmel. Otho bringt den verwundeten Günther.

Otho.
Hier lieg', bis ich dich weiter fördre,
Fühlst du dich matt?

Günther.                         Zum Tode matt!
Der Abdorrhaman wütet wie ein Teufel,
Nicht Menschenkraft vermag zu widerstehn.

Otho.
Sie soll ihm widerstehn, solang' ich Blut
In meinen Adern spüre. Welch Geschrei?

Ein Hauptmann, flüchtig.

Hauptmann.
O heißer Tag! O blut'ge Stunde!

Otho.                                                 Was gibt's?

Hauptmann.
Der Aquitanien ist ganz geschlagen,
Die Christen färben rot die grüne Flur.

Otho.
Auch Heidenblut soll sie besprengen, leb' ich.

Siegfried mit einer Schar.

Siegfried.
Zu Karl, zu Karl, der Hammer ist im Gedränge!

Otho.
Wir alle gehn zur Hölle, wenn er fällt! (Alle ab.)

Günther.
Ich bleibe – matt mein Herz – leb' wohl, du Welt.

Stirbt.

Trompeten, Feldgeschrei, Sarazenen mit christlichen Fahnen, Derar an ihrer Spitze Aquitanien gefangen.

Derar.
Triumph! Allah sei Dank!

Alle.                                       Triumph! Allah!
Allah gepriesen und sein großer Prophet!

Aquitanien.
O, führt mich fort und tötet mich alsbald.

Alle.
Triumph! Allah gepriesen! Mahom Dank! – (Alle ab.)

Karl Martell.

Karl.
Ich muß hier Atem schöpfen! Blut'ge Stunde!
Gedenk' nicht meiner Sünde! Geh, o Herr,
Nicht mit mir ins Gericht! – Auf, meine Geister,
Geht neu gestärkt zum Waffenwerke wieder.

Siegfried kommt.

Siegfried.
Der Herzog Aquitaniens ist gefangen,
Und seine ganze Schar auf Flucht begriffen.

Karl.
Ich sah sie wohl, die jugendliche Eil.
O Himmel, regne Kraft auf uns hernieder,
O heil'ge Mutter Gottes, deiner Fahnen
Erbarme dich und lenk' du uns zum Ziel.

Otho kommt mit einem Haufen.

Otho.
Nun rennt ja alles toll und wild zusammen,
Man weiß nicht, welchem Haufen man sich fügt,
Die Fahnen fliehn, die Christen sind verworren,
Wär's Sünde nicht, mein Schwert stieß' ich ins Herz,

Karl.
Frisch auf, mein Landsmann, sei nur wohlgemut,
Ich kehre jetzt an meinen Posten wieder,
Der Herzog Aquitaniens ist gefangen,
Befreie du ihn uns, mein wackrer Otho.

Otho.
Das soll geschehn, wenn ich nicht kämpfend sterbe. (Alle ab.)

Abdorrhaman im Kampf mit einem Franken.

Abdorrhaman.
Die Stunde deines Todes ist gekommen.

Franke.
Prahl' nicht zu früh, dies ist ein fränk'sches Schwert.

Ein Franken-Hauptmann.

Hauptmann.
Dies ist der Oberste der Mohren! Gutes Glück!

Abdorrhaman.
Bleib' fort, bis ich's mit diesem ausgefochten!

Hauptmann.
Ergib dich uns, so magst du leben bleiben.

Abdorrhaman.
Dies Wort hat meine Zunge nicht gelernt. (Sie fechten)

Zulma tritt auf und sticht den Hauptmann von hinten nieder.

Abdorrhaman.
Nun bin ich frei, du folg' ihm hin zur Hölle.

(Der Franke fällt.)

Du hast mir, Knabe, guten Dienst gethan,
Drum nenn' mir deinen Namen, daß ich danke.

Zulma (das Visier öffnend).
Kennst du mich nicht?

Abdorrhaman.                   Ihr Sterne, ist es Zulma?
Wo kommst du her? Was hast du unternommen?
Was willst du hier? Geh schnell in mein Gezelt!

Zulma.
Dir nimmer von der Seite will ich gehn,
Deswegen bin ich dir so weit gefolgt,
Mit dir den Sieg, wo nicht, den Tod zu teilen!

Abdorrhaman.
Ich kann nicht fechten, weiß ich dich gefährdet.

Zulma.
Bewachend folg' ich jedem deiner Schritte.

Abdorrhaman.
Komm hier aus dem Getümmel! Beim Propheten,
Ich weiß nicht, ist es wahr, ist es ein Blendwerk?

(Sie gehen.)

Otho und Aquitanien kommen.

Aquitanien.
Wie soll ich dich belohnen, tapfrer Degen?
Du hast mein Leben mir zurückgegeben,
Ja, mehr als Leben, meine Ehr' gerettet,
Die ich im Felde wieder lösen will.

Otho.
's ist gern geschehn; es kann nochmal geschehn.

Aquitanien.
Nein, meine Jugend soll mich nicht verführen,
Dein Schwert noch einmal in Gefahr zu bringen.

Otho.
Da kommt der tapfre Karl.

Karl kommt.

Karl.                                         Die Feinde weichen!
Seid Ihr zurück, mein allzurascher Herzog?

Aquitanien.
Ja, ich verdiene den gerechten Tadel,
Doch schwör' ich hier bei meiner Eltern Adel,
Ich schwör' es hier bei diesem guten Schwert,
Bei allem, was dem Ritter lieb und wert,
Bleibt nur das Leben meinem Leib getreu,
So wasch' ich heut' noch meine Ehre neu.

Karl.
Horch! die Trompeten rufen uns ins Feld,
Es gilt nicht Mindres als die halbe Welt!

(Ab mit Aquitanien.)

Otho.
Ich bleibe, denn da tobt der Hund verflucht,
Den ich schon in der ganzen Schlacht gesucht,
Den Prahler, der als Bote gestern stand,
Heut wird er mir zum Schlachten abgesandt!
Hierher, hierher, du feiger Renegat,
Du willst dem Tod entfliehen, doch zu spat.

Derar kommt.

Derar.
Ihr schnöden Christenhunde, Mahom zeigt,
Daß seiner Macht des NazarenersErgänze: Macht. weicht.

Otho.
Schweig still mit deiner Zung' im Lästerrachen,
Das Schwert muß hier dem Streit ein Ende machen.

Derar.
Gepriesen sei Mahom!

Otho.                                   Der Lügen Vater,
Du Leutverführer, Schelmenzunft-Berater –
Jetzt hör', du Thor, wie man mit Recht soll flehn:
Herr Christ, magst mir in meinem Streit beistehn.

(Sie fechten. Derar fällt.)

Otho.
Siehst wohl, daß dies die rechte Art zu beten?
Sie hilft uns gern ungläub'ge Feinde töten.
Er ist gestorben und mag nicht mehr hören,
Es hilft nicht viel, dem Tauben Wahrheit lehren.

(Geht ab.)

Abdorrhaman und Aquitanien im Gefecht

Aquitanien.
Dich hab' ich mir von allen ausgesondert,
Du mußt dein Leben mir als Beute lassen.

Abdorrhaman
Erbebe, Christ, denn viele deiner Freunde
Hat heute schon dies grimme Schwert gefressen;
Die Haufen fliehn, es wankt der halbe Mond,
Mahom ist uns entgegen, sich entgegen,
Doch dieses Blut, das mir im Herzen wohnt,
Verkauf' ich nur für deines Herzens Blut!

Aquitanien.
Ich muß, ich muß dich Stolzen überwält'gen,
Es regen sich zehn Geister mir im Busen.

Abdorrhaman.
Sollt' ich mein großes, thatenreiches Leben,
Den Ruhm der Welt und meine großen Plane,
Die schöne Zukunft einem Jüngling opfern?

Aquitanien.
Durch deinen Tod werd' ich berühmt, ein Mann,
Jetzt ist die Stunde meiner Prüfung da,
Bin ich in Christ bestanden, bin ich wohl.

Abdorrhaman.
Soll denn nur Schmach die Sarazenen decken,
Soll Mahoms Glaube wieder untergehn?
Nein, Prophet, nein, ich will auf dich vertrauen,
Auf dein Verheißen meine Wohlfahrt bauen,
Magst du auf Sieg, auf Tod herniederschauen.

Aquitanien«.
Gedoppelt fühlst du alle deine Schläge,
Es träuft dein Blut zu deinen Füßen nieder,
Du bist schon überwunden, sei gefangen.

Abdorrhaman.
Nie sollst du so den Muselmann erblicken,
Eh' will ich ja im eignen Blut ersticken. – (Er fällt.)

Aquitanien.
Du bist ein Held, ich schone deines Lebens.

Abdorrhaman.
Lös' mir den Helm vom matten Haupte ab.

Aquitanien.
Ich thu' es gern – fühlst du dich nun erquickt?

Abdorrhaman (zieht den Dolch)
So finde neben mir, du Christ, dein Grab.

Aquitanien (ersticht ihn).
Nein, diesmal ist die Bosheit nicht geglückt,
Unedler Krieger, gern hätt' ich geschont,
Die eigne Tücke hat dir so gelohnt.

Karl Martell mit Siegfried, Otho und einem Teil des Heeres.

Karl.
Weit in den Bergen ist des Feindes Heer
Zerstreut, sie wenden nach Hispanien um.

Aquitanien.
Hier, großer Feldherr, liegt ihr wilder Führer,
Das Haupt der Sarazenen, Abdorrhaman.

Karl.
Weiß man, wer diesen Ungestümen schlug?

Aquitanien.
Durch ihn ist meine Ehre nun gelöst.

Karl.
So dank' ich dir im Namen unsers Landes,
O junger Held, denn dieser war es, der
Den Willen aller dieser Heiden lenkte.
Schön hast du durch die That den Tag geschmückt,
Denn wenn sie sich von neuem auch versammeln,
Fehlt ihrer Unternehmung doch das Herz.
O glorreich, Sonne, scheinst du jetzt hernieder,
Der Herr hat wundervoll für uns gestritten,
Man preise ihn durch laute Freudenlieder,
Man bring' ihm Dank, und laßt uns kindlich bitten,
Daß er uns stets beschirme, lieben Brüder,
Daß nie der Glaube weich' aus unsrer Mitten,
So grimmig auch des Feindes Bosheit dräut:
Gelobt sei Jesus Christ.

Alle.                                       In Ewigkeit!

Zulma eilt herbei.

Zulma.
    Wo ist er verborgen?
    Ich kann ihn nicht finden,
    Ich klage den Winden
    Die Angst und Sorgen!

    Wohin ich nun blicke,
    Nur Feinde und Leichen,
    Doch darf ich nicht weichen,
    Ich finde denn dich, mein Glücke.

(Sie sieht den Leichnam.)

O Abdorrhaman!
Bist du's? Entstellt? Unkenntlich?
Ist dies dein Ruhm? Sind dies die Plane?
Ist dies die Herrlichkeit der goldnen Zukunft?
Ist dies die Liebe, die du mir gelobt?
Du Allah, dies dein uns verheißner Schutz?

(Sie fällt ohnmächtig nieder.)

Karl.
Steht, Freunde, diesem jungen Krieger bei,
Er scheint von edlem Stande nach der Tracht,
Der Tote mag vielleicht sein Bruder sein.

Aquitanien.
Er scheint kein Jüngling, sieh, mein Fürst, die Fülle
Der schwarzen Locken und die Mädchenwangen,
Den zartgeschloßnen Mund wie Rosenknospe.
O Himmel, sieh den schönsten Busen, der
Sich aus dem losgeschnallten Harnisch hebt,
Mein Sinn ist wie geblendet.

Karl.                                             Wundervoll!
Ein schwaches Mägdlein stritt an seiner Seite?

Zulma.
Ich bin sein Weib, o, nehmt ihn nicht hinweg!
Ich will hier neben ihm ersterben, hier
An seiner Seite soll man mich begraben.
Geliebter, hast du keinen Blick für mich?
Nicht einen Laut des holden Grußes mehr?
O, schienen deine Augen doch zwei Sonnen,
Aus denen die Natur ihr Leben sog,
Aus denen Frühling auf die Erde kam,
Und sind sie nun geschlossen? Wild verödet
Steht rings die Welt, die Wonne ist entflohn,
Kein Frühling kömmt mit jungen Rosen wieder,
Die Liebe ist erstorben und verwelkt,
Der Stern des Abends wird nun nicht mehr funkeln,
Er ist verlöscht, er ist hinweggeweint,
Der sonst so freundlich auf uns niederblickte.

Aquitanien.
Gib dich zufrieden, schönes Mohrenmädchen,
Die Jugend findet Hülfe leicht und Trost!

Zulma.
Zufrieden bin ich, ist dies Herz erkaltet,
Ist meine Jugend mit dem Staub gemischt,
Kein Trost soll diese Schmerzen mir entweihn;
Wo ist dann Trost, wenn aller Trost erstorben,
Wo Jugend, wenn die Jugend ist verblüht,
Wo Hülfe, wenn der Himmel nicht mehr hilft?
Ihr steht und seht den blut'gen Leichnam hier
Und mich, die ob dem blut'gen Leichnam klagt,
Nur als ein selten, unerwartet Schauspiel,
Doch könnt, Ungläub'gen, ihr es nicht empfinden,
Wie mir das Herz zerspringt, die ich die Rolle
Vor euren Augen spiele, könnt nicht wissen,
Was er mir war, ach! ihr habt ihn ja niemals
Gekannt, habt seine Schönheit nie gesehn,
Nie seinen liebevollen Blick empfunden;
Ihr saht ihn nur als Feind und nur sein Zürnen.
O Macht des Himmels! Warum spricht die Zunge
So eitle Worte, warum atm' ich noch?

Siegfried.
Sie will von neuem kraftlos niedersinken.

Aquitanien.
Beruh'ge endlich dich, mein schönes Mädchen,
Den du verloren, magst du wiederfinden,
Zwar nicht in ihm, doch einen andern Freund.

Zulma.
O schweigt!

Aquitanien.         Ermuntre dich, ich biete dir
Mein Herz, mich hat die Schönheit überwältigt.
Was schaust du mich so an? Nicht diesen Blick,
Den wilden, aus den schönen großen Augen,
Nein, laß mich Lieb' in ihrem Glanze lesen,
Steh auf und folge mir in mein Gezelt.

Karl.
Es ziemt sich nicht, o Herzog, daß du hier
Im Angesicht des Heeres so dich zeigst
Und die Begier nicht mäß'gen kannst; so groß
Du vorher warst, so klein erscheinst du jetzt.

Aquitanien.
Und wer den Namen eines großen Mannes
Erringen will, muß der Natur verleugnen?
Soll er jedwed Gefühl der Brust entreißen?

Karl.
Wir alle kommen gleich geformt zur Welt,
Doch unterscheidet das den edlen Mann
Vom Pöbel, daß er seiner Meister wird,
Daß er den Ruhm die höchste Würde achtet
Und ihm die niedern Lüste unterwirft,
Ja, daß er auch den Ruhm vergessen kann,
Wenn Pflicht die strengen Worte zu ihm spricht.

Aquitanien.
Du sagst es wohl und hast es nie geübt.

Karl.
Mein Herz im Busen ist vor dir verborgen,
Doch traue meinem Wort, das annoch gilt,
Ich habe mehr als einmal mich bemeistert.

Aquitanien.
So sei in andrer That mein Vorbild immer,
Doch hier will ich dem eignen Sinne folgen.

Karl.
So lockt der Sinn dich nur zur Sünde hin,
Du meinst es wohl, doch hast du nicht Gewinn,
Es schändet dich als einen Christen rein,
Verbunden mit dem Mohrenweibe sein.

Zulma.
Ihr Thoren! Wollt ihr euch um mich entzwein,
Und keiner fragt nach meinem eignen Willen?
Nie soll dich, Jüngling, meine Gunst erfreun,
Nie werd' ich deinen frechen Wunsch erfüllen;
Ihn will ich finden, er wird Stärke leihn
Dem schwachen Arm, die Sehnsucht mir zu stillen,
Seht diesen Dolch, er soll mich zu ihm führen,
Der Geist ist frei, den Leib will ich verlieren,

(Sie ersticht sich.)

Siegfried.
O wunderbares, unglückselig Weib!

Aquitaine.
Wie rasch hast du das schönste Werk zernichtet,
Das noch mein junges Auge je gesehn.

Siegfried.
Sie lebt' als Heidin und ist so gestorben,
Doch ist die Treu' zum Manne nicht zu tadeln.

Ein Bote kommt.

Bote.
Wer ist der Herzog hier von Aquitanien?

Aquitanien.
Was hast du ihm zu sagen, denn ich bin's.

Bote.
Kehrt um, mein Fürst, mit Euren tapfern Scharen,
In Eurem Lande, Eurem Herzogtum
Hat sich ein giftiges Gewürm' erzeugt,
Empörung flammt von ein' zur andern Grenze.

Aquitanien.
Mich ruft die Pflicht zurück, du großer Held.
Bald soll mein tapfres Volk, an ihrer Spitze
Ihr Herzog, dies unzeit'ge Feuer dampfen. (Geht ab.)

Otho tritt auf.

Otho.
Wohledler Fürst, ein Mann ist angekommen,
Der deiner Gegenwart geheim begehrt.

Karl.
Wer ist er?

Otho.               Weder Namen noch Geschäft
Will er wem anders kundthun als dir selber.

Karl.
So laß ihn kommen, daß ich mit ihm rede.

Ein Unbekannter tritt auf.

Unbekannter.
Bist du der Karol, zubenannt Martell?

Karl.
Derselbe.

Unbekannter.     Nun, so laß allein uns sein,
Ich komm' als Freund, du kannst mir wohl vertrauen.

Karl.
Nie fürchten werd' ich je den einzeln Mann.
Ihr übrigen, verlaßt uns. (Alle übrigen gehn ab.)

Unbekannter.
So hör' mich, Karl, von Heldenblut entsprossen,
Denn große Dinge will ich dir verkünden,
Die Kunst hat mir die Pforten aufgeschlossen,

Und was ich sag', sollst du wahrhaftig finden,
Denn Sterne können niemals Lüge sprechen,
Wer sie verhöhnt, belastet sich mit Sünden:

An dem wird sich Natur und Himmel rächen,
Wer furchtlos dies Gemüte in sich hegt,
Denn um ihn wird das Glück zusammenbrechen.

Was in den Himmelskreisen sich bewegt,
Das muß auch bildlich auf der Erden walten,
Das wird auch in des Menschen Brust erregt,

Natur kann nichts in engen Grenzen halten,
Ein Blitz, der aufwärts aus dem Centro dringet,
Er spiegelt sich in jeglichen Gestalten,

Und sich Gestirn und Mensch und Erde schwinget
Gleichmäßig fort und eins des andern Spiegel,
Der Ton durch alle Kreaturen klinget.

Drum wer die Weisheit kennt, kennt keinen Zügel,
Er sieht die ganze Welt in jedem Zeichen,
Zur Sternenwelt trägt ihn der kühne Flügel.

Nur von der Gottheit muß er niemals weichen,
Sonst sinkt er aus der Kunst in irdisch Bangen,
Und Satans Kraft mag ihn alsdann erreichen.

Doch mich trieb nie ein eiteles Verlangen;
Die reine Brust erhob sich zu den Sphären,
Und reinen Sinns küßt' ich des Himmels Wangen.

Drum mag ich mich und andre auch belehren
Und immer tiefer in den Abgrund spähn,
Und wahrer wird sich Wahrheit stets bewähren.

Dich sah ich längst schon in den Zeichen stehn,
Auch diese blut'ge, wundervolle Schlacht,
Und daß der Heide mußte untergehn.

Doch war es so verhängt von jener Macht,
Daß starben nicht ehrsüchtige Gedanken,
Die dir geboren wurden in der Nacht,

So fandst du Tod in diesen blut'gen Schranken,
Und bald vergaß dich dann die junge Welt,
Wie viele Tapfre schon, die niedersanken.

Doch jetzt ist dir der Ruhm gewiß, o Held,
Die fernste Nachwelt wird dich ewig preisen,
Besingen dieses schöne Siegesfeld.

Ich seh' vor mir die künft'gen Zeiten kreisen.
Und weit hinab schaut des Propheten Blick,
Ich will dich von der Zukunft unterweisen.

Dir blüht, Martell, das allerschönste Glück,
Bleib' nur der Bahn getreu, auf der du bist,
So treibt vom Ruhm dich keine Macht zurück.

Du hast gekämpft als Feldherr und als Christ,
Hast deutsches Land dem Heidentum entzogen,
Wodurch du selber ein Apostel bist.

Das Glück bleibt dir auch immer noch gewogen,
Und in dem jungen Pippin, deinem Sohn,
Hast du den Herrscher Deutschlands auferzogen.

Nach deinem Tod besteigt Pippin den Thron,
Gereift sind dann die glanzgekrönten Zeiten,
Er nimmt das goldne Diadem zum Lohn.

Der Papst wird selbst ihm seinen Schmuck bereiten,
Der Bischof Bonifacius wird ihn krönen,
Das deutsche Volk verehrt den Eingeweihten,

Dann wird er die Vasallen selbst belehnen,
Vor ihm war nie die Macht so hoch gestiegen.
In fernen Landen wird sein Name tönen.

Sein Sohn, dein Enkel, wild noch höher fliegen,
Nach deinem Namen wird er Karl genannt,
Italia wird er, Sachsen auch besiegen.

Durch ihn erkennt den ChristChristum; der Christ, altertümlich s. v. w. Christus. das ganze Land;
Der Himmel freut sich seiner edlen That,
Der Preis des Großen wird ihm zuerkannt.

Ich seh', wie fremde Botschaft sich ihm naht
Aus fernem Orient, Freundschaft ihm zu bringen,
Er lebt, regiert beglückt und endet spat.

Ihm muß es noch im großen Rom gelingen,
Des Occidentes altes Kaisertum
Aus der Vergessenheit herauszubringen.

Ich hör' den Ruf in Peters Heiligtum,
Wie ihn der heil'ge Vater Kaiser heißt,
Ihm gibt des treuen Gottesknechtes Ruhm.

Der Orient ihn, der Occident ihn preist,
Und alle Völker sich der Größe neigen,
Und er des Glücks bescheidentlich geneußt.

Doch hier muß meine Zung' und Rede schweigen,
Was dann erfolgt, ist mir verborgen blieben,
Kein Stern will sich der fernern Zukunft zeigen,
Doch steht die Schrift am Firmament geschrieben. –

(Geht ab.)

Karl.
Welch Lied, das wie ein Geisterspruch erklungen,
Das meinen Geist zur Himmelssphär' entrückt?
Der Ton ist in das tiefste Herz gedrungen,
Wie ist mein Sinn und mein Gemüt entzückt!
Es war, als wenn sich Seraphim umschwungen,Schwungen, drungen und ähnliche altertümliche Formen bei Tieck öfters; danach auch (unrichtig) im Singular: schwung.
Mit Blitzen ward mein Inneres durchblickt; –
O welche Wonne, welchen Seelenfrieden,
Welch' Herrlichkeit hast du mir, Gott, beschieden!

(Geht ab.)

 

Garten. Mondschein.

Golo (mit seiner Laute).
Ihr hohen Bäume, heil'ge dunkle Gänge,
Wie blickt ihr ernst und groß auf mich danieder,
Da singt Sirene wieder ihre Lieder,
Die Nachtigall läßt schallen die Gesänge.

Wie dringen durch mein Herz die süßen Klänge,
Da fühl' ich nun die Feuerflammen wieder,
Ich kann mich nicht erwehren, daß die Hyder
Nicht hin zu meinen Eingeweiden dränge.

Mich lockt der Klang, doch seh' ich die Gebeine
Am nackten Felsenufer weiß erschimmern,
Die vor mir ihr Verderben liebend fanden.Befremdende Anspielung auf die griechische Sage von den Sirenen (»Odyssee« 12, 39 ff.).
So wank' ich fort im goldnen Mondenscheine,
Indes die Sterne freundlich oben flimmern,
Will ich auch gern an diesem Felsen stranden.Dies Sonett unter dem Titel »Liebesverzweiflung« auch in den »Gedichten«.
Ja, Felsen ist ihr Herz! Verstumme, Schall!
O schweige, liebesbrünst'ge Nachtigall!
Es reißt mich fort, in allen meinen Sinnen
Fühl' ich ein Treiben, innerliches Wühlen,
Doch muß ich bleiben und kann nicht von hinnen,
Ich darf nicht glauben, muß mich elend fühlen.
Der Mondschein saugt an meinem Herzen,
Und tiefer, tiefer gräbt die Sehnsucht ein,
O bange Angst, heißhungre Schmerzen,
Wollt ihr auf ewig bei mir heimisch sein?
Die Abendwinde gehn mit Spielen
Durch Gras und Laub mit freundlichem Gang,
Die Bäche murmeln das Thal entlang,
Ich muß es fühlen,
Wie alle Sterne nach mir mit Liebespfeilen zielen.

Genoveva und Gertrud auf dem Balkon des Schlosses.

Genoveva.
Wie still die Nacht des Tages Hitze kühlt,
Wie sanft der Mondschein auf dem Grase spielt,
Wie süß das Herz sich nun beruhigt fühlt.

Golo
O, wie voll Unruh' sich mein Herze fühlt,
Die kühle Nacht nicht meine Flammen kühlt!

Gertrud.
Die Nacht ist schön, in einer solchen Nacht
Ward Golo mir von einem Mann gebracht,
Der meine Brust als eignes Kind gesogen,
Den dann Herr Wolf zu Eurem Dienst erzogen.

Golo.
Sie schimmert wie ein neuer Sternenhimmel,
Ein neuer Mond, ist sie emporgestiegen.
Wie blaß ist nun der helle Glanz, wie schüchtern,
Da sie die Strahlenaugen aufgehoben,
Da sie die süßen Blicke kundgethan
Und Blum' und Baum und grünes Gras beschienen.
Wie kann Natur so holde Schönheit zeugen,
Sich selber durch die Schönheit zu beschämen,
Sie muß sich vor dem eignen Werke neigen,
Dies Wunder muß die innern Kräfte lähmen.

Genoveva.
Wie oft hab' ich in vor'ger Zeit gestanden,
Mich aus dem Klosterfenster ausgelehnt,
Was hat mein kindisch Herz damals gewähnt
Von unbekannten, fernen, goldnen Landen.

Da wußt' ich nichts von süßen Liebesbanden,
Doch war mein Herz nach Liebe hingesehnt,
Die Wange ward von Freud' und Leid bethränt,
Bis meine Blicke dann die Sterne fanden.

Dann fühlt' ich Himmelskräfte niedersteigen,
Und jedes Ringen war in mir gestillt,
Das Irdische lag da wie ausgeglommen;

Sah ich das Gold des Mondes zwischen Zweigen,
So war mein Herz mit Wonne ganz erfüllt –
Dies fühl' ich jetzt in mir zurücke kommen.

Gertrud.
Es geht ein Mann dort in des Gartens Stille.

Genoveva.
Sei still, mir deucht, ich höre Lautentöne.

Gertrud.
Der schöne Golo ist es ganz gewiß.

(Golo spielt auf der Laute.)

Genoveva.
    Wie die Töne sich entzünden
    In des Mondes goldnem Schweigen,
    Zu den Wolken aufwärts steigen
    Und die hohen Sterne finden.

    Ist es nicht, als wenn die Quellen
    Leiser, lieblicher nun fließen,
    Kleine stille Blumen sprießen
    An dem Spiegel ihrer Wellen?

    Winde bringen frohe Kunde
    Aus den steilen Bergen nieder,
    Und die Bäume sumsen Lieder,
    Alles singt zu dieser Stunde.

    In dem Herzen klingen Töne,
    Die sich mit der Nacht verwirren,
    Rieselnd durcheinander irren
    All' in Harmonie der Schöne.

Golo.
    Deine Worte sind im Dunkeln
    Wie die roten Edelsteine,
    Die mit ihrem Zauberscheine
    Durch die Nacht und Dämmrung funkeln.

    Mag doch Mond nun untergehen,
    Willst du nur so hold noch sprechen,
    Wird uns Schimmer nicht gebrechen,
    Bleibt der Mondglanz golden stehen.

    Horch! die Bächlein nicht mehr rauschen,
    Nachtigall hat ausgesungen,
    Still der Bäume grüne Zungen,
    Weil sie alle dir nur lauschen.

    Deine Blicke, schießende Sterne,
    Deine Worte Flötentöne,
    Frühling deines Lächelns Schöne;
    Ach, wie erfreun
    In deinem Schein
    Sich all' Kreaturen so gerne.

Genoveva.
Halt't inne, Golo, mit den Schmeichelworten,
Die in der stillen Nacht mein Ohr bezaubern,
Wie Fabel und Gedicht aus ferner Zeit;
Der Mondenschimmer läd't zum Dichten ein
Und zum Erfinden, das der Wahrheit fern
Sowie dem ernsten Schein des Tages ist.
Doch wenn Ihr uns poetisch wollt ergötzen,
So singt uns zu der Laute eins der Lieder,
Der vielen eins, die Euch geläufig sind.
Mich hat die wackre Gertrud, Eure Amme,
Auf diesen Altan herbegleitet.

Golo.                                             Gern
Sing' ich ein schlichtes Lied, das gestern mir
Den Sinn erfüllte.Folgendes Lied unter dem Titel »Der unglückliche Ritter« auch in den »Gedichten«.

    Da irr' ich in den Steinen,
    In wilden Büschen hin,
    Einsam, und kann nicht weinen,
    Die milden Sterne scheinen,
    Gebrochen ist mein Sinn,
    Die Kraft dahin.

    Ich war ein junges Blut,
    Zu Lust und Tanzen munter,
    Hochfliegend war mein Mut,
    Die ganze Welt mir gut,
    Geht alles jetzt bergunter
    Zur Nacht hinunter.

    Mich sehn die Waffen an,
    Mein Roß gibt mir die Blicke,
    Ich bin ein andrer Mann,
    Daß ich's nicht sagen kann:
    Verschwunden all mein Glücke
    Im Augenblicke.

    Sonst hört' ich gern von Schlachten
    Und wünschte mich ein Held,
    Jetzt mag ich nichts mehr achten,
    All' Sinne nicht mehr trachten,
    Hinein in volle Welt,
    Mir nichts gefällt.

    Sie ist mir hart und spröde,
    Hoffnung ist mir vergangen,
    So bin ich still und blöde,
    Drum geh' ich in die Öde,
    Und naß sind meine Wangen
    Vor Pein und Bangen.

    Kein Wort wag' ich zu sprechen,
    Sie fragt mich nicht darum,
    Ich will die Sorge brechen,
    Mich an mir selber rächen,
    Der Kummer bringt mich um.
    Er bringt mich um.

Genoveva.
Ihr, Golo, habt dies Lied nicht selbst gedichtet.

Golo.
Ich habe gestern Wort' und Weis' erfunden.

Genoveva.
Doch paßt es nicht in Euer froh Gemüte.

Golo.
Mir ist wohl mit des Frühlings schöner Blüte
So Lust wie Freude bald hinweggeschwunden.

Genoveva.
Es wechseln auf und ab des Lebens Stunden,
Ich weiß nicht, wen Ihr liebt, wenn ich auch riete.

Golo.
Ihr kennt sie wohl, doch sie zu nennen hüte
Ich mich mit Recht, Ihr höhnt nur meine Wunden.

Genoveva.
Hier mag das wild' Gespräche lieber enden,
Es schafft der Mensch sich Trauer sowie Freude,
Die Nacht betaut den Sinn mit Schwärmereien.

Golo.
Nie wird die bleiche Angst sich von mir wenden,
Mein Herz verblutet am verborgnen Leide,
Ich will mich gern für sie dem Tode weihen!

(Man hört eine Trompete.)

Genoveva.
Kommt mit hinein, Gertrude, dieser Schall
Verkündigt uns wohl einen lieben Boten.

Gertrud.
Vielleicht Von unserm Herrn, dem edlen Siegfried.

(Beide ab.)

Golo.
Sieh, Laute, sieh, so reiß' ich dich in Stücke,
Kein Lied soll mehr in deinen Saiten zittern,
Und so zertrümmr' ich selbst mein gutes Glücke,
Wie ich dich tausendfältig will zersplittern.
Ruh' und Frieden,
Stille Nächte,
Freud' am Tage,
Lust'ge Morgen
Sind mir ferner nun nicht mehr beschieden.

Ihr Sterne all', du Mondschein, sinke nieder!
Doch dann kömmt ja zurück der helle Morgen,
Er bringt mir alle meine Schmerzen wieder
Und tausend neue Qual und Pein und Sorgen;
All' die Blicke,
All' die Süße,
Klang der Rede,
Mundeslächeln,
Alles bringt der Tag mir neu zurücke.

Dürft' ich sie einmal an den Busen schließen,
Nur einmal dieses Herz am mein'gen fühlen,
Ein einzig armes Mal die Lippen küssen,
So würde sich der Brand im Innern kühlen:
Doch vergebens,
Nein, beschlossen
Ist vom Himmel,
Von der Holden
Ohn' Widerspruch das Ende meines Lebens. (Ab.)

 

Im Schloß.

Genoveva. Gertrud. Wolf. Wendelin. Benno. Drago. Andere Diener

Wolf.
Wo ist der Golo? Wo mein liebster Golo?
Daß er die frohe Zeitung auch erfahre?
Nein, seit die Christenheit sich hat verbreitet,
Seit wir Geschichten kennen und begreifen,
Ist nicht so wunderbare Schlacht geschehn!
Ihr habt den Boten schon zu Bett geschickt?

Drago.
Ja, er war müde über alle Maßen.

Wolf.
Nun, er ist gut geritten, das muß wahr sein,
Und hat er uns doch alles schon erzählt,
Da mag er schlafen, bis es wieder Nacht wird;
Denkt, gnäd'ge Frau: der Mohrenkönig tot,
Das ganze Heer so gut wie aufgerieben,
Nur wenig Flüchtige dem Karl entronnen,
Denkt nur die viele Beute und den Ruhm!

Genoveva.
Es hat der Herr sich groß für uns erwiesen,
Er sei dafür in Ewigkeit gepriesen!

Wolf.
Gepriesen und gelobt zu jeder Zeit
Von nun an bis in alle Ewigkeit,
Halleluja! So sprech' ich gern und Amen,
Daß Christus' Feind' so schnödes Ende nahmen!
O, daß ich nicht mit in der Schlacht gewesen,
Ich wär' wohl gar vom Alter dort genesen.

Benno.
Und schaut die schönen Stücke, die der Graf
Als Beute hat gesandt.

Wendelin.                           Gar seltsam künstlich.
Der Säbel funkelt all von Edelstein.

Wolf.
Das ist ein Mohrensäbel, müßt Ihr wissen,
Den hat der Graf ein'm Heiden selbst entrissen,
Das sind Rubinen, dies hier Diamanten
Am Griff, das allerhärteste Gestein,
Hier schimmert's grün, das weiß ich nicht zu nennen,
Doch seht das Wehrgehenk, ich muß bekennen,
Was Herrlichers hab' ich noch nie gesehn,
So reich gewirkt, die Stickerei so schön;
Es ist bei alledem ein Heide traun
Nicht eben so gar übel anzuschaun,
Und möchten sie nur nach dem Glauben trachten,
So würd' ich sie doch nicht so ganz verachten.

Drago.
Die Freude macht Euch wieder jung, Herr Wolf.

Wolf.
Ja, wär' ich nur so noch wie sonst ein Wolf,
So sollt's dabei nicht sein Bewenden haben,
Dann würdest du mich tanzen, springen sehn
Und singen, daß das Schloß nur widerhallte,
Doch jetzt sind mir die Zähne ausgefallen,
Ihr junges Volk müßt aber lustig sein.

Genoveva.
Ich gebe morgen einen Feiertag,
Wo jeder Dienstmann sich ergötzen mag,
Auch sollt ihr Wein und Speise nicht entbehren,
Ihr mögt wohl, Drago, beides ihn'n gewähren.

Wolf.
So recht, hochedle Frau, das war wohl auch
Zu meiner Zeit ein lobenswerter Brauch,
Der Edle freut sich leichtlich geist'ger Weise,
Der Dienstmann lieber noch mit Trank und Speise;
Am besten aber hat es der gefunden,
Bei dem das beides sich in eins verbunden.

Alle.
Dem Herren Siegfried Heil und unsrer Gräfin!

(Alle ab.)

Drago.
Ich werde, mit Verlaub, vom frühen Morgen
Für Eure gütigen Befehle sorgen,
Doch haltet Ihr es nicht für gut gethan,
Man meldet von dem Glück dem Kapellan?
So mag der Gott in heil'ger Kirche danken,
Almosen spenden Bettlern und den Kranken.
Verzeiht, wenn ich zu kühn mit Euch gesprochen,
Wer fehlt und gut es meint, hat nichts verbrochen,

Genoveva.
Ich danke dir, mein Lieber, daß du stets
Die beste Einrichtung zu treffen weißt
Und mich an meinen Vorsatz hast erinnert:
Ja, es geschehe so, wie du es willst. – (Drago ab.)

Genoveva und Gertrud bleiben.

Gertrud.
Was mag dem Golo fehlen?

Genoveva.                                   Darauf sinn' ich
Schon lange, und mich quält sein stiller Kummer.

Gertrud.
Er war sonst nie der Traurigkeit ergeben,
Sein Antlitz war wie Morgenrot, die Augen
Wie junge Sterne, und von Kindheit auf
Ein Springinsfeld, ein wilder, lust'ger Bruder,
Voll Possen, Gaukelein und Schabernack.
Ich hab' ihn wie mein eigen Kind geliebt,
Und Gott sei meiner armen Seele gnädig,
Als damals doch mein Sohn mit Tod abging,
Ich weinte nicht, weil Golo leben blieb.
Der Junge hatte immer was im Auge,
So lieb und gut, so freudenreich und hell,
Ein Wesen, das ich nicht beschreiben kann,
Daß jedermann das Herz wie mit Gewalt
Zu ihm gezogen fühlte.

Genoveva.                         Ja, mein Herr
Hält große Stücke auf den Golo, froher
Ist er gereist, weil er ihn hier gelassen.

Gertrud.
Er kommt mir oft grad' wie ein Wunder vor;
Der junge Herr, versteht mich, war ein Kind
Aus einer linken Ehe; schlecht und recht
War seine Mutter, aber nicht von Adel,
Der Vater soll ein Graf gewesen sein;
Du lieber Gott, wie's nun so in der Welt
Einmal zu gehen pflegt, er war nun da
Und fragte keinen, ob er kommen sollte.
Mir ward das Kind gar heimlich übergeben,
Der Vater ging hernacher in den Krieg
Und starb, die Mutter grämte sich zu Tod.
Der Junge wuchs, gedieh, blüht' wie 'ne Rose;
Man spricht, daß solche Kinder, Liebeskinder,
Wie man sie nennt, stets schöner, größer werden
Als Kinder rechter Ehen. Oft trifft's zu,
Und wie es kommt, mag der Allmächt'ge wissen.
Doch ist es wohl zu denken, daß die Lust,
Weil sie verboten, um so größer ist,
Und daß der Himmel, um die Sünd' zu mildern,
Am Kinde gut macht, was die Eltern fehlen.

Genoveva.
Du bist ein wenig zu geschwätzig, Gertrud,
Und sprichst daher mit bös geläuf'ger Zunge.

Gertrud.
Ich hatte gar nichts Bösliches im Sinn,
Ich sagte nur, was alle Leute sagen,
Zu denken so wie all' ist niemals unrecht.
Nun wieder auf den jungen Herrn zu kommen,
Nicht lange währt' es, so gewahrt mein Wolf,
Der alte Herr, den Knaben, nimmt ihn zu sich,
Erzieht ihn in den edlen Waffenkünsten,
Erkennt ihn selbst für seinen eignen Sohn,
Und Pfalzgraf Siegfried, unser Gnädiger,
Muß Ehr' und Achtung bei der Welt ihm schaffen;
Der wird nun selbst in Golo wie verliebt,
Er setzt ihn über alle seine Diener,
Macht ihn zum Ritter und zum Hofemeister
Und übergibt ihm Burg und Frau und alles.
Verzeiht mir, gnäd'ge Frau, den Spaß und Scherz,
's ist nur, zu zeigen, was ich anfangs sagte.
Was Wunderbares liegt im ganzen Vorgang,
Und wer kann sagen, was noch draus entsteht;
Denn Gottes Wege sind oft seltsamlich,
Er will gewiß mit Golo hoch hinaus.

Genoveva.
Das ist, seit ich ihn kenne, mein Gedanke;
Es kann nicht fehlen, er ist adelig
An Sinn und Sitten, wenn nicht von Geburt;
Der Himmel hat ihm Schönheit auch verliehn
Und eine Art, die alle zu ihm neigt.
Sieh nur, ihn lieben alle Diener, wie
Sie ungleich mögen sein im Schloß, die lockern
Sowie die ernsten, alt und jung, ich höre,
Im Felde ist es ebenso mit Bauern,
Leibeigenen und Hirten, alle freun sich,
Wenn sie ihn sehn und sind ihm höchst gewogen.
Ein solch Gemüt kann leicht das Größte thun,
Ihm ist es wie ein Zauber mitgegeben,
Daß er, wohin er tritt, die Wege eben.
Die Schwierigkeiten weggeräumet findet:
Wo andren Geistern die Unmöglichkeit,
Die Welt mit allen Kräften widersteht,
Da beugt sich ihm das Schwerste wie das Leichtste,
Sein Fuß betritt auch ohne Sinnen der
Natur geheime Federn, die das Innre
Regieren und ihm leicht das Leben bahnen.

Gertrud.
Ihr sprecht von ihm, so wie er es verdient.

Genoveva.
Drum, wär' er nur mit in den Krieg gezogen,
Wir hätten uns auch ohne ihn beholfen,
Dort war ein Feld, mit Ehre dicht besät,
Wo Glück an Glück gedränget stand; der Karl,
Der Feldherr, hätte ihn bemerken müssen,
Dem wär' er lieb geworden, und es hätte
Mit Leichtigkeit Fortuna ihn gekrönt.

Gertrud.
Ja, wer so manchmal könnte sehn, wie seltsam
Die Fäden unsers ganzen Schicksals laufen!
Oft ist es nur ein Augenblick, versäumt
Man ihn, sind Mond' und Jahr' verloren.

Genoveva.
Noch immer denk' ich an ein Traumgesicht,
Das mir im stillen Kloster noch erschien,
Als mir der Graf es schon geschrieben hatte,
Daß er als seine Braut mich holen wollte.
Dir mag ich's wohl vertrauen, du bist gut,
Mir zugethan und nicht zu sehr gesprächig,
Auch, wenn ich dich drum bitte, schweigst du still.

Gertrud.
Kein Wort soll über meine Zunge kommen.

Genoveva.
Es ist auch nichts, das sich verbergen müßte,
Nur dient es nicht dem Müßiggang zum Märchen. –
Ich war in meiner stillen Klosterzelle
Und dachte einsam meinem Leben nach,
Wie jung ich sei und Vater schon und Mutter
Verlieren mußte, elternlose Waise.
Da kam die Kindheit mir in mein Gedächtnis,
Und wie ich noch die lieben Eltern kannte,
Wie ich des Klosters Schwelle dann betreten,
Die fromme Abbatissin mich empfangen,
Mich in der Furcht des Herren zu erziehn;
Dann sah ich einmal noch den teuern Vater,
Nach wen'gen Jahren hört' ich seinen Tod.
Nun stand ein neues Schicksal vor mir da,
Vermählt sollt' ich dem Manne werden, den
Mein Herz nicht kannte, nie mein Auge sah,
So war es von den Meinigen beschlossen,
Auch von Hidulf, dem Bischof, meinem Ohm;
Da durft' ich mich nicht weigern, alle lobten
Den Edelsinn des Grafen Siegefried;
Ich sollte nun des Klosters Mauern lassen
Und ihm hierher zu seinem Schlosse folgen.
Da ward mir recht im innern Herzen bange,
Da sagt' ich: Kaum hast du dich hier gewöhnt,
Da wird dein stilles Leben schon zerrissen,
Wer weiß, was noch für Leiden folgen mag.
So schaut' ich nach dem Kruzifixe hin,
Und Jesu Leidensmiene schien zu sagen:
Bleib' hier bei mir, sei eine von den Schwestern!
Indem ich mich bedachte, ward es Abend;
Wir sangen unsre HoraHora canonica, von der Kirche vorgeschriebene Gebetsstunde. In den Klöstern, wo man die Gebete gemeinsam singt, gibt es täglich 7–8 Gebetszeiten. auf dem Chor
Und kehrten dann zum Schlaf in unsre Zellen:
Ich wollte mir noch in der Nacht erwägen,
Welch Teil ich wählen sollte, so im Sinnen
Entschlief ich, und mir war alsbald, als ob
Ich vor dem hohen Altar knieend läge
Und zu der Mutter Gottes brünstig flehte,
Mir Rat zu geben und den Herrn zu senden.

Wie ich noch tief im Seelenflehn befangen,
Schwung sich ob meinem Haupte wie ein Singen,
Es säuselte und schlug an meine Wangen
So hold und ernst, als wie mit Engelsschwingen,
Da fühlt' ich plötzlich mich von dem Verlangen,
Den Jesu Christ zu sehn, mich ganz durchdringen,
Die Kindeswünsche lebten in der Brust,
Ich war des Orts, mein selbst mich kaum bewußt.

Da sagt' ich: »Laß mir, Herr, den Herrn erscheinen.
Der sich erniedrigt hat, uns zu erhöhn,
Er sprach ja selbst: ›Laßt zu mir her die Kleinen,
Damit die Kindelein mein Antlitz sehn.‹
Ihn barmteAltertümlich für erbarmte. der Unmünd'gen Harm und Weinen:
›Seid so wie die, wollt ihr ins Reich eingehn.‹ –
Ach, Herr, ich kann nicht zu dir, wie ich strebe,
So komm zu mir, dein Bildnis in mir lebe.«

Ich war im tiefen Beten noch verloren
Und pries des großen Gottes Herrlichkeit,
Da braust es wie ein Meer vor meinen Ohren,
Da öffnet sich das Dach der Kirche weit,
Und wie aus Morgens purpurroten Thoren
Der glanzgekrönte Ost dem Blick sich beut,
So sah ich in der Kirche düstren Hallen
Mit Lichtern eine Glorie niederwallen.

Von lieben Kindern ist der Raum erfüllet,
Die mit den Harfenzungen Hymnen tönen,
Im höchsten Glanz gewahr' ich ihn verhüllet
Den Gottessohn, das Siegeslamm, den Schönen,
Der plötzlich alle Seelenwünsche stillet,
Doch kann der Blick sich nicht an ihn gewöhnen,
Da blüht er plötzlich aus den Glanzgewanden,
Wie eine Blum' aus ihren grünen Banden.

Wie er gestaltet, kann ich niemand sagen,
Was ich gefühlt, kann keine Zunge sprechen,
Was seine Engel sungen, darf nicht wagen
Der ird'sche Otem wieder auszusprechen,
Wie wenn nach harten, düstern Wintertagen
Der Frühling durch die Finsternis will brechen
Und in dem Frühling Frühling sich entzündet,
Aus Blumen sich noch eine Blüte windet.

Wie wenn das Morgenrot die Knospe wäre,
Aus der die Himmelsblum' sich müßt' entfalten,
Und alles sich bis in die höchste Sphäre
Zu einem blühnden Purpurkelch gestalten,
Und Sonn' und Mond, der Sterne mächt'ge Heere
Im Lauf zu einem Kranze stille halten!
So müßte sich das hohe Wunder zeigen,
So sah ich Christum vor mir niedersteigen.

Da fühlt' ich erst die Kraft der Religion,
Die bis dahin mein Herz nur schwach getroffen,
Mir war, als schaut' ich schon den höchsten Thron,
Mit allen Freuden schon den Himmel offen,
So hoch entzückte mich der Gottessohn,
Zu dem gestanden jahrelang mein Hoffen,
Ich war in Angst, ich möchte gar erblinden,
Die Himmelsfreude möchte mir verschwinden.

Da streckte Christus aus die weiße Rechte
Und sprach: »Ich habe dich zur Braut erkoren,
Daß du die Mein', der Dein' ich werden möchte,
Doch bist du meiner Liebe jetzt verloren.
Dich zwingen bald die kalten ird'schen Mächte,
Du bist für Gram und Leiden nur geboren:
Doch wirst du mir in jedem Kampf vertrauen.
So werden wir dereinst uns wieder schauen.«

So sprach er, und im jungen Lichte lachte
Mein Herz und rings um mich auch das Gebäu,
Und wie ich noch der Rede staunend dachte,
Und welch ein trübes Wort gesprochen sei,
Da schwand mir alles hin, und ich erwachte;
Das Traumbild brach in einem Wink entzwei,
Ich lag allein in meiner düstern Kammer
Und fühlte Freude halb und halb auch Jammer.

Gertrud.
Ich hätte mich gefürchtet.

Genoveva.                             Nein, ich war
Zwar tief erschüttert, aber doch erheitert.

Gertrud.
Und bald verließt Ihr Euern Vorsatz wieder
Und folgtet doch dem Grafen auf sein Schloß?

Genoveva.
Uns selber nicht gehört das ird'sche Leben,
Es hat sich bald darauf also begeben.
Doch immer kann ich an den Traum nicht denken,
Ohn' mich in tiefes Sinnen zu versenken.

Gertrud.
Man muß nicht über diese Dinge grübeln,
Sonst werden gute selber noch zu übeln.

Genoveva.
Sehr gut, daß du es also hast bedacht;
Nun schlafe wohl, ich wünsch' dir gute Nacht.

Gertrud.
Nun, gute Nacht, der Herr mag Euch bewahren
Mit seinen auserwählten Engelscharen.

Genoveva.
Der Morgen bricht schon an ob unserm Zaudern;
Wie schnell entschwand die Nacht in unserm Plaudern.
Gertrude, eins muß ich dir noch erzählen,
Um auch das Kleinste dir nicht zu verhehlen.
Als mich der Graf nach seinem Schlosse brachte,
Kam uns zu Roß ein Jüngling rasch entgegen,
Von bunter Tracht und adeligem Wesen,
Voll Demut doch; er sprach mit dem Gemahl.
Siegfried zeigt' mir in ihm den treusten Diener.
Ich schaute an das glänzende Gesicht,
Die Locken, seine Augen, dieses Lächeln,
Und – lächle nicht, wie seltsam es auch ist –
Mir war, als leuchteten in ihm die Blicke,
Als lächelte in ihm, was ich geschaut,
Als mir der hohe Traum herniederkam,
Sein dacht' ich gleich, um gleich ihn zu vergessen,
Das irdische Gesicht verfinsterte
In Lieb' und Herrlichkeit den Himmel mir.

Gertrud.
Mir überläuft es heiß; nun, wie ich sagte,
Der Herr hat große Dinge mit ihm vor. (Geht ab.)

Genoveva.
Der Morgen kömmt herauf, die Sterne schwinden,
Die dunkle Hülle sinkt allmählich nieder,
Die Lerchen wissen schon die Bahn zu finden
Und jubeln vor der Sonne her die Lieder.
Gelobt sei Gott! – Da kommen meine Sünden
Mit jenem Licht in mein Gedächtnis wieder,
O du, des Himmels große, güt'ge Macht,
Wie ließest du mich denn in dieser Nacht?

Ihr hab' ich meine Seele ganz erschlossen?
Wie tief bist du, o schwaches Weib, gesunken!
Wie sind die Worte meiner Zung' entflossen?
Mein Geist war in der Nacht erschlafft und trunken,
Die ganze Welt war hinterm Mond verschlossen.
Und alles weit und tief hinab versunken: –
Ist das der Sinn, den du so fest gemeint,
Die hohe Tugend, die so glänzend scheint?

Da strahlt der Morgen mit der lieben Frische
Und funkelt auf das Laub, vom Taue naß.
Mir ist, als glänzt' sein Blick noch im Gebüsche,
Von Blumen noch und aus dem grünen Gras,
Die Sünde brennt noch dort: o Tag, verwische
Die Schuld der Nacht, ich trage selber Haß
Zu diesem kindisch schwachen Weiberherzen
Und strafe mich durch Pein und herbe Schmerzen.

(Geht ab.)

 

Im Schloßhofe.

Die versammelte Dienerschaft an einer Tafel.

Heinrich. Hier, Else, lange lebe unser gnädiger Herr Siegfried.

Else. Gott laß es ihm in alle Ewigkeit wohlgehn.

Benno. Du trinkst ja ordentlich Wein, junge Dirne, so ist es recht!

Else. Nur wenig und nur heute, um diesen fröhlichen Tag zu feiern.

Benno. Ja, wohl mag das ein fröhlicher Tag genannt werden, der Sieg über die Heiden hat uns wenigstens ein gutes Essen und Wein verschafft! Es lebe die Christenheit!

Andere Diener. Jawohl, und noch tausend solcher Siege möge sie erleben!

Benno. Das geht nicht an, gute Freunde, denn die Feinde können jetzt nicht einmal noch einen solchen Sieg vertragen, nein, so gut wird es uns nicht.

Heinrich. Du weißt, Else, was ich jetzt für eine Gesundheit trinke.

Else. Sei still vor den andern.

Benno. Was habt ihr miteinander, junges Volk? Ich glaube, das Pärchen ist ineinander verliebt.

Heinrich. Laß mich, wilder Geselle, der du bist.

Benno. Schweig! du zahmer Fuchs, du bist nur ein Hirt, du darfst uns die Mädchen im Schlosse nicht abwendig machen. Ich dachte nicht, Else, daß du deine kindischen Gedanken schon darauf richtetest.

Else. Laßt mich zufrieden, gottloser Mensch.

Benno. Nun, was thu' ich Euch denn zuleide?

Heinrich. Laßt sie gehn, sag' ich Euch.

Benno. Tausend Element, was hast du zu sagen? Rede noch einmal und ich schmeiß' dir den Becher ins Angesicht!

Else. Ich geh' zu meiner Mutter. (Ab.)

Drago und Wendelin kommen.

Drago.
Wollt ihr den schönen Tag mit Fluchen feiern?
O, schämt euch, lieben Freunde, tobt nicht so,
Seid fein gelassen; eure Freude sei,
Daß Gott auch Wohlgefallen daran trage.

Benno. Nun ja, da kommt der Pfaff' und verdirbt uns die ganze Lust.

Wendelin. Er hat recht, es ist nicht schicklich.

Benno. Bist du auch da, Tuckmäuser?

Wendelin. Wir kommen vom Gottesdienst und wollen uns nicht zu den wilden Gesellen halten. (Geht ab.)

Drago. Ihr mögt euch mäßigen in Eurer Lustigkeit, denn so ist sie nicht wohlanständig. (Geht ab.)

Benno. Sie soll auch nicht wohlanständig sein, dazu ist die Lustigkeit nicht gemacht; wenn wir wohlanständig sein sollen, braucht man uns keinen Festtag zu geben.

Grimoald kommt.

Grimoald. Nun, Bursche? Ich höre, es sind gute Zeitungen angekommen.

Benno. Ja, du Köhler, des Teufels Bruder, setz' dich zu uns.

Grimoald. Warum nennst du mich des Teufels Bruder?

Benno. Weißt du die alte Mär' denn nicht, wie der Teufel und der Köhler miteinander Brüderschaft getrunken haben?

Grimoald. Das soll mir niemand nachsagen, und wer es thut, der ist ein Halunke!

Benno. Je, du wirst doch Spaß verstehn, Schwarzkopf?

Grimoald. Lebt denn mein Sohn noch?

Benno. Ja, es steht alles gut, setz' dich nur her und trink brav, nachher wollen wir mit den Mädeln eins tanzen. Golo hat uns allen, außer Wein und Speise, noch Geld obenein geschenkt.

Grimoald. Da sollt' ich mich wohl auch bei ihm melden.

Benno. Es kann dir nicht fehlen, er achtet kein Gold und Silber, er ist freigebig wie ein Herzog. –

Grimoald. Kommt, wir wollen alle, wie wir da sind, ihm unsern Besuch machen, denn er hat uns gemeine Leute gern, der brave Herr.

Benno. Ja, und uns nachher zum Schmause wieder niedersetzen.

(Alle ab.)

 

Garten.

Golo. Gertrud.

Golo.
Ihr habt nun das Geständnis meiner Lippen,
Ihr wißt nun alles, Mutter, ratet mir.

Gertrud.
Wie geht es in der Welt so wunderbar,
Wer hätte das doch damals wohl gedacht,
Als Ihr zuerst in dieses Schloß gekommen?
Nun, nun, vielleicht geschehn noch große Dinge,
Wer weiß, ob unser Graf ihn überlebt,
Den Krieg. Es mag sich manches seltsam fügen,
Kömmt Berg und Thal doch wohl zusammen, leichter
Noch Mensch und Mensch, so wünsch' ich Euch denn Glück.

Golo.
Zu meinem Unglück? meinem Tode? so
Wird sich mein muntrer Lebenslauf beschließen.

Gertrud.
Ja, Tod und sterben! Stirbt sich nicht so leicht,
Doch gleich zuerst fällt darauf junges Blut;
Glaubt mir, mein lieber Golo, manches Jahr
Hab' ich vor Euch voraus und auch Erfahrung:
Die Menschen bleiben eben immer Menschen,
Ob hoch, ob niedrig, das gilt alles gleich.
Wär' ich ein wackrer junger Herr, mit Augen
Wie Ihr, ich hielte meine Hoffnung fest,
Und wär' ich in die Königin verliebt.

Golo.
Wie du nun sprichst! Du weißt nicht, was du sagst;
Wie eine Heil'ge steht sie vor mir da,
Ich darf's nicht wagen, ihr Gewand zu rühren,
Ihr Blick schlägt meinen Blick darnieder, ja,
Ich schäme mich in ihrer Gegenwart
Der reinesten Gedanken oder Wünsche.

Gertrud.
Nun ja, das ist die rechte Höhe just,
Das ist es grade, wo die Jugend immer
Sich selbst und die Gelegenheit vergißt,
Um ihre Einfalt später zu bereun.
Nichts kettet so die armen Weiber fest
Als diese tiefe innige Verehrung,
Die heil'ge Scheu, obAls ob. man im Tempel wäre;
Doch achten sie auch keinen je geringer,
Als wer in dieser Andacht stehen bleibt
Und nicht das Werk bis zur Vollendung treibt.

Golo.
Ihr kennt sie nicht, Ihr kennt sie wahrlich nicht.

Gertrud.
Du wirst mich doch nicht Weiber kennen lehren?
Ich war ja selber jung, sah andre Frauen
Dicht neben mir, so adlig wie gemein,
Und wahrlich, alle kamen überein.

Golo.
Nein, meine gute Gertrud, viele Frauen
Hab' ich gesehn, von Schönheit und von Adel,
Und alle schienen mir so von Gemüt,
Daß ich von allen gerne glauben will,
Sie seien so, wie Ihr sie mir geschildert;
Auf ihre Schönheit waren alle stolz,
Und alle kamen gern dem Mann entgegen,
Doch Genoveva ist die einz'ge des Geschlechts,
Sie weiß um ihre Schönheit nichts und nichts
Um ihre Lieblichkeit, sie hat den Himmel
In ihrem Auge und verschönt die Erde.
Seit jener Stunde, da ich sie gesehn,
Dünkt mir nichts anders mehr auf Erden schön.
Seit ihrer Wangen Rot mein Auge küßte,
Ist mir, als ob der Mund es ewig müßte.
Verfolgt mein Blick den Bau der schönen Glieder,
Fällt von der Brust zu vollen Hüften nieder,
Steigt zu dem hellen Bronn des Auges wieder,
So wird ein böser Geist im Herzen wach
Und reißt der Holdesten mich mächtig nach.
Doch wenn die Trunkenheit ein Ende nahm,
So fühl' ich im Gesicht die rote Scham,
Dann wag' ich nicht den Blick emporzuheben,
Und sollte selbst darob vergehn mein Leben.

Gertrud.
Die Jugend ist zu schüchtern allzu oft,
Das Alter dann gewöhnlich zu verwegen,
Doch wer in beiden Maß und Ziel nur trifft,
Wird auch des rechten Zieles nicht verfehlen.

Golo.
Nur einmal ihren Busen an den Mund,
So bin ich wohl auf Lebenszeit gesund,
Nur einmal soll ihr Herz an meinem schlagen,
Dann mag das Glück mir alles doch versagen;
Daß ich sie einmal recht von Herzen küsse,
Daß sie es nur, wie ich sie liebe, wisse,
Dies eine nur will ich vom Schicksal flehen;
Mag Jugend doch und Leben dann vergehen.
Wie war ich sonst vom muntern Geist beflügelt,
Wie bin ich jetzt von Angst und Pein gezügelt,
Mein Wunsch war in der Gegenwart befangen,
Es drängte mich nach jenseit kein Verlangen,
Da glänzte mir entgegen Kriegesruhm,
Es lockte mich das alte Heldentum,
Die Glorie von verklärten großen Namen,
Sie riefen mich, die Thaten nachzuahmen:
Kam ich zurück von Schlacht und wildem Streite,
Sah ich ein junges Weib an meiner Seite
Und Kindelein, die mir entgegenscherzten
Und sich mit mir und ihrer Mutter herzten.
War mir im Alter Ruhm und Ehr' und Preis.
Der Arm ermattet und der Schädel weiß,
So legt' ich dann zur Ruh' den braven Degen
Und sah getrost dem Grabe mein entgegen,
Zum Tode reif, das Leben schön genossen
Und von den Liebsten auf der Welt umschlossen.
Das alles will mir jetzt nicht mehr gefallen,
Ob ich gezählt zu Freien, zu Vasallen,
Ob Lobgedicht zu meinem Ruhme tönt,
Ob Adel mich und Pöbel frech verhöhnt,
Ob ich an Grafen Statt einst soll regieren
Und ob ein ärmlich knechtisch Leben führen,
Macht Heldenmut mich kühn, die Feigheit bleich:
Dies alles gilt jetzt meinem Herzen gleich.
Seht, welchen Ruhm der Mohrenkrieg verhieß,
Wie war ich froh, da man mich bleiben hieß!
Was nutzt mein Schwert, was Harnisch und der Schild,
Da mich bezwang das adeligste Bild?
Was soll mir noch mein glänzend Roß so kühn?
Ich kann ihr ewig nimmermehr entfliehn!

Gertrud.
Wie viel vergebne Worte das nun sind,
Du sprichst sie alle, Golo, in den Wind,
Willst du nur meinen alten Augen trauen,
Kann man's an ihren jungen Augen schauen,
Daß dir die allerschönste Hoffnung blüht,
Daß sie für dich mit gleicher Liebe glüht.

Golo.
Ha! dürft' ich diesen schönen Glauben fassen,
Daß sie mein armes Herz nicht will verschmähn,
O, gern wollt' ich die trüben Blicke lassen
Und wieder aus den muntern Augen sehn;
O, fühl' ich nur, daß sie mich nicht will hassen,
So mag mir jedes andre Glück verwehn,
Mit freiem Sinn, mit kühnem Wunsch und Jugend
Lieb' ich sie doch mit allerreinster Tugend.

Gertrud.
Noch einmal sag' ich Euch, daß sie Euch liebt,
Es müßte mich denn alle Klugheit täuschen,
Doch glaubt dem Wort nicht, stellt die Probe an,
Sie nützt Euch doch, von Zweifeln frei zu sein.

Golo.
Du hast mit dieser Hoffnung neues Leben
Den gramzerstörten Sinnen mir gegeben. (Sie gehen.)

 

Fränkisches Lager vor Avignon.Die Erstürmung von Avignon fiel allerdings erst ins Jahr 737

Karl Martell, Siegfried, Otho, Gefolge.

Karl.
Ich bin erbost auf diese Türm' und Mauern,
In die der feige Feind sich klug verkroch,
Was sollen wir mit unsern Waffen hier,
Was mit der Tapferkeit in unsern Herzen?

Otho.
Es ist nicht deutsche Art, mit Mauern fechten,
Das Heer vermindert sich, die Kriegeslustigen
Ziehn heim, und unsrer spottet nur der Heide.

Siegfried.
Schon dreimal haben wir sie ausgefodert,
Doch sie sind klug und bleiben in den Schanzen.

Karl.
Verflucht sei jener Feige, der zuerst
Kastelle mit den Zinnen baute. Schanzen
Und Türm', Zugbrücken, Gräben sind gemacht,
Wehrlose Kinder in den Zirk zu schließen,
Nicht wohlbewehrte Krieger aufzunehmen.

Siegfried.
Hier muß Geduld der beste Kriegsmann sein,
Zu große Hast ist schlimmer noch als Trägheit,
Das hat uns Aquitanien wohl gelehrt,
Der in der Blüte seiner Jahre starbEudo starb schon 735.,
Den die Empörer leichtlich überwanden,
Weil er sich selbst nicht überwinden konnte.

Karl.
Wie nah' geht mir des jungen Helden Schicksal,
Als Jüngling war er schon der Preis des Landes,
Was wär' er erst als reifer Mann geworden?

Otho.
Vielleicht war er, was er nur werden konnte,
Drum war es gut, er hörte zeitig auf,
Denn nichts Betrübters gibt es auf der Welt,
Als wenn in Schmach und Elend sinkt ein Held.

Ein Bote.

Karl.
Du bist in kurzer Zeit zurückgekommen.

Bote.
Ihr hattet mir zu eilen anbefohlen.

Karl.
Wie geht es dem Gemahl? Wie meinem Pippin?

Bote.
Ich fand sie alle ob der Zeitung froh,
Die früher schon als ich dorthin gekommen,
Den Knaben freuten die Geschenke, sehr
Wünscht er Euch bald zu sehn.

Karl.                                                 Und er ist wohl?
Du sahst ihn selbst? Du willst mir nichts verbergen?

Bote.
Mein Leben nehmt, wenn ich gelogen habe.
Der Bonifacius schickt Euch seinen Segen.

Karl.
Nun, Freunde, laßt uns rasch zum Werke schreiten,
Für unsern Ruhm, für unser Land zu streiten! (Ab.)

 

Im Schlosse.

Genoveva. Drago.

Drago.
Ihr seid wohl eine fleiß'ge Leserin.

Genoveva.
Mich ziehet an die Schrift gar wunderbar,
Und hab' ich eine heilige Legende
Begonnen, kann mein Herz nicht eher ruhn,
Bis sie geendet ist, ich lebe dann
In jener Welt, die uns geschildert wird,
Mit allen meinen Sinnen, wie mit Netzen
Hält mich die süße Vorstellung verstrickt,
Ich muß mich wie ein Wild gefangen geben:
Drum ist es nicht so Andacht, die mich treibt,
Wie inn'ge Liebe zu den alten Zeiten,
Die Rührung, die mich fesselt, daß wir jetzt
So wenig jenen großen Gläub'gen gleichen.

Drago.
Ihr lebt und handelt ganz in frommer Weise
Ihr dürft Euch wohl der Edelsten vergleichen.

Genoveva.
Wir sind doch allzumal nur schwache Sünder,
Nur guter Will' ist das, was wir vermögen.
Nun geht voran in mein Gemach, mein Lieber,
Ihr sollt mir manches aus dem Buch erklären,
Das mein einfält'ger Sinn nicht ganz verstanden,
Es sind da oft latein'sche Redensarten,
Die mich verwirren.

Drago.                           Wie Ihr mir befehlt. (Ab.)

Ein Diener kömmt mit einem Gemälde.

Diener.
Hier ist das Bildnis, edele Frau Gräfin,
Das Ihr den fremden Maler malen ließet.

Genoveva.
Schön ist die Rolle, und es soll sogleich
Ein feiner Schrein dazu gezimmert werden,
Der es vor Staub und vor der Luft bewahre. –
Laß ihm von Golo die Bezahlung reichen. (Diener ab.)
Dies ist mein Bild, dies ist mein Angesicht.
Ich weiß nicht, welche Eitelkeit mich trieb,
Im Konterfei das schnell Vergängliche,
Das oft ein Hauch zerstöret, zu besitzen.
Wir können nie der Welt so ganz ersterben,
Daß wir sie nicht in Stunden und in Tagen
Lebendig frisch in unserm Herzen fühlen.
Doch wie ich gern das Menschenantlitz liebe,
In fremder Bildung und mit Wohlgefallen
Die reinen Züge und die Schönheit schaue,
So will ich auch dies Bildnis mir bewahren,
Ein Angedenken für mein Alter.

Golo tritt ein.

                                                    Seht,
Das Bildnis, Golo, ist gekommen; hat
Der Maler sich als Meister nicht gezeigt?
Zwar hat er nur geschmeichelt, aber sonst
Scheint mir dem Bilde nichts zu fehlen.

Golo.                                                             Nichts?

Genoveva.
Schaut es nur selber an.

Golo.                                     Das geht ihm ab,
Daß es nicht lebt und eigen mir gehört.

Genoveva.
Wie meint Ihr das, wie kann ein Bildnis leben?

Golo.
Daß es nicht leben kann, das ist mein Tod,
Sonst ruht' ich nicht, bis es mein eigen wäre,
Und sollt' ich auch dem Tempel es entwenden,
Und sollt' ich drum den Pfaffen selbst erwürgen.

Genoveva.
Golo, Ihr rast; woher der wilde Sinn?

Golo.
O, Genoveva, zeigt mir milden Sinn,
Geheilt bin ich von aller Raserei.

Genoveva.
Was wollt Ihr mir? Besinnt Euch, teurer Golo,
Ihr sprecht im Fieber; soll ich Ärzte rufen?

Golo.
Ja, höhnt mich nur, verwerft mich, stoßt mich von Euch.
O eitles Streben; denn in Eurem Busen,
In Eurem eignen Herzen wohnt mein Geist,
Da ist er fest im allerholdsten Kerker;
O, gebt mich frei! Gebt meine Seele los,
Hier steh' ich auf den Knieen, seid barmherzig,
Sei gütig, böser, holder, liebster Satan,
Du Gottheit mir, gebenedeite Jungfrau!
Nein, Hölle mir, die meine Seele peinigt
Mit ew'gen Flammen, mit rastlosen Flammen,
Mit güt'ger Schadenfreude, mit dem Lächeln,
Mit Augen, deren Glanz das Mark mir aussaugt,
Mit Lippen, deren Röte aus dem Herzen
Wegtrinkt mein rotes Blut! O Zauberin,
Du hast mein Leben mir durch Kunst entführt!

Genoveva.
Was denkt Ihr denn? Was wollt Ihr denn von mir?
Erwacht, denn Ihr verkennt so Euch wie mich!
Ich bin es, Genoveva, die jetzt spricht,
Gemahlin Euers Herrn, des Grafen Siegfried,
Der dies Betragen, wenn er kommt, erfährt.

Golo.
Mag es die ganze Welt, der Himmel wissen,
Er weiß es schon, er tadelt mich nicht drum,
Er kennt mein reinstes Herz, die hellen Flammen:
Was ist es denn nun auch, daß ich Euch liebe?
Ist Liebe ein Verbrechen, wenn sie keusch bleibt?
Was ist es denn, daß Ihr das Weib des Grafen?
Wenn ich Euch liebe und mit treustem Herzen
In dieser Liebe Leben, Herz verzehre,
Wen kümmert das? Ja, es ist ausgesprochen,
Ja, Genoveva, seit dem ersten Blick
War ich Euch hingegeben, lebt' ich Euch,
Nein, starb Euch ewig gegenwärt'gen Tod.
Erweckt mich nun zum Leben, sagt, Ihr haßt
Mich nicht, und all mein Sinnen ist beruhigt.

Genoveva.
Ich halt' Euch krank, und drum verzeih' ich Euch,
Sonst gabt Ihr mir nie Ursach', Euch zu hassen.

Golo.
Habt Ihr denn auch mit meiner Qual Erbarmen?
Soll mir aus Eurem Auge Hoffnung lächeln?

Genoveva.
Was wollt Ihr hoffen? Lebt in Gottes Furcht,
So habt Ihr keine ird'sche Hoffnung nötig.

Golo.
So spricht, die allen Himmel in sich trägt,
In der die Wonnen ihren Haushalt haben,
In deren Herz die Engel sich ergötzen:
Warum muß ich es sein, der noch lebendig
Die Qual des Fegefeuers duldet? Gräfin –
O, Genoveva – o, daß ich es reden,
Aussagen könnte, Worte finden, Töne –
Mein Herz möcht' ich aus meinem Busen nehmen
O, Genoveva, – ich bin mein nicht mächtig –
Kommt her an diese Brust – in diese Arme.

Genoveva.
Hinweg! gottloser, ehrvergessner Mann!

Drago kommt.

Drago.
Was ist Euch, Gräfin?

Genoveva.                         Kommt zum heil'gen Buche,
Mir thut die Andacht not nach dem Gespräch. (Beide ab.)

Golo.
Wo die stillen Bächlein gehn,
Wo die Weiden sprossen –
Bald, – Golo! bist du wach? Wie war dir? Ha!
Sind das die alten Tepp'che? die Gemälde?
Bin ich es noch? Ist dies die vor'ge Welt?
So war mir's doch, als sei hier Genoveva,
So wahr ich lebe, sie glaubt' ich zu sehn,
Zu hören, und mich trieb die Lust, die süßen,
Die roten Lippen ihr zu küssen. Nein!
Es war wohl nicht, O Thor, sie ist entsprungen.
Was hielten deine Arme sie nicht fester?
O Bild! O trügerisches Bild! O Heuchelbild!
Wie kannst du frech doch ihre Züge borgen?
Noch lächelst du mit Falschheit mir entgegen?
Sieh, wie ich dich zerfleische, dich vernichte,
Zertrümmre, weil du mir so falsch gelogen,
Ha! bin ich dir nun noch gewogen?
Hinaus! dem Winde sei ein Spiel,
Den Regenwolken und dem Blitz ein Ziel!
Ha! wie es draußen flattert, wie es in den Graben
Hinunterstürzt; – o, komm zurück, mein Herz zu laben!
O, mich zu beglücken,
Es an das Herz zu drücken,
Führt es, ihr Wogen, ihr Winde, wieder herauf!
Selbst will ich hinunter und es suchen,
Es darf das süße Bild im Strome nicht
Versinken, nicht sich zwischen Schilf verlieren,
Ich lieb' es doch, wenn es mich auch erwürgt. (Ab.)

 

In der Stadt Avignon.

Zwei Bürger.

Erster Bürger. Und müssen wir nun die Christenfeinde in unsern eignen Mauern dulden?

Zweiter Bürger. Es ist uns so von Gott für unsre Missethaten verhängt.

Erster Bürger. Draußen sehn wir die Christen liegen und an diesen Steinen verbluten, und wir dürfen ihnen nicht die Thore aufbrechen?

Zweiter Bürger. Die Heiden halten die Kastelle besetzt, ihre Wachen sind aufmerksam.

Erster Bürger. Still, laß uns gehn, dort kommt ihr Anführer. (Sie gehn.)

Ali mit Hauptleuten.

Ali. An diesen steilen Türmen mögen sie ihre Kräfte versuchen, hier sollen sie liegen und sich aufzehren, daß ihnen ihr Sieg wenig frommt.

Erster Hauptmann. Auf diese Nacht hast du einen Ausfall angeordnet?

Ali. Ja, sie sollen uns endlich in ihrem Lager sehen; schon oft haben die Thoren uns gerufen, in dieser Nacht wollen wir ihren Wunsch erfüllen.

Erster Hauptmann. Laß mich dabei sein, Feldherr.

Ali. So sei es, wackrer Kriegsmann! Haltet euch wie brave Männer und rächt die neuliche Schmach! – Ich muß über diese einfältigen Franken lachen, die allen Mut, allen Verstand verlieren, wenn sie Mauern mit Türmen vor sich sehn. Wo es nicht gilt, gerade drein zu schlagen, wissen sie sich nicht zu gebärden. (Geht ab.)

 

Garten.

Golo. Gertrud.

Golo.
Wie ich dir sagte, alle Sinne schwanden,
Und als sie endlich sich zurücke fanden,
Geschah es nur, um ohne Sinn zu sein
Und was geschehn, herzinnig zu bereun.

Gertrud.
Der Drago ist's, der hält sie von Euch ferne,
Er wäre selbst ihr Liebling gar zu gerne.

Golo.
Der Heuchler, der nur knieen kann und beten,
Der Pfaffenfreund, der's unrecht meint mit jedem,
Der nicht der Kirche dient, ich hass' ihn wie den Teufel.

Gertrud.
Nun mäßigt Euch, ich weiß, daß sie Euch liebt.

Golo.
Es kann nicht sein, Gertrude, darum will
Ich mich in mein Verderben fügen; Tod
Ist meine einz'ge Rettung, nur das Grab
Kann kühl die grimme Flamme mir ersticken.
Geh' ich dem tiefen Wasserfall vorüber
Und höre unten seine Wellen brausen
Und sehe den lebend'gen mut'gen Schaum,
Und wie der Strom sich weit hinunterreißt:
Ich kann nicht sagen, welch ein tief Gelüst
Mich dann befällt, in die Strudel abzuspringen,
Daß sie mich unterwälzen und verschlingen.

Gertrud.
Mein Golo, sollte dies das Ende sein?
Dies all' die Freud' an Euch? Der junge Sinn,
Die muntern Jahre, alles nur dazu?
Nein, Lieber, nein, Ihr müßt Euch nur ermannen,
Dies Auge soll, ich will nicht leben sonst,
Es soll den vor'gen hellen Glanz bekommen,
Es soll, müßt' ich mein Alles daran setzen.

Golo.
Du sprichst da Märlein, meine gute Alte.

Gertrud.
Es fehlte wenig, und sie hätte mir bekannt,
Daß sie Euch liebte. Ei, sie muß Euch lieben,
Sie ist ein Weib und jung, sie sieht Euch täglich.
Was ist der Graf ihr, den sie niemals kannte,
Der älter ist und rauh, nur blöden Sinnes?
Wie wird sie neben Euch so anders, wie
Bemüht sie sich, recht edel zu erscheinen,
Kein Wort zu sagen, das Ihr tadeln möchtet,
Sie gibt auf Eure Blick' und Mienen acht,
Ihr Ringen, ihr Bestreben macht sie schöner.
Nun, bei der Ehre meiner Eltern, bei
Jedwedem Ding, das mir nur teuer ist,
Fügt Ihr Euch mir, so sollt Ihr sie genießen.

Golo.
Wie sprichst du? Welche tolle Worte! Wie?
Ist's nicht so gut, als ob uns einer sagte,
Daß über unsren Häuptern Länder hingen
Mit wundervollen Bergen, Wald und Flüssen,
Und daß er uns die Leiter bringen wolle,
Durch öde Luft in dieses Nichts zu steigen?
Bei Gott, mir weicht und wanket die Vernunft,
Doch hat sie mich nicht so wie dich verlassen.

Gertrud.
Wenn Ihr nur nicht so wild, so brausend wär't,
Es nur verständet, die Gelegenheit
Zu fassen, wie sie sich freiwillig beut.
Es ist da nicht die Rede, herzurufen,
Sie anzufallen wie ein grimmig Tier
Und ihr zu sagen, daß Ihr liebt; das ist
Der gradste Weg, den Freund in ihrem Herzen,
Der für Euch spricht bei Tag und Nacht, zu schüchternSelten für einschüchtern.:
Dann muß sie wohl den Mantel ihrer Tugend,
Des Standes, ihrer Pflicht, der Gottesfurcht
Dicht um sich werfen, um Euch zu entfernen.
Nein, langsam und so sichrer müßt Ihr gehn,
Ihr dienen, ihre Schritt' bewachen, loben,
Ihr singen und hofieren, schmachten, klagen
Und nach und nach Euch zu verstehen geben,
Doch so, daß Ihr noch immer rückwärts könnt,
Daß nicht die Brücken abgebrochen sind
Zur sichern Flucht; dann beut sich wohl die Stunde.
Die Nacht, ein süßes Lied, ja selbst die Andacht
Macht sie wohl weicher, sie vergißt den Grafen,
Vergißt sich selbst, Ihr und Gelegenheit
Bedrängt sie hart, und sie muß sich ergeben.

Golo.
Welch unverständig Wort hast du gesprochen!
Ist mir es drum zu thun, als Schalk, als Knecht,
Als Dieb mir ihre Gunst zu stehlen? Fühlst du nicht,
Was sie mir ist, was ich ihr werden möchte?
Soll ich gemein das Edelste besitzen?
Nein, nicht besitzen, ihre Täuschung, ihren Trug
Auf einen Augenblick erschleichen, dann
Zurück in meine Höhle kriechen. Wunder
Versprichst du mir und lehrst mich knechtlichWie ein Knecht, altertümlich. sein.

Gertrud.
Was wollt Ihr denn?

Golo.                               Das Ferne und das Nahe,
Das Mögliche, was doch möglich ist,
Was ich in meinem Herzen wünsche, was
Der Feige nie besitzen kann, was kaum
Den auserwählten Edelsten gegönnt ist,
Das heil'ge Feuer, das die Erd' erleuchtet,
Den Glanz beglänzt und Licht der Sonne leiht,
Das, was du nimmermehr verstehen wirst,
Das, was – o schweig, verstumme, eitle Zunge!
Was soll der Frühling durch den Winter scheinen?
Wer will die Kirche auf dem Markte halten,
Die große Raserei dem Pöbel pred'gen?

Gertrud.
Ja, rasend seid Ihr, so gehabt Euch wohl. (Geht ab.)

Golo.
Ihr Sterne, nein! ihr hörtet meine Klagen,
Doch könnt auch ihr den edlen Sinn bezeugen,
Ihr saht mich zittern, stürmen und verzagen,
Doch soll mich nichts zur tiefen Erde beugen,
Kein Frevler will ich meine Schulden tragen,
Annoch kann ich zu euren Lichtern steigen;
Ich bin noch, der ich war, und nicht gebrochen,
Nicht Pöbelthat hat gegen mich gesprochen.

So will ich denn so Mut wie Kühnheit hegen,
Den bösen Dämon in mir selbst regieren,
Ich will die Leiter in den Himmel legen,
Sie soll mich in die sel'gen Felder führen.
Kein edles Glück begünstiget den Trägen,
Nur kühner Mannessinn darf triumphieren.
Nun wohl! Ich will mir selber dann vertrauen
Und hoch den Bau des Glücks mir auferbauen.

Wer weiß, wo schon der Tod die Sense schwinget,
Wer weiß, welch Opfer ihm im Kriege fallen,
Wohl mag's, daß mir der fernste Wunsch gelinget,
Daß er erschlägt den HässigstenAltertümlich für gehässig in der Bedeutung verhaßt. von allen,
Daß mir das neue Frühlingsjahr es bringet
Zum Gruß, das allerliebste Wohlgefallen:
Daß mir es kann im schönen Maie glücken,
Das schönste Kind als meine Braut zu schmücken.

Wolf kommt.

Wolf.
Wo bist du, Golo? Nun, wie geht es dir?
Man sieht dich gar nicht mehr, du bist verändert,
Nicht bei dem Mittags-, nicht beim Abendessen,
Da ist an froh Gespräch nicht mehr zu denken,
Da hört man nichts von deinen alten Schwanken,
Da ist –

Golo.             Laßt mich, Ihr stört mich nur im Denken.

Wolf.
Nun, alter Griesgram, fahr mich nicht so an!
Bedenk' doch stets, ich bin ein alter Mann;
Dir ziemt es nicht, die Nase so zu rümpfen
Und auf die liebe Gotteswelt zu schimpfen,
Dazu kommt dir die Zeit noch früh genug,
Im Alter schickt sich wohl ein derber Fluch;
Und was wird's nun mit dir am Ende sein?
Ein Mädel läßt ihn nicht zum Fenster ein,
Und drum erfrecht er sich, so aufzufahren –
Ei, da soll einen Gott der Herr bewahren! (Ab.)

Golo.
Die Abendmahlzeit ist vorüber, bald
Beschattet dunkel sich der grüne Wald,
Die Sternlein aus dem blauen Äther steigen,
Es schickt die Welt sich an zu Nacht und Schweigen.
O, wie in mir Gedank' Gedanken drängen,
Wie's musiziert in mir mit tausend wechselnden Klängen!
Was kann ich, was soll ich beginnen?
Wohin, ihr rasenden Sinnen?
Wie von wilden Pferden fühl' ich mich fortgerissen,
Die Erinnrung umgeschmissen,
Der taube Fuhrmann Vernunft im Hohlweg liegend,
Die wilde Macht vom Himmel herunter siegend!
Ihr kleinen Sterne,
Bringt ihr die Kunde?
Sie naht, sie naht, die Stunde,
Bald vernehm' ich den zierlichen Gang aus der Ferne,
Wie gerne!
Die hohe Gestalt
Reizt mich mit Gewalt:
O, dürft' ich sie fassen und herzen,
Sie küssen Mund an Mund von Herzen,
Brust an Brust geschmiegt,
In Armen versunken,
Die Augen trunken
In blühender voller Lust,
Uns selber hoch bewußt,
Und nicht bewußt,
Daß es endlich, endlich dem schlagenden Herzen genügt!
Daß alle Pulse zu Klängen werden,
Daß alle Gedanken in Tönen irren,
Gefühl und Wunsch und Wahnsinn durcheinander wirren,
Gold überstreun mit voller Hand der dürftigen Erden!
Wo bist du, Glück in Himmelsbahnen?
Wo schwingst du in Räumen die hochroten Fahnen?
Steig' nieder, wo fass' ich die Flügel,
Daß ich dich greife, dich binde,
Daß ich dich zwinge mit Zaum und Zügel
Und meinen Sklaven dich finde!
Erbarme dich, Sterngegenwart!
Klingt aneinander und gönnt ihm keine Flucht,
Daß es zur Erden hernieder muß,
Immer nur den fernsten Saum des Mantels
Zeigt es hinter ungewissen Wolken,
Bis wir müssen rasend werden. –

Sie muß, sie muß zum Garten niederkommen,
Schon freuet sich die liebesrote Rose,
Schon sind die Feuerwürmchen angekommen,
Und flattern lichtend durch die grünen Moose.
Um Mondschein zittern Wölkchen angeschwommen,
Daß goldner Strahl mit ihnen freundlich kose,
Ein fremder Vogel singt aus Waldesnacht,
Der ferne Strom erklingt in seiner Macht.

So sollte unter uns die Welt verschwinden,
Daß wir allein im Sturz die einz'gen blieben,
Sie müßte sich in meinen Armen finden,
Dann wär' ich ihr in Brand und heißem Lieben,
Dann schwelgt' ich froh in tausend schönen Sünden,
Es hätte Angst entgegen sie getrieben,
Dann sollte einsam alles mir gelingen,
Indes Naturen unter uns vergingen.

Sieht mein Aug' das hüllende schöne Gewand
Um den Leib geschlossen und geschmiegt,
Das eng und enger an die Glieder fliegt,
Um sie zu fühlen, dicht an zu empfinden,
Wie zittert die Hand,
Sich zu beglücken an den zarten, linden.
Seh' ich sie vor mir stehn,
Mit ihrem hohen Gange gehn,
O, welche Phantasein
Gibt mir der wilde Satan ein!
Kannst du, Gedächtnis, die Erinnrung nicht vernichten,
Muß sie sich dichter stets vor deinen Augen dichten,
Wie am Hochzeitstage auf und nieder
Sich hebend, tanzend bewegte der Schwung der Glieder,
Wie sich in den hellen
Musikwellen
Die zarten Füße badeten im Tanz,
In den Tönen widerschien der Glanz,
Wie die Augen in wunderschönem Entzünden
Nur stiebten, mehr und mehr zu finden,
Wie das Gewand im boshaften Schweben
Bald mutig flog, bald wieder kam,
Bald strebte, den Bau der Glieder frei zu geben,
Bald klügelnd alles dem sehnsüchtigen Blicke nahm.
So meint der Träumer sich im magischen Born zu waschen,
Die dämmernde Geisterwelt in sichtlicher Natur zu haschen.

O Sehnsucht, Sehnsucht, magst mein Leben lösen,
Laß mich vergehn in sanften Liebesthränen,
O tiefe Brust, wenn sich die Seufzer lösen
Und sich im Sterben endiget mein Sehnen,
Wenn sich die innern Geister alle lösen,
So laß mich dann geblendet nochmals wähnen,
Sie stände da vor dem gebrochnen Blicke:
Dann ist der letzte Hauch mein erstes Glücke.

Genoveva tritt auf.

Genoveva.
Die Lilien stehn, wie träumend in dem Grünen,
Die Rosen, von dem goldnen Mond beschienen,
Erwecken sich und rauschen mit leisem Geflüster,
Der hohe Wald ist düster,
Es äugelt die Nacht in den Buchengang hinein,
Ein grünes Feuer, brennt er grünen Schein.

Golo.
Ihr schreitet her und weckt aus verborgnen Tiefen
Die hohen Wunder auf, die unten schliefen.
Schaut um Euch, Holde, wo Ihr geht,
Ein dichtgedrängter Blumengarten steht,
Die Bäume ziehn Euch nach, unter Euren Füßen
Dringt kindisch grünes Gras hervor, den Fuß zu küssen;
Die Blumen erwachen
Vom tiefen Schlaf und lachen,
Und roter wird der Rosen Mund,
Die Wiese wird von Pflanzen bunt,
Sommerlüftchen spielen aus den Zweigen,
Sich häuslich ems'ge Bienen zeigen;
Die goldensten Mondstrahlen schmeichelnd niedersteigen,
Um Euer holdes Haupt die Glorie zu flechten,
Euch dient Natur mit allen ihren Mächten.

Genoveva.
Wie geht's Euch, Golo? Wo seid Ihr gewesen?
Man sieht Euch selten und auch dann nicht froh.

Golo.
Ach, könnt Ihr's nicht in meinen Augen lesen?
Mich nährt jetzt Thränenquell und Ach! und O!

Genoveva.
Ihr müßt von Eurem Übel bald genesen,
Das Leben dünkt ein schwerer Traum Euch so.

Golo.
Ich weiß, es könnte wer den Traum verscheuchen,
Mir zum Geschenk ein wachend Leben reichen.

Genoveva.
Ihr seht, ich spreche, Golo, zu Euch wieder
Und habe fast die Wildheit Euch verziehen.

Golo.
Es beugt mich doch noch, holde Gräfin, nieder,
Daß ich der Lippe freches Wort geliehen.

Genoveva.
Seid nur inskünftige ein Ritter bieder,
So will ich's zu vergessen mich bemühen.

Golo.
Ach! nur zu leicht könnt Ihr mich wohl vergessen!
O, könnt' ich Euch doch auch so schnell vergessen!

Genoveva.
Ich muß nicht nach dem Schloß zu gehn vergessen.

Golo.
Was scheut Ihr mich? Ihr geht mir aus dem Wege?
Ihr blickt mit unsicherm Auge nach mir her?
Bin ich nicht fromm? Bin ich nicht ganz voll Demut?

Genoveva.
Es ist schon spät, ich muß zurücke eilen.

Golo.
Ihr wollt nicht weilen?
Hier ist der Blumenflor und grüne Hain,
Hier ist in kühler, stiller Nacht der goldne Schein,
Was wollt Ihr noch? Die Sterne sind in Pracht,
Aus tausend Augen sieht die goldne Nacht:
Der treuste Wächter Euch zur Seiten,
Für Euch mit Löwen selbst zu streiten.

Genoveva.
Nein, laßt mich fort.

Golo.                             Ihr habt mir nicht vergeben?
Wenn Ihr mir zürnt, wie soll ich leben?

Genoveva.
O, laßt mich, bei den hocherhabenen Gestirnen,
Ich kann auf Euch nicht so, wie ich wohl möchte, zürnen.

Golo.
Das ist der Balsam, der so spät noch niedertaut,
Das ist der längst erharrte Flötenlaut,
Das Mannabrot, das in die Wüste fällt,
Der Segen, der erquickt die dürre Welt,
Der Felsenbronn, der aus dem Berg entspringet
Und in das heiße Thal mit Silberwellen klinget.
Du liebst mich, holde Braut?
Da ist der Tag begonnen,
Da regt und rührt sich's laut,
Da brechen aus den Knospen alle Wonnen.

Genoveva.
O weh mir! Wieder fällt ihn Wahnsinn an!

Golo.
Wohin? Nein, bleibt, Ihr könnt nicht fort,
Hält mich ein Zauber doch in eh'rnen Netzen,
Wie mögt Ihr frei sein? O, es ist gelungen!
Das Morgenrot hat in die Erde sich geschwungen,
Nun bin ich dein, und wir sind unzertrennlich. –
O Holde, sieh, lies in den Blicken, was
Ich dir nicht sagen kann, den Worten nicht vertraun,
Nur Blick in Blick kann diese Sprache reden
Dir gegenüber so, – dies ist sie selbst,
Sie selber, und die Göttliche ist mein!
Ja, Genoveva, wie in schwarzer Nacht
Die Kraft des roten Feuers sich im Dunkeln
Uns offenbart und, wenn die Finsternis
All' Farben weggeschlungen, in den kühnsten leuchtet,
In blendenden Flammen sich blinkend bewegt,
So ist die Liebe in allen Sinnen,
In allen Gefühlen das funkelnde Feuer,
Die Nacht nur offenbart uns, was sie sei,
Der neid'sche Tag wirft seinen leuchtenden Mantel über,
Verhüllet ihr das glorreiche Licht. –
Entweiche nicht, entflieh' mir nicht!

Genoveva.
Unsinniger, was willst du denn beginnen?

Golo.
Zu sehr, zu sehr bin ich in meinen Sinnen,
Soll ich dich nicht mehr sehn, so mach' mich blind.
Doch wenn die Augen nur noch kräftig sind,
Wenn diese Hände noch dich fühlend fassen,
So kann ich dich zeitlebens nicht mehr lassen.

Genoveva.
Wer hilft mir Armen von dem Rufenden?
O Siegfried, mein Gemahl! Wann kehrst du wieder?

Golo.
Nenn' ihn nicht, ihn nicht, dieser Nam' ist Tod!
Er dein Gemahl? Ich war es eh als er;
Was hat er dir zur Mitgift denn gebracht?
Mein bist du, ich gab meine Seligkeit.

Genoveva.
Wer rettet mich? O, will denn keiner hören?

Golo.
Laß sie mich töten, sieh, das ist mein Wunsch,
Laß sie mich martern; wenn sie nur das Herz
Mir lassen, denk' ich dein im Tode noch.

Genoveva.
O Golo! Golo! könnt' ich dich erwecken!
Ach, kam es dahin, daß ich dich verachte?
Daß du mein Abscheu bist?

Golo.                                           Ha! Drago wartet!
Die Bibel wartet, heilige Gebete!
Nicht wahr? O Wut! O Feuerflamme!
Mein wartet – Hört, da singt's in Wolken,
Aus Wassern, aus dem tiefen Thal herauf:
Wo die stillen Bächlein gehn –
Sollst du bald – o bald – drum barmt Euch meiner!
Ihr müßt mich küssen, bei dem Gott, der uns
Erschuf, Ihr sollt, er selber hat's beschlossen.

Genoveva entflieht. Gertrud tritt auf.

Gertrud.
Du Rasender! Was hast du denn gemacht?

Golo.
Nun soll es anders werden, andern Dingen
Denk' ich jetzt nach, es soll und muß gelingen. (Ab.)

Gertrud.
Er ist verrückt; was so schlimm angefangen,
Kann nimmermehr ein gutes End' erlangen. (Ab.)

 

Fränkisches Lager vor Avignon. Nacht.

Siegfried. Otho.

Otho.
Was ist dir, lieber Kriegsgefährte Siegfried?
Die alte Munterkeit ist dir entschwunden,
So sitzest du und nagst dein Herze ab;
Hast schlimme Botschaft aus der Heimat kriegt?

Siegfried.
Nein, Otho, keinen Grund, mich zu bekümmern,
Doch kümmert's mich am meisten, daß ich traurig
So ohne Grund bin, das bedeutet Unheil.

Otho.
Was da von Unheil! Ich bin auch verdrüßlich,
Es macht, weil wir wie träge Tiere hier
Im Lager nisten, keine Kriegsthat üben,
Das macht mich auch mutlos und schwer im Denken;
Doch tummelten wir uns im freien Felde,
Die Fahnen hoch im Fluge uns voran,
Trommeten in dem Rücken hinterdrein,
Der Klang von Schilden und von Schwertern um uns.
Die Trommel in der Ferne laut gerührt,
Die Rosse wiehernd, wir mit Feldgeschrei:
O Siegfried, alle Schwermut wär' entwichen,
Wir tobten trunken in dem Kriegerfest.

Siegfried.
In meinem Herzen ist ein wunderlicher
Tumult, es will da irgend was heraus
Und ängstet sich, ich weiß nicht, was es ist:
Wie einer liegt lebendig eingegraben,
Herauf von unten dumpf nach Hilfe winselt.

Otho.
Still! – Horch', ein Lärmen auf dem rechten Flügel!

Siegfried.
Es ist der Wachen Rufen, die sich lösen.

Otho.
Mir klingt's wie Feldgeschrei in meinen Ohren. –
Sich da, was soll die Flamme doch bedeuten,
Die dort empor von unsern Zelten leuchtet?

Siegfried.
Wachtfeuer sind es in des Mondes Schimmer.

Otho.
Gott helf' mir meiner Sünd', das Lager brennt!
Ich seh' den Rauch, ich seh' die Flamme fressen,
Ich höre schon die Kriegesinstrumente.
Auf, Siegfried! Horch, wie sich der Lärm erhebt,
Wie er emporwächst gleich des Meeres Flut
Und näher sich und näher wälzt.

Siegfried.                                           Die Heiden
Sind aus der Stadt gebrochen.

Hauptleute und Reiter durcheinander.

Hauptleute.                                     Auf, ihr Kriegsmann!Ganz ungewöhnliche Form der Mehrzahl; der einfache Plural »Mann« jetzt noch in Verbindung mit Zahlwörtern.
Es sind die Mohren aus der Stadt gefallen,
Zu 'n Waffen alle! Zu den Waffen! Auf! (Ab.)

Karl Martell mit Gefolge.

Karl
Die Hunde sind ins Lager eingebrochen,
Die Zelte stehn in Brand, sie morden wütend
Die unbewehrten Christen; auf! wer deutsch denkt,
Ermannt euch, all' mir nach, dem Feind entgegen! (Ab.)

Siegfried.
Komm, Freund, die Schwerterfasten ist nun aus.

Otho.
Bei Gott, ich bin lebendig zu dem Streit,
Es bostErbost. mich, daß sie uns so wehrlos fanden.

Siegfried.
Nicht wehrlos, wenn wir noch die Arme rühren. (Ab.)

Karl Martell.

Karl.
Wir gehn zu Grunde! Blutig dräut der Himmel.
Laßt schnell die Mannschaft mit den Äxten rücken,
Die Lanzenträger vor, die schnellen Reiter,
Und links am Fluß die mit den Hellebarden.
Daß Gott erbarm', die Nacht ist fürchterlich,
Es rasen Feind' und Freunde durcheinander;
Es schwimmt die Kreuzesfahn' in Christenblut,
Sie sei das Segel, das uns heimwärts bringt. (Ab.)

Getümmel, Geschrei, Flucht der Christen. Einige christliche Hauptleute treten auf.

Erster Hauptmann. Flieh' fort, wer fliehen kann.

Zweiter Hauptmann. Wohin? In den Fluß? Dem Feind entgegen?

Dritter Hauptmann. Ich liege hier, die Wunde in der Brust ist tödlich. (Fällt.)

Erster Hauptmann. Leb' wohl, Freund.

Otho herein.

Otho. Wo weilt ihr? Wollt ihr fliehn? Zurück, wo der Feind steht! Kommt, Gesindel, in Gottes Namen und zeigt, daß ihr Edelleute, daß ihr Christen seid! Tobt, stürmt, schlagt die Trommeln, daß man unser feiges Winseln nicht hört! – Du, auf da!

Erster Hauptmann. Er ist tot.

Otho. Dann mag er bleiben, dies dient ihm zur Entschuldigung. Wir alle müssen so aussehn wie er oder die Feinde zu seinesgleichen machen. (Ab.)

Ali von der andern Seite mit Gefolge.

Ali.
Sie sind in unsre mächt'ge Hand gegeben!
Sieh, wie der Strom vom Feuerbrand erglänzt,
Man sieht dort unten Christ und Mohren kämpfend.
Heut' wird der Mond das Kreuz verdunkeln, Karl
Tobt wie ein wütend Tier, doch ist er schwach.

Hauptmann.
Horch, innerhalb der Mauern gehn die Glocken!

Ali.
So steh' mir Allah bei, was soll's bedeuten?

Hauptmann.
Dort hinterm Walle sprüht ein Feuer auf,
Ich seh' sie oben auf den Zinnen kämpfen,
Wir sind verraten, unsre Wachen drinnen
Sind von den Christen angefallen.

Ali.                                                       Mahom,
Was machst du? Soll dein Bund vergehn? – Beim Himmel,
Nun muß der Muselmann den herbsten Grimm,
Den Feuerzorn den Christ'n entgegenspeien
Ins Antlitz und ihr Blut mit Lüsten trinken!
Hinweg! Die Wut läßt meine Zunge stammeln! (Alle ab.)

Otho wird verwundet von Kriegern hereingebracht.

Otho.
Hier laßt mich liegen, und geht ihr zurück.

Diener.
Ihr seid nicht sicher, Euch taugt nicht die Luft.

Otho.
Zum Sterben ist jedweder Ort noch sicher;
Was kümmern sich die Wunden um die Luft,
Wenn sie der Mohren Säbel nicht gefürchtet?
Denn wißt nur, daß ich lange schon geblutet,
Zuletzt konnt' ich mich nicht mehr halten. Geht!

(Die übrigen ab.)

Wie das Getümmel jetzt dort unten lärmt,
Das Feuer leuchtet bis hieher, der Brand
Im Lager, Feuer in der Stadt, das Schrein,
Der Klang der Panzer, drin das Glockenläuten,
Wie alles furchtbar sich verwirrt und mengt.
Herr Gott, erbarm' dich meiner. Meine Wunden
Sind brennend wie die Stadt und die Gezelte!
Wie schön das Feuer hier herüberleuchtet!
Wie in der dunkeln Nacht die Flamme glänzt
Und in sich selber tobt mit freier Glut,
Die Funken wirft und weit hinunter blickt,
So wie ein Auge in der Nacht, wie Öffnung,
Wo man durch schwarzen Vorhang Morgen sieht.
Und wie dann alles löscht und in sich sinkt,
Erst Glimmern, dann die Kohle, taube Asche
Zuletzt: so ist des Kriegers Leben auch,
Sein Leben ist der Glanz in öder Nacht,
Was einzeln in der Welt als Funke lebt,
In ihm gedrängt und herrlich grimmig leuchtend.
Dem Feind Verderben, seinen Freunden Schutz.
Ihn wälzt der Schlachttumult hinauf, hinab,
Er kämpft die Wogen unter sich, entzündet
Im Kriegeszorn, dann löscht er in sich selber,
Verblutet so wie ich das rote Leben,
Verglimmt, versiegt und über ihm das Dunkel,
Herr Gott, erbarm' dich mein!

Ein andrer Hauptmann.

Hauptmann.                                   Wo seid Ihr denn,
Herr Otho?

Otho.                 Hier, in meines Gottes Namen.

Hauptmann.
Doch nicht verwundet?

Otho.                                   Wie ich hoffe, sterbend.

Hauptmann.
Sterbt nicht, der Feind ist schon zurückgeschlagen
Und Karl Martell mit in die Stadt gedrungen,
Die Bürger ihm entgegen, drin die Mohren
Allseitig eingedrängt; es war ein Metzeln,
Wie nie mein Auge noch gesehn.

Otho.                                                   Doch wir
Sind Meister?

Hauptmann.           Ja, vom Lager ganz und, wie
Ich hoffe, bald auch von der Stadt.

Otho.
So sterb' ich gerne.

Hauptmann.                   Viel der Unsern sind
Gefallen, viele schwer verwundet, Siegfried
Ist scharf getroffen in dem linken Schenkel
Von einem Pfeilschuß.

Otho.                                   Geht nur in die Schlacht,
Daß ich vor Gott zu stehn mich möge sammeln.

(Hauptmann ab.)

Siegfried von Kriegern verwundet hereingetragen.

Siegfried.
Legt mich hierher und helft den Sieg erfechten.

(Krieger ab.)

Otho.
Wie, sehn wir uns denn wieder, Kriegsgefährte?

Siegfried.
Auch du?

Otho.             So können wir noch Abschied nehmen,
Das hab' ich mir gewünscht, nun sterb' ich freudig.

Siegfried.
Du armer Mann, mußt so den Krieg verlassen?

Otho.
Das thut mir weh, da wir schon Sieger sind,
Doch wieder wohl, daß ich in Freiheit sterbe.
Allein, gern will ich dir gestehn, noch mehr
Der Schlachten wünscht' ich zu erleben, öfter
Das Schwert zu brauchen für die deutsche Sache,
Ein Held zu sein und brav erfunden werden.

Siegfried.
Und du mußt sterben?

Otho.                                 Ja, ich glaub's gewiß.

Siegfried.
An dir hat einen Mann der Krieg verloren.
Gern hätt' ich dich noch öfter so getroffen,
Wie ich dich in dem Mohrenkriege traf.

Otho.
Für dieses Leben ist es nun vorüber.
Schmerzt dich die Wunde?

Siegfried.                                   Ja, sie sticht, der Pfeil
Ist noch darin, es war kein Arzt zugegen.

Otho.
Wird jenseit auch wohl Krieg zu führen sein?

Siegfried.
Da ist kein Hader, da gilt keine Zwietracht.

Otho.
Doch gegen Satan, seine Legion.

Siegfried.
Ihn kämpfenBekämpfen wir schon hier, in unsern Lüsten,
Begierden, ungezähmten Wünschen, Zorn
Und Neid und Haß und allen Leidenschaften.
Wenn wir sie überwältigen, ist der Satan
Besiegt, dort ist mit ihm nichts mehr zu schaffen.

Otho.
Ich sterbe doch für Christi heil'ge Lehre?

Siegfried.
Mit deinem Blut hast du sie untersiegelt.

Otho.
Ich werd' ohn' Sakrament und Ölung selig?

Siegfried.
Das Schlachtfeld ist das schönste Sterbebette.

Otho.
So laß uns also, Bruder, Abschied nehmen,
Ich habe keine Freunde, keine Brüder,
Nicht Weib, nicht Kind, noch sonst verwandte Leute.
Drum hätt' ich länger gern dem Krieg gelebt;
Doch soll's nicht sein. – Du bist der einz'ge Mann,
Der mich gekannt, geschätzt, geliebt, drum gib
Mir deine Hand, daß ich sie fühle jetzt –
Die Flammen löschen – tapfrer Freund, fahr' wohl.

(Stirbt.)

Siegfried.
Fahr' wohl, redlich gesinnter Degen du!
Ich finde nicht mehr deinesgleichen wieder. –

Hauptmann tritt auf.

Siegfried.
Wie steht es?

Hauptmann.         Unser ist die Stadt, und Karl
Als Sieger drin, die Mohren all' erschlagen;
Geendigt ist der Krieg.

Siegfried.                           Ich liege hier.
Tragt mich und meinen toten, lieben Freund
In unser Zelt. Gott hat uns geholfen.

 

Zimmer der Gräfin.

Genoveva. Drago.

Drago.
Ihr seid so schweigsam heute nach dem Lesen,
Ist Euch nicht wohl, liebwerteste Frau Gräfin?

Genoveva.
Nicht ganz, und dennoch hab' ich nichts zu klagen,
Wie mir es ist, weiß ich dir nicht zu sagen;
Auch hat mich, was wir in dem Buch gelesen,
Und wie es in der vor'gen Zeit gewesen,
Nachdenklich sehr gemacht und tief betrübt,
Daß alle, die so innig Gott geliebt,
Die mit den Seelen nach dem Himmel strebten
Und himmlisch in dem ird'schen Leibe lebten,
Daß sie kein stilles Glück allhier genossen,
Daß alle für das Heil ihr Blut vergossen.

Drago.
Es hat ja Christus selber uns gelehrt:
»Ich bring' den Frieden nicht, ich bring' das Schwert,
Ich will euch nicht von dem Gesetz befrein,
Nein, mein Gesetz soll doppelt schärfer sein.«
Er ist für uns gestorben als Exempel,
Er selbst zerbrach den gottgeweihten Tempel,
Er gab sich eigen ganz den Menschenleiden,
Den Menschen zu verleihn die Himmelsfreuden,
Ging in den Tod, des Todes Macht zu brechen,
Zur Höll' hinab, des Teufels Macht zu schwächen,
Er gab Verheißung auf das alte Glück,
Bracht' Himmel in das Irdische zurück:
Seitdem ist kein Verwesen und kein Tod,
Im Grabe schläft ein neues Morgenrot.

Genoveva.
Seitdem entschwand Beängstigung und Not,
Wir kennen nun das süße Himmelsbrot.

Drago.
Die Jünger Christi folgten seinen Schritten
Und duldeten wie er so Tod und Pein,
Ihr Glaube und Beglaubigung, wann sie litten,
Ähnlich dem auferstandnen Meister sein;Dem auferstandenen Meister ähnlich (zu) sein, (war,) wenn sie litten, ihr Glaube und (ihre) Beglaubigung.
In der Vernichtung, in der Marter Mitten
Ersahn sie schon des künft'gen Lebens Schein,
Den Heiland über ihren Henkersknechten,
Der sprach: »Getreuen, kommt zu meiner Rechten.«

Zwölf Stühle sahn sie oben zubereitet,
In Wolken hoch den Glanz der goldnen Thronen,
Der Tod war nur ein Strom, der überleitet,
Die Marterdornen schimmervolle Kronen;
Die Seele mit dem Blick hinübergleitet,
In ihres guten Vaters Haus zu wohnen,
Im Tod als Gottes Schüler losgesprochen,
Zum ew'gen Leben durch den Tod gebrochen.

So blieb der Weg mit heil'gem Blut begossen
Den Christensäulen, heil'ge Märt'rer gingen,
Wie sie Leib, Mut an Christi Tisch genossen,
So mußten sie zum Dank ihm beides bringen,
So wuchs, vom roten Regen schön begossen,
Die Kirche sein, gedieh im großen Ringen,
Je mehr gebeugt, je schöner bald verehret,
Je mehr geschmäht, je göttlicher verkläret.

Bald schien der Tag durchs Land, in weiten Reichen
Saß Glaub' und Demut auf den Fürstensitzen,
Es mußten eh'rne Herzen sich erweichen,
Die Fabelgötter wollten nicht mehr schützen,
Die Toten sprachen, predigten die Leichen,
Verstockte fühlten sich vom Geist durchblitzen,
Der Heiland rief, da half kein Widerstreben,
Sie mußten sich ihm all zu eigen geben.

Da meinten sie, der Friede würde kommen,
Doch kann uns nur ein ew'ger Kampf beschirmen,
Wir sehn schon neue Flut daher geschwommen
Und wildre Wogen sich auf wilde türmen;
Es hat des Mahoms Reich Ursprung genommen
Und wütet gleich den giftigen Gewürmen,
So schickt es Gott, daß wir gewappnet bleiben,
Wir können nur im Kampf an Jesum glauben.

Drum wird der Streit auch ewiglich bestanden,
Mit Satan bleibt ein unvergänglich Ringen,
Er fängt und schließt uns ein in seinen Banden,
Wir streben herzlich dann, hindurch zu dringen,
Und ruhn nicht eh, bis Gott uns beigestanden,
Dem wir das ganze Herz zum Opfer bringen.
Und weil des Herren Güt' uns Kinder liebt,
Sind wir in immerwährndem Kampf geübt.

Genoveva.
Drum sind die Leiden uns zur Welt gegeben,
Drum herrscht in uns so Neid wie böse Lust,
Daß wir im Streit mit uns und diesem Leben
Zum künft'gen Morgen läutern unsre Brust,
Und keiner wird zur Demut aufwärts schweben
Der nicht zuvor um seinen Stolz gewußt;
Die Tugend wird durch Prüfung erst gereinigt,
Dann wird der Geist mit Gottes Geist vereinigt.

Drago.
Drum wohl uns, wenn er uns die Prüfung sendet:
Ob dem Bekenntnis irdisches Erdulden;
Er zeigt uns an, daß er sich zu uns wendet,
Lossprechen gerne will von unsern Schulden;
Sind wir in uns und in der Welt verblendet,
Besuchen Engel uns in dem Erdulden,
Und wen sich Gott als Liebsten hat erkoren,
Ward, ihm zu sterben, dieser Welt geboren.

Golo tritt ein mit Benno und andern Knechten.

Golo.
Hier seht ihr selbst was ich zuvor gesprochen,
Ermeßt nun selber, was sie wohl verbrochen.

Genoveva.
Was soll der Überfall in dem Gemach?

Golo.
Wenn alle schlafen, bin ich dennoch wach;
Ich ward gesetzt zum Wächter Eurer Ehre,
Daß ich sie hier wie Siegfried selbst bewähre;
Wie sollt' ich doch dem Grafen Antwort geben,
Ließ' ich hier ungestraft, was seinem Leben,
Ja, mehr als Leben, seiner Ehre droht?
Verlorne Ehre ist zwiefacher Tod.
Ihr glaubtet wohl, ich ließe aus der Acht,
Was ich bemerkt bei Tag und in der Nacht,
Was Ihr wohl gerne Gotte selbst verborgen:
Wie dürft' ich so in meinem Amte sorgen?
Ihr Knechte, greift den Drago, bindet ihn
Mit Ketten fest und, ohne zu verziehn,
Werft in den tiefsten Turm den Schalk hinab,
Dort find' er für die Übelthat sein Grab.

Drago.
Hilf Himmel! ich? Was hab' ich denn gethan?

Golo.
O Freunde, seht den Bösewicht nur an,
Seht diese Blässe auf dem Angesicht,
Wie gegen ihn dies feige Zittern spricht,
Ihr glaubt doch nun, was ich zuvor gesehn,
Ihn Sünde mit der gnäd'gen Frau begehn.

Drago.
O guter Gott, ich rufe dich zum Zeugen,
Ich kann nicht reden und kann auch nicht schweigen –
Die Angst – der Schreck – Herr Golo, Ihr mögt glauben,
So möge Gott mir alle Hoffnung rauben –
O Himmel! Ich in diese Sünde fallen,
Ein Diener ich nur unter den Vasallen. –

Golo.
Kein Wort mehr! Kommt herbei und nehmt ihn, Schergen!

Drago.
Ach! Wohin soll ich doch mein Haupt verbergen?
O, edler Golo, habt doch mit mir Armen,
Mit mir rechtschaffnem Manne doch Erbarmen,
Ihr irrt Euch ja, so wahr der Herre lebt,
So wahr die Seele mir im Busen lebt.

Golo.
Was nützt dein Leugnen und dein weibisch Zagen?
Bist du so kühn, die Frevelthat zu wagen,
So magst du auch dein Schicksal jetzt ertragen.

Drago.
Unschuldig, ach! und keiner will mich hören –
O, laßt mich Euch beim Himmel doch beschwören –

Golo.
Kein Wort! Man führ' ihn fort zum finstern Turm,
Dort nag' ihn Reu' und des Gewissens Wurm!

(Drago wird gefesselt und fortgeführt.)

Genoveva.
O Golo! mochtest du so tief versinken?

Golo.
Wie mag es Euch doch, Freunde, wohl bedünken,
Wenn unser Herr Pfalzgraf zurückekehrte
Und auswärts diese schlimme Botschaft hörte?
Und wie wir seine Ehre nicht bewahrt?
Er strafte unsern Leichtsinn schwer und hart,
Drum müßt Ihr Euch, Frau Gräfin, auch bequemen,
Im andern Turm die Herberg' gleich zu nehmen.

Genoveva.
Du, Golo, weißt, ich brauch' mich nicht zu schämen.

(Alle ab.)

 

Schloßhof.

Wendelin. Else.

Else. O Gott! Habt Ihr's gesehn?

Wendelin. Wohl hab' ich's gesehn; der Hofmeister Golo rast und tobt wie ein wildes Tier, die Gräfin weinte.

Else. Wie hat er sich das unterstehen dürfen? Sie in den Turm gebracht? Wohin soll das ausschlagen?

Wendelin. Er hat's unternommen, so mag er's auch zu Ende führen.

Benno kommt.

Wendelin. O lieber Benno, noch sind wir versteinert. Was sagt Ihr dazu?

Benno. Wozu?

Wendelin. Die Gräfin –

Benno. Dauert sie dich, armer Schelm? Muß der Hofmeister nicht über alle Frevelthaten ein wachsames Auge führen? Wie könnte er sonst vor unserm Grafen bestehen, wenn der zurückkömmt?

Wendelin. Und was soll daraus werden?

Benno. Ihre Schuld ist offenbar, sie wird nun im Turm bleiben, bis der Herr Graf wieder da ist, dann mag der sie richten.

Gertrud kommt.

Gertrud. Wunder über Wunder! Was man nicht in der Welt erlebt!

Else. Liebe Mutter, ist denn kein Erbarmen mehr in der Welt?

Gertrud. Fort, ich muß zum Golo. (Ab.)

Benno. Ihr mögt euch nur auch in acht nehmen, ihr heuchlerisches Volk!

(Alle gehen.)

 

Gefängnis.

Genoveva.
Wie bin ich denn hierher geraten? Wer
Hat Macht, mir doch so schnöde zu begegnen?
Ich hielt' es gern für Traum, allein ich wache,
Ich seh' mich an und kann mich nicht erkennen,
Und doch muß ich es glauben, daß ich's bin.
Und keinen Trost und keine Hilfe mehr; –
Die Dienerschaft ist sein, und keiner wagte
Hervorzutreten, meine Ehre schützend,
Sie gingen scheu beiseit'; was er befohlen,
Ward ausgeführt. – O Golo! – Nein,
Ich will den sünd'gen Namen nicht mehr nennen,
Die Lippen nicht beflecken, ihn zu nennen,
Erinnrung nicht, an ihn jemals zu denken.
Der Kapellan ist tot, wer soll mir raten?
Auch ließen sie ihn wohl nicht zu mir; Wolf
Ist krank und liegt zu Bett. Wie soll es werden?
Ich selber fürchte mich vor meinem Leben,
Es naht die Zeit heran, ich fühl' es wohl,
Ein neues Leben zu gebären. Auswärts
Verreist mein Herr, und keiner steht mir bei.
Was hab' ich denn so schwer versündiget,
Daß ich so schwer es büßen muß? Wenn Frauen
Gedrückt, wie ich, den letzten Tag befürchten
Und wünschen und sich Sorg' und Kummer machen,
So sind Verwandte gegenwärtig, Freunde,
Der Gatte, alle trösten sie ermunternd,
Und ich – Gemahlin eines edlen Grafen,
Und ich – die Tochter eines großen Herzogs,
Muß ohne Schuld, muß ohne Hülfe jammern.

Golo tritt ein.

Genoveva.
Du kömmst zurück mir vor mein Angesicht?
Das ist die größte Schmach von allen noch.

Golo.
O Gräfin! Genoveva! Herzensqual!
O Engel mir! – Was soll ich reden? klagen?
Du kennst mich. Sprich ein Wort und sage mir,
Was soll ich thun? Ob du mir hast vergeben?
Der Satan trieb mich an, da mußt ich folgen –
O redet, hartes Herz; – Ihr schweigt, – nun wohl –
Kein Blick? Kein Auge nach mir hergewendet?
Es sei! Nun ist das Höllenwerk im Gang,
Nun mag es Euch und mich, uns all' zermalmen!
Seht mich nur an, – sprecht nur ein einzig Wort –
Kennt Ihr mich noch? – O Hölle, schling mich ein!
Die Wut – ich möchte mit den Zähnen mich
Zerreißen, Euch zerfleischen, – und wer hindert?

Genoveva.
Der Gott, der unser beider Elend sieht.

Golo.
Gottlob! Ach, Augen, seh' ich euer Licht?
Ich bin in dunkeln Mauern eingenagelt,
Da stoß' ich gegen Wände mein Gehirn
Und schrei' und wins'le, weine nach dem Licht,
O, wenn dann dieser holde Blick mich trifft –
So scheint der junge Tag herein mit Klarheit
Durch die verborgne Ritze meines Kerkers.
Ich geb' Euch frei, wenn Ihr mir freundlich seid,
Wenn Ihr mich frei laßt, – Genoveva, fühlt,
Was ich Euch bin, befehlt, gebietet mir,
Und alles soll geschehn.

Genoveva.                             Laßt mich allein.

Golo.
Ich gehe, andachtsvolle Demut bin ich
In Eurer Gegenwart. O, fühlt mein Herz.
Lebt wohl, lebt wohl, holdsel'ges Bild! Leb' wohl.

(Geht.)

 

Zimmer.

Wolf auf dem Bette, ein Diener.

Wolf. Er wollte kommen?

Diener. Sogleich

Wolf.
Nun geh und laß mich allein. (Diener ab.)
Bald wird die Seele sich vom Leibe lösen,
Der Leib wird in der Erde dann verwesen.
Hat Fegefeu'r mich hell und rein gebrannt,
So ist mein Lauf dem Himmel zugewandt;
Kein Glück mag auf der trüben Erde dauern,
Hier ist nur Sorge, Kummer, Angst und Trauern.

Golo kommt.

Wolf.
Da kommt, der immer meine Freude war,
Der jetzt mich machet aller Freuden bar,
Des Auge mir sonst neue Jugend gab,
Des Blicke jetzt verbittern mir mein Grab,
Von dessen Mund mir Trost und Hilfe kam,
Der jetzt in mir erregt die herbe Scham,
Daß ich zum Bösewicht ihn auferzogen,
Daß ich mit Vaterliebe ihm gewogen,
Daß er als Kind und Knabe mich ergötzt,
Daß ich auf ihn die Wohlfahrt mein gesetzt. –

Golo.
Was soll's, warum habt Ihr mich rufen lassen?

Wolf.
Und doch kann ich den Bösewicht nicht hassen.
O Golo, bist du's noch? Kannst du es wagen
Und noch den Blick des Biedermanns ertragen?

Golo.
Was wollt Ihr? Wahrlich, ich versteh' Euch nicht.

Wolf.
Komm her, mein Kind, komm, gib mir deine Hand. –
Sieh her, ich sterbe, sei mein Trost im Tode.
Als ich dich zu dem mein'gen machte, dacht' ich,
Er wird dich nie verlassen; dunkeln deine Augen,
Ist er die Sonne, die sie helle macht;
Er sitzt bei deinem Bette, ist dein Kind,
Ihm kannst du deinen ganzen Segen lassen.
Ach, Golo, Golo, warum ist es denn
Nun so gekommen?

Golo.                               Ich versteh' Euch nicht.

Wolf.
O, stell' dich taub, o, bleibe nur verstockt;
Der Satan hat vom Guten dich gelockt,
Beim Himmel, nie hast du von mir gelernt,
Wie man sich von der Redlichkeit entfernt.
Du bist entartet, meiner Art zum Trotz,
Und lieblos bist du, aller Lieb' zum Trotz,
Undankbar wie die Hölle, Gott zum Trotz.

Golo.
Was wollt Ihr mir? Fahrt Ihr so fort: ich gehe.

Wolf.
Ha, geh nur fort, ich rufe: wehe, wehe!
Ja, wehe dir, dich hat dein Gott verlassen,
Die guten Engel sind es, die dich hassen.
Ach, Golo, denke doch, wohin das führt,
Wie ungern man die Seele doch verliert!
Bedenke doch die lange Ewigkeit,
Doch hilft es nichts, daß dich zu spät gereut,
Dann bist du in die Finsternis gestoßen,
Zum Licht ist dann die Rückkehr dir verschlossen,
Dann ringst du wohl die Hand' und rufst: »Vergebe,
Mein Vater, daß ich dir inskünft'ge lebe!«
Doch wie du jetzt nicht hörst, dich zu bekehren,
Wird er auch dann auf dein Geschrei nicht hören.
Geh in dich, bess're dich, mein lieber Sohn,
Hab' doch vor Augen deinen Himmelslohn!
Mir wirst du doch die Mär' nicht sagen wollen
Von Genoveva? Das ist für die Tollen;
Ich weiß, sie ist von Sünden wohl so ferne
Wie von der Erd' des hohen Himmels Sterne,
Sie ist so keusch, so tugendlich und rein,
Wie's immer sind des Herrgotts Engelein,
Sie darf getrost das glühnde Eisen fassen,
Es wird sie Gottes Zeugnis nicht verlassen.
Nicht wahr, du wurd'st bethört in deinen Sinnen
Und wolltest, weiß doch selbst nicht was, gewinnen?
O, geh zurück, gesteh dein Übereilen,
Es läßt der Schaden sich noch immer heilen,
O, thu es, Kind, noch eh' dies Auge bricht,
Dann sterb ich in dem Herrn mit Zuversicht.

Golo.
Soll ich vor Euch Verantwortung bestehn?
Mein Herr ist's, dem ich Rede geben muß,
Eur'r Fabeln rührt vom großen Alter her,
Ihr wißt nicht, was Ihr sprecht, drum sei's verziehn
Auf meinen Kopf, was ich verfehlen mag!

Wolf.
Auf deine Seele, ungeratner Schelm!
Ich hätt' es denken sollen, daß ein Bastard,
In schnöder sündenhafter Lust erzeugt,
Von Art nicht läßt und wieder sündhaft wird.
Bist du mir das geworden? Mir ein Herr?
Darfst du die Rede führen? Hätt' ich dich
Ersäuft, als du noch kaum mich nennen konntest,
So wär' ich jetzt zufrieden, und die Frau
Erlitte nicht so große Schmach und Unrecht.
Sonst hab' ich dich gesegnet, heute aber
Verfluch' ich dich mit meinen schwersten Flüchen.
Sei ohne Ruh' und Rast umhergejagt,
Erzittre, wenn es Nacht und wenn es tagt,
Leb' ohne Glück, und wen du erst betrogen,
Von dem sei auch zuletzt und arg betrogen!
Die Todesstunde komme unversehn,
Und ist sie da, sei keiner beizustehn,
Wie ich jetzt einsam ohne Hülfe liege
Und mich in dir, der vor'gen Liebe, triegeBetrüge.,
Kein' Hoffnung soll dir mehr auf dieser Erden
Und jenseit keine Seligkeit dir werden.

Golo.
Nun, alter Wolf, es mag dem also sein,
Ich bin so kalt und taub wie Erz und Stein.

Wolf.
Ach nein, mich reut, mein Golo, was ich sagte,
Sieh, ich vertilge, was ich dir verfluchtWas ich dir fluchend angewünscht.,
Drum läßt es Gott der Herr nicht in Erfüllung;
Nein, Liebster, sieh! den Fluch hab' ich gesagt,
So kann ihn meine Lippe auch vertilgen;
Du bist berückt, doch kehrst du wieder um.
Kenn' ich nicht dieses Antlitz, die Gestalt?
Wie oft hat mich die liebe Hand gestreichelt,
Wie oft hast du mich Vater nicht genannt?
Und dich, dich sollt' ich in der Hölle wissen?
Ach, liebster Sohn, ich kann, ich kann nicht sterben, –
Sieh, wie die Seele erdwärts bangt, da du
Auf Erden bist und nicht auf Gottes Wegen.
Ich habe wild mein Leben hingebraust,
In deinen Jahren war ich so wie du
Ein hitz'ger Bursche, biegen oder brechen
War meine Losung; sicher war kein Mädchen –
Schwer sind die Sünden mir in dieser Stunde –
Ich dacht' auf keine Gattin, hielt's für Thorheit.
So war die Zeit der Jugend mir vorüber,
Ich wußte selbst nicht wie, nun war's zu spät.
Da dacht' ich, mußt doch auch zwei Augen haben,
Die nach dir sehn, zwei Lippen, die dich ehren
Als Vater, Hände, die für dich auch beten.
Da sah ich um nach einem armen Kinde,
Und wie ein Engel schienst du mir entgegen.
So hatt' ich einen Knaben stets gewünscht. –
Sieh, wie ich arm bin, wenn ich dich verliere –
Bekehre dich, mein Sohn – ich kann nicht mehr –
Das Auge – gehst du fort? Ich seh' dich nicht –
Jesus Maria, nimm nun meine Seele. (Stirbt.)

Golo.
Die Nacht bricht dunkler, dunkler noch herein,
Abwärts entflieht das Licht mit seinem Schein,
Ich muß in unterird'schen Höhlen sein
Und nach dem längst verloschnen Funken schrein.
Kein Laut kömmt mir aus seiner Welt entgegen,
Kein Wandersmann aus meinen finstern Wegen,
Ich darf nicht Trost und nicht mehr Hoffnung hegen; –
In Furcht soll sich dies Herz nicht länger regen! (Ab.)

 

Gefängnis.

Genoveva. Gertrud.

Genoveva.
O, martre nicht mein Ohr mit diesen Reden,
Denn nimmermehr wirst du mich überreden.
Kann er sein Herz so tief hinunterzwingen,
Daß kein Gefühl in seine Brust darf dringen,
So mag er keck das Ärgste nur vollbringen.

Gertrud.
Bedenkt, wie wenig frommt der Widerstand,
Gebt ihm doch nach, scheint es doch nur zu thun,
Er wütet, rast und ist sich selbst entfremdet,
Wenn er zurückekehrt, bereuet er.
Seid sänftlich mit ihm, daß er mag rückkehren,
Erbost nicht seine Wut, es steht bei ihm
Eur' Ehre, Leben, und er liebt Euch so.
Ihr beide seid vernichtet, niemals mag
Es freundlich werden, darum weicht der Not,
Sie lehrt uns alles, seid ihr auch behülflich.
Was hindert's Eure Tugend, zu ihm sprechen,
Ihm freundlich sein? Ihr rettet Euch gewiß,
Dann mögt Ihr offen Eure Tugend tragen,
Doch so wird er den Menschen immer fremder.

Genoveva.
Wie soll es werden, meine liebe Gertrud,
Mit mir und mit dem armen Kindelein?
Tragt ihr denn kein Erbarmen? Schickt mir doch
Und bittet ihn darum, daß er bewill'ge,
Daß einige Frauen mir dann Hülfe leisten
In jener Stunde, die ich bang erwarte.

Gertrud.
Sagt es ihm selbst, ich hör' ihn eben kommen. (Geht ab.)

Golo tritt auf.

Golo.
Nun, Büßende, ist bald der Trotz gezähmt?

Genoveva.
Ave Maria, Preis der Mutter Gottes!

Golo.
Und immer, immer noch dein Ohr verschlossen?
Magst du das Licht denn niemals wiedersehn?
Ist dir dein Leben so verhaßt? Nun wohl!
Nur einmal sprich noch. Holde Genoveva,
Es neigt sich alles abwärts, sei mir lieb,
Ein Wort, ein Kuß, nur einmal in den Armen,
Am Herzen dich gefühlt, und du bist frei.

Genoveva.
Und könnt' ich frei sein, möcht' ich's nimmer werden,
In dieser Freiheit wär' ich gar gefangen,
Nein, niemals soll mein Wunsch nach dieser Erden,
Nach Blumenduft und Frühlingslicht verlangen,
Ich will in mir, gedrückt von den Beschwerden,
Im Elendsschmuck als Christi Braut nur prangen,
Er kennt die Seinen an den heißen Zähren,
Und jenseit wird er Linderung gewähren.

Nein, meine Gunst gewährt auch nicht ein Zeichen,
Das kleinste selbst ist, dir gewährt, doch Sünde,
Und lieber will als Opfer ich erbleichen,
Als meine Hand der deinen sich verbünde,
Kein Mitleid soll in meine Seele schleichen,
Und wenn der Tod zu deiner Seiten stünde,
Und könnt' ich dich mit einem Blick beleben,
Es wäre Sünd', mein Auge aufzuheben.

Ha! glaube nicht, durch Schmerz mich zu besiegen,
Fest steht in meinem Busen der Entschluß,
Du magst mit Hunger, Durst mich fort bekriegen,
Und wenn ich sterben und verderben muß.
Ich zagte, beim Gemahle selbst zu liegen,
Und bebte oft vor seinem keuschen Kuß,
Daß Scham-Erröten Liebe abwärts wandteDaß das Gefühl der Scham, das sich im Erröten kundgibt, das Gefühl der Liebe unterdrückte.
Und meine ungewohnte Wange brannte:

Nun sollt' ich dir so freundlich mich bezeigen,
Wie nur der Schwur am Altar es vergönnt?
Ich sollte mein Gewissen in mir schweigenZum Schweigen bringen.,
Die laute Stimme, die mich Buhlin nennt?
Behüt' mich Gott im Himmel vor dem feigen
Entschluß, wie er mein Geist und Herz erkennt,
Daß du mir kannst dies arme Leben nehmen,
Doch nie, daß ich mich selber müßte schämen.

Golo. Und Ihr könnt mein Rasen sehn? Ich hätte mich geirrt, wenn ich dich für das Bild meiner Maria hielt, für die Trösterin in meinen Leiden? Ihr wollt mich grausam sehn, es mag sein. Du hast mich ja geliebt; o sonst, sonst warst du nicht so strenge; sonst war dein Blick milde, da prangte die Welt um mich im Frühlingsschein. Du willst mich martern, zur Hölle locken, du hast die Seele mir abgespielt mit falschen Künsten, und nun soll ich keinen, keinen Lohn dafür erhalten und hoffen? Was ras' ich denn? Was will ich denn? Hat die Welt nicht tausend Mädchen und Frauen, schöner und freundlicher als du? Aber diese, diese herzbannenden Augen, diese Blicke sind es, die den Angel in meinen Busen geworfen haben, da streb' ich und ringe mich loszureißen, und immer, immer tiefer gräbt sich der Haken hinein. Hieher, Genoveva, Weib, jetzt bist du mein, in diesem Kerker verschlossen, und keine Macht soll dich retten.

Genoveva.
Fleuch, feiger Bastard, bist du so verwegen,
Die schnöde Hand an meinen Leib zu legen?
Wagst du, ein Diener, der Gebieterin
Zu nahen mit so wild und frechem Sinn?
So hör' es denn, und dies sei deine Qual,
Ich bin des Grafen Siegefrieds Gemahl,
Der wiederkommt, um deine That zu rächen,
Die Steine werden meine Unschuld sprechen.

Golo.
Ach! Wohin soll ich mich retten?
Höher schlagen alle Flammen
Über meinem Haupt zusammen,
Enger ziehen mich die Ketten.
O Genoveva! edles Weib,
Was trägst du diesen holden Leib?
Wie bist du mir so schön erschienen?
Ich mußte vergehn, oder ich mußte dir dienen.
Mein Herz ist mir verdorrt,
Meine Jugend ist dahin.
Meine Lebenskraft ist fort,
In mir verwest mein frischer Sinn.
Wenn ich den Wald brausen höre,
Wenn ich der Wellen Klang vernehme,
Wie der Sturm über die Flur geht,
So reden sie alle, alle von dir,
Und alle höhnen wie du meine Liebe.
Nicht die Wolken seh' ich ziehn,
Keine Pflanze seh' ich blühn,
Keinen Feuerstrahl erglühn,
Alle, alle geben das Gebot:
Stürze, stürze dich in nahen Tod!
Reiß sie mit hinab
In dein frühes Grab!
Zu spät, umzukehren,
Muß der Frevel ewig währen!
Keine That wäscht sich im Strome rein,
Ewig wird sie in dir sein.

Genoveva.
O, kehrt zurück und laßt die Reue sprießen,
Mit mildem Thränenbach sie zu begießen,
Damit der Herr Euch seinen Beistand leiht,
So glimmt in Euch zurück die Frömmigkeit.

Golo.
Ha! Schlange! daß ich dir glaubte! Neue Heuchelei spricht aus deinem Munde; frei möchtest du werden, um mich zu verderben. Der Tod redet aus dir und glinztGlänzt. aus deinen Augen. Fort! ich kenne dich nicht mehr, Scheusal! Wie bleich, wie entstellt! Großer Gott, das sollte Genoveva sein? Lachen müßt' ich, wenn mir nicht schauderte. Sie, die Schöne, sie, die Holde? Ein Totengerippe. Hinweg, aus diesem Grabe, in dem sich der lebendige Leichnam regt.

(Er entflieht.)

 

Freies Feld.

Heinrich. Else.

Else. Du bist so schnell vom Schlosse zurück?

Heinrich. Ja, Else – und Else, all unser Glück, das wir uns wünschten, alles ist nun zustande gekommen!

Else. Wie das, lieber Knabe?

Heinrich. Ich kann es dir vor Freuden kaum erzählen. Ach, der gute Herr, der Golo! Ihm haben wir alles zu danken.

Else. Nun, wie denn?

Heinrich. O, ich komme zu ihm, so sitzt er in tiefen Gedanken in seinem Gemach, denn es mochte ihm wohl das mit der gnädigen Frauen im Kopfe herumgehn.

Else. Ach, es ist eine betrübte Zeit.

Heinrich. Laß mich nur reden. Ich sag' ihm meine Bitte schlicht und einfältig daher, und da steht er auf und sagt, er könne sie mir nicht gewähren.

Else. Und du bist doch so fröhlich?

Heinrich. Laß gut sein, es kommt ganz anders. Er könne sie mir nicht gewähren, denn er dürfe keinen Leibeignen freilassen, das stehe nur dem Herrn Siegfried zu, wenn der zurückkomme. So sagt' ich, der sei krank in der Fremde, und dürfte sich seine Rückkunft wohl noch lange verzögern, und ich sei dir doch so herzinnig gut, und was ich ihm noch weitersWeiter, ferner. vortragen mochte. So geht er zu einer Truhe und langt dir einen Beutel mit Gold hervor und beschaut ihn mit stummen Gebärden; drauf sieht er mich an und sagt: »Mit dem fremden Eigentume darf ich nicht schalten, aber wohl mit dem meinigen, hier hast du, was mir gehört, kauf' dich los, und es wird dir noch genug übrigbleiben.« Und, Else, er gibt mir den ganzen schweren Beutel und schenkt mir all das Gold, der gute Herr.

Else. Und schenkt es dir? Es ist nicht möglich!

Heinrich. Und schenkt es mir alles und sagt, daß er es nicht brauchte. Ich wußte nicht, wie mir war, ich wollt's erst nicht nehmen, aber er bestand darauf, daß ich es behalten sollte. Nun geh' ich und bezahle meinen Preis und kaufe mich los, und dann, Else, können wir Hochzeit halten, wann wir wollen. O, ich habe schon unterwegs alles gerechnet und eingeteilt, wir sind die glücklichsten Menschen auf der Welt.

Else. O du herrliche, freudenreiche Zeit!

Heinrich. Komm mit mir, ich will gleich alles richtig machen.

(Beide ab.)

 

Golos Gemach.

Golo. Benno.

Golo.
Und keinen Menschen laß zu mir herein,
Ich will kein menschlich Antlitz heute sehn,
Es sollen nur Gedanken bei mir sein,
Ich will in mein Gemüt zurücke gehn.

Benno.
Laßt nur das Denken, teurer Junker,
Es schlägt doch nie zu unserm Vorteil aus. (Ab.)

Golo.
Will ich mit Wein das matte Herz erlaben,
So steigen mir im Rausche Bilder auf,
Die alle nur nach Genoveva deuten.
Will ich bei Mädchen Lust und Freude suchen,
So gehn im Taumel ihre Blicke auf
Und scheinen mich mit aller Freude an
Und tragen Vorwurf in der Lieblichkeit,
Daß ich verzagen muß. – Wie soll es werden? –
Was für ein Schrein ist draußen? Immerfort
Erbebt mein Herz, als wollt' es mir bedeuten –
's ist Gertrud, Benno läßt sie nicht herein, –
Sie dringt herdurch, will sich nicht weisenAbweisen. lassen.

Gertrud tritt auf.

Gertrud.
Ich muß zum Golo! Nun, seid mir gegrüßt,
Mein strenger Junker! Macht Ihr es den Freunden
So sauer, Euch zu finden?

Golo.                                           Willst du was?

Gertrud.
Euch Neuigkeiten sagen, edler Herr,
Euch melden, daß in Genovevas Turm
Nun zwei Gefangne sind; sie ist entbunden.

Golo.
Nun wohl.

Gertrud.
Nein, wohl ist's nicht, so helf' mir Gott im Himmel!
Die arme Frau! Ihr wißt, Ihr könnt nicht fühlen,
Hartherz'ger Mann, was es für Schmerzen sind,
Die im Gebären muß ein schwaches Weib erdulden,
Das Ringen, das Entzünden aller Kräfte,
Die Herzensbangigkeit, wie alle Geister
Nach Hülfe schrein und lieber sterben möchten,
Und doch die Liebe nach dem innern Kinde
Das Leben wieder nach dem Leben treibt. –
O, Golo, viel zu grausam seid Ihr wahrlich.

Golo.
Laß mich in Frieden, geh!

Gertrud.                                   Gottlob, die Gräfin.
Sie hat es überstanden, wunderbar
Hat sie's erlitten. Wie ich zu ihr komme,
Hör' ich das Winseln von dem armen Wurm,
Das sie in matten Armen hält und weint,
Mit Thränen mehr als Muttermilch es säugend.
Sie hatt' es in ein Stück Gewands geschlagen
Und tröstet' es und sprach ihm zu, halb lächelnd
Und halb im Jammer, 's ging mir recht durchs Herz.
Sie sah mich an und hielt das Kind verborgen,
Als wollt' ich es dem Mutterarm entreißen,
Der Knabe schmiegte sich an ihre Brust.
Sie hat das Kind getauft, in höchster Not,
Weil weder Knecht noch Magd zu ihr gelassen,
Es Schmerzenreich genannt; in großen Schmerzen
Ward es geboren, wie sie selber sagt,
In Schmerzen wird sie es ernähren und
Mit allerhöchstem Schmerze sterben sehn.
Nun gebt ihr doch ein wenig bess're Kost
Und Kleider für den Knaben und für sie,
Ein Bett, um drauf zu liegen, warm zu sein.

Golo.
So mag sie sterben, das hat sie verdient;
Ich lieg' auf Foltern, auf der Marterbank,
Sie hat sich nicht um meine Qual gekümmert.

Gertrud.
Und der Knabe?

Golo.
Sie mögen miteinander sterben.

Gertrud.
O, hätt' ich das gedacht, als ich dich säugte,
O, hätt' ich dich mit dieser Hand erwürgt,
Da du so schnöde darfst von Frauen reden,
So kalt das allerherbste Elend sehn!
Sind dies die Augen, die dem Bettler oft
Dein bestes Gold gegönnt mit deinen Thränen?
Ist das die Hand, die Armen oft und Kranken
Den Trost gereicht und milde Gabe? dies
Die Lippen, die das Elend oft getröstet?
O Golo, hab' ich doch gesehn, wie du
Jagdhunden edler warst, wenn sie geworfen,
Daß du für sie gesorgt mit Speis' und Trank,
Für weiches Lager – nein, ich kann nicht mehr,
Der Zorn, die Gall' ersticken meine Sprache!
O Genoveva! Golo! – Gott mit Euch!

Golo.
Wo willst du denn, du tolle Alte, hin?

Gertrud.
Ich weiß nicht! Hin, wo ich nichts mehr von Euch,
Nichts von der Welt mehr seh'. –

Golo.                                                   So gib ihr denn
Das, was sie braucht, und stör' nicht meine Ruh'. (Geht.)

Gertrud.
Ach Gott! wie ist es doch so weit gekommen? (Ab.)

 

Gefängnis.

Genoveva (mit dem Kinde).
Schlafe, mein Kind!
Draußen geht der Wind,
Die dicken Mauern Beschützer sind!
Dein Jammergeschrei
Bricht mein Herz entzwei,
Dein lichter Blick
Ist all mein Glück.
Wenn ich dich tränke,
In deinem Auge mich versenke,
So versiegen,
Verfliegen
Die Bilder der Leiden
Und weichen den Freuden.
Doch wenn ich gedenke,
Daß du, meine Lust,
An Mutterbrust
Verschmachten mußt,
Dann möcht' ich die Seele dein
In Küssen dir entziehn,
Mit dir entfliehn,
Vor Gottes Thron zu sein.
Schlafe, schlafe, mein Kind,
Bös die Menschen sind,
Laß uns sterben, o Gott, gelind!

 

Dorf.

Heinrich, Else als Braut und Bräutigam, Dietrich, Wendelin, Gefolge von Bauern und Bäuerinnen. Gertrud. Musik.

Der Hochzeitsbitter (singt):
Mögen viele lange Jahre
Euch wie heute Lust gewähren,
Kindlein mag euch Gott bescheren,
Die er gnädiglich bewahre.
Auf, singt!
Lustig springt!
Tanzt im Reigen,
Daß sich junges Blut mag froh und munter zeigen.

Heinrich.
O Else, bist du froh?

Else.                                 Wie sollt' ich anders?
Ihr, liebe Mutter, seid nicht recht vergnügt,
Das thut mir leid, an meinem Hochzeitstage.

Gertrud.
Ich bin im Innern froh und wünsche dir,
Daß dir auch alle künft'gen Tage so
Wie dieser heut'ge fröhliglich gedeihn.

Hochzeitsbitter.
Der Winter ist nun fortgezogen,
Bald kommen die Schwalben und bauen das Nest,
Der Baum die Grüne heraußer läßt,
Der Frühling bleibt uns immer gewogen.
Tanzt und springt,
Lärmt und singt!
Daß die jungen Beine
Sich schwenken im Sonnenscheine.

Dietrich. Du hast artliche Lieder; magst du mir einige davon ablassen, so mögen wir einen Tausch treffen, denn ich kann dir dafür andre geben.

Hochzeitsbitter. Gern. Heut' bin ich froh und vergnügt: Juchhei! es lebe das Brautpaar!

    Küssen und Necken
    Soll sie am Morgen
    Lustig erwecken,
    Dann sind sie geborgen.
    Singt und lärmt!
    Denn keiner sich härmt,
    Dazu gibt Gott uns Zeitlichkeit,
    Daß jedes Herz sich herzlich freut.

Wendelin.
Ich kann mich nicht so recht mit euch ergötzen,
Wenn ich an die gefangne Gräfin denke.

Heinrich.
Ei, laß es heut' und sei nur guten Muts.

Dietrich.
Jawohl, heut' ist ein Hochzeitstag, da muß
Jedweder Gast an Lust und Freude denken,
Weil's sonst dem Brautpaar Unheil nur bedeutet.

Heinrich.
Sieh, Dietrich, ganz wie ich mir stets gewünscht
Ist mir's ergangen, jetzt bebau' ich doch
Mein Eigentum im Frieden, sorge für
Die kleine Herde, dort liegt nun mein Acker,
Da meine Wiesen, hier mein lieber Garten,
Mit Kohl, Gemüs' und Obst und was wir brauchen.
Schon wird die Luft von Frühlingswinden warm,
Schon schwärmen meine Bienen, suchen Blumen.
Schon kommt die Saat herfür mit grünen Stengeln –
Ich weiß mich nicht vor Seligkeit zu fassen.
Besuche mich recht oft, mein alter Freund,
Des Abends so, wenn du nichts mehr zu thun,
Da wollen wir uns dann auf Lieder üben.

Dietrich.
Doch laßt uns an das Tanzen wieder gehn.

(Musik und Tanz.)

 

Im Schloß.

Golo. Benno.

Golo. Und du weißt deinen ganzen Auftrag?

Benno. Laßt mich nur sorgen, und Ihr sollt zufrieden sein.

Golo. Daß du dich nicht versprichst und fein alles im Kopfe beisammen behältst; auch daß sie erst seit einem Monate niedergekommen ist, denn der Graf ist nun gerade zehn Monate fort.

Benno. Seid ohne Furcht, die Wahrheit will ich gewiß nicht sprechen; auch ist der Graf nicht so gar behende und sinnreich, daß es sonderlich schwer wäre, ihn zu hintergehn. Lebt wohl.

(Geht ab.)

Golo. Komm zurück, so schnell es möglich ist. (Ab.)

 

Wald.

Grimoald (der einen Baum pflanzt).
Das Bäumchen hier bedeutet meinen Sohn,
Den Traugott; jawohl Traugott, so genannt,
Weil ich auf Gott vertraut, als er geboren,
Weil ich vertraut, daß er ihn lassenAm Leben lassen. würde,
Daß er die Stütze meines Alters wäre.
Nun ist er hin, der Krieg hat ihn gefressen,
Und nicht einmal sein Grab kann ich besuchen.
Wie widerwärtig ist mir nun mein Handwerk,
Wie will mir jetzt so gar nichts Freude machen.
So wachse und gedeihe, grüner Baum,
Du bist mir jetzt statt meines toten Sohns,
Und manchmal will ich Sonntags zu dir kommen
Und mich ins Gras zu deinen Füßen setzen
Und mit dir sprechen, als wenn er es wäre. (Geht ab.)

 

In Avignon.

Benno. Ein Arzt.

Arzt. Durch Eure Zeitung ist die Krankheit viel schlimmer geworden.

Benno. Es sind betrübte Tage; wir alle im Schloß sind hoch bekümmert.

Arzt. Die Wunde kann durch Zorn und Schreck tödlich werden.

Siegfried kommt herein, mit einem Brief in der Hand.

Siegfried.
Erst heut hab' ich den Todespfeil empfangen!
O schmachvoll Weib! O heuchlerische Schlange!
Wie listig, fromm und tugendhaft erschienst du!
In unsern Weibern gab uns Gott den Fluch, –
Daß sie noch lebt, daß ihr Verführer lebt!
Der Schande! Warum hat sie Golo nicht
Alsbald getötet?

Benno.                     Gnäd'ger Graf, er dachte,
Daß Euer Urteil dazu nötig wäre.

Siegfried.
Wie hat sie Gott nicht schnell hinweggerafft,
Eh sie den sündlichen Gedanken faßte?
Ha, wie's in meinem Busen tobt! Wie Schwerter
Zerschneidet's mir so Herz wie Eingeweide,

Arzt.
Ihr müßt Euch doch beruh'gen, edler Graf,
Denn so kann Eure Wunde nicht genesen.

Siegfried.
Wer sagt, daß ich genesen will? Nein, Tod
Ist mein Gedank', mein Wunsch, mein einzig Leben,
Genesung ist für mich im Sterben nur,
Ich will mit eigner Hand das Band aufreißen,
Hinein in meine Wunde wüten, daß
Das Blut in Strömen fließe, meine Schmach
Mit meinem Lehen so zugleich verrinne.

Arzt.
Nein, haltet, gnäd'ger Herr, wir müssen Euch
Gewaltsam zwingen, wenn Ihr Euch nicht kennt.

Siegfried.
Was wollt Ihr denn, daß ich noch leben soll,
Wenn meine Ehre fort ist, die mein Leben?
Ich bin gestorben, wenn ich auch noch atme,
Mich rege, darin ist fürwahr kein Leben.
Mein Weib, die ich geliebt, die ich geehrt,
Die falsch an meinem Halse Thränen weinte,
Als ich zum Kriege reiste, – die ist bös,
Entehrt von einem Diener, mich entehrend,
Die hat das Herz im Busen mir zerrissen,
Die macht, daß ich mir selber nicht vertraue;
Denn sie schien mir das Edelste zu sein,
Das Beste, was die Welt nur hegt, ich war
Ihr Spiegel, sie mein Glück, – verflucht ihr Name
Und jeglicher Gedank', der an sie denkt!
Ich kann nicht mehr, ich fühl' die Kräfte schwinden.

Arzt.
Beruhigt Euch, dies Toben zehrt Euch auf.

Siegfried.
O Genoveva! Warum hast du das
An mir gethan? Erzähle, sprich! der Brief
Genügt mir nicht. Ich seh', wie Golo gern
Es all' verbärge, wenn es möglich wäre.

Benno.
Ihr wart, mein gnäd'ger Graf, kaum abgereist,
So merkten wir zum Drago ihre Liebe,
Sie zog ihn vor, sie sprach mit ihm, er war
Ihr einziger Gefährte und Begleiter,
Doch dachten wir nichts Arges. Golo sprach:
»Wir müssen sie verehren; tugendvoll
Ist ihr Gemüt, und nie erschien es anders,
Drum sei von uns jedweder Argwohn fern.«

Siegfried.
Die Tugend will nicht gern an Laster glauben,
Daran erkenn' ich dich, mein treuer Golo.
So ging es mir, ich hätte ihr vertraut
Mein Gut, mein Leben, meine Ehr' und alles.
Ich hab's gethan, und sie hat es vergeudet
Im schnöden Mut! Indes ich heil'ge Schlachten
Für Gott und Gottes Sohn mit Mut gekämpft.
Hat sie dem Satan sich ergeben wild;
Indes ich litt für Christus' hohe Sache,
Hat sie, die Schändliche, die Lust gebüßt;
Indes ich oft am Abend ihrer dachte,
Wenn mir die Schmerzen keine Ruhe ließen,
An jenem Tag, als unter herber Marter
Der Pfeil gezogen wurde aus dem Fleisch
Mit seinen Widerhaken, ich zu sterben
Vermeinte und den Namen Genoveva
Mit Christi Namen heftig duldend mischte:
Indessen hat sie meiner gern vergessen
Und ihrer niederträcht'gen Lust gedacht.
O Sarazenen, blinde Heiden, nun
Dürft ihr uns keck besiegen, denn bei euch
Ist Keuschheit noch und Tugend, eure Weiber,
Sie wissen für den Gatten noch zu sterben,
Sie dulden alles, nur nicht fremde Liebe.

Benno.
Wir alle sind des Glaubens, daß die Gräfin
Vom bösen Drago Liebespulver kriegte,
Die sie der Scham durchaus vergessen machten;
Denn er ist weder schön noch jung, um Liebe
In einer Brust zu wecken, die gesund. –
Nun ward auch Golo selber aufmerksam,
Er warnte sie, doch in bescheidnen Worten;
Doch gab sie seinen Worten kein Gehör.

Siegfried.
So ist Hispania durch ein Weib verdorben,
Die schuld war, daß die Mohren eingebrochen,
So litt die Christenheit durch böse Liebe
Des RoderichDer letzte Westgotenkönig Roderich soll die Tochter des Grafen Julian, Cava, verführt und diesen dadurch veranlaßt haben, die Araber nach Spanien zu rufen. In der Schlacht bei Xeres de la Frontera (711) fiel Roderich, und das Land wurde eine Beute der Araber.: so sind wohl Reich' und Städte
Schon oft gestürzt durch Schändlichkeit und Lust.

Benno.
»Jetzt«, sagte Golo, »fordert es mein Amt
Und mein Gewissen, die versprochne Treue,
Daß ich nicht länger schweige.« Mit uns draus
Ist er in das Gemach gedrungen, wo
Wir Genoveva mit dem Drago fanden,
Wie ich es Euch nicht wohl beschreiben darf.
Er hieß den Drago in den Kerker werfen,
Noch wollte sie nicht von ihm lassen; drauf
Sah Golo sich gezwungen, auch sie selber
In Turm zu legen, wo sie seit 'nem Mond
Ein Kind zur Welt gebracht, das Dragos ist,
Wie alle sprechen; Euer kann's nicht sein,
Da Ihr schon länger als zehn Monden fort.
Vergebt mir nur, daß ich Euch also kränke,
Der erste bin, der Euch dies Unglück kündet;
Noch nie hat mir mein Dienst so schwer gedünkt.

Siegfried.
Genug! ich will mein Blut bezähmen, mich
Gewöhnen an den schändlichen Gedanken.
Zurück mit aller Eil', und Drago laß
Alsbald des Todes sterben, wie er muß
Nach dem Gesetz, doch Genoveva mag
Auf meine Ankunft warten. Also sei's. (Benno ab.)

Arzt.
Wir wollen jetzt nach Eurer Wunde sehn.

Siegfried.
Die rechte Wunde kann kein Auge sehn.
Ich habe mich gezwungen und bemeistert,
Doch dünkt mir alles immer noch ein Traum.
Ich weiß nicht, wie es ist, die innre Wut
Hat alle meine Kräfte aufgezehrt,
Ich fühl' mich matt und hülflos wie ein Kind.

(Sie gehen.)

 

Siegfrieds Schloß.

Golo. Gertrud.

Golo. Noch kommt Benno nicht zurück, und immer gewaltsamer bedrängen mich meine bösen Ahndungen.

Gertrud. Seid nur mutig, nun kann es doch nicht anders werden, Ihr müßt durch die rauhe Zeit hindurch.

Golo. Wenn der Graf mit ihm zugleich käme!

Gertrud. Warum wollt Ihr das Schlimmste denken? Jetzt liegt alles daran, daß Ihr den Verdacht der Leute im Schlosse nicht vermehrt. Dem Wendelin dürft Ihr nicht trauen; es sind noch andre, die es weniger mit Euch als mit der Gräfin halten.

Golo. Du hast recht, wir müssen hindurch. Wird es nicht alle Tage Abend? Kommt der Morgen nicht nach der fürchterlichsten Nacht wieder? Schon einigemal dacht' ich: die Sonne kann nun nicht mehr aufgehn; und dennoch kam sie mit ihrer ersten Klarheit wieder. So geht die Zeit kalt und gleichgültig an uns vorüber, sie weiß von unsern Schmerzen, sie weiß von unsern Freuden nichts, sie führt uns mit eiskalter Hand tiefer und tiefer in das Labyrinth hinein, endlich läßt sie uns stehn, und wir sehn uns um und können nicht erraten, wo wir sind.

Gertrud. Krank, wie der Graf ist, wird er gewiß über Straßburg reisen, um dort auszuruhn; bis dahin müßt Ihr ihm entgegengehn.

Golo. Wir müssen erst den Benno erwarten.

Gertrud. Dort lebt meine Schwester, in mancherlei Künsten und wunderlichen Werken wohl erfahren, man nennt sie nur die weise Winfreda, von Jugend auf ein böses Kind, auf Ränke ausgelernt, in allen Wildheiten geübt: ich habe sie nachher lange nicht gesehn, dann vernahm ich durch ein seltsam Gerücht, daß sie mit dem Bösen einen Bund geschlossen und Herrschaft über die unterirdischen Geister besitze; ich konnt' es nicht glauben, und doch befand es sich so, als ich sie wiedersah.

Golo. Sie ist mit den höllischen Geistern verbunden?

Gertrud. Sie erzählte mir Dinge, die ich niemals für möglich gehalten, sie zeigte mir Künste, die mir die Haare aufrichteten und mein Blut in Eis erstarrten. Wie unbegreiflich es ist, so wahr ist es doch.

Golo. Und was soll sie uns nutzen?

Gertrud. Sie muß dem Grafen, wenn er in Straßburg ist, irgend ein Blendwerk vormachen, daß er Euren Worten noch mehr glaubt, denn sie kann alles, was sie will. An diese will ich Euch ein Schreiben mitgeben, damit sie Euch vertraut.

Golo. So sei es; vielleicht stirbt Genoveva noch, vielleicht der Graf, so sind wir alles Sinnens frei.

Gertrud. Traut mehr auf Euch, so sind wir um so sichrer.

(Sie gehn.)

 

Schloßhof.

Wendelin. Der Scherge.

Wendelin. Wie geht's dem Gefangenen?

Scherge. Er sitzt in seinen Ketten und winselt den lieben langen Tag.

Wendelin. Was hat der Benno für ein Urteil vom gnädigen Herrn gebracht?

Scherge. Daß er nun nicht mehr zu winseln nötig haben wird. Ich bringe ihm hier ein schlimmes Essen, ein bitterböses Essen, das ihm nicht sonderlich bekommen wird.

Wendelin. Ich versteh' Euch nicht.

Scherge. Diese Schüssel mein' ich, sein heutiges Mittagsbrot; morgen wird er keins mehr bedürfen.

Wendelin. Ihr habt es vergiftet?

Scherge. So hat es der Hofmeister befohlen. Es ist lustig, daß es der arme Kerl in aller Einfalt hineinißt und nichts davon weiß, wie es ihm zuschlagen wird.

Wendelin. Ach, du mein armer Drago!

Scherge. Ihr bedauert ihn wohl noch? Hat er der Gräfin nicht auch Liebespulver gegeben, die sie um ihren Verstand gebracht haben? Nun, ich muß zu ihm, ehe die KöchereiKocherei, das gekochte Essen. kalt wird. (Ab.)

Wendelin.
Wen sollte doch der arme Mann nicht dauern?
Wer wollte wohl in dieser Zeit nicht trauern?
Der fromme Drago muß am Gifte sterben,
Die Gräfin muß im harten Turm verderben;
Oft hör' ich hier das Kind von unten schrein
Und labte gern die Frau mit etwas Wein;
Sie leidet härter als ein Bettler Not,
Sie lebt allein von Wasser und von Brot,
Der arme Knabe muß beinah' verschmachten,
Doch keiner will auf sein Gewimmer achten;
Ach Gott! und ist vom Grafen doch entsprossen!
So schlimm ergeht es jetzt des Glücks Genossen;
Wie gern will ich mein täglich Brot erwerben,
Mit meinem Stand zufrieden ruhig sterben. (Ab.)

 

In Straßburg.

Golo. Winfreda.

Winfreda.
Ihr gebt, mein Herr, mit offnen Händen,
All meine Kunst will ich für Euch verwenden.

Golo.
Nun sagt mir auch, was ich schon erst gefragt,
Wenn Eure Wissenschaft es mag erkunden,
Was mich zu vielen Zeiten schon genagt,
Gepeinigt mich in mannigfalt'gen Stunden:
Wer ist der Mann, der mir den Leib, dies Leben
In heimlicher Erzeugung hat gegeben?

Winfreda.
Ich habe Eure Züge schon erwogen
Und drinnen Kreis' und Linien gezogen:
Ein Krieger war es, ja, ein tapfrer Degen,
Er stand im Feld der Mohrenmacht entgegen,
Da ließ er in der Nacht sein Leben fahren,
An That und Tugend älter als an Jahren,
Der Bravsten einer, die zum Kriege kamen,
Und daß Ihr's wißt, Herr Otho mit dem Namen,
Gerichtet war sein Sinn zu wilder Schlacht,
In Kriegsthat war sein Leben hingebracht,
So kam es, daß er nie von Euch gewußt;
Er zeugte Euch in wild entbrannter Lust,
Und vor ihm stand ein Bild von Tod und Blut,
Kein Stern am Himmel war zur Liebe gut,
Drum kämet Ihr mit wunderbarem Sinn
Und richtet Euch nach Tod und Elend hin;
Ihr könnt nicht anders, so sind die Gewalten,
Die Sternenkräfte, die sich nur entfalten.
Ein solcher Mensch ist nur ein Samenkorn,
In welchem wächst und reift des Schicksals Zorn,
Die andern traf ein lichter Sternenblick,
In ihnen sproßt das Firmamenten-Glück;
Trägt jeder um sich ein fiderisch HausSternenhaus (Schiller im »Wallenstein«: »Des Himmels Häuser«). Die Sterndeuter teilten den Streifen des Himmels, durch den die Sonne während eines Jahres läuft (Tierkreis), in zwölf Abschnitte, Häuser genannt. Das erste Haus war das »Horoskop« (Stundenschau), nämlich der Punkt des Tierkreises, der im Augenblick der Geburt eines Menschen ausgeht. Diesen beobachtete man besonders genau, um aus der Stellung der in dem »Hause« stehenden Gestirne das Schicksal des Menschen vorauszusagen.
Und kann aus seiner Heimat nicht heraus.

Golo.
So ist es; was die Eltern erst verschulden,
Das müssen wir als ihre Strafe dulden. (Ab.)

 

Zimmer.

Siegfried (allein).
Ich kann mein Herz kaum zwingen, es zu glauben;
Zwar magKann (mittelhochdeutsch mae) die List wohl viel und Heuchelei,
Und keiner klagt sich selber gerne an:
Die Einsamkeit, Entfernung des Gemahls
Hat ihrer Furcht den Zügel abgenommen,
Nun war sie ganz, was sie nicht durfte sein.
Doch ist noch stets in meiner Brust ein Kampf;
Wenn ich die Sittsamkeit, die keuschen Blicke,
Die Bangigkeit, die sie in meinen Armen
So oft befiel, das schüchterne Erröten:
Wenn ich dies all in mein Gedächtnis rufe,
So schelt' ich jede Anklag' nur Verleumdung.
Allein die Macht der Zauberei ist groß,
Die hat sie in ein andres Weib verwandelt,
Die innre Bosheit arg herausgekehrt,
Wie man im Traume oft die eignen Wünsche
Zum innigsten Entsetzen kennen lernt.

Golo tritt herein.

Siegfried.
Wie bist du in dem Jahr so bleich geworden,
So kranken Blickes, seit wir uns nicht sahn?
Ich habe dich kaum wieder kennen mögen.

Golo.
Wie kann es anders, da die ew'ge Sorge
Um Euch und Euer Liebstes mich verzehrte?
Wär' ich auch nicht so Euer Freund wie Diener,
Vernähm' ich die Geschichte als ein Fremder,
So würd' ich doch der Menschheit Los beweinen,
So würd' ich eigner Kraft nicht mehr vertrauen.

Siegfried.
Was ist aus meinem Hause doch geworden?
Der Sitz des Friedens ein Verräternest.
Gut, daß ich nicht den Bösewicht mehr finde,
Mein Grimm würd' ihm ein härter Leid bereiten.

Golo.
Er ist nicht mehr und heimlich schon begraben,
Ich sorgte stets dafür, daß nicht zu ruchtbar
Die Schande Eures edlen Hauses würde.

Siegfried.
Sehr wohl gethan: o unglücksvolle Zeit,
Daß dieses Übelthun mir Wohlthun ist!
Was sagtest du mir doch von jener Frau,
Die in der Kunst der Weissagung erfahren?

Golo.
Daß sie die tief verborgnen Dinge weiß,
Und daß Ihr dort, wenn Ihr noch irgend zweifelt,
Mit Augen sehn könnt, was geschehen ist.

Siegfried.
Ich zweifle nicht; wie könnt' ich es bezweifeln?
Wie glücklich wär' ich, dürft' ich annoch zweifeln!
Doch ist's ein seltsam Ding, es zu versuchen,
Auch dünkt mir, möcht' ich kälter, härter werden,
Wenn ich von überird'scher Macht die Wahrheit
Erhalten könnt', es würde jedes Mitleid
Dann in mir sterben; doch verbeut die Schrift
Dergleichen Kunst und daß man sie gebrauche.

Golo.
Kein eitler Fürwitz treibt Euch, edler Graf,
Ihr wollt den Satan nicht, die Hölle necken,
Nur Satans Werk durch die Magie entdecken.

Siegfried.
So komm, vom Himmel zeigt sich schon die Nacht,
Jetzt hat das Reich der Geister seine Macht. (Sie gehen.)

 

Wohnung der Zauberin.

Winfreda.
An seinem Orte hängt der magische Spiegel,
Schon weht die Nacht herauf mit schwarzem Flügel,
Wolken ziehn und fliehn vor des Mondes Scheibe,
Auf Kirchhöfen stehn die Leichen mit blassem Leibe,
In unterird'schen Grüften ein wühlendes Regen,
In oberird'schm Lüften ein spielendes Bewegen,
Geister schauern hernieder
Und gehn und kommen wieder
Auf der schwarzen Leiter der Nacht,
Und oben das böse Verhängnis lacht.
Nun brennt, ihr bläulichen Flammen, mit Zucken,
Nun klingt, ihr Wände, mit Pfeifen darein,
Ihr Farben, macht verworrenen Schein,
Daß wir die zagende Seele berücken;
Der Mondschein
Guckt verstohlen zum Fenster herein
Und will beim Werke zugegen sein.
Die Lichter brennen,
Die Farben schimmern,
Die Steine flimmern,
Die Wände klingen,
Die gemalten Vögel singen,
Die Geister wollen mir all' meine Freude gönnen.

Siegfried und Golo treten herein.

Siegfried.
Heil diesem Hause, das mir Heil soll bringen!

Winfreda.
Weh uns, wenn wir das Heil von außen suchen,
In unserm eignen Herzen muß es wohnen.
Herr Graf, Ihr kommt und wißt nicht, was Ihr sucht.
Ich bin zwar nicht von Gott dem Herrn entfremdet,
Doch ist es besser, Ihr kehrt wieder um,
Noch habt Ihr nicht gehört und nicht gesehn,
Was Euren ird'schen Sinn berücken möchte.
Drum, wißt Ihr, daß das Herz in Euch nicht rein,
Daß Euer Mut in Euch nicht männlich stark,
Daß Ihr's erdulden könnt, so kehret um.

Siegfried.
Nein, heil'ge Frau, denn so muß ich dich nennen,
Dein Wesen, die Gestalt, dies kühne Auge,
Die Frömmigkeit der Rede zeigt mir wohl,
Daß du kein irdisch Wesen, deren Bitten
Der Himmel sich, das Element bewegt.

Winfreda.
Ich bin so sündig wie die andern Menschen,
Doch wurde mir seltsamer Weis' verliehn,
In innre Tiefe der Natur zu schaun.
Da seh' ich, was getrennt, zusammenhängen
Und, was dem blöden Auge einig scheint,
In ferne Grenzen auseinander fliehn;
Wie Stern' im Abgrund die Metalle formen,
Wie Geister die Gewächse figurieren.
Wie sich Gedank' und Wille korporierenFigurieren und korporieren (gestalten), Lieblingswörter Jakob Böhmes öfters bei Tieck.,
Wie Phantasie zum Kern der Dinge dringt,
Durch Einbildung Unmögliches gelingt,
Wie jeder Stein uns stumme Grüße beut,
Alle Dinge nur sind der Geisterwelt ein Kleid.

Siegfried.
Ich höre und vernehme deinen Sinn,
Ich weiß nicht mehr, wo ich und was ich bin.
So dringen deine Worte, diese Klänge,
Wie unsichtbarer Kräfte Lobgesänge,
Die Lichter, die im blauen Scheine flammen,
Die Farben, diese Zirkel, all' zusammen.
Es macht, daß ich mich kaum besinnen kann,
Was ich gewollt; ein Schauer faßt mich an.

Winfreda.
Was kamst du her zu meiner armen Hütte?

Siegfried.
Ich kam zu dir mit dieser frommen Bitte:
Laß mich im Bild mit eignen Augen sehn,
Was in dem Haus, seit ich entfernt, geschehn,
Wie sich mein Weib, die ich geliebt, betragen,
Daß man sie nicht darf ohne Grund verklagen.

Winfreda.
Schau' auf den großen Spiegel, in den Kreisen
Wird jed' Geheimnis sich als offen weisen.

Siegfried.
Was sind das für Figuren und für Schnörkel,
Für Linien und wunderbare Zirkel?

Winfreda.
    In des Kreises Kraft
    Wird gar viel geschafft,
    Wie Netze werden die Linien gestellt
    Der fernen Welt,
    Daß Umriß hier sich feste hält.
    Bald rinnen
    Da drinnen,
    Beginnen
    In luft'gen Geleisen
    Der Bilder Formen sich zu weisen.
    Unwiderstehlich faßt
    Die Linienkunst mit ihren Gebärden
    Den wunderbaren Gast,
    Er muß ihr Freund und Gatte werden.

Siegfried.
Was sollen diese vielen Farben bunt,
Du legst sie eckig bald und wieder rund?

Winfreda.
    Die Farben
    Sind Leben,
    Sie geben,
    Wenn Geister erstarben,
    Den himmlischen Dunst,
    Der Sonnen Gunst,
    Das ist die Kunst.
    In die Netze springen die Schlangen
    Und regen sich drinne mit süßem Funkeln,
    So kriegen die Unsichtbaren Verlangen
    Erheben sich sichtbar aus dem Dunkeln,
    Kommen vom Nichtsein
    Froh in den Lichtschein
    Und regen in Grün und Rot die Glieder,
    Das Element umgibt sie wieder.

Siegfried.
Was stellst du so die blauen Flammen
In wunderlichen Figuren zusammen?

Winfreda.
    Wie freier
    Das Feuer,
    Wie munter
    Und bunter
    In Formen mannigfach glimmt,
    In Farben tausendfach flimmt,
    So gibt es den wilden
    Gebilden
    Atem, Seele, die Natur:
    Vorher sind die Formen purRein, leer..

Siegfried.
Was muß so Singen, helles Pfeifen
Durch das weite Gemach denn schweifen?

Winfreda.
    Das muß sie anschrein,
    Daß sie herzhaft sein,
    Daß aus den Wänden,
    Aus Felsen und fernen Enden
    Sie in das klare Leben
    Sich fröhlich begeben;
    Sie sind in weiter Freie
    Und tragen inn'ge Scheue,
    Sich zu fangen ein,
    In Formen, Farben, Lichten,
    Zu Körpern sich zu dichten,
    Da müssens geängstigt sein
    Von tausend Seiten,
    Daß sie im Streiten
    Hervor uns schreiten
    Und sichtbarlich
    Nachbarlich
    Sich gestalten
    Und kenntlich walten,
    Wie wir es schalten.Lenken, fügen.

Siegfried.
Sieh, alle Zirkel sich ineinander rühren!

Winfreda.
    Das muß das Leben in sie führen,
    Aus tausend Massen sie figurieren;
    Nun klingt durch das Licht der Vogelgesang,
    Nun fühlen die Farben den schwangern Drang
    Nun wird den Linien in sich selber bang,
    Und alles fühlt den magischen Zwang: –
    So wahr mein Blut
    Dir diente gut,
    So gewiß das Hirn
    Bedeutet Gestirn,
    So höre jetzt, wie das Herz dich sucht,
    Wie die Zunge innerlich jenem flucht,
    Der sich ob Stern und Himmel erhebt
    Und dir in allen Reichen widerstrebt;
    So laß es gelingen,
    Was wir vollbringen.

Siegfried.
Mir graust, mein Haar richtet sich empor.

Winfreda.
Erhebe dein Auge hinauf zum Spiegel.

Siegfried.
Ich seh' ihn in sich gären und Wellen schlagen.
Ich höre von innen Gewinsel klagen;
Ich seh' es drinne mit Lichtern tagen.

Winfreda.
Aus dem Licht kam Luft und Meer
Und die Erd' mit Steinen schwer,
Und der Tier' und Vögel Heer.

Siegfried.
Die Formen sind zersprungen, weit hinab
Dehnt es sich innerlich aus, wie grüne Moose
Sprießt es hervor und wächst als Wald auseinander.
Da seh' ich die Bäume, die wohlbekannten, des Gartens,
Da oben den Altan der Burg und unten die Laube,
Es wandeln Gestalten die Gänge hinauf, hinab,
Ich kenne sie alle, da springt und lärmt der Golo,
Der alte Wolf geht gar bedächtlich und sinnend,
Nun kommt – es kommt – ach Gott im Himmel!
Mein' Genoveva in all ihrer Schönheit
Im schwarzen Kleide,
Mit goldnem Geschmeide,
Sie setzt sich nieder, beschaut das Gras,
Zu ihren Füßen wird grüner das;
Da kommt der Drago, bleibt vor ihr stehn
Und hält mit ihr ein freundliches Gespräch. –
Nun, wahrlich! da ist nichts zu schelten.

Winfreda.
Laßt die Zeiten nur weiter gehn,
Sollt Ihr andre Dinge sehn.

Siegfried.
Da sitzen sie nebeneinander
Und schauen sich keck in die Augen,
Sie streichelt ihm die Wange und das Haar, –
Ach, Genoveva, fühl', wie ich für dich erröte!

Winfreda.
Laßt die Zeiten nur weitergehn,
So werden wohl andre Dinge geschehn.

Siegfried.
Was seh' ich da? Sie hängt an seinem Halse?
Sie sinken in die dunkle Laube nieder? –
Er – o, ich kann's nicht dulden, mit der Faust
Will ich den Bösewicht erwürgen! – Wie? –
Der Spiegel fort? die Lichter aus? der Mondschein
Bei uns im einsamen Gemach? Wie ist's?
Wo ist denn all die bunte Welt geblieben?

Winfreda.
Ihr habt mit Eurem Zorn das Werk gestört.
Zu nah' kamt Ihr mit irdischer Glut
Der zarten magischen Welt,
Da hat sie sich in die Unsichtbarkeit gerettet.

Siegfried.
Was will ich denn auch mehr? Mein Golo, auf!
Ersteig dein Pferd und reite mir voran,
So schnell du kannst, die Schändliche zu strafen,
Nicht lebend sei sie mehr, wenn ich dort bin.
Ich mag die Wohnung nicht betreten, wo
Sie ihren gift'gen Hauch, die Schlange, atmet.

(Golo ab.)

Leb' wohl, und Dank dir für das Undankbare,
Wovon du mich so innig überzeugt,
Daß, wenn die Felsen und die Meereswellen
Dagegen predigten, ich ihnen dennoch
Nur taube und verstopfte Ohren böte. (Ab.)

 

Schloßhof.

Else. Ich kann nicht mehr. Meine Mutter krank und im irren Wahnsinn, der wilde Golo mit entsetzlichen Befehlen von unserm Grafen zurückgekommen! Wohin ich nur geh', wanken mir die schrecklichen Bilder und Gestalten nach. – Wie mag es mit dem Drago stehn? Man hört nichts mehr an seinem Turm; letztJüngst (oft bei Tieck). winselte und schrie er gar kläglich, seitdem ist es still, er mag wohl schon tot sein. Und morgen, – morgen in der Frühe soll auch sie sterben. Ach, du gute liebe Gräfin, weinen muß ich über dein unglückliches Schicksal und kann dir doch nichts helfen; meine Thränen, meine Klagen können dir zu keinem Trost gereichen. – Durch dies kleine Fenster kann man tief in ihren Turm hinunterschütten. – Ach, du liebster Jesu Christ, da säugt sie das arme Kind an der Brust: wie ist sie blaß und abgefallen! Ich kenne sie kaum wieder! Wie schlecht und zerrissen ihr Anzug! Wie alt ist sie geworden!

Von unten. Else, bist du da?

Else. Ich fürchte mich. – Es sieht da unten gräßlich aus. Soll ich fortlaufen? Soll ich bleiben?

Von unten. Else!

Else. Ach, liebe Gräfin, ich bin es. Ich sitze hier oben und weine über Euch und Euer Kind; der Golo ist vom Herrn zurückgekommen mit strenger Botschaft. Morgen früh müßt Ihr und Euer Kleiner sterben.

Von unten. Else, wenn du mich lieb hast, so schaff' mir ein Blatt Papier und eine Feder.

Else. Sogleich will ich es Euch von meiner Mutter holen. Die will auch sterben. Gott sei ihr gnädig. Aber was wollt Ihr mit den Sachen machen?

Genoveva. Ich will einen Brief an meinen lieben Gemahl und Herrn zurücklassen und Abschied von ihm nehmen.

Else. Ich gehe, Euch die Dinge zu holen.

 

Zimmer.

Benno, Grimoald, Wein trinkend.

Grimoald. Der Morgen rückt herauf, wir müssen bald an unsre Arbeit gehen.

Benno. Ist dir wohl, ist dir leicht?

Grimoald. Warum das nicht? Es ist ein ehrliches Werk, sie hat den Tod verdient, denn sie ist eine Missethäterin.

Benno. Der Golo hat uns beide, als seine Treuesten, auserwählt; weil er uns vertraut, drum sollen wir den Befehl des Grafen ausführen.

Grimoald. Der es befiehlt, mag es verantworten, ich werde die Wohlthaten nie vergessen, die mir der Golo erwiesen hat. Warum sollen wir die Genoveva erst durch den Wald schleppen, warum stirbt sie nicht hier im Gefängnis?

Benno. Der Hofmeister will es so, es soll dadurch um so weniger ruchbar werden; dort werden sie im stillen Thal verscharrt, und alles ist dann vorbei, als wär' es nimmer gewesen.

Grimoald. Sieh, Freund, doch thäte ich es nicht, wenn mein Sohn Traugott noch lebte; aber so habe ich in der Welt nichts mehr zu hoffen, was gehn mich die Menschen nun noch an?

Benno. Du wirst doch nicht Grillen fangen?

Grimoald. Nein, komm, wir wollen sie fortführen. Es wird heut ein trüber Tag, dicke Nebel liegen auf den Bergen und Wäldern.

Benno. Trink noch, trink.

Grimoald. Ich mag nicht mehr, mir widersteht der Wein. Ihr habt die Gräfin oft hungern und dursten lassen. Was wir hier verschleudern, wäre ihr vielleicht in den Wochen ein Labsal gewesen. Bei Gott! Es ist nicht recht, aber mich geht's nichts an.

Benno. Dich dauert die Ehebrecherin?

Grimoald. Komm jetzt, ich mag nicht darüber sprechen, aber ihr seid wie die wilden Bestien.

Benno. Du bist betrunken. (Sie gehn.)

 

Schloßhof.

Wendelin. Else.

Else.
In meinem Leben werd' ich nicht mehr froh,
Seit ich gesehn, was meine Augen sahn.
Die Welt ist nur ein trüber, finstrer Kerker,
Mit Gift erfüllt, mit Schlangen und mit Kröten,
Wenn solcher Lohn der schönsten Tugend wird.

Wendelin.
Ja, meine Augen sind vom Weinen blind,
Die Nacht hab' ich beim Beten ausgesessen,
Ich glaubte noch, es würde Gott der Herr
Vor diesem Morgen plötzlich Wunder senden
Und Genovevam herrlich schön verklären.
Doch haben sie die Bösen fortgeführt,
Die Teufel in der menschlichen Gestalt.

Else.
O, daß kein Blitz vom Himmel sie getroffen,
Daß aus den Wolken nicht ein Arm gekommen,
Der ihr die Strahlenkrone aufgesetzt
Und ihre Mörder nieder hat geschmettert.

Wendelin.
Die Zeit der Wunderwerke ist vorbei,
Jetzt läßt der Herr die Seinen untergehn.
Mir war es so, als wenn die Jungfrau selbst
Erschiene mit dem Knaben auf dem Arm,
So heilig, so unschuldig ging sie hin;
Sie hatten übers Haupt ihr einen Schleier
Gehängt, man sah nur ihre großen Augen,
So wie die Sonne hinter Wolken scheint.

Else.
So ging sie unbekümmert mit den Mördern,
Nie sehn wir sie mit unsern Augen wieder.

Wendelin.
Entzogen ist sie uns, diebisch entwandt,
Die unser Kleinod war und unser Glück:
Wer darf zur Rechenschaft die Räuber ziehn?

Else.
Man darf nicht sprechen, kaum die Thräne zeigen,
Man muß es sehn und muß dazu noch schweigen.
Lebt wohl, ich muß zu meiner Mutter gehn;
O, möchte sie das Ende leicht bestehn. (Ab.)

 

Felsenthal.

Genoveva mit dem Kinde, geführt von Benno und Grimoald.

Benno.
Hier ist die Stätte, laßt uns stille stehn.

Grimoald.
Wie schauerlich und einsam ist der Platz! –
Was sprecht Ihr denn kein Wort, Frau Genoveva?

Benno.
Was soll sie reden? Ihr Gewissen drückt sie,
Drum mag sie auch mit diesem Schweigen sterben.

Grimoald.
Der Ort kann schon die traurigsten Gedanken
Und Mördervorsatz in der Brust erregen,
Er schickt sich gut zur That, wie zu 'nem Kirchhof.

Genoveva.
O Gott, es ist dein unerforschter Wille,
Ein zweiter Abram muß das Weib hier stehen,
Die Opferung des Sohnes soll geschehen,
Ich halte deinem großen Ratschluß stille.

Nur weinen laß mich, daß ich es verhülle,
Das Aug' in Thränen vor den herbsten Wehen,
Nicht will ich zu dir um sein Leben flehen,
Daß sich die Prüfung dein an mir erfülle.

Ich konnte kaum den meinigen ihn nennen,
Da wird er mir, mein einzig Heil, entrissen,
Errungen kaum, soll ich ihn wieder missen.

Doch wollen sie nicht Kind und Mutter trennen,
Sie trösten mich und wollen uns doch besser,
Uns bringt zur Ruh', zum Grab dasselbe Messer.

Benno.
Bereitet Euch, nunmehr den Tod zu sterben.

Genoveva.
Ich will Euch nicht entrinnen.

Benno.
Der Knabe stirbt zuerst und Ihr nachher.

Genoveva.
Ich will nicht murren; fahrt mich nicht so an,
Laßt mich gelinde sterben, keinen Laut
Und keine Bitte sollt ihr ja vernehmen,
Ich habe mich im stillen drein ergeben.
Da nehmt das Kind und thut nun, wie ihr dürft.
Er sieht nach mir zurück und streckt die Hände
Nach seinem Mutterbusen, der ihn nährte.
Noch einen Kuß – und diesen noch, – nun nehmt ihn.

Benno.
Nun zieh' dein Messer, feiger Grimoald.

Grimoald.
Ich zittre vor der Morgenluft, bald ist's
Vorüber.

Genoveva.     Haltet noch! O, haltet ein!
Ich kann's nicht dulden, nimmer kann's mein Auge
Ertragen, schlachten sehn das liebe Lamm.
Nein, das wär' mehr als Tod, so grause Marter
Kann keine Mutter lebend fühlen, nehmt
Die Messer, stoßt sie erst in meinen Nacken,
Vermischt mit meinem Blut des Säuglings Blut,
So klagen euch nicht meine letzten Seufzer
Vor Gott dem Herren an, der alles sieht,
Und auch, was ich zu dieser Frist empfinde.
O, Benno, was hab' ich dir denn gethan,
Daß du mich also hart verfolgen darfst?
O, seht das Kindlein, wie es nach dem Glanz
Der blanken Messer mit den Händlein langt:
Die Steine hier, sie möchten sich erbarmen,
Wie könnt ihr Menschen doch so gottlos sein?

Benno.
Schweigt endlich, macht Euch nun zum Tode fertig.

Genoveva.
Du wirst dem Richterschwerte nicht entfliehn,
Du drängst mich jetzt, einst wirst du auch bedrängt.
Und du, Gehülfe seines Mordes, bist
Du meinem Hause nicht bekannt? Dein Antlitz
Ist mir nicht fremd.

Grimoald.                     So ist es, gnäd'ge Frau,
Ich brachte Euch die Kohlen sonst zum Schlosse,
Ihr habt mir manchen lieben Blick geschenkt,
Auch manchen Becher Weins und Speis' und Geld.
Es schnitt mir recht durchs Herz, da ich von Euch
So schnöde Lasterthat vernehmen mußte.

Genoveva.
So helf' mir Gott, wie ich unschuldig bin!
So straf' er mich, vergaß ich je der Treue,
Die dem Gemahl die Eh'frau schuldig ist.
O, ihr seid hintergangen, liebe Männer,
Und teilt mit dem Verführer das Verbrechen.

Benno.
Hierher! das sind nur Worte in den Wind.

Grimoald.
Nein, laß sie sprechen, daß wir alles wissen
Und nicht unwissend eine Sünd' begehn.

Genoveva.
Ein böser Mann hat alles angestiftet,
Weil ich nicht Gottes Wort vergessen wollte,
Weil ich die Keuschheit mehr als Leben schätzte.

Benno.
Das Messer ist gezückt, und Ihr sollt sterben.

Grimoald.
Zurück! Sonst stoß' ich dir das blanke Eisen
In deinen Schelmenwanst! Da, laß sie sprechen.

Genoveva.
O, du bist gut, o, du bist mir ein Trost,
In dunkler Wüste unverhofft gesandt,
Erbarm' dich mein und meines armen Kindes,
Zu deinen Füßen knie' ich, sei barmherzig.
Ich kann nicht sterben, ich bin ohne Schuld,
So schuldlos wie dies Kindlein hier an dem,
Was man mich anklagt. O, vergießet nicht
Ein reines Blut, es schreit zu Gottes Thron.
O seht, die Sonne will nicht niederscheinen
Auf solche That, es will das Aug' der Welt
Nicht sehn, was euch auf immer nagen würde;
Ihr wollt mit Menschenaugen, Menschenherzen,
Mit euren Händen dieses Blut vergießen,
Es fließen sehn das dunkle Thal entlang?
O, seht die schwarzen Weiden, wie sie rauschen,
Als wenn sie mit in meine Klage stimmten,
Als gäben sie den Bitten mein Gehör.
Und du willst so dein menschlich Herz verhärten?
Hab' ich nicht schon genug erlitten? Froh
Ward ich des Kindes nicht in schwerer Stunde,
Kein Mensch, der Hülfe mir im Kampf geleistet,
Der Trost mir eingesprochen, da mir bangte:
Da war das Kind und weinte mir entgegen,
Ich konnte ihm zum Gruß nur Thränen geben;
So winselten wir beide, keiner achtet's,
Auch gab mir keiner Labung und Erquickung,
Kein Bett in meinem feuchten, kalten Turm,
Und keiner sah, wie ich mich selbst verzehrte,
Dem Kindlein nur die dürft'ge Kost zu reichen;
Auch Kleidung und Gewand war nimmer da,
Und alles fehlte, was der Bettler hat. –
Nun lassen sie mich noch ermorden, weil
Sie meines Herrn, des Grafen, Zorn befürchten.
Bin ich nicht elend g'nug? O, laßt mich leben,
Um meines Kindes willen laßt mich leben,
In ihm ist Welt und Reichtum und Gemahl
Und alle Herrlichkeit und Wohlergehn.
O, laßt mich leben, daß ich dieses Lämmlein
Zur Gottesfurcht und seiner Lieb' erziehe.

Benno.
Du weinst, du Memme? Das soll Golo wissen.

Grimoald.
Bei Gott, ich hab' die Thränen eingeschluckt,
Mich lang geschämt, nun brechen sie hervor;
Mag er's doch wissen, mag er mich doch töten,
Ich bin kein Tier, wie du, dein wilder Herr. –
Zurück von ihr, das sag' ich dir im guten,
Sonst pack' ich dich, du Schurke, bei der Gurgel,
Und hast das Tageslicht zuletzt gesehn,
Den Mord will ich vor Gott dem Herrn vertreten.
Sei zahm, das rat' ich dir, steck's Messer weg,
So, – nun mag's sein, daß du noch leben bleibst;
Doch hast du's nicht verdient. – Ach, liebe Frau,
Wenn Ihr auch leben bleibt, was wollt Ihr thun?

Genoveva.
Zuerst dir danken, lieber Mann, der mir
Und meinem Kind so hold und lieb gewesen.
Gewiß hast du auch Kinder auferzogen?

Grimoald.
Wir wollen lieber davon stille schweigen;
'nen Sohn, Traugott genannt, ein einzig Kind,
Er ist im Mohrenkriege umgekommen.

Genoveva.
Du siehst ihn dort, er ist dir nicht entronnen.

Grimoald.
Ach, liebe Frau, wo wollt Ihr hin von hier?

Benno.
Wenn wir Euch nun auch leben lassen, dürft
Ihr doch zu Menschen nicht; erführe das
Herr Golo, ließ' er uns mit Martern sterben,

Genoveva.
Zu Menschen will ich nicht, ich hab' gelernt,
Daß man nicht Hülfe muß bei Menschen suchen;
Nein, in die wilden Berge will ich flüchten,
In Wüsten, die kein Menschenfuß betritt,
In Einsamkeit mein Leben dort beschließen,
Mein Kind bei mir, mein'n Trost, mein' einz'ge Freude,
Je ferner von der Welt, je lieber mir.

Grimoald,
So geht, wohledle Frau; da habt Ihr ihn,
Den lieben Knaben – Lachst du mich so an,
Du holdes Kind? Wie ist mir wohl und leicht,
Als hab' ich eine gute That gethan.

Genoveva.
So lebe wohl, es segne dich der Herr.
Komm auf die Pilgerschaft, mein Schmerzenreich. (Geht.)

Grimoald.
Sie muß verschmachten in den Wäldern hier,
Die arme Frau.

Benno.                     Drum war es minder grausam,
Sie schnell mit einem einz'gen Streich zu töten.

Grimoald.
Sprich davon nicht! Kein einzig Wort sprich mehr,
Sonst brech' ich dir noch jetzt den schurk'schen Hals!

Benno.
Mag's sein, doch müssen wir dem Golo sagen,
Daß wir sie umgebracht; und wie soll's werden?
Befahl er nicht, Wahrzeichen mitzubringen,
Die Augen und die Zunge?

Grimoald.                                   Wunderbar
Hat's Gott gelenkt, daß mit uns lief ein Windspiel,
Dem schneiden wir es aus, wie soll er's kennen?
Das arme Tier muß nun unschuldig leiden;
Doch besser, als daß wir die Gräfin mord'ten,
Die uns vor Gottes Richterstuhl verklagt.
Am Ende fürcht' ich mich vor keinem Menschen,
Doch den da oben muß man immer fürchten.

(Sie gehn.)

 

Wald.

Golo.
In diesem Augenblick geschieht die That –
Vom Angesicht der Erd' ist sie vertilgt,
Und ewig niemals kann sie wiederkommen.
Mein Roß ist hingestürzt, ich rennte nach,
Sie zu befreien, sie zu sehn: beschlossen
Vom Himmel selber ist ihr Untergang.
Es kann, es will nicht anders sein, drum sei's;
Schlag frei, mein Herz, nun bist du frei von Furcht,
Es hat sich alles so begeben müssen.
Sie ist gestorben, du hast überwunden,
Dein Schlaf und deine Ruhe kehrt zurück.
Wie braust der Wald, wie ziehn die schweren Nebel!
Der Frühling will nicht kommen, alle Schönheit,
All jugendliches Leben ist gestorben.

Grimoald und Benno kommen.

Golo.
Sie kommen wieder, meine düstren Schergen;
Ich fürchte ihren Blick, die grause Botschaft.
Ja, sie ist tot, sie wagen's nicht zu melden.
Was wollt ihr, Leute? – Hat sie ausgelitten?

Benno.
Sie ist nicht mehr.

Golo.                           Ich mag nichts weiter hören.

Benno.
Wahrzeichen mitzubringen hießt Ihr uns.

Golo.
Ich will nichts sehn, begrabt's bei jenem Baum.

(Sie gehn.)

Wie könnt' ich doch die holden Augen sehn?
So endigt sich mit einem Grabe alles?
Die Henker! Daß sie's wagen durften, sie,
Die hellen Kreise auszuschneiden! Fiel
Kein Zittern die verruchten Hände an?
Die Zunge ruht nun dort, das Saitenspiel
Voll süßester Musik! O, hätte sie
Ein Wort mit ihrer Melodie gesprochen,
Sie hätten sich der That nicht unterfangen.
Leb' wohl, du Genoveva, holdes Bild,
Nun ist es aus mit deinen heil'gen Blicken,
Vorüber ist die Angst und mein Erquicken;
Leb' wohl, du Wald, nie werd' ich sie mehr sehn,
Und ew'ges Elend wird nun mit mir gehn. (Ab.)

Grimoald, Benno zurück.

Grimoald.
Behalt auch meinen Teil vom Mörderlohn,
's ist Sündengeld und schlägt zu Sünden aus.

Benno.
Du bist ein Thor, es sei so, wie du willt. (Ab.)

Grimoald.
Leb' wohl, du Land, das du mich auferzogen,
Ihr Berge, Bäume, denen ich gewogen,
Ihr Linden, hohe Eichen, helle Buchen:
Ich muß mir eine fremde Heimat suchen.
Ich mag den beiden nicht mein Wohl vertrauen,
Drum muß ich nun nach andern Wäldern schauen,
Ich wandre fort in meinen alten Tagen,
Soweit mich nur die Beine wollen tragen. (Ab.)

 

Wüste.

Genoveva (mit fliegenden Haaren).
Wohin? Wohin soll ich mich retten?
Daß ich das Geschrei, den Jammer meines Kindes nicht höre?
Es verschmachtet und hat keine Nahrung
Und wimmert, daß es mein Herz zerbricht.
Ich kann, ich kann nicht helfen
Und muß es nun verhungern sehn.
Ohne Milch sind meine Brüste,
Durch die Wälder bin ich gewandert,
Den Durst mit Wasser stillend,
Mit Gras und Wurzeln den Leib ernährend,
Auf Bäumen in Nächten gewacht,
Vor wilden Tieren in Angst mich bergend:
Nun kann ich nicht mehr helfen,
Es saugt mein Blut das liebe Kind,
Und gern, gern wollt' ich dir es geben,
Müßten wir dann nicht beide sterben.
Ich höre aus der Höhle sein Jammergeschrei!
Ach, wie glücklich ist die Bettlerin auf der Landstraße,
Die den Wandersmann um milde Gabe fleht.
Ich darf mich nicht vor Menschen zeigen,
Auch wüßt' ich nicht den Weg zu finden
Aus diesen verworrenen wüsten Felsen.
Ach, ihr Bäume, erbarmt euch mein!
Erbarme dich, du Sonnenschein!
Wohin soll ich fliehn? Wer steht mir bei?
Ihr Steine, ihr harten Felsen, bewegt euch nicht
Mein tiefes Leid, meine Herzensqual?
Ihr Tiere im tiefen dunkeln Wald,
O, kommt herauf! Ihr Quellen, o gebt mir Labsal
Und springt zur Hülfe dem armen Kinde herbei!
Ach! keiner hört mich!
Die Felsen sind stumm und taub,
Die Bäume rauschen verhöhnend,
Die Quellen murmeln ruhig fort!

Allmächtiger! wie könnt' ich dich vergessen?
Allgegenwärt'ger so in Gras wie Steinen,
Du hörst mich jetzt, hast meiner nicht vergessen,
Vernimmst mein tiefes Flehn, du siehst mein Weinen,
Wenn du nur winkst, so bin ich nicht vergessen,
Aus Berg und Fels muß Hülfe mir erscheinen.
O, guter großer Gott, laß dich's erbarmen,
Mein Kindlein übergeb' ich deinen Armen.

Mein Herze betet und will zu dir dringen,
Ich suche dich mit Sinn und mit Gedanken,
Gedank' und alle Kräfte sind im Ringen,
Die Zuversicht auf dich läßt nimmer wanken,
Ich fühl' mein Flehn durch alle Felsen klingen,
Die Segenshand, und wie sie niedersanken,
Die Worte deines Trostes, wie ein Tauen,
Das neu erfrischt die heiß erstorbnen Auen. – –

Es ist erhört, mein Flehen,
Die Stimme des Jammers ruht,
Zu dir hast du aus den Felsen,
Aus der Not der Welt,
Aus allem Elend, das jetzt und künftig droht,
Die junge Seele hinauf, hinauf zu dir gezogen,
Da steht sie jetzt vor deinem Vaterauge. –

Doch nein! ich schau' mich um, ich sehe dort
In tiefer Höhle lebend noch mein Kind –
Und über ihm ein Wild, das freundlich zahm
Die Milch zur Nahrung ihm gewährt.
O, fromme Hirschin, die aus dunkelm Wald
Von deiner Güte uns gesendet ward! –

Das Kindlein ist gesättigt, lacht mir zu, –
O Herz, o Trost, – so sei die Höhle hier
Uns Haus und Schutz und heil'ge Tempelstelle,
Wo wir dem Ewigen dienen still und fromm.

(Geht in die Höhle.)

 

Siegfrieds Schloß.

Siegfried.
Wie einsam und wie wüst sind diese Mauern!
Ich geh' oft in Gedanken zum Gemache
Der Genoveva, und sie ist nicht dort;
Drago ist tot, und alles ist verändert.
Mir frommt nicht Golos Trost, die Gasterein,
Der Schwarm der Gäste, nichts will mich erquicken.
Warum bin ich im Schlachtfeld nicht gestorben? –
Dann kömmt mir manchmal ein, ich hätte Unrecht
Verübt an Genovev' und ohne Urteil
Sie hingerichtet, ohne Richterspruch.
Seh' ich die Kleidung, die sie ehmals trug,
So geht die vor'ge Zeit durch mein Gedächtnis.
Verwichne Nacht kam alles mir zurück,
Ich hörte sie wie sonst die Laute spielen,
Die Töne thaten freundlich zu mir, mahnten
An alles Glück, nicht könnt' ich sie verscheuchen.

Golo kömmt.

Golo.
Ihr seid zu finster, teurer Graf! in Euch
Verschlossen, gebt Ihr fast dem Grame Raum.

Siegfried.
Ich fürchte gar, ich werde noch verrückt.
So steht mir alles vor, so mahnt mich alles,
Nun fühl' ich's erst, wie ich sie sonst geliebt.

Golo.
Denkt ihres Fehls, so wird die Liebe weichen.

Siegfried.
Verwichne Nacht war mir gar wunderbar:
Mir deucht', ich lebte in der vor'gen Zeit,
Unschuldig war die teure Genoveva,
Vergessen hatt' ich gänzlich ihrer Sünde,
So seltsam zugerichtet mein Gemüt;
Ich liebte sie mit recht inbrünst'gem Herzen
Und fand mein Glück an ihrer holden Brust.
Da kam ein Drache aus der Luft geschossen
Und führte Genovevam mir hinweg.
Ich jammerte und winselte, im Innern,
Recht tief im Herzen ward mir eine Lücke,
Wie weggerissen war's, und dann die Kluft.
Ich stöhnt' und wachte, mußte weiter weinen,
Die Finsternis umher war mir betrübt,
Der Mond schien in die Kammer golden ein,
Vom Garten auf hört' ich die Nachtigall,
Da wußt' ich, daß es Sommer war; vorher
Dünkt' mir, ich läg' im allerhärtsten Winter,
In einem tiefen Raum des Turms gefangen.

Golo.
Der Traum ist wahrlich ohne Deutung nicht:
Der Drache, der Euch raubte das Gemahl,
Das Ihr geliebt, und das Euch wieder liebte,
Ist Drago, er zerstörte Euer Glück.
Wollt Ihr hinuntergehn? Die Gäste warten
Auf Eure Gegenwart, schon ist die Tafel
Gedeckt, dann wollen wir die Jagd beginnen.

Siegfried.
Ich gehe, kommt bald nach, mein lieber Golo. (Geht.)

Golo.
Wo bist du, Benno? Komm herein, mein Benno!

Benno tritt auf.

Benno.
Was habt Ihr zu befehlen, teurer Junker?

Golo.
Ich will dich fragen, ob du mit mir ziehst,
Denn hier ist meines Bleibens länger nicht.
Die Mauern, diese Stein' sind mir zuwider,
Die Türm' hier kann ich nicht vor Augen leiden,
Auch endigt's wohl mal schlimm und geht uns schief.
Der Wolf hat mir ein altes Haus geschenkt,
Das weit hinauf in dicken Wäldern liegt,
Da bin ich vor dem Siegfried sicher. Gehst
Du mit mir oder denkst du hier zu bleiben?

Benno.
Wo Ihr seid, bin auch ich; ich traue selbst
Dem Grafen nicht, denn er ist unbeständig,
Veränderlich gelaunt und wie ein Kind,
Seitdem er aus dem Felde wiederkam.

Golo.
Dort soll die Jagd im Forste uns ergötzen,
Das wilde Echo von den steilen Felsen,
Da jagen wir den Bär, das wilde Schwein,
Da hören wir von hies'gen Mären nichts.
Das Haus ist tief versteckt und schwer zu finden,
Auch fest, daß wir in Ruhe leben können.

Benno.
Ei was, ein Hund, der sich an Euch nur wagt!
Doch besser vorbedacht als nachbeklagt. (Sie gehn.)

 

Wald.

Jagdgeschrei, Siegfried mit Jägern.

Siegfried.
Ihr lust'gen Jäger, tief zum Thal hinunter
Erklingt das Schreien, Bellen, Blasen munter,
Daß sich der Wald in allen Zweigen regt,
Vor Freude sich mit Rauschen schön bewegt.
Hier haltet still und laßt die Hörner klingen,
Auch mögt ihr wohl ein lustig Jagdstück singen.

Jäger (mit Hörnern).
Durch die dicken Zweige grün
Geht der Klang der Hörner hin,
Spricht zu den Vöglein
In belaubten Ästen fein!
Auf! und euch rührt,
Die Kehlen regiert,
Singt dazwischen
Aus allen Büschen!
Sie machen sich auf mit munterm Schrein;
Das schallt in die Jagdmusik hinein,
Kommt Widerhall aus Felsen hinterdrein,
Erschüchtert das Wild so groß wie klein. –
Hurra! ihr jagenden Leute,
Erfreut euch der Beute,
Und heute
Jagt allen Gram in die Weite.

Siegfried.
Nun kommt, ihr habt den Ton gar brav gehalten,
Daß Wald und Horn und Sang zusammenschallten.

(Sie gehn.)

Golo tritt auf mit einer Armbrust.

Golo.
Ich kann nicht jagen, ich bin müd' und matt,
In allen Gliedern krank, der Ton der Hörner
Erfrischt mich nicht wie sonst. Die Armbrust möcht' ich
Auf Siegfried legen, also hass' ich ihn,
Und mich dann selbst hinab zur Tiefe stürzen.
Hier ist der Baum und hier der kleine Hügel,
Wo ihre Zung' und Augen sind begraben.
Sieh, wachsen da nicht schöne Blümlein auf
Und frisches grünes Gras? Die blauen Kinder,
Sie strecken sich hervor, und wilde Nelken.
Ach, küssen muß ich euch, denn ihre Lippen
Durft' ich niemals berühren. Fühlst du, Herz,
Die Gegenwart der teuren Überreste?
Hinunter möcht' ich sinken und im Sterben
Vergehn in tausend, tausend kleine Blumen,
In Tropfen Taus, in klare Silberwellen,
Und so mich tief in das Vergessen tauchen. –
Hinweg! Dies sind noch ihre blauen Augen,
Sie sehn nach mir, die auferstandnen Augen,
Sie blitzen nach mir her und thun ein Grüßen,
Das Gras erregt sich, alle Bäume schelten!
Sie ist es selbst! Wo soll ich mich verbergen?

(Er entflieht.)

 

Zimmer.

Siegfried (mit einem Briefe).
Ha, Bösewicht! Ha, gift'ger Bösewicht!
Unschuldig hingerichtet! Ja, hier steht's,
Und immer hat's mein treues Herz geglaubt.

Wendelin kommt.

Wo bleibt der Golo? Ist er nicht zu finden?

Wendelin.
Er ist im Stall und sieht nach seinem Pferde,
Er kommt sogleich.

Siegfried.                     Geh schnell und heiß ihn eilen!

(Wendelin ab.)

Ja, er hat sie verleumdet, nun ist's klar;
Ich konnt' es niemals glauben, immerfort
Empörte sich mein Geist so schnöder That;
Sie ist von edlen Eltern, fromm erzogen,
Dies Zeugnis, ehe sie zum Tode ging,
Es reimt sich alles, sie entschuldigend
Und Golo anzuklagen, der mir log.

Golo kommt.

Golo.
Ihr habt mich rufen lassen, edler Graf.

Siegfried.
Zu deiner Schmach, zu deiner Schand' und Strafe;
Lies diesen Brief, erröte vor dir selbst.

Golo (liest).
»Du willst es, mein Gemahl, ich soll nun sterben,
Ein schlimmer Argwohn hat dein Herz umzogen,
Doch hat ein böser Mann dich arg betrogen,
Mit mir zugleich erwürgst du deinen Erben.

Ich seh' vor meinem Blick den Tod, den herben,
Ich lüge nicht und habe nie gelogen,
Du liebst mich nicht, doch bin ich dir gewogen,
Lüg' ich, so straf' mich ewiges Verderben.

Ich will mit diesen Zeilen Abschied nehmen,
Schwer sündigst du, doch will ich dir vergeben,
Glaub' mir, daß ich dich immer herzlich liebte.
Verlassen, wirst du bald nach mir dich grämen
Und fühlen, daß ich dir verlor mein Leben,
Weil ich dir treu nie keine Unthat übte.
                                                Genoveva

Siegfried.
Dies fand ich plötzlich heut' in meinem Zimmer,
Und laut bezeugt es ihre volle Treue,
Wie deine Schuld und schwere Missethat.
Du hast mir die Gemahlin schnöd' entrissen,
Sie ungerecht verdammt und umgebracht,
Und dafür zieh' ich dich zur Rechenschaft,
Und denke mir nur nicht mehr zu entgehn,
Denn mit dem Leben büßest du den Frevel.

Golo.
Wo liegt denn ihre Unschuld? Meine Schuld?
Habt Ihr, mein edler Graf, in Eurem Amte
Schon einen Dieb, schon einen Ehebrecher
Erfunden im Verhör, der nicht geleugnet?
Wer mit dem Leugnen zu gewinnen denkt,
Ist thöricht, wenn er nicht die Zunge braucht.
Wer klagt sich selber an? Doch jeder sucht
Von Fehlern sich zu rein'gen mit der Zunge,
Vor andern wie vor sich, drum kann ihr Brief
Sie nicht entschuldigen, mich nicht verklagen.
Wie kommt Ihr auf so böslichen Verdacht?
Wann wies ich Euch in einer einz'gen Handlung,
Ja, ich darf wohl es sagen, einem Wort,
Was Euch berechtigte zu diesem Argwohn?
Ihr kränkt mein Herz, wenn Ihr so böslich denkt.
Wie soll der Diener treu sein, wenn den Treusten
Die Tugend nicht vor schlimmen Händeln schützt?
Ich hab's bedacht und glaube festiglich,
Daß Genovevas Eltern böse Leute,
Die heimlich Sünden auf ihr Haupt gehäuft,
Die in den Kindern werden abgestraft.
So ist es oft, die Eltern scheinen edel,
Doch offenbaren sich in ihren Kindern
Die lang verhehlten Laster plötzlich, sie
Empfangen Schuld und Strafe dann zugleich,
Da jene schuldig lebten ungestraft:
Denn kein Verbrechen wandelt ungeahndet,
Es trägt das Gift in seinem eignen Busen,
Die schwere Zukunft in der Gegenwart.
Auch wirkt auf unsre Leiber das Gestirn;
Wie es bei der Geburt des Menschen steht,
So steigt der Einfluß aus den Kreisen nieder;
Drum rächet nicht an mir, was Gottes ist,
Des Schicksals Schuld, der bösen Steine Einfluß,
Die innere Verderbung der Natur.

Siegfried.
Mir scheint es wahr, was du gesprochen hast,
Erst rührten mich die Worte ihrer Hand,
Nun hast du plötzlich mein Gefühl gewandt;
Dann lockt die Einsamkeit zu andern Thaten, –
Ich bin verwirrt und weiß nicht mehr zu raten. (Ab.)

Golo
Ich weiß es, was ich thu': dir nimmer trauen,
Solang' es Zeit, nach meiner Wohlfahrt schauen;
Im Hofe stehn gesattelt unsre Rappen,
So flieh ich fort mit meinem treuen Knappen. (Ab.)

 

Wüste.

Der heilige Bonifacius tritt ein.

Bonifacius.
So hat es sich an Siegfrieds Hof begeben,
Vernehmet die denkwürdige Geschicht'
Von unsrer Genoveva heil'gem Leben,
Und haltet nicht die Sache für Gedicht.
Gar bald muß sich der Unterdrückte heben,
Und Gott geht mit dem Bösen ins Gericht:
Denn lange zwar bleibt Bosheit oft verschwiegen,
Doch immer wird gerechte Sache siegen.

Graf Siegfried sieht gar wunderbare Zeichen,
Die seine Zweifel nur noch stärker gründen,
Die alte Lieb' zur Gattin will nicht weichen,
Und bald muß er noch andre Sachen finden,
Die jeden Argwohn aus der Seele scheuchen,
Ihm zeigen ganz das Maß von seinen Sünden,
Daß er die reine Gattin hat getötet
Und mit unschuld'gem Blut die Hand gerötet.

In einer Nacht, er kann in Angst nicht schlafen,
Da, dünkt ihm, tritt ein Wesen in die Kammer,
Es hebt die kalte Hand, ihn zu bestrafen,
Sein toter Blick verkündigt Pein und Jammer;
Es wälzt sich in das Bett zum bleichen Grafen
Und legt sich an ihn; er ruft in die Kammer
Die Diener sein, daß sie ihm Hülfe bringen,
Indes den Geist die Wände in sich schlingen.

Die Diener gehn, er richtet sich zum Beten,
Doch plötzlich hört er Eisenketten klirren,
Und das Gespenst erscheint an selber Stätten,
Um ihm so Sinn wie Glauben zu verwirren.
Er sieht es wieder nach dem Bette treten,
Ihm schaudert's kalt, der Geist läßt sich nicht irren:
Er starrt ihn an mit seinen toten Blicken,
Bleibt kühnlich und will nicht von dannen rücken.

Da sprach der Graf: »Wer bist du, Jammerbild,
Daß du so darfst des Schlosses Ruhe stören?
Sag' an, was du von uns verlangen willt,
Wir wollen deine Bitte gern gewähren;
Wenn irgend was dich zu erlösen gilt,
So zeig's uns an, wir lassen uns belehren,
Daß man dir irrem Geist Erquickung brächte,
Und du nicht stören magst die Ruh' der Nächte.«

Und das Gespenst erhebt die weißen Finger
Und winkend fängt es an hinwegzuschleichen,
Die Bangigkeit des Grafen wird geringer,
Er folgt des Nachtgeists unverstandnem Zeichen;
Der führt ihn tief in seines Schlosses Zwinger,
Dort bleibt er stehn, und eh' er will entweichen,
Legt er die Hand und Kette auf die Erde
Und schwindet mit entsetzlicher Gebärde.

Die Diener kommen auf des Grafen Schrein
Und finden ihn an diesem dunkeln Ort,
Er sagt, wie er gekommen da hinein,
Und wie er ahnde unbekannten Mord.
»Die Erde muß hier stracks geöffnet sein!«
So heischt sein laut und ernstgebietend Wort;
Sie graben gleich, und was sie unten finden,
Ein Leichnam ist's, den Ketten schwer umwinden,

Der Drago wird von ihnen gleich erkannt,
Man sucht ihn schnell zum Grabe zu bestatten,
Der Graf ersieht hierin des Himmels Hand,
Die Seelmess' wird gesungen Dragos Schatten;
Nach Golo, Benno wird alsbald gesandt,
Die lange schon sein Schloß verlassen hatten.
Er ruft, sie kommen nicht, nun sieht er frei,
Daß Drago, Genoveva sündenfrei. –

Sie führt indes ein tief betrübtes Leben,
Nur Andacht kann den Kummer ihr erheitern,
Sie hat sich ganz in ihren Gott ergeben
Und will die Brust von allem Ird'schen läutern;
Sie fühlt um sich die Kraft der Engel schweben,
Und wie sich Sinn und Herz und Glaub' erweitern,
So sitzt die treue, liebevolle Seele
Und schaut hinauf aus ihrer engen Höhle.

Die Hirschin täglich kam, das Kind zu säugen,
Sie war der Genoveva einz'ger Trost;
Die Gräfin selbst muß sich dem Elend beugen,
Und Gras und Wurzeln sind die einz'ge Kost;
Wie mußte sie so tief hinuntersteigen,
An Glück gewöhnt, an Füll' und süßen Most,
Jetzt kann die Erd' ihr selbst nicht das gewähren,
Was sonst die ärmsten Bettler nicht entbehren.

Die Wüstenei anstatt ihr schönes Haus,
Statt ihres Prunkgemachs die finstre Kluft,
Statt Diener gingen Tiere ein und aus,
Statt schöner Speisen Kräuter in der Gruft,
Statt reicher Betten Ängstigen und Graus
Auf dürren Reisern in der kalten Luft,
Der edlen Perlen mußte sie entbehren,
Statt deren dienten ihre heißen Zähren.

Wie mußte sie dies Elend doch empfinden,
Die Herzogstochter, gräfliches Gemahl!
Wann Sommerlüfte spielten in dem linden
Geblüm, so trug sie's leichter noch zumal,
Doch wenn der Winter kam mit scharfen Winden,
Dann ging erst an der armen Frauen Qual,
Ach Gott, wie mußt' sie ob dem Kind sich härmen,
Wie mocht' sie sich, ihr Kindlein auch erwärmen?

Im Dürsten nahm sie Eis in ihren Mund,
Bis es von ihrem Hauch geschmolzen war,
Im Hunger grub sie in den harten Grund
Und machte ihn zuvor des Schneees klarVon Schnee rein, frei.,
Ihr Hölzlein fand nach mancher bittern Stund'
Die Wurzeln in dem Schoß der Erde bar,
Dann mußte sie des grimmen Frostes wegen
Die Händ' und Arm' zur Wärme schnell bewegen.

Wie lang erschienen ihr die Winternächte!
Wie hat sie wohl nach Sonne ausgesehn,
Die ihr den lieben hellen Morgen brächte,
Das klare Licht, die Tagesstunden schön;
Wie rief sie an die Jungfrau, die Gerechte,
Ihr doch bei ihrem Kinde beizustehn,
Damit es ja zu ihrGenitiv von »sie«, altertümlich für: ihrer. und Jesu Ehre
Ein frommes Christenkind erfunden wäre.

Sie drückt' es oft mit Zähren an die Brust,
Damit die Gliederlein ihm nicht erfrieren,
Und wenn's vor Kälte zittern dann gemußt,
So konnte sie den Schmerz oft nicht regieren.
Es ist in wilder Wüst' all ihre Lust,
Und fürchtet, es so schrecklich zu verlieren;
»Du leidest mit mir«, hat sie dann gesprochen,
»Du wirst gestraft und hast noch nichts verbrochen.«

Sie dachte wieder dann an Jesu Wunden
Und was er für der Menschen Sünd' erlitten,
Dann fühlte sie so Herz wie Geist gesunden,
Und mut'ger ward der Kampf alsbald gestritten; –
Also verschwanden ihr gar viele Stunden
Und Monden, Jahre, unter brünst'gen Bitten
Und heil'ger Andacht, ihres Kinds Erziehen,
Indessen sieben Frühling' auferblühen.

Einst lag sie da bei ihrer Höhle knieend,
Die Augen starr zum Himmel hingewandt,
Da sieht sie aus der Höhe niederfliehend
Ein Engelsbild, es trägt in seiner Hand
Ein Kruzifix, von Elfenbeine blühend,
Daran der Jesu Christ gekreuzigt stand:
Das Antlitz, die Gestalt so innig rührt,
Man sieht, daß Engel es gefiguriert.

Kein Auge sah das Bildnis ohne Thränen,
So schön gebild't war Christi großes Leiden,
Die Brust ward unerfüllt mit tiefem Sehnen,
Inbrünst'ger Angst und goldnen Herzensfreuden:
Der Genoveva gab er diesen schönen
Geformten Christ, die Seele dran zu weiden;
Er sprach: »Ich bring' ihn aus den Höhn, den lichten,
Daß du vor ihm magst dein Gebet verrichten.

»Und bist du nun zum Tode tief betrübt,
So schau' mit Aug' und Herzen auf dies Kreuz,
Und wenn dich Drangsal um und um umgibt,
So richte Flehn und Herze nach dem Kreuz,
Wann Ungeduld den Seelenfrieden trübt,
Denk' des Geduld, der dorten hängt am Kreuz,
Dann steht dies Kreuz als Schirm den Feinden vor,
Ein Schlüssel ist es zu des Himmels Thor.«

So sprach er, und das Kreuz blieb vor ihr stehen,
Worauf er in den Himmelsglanz verschwand;
Es war ein Felsenaltar in der Nähen,
Worauf das Kruzifix von selbsten stand,
Und Genoveva kniet in ihren Wehen
Demütig nieder, kaum sich unterwand
Die Fromme, zu dem Weltheiland zu beten,
So schwer ist sie bedrängt von seinen Nöten.

Ihr ist, als muß das Herz im Busen springen,
Doch wird sie noch in Liebe mehr verwund't,
Als sie vernimmt in leisen Tönen singen,
So heilig wie von einem Engelsmund;
Das Bild streckt seinen Arm in während KlingenIn während Klingen, altertümlich statt: während des Klingens.
Und drückt sie an die Brust zur selben Stund'.
Nun war das Kruzifix ihr ein'ges Heil,
Sie dient ihm, betet zu ihm alle Weil'.

Im Sommer sucht sie Blümlein in dem Wald
Und schmückt es bunt, dazu mit grünen Maien,
So wie der Morgen rötet, geht sie bald
Nach Blumen aus, läßt sich nicht Müh' gereuen,
Doch kömmt der Herbst, nach ihm der Winter kalt,
So weiß sie auch das Bild noch zu erfreuen,
Mit Tannenreisern, wilden Distelblüten
Und dunklem Laub, das die Wachholder bieten.

Einst kam der Schmerz in ihre Seele wieder,
Daß sie in Wüstenei hinausgestoßen,
Da setzte sie sich still zum Kreuze nieder
Und klagte, weilWährend (altertümlich). die Augen reichlich flossen:
»O Kruzifix, o Jesu Christe bieder,
Wie ist das Elend um mich her ergossen,
Daß ich als Ehebrechrin dies erduldet!
Wodurch hab' ich so harte Pein verschuldet?«

Da kam ein Stimmlein aus dem elfnenElfenbeinernen Bilde:
»Was hab' ich, Genoveva, doch gesündet,
Daß man mich Menschensohn im Grimme wilde
Ans bittre Holz des schnöden Kreuzes bindet?
Daß man mich mitten in der Sündergilde
Als einen Übelthäter sterbend findet?
Ich starb, den Menschen Heil und Wohlfahrt gebend
Und durch mein Sterben ihren Tod belebend.

»Denn keiner aller, die auf Erden sind,
Kann durch sein Thun das kleinste Glück erwerben,
Und doch kann jedes sünd'ge Menschenkind
Durch seinen Tod des Himmels Leben erben;
Tod ist ihr Leben, und ihr Sehn ist blind,
Geboren werden sie in ihrem Sterben,
So, wer für Gott und Tugend muß erdulden,
Kann diese Leiden nimmermehr verschulden.

»Sein Dulden ist ein himmlisch Freudenreich,
Er zieht den Himmel in sein irdisch Herz,
Er deutet, wie man Gotte strebe gleich,
Er macht zur Seligkeit den ird'schen Schmerz;
Er wird, entblößt, an Himmelsschätzen reich,
Ein Cherubim wird schon sein irdisch Herz,
In ihn hernieder Morgenröte regnet,
Die dort dem großen Morgenrot begegnet.« –

Das kam wie Blumen um sie her entsprossen,
In denen Kinder lieblich tröstend lachen;
Das war wie Funken um sie ausgegossen,
Wie Schimmer, die den Regenbogen machen,
Wie Auferstehung, die ihr Herz genossen,
Wie Heil'ge, die zum Jüngsten Tag erwachen.
Seitdem erlitt sie still mit Freudigkeit
Den Frost, die Blöße, Armutseligkeit.

Der Schmerzenreich erwuchs und lernte sprechen,
Das freute nun gar sehr die Mutter sein,
Sie sah, wie ihm Verstand nicht that gebrechen,
Sein kindisch Reden war ihr Freudenschein,
Doch mußt' ihr Glücke die Betrachtung schwächen,
Daß nackt daherzog dieser Knabe sein;
So mußten sie sich beid in Blöße zeigen
Und deckten sich mit Moos und grünen Zweigen.

Da kam ein Wolf auf einmal hergegangen,
Im Maule trug er eines Schafes Haut,
Die warf er vor dem Kinde und der bangen
Pfalzgräfin hin, die innerlich ergraut;
Doch bald nimmt sie mit dankbarem Verlangen
Und wickelt Schmerzenreich in diese Haut;
So war er sicher vor dem schlimmen Frost,
Und so fand Genoveva ihren Trost.

Es wurde auch das Wild zur selben Zeit
Mit ihnen gar vertraulich und gemein,
Das liebe Kind hat daran manche Freud',
Daß all' um ihn so schön ergötzlich seinHier und anderwärts für: sind gebraucht..
Er ritt auf seinem Wolf gar oftmals weit
In Wald, die Hasen liefen hinterdrein,
Die Vöglein sich auf Hand und Häuptlein schwungen,
Erquickten ihn und sie, so wie sie sungen.

Ging's Kindlein aus, um Kräuter aufzulesen,
So liefen auch die frommen Tierlein mit
Und schieden ihm die guten von den bösen
Mit ihren Füßen, folgten jedem Schritt:
Dann kehrt' er freudig, war er aus gewesen,
Und brachte seiner Mutter Essen mit,
Dann lehret sie ihn Vater unser sagen,
Liebkosend in den schönen Sommertagen.

Doch sprach sie nie, von wem er sei entsprossen,
Damit er nicht zur Welt sich sehnte hin
Und etwa die einfält'gen Spielgenossen
Verachtete mit übermüt'gem Sinn: –
So sind nun sieben Jahre hingeflossen,
Und Genoveva hält es für Gewinn,
In dieser Wüst' zu bleiben, stets ihr eigen:
Sie wird sich dort mit ihrem Kindlein zeigen. (Geht ab.)

Genoveva und Schmerzenreich treten auf.

Genoveva.
Schön warmer Tag. Gelobt sei Jesus Christ!

Schmerzenreich.
Lieb' Mutter, hör', du lehrst mich immer sagen
Im Beten: Vater unser, der du bist
Im Himmel; nun wollt' ich dich gerne fragen,
Ob derselb' Herr denn auch mein Vater ist;
Wenn das, so möcht' ich ihm wohl manches klagen.

Genoveva.
Er ist dein Vater, wohnt in jenen Höhen,
Wo Sonn' und Mond und tausend Sterne stehen.

Schmerzenreich.
Kennt mich denn auch derselbe hohe Mann
Und weiß, daß ich hier tief im Berge bin?

Genoveva.
Er sieht die Welt mit einem Blicke an,
Streut Licht und Segen über Fluren hin.

Schmerzenreich.
Wenn er so große Dinge machen kann,
Was läßt er denn so tief in Not uns drin?
Er läßt mich steck'n und mag mich wohl nicht leiden.

Genoveva.
Nein, Kind, er liebt die Welt und auch uns beiden.

Dies Leben, diese Welt ist nur ein Thor,
Wodurch wir in sein Himmelreich eingehen,
Da kömmt uns Leid und manches Drangsal vor,
Da beißt der Frost, da müssen Stürme wehen,
Doch dann empfängt uns froh der Engel Chor,
Wann wir im hellen Himmelssaale stehen,
All' liebe Kinder, wie du selber bist,
Sie folgen unserm Herren Jesu Christ.

Schmerzenreich.
Hat denn mein Vater auch der Söhne mehr?

Genoveva.
Gar viele; wir sind zwar nur hier allein,
Doch gibt es viele, viele Leute mehr,
Die alle hinter jenem Walde sein,
Der ganz weitab im Scheine glänzt daher;
Da gibt es Städte, Dörfer, Schlösser fein,
Und viele unter ihnen sind die Frommen,
Die auch dereinst in Gottes Himmel kommen.

Schmerzenreich.
Was gehn wir, Mutter, denn nicht zu den Leuten
Und sitzen hier in unserm Berg und Wald?
Ich glaube, daß sie sich gern mit uns freuten
Und wärmten uns, wenn Winde kommen kalt.

Genoveva.
Wir gehen darum nicht nach jenen Weiten,
Daß wir in Gottes Reiche eingehn bald,
Damit wir hier, der Einsamkeit ergeben,
Dem Vater führen ein gefällig Leben.

Schmerzenreich.
Ich will nun gehn und dir dein Essen bringen,
Die Tierlein kommen schon, mich fortzuführen,
Die Vögelein sind dort mit ihrem Singen,
Die Hasen seh' ich da die Ohren rühren;
Ich weiß, daß sie all' gerne mit mir gingen,
Ich spiele gern mit weichen kleinen Tieren,
Wo Kräuter sind, da setzen sie die Hände,
Daß Schmerzenreich sie desto bälder fände. (Geht ab.)

 

Siegfrieds Schloß.

Wendelin. Ein Diener.

Diener. Ist das Verhör bald vorüber?

Wendelin. Der Graf hält mit der Hexe ein gar scharfes Gericht; sie ist überwiesen.

Diener. Auch ist der Scheiterhaufen schon fertig, um sie darauf zu verbrennen.

Wendelin.
Wie gottlos sind doch viele in der Welt!
Daß man sie muß mit Feu'r und Schwert ausrotten,
Erwürgen, schlachten und zu Asche brennen,
Daß sie der Christenheit nicht Schaden bringen.

Siegfried tritt auf.

Siegfried.
Ich bin ermüdet, und die schlimmen Bilder
Verfolgen mich, wo ich nur geh' und stehe.
Ihr, geht hier fort!

Wendelin.                     Ihr seid zu viel allein,
Es zehrt an Eurem Leben, teurer Graf.

Siegfried.
Das soll es, daß ich bald zum Grabe reise.
Geht, lieben Kinder; seid ihr auch zugegen,
Entweichen dennoch die Gedanken nicht.

(Wendelin und Diener ab.)

Stets geht's mir nach und ruft mir: Genoveva!
Wo ich nur bin, steht auch ihr Bildnis da.
Ich kann nicht einsam sein, ich wär's so gern,
Die Luft, die mich umgibt, nennt ihren Namen,
Wenn ich was denken will und mir erwägen,
So kann ich's nicht, im Kopf und innern Herzen
Erblüht sogleich die herrliche Gestalt
Und dehnt sich aus und immer weiter aus
Und zieht vor mir dahin und winkt mich nach.
Ach, könnt' ich sie nur eine Stund' vergessen!
Oft muß ich Dolch und Schwert beiseite legen,
Weil mir der Satan schreckliche Gedanken
In meine Seele gibt, mich zu gewinnen.
Die Diener sehn mich an, als wie ein Kind,
Es wird mir schwer, dem Amte vorzustehn;
Mein Haar ist grau geworden vor der Zeit,
Und mein Gedächtnis schwindet wie dem Greise;
Nur ihrer kann ich denken, meiner Schuld,
Doch was mir sonst geschehn, ist weit entrückt. –
Letzt kam der Bruder her, mich zu besuchen,
Ich konnt' ihn erst nach langer Zeit erkennen,
Da sagt' ich: »Ach, Matthias! bringst du sie,
Die Genoveva mit?« Er sagte: »Nein,
Die ist ja tot.« – »Das ist es, daß sie tot ist«,
So sprach ich, »drum sollst du sie eben bringen.«
Oft weiß ich's nicht, wenn ich so irrig rede.

Wendelin kommt.

Siegfried.
Was gibt's? So laßt Ihr mich nicht ungestört?

Wendelin.
Die Hexe, gnäd'ger Herr, will mit Euch sprechen.

Siegfried.
Befohlen Hab' ich ja, sie zu verbrennen.

Wendelin.
Sie stand schon in der Zauberhütt', anzünden
Will man nun schnell das Pech, da ruft sie laut,
Wir möchten sie noch einmal zu Euch führen,
Sie hab' Euch wicht'ge Dinge zu eröffnen.

Siegfried.
Es kann ihr nicht verziehen werden, Gottes
Gericht ist gegen sie, sie hat bekannt,
Und die Verfluchte ist des Feuers schuldig;
Sie hat manch armes Christenkind verzaubert,
Das Vieh verdorben, Krankheit ausgebracht,
Mit Lug und Trug die Sinne oft geblendet,
Ich mag das Scheusal nicht vor Augen sehn.

Wendelin.
Die Schergen haben sie herausgenommen,
Gar dringend bittet sie, Euch noch zu sehn.

Siegfried.
So bringt sie her, Verzeihung wird ihr nicht.

(Wendelin ab.)

Den frommen Drago hab' ich lassen richten,
Die heil'ge Genoveva lassen töten,
Und Mißgeburten und der Hölle Auswurf
Könnt' ich verzeihn?

Wendelin und die Schergen mit Winfreda.

Siegfried.                         Was willst du, Scheusal, denn?

Winfreda.
Ein Wort mit Euch, mein edler Graf,
Ich kann nicht sterben, denn noch ein Verbrechen
Liegt schwer auf meiner Seele.

Siegfried.                                         Sprich, du Hexe.

Winfreda.
Kennt Ihr mich nicht?

Siegfried.                           Wie sollt' ich? Niemals pflog ich
Mit Hexen Umgang und mit Zauberern.

Winfreda.
Einmal in Straßburg habt Ihr mich besucht
Mit Golo, wo ich Euch Gesichte zeigte
Von Eurer edlen Gräfin Genoveva.

Siegfried.
Bist du es, Scheußliche, die mir gelogen,
Die mich mit Teufelskünsten hat betrogen?

Winfreda.
Die Sinnen hab' ich damals Euch geblendet
Und die Vernunft Euch künstlich abgewendet,
Damit Ihr möchtet Todesurteil sprechen,
An dem unschuldigen Gemahl zu rächen,
Was sie nie in Gedanken hat begangen;
Zu sehr war Eure Lieb' ihr ganz Verlangen.

Siegfried.
O Hölle! Hölle! Was hat dich getrieben,
durch Lug und Trug mit Flammen mich zu füllen?

Winfreda.
Der Golo hatte mich durch Gold bestochen
Und wußte keinen Rat, sich selbst zu helfen,
Als, die Gemahlin mußte plötzlich sterben,
Sonst kam die Unschuld, seine Schuld ans Licht;
Erst hat er sie geliebt, doch nie gelang es,
Sie zu bereden, günstig ihm zu sein.
Drauf hat die Liebe sich in Haß verwandelt,
Dazu die Furcht vor Euch, er sah nur Rettung,
Wenn sie nicht mehr auf Erden; drum bewog
Er mich, die falschen Künste Euch zu zeigen,
So starb sie dann und mußt' es wohl verschweigen.

Siegfried.
Genug! nun führt sie fort in ihre Flammen,
Auf meinem Haupt schlägt Feuer auch zusammen,

(Sie gehen mit Winfreda ab.)

O Genoveva, ach, mit diesen Nägeln
Möcht' ich dich aus dem Boden wieder graben.
Wo find' ich dich? Wo mag ich dich erwecken?
O Golo! Höllenschwarzer Bösewicht!
Wie konnt' ich doch dem niedern Bastard trauen?
Ihn strafen muß ich, und dann will ich sterben!

(Geht ab.)

 

Die Wüste.

Genoveva. Schmerzenreich.

Schmerzenreich.
Was ist dir, Mutter? Ei, wie bist du blaß!

Genoveva.
Ich fühle, daß ich sterben muß, mein Sohn,
Ich gehe von dir, und der Tod ist das,
Der bringt mich nun zu Gottes lichtem Thron.

Schmerzenreich.
Nein, bleiben sollst du, ich dich nimmer lass',
Ich bin dir gut, o, du besinnst dich schon.

Genoveva..
Oft hab' ich dir gesagt, wir müssen sterben,
Hier zeitlich Tod, dort ew'ges Heil erwerben.

Ich fühle nun, daß mich der Tod gerührt
Mit seinem Arme, mit eiskalter Hand,
Er ist Wegweiser, der uns sicher führt
Aus dieser Wüste in das schöne Land,
Wo uns Herr Christ mit seinem Schmucke ziert,
Für Gotteskinder sind wir dort erkannt;
Wie man den Kindern Weihnachtsspiel beschert,
So wird uns dort das Himmelreich gewährt.

Schmerzenreich.
So nimm mich mit zu jenen Blumenhöhen,
Von denen du mir schon so oft erzählt,
Lieb' Mutter, ja, ich kann ja mit dir gehen.

Genoveva.
Allhie zu bleiben, bist du auserwählt.

Schmerzenreich.
Möcht' auch das schöne Land da droben sehen!
Was wird es dir gegeben, mir verhehlt?

Genoveva.
Du mußt, mein Kind, den Gott erst kennen lernen,
Eh' darfst du dich von Erden nicht entfernen.

Schmerzenreich.
Ich kenn' ihn schon, er hängt am Kreuze da,
Schon oft hab' ich ihm meine Not geklagt,
Lebendig ich ihn auch bei Nachte sah,
Doch ist er fort, wenn's hell herniedertagt;
Wenn ich ihn auch nicht seh', ist er mir nah',
Und wohl hab' ich um manches ihn gefragt:
Drum darf ich mich nicht vor dem Gotte schämen,
Und kannst mich drum auch, Mutter, mit dir nehmen.

Genoveva.
Nein, du mußt bleiben, bis er dich verlangt,
Dann läßt er dich von selbsten zu sich bringen.

Schmerzenreich.
Allein zu sein, lieb' Mutter, das mich bangtDas macht mich bang,
Dann freut mich nichts, was meine Vögel singen,
Und fürcht' mich noch, daß mich der Böse fangt,
Dann kann ich nimmer wieder zu dir dringen;
Du hast mich Gott zu lieben ja gelehrt,
Gehst du nun fort, so werd' ich gar verkehrt.

Mir macht das Wild dann nimmer keine Lust,
Kein Eichhorn mich mit Springen dann erfreut,
Und wenn in Angst ich sterben hab' gemußt,
So thut es dir nachher im Himmel leid.
Ich hab' so schöne Frömmigkeit gewußt,
Ave Marie, im Beten recht gescheit,
Doch bist du nun von mir hinweggeflogen,
So werd' ich gottlos und gar ungezogen.

Genoveva.
Mein Kind, du sollst zu Menschen wieder kommen,
Dort hinterm fernsten Walde liegt ein Schloß,
Da hast du, Kind, den Ursprung dein genommen,
Ich war des Grafen Siegfried Ehgenoß;
Dort geh und halte dich alsbald zu Frommen,
So wächst du in der Furcht des Heilands groß,
Du brauchst dich kaum dem Vater dein zu nennen,
Er muß dich an der Ähnlichkeit erkennen.

Und kömmst du dann zu den verständ'gen Jahren,
Wann du des Menschen Thun magst unterscheiden,
So wirst du auch die Ursach' wohl erfahren,
Warum wir beide Einsamkeit und Leiden
Erduldet, doch sollst du dein Herz bewahren
Und dich an keinem Rachgedanken weiden,
Denn der gestanden mir nach Ehr' und Leben:
Ich habe längst dem bösen Mann vergeben.

Leb' wohl, mein Kind, jetzt kommt der finstre Tod,
Ich kann und mag mich seiner nicht erwehren.

Schmerzenreich.
Ach, Mutter mein! Was fang' ich in der Not,
Ich Ärmster, an? Ich kann dich nicht entbehren.

Genoveva.
Schon dämmert mir jenseit'ges Morgenrot.

Schmerzenreich.
Wer soll mich nun von Gott und Christ belehren?

Genoveva.
Schon schlaf' ich ein, es zieht mein Geist von hinnen.

Schmerzenreich.
Wo bin ich denn? Ich kann mich nicht besinnen.

Der Tod tritt ein.Tod und Engel, als leibhaftige Personen auftretend, gehören der mittelalterlichen Bühne an.

Der Tod.
Dein Stündlein ist, o Genoveva, kommen.
Du sollst nunmehr vor Gottes Thron erscheinen.

Genoveva.
Hie bin ich.

Der Tod.           Leicht wirst du der Erd' entnommen,
In Zukunft wirst du keine Thränen weinen.

Genoveva.
So nimm mich fort.

Der Tod.                       Dein Leben ist verglommen,
Der Leib muß sich mit finstrer Erde einen.

Genoveva.
In Jesu Namen.

Der Tod.                   Sense thut schon blinken,
Dein' Lebensstunden alle untersinken.

Zwei glänzende Engel treten herein.

Die Engel.
Halt an, du mit dem Stundenglas und Hippe!

Der Tod.
Was wollt ihr beide, von dem Herrn gesendet?

Die Engel.
Neu Leben bringen wir von unsrer Lippe,
Die Todesstund' sei von ihr abgewendet.

Der Tod.
Noch längres Leiden auf der Erden Klippe?

Genoveva.
Welch Himmelsglanz mir meine Augen blendet!

Die Engel.
Sie soll noch Glück und Frieden wieder sehen.

Der Tod.
So darf ich diese Blume noch nicht mähen. (Geht ab.)

Die Engel.
    Wir heil'gen Engelein
    Von Gott gesendet sein
    Mit frischem Lebensschein.
    Du sollst genesen sein,
    Und kömmt dein Stündelein,
    Daß du zu uns gehst ein,
    Gedenken alle dein,
    Daß es sei sanft und fein. (Gehn fort.)

Genoveva.
O Lichtstrom, o du heil'ge reine Quelle,
Die sich mit Balsamkraft um mich ergossen,
Genesen ist das Herz, die Augen helle,
Durch all mein Sein die Himmelskräfte flossen,
Wo Tod erst stand, sind an der öden Stelle
Im Haupt und Herzen Engel aufgesprossen.
Mein Sohn, hast du den Schimmer nicht gesehen,
Sahst du zwei Flügelkinder bei uns stehen?

Schmerzenreich.
Mir war, als sei ich fest in tiefen Träumen,
Und weiße Lichter um mein Auge spielten,
Als säh' ich Wolken, die mit Gold sich säumten,
Und meine Ohren schön' Gesänge fühlten,
Daß Klang und Glanz hell ineinander schäumten,
Im Wasserspiel rot' Blumen in sich hielten;Der klingende Glanz wird einem Wasserfall oder Springbrunnen verglichen, durch den Blumen hindurchschimmern.
Doch weiß ich nicht, was dieser Traum gewesen,
Schon Glück genug, daß, Mutter, du genesen.

Genoveva.
Der Ew'ge leitet mich auf seinen Wegen,
Und ich empfange, wie er Gaben gibt,
Drum will ich fest den süßen Glauben hegen,
Daß er mich als sein Kind von Herzen liebt;
Vielleicht schickt er mir großes Glück entgegen,
Mag wohlKann wohl sein., daß er mich noch in Leiden übt:
Gepriesen sei sein Nam' zu allen Zeiten,
Von nun an bis in alle Ewigkeiten!

 

Waldgebirge. Nacht und Mondschein.

Golo. Benno.

Golo. Höher, herauf zu mir!

Benno. Wo klettert Ihr hin? Mir schwindelt. Hol' der Henker dies nächtliche Umherstreifen.

Golo. Jetzt bin ich oben, auf dem letzten Gipfel.

Benno. Ich kann Euch nicht nach, mir wirbelt's in all meinen Sinnen. Ich fürchte, unten in den Strom zu fallen.

Golo. Halt' dich an dem vorragenden Gestein.

Benno. Mir zittern Händ' und Füße: die Steine glitschen unter mir ab, das Moos ist glatt.

Golo. Klimm herauf, feiger Knecht! So, da bist du nun.

Benno. Was habt Ihr nun davon, hier oben zu sitzen?

Golo.
Hör', wie der Waldstrom unten braust und schäumt,
Wie golden sich des Waldes Wipfel säumt,
Wie die Strahlen hinunterklimmen,
Im Schein die Fichten flimmenFlimmern.
Wie das Gebirg, in seinen Klippen gespaltet,
Gar wunderbar im Mondschein sich gestaltet,
Wie die Wälder sich rauschend neigen,
Da unten die engen Thäler schweigen,
Aus Felsenritzen Nebelwolken steigen,
Wie die Sterne über uns stehn,
Schwimmende Wolken darunter gehn;
Wie die Nacht mit ernstem Angesicht
Hoch in den Himmel stehet aufgericht:
Hier bin ich sicher und froh in meinem Mut,
Kein Gedanke mich hier erreichen thut.

Benno.
Laßt uns zurück nach Hause; nimmermehr
Geht's gut, Ihr werdet so einmal verrückt.

Golo.
O Thor! Mich kann nun keine Furcht bezwingen;
Sieh, wie die Geister aus Bergen zu uns dringen,
Wie Himmel und Erd' in ihrer Gewalt uns hegen,
Die Sternenkreis' um uns Gewinde legen,
Allseitig in Ketten der hohen Natur geschlagen,
Welche Kraft will sich durch all' die Netze wagen?
Sieh, der Bär im Walde sich nicht regt,
Sich keine Kreatur bewegt,
Kein Baum im Wachsen kann gedeihn,
Sich türmen mag kein Felsgestein,
Wirkt nicht in ihm der Weltengeist,
Der seine Bahn, sein Ziel ihm weist.

Benno.
Von diesen Dingen kann ich nichts begreifen,
Es macht uns toll, so durch die Wildnis schweifen,
Wir sind bereits unsinnig ganz und gar,
Uns umzutreiben so mit Lebensgefahr.

Golo.
Meinst du, daß uns die Sterne dort nicht kennten,
Nichts von uns wüßten die Erze in der Erden?
Wenn uns die Geister aus Pflanz' und Luft und Wasser nicht gönnten
Ihr Leben, müßten wir bald verderbet werden.
So ist's ein einz'ger Gang,
Der regiert das Leben der mächt'gen Welt,
Nicht der leiseste Klang,
Der nicht hinab zum tiefen Abgrund fällt.

Benno.
Mir graut, in dieser Einsamkeit allein
Mit Euch, wenn Ihr so irre sprecht, zu sein.

Golo.
Und Genoveva schläft doch sicher im Grund?
Daß sie nicht erscheint bei nächtlicher Stund'?

Benno.
Für diese Furcht seid ohne alle Sorgen,
Sie ist im tiefen Felsenthal verborgen.

Golo.
Und keinen Gruß an mich hat sie gegeben,
Eh' sie verblutete ihr armes Leben?

Benno.
Wie sollte sie dem Mörder Grüße sagen?
Wie könnt Ihr doch so wunderlich nur fragen.

Golo.
Wie sah sie aus, als sie zum Tode ging,
So blühend noch, ein Wunder anzuschauen?

Benno.
Der Kummer hatte sie gar sehr gealtertGealtert, alt werden lassen.,
Die WochennotNot des Kindbettes., das Darben an der Nahrung;
Hätt' ich es nicht gewußt, ich hätte sie
Im Leben nicht erkannt, so war sie anders.
Sie schien wie eine alte kranke Frau,
Gar blaß und abgefallen, tiefe Augen,
Doch waren noch die Augen schön und lebhaft.

Golo.
Ja, ihre Augen! Hinter ihnen lag Himmelreich,
Das schimmerte herfür gar wonniglich.
Sie stehn in meiner Brust statt meines Herzens
Und weinen immerwährend rotes Blut:
Drum kann ich nicht mehr fühlen wie ein Mensch.

Benno.
Jetzt laßt uns dem Gespräch ein Ende machen.

Golo.
Wie konntest du sie, Bösewicht, ermorden?
Wie durftest Hand an ihre Augen legen?
Dich schreckte nicht der helle Blick zurück?
Dich jammert' nicht das arm', unschuld'ge Weib?

Benno.
Hatt' ich von Euch nicht zu der That Befehl?

Golo.
Auf mich willst du die Schuld nun wälzen, Schurke?

Benno.
Was wollt Ihr mir, daß Ihr mich so ergreift?

Golo.
Hinab dich stürzen in den tiefen Abgrund.

Benno.
So sag' ich's doch, es macht die Nacht Euch toll.
Nun laßt mich los, ich werfe Euch hinab.

Golo.
Jetzt gilt's, wer von uns beiden stärker ist.

Benno.
Er hat nicht Menschen-, nein, des Satans Kräfte,
Besinnt Euch, Golo, denkt doch, was Ihr thut.

Golo.
Du sollst hinunter, eh' will ich nicht ruhn.

Benno.
Barmherzigkeit! Ich wanke – laßt Euch sagen –

Golo.
Da, fall!

Benno.         Sie ist nicht umgebracht!

Golo.                                                     Hinab!

(Benno stürzt hinab.)

Nun hab' ich Ruhe vor dem wüsten Mörder,
Der auch nach meinem Leben stand, der immer
Die schwere Missethat mir wiederholte.
Mich dünkt, ich hört' ihn noch nach Hilfe schrein,
Des Stromes Strudel hat ihn wild verschlungen.

Ein Pilgrim tritt auf.

Pilgrim.
Scholl hier die Stimme, die um Hilfe schrie?

Golo.
Ich weiß von nichts, ich habe nichts gehört.

Pilgrim.
So grüß' Euch Gott in Jesu Christi Namen.

Golo.
Ich kenn' Euch nicht, was wollt Ihr hier bei mir?

Pilgrim.
Ich bin ein armer Pilgrim, auf dem Wege
Nach heil'gen Wallfahrtsörtern, Wunderbildern,
Um meine schweren Sünden abzubüßen.
Ihr seid der Golo, haust in dieser Gegend?

Golo.
Wie kennt Ihr mich? Ich hab' Euch nie gesehn.

Pilgrim.
Ihr denkt darauf, auf Siegfrieds Schloß zu gehn.

Golo.
Solang ich klug bin, werd' ich mich wohl hüten;
Zwar schickt er mir zuweilen Botschaft, doch
Ich weiß, daß er mich haßt, mir schaden möchte,
Drum geh' ich aus dem Wege seinem Schlosse
Und halte mich in meiner Feste auf.

Pilgrim.
Ach, warum zogt Ihr nicht vor sieben Jahren
In jenen heil'gen Krieg mit Siegfried aus?
Da stünd' es jetzt um Euren Zustand anders.

Golo.
Ich bin zufrieden, mehr braucht nicht der Mensch.

Pilgrim.
O, wohl dem Mann, der dieses schöne Wort
Vermag von sich zu sagen: ich kann's nicht.
Mich reut die Jugend mein, so manche Stunde,
Gar manche Sünde, die verborgen blieb!
Wie seid Ihr glücklich, daß Ihr so bestellt.

Golo.
Die Sterne sind's, die unser Schicksal machen
Und unsre Tugend, unsre Laster; drum
Ist Sorge, Gram und Reue Thorheit nur.

Pilgrim.
Wenn's Euch gefällt, mit durch den Wald zu gehn,
So mögen wir darüber uns besprechen. (Sie gehn.)

 

Schloß.

Siegfried. Wendelin.

Siegfried.
Reit schnell mit diesen Briefen, lebend muß
Ich ihn in meine Macht bekommen, dann
Ist mein Gemüt beruhigt und gesänftigt.

Wendelin.
Er traut Euch nicht, drum kommt er nimmermehr.

Siegfried.
Ich habe die Verwandtschaft schon entboten,
Mein Bruder auch, Matthias, kommt hierher,
Samt meinem Vetter Kunz und andern Rittern;
Ein großes Jagen soll gehalten werden,
Wir wollen weit hinein besuchen das
Revier, die öde Gegend und die Wälder,
Wo in dem dicksten Forst das schönste Wild;
Dazu muß ich den Golo zu mir locken,
Daß insgesamt wir richten über ihn.
Drum reite schnell, richt' deinen Auftrag aus.

Wendelin.
Er kennt sich selbst und Euch, drum kommt er nicht.

(Sie gehn.)

 

Golos Haus.

Golo.
Ich kann den Pilgrim, den ich neulich sah,
Nicht aus dem Kopfe bringen. Seltsamlich!
Er wußte so genau, wie alles sich
Begeben hatte, kannte ganz mein Leben,
Ja, bis auf die Gedanken wußt' er alles. –
Es ist mir unerträglich einsam hier;
Der Benno war kein unebner Gesell.
Ich zieh' am End' in Krieg zu dem Martell
Nach Friesenland. – Wie still ist's hier im Hause!
Kein Diener will mehr mit mir sein, sie haben
Die Dienste aufgesagt, sind fortgezogen.
Von unten auf hör' ich die Glocke nur
Des Einsiedlers, zu Nacht des Wildes Schrei'n –
Ich muß hier fort, Gespenster jagen mich,
Die Menschen fürchten mich, so wie ich sie.

Wendelin kömmt.

Golo.
Bist du schon wieder da? Du weißt die Wege
Jetzt gut zu finden. Hast du wieder Briefe?

Wendelin.
Der edle Graf läßt Euch von Herzen grüßen
Und bitten, doch sein Schloß nicht zu verschmähn.
Er ist so ganz allein, da wird er traurig
Und denkt dann immer der verfloss'nen Zeit,
Wie er mit Euch die frohen Tage lebte.
Jetzt hat er lustige Gesellschaft auf
Das nächste Fest zu 'ner großen Jagd geladen
Und bittet Euch, Ihr mögt zugegen sein
Und, wenn der Jägerschwarm sich hat entfernt,
Ihm in der Einsamkeit Gesellschaft leisten.

Golo.
Er schreibt mir hier im Brief das Nämliche,
Und ist dazu gar freundlich und verbindlich.
Ich kann ihm fast die Freude nicht versagen.
Mir ist es auch zu leer, zu einsam hier,
Und gerne nehm' ich die Versöhnung an;
Mir ist es lieb, daß sein Verdacht entwichen.
Geh' nur voran, ich folge dir sogleich,
Wir reiten miteinander dann zurück.

(Wendelin ab.)

Ja, ich will hin, lang' ängstigt mich ein Heimweh
Nach Siegfrieds Garten, nach den schönen Lauben,
Nach all' den Blumen, die ich ehmals kannte.
Dann will ich auch das Felsenthal besuchen,
Wo sie begraben, da ein Haus mir bau'n,
Dort will ich wohnen und auch dorten sterben.

(Geht ab.)

 

Feld.

Heinrich mit einem Knaben.

Heinrich. Nun, Hans, sieh auf die Schafe, ich geh' nur einen Augenblick ins Haus zur Mutter. Aber wer kommt denn da?

Golo tritt auf.

Golo. Sieh da, mein lieber Heinrich. Wie geht's dir?

Heinrich. Ich kenn' Euch nicht, gnädiger Herr.

Golo. Erinnerst du dich deines Freundes Golo nicht mehr?

Heinrich. Heil'ger Gott! seid Ihr's? Nein, nimmermehr hätt' ich Euch so wiedererkannt; Ihr habt geältert, daß es zum Erbarmen ist, Ihr seht blaß und krank aus. Willkommen in unsrer Gegend! Besucht Ihr uns einmal wieder?

Golo. Ich gehe zum Grafen Siegfried.

Heinrich. Der arme Herr ist auch recht betrübt, Ihr thut ein christlich Werk, daß Ihr ihm die Zeit ein bißchen vertreiben helft.

Golo. Wer ist der Knabe?

Heinrich. Mein Sohn Hans, gnädiger Herr, mein ältester Junge von dreien, der jüngste liegt noch an der Brust.

Golo. Und Else ist gesund?

Heinrich. Wir sind, gottlob! alle wohl und frisch.

Golo. Singst du noch fleißig?

Heinrich. So so, es geht noch mit. Der alte Dietrich ist aber tot, alles ist ausgestorben.

Golo. Ja, alles ist ausgestorben, du hast recht.

Heinrich. Hans, geh daher, gib dem Herrn eine Hand. – Nun, sieh da, granstGrinst, heult. der große Junge. Komm, du bist doch sonst nicht so läpp'sch.

Knabe. Fürchte mich, Vater.

Golo. Laß ihn nur.

Heinrich. Ich versichere Euch, der Junge ist ein rechter Trotzkopf und wilder Springinsfeld, ich und die Mutter, wir können ihn oft beide nicht bändigen. Und im Vertrauen gesagt, so fängt er ordentlich schon an, sein Liedchen zu singen, daß es nur so sein muß.

Golo. Art läßt nicht von Art. Führe mich doch in dein Haus, daß ich deine Frau und Kinder sehe und deine Wirtschaft betrachte.

Heinrich. Kommt, mein lieber gnädiger Herr, Ihr seid doch immer noch der alte. (Geht ab.)

 

Vor Siegfrieds Schloß.

Siegfried. Matthias. Kunz. Jäger.

Matthias.
Nun, Freunde, zeigt einmal, was ihr vermögt,
Noch nie hab' ich in dem Revier gejagt;
Doch ist's nicht meine Sache, hin und her
Zu reiten in 'nem kleinen, engen ZirkAus dem lateinischen circulus, Kreis,
Das muß wie Gott's Gewitter durch die Wälder
Thalnieder, berghinauf mit Schnaufen gehn,
Daß uns zu Pferd der Kopf im Jagen taumelt.
Dann find't man aus der Weite sich zusammen
Beim Hörnerschall und wieder auseinander,
So unermüdet, bis es Abend wird.

Siegfried.
Ich bin zu schwach, so weit umherzureiten.

Matthias.
Ei was, zu schwach! Mußt du von schwach schon reden?
Im Walde geht das Herz dem Menschen auf,
Da ist es, wo er hingehört. Hat man
Nicht Krieg, so muß man Jagd gar fleißig treiben.
Heut' mußt du schon mitmachen, diesen Tag
Bin ich der Meister hier, hab' zu befehlen.

Siegfried.
Nu, wie du willst, woll'n sehn, wer gut sich hält.

Matthias.
Nun blast, und sporenstreichs zum Werke dann!

(Die Jäger blasen, sie gehn.)

Golo. Wendelin.

Wendelin.
Die Jagd hat sich dort allbereits versammelt,
Da rennen sie schon in den Wald hinein.

Golo
So laßt uns gleich aufsitzen, ihnen folgen. (Gehn.)

 

Wald.

Siegfried. Matthias.

Matthias.
So ist es recht, heut' bist du brav und wacker.

Siegfried.
Hier wollen wir uns trennen, geh du dort,
Ich will den Fußpfad ins Gebirge nehmen.

Matthias.
So sei's, wir finden uns wohl bald zusammen. (Ab.)

Siegfried.
Da kommt der Hirsch, den ich schon lang' gejagt.

(Ein Hirsch eilt durch den Wald.)

Siegfried.
Ich muß ihm nach, der ist gar schön und feist.

Golo tritt auf.

Golo.
Ich zittre vor dem Lärmen und Geschrei,
Mir ist, ich sei das Wild, das wird gejagt;
Ich weiß nicht, wo ich bleibe, Busch und Wald
Sieht mich mit finstern, grimmen Augen an. (Ab.)

 

Die Wüste.

Genoveva.
Ich höre Hörner und ein wildes Schrei'n,
Was nie in diesen Felsen noch gehallt:
Ist's Krieg, ist's Jagd, was soll es doch wohl sein?
Es kömmt herauf da unten aus dem Wald.
O, käme nur mein Schmerzenreich herein!
O, Gottes Schutz, du über ihm doch walt'!
Daß nicht mein armes Kind verloren gehe,
Das wäre mir das letzt' und größte Wehe.

(Geht in die Höhle. Die Hirschkuh kömmt gelaufen und eilt in die Höhle.)

Siegfried tritt schnell herein.

Siegfried.
Das Wild floh in die Höhle. – Jesu Christ!
Was seh' ich da? Im Berg dort ein Gespenst; –
All' guten Geister loben Gott den Herrn –
Es wankt nicht und sitzt unbeweglich da –
Bist du ein gut Geschöpf, so komm heraus!

Genoveva (drinnen).
Ave Maria, heilige Mutter Gottes!

Siegfried.
Bist du von Gott, so zeige dich am Licht.

Genoveva.
Ich bin von Gott, doch darf ich mich nicht zeigen,
Ich bin ein arm, nackt, schwach und elend Weib,
Wenn ich soll zu Euch kommen, werft mir erst
Den Mantel zu, muß mich sonst vor Euch schämen.

Siegfried.
Da ist der Mantel. – Komm heraus und sprich!

Genoveva tritt auf, im Mantel eingehüllt. Die Hirschkuh folgt ihr.

Siegfried.
Nun, beim allmächtigen Gott, ich bin erschrocken:
In aller Welt, wer bist du, also krank
Und nackt in dieser wüsten Höhle, einsam,
Wo nie ein Menschenfuß die Steine tritt?
Und was ist's doch, daß dir dies Wild gehorcht
Und, wo du bist, auch neben dich sich stellt?

Genoveva.
Ach, lieber Herr, Ihr wollet mir verzeih'n –
Auch ich erschrak vor Eurem Anblick sehr;
Nie kam ein Mensch in diese Wüstenei,
Nun fügt es Gott und schickt mir eben Euch.

Siegfried.
Wer bist du denn? Und wie ist denn dein Name?
Hast du von je in dieser Wüst' gewohnt,
Wie, oder bist du sonst ein Mensch gewesen
Wie andre auch, und kanntest bessre Zeiten?
Vor Mitleid, daß ich dich so vor mir sehe,
Kann ich mich kaum der Thränen mehr enthalten.

Genoveva.
Ach, freilich kannt' ich bessre Zeiten einst,
Aus Brabant bin ichNach dem ›Volksbuch‹ ist Genoveva die Tochter eines Herzogs von Brabant, floh in diese Wüste,
Weil man mich unverschuldet töten wollte
Und mit mir auch mein armes, schönes Kind.

Siegfried.
Wie kam dir das? Wie lang' ist das nun her?

Genoveva.
Ich war mit einem werten Herrn vermählt,
Der warf auf mich Unschuldige Verdacht,
Als hätt' ich ihm die Ehetreu' gebrochen;
Im Zorn befahl er seinem ersten Diener,
Zu töten mich und auch sein liebes Kind,
Das ich von ihm empfangen. Aus Erbarmen
Erhielt ich von den Mördern noch mein Leben,
Versprach, in eine Wüstenei zu gehn
Und meinem Herrn vor Augen nie zu kommen,
Zu dienen Gott: – dies sind nun sieben Jahr.

Siegfried.
Es ist nicht möglich! – Wie ich Euch betrachte –
Ihr seid mir fremd, ich hab' Euch nie gesehn –
Es kann nicht sein – nun sagt mir Euren Namen
Und auch den Namen Eures Eheherrn.

Genoveva.
Mein Eheherr – ach Gott, er heißt Herr Siegfried,
Ich Unglücksel'ge heiße Genoveva.

(Siegfried stürzt sinnlos nieder.)

Ist er gestorben an dem harten Wort?
O Siegfried! teures Herz! ermanne dich.

Siegfried (niederknieend)
O Genoveva! Genoveva! Ihr?
Ach, höchster Gott! O, habt Ihr mir verziehn? –
Nein, nein, laßt mich auf meinen Knieen sitzen,
Nicht aufstehn, nicht mich trösten! – So Euch sehn?
Die nackten heil'gen Füße will ich küssen –
So gar vermagert? – Ach, du liebster Gott!
Wie kann mich Bösewicht die Erde tragen?
Wie könnt Ihr mir verzeihn? Nein, nimmermehr!
Ich bin die Schuld von Eurem großen Elend,
Ich bin es, der die herrliche Gestalt
Also entstellt, in große Not gebracht.
Ihr hier? – O, ich kann kaum den Sinnen trauen!
Wie will ich Euch versöhnen? Stünd' ich auch
Zehn ganzer Jahr in lichten Schwefelflammen,
Litt' ich auch Durst und Hunger, Frost und Blöße,
Ja, wohnt' ich unter Schlangen und Skorpionen,
So könnt' ich nimmer das vergelten, was Ihr mir
Gelitten habt. Ja, fließt nur, heiße Thränen,
Zu ihren Füßen fließt. O Genoveva!
Darf ich noch Euren teuren Namen nennen?
Ist's mir vergönnt, die Augen aufzuschlagen?
Stoßt Ihr mich nicht mit diesen Füßen fort?
Speit Ihr nicht an den Mörder, den Verruchten?
O, um der Wunden Jesu Christi willen,
Um die fünf Wunden, die er hat erlitten,
Um seiner Leiden willen, ach, vergebt!
Nicht eh erheb' ich mich, ich kann nicht aufstehn,
Bis Ihr mir habt verziehn, und sollt' ich ewig
Hier liegen, sollte hier mein Körper wurzeln;
Erbarmt Euch doch des alten Bösewichts!
Auch sterben darf ich nicht, vor Gott nicht treten,
Wenn ich nicht sagen kann: sie hat verziehn.

Genoveva.
Ich mische meine Thränen mit den Euren –
Nicht so betrübt Euch – ach! ich kann vor Schluchzen
Nicht sprechen – nicht betrübt Euch, teurer Siegfried,
Nein, nicht betrübt Euch also sehr, mein Herz –
Mein armes Herz muß brechen, wenn ich Euch
So weinen seh' und von dem greisen Bart
Die Zähren rinnen – sammelt Euch, steht auf.
Es war nicht Eure Schuld, der Himmel fügt' es,
Daß ich in diese Wüste kam, zum Heil
Der Seele – gern verzeih' ich Euch, und längst
Hab' ich Euch schon verziehn – Gott woll' uns beiden
Vergeben unsre Schuld, zukommen lassen
Sein Reich und seine Gnade, drum erhebt Euch.

Siegfried.
Ich fasse sie, die teure, teure Hand,
Und stehe auf und schau' das Antlitz an.
Ach nein, solang' ich lebe, kommt kein Trost
In meine arme Brust. Sind dies die Mienen,
Die sonst den Engelsbildern himmlisch glichen?
Wo sind die Rosen auf den Wangen? Wo
Die schönen Lippen? Was habt Ihr gelitten!
Ich mag nicht Du zu dir, o Heil'ge, sprechen,
Vergönnst du's mir, das vor'ge Wort? die Liebe?
Willst du mich nicht verwerfen? – Und das Kind,
Das arme Kind – wo ist es denn geblieben?
Hat Gott es auch so wunderbar erhalten?

Genoveva.
Ja, durch ein Wunder hat es Gott erhalten,
Denn anfangs in der Wüsten wollt' es sterben,
Und mir entging aus Mangel alle Milch:
Wie es im Jammer war, im Ängstigen,
Da schickt' ihm diese Amme Gott der Herr,
Die fromme Hirschin hat es groß gesäugt.

Schmerzenreich kommt mit Wurzeln und Kräutern.

Schmerzenreich.
Bring' Essen dir, mein liebes Mütterlein.
– Ach, Mutter, sieh – was soll das Bild doch sein?
Ich fürchte mich, wie es so bei dir steht.

Genoveva.
Nicht fürchten mußt du dich; nein, komm herzu,
Komm her, es thut der Mann dir nichts zuleide.

Siegfried.
Mein Geist sagt mir, daß dieser unser Sohn.

Genoveva.
Dies ist das arme Kind, daß Gott erbarm'!

Siegfried.
So nackt? in dieser Haut? o überleb'
Ich diesen Tag, so biet' ich allem Trutz! –
Ach, Kind – komm zu mir, fürcht' dich nicht vor mir,
Willst du den Vater fliehn? Ach wohl, du hast
Wohl Ursach', ihn zu fürchten, nicht zu lieben –
Allein die Mutter hat mir schon vergeben,
Vergib auch du mir, komm in meine Arme,
Komm her, mein Sohn, daß ich dich küssen mag.

Genoveva.
Sieh, Schmerzenreich, das ist dein teurer Vater,
So geh nun hin und gib ihm fromm die Hand.

Siegfried.
In meine Arme komm! an meinen Mund!
An meine durst'ge Brust! Ach, Herzenskind!
Ach, du mein lieb herzgüldnes Herzenskind!
O, schau' mich an; wie hast du klare Äuglein,
Die sind ein Bronn, da schau' ich vor'ge Zeiten,
Die vor'ge Genoveva, meine Hochzeit,
All' Lust und Freude, Himmel ist darin,
Wie sollt' ich sie nicht teuer köstlich achten?
Ach, du mein Kleinod! Kind und Genoveva,
Zugleich gefunden? Ach, du Gott im Himmel,
Wie hast du mir mein Herz so leicht gemacht,
Wie schwer zugleich – soll ich mich freun, soll ich
Laut schluchzen, weinen und den Felsen klagen?
Wir sind hier so allein, ich muß die Menschen
Herrufen, daß sie sich mit mir erfreu'n,
Daß diese Berge Freude widerschallen.

(Er bläst in das Jägerhorn.)

Wendelin mit andern Dienern und Jägern.

Wendelin.
Herr Graf – wer ist das Kind? und die Gestalt?

Siegfried.
Seht sie nur an, betrachtet sie genau.
Kennt Ihr sie nicht?

Diener.                           Sie ist uns unbekannt.

Siegfried.
Ihr Thoren, schaut, sie ist die Genoveva!

Alle.
Wie? Genoveva? – O, gelobt sei Gott!

Wendelin.
Ich küsse Eure Füße, teure Frau,
Ich möchte sprechen, kann vor Weinen nicht.

Diener.
Seid uns gegrüßt nach sieben langen Jahren.

Wendelin.
O, sieben schwere Jahre, ach, wie schwer
Sind Euch die Zeiten hier im Wald geworden!

Siegfried.
Ja, sieben schwere, trauervolle Jahre,
So wie ein ängstigender Traum, so schwer.
Wo ist mein Bruder mit den andern Rittern?

Diener.
Sie jagen im jenseitigen Walde noch.

Siegfried.
Wo ist der Golo?

Diener.                       Um die Felsenecke
Sitzt er tief denkend, kümmert sich um nichts.

Siegfried.
Bringt ihn hierher.

Genoveva.                   Den Golo soll ich sehn?

Siegfried.
Sagt ihm, ich hätt' ein seltsam Wild gefangen,

(Diener ab.)

Wendelin.
Ich will indes vom Schloß 'ne Sänfte holen,
Die gnäd'ge Frau bequem drin fortzutragen,
Samt Frauenkleidern, um sich drin zu zeigen,
Auch für den kleinen Junker will ich sorgen. (Geht ab.)

Siegfried.
Ich danke dir, ich denk' im Taumel an nichts.

Golo wird hereingebracht.

Genoveva.
Ach, güt'ger Gott! Ist dieser da der Golo?
Wie sieht er wild und tief bekümmert aus!

Siegfried.
Heran tritt, Golo! Kennst du dieses Weib?

Golo.
Herr Jesu Christ! so hat's mir stets geträumt.

Siegfried.
So schau' sie an.

Golo.                           Ich kenn' sie wahrlich nicht.

Siegfried.
Gottloser Schalk, du kennst sie also nicht,
Die Genoveva nicht, die du verfolgt?
Die fälschlich du verklagt, die du zum Tod
Verdammt? O Mörder! Arger Henkersknecht!
Um dessentwillen sie ins Elend wandern
Gemußt, um dessentwillen mein Kindelein
Die härtste Not erduldet, ich die Trübsal!
O, wenn man auch auf Martern wollte sinnen,
Nie wärst du, Bösewicht, genug zu strafen!

Golo (zur Erde stürzend).
Barmherzigkeit!

Siegfried.                 Ihr führet und bindet
Mit Stricken ihn – wir halten dann Gericht.

(Golo fortgeführt.)

Komm her, mein Kind, daß ich dich wieder küsse.
Willst gerne bei mir sein?

Schmerzenreich.                   Wenn Mutter mitgeht.

Siegfried.
Ja, Genoveva folgt uns nach dem Schlosse,
Da wird für mich der Himmel künftig sein.

Genoveva (vor dem Kruzifix).
O güt'ger Gott, er hält ihn in den Armen,
Ich seh', was ich im Traum so oft gesehn,
Die ganze Welt ist Freude, Licht, Erbarmen,
Ich dank' dir, Christ, daß es also geschehn;
Du schaust mit Huld hernieder zu der armen,
Sündhaften Magd, gelöst sind ihre WehnDie Schmerzen, die sie bei der Geburt ihres Sohnes erlitten, sind belohnt.
O, nimm zum Dank die heißen, reinen Thränen,
Ja, du verstehst, du fühlst mein innig Sehnen.

Siegfried.
Sie kniet am Kreuz; welch brünstiglich Umfassen!

Genoveva.
Mit diesen Küssen sag' ich lebewohl.

Schmerzenreich.
Sie wird ungern das schöne Kreuz verlassen.

Genoveva.
Mit diesen Thränen sag' ich lebewohl.

Schmerzenreich.
Ja, hier war alles Lieb' und nirgend Hassen.

Genoveva.
Mit meinem Herzen sag' ich lebewohl.

Schmerzenreich.
Auch mir thut's leid, aus unserm Haus zu gehen.

Genoveva.
Nun lebe wohl, mein Sinn bleibt immer stehenMein Herz bleibt immer hier (bei dem Kruzifix)..
Jetzt gehn wir fort aus unsrer Wüstenei,
Du führest mich und auch das liebe Kind.

Siegfried.
Was ist das für ein seltsamlich Geschrei?

Schmerzenreich.
Das groß' und kleine bunte Vöglein sind,
Die flattern alle neugierig herbei.
Wo ist mein Reh?

Genoveva.                   Das folgt uns auch geschwind.

Schmerzenreich.
Ja, immer soll die Hirschin bei uns sein,
Die Vögel bleiben hier im Sonnenschein. (Alle ab.)

 

Vor dem Schloß.

Versammelte Dienerschaft, unter ihnen Else. Kinder.

Diener. Und habt Ihr die Mär' vernommen?

Andre. Wer wollte nicht? Wer wollte denn nicht? Unsre gnäd'ge Frau mit dem Junker ist wiedergefunden.

Else. O, daß mein Heinrich nicht hier ist! Er ist mit den Schafen auf der Weide.

Alle. Da kommen sie, da kommen sie!

Siegfried mit Genoveva und mit Schmerzensreich, beide bekleidet, Wendelin trägt ihn auf dem Arme, andre Diener, Matthias, Kunz und Ritter folgen.

Alle. Es lebe unsre gnädige Frau! hoch! und abermals hoch!

(Alle drängen sich um sie)

Die Kinder (zu Schmerzenreich hinauflangend). Ach, lieb Kindelein! lieb Kindelein!

Schmerzenreich. Setze mich hinunter. O, wie schöne Leute! Wie liebe Kinder!

Genoveva.
Ich dank' euch allen, doch ich kann nicht sprechen,
Nur meine Thränen können für mich reden.

Siegfried.
Kommt alle mit hinein zu meinem Schlosse,
Denn heut' an diesem Tage sei ein Fest,
Die Glocken läuten, Priester singen Messe,
Und bis zum Knecht hinab sei alles glücklich,
Sei alles heut' als Bruder mir gegrüßt.

Alle.
O Freude! Freude! übergroße Freude! (Alle ab.)

 

Saal.

Genoveva in einem Sessel. Siegfried. Matthias. Kunz. Ritter.

Matthias.
Jetzt laßt den Bösewicht herein, wir alle
Woll'n dann das Urteil sprechen über ihn.

Golo wird hereingebracht.

Siegfried.
Dies ist er! Schaut ihn an! O, seht die Tücke,
Wie sie sich in den stieren Augen malt!
Seht das verruchte, mißgestalte Antlitz!
Dies ist der Bösewicht, der so viel Elend
Erregt, daß keine Menschenzunge ganz
Es sprechen und erzählen kann; der erst
Das keuscheste Gemahl verführen wollte,
Der sie nachher, als ihm dies nicht gelang,
Ohn' Wissen und ohn' Willen meiner warf
Wie eine Ehebrech'rin in den Turm.
Da hat er sie gespeist mit Brot und Wasser,
Hat der hartherz'ge Hund ihr jeden Beistand
Versagt in ihren Kindesnöten: noch
Muß ich's beweinen, wenn ich daran denke;
Die kleinste Hülfe hat er nicht gereicht,
Nicht so viel Mitleid, als man gegen Hunde
Zu haben pflegt; drauf ist durch seine Schuld
Das arme Kindlein nicht getauft, durch Zaubrer
Hat er der Sünd' sie böslich lassen zeihen,
Den frommen Drago dann mit Gift gemordet,
Befohlen, umzubringen Kind und Liebste,
Worauf sie in ein siebenjährig Elend
Gewandert, ich, erwünschter Beiwohnung
Beraubt, dem Hause meiner Väter Erben
EntzogenErgänze: habe und geschändet die Verwandtschaft.
Urteilt, welch eine Strafe ihm gebührt!

Alle.
Tod.

Matthias.     Rache und die grausenvollste Marter.
Ich war damals in England in der Fremde,
Sonst hätt' ich nie die That geschehen lassen.

Golo (wirft sich vor Genoveva nieder).
Ich weiß es, Ihr, ja, Ihr erbarmt Euch meiner;
O, schafft mir Gnade vor den wilden Freunden!
Ich glaubt' Euch tot und wäre gern gestorben,
Ich weiß, Ihr lebt, nun wünsch' ich auch zu leben
Und, wie ich kann, die Sünde zu bereuen.

Genoveva.
Erbarmt euch seiner, wie ich mich erbarme,
Vergebt ihm also, wie ich ihm vergebe,
Gott ist sein Richter. Seht, er hat indes
In sieben langen Jahren schon gelitten.
Seht, wie ihm ist die Jugendkraft entwichen,
Er ist schon längst bestraft, drum seid barmherzig.
Vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben:
So betet ihr; jetzt zeigt, daß ihr nicht spottet.

Siegfried.
Gern will ich thun, was du nur fodern magst,
Und ungern dieses Freudenfest verdunkeln,
Also verzeih' ich ihm von meiner Seite.
Doch fällt das Urteil der Verwandtschaft heim.

Alle.
Tod.

Matthias.     Rache, Tod! Sonst heißt es in der Welt.
Wir haben ihn wohl nimmer strafen dürfen,
Weil er von aller Schuld befreit gewesen.

Siegfried.
Du siehst, daß nichts den strengen Sinn erweicht.

Matthias.
Wenn du dich deines Rechts, der PfalzPalast, Amtswohnung, dann das Amt selbst., begibst
Und mich das Urteil fällen heißest, so
Mag ich auf deiner edlen Gattin Bitten
Ihn aller Marter wohl entledigen;
Doch sterben muß er, und zwar zur Vergeltung
In jenem Thal, wo er sie morden hieß.
Ihr Schergen, führt ihn, ich und Kunz, wir folgen
Und stechen ihn mit Spießen dorten tot.

(Golo fortgeführt.)

Auf, Vetter Kunz, und ein'ge andre Ritter,
Wenn dies vollbracht, so ist die Freude rein. (Geht.)

 

Felsenthal.

Heinrich. Ist hier auch nur wenig Gras für das arme Vieh. Die Winde gehn kalt, die Blätter fallen ab, es wird ein früher Winter. (Singt:)

    Wie fern liegt dies Thal
    Von der Welt Herrlichkeit,
    Hier wohnen zumal –

Wen führen sie denn da gebunden herbei? – Großer Gott! es ist der Golo! (Entflieht.)

Golo geführt. Matthias. Kunz. Zwei andere Ritter.

Matthias.
Hier ist die Stätte, wie man mir gesagt,
Nun halt dich fertig, schnöder Bösewicht.

Kunz.
Den ganzen Weg hieher hat er gebrüllt,
Wie ist er nun so plötzlich still geworden?

Matthias.
Hast du noch was zu sagen, eh' du stirbst?

Golo.
Euch nichts; doch laßt mich vorher beten.

Matthias.
Das sei vergönnt.

Golo (knieend)
Dicht von Felsen eingeschlossen –
O, vergib mir, große Güte, –
Wo die stillen Bächlein gehn –
Warum bist du fern geblieben?
Wo die dunkeln Weiden sprossen –
Wie kann ich mich so gar nicht, gar nicht finden!
Allmächtiger! vergib mir meine Sünden! –
Dicht von Felsen eingeschlossen –
Und immer, immer das Lied mir wiederkehrt –
Wo die dunkeln Weiden sprossen –
Und mich in meiner Andacht stört –
Wo die Bächlein –
Allmächt'ger Gott! Wo bin ich hingeraten!
Da stehn die Weiden! Sieh, dort schleicht der Bach,
Da sind die Felsen, schließen eng' uns ein.
Gelobt sei Gott! – Wünsch' ich bald mein Grab zu sehn! –
Wie hat dies Lied prophetisch mir geklungen!

Matthias.
Nun, bist du bald mit Beten fertig?

Golo.                                                     Gönnt
Mir Raum! Ihr hättet auch wohl Not, Euch ab
So böser Schuld zu thun. Nun tötet mich
Und schenkt ein Grab mir unter diesen Weiden.

Matthias.
Nein, unbegraben soll dein Körper liegen,
Den Raben und den wilden Tieren Beute.

Golo.
Nein, nur ein Grab! Das Lied hat's so versprochen.

Kunz.
Er rast; ich hab' ihn nieder schon gestochen.

Golo.
O, nur ein Grab! Ich wünsche ja nicht viel.

Matthias.
Er stirbt, hier hat die Rache unser Ziel!
Hat er noch gute Freunde in der Welt,
So sei von denen ihm ein Grab bestellt. (Gehn ab.)

Golo.
Erlöser, löse mich aus dieser Qual –
Dort im fernen, einsam grünen Thal. – (Stirbt.)

Heinrich kommt zurück.

Heinrich. Ach, großer Gott! Was haben sie angerichtet? Wie schlimm ist es dir, mein lieber Golo, ergangen? Du bist immer so gut gegen mich gewesen, dir hab' ich alles zu danken, und ich kann dir nun dafür nichts weiter als ein ehrliches Begräbnis schenken. Aber ich will dich begraben und auf deinem Erdhügel weinen und oben zu deinem Andenken einen jungen Baum pflanzen. Lieber Himmel, wer hätte das denken sollen! –

 

Saal.

Siegfried. Schmerzenreich.

Schmerzenreich.
Was weinst du, Vater?

Siegfried.                             Daß die Mutter stirbt.

Schmerzenreich.
O, laß sie ziehn, denn das ist ihr Verlangen,
Nach Himmelslichte steht ihr frommer Sinn,
Die Erde nährte sie mit Pein und Bangen,
Nun geht sie in die ew'ge Freiheit hin;
Sie saß im harten Kerker hier gefangen,
Nun bringt der Tod ihr köstlichen Gewinn,
O, laß uns beten, daß wir aus den Leiden
Doch also rein und selig mögen scheiden.

Siegfried.
Kind, du kannst ruhig ihren Tod betrachten,
Von dir hat sie kein Leiden je empfangen;
Ich war's, der sie unschuldig ließ verschmachten,
Der ihr gegeben Pein und Angst und Bangen,
Indes die Mörder meiner Schwachheit lachten:
Nun ist im Busen herzlich mein Verlangen,
Ihr alle Leiden liebend zu vergüten
Und was ich kann, der Holden anzubieten.

Und kaum hab' ich das süße Werk begonnen,
So fängt sie an den Armen zu entfliehn,
Und kaum gefaßt, ist schon mein Glück zerronnen,
Kaum rückgekehrt, will sie von dannen ziehn.
Viel Lieb's und Gutes hatt' ich ausgesonnen,
Doch will kein neuer Frühling auferblühn.
Sie ist mein Leben, und sie will nicht leben,
Mein höchstes Glück muß ich verloren geben.

Schmerzenreich.
Oftmals hat mir die Mutter es verkündet,
Daß uns das Scheiden hier nicht lange trennt,
Daß wer sich liebt, sich dorten wiederfindet,
In gegenseit'ger Wonne sich erkennt;
Dann sind wir alle fest in eins verbündet,
Das Freudenreich mit ew'gen Lichtern brennt.
Sie ist die müdeste, sie geht voraus,
Wir kommen nach in unsers Vaters Haus.

Wendelin kommt.

Siegfried.
Was macht mein edles, treffliches Gemahl?

Wendelin.
Jetzt ist der Bischof Hidulf angekommen,
Sie beten beide in dem alten Saal;
Sie hat das heil'ge Sakrament genommen,
Absolution und Ölung auch zumal
Empfangen aus des Bischofs Hand; die Frommen
Sind jetzt vertieft in heiligen Gedanken,
Hidulfus spricht von Gott und Christ der Kranken.

Hidulfus tritt auf

Hidulfus.
Es sei mit Euch des Herren ew'ger Friede!
Sie hat empfangen Sakrament und Weihe,
Drauf im Gesang, ob einem schönen Liede,
Daß ihr der Herr so Gnad' wie Schutz verleihe,
Versanken ihre heil'gen Augen müde,
Es scheint, daß sie im Schlummer sich erfreue.
Kein Sterbender hat noch sein irdisch Leben
So fromm und still dem Heiland übergeben.

Eine Kammerfrau kommt.

Kammerfrau.
Die Gräfin ist vom Schlummer schon erwacht
Und fühlt mit neuen Kräften sich erfüllt,
Sie preiset Gott, ihr helles Auge lacht,
Sie küßt entzückt des Welterlösers Bild;
Auch hat sie liebend Eurer oft gedacht,
Sie bittet Euch, daß Ihr doch noch gewillt,
Den letzten Abschied von ihr zu empfangen,
Eh' sie zu ihrem Vater heimgegangen.

Die Thüren öffnen sich, Genoveva liegt im Bette.

Genoveva.
Tritt her, Gemahl, tritt her, mein Söhnelein!
Ich lass' euch jetzt, bald sehen wir uns wieder,
Dann sollen wir stets bei einander sein
Und singen Gott die wohlgefäll'gen Lieder;
Schon spielt um mich des Himmels reiner Schein,
Der Leib sinkt in die tote Erde nieder.

Siegfried.
Ach, bleibe, bleibe noch, du frommes Blut,
Und mach' mich Sünder rein und fromm und gut.

Genoveva.Die folgende Rede erinnert, namentlich in ihren letzten Strophen, deutlich an Jakob Böhmesche Vorstellungen.
Ich sah jetzt ein erfreuliches Gesichte:
Gestorben lag mein Leib und ausgestreckt,
Die Seele sprach: »Herr, geh nicht ins Gerichte!«
Da war der Himmel all mit Glanz bedeckt,
Vorüber zog die biblische Geschichte,
Mein reines HerzErgänze: war. vom Tode auferweckt;
Propheten, Kön'ge und Apostel kamen,
Und jeden nannt' ich bei dem heil'gen Namen.

Da brachten sie mir auch mein Kind getragen,
Ein Engel war es, diente vor dem Thron,
Es kam, mir Nachricht vom Gemahl zu sagen,
Der stand verklärt vor Gottes Antlitz schon.
Ich ging hinzu, um nach dem Lamm zu fragen,
Da kam die heil'ge Mutter mit dem Sohn,
Und Kinder mit den goldnen Flügelein,
Sie sangen all': Erbarmen und Verzeih'n.

Wohin ich blickte, sah ich Blüten prangen,
Aus Strahlen wuchsen Himmelsblumen auf,
Am Throne sproßten Glauben und Verlangen
Und rankten sich wie Edelstein' hinauf;
Gebete blühend in den Himmel drangen,
Zu Füßen aller goldnen Sterne Lauf
Und die Natur, in tausendfachen Weisen
Den dreimal heil'gen Gott, Sohn, Geist zu preisen.

Gebete stiegen auf, herab der Segen
Zur Erde nieder durch das Firmament,
Die Sterne kamen Gottes Lieb' entgegen
Und drungen in das ird'sche Element,
Verschlungen all' in tausendfachen Wegen,
Daß Himmel, Erd' in einer Liebe brennt,
Und tief hinab in Pflanz-, in Erzgestalten
Des Vaters Kräfte im AbyssusAbgrund, Tiefe (griechisch); den deutschen Mystikern geläufig walten.

Der Sohn war recht des Vaters Herz und Liebe,
Der Vater schaffende Allgegenwart,
Der Geist im unerforschlichen Getriebe
Das ew'ge Wort, das immerfort beharrt,
Daß alles wechselnd, nichts im Tode bliebe,
Indes der Vater wirkt die Form und Art,
So Lieb' und Kraft und Wort in eins verschlungen
In ew'ger Liebesglut von sich durchdrungen.

Wie Strahlen gingen Engel aus und ein,
Entzückt in der Dreieinigkeit zu spielen,
Sich niedertauchend in der Gottheit Schein,
Die volle Seligkeit beherzt zu fühlen;
Sie durften in der Kraft und Gnade sein,
Die Sehnsucht in der großen Liebe kühlen.
Auch meine Seel' muß sich dem Tod entringen
Und in dem Lebensmeer als Welle klingen. (Stirbt.)

 

Schloßhof.

Wendelin. Heinrich. Else. Diener.

Wendelin.
Die Sel'ge mußte, ach! so schnell verscheiden;
Wir sind so holder Gegenwart nicht wert,
Drum ist sie von uns Sündern heimgegangen.

Else.
Wir sind im kurzen Leben alt geworden,
Wer hat dergleichen doch gesehn, gehört?

Heinrich.
Ja, wunderbar sind des Allmächt'gen Wege!

Wendelin.
Manch graues Haar hat dieses nicht erfahren,
Was wir noch jung gesehen und gehört;
Die Gnade Gottes hat uns heimgesucht,
Wer nun nicht in sich kehret, ist verflucht.

Else.
Auch was ihr von dem unvernünft'gen Tier
Erzählet, dünkt mich äußerst wunderbar.

Wendelin.
Ja, seit die Gräfin krank und bettlägrig,
Hat nicht die Hirschkuh Nahrung nehmen wollen,
Sie sah mit ihren Augen nach den Fenstern,
Wo sie die edle Gräfin sonst erblickt.
Als sie nun starb, da hing sie ihren Kopf
Und wandte sich nach keiner Seite um;
Sie folgte still dem traurigen Gepränge,
Als man den Leichnam in die Gruft gesetzt.
Dann blieb sie liegen dort vor der Kapelle
Und kratzte oftmals an der Kirchenthür,
Als wenn sie ihr wer öffnen sollte; so
Lag sie zwei Tage dort und ist verschmachtet,
Das Winseln war erbärmlich anzuhören.

Else.
Es stellt der Herr zu Pred'gern Tiere auf,
Wer könnte da noch wohl sein Herz verstocken?

 

Schloß. Nacht.

Siegfried.
Die Sinne mein vergehn, wohin ich blicke,
Scheint alles mir zu wanken und zu zittern,
Ich wage nicht, was in die Hand zu nehmen,
Ich fürchte, daß es mir alsbald zerrinnt.
Das Dauernde scheint mir so gar vergänglich,
Und das Vergängliche so unvergänglich.

Wendelin kommt.

Wendelin.
Ein Pilgrim ist hier eingekehrt und wünscht
Recht sehr, Euch alsobald zu sprechen.

Siegfried.
So laß ihn zu mir, denn er bringt vielleicht
Mir Trost und Stärkung.

Wendelin.                             Es ist finstre Nacht
Und seltsam sein Begehren.

Siegfried.                                     Ist es Nacht?
Das wußt' ich nicht, doch laß ihn nur herein.

(Wendelin ab.)

Der Pilgrim tritt auf.

Pilgrim.
Des Herren Friede sei mit diesem Hause.

Siegfried.
Und bis in alle Ewigkeiten, Amen.
Was kommt Ihr noch so spät zu meiner Klause?

Pilgrim.
Ich hörte, was Euch Gott's Gerichte nahmen,
Drum komm' ich, Euch den süßen Trost zu bringen.

Siegfried.
Gesegnet sei'n die Füß', die dazu kamen,
Doch wird es, frommer Pilgrim, nie gelingen;
Denn allzutief ist dieses Herz verwundet,
Kein ird'scher Trost kann in die Seele dringen.

Pilgrim.
In Gottes Namen sprech' ich: Auf, gesundet!
Und faßt voll Glauben und Vertrau'n die Hand
Und nehmt das Heil, das ich für Euch erkundet!

Siegfried.
Ich fühle schon mein Zagen abgewandt.
Wer bist du, Mann, der so vermag zu heilen?
Dein Antlitz, die Gestalt ist mir bekannt.

Pilgrim.
Ich komme dir zuliebe von den steilen
Gebirgen, teurer Siegfried! mußt mich kennen,
Auch will ich gerne, ohne mehr zu weilen,

Dir meinen alten Menschennamen nennen:
Ich hieß einst Otho, als ich noch im Leben;
Zu dir zu gehen, wollte Gott vergönnen,

Um dir den süßen Balsam, Trost, zu geben,
Daß du dem Herren immer magst vertrauen
Und nicht verzweifelnd nach Vergangnem streben.

Siegfried.
Allgüt'ger Gott! Welch Wunder muß ich schauen,
Wie viel erfahr' ich jetzo Wunderwerke!
Von nun an will ich deiner Macht vertrauen.

Ich fühle schon in mir die neue Stärke,
Hinweg entflieht das irdische Verzagen,
Gepriesen sei dein Nam' und deine Werke!

In meiner Seele fängt es an zu tagen,
Und heilige Entschlüsse nun gedeihen,
Zu Lobgesängen werden meine Klagen.

Nicht mehr will ich mich mit mir selbst entzweien,
In Gottes Dienst will ich mein Leben enden,
Den matten Geist mit Himmelsspeis' erfreuen.

O, Dank dir, Freund! Aus deinen lieben Händen
Hab' ich das köstlichste Geschenk empfangen,
Das mir die Güte Gottes mochte senden.

Pilgrim.
Zu dir stand seit dem Tode mein Verlangen,
Besuchen wollt ich dich vor manchen Jahren,
Dir trocknen deine Thränen von den Wangen.

Ich hatte jenseit alles schon erfahren,
Doch wußt' ich auch, wie alles mußte schließen,
Und wer die Mörder deiner Ruhe waren.

So ließ ich denn die Zeit vorüberfließen,
Geläutert erst von meinen ird'schen Sünden
Mußt' mir ein neuer Sinn im Geiste sprießen.

Nun ging ich aus, dich und den Sohn zu finden,
Den ich in Sünden dir zu Schmach erzeugt,
Und dir von Gott den Frieden zu verkünden.

Der Golo, der zum Grabe dich gebeugt,
Derselbe ist mein Sohn aus schlimmer Ehe,
Er selber schlimm, wie er sich dir bezeigt.

Siegfried.
Gar wunderbar! Des Herren Will' geschehe,
Ich bete an die Wege sein im Dunkeln
Und danke selber für dies Herzenswehe:
Ich hoff' dereinst in seinem Licht zu funkeln.

 

Die Kapelle. Morgen.

Hidulfus. Siegfried. Schmerzenreich.

Siegfried.
Hier, wo die Bilder schön die Pfeiler schmücken
Vom Sankt Laurentio und Sebastian,
Soll man auch Genovevam bald erblicken,
Sie wird den Wundermännern zugethan.
Mag mir mein letzter Wunsch, Herr Bischof, glücken,
So bin ich ganz ein seelerfreuter Mann,
Dann fehlt mir nichts in dieser Welt hienieden
Zu meinem Seelenheil und meinem Frieden.

Hildulfus.
Sprecht aus, was Ihr nur immer mögt begehren!
Wenn es nicht Gottes Satzung widerspricht,
So will ich es mit Freuden Euch gewähren.

Siegfried.
Damit in Zukunft mir kein Wunsch gebricht,
So wünsch' ich Gott beständig zu verehren,
Zu wandeln in der Andacht reinem Licht;
Drum will ich dort ein stilles Kirchlein gründen,
Wo mir gegönnt, mein fromm Gemahl zu finden.

Dort will ich ein einsiedlisch Leben führen
Und meinen Staat dem Sohne übergeben,
Ich will fortan Gebete recitieren
Und nach dem Himmelsregimente streben;
Kein irdisch Glück soll die Begierde rühren,
In Vater, Sohn und Geist will ich nur leben,
Und dieser Sohn sei noch, bevor ich sterbe,
Mein rechtsbestätigter und einz'ger Erbe.

Schmerzenreich.
So schaden, Vater, willst du mir im Teilen?
Du nimmst den Himmel für dein Eigentum,
Ich soll dafür beim Irdischen verweilen,
Mir bleibt ein wenig Erde nur zum Ruhm!
Doch ich will auch die kranke Seele heilen,
Ich folge dir zu deinem Heiligtum,
Da wollen wir uns in Gebeten üben,
Solang' uns noch die Wallfahrt vorgeschrieben,

Hidulfus.
Die hohe Frömmigkeit treibt mir die Zähren
In meine Augen: es gescheh' also.
Ich will die Bitt' euch beiden gern gewähren,
So führt ein strenges Leben still und froh;
Doch muß das Land des Schützers nicht entbehren,
Oft drängen es die Heiden wild und roh;
Drum muß Matthias euren Platz besitzen
Und Landesrecht die heil'ge Kirche schützen.

(Sie gehn alle ab.)

Der heilige Bonifacius (tritt ein und beschließt).
So gingen sie zum wunderthät'gen Bilde,
Das ihnen, als sie kamen, gab den Segen.
Das PaternosterDen Rosenkranz; dieser wurde übrigens erst im 12. Jahrhundert eingeführt. nehmend, statt den Degen,
Ruht Siegfried dort, in Gottes Andacht milde.

Sie wohnten unter seinem heil'gen Schilde.
Sie aber ging auf lichterfüllten Wegen
Der schönen Dulderkrone dort entgegen.
Das Land verehrt sie im gemalten Bilde.

Die Heil'gen sind es, die den Himmel stürmen,
Das Paradies sich neu zu eigen machen,
Das uns verloren hat Adam und Eva:

Nun beten Fromme, wann sich Wetter türmen,
Im harten Kampfe mit dem alten Drachen:
Ora pro nobis, sancta Genoveva!

 


 


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