Ludwig Tieck
Herr von Fuchs
Ludwig Tieck

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Zweiter Aufzug.

(Das Zimmer aus dem ersten Akt.)

Erster Auftritt.

v. Fuchs kömmt im Schlafrock aus dem Zimmer im Hintergrunde.

v. Fuchs. Das war ein vortrefflicher Wein, und die Pasteten nicht weniger. Nun fehlt noch Fliege, der mir gute Nachrichten von Louisen bringt, und mein Glück ist vollkommen. –

Friedrich kömmt herein.

Friedrich. Madam Murner –

v. Fuchs, bei Seite. O ich wollte! – Laß sie hereinkommen. – Er setzt sich in seinen Stuhl. – Giebt es denn keine reinen Freuden auf dieser Erde?


Zweiter Auftritt.

v. Fuchs. Madam Murner.

M. Murner. Ich habe die Ehre, Ihnen einen guten Tag zu wünschen. – Wie haben Sie geruht? Wie gespeist? Wie ist Ihr Appetit? – Immer noch so matt? Haben Sie noch immer das Brennen in der Kehle? den beständigen Durst?

v. Fuchs. O freilich, freilich. Mir hilft keine Medicin. – Und wie geht es Ihnen, Madam Murner?

M. Murner. Was das Schlafen anbetrifft, leidlich. Vor drei Wochen war ich eine Zeitlang mit Insomnien geplagt; mein Doktor hat mir aber das Lesen, und sogar das zu viele Denken, streng verboten, und seitdem habe ich mehr Ruhe. – Mit dem Appetit – Sie sieht in einen Spiegel. Aber wie ich aussehe; wie eine alte Matrone hat sie mich frisirt! – Verzeihen Sie, daß ich so zu Ihnen kommen durfte. Es ist unausstehlich, wie oft man dem Mädchen etwas sagen muß; ich predige täglich, – ich habe ihr eine ganze Theorie des Anzugs vorgetragen, – wie so ein Dienstbote das begreifen kann, versteht sich. Aber es hilft nichts.

v. Fuchs. Meine Noth geht an, – sie wird mich in Ohnmacht sprechen. –

M. Murner. Was wird man hier in der Stadt von den Deutschen denken, wenn ich nicht einmal erträglich gekleidet gehe? Das ist ein schöner Ruhm für mein Vaterland. – Sie verläßt den Spiegel. Und wie befinden Sie sich? Also noch nicht besser?

v. Fuchs. Ich habe diese Nacht einen sehr schweren Traum gehabt; mir träumte –

M. Murner. Warten Sie, – ich hatte auch einen fürchterlichen Traum, wenn er mir doch beifiele –

v. Fuchs. O Himmel, da hab' ich in ein Wespennest geschlagen.

M. Murner. Mir träumte, ich stände in Paris, auf dem sogenannten Revolutionsplatze –

v. Fuchs. Ums Himmels Willen, halten Sie ein; ich schwitze am ganzen Leibe, wenn ich nur das Wort Paris nennen höre; sehn Sie, wie ich zittre –

M. Murner. Je Sie armer Mann! – Trinken Sie doch Limonade, oder ein wenig Mandelmilch, das dämpft die Hitze, – oder –

v. Fuchs. O weh! o weh!

M. Murner. Fliederthee mit Manna. Sie haben doch wohl guten Muscatwein im Hause.

v. Fuchs. Befehlen Sie etwa, wenn Sie jetzt in die kalte Luft gehn?

M. Murner. Ich danke ergebenst. – Etwas Saffran darunter, nur etwa einen halben Gran, und Nägelgen; etwas von einer Muskatennuß, gestoßenen Ingwer und Honig, aber von der feinsten Sorte –

v. Fuchs. Nun ist sie im Zuge; – o sie macht alle Vorstellung zu Schanden; mir ist so wahrhaft übel –

M. Murner. Und dazu die gehörige Quantität Himbeer-Syrup. – Befehlen Sie etwa, daß ich Ihnen dies Getränk zubereite?

v. Fuchs. Nein, nein, mir ist ganz wohl. – Meinetwegen bemühen Sie sich nicht weiter.

M. Murner. Ich pfusche ein wenig in die Arzneikunst, wie Sie wohl merken werden. Sonst ist eigentlich Musik jetzt meine Leidenschaft, zwei oder drei Stunden am Morgen ausgenommen, in denen ich mahle. Ich liebe alle schönen Künste mit Passion, eben so sehr als mein Mann sie haßt, eben darum, weil mein Mann sie haßt; besonders aber die Musik; es war auch Plato's und Pythagora's Schwachheit, wenn ich nicht irre.

v. Fuchs. War das nicht derselbe Pythagoras, der seine Schüler fünf Jahre schweigen ließ, um sie mit Ehren in Gesellschaft produciren zu können? – Wenigstens sagt ein Dichter –

M. Murner. Welcher von Ihren Dichtern? Nennen Sie mir nur den Namen, und ich weiß dann gleich, was der gute Mann hat sagen wollen. – Ich muß übrigens gestehn, daß Ihre Landsleute in der Dichtkunst noch weit hinter den unsrigen zurückbleiben; – Kotzebue, Göthe, Schiller, Meißner, Wieland, Klopstock, – welche Namen!

v. Fuchs. Allenthalben werd' ich geschlagen.

M. Murner sucht in ihren Taschen. Sollt' ich denn gar keinen meiner Lieblinge bei mir haben? – Richtig. Hier ist zum Beispiel die niedliche kleine Ausgabe des Oberon.

v. Fuchs. Ich muß nur ganz stillschweigen, das ist noch die beste Parthie, die ich nehmen kann.

M. Murner. Alle Nationen wetteifern jetzt, die Schätze der deutschen Poesie kennen zu lernen. – Klopstock, der erste epische Dichter; Schiller, nur etwas zu gespitzt; Göthe, zu affektirt; Kotzebue ist mein Lieblingsdichter, – da sieht man die reizende nackte Natur, – bisweilen etwas zu shakespearisch, aber das wird sich noch geben. – Wieland ist sehr angenehm, nur bisweilen etwas schlüpfrig. – Hören Sie mich?

v. Fuchs. O ja. für sich. Ich möchte Krähfeld wegen seiner Taubheit beneiden.

M. Murner. Doch für wen schlüpfrig? – Nur für jene schwachen Seelen, denen die Natur jede Art der Stärke versagt hat; – diese werden einer jeden noch so kleinen Leidenschaft ihre Moral aufopfern; sie erkennen nicht das Tribunal der Vernunft, die am Steuerruder sitzen soll, um alle Neigungen des Gemüths zu lenken. Keine schimmernde Außenseite reizt den tiefern Forscher, der seine Ideen und Gefühle genauer untersucht; ihn kann nichts aus seiner kalten philosophischen Ruhe bringen. – Nicht wahr?

v. Fuchs. Ich wollte, ich könnte Ihnen Recht geben.

M. Murner. Ich muß Sie wahrhaftig öfter besuchen, um Sie heiterer zu machen. Lachen Sie doch, und sein Sie lustig!

v. Fuchs zwingt sich in der Verzweiflung laut aufzulachen.

M. Murner. Bravo! Bravo! – O Sie gehören zu den wenigen Menschen, mit denen ich in der engsten Freundschaft leben könnte. – Bis jetzt fand ich nur einen, mit dem ich sympathisiren konnte. Die meisten Menschen sind zu träge, oder zu lebhaft, und haben aus der einen oder der andern Ursach einen Widerwillen gegen ein muntres, fortgesetztes Gespräch. Unglaublich viele haben die Unart, einen beständig zu unterbrechen. In Ihnen finde ich den zweiten Mann, der die wahre Temperamentsmischung hat, der im Stande ist, aufmerksam einem andern zuzuhören. – Der erste war ein Engel: vier Stunden sprachen wir bisweilen miteinander, ohne daß er mich auch nur ein einzigesmal unterbrochen hätte. – Ich will Ihnen doch erzählen, – vielleicht kann es Ihnen Schlaf machen, – wie wir an sechs Jahr zusammen lebten, und uns liebten –

v. Fuchs. O weh! o weh! o weh!

M. Murner. Wir waren von gleichem Alter, und so –

v. Fuchs. Himmel! Schicksal! Verhängniß! rettet mich!


Dritter Auftritt.

Vorige. Fliege.

Fliege. Ihr ergebenster Diener, Madam.

M. Murner. Ergebene.

v. Fuchs. Fliege! Er winkt ihn zu sich. Leise. O willkommen, willkommen, Du mein Erlöser!

Fliege. Wie, gnädiger Herr?

v. Fuchs. O nimm mich von der Folter! Sogleich! Sie hat mich lahm geschwatzt. Die Sturmglocken in Frankreich können jetzt nicht so laut und unaufhörlich schlagen; der Stadtausrufer hätte sie nicht überschrien.

Fliege, leise. Uebereilen Sie sich nicht. Hat Sie denn kein Geschenk mitgebracht?

v. Fuchs. O ich verlange keins; mag sie doch ihr Weggehn so hoch anrechnen, als sie will.

Fliege, laut. Madam –

M. Murner. Ich sticke jetzt für Sie eine Weste im neusten Gout; alle meine Kunst will ich dabei aufbieten.

Fliege. Vortrefflich; ich habe aber vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich Ihren Gemal gesehen habe, wo Sie es gewiß nicht vermuthen sollten –

M. Murner. Wo denn?

Fliege. Wenn Sie eilen, so können Sie ihn noch vielleicht auf der Promenade antreffen, in Gesellschaft einer Dame, die etwas von der Verläumdung leiden muß.

M. Murner. Wirklich?

Fliege. Ueberzeugen Sie sich selbst. Madam Murner empfiehlt sich. Ich dachte wohl, daß sie gleich gehn würde.

v. Fuchs. Tausend, tausend Dank, Fliege. Und was für Nachrichten?

M. Murner, zurückkommend. Mit Erlaubniß –

v. Fuchs, faltet die Hände. O gütiger Himmel!

M. Murner. Auf der Promenade?

Fliege. Auf der Promenade.

M. Murner. Wollen Sie mir wohl einen Ihrer Bedienten erlauben?

v. Fuchs. Mit Vergnügen. –

Madam Murner geht ab.

Fliege. Alles neigt sich auf die glücklichste Art zur Erfüllung Ihrer Wünsche. – Stellen Sie sich vor, ich habe ihr die Ehe versprechen lassen. Ha! ha! ha! Sie wünschten sie zur Frau, hab' ich gesagt –

v. Fuchs. Aber Fliege –

Fliege. Lassen Sie das gut sein. Wenn Sie nur einmal hier ist. – Setzen Sie sich dort in Ihren Stuhl; der Herr von Krähfeld muß im Augenblick mit seinem Testamente kommen. Auch seinetwegen hab' ich noch etwas angeordnet. Wenn er fort ist, will ich Ihnen mehr sagen. Er läßt die Vorhänge herunter, und geht ab. v. Fuchs setzt sich indeß in seinen Stuhl.


Vierter Auftritt.

v. Fuchs. Karl v. Krähfeld. Fliege.

Fliege, der ihn leise hereinführt, und hinter den Schirm stellt. Verbergen Sie sich hier; und Sie werden alles hören. Aber ich bitte, sein Sie ja ruhig. – Man klopft. Dort klopft schon Ihr Herr Vater; ich muß Sie verlassen.

Karl. Thu das – Ich kann es noch immer nicht glauben.

Fliege geht und schließt die Thür auf.


Fünfter Auftritt.

Vorige. Rabe. Louise.

Fliege. Das Wetter! Ei, ei, Sie kommen zu früh. Ich sagte ja, ich würde nach Ihnen schicken.

Rabe. Ich fürchtete aber, Du möchtest es vergessen.

Fliege. Es ist jetzt nicht mehr zu ändern. Er führt sie auf die rechte Seite des Zimmers, dem Schirm gegenüber. Warten Sie hier einen Augenblick, ich werde sogleich zurückkommen. –

Er geht zu Karl hinter den Schirm.

Rabe. Sie wissen wohl nicht, Louise, warum Sie hier sind?

Louise. Ich weiß nichts weiter, als was Sie mir gesagt haben.

Rabe. Nun so will ich Ihnen jetzt etwas mehr sagen.

Fliege, zu Karl. So eben hat Ihr Herr Vater sagen lassen, daß er erst in einer halben Stunde kommen würde; wenn es Ihnen daher gefällig wäre, hier in die Bibliothek zu spazieren, um sich die Zeit zu vertreiben? Ich werde dafür sorgen, daß Sie von niemand gestört werden. Er öffnet links eine Nebenthür, und Karl geht hinein; Fliege verläßt ihn.

Karl, der sogleich wieder zurück kömmt, und seine vorige Stellung einnimmt. Ich will hier stehn bleiben, denn ich traue dem Menschen nicht.

Fliege, für sich. Dort ist er entfernt genug und kann nichts hören. Nun muß ich nur dem Vater aufpassen.

Rabe, der indeß mit Louisen leise gesprochen hat. Entschließen Sie sich nun, denn es muß doch geschehn.

Louise. Ich bitte, ich beschwöre Sie; – doch ich kann so etwas unmöglich für Ihren Ernst halten.

Rabe. O ich bin zum Spaßen gar nicht aufgelegt. Was ich sage, das ist auch meine Meinung. Ich bin nicht verrückt; – drum sein Sie gehorsam.

Louise. Aber ums Himmels Willen! –

Rabe. Nicht lange gezaudert! –

Louise. Welcher Gedanke –

Rabe. Ich habe Ihnen nun alle Gründe auseinander gesetzt; was die Aerzte ausgemacht haben, wie nahe mich die Sache angeht, wie nöthig es ist, daß es Ihr Glück machen soll, – kurz, daß es sein muß.

Louise. Haben Sie denn allen Glauben an Ehre verloren? Oder trauen Sie mir so wenige zu?

Rabe. Ehre? – Luft! – Es giebt gar kein solch Wesen in der Natur: ein Name, erfunden, um Narren in Respekt zu halten; ein Schall, ein Schatten. – Und warum wäre denn diese Heirath gegen die Ehre? Warum denn?

Louise. Welcher böse Geist ist in Sie gefahren?

Rabe. Ihr Ruf? – O man wird Sie wegen der soliden Wahl loben; und wenn Sie wollen, kann ja die Ehe ganz geheim gehalten werden: – der Mund dieses Fliege ist ja in meiner Tasche; – oder auch gar keine Ehe, – wie Sie wollen, ganz wie Sie wollen.

Louise. Entsetzlicher Mensch! – haben Sie mich an ihn verkauft? Aber es soll Ihnen nicht gelingen.

Rabe. Wie?

Louise. Aber Herr Vormund, zwingen Sie mich doch nicht, Aufsehn zu machen: sein Sie grausam, tyrannisch, wie bisher, ich befinde mich besser dabei.

Rabe. Nein, gar nicht, gar nicht; Sie können den jungen Krähfeld sehn, so oft Sie wollen, wenn Sie wollen.

Louise. Und diese Niederträchtigkeit trauen Sie mir zu?

Rabe. Niederträchtigkeit? Würd' es Ihr Vormund von Ihnen verlangen, wenn es das wäre? Es ist ein Werk der christlichen Liebe: es kommt hier auf die Gesundheit und das Leben eines Nebenchristen an.

v. Fuchs, leise zu Fliege, der indeß zu ihm gekommen ist. Fliege, Du bist ein Engel!

Fliege. Wollen Sie nicht näher kommen, Herr Rabe?

Rabe. Wie? – Doch nicht widerspenstig? Nun wahrhaftig –

Fliege. Gnädiger Herr, Herr Rabe ist mit seiner Mündel gekommen, Sie zu besuchen.

v. Fuchs. Ah! – Wirklich?

Fliege. Er bietet sie Ihnen zur Gemalin an. – Das schöne, sittsame Mädchen wird sich glücklich schätzen, Sie in Ihrer Krankheit zu verpflegen.

Rabe. Ich danke, lieber Fliege –

Fliege. Sie kennen den Engel, die Krone der ganzen Stadt.

Rabe. Schön gesagt!

Fliege. Herr Rabe giebt sie Ihnen mit Freuden; er wünscht nichts so sehr, als daß er sein Leben hingeben könnte, Sie zu erhalten.

v. Fuchs. Ich danke ihm herzlich für seine Sorgfalt. – Ich liege ganz ohne Hoffnung darnieder; sag ihm, er möchte für mich beten und sein Vermögen mit Maaße genießen, wenn er es empfangen haben wird.

Fliege, zu Rabe. Hören Sie wohl?

Rabe. Aber ins Kuckuks Namen, wollen Sie denn immer so hartnäckig bleiben? Kommen Sie, ich bitte Sie.

Louise. In Ewigkeit nicht.

Rabe. Soll man denn Gewalt brauchen?

Louise. Ich trotze Ihrer Gewalt –

Rabe. O da möchte man nun gleich dreimal, neunmal des Teufels werden! o ich möchte mich aufhängen vor Bosheit?

Louise. Mäßigen Sie sich.

Rabe. Sein Sie nicht so widerspenstig, ich hab' es nicht um Sie verdient. – Ich bitte Sie, sein Sie nachgebend; ich will Ihnen auch alles schenken, was Sie verlangen, Juwelen, Kleider, Ohrringe und Armspangen; was Ihr Herz nur wünscht. – So grüßen Sie ihn doch wenigstens freundlich. – Nur um das Einzige wenigstens bitt' ich. – Nicht? – nicht? – Nun, das soll Sie wahrhaftig gereuen. Nein, das will ich Ihnen zeitlebens nicht vergessen!

Fliege. Schönes Mädchen –

Rabe. O sie ist taub, sie ist stumm. – Himmelswetter! Das ist denn doch zu arg!

Fliege. Aber lieber Herr–

Rabe. Es ist zu arg, sag' ich; holen mich alle Teufel!

Fliege. Lassen Sie nur, Sie wird schon in sich gehn.

Louise. Lieber mein Leben. –

Rabe. Daß dich der Teufel! – Wenn sie doch nur wenigstens mit ihm sprechen wollte, nur um meine Reputation und guten Namen zu retten, es wäre doch noch etwas. – Aber nein, – total will sie mich ruiniren.

Fliege. Wir wollen gehn und sie allein lassen; vielleicht daß sie dann zutraulicher wird.

Rabe. Liebes Louischen, nun können Sie alles wieder gut machen: – hören Sie? Ich will nicht mehr sagen. – Wo nicht, – nun so mögen Sie sich vor mir in Acht nehmen. Fliege führt ihn durch eine Nebenthür rechts; Louise will ihnen folgen. Nein, bleiben Sie!


Sechster Auftritt.

v. Fuchs. Louise. Karl v. Krähfeld.

Louise. War je ein Mädchen so unglücklich und entehrt als ich?

v. Fuchs, der von seinem Stuhl aufspringt und sie umarmt. So hab' ich Dich endlich, schönes Mädchen, nach der ich so lange schmachtete!

Louise tritt erschrocken zurück. Hinweg!

v. Fuchs. O nicht wahr, wir wollen glücklich und froh mit einander leben? Krank bin ich nur für Deinen einfältigen Zuchtmeister. – Das Leben soll uns wie ein angenehmer Traum vorübergehn. – Warum wendest Du Dich weg? – Liebst Du mich nicht? o Du wirst mich lieben, Du wirst mich lieben, wenn Du mich mehr kennst.

Louise. Ich hasse, ich verachte Sie!

v. Fuchs. Aber ich liebe Dich! und zwar mit einer so heißen, mit einer so inbrünstigen Liebe, – Er umarmt sie.

Louise reißt sich von ihm los, und entflieht durch die Thür im Hintergrunde.

v. Fuchs. O du sollst mir nicht entkommen! Er eilt ihr nach.

Karl stürzt hinter dem Schirm hervor, ihnen nach. Bösewicht!

Fliege kömmt eilig aus dem Zimmer rechter Hand ihnen nach.


Siebenter Auftritt.

v. Fuchs. Fliege..

Beide kommen aus der Thür des Hintergrundes zurück.

Fliege. O ich wollte, daß ich jetzt gleich den Hals brechen könnte! Jetzt wäre mir's gelegen.

v. Fuchs. Fliege, Fliege!

Fliege. O daß ich so meinen lieben Gönner ins Unglück gestürzt habe! Ich möchte mich aufhängen!

v. Fuchs. Das ist Schicksal.

Fliege. Meine Dummheit, gnädiger Herr.

v. Fuchs. Du hast mich elend gemacht; denn durch Dich kam doch der junge Krähfeld ins Zimmer?

Fliege. Freilich, und ich that es aus der besten Absicht von der Welt. Er sollte es selber hören, wie ihn sein Vater enterbte; ich kenne seine Hitze, er hätte sich an ihm vergriffen, – und so hätte das Gericht selbst zu Ihrem Vortheil entscheiden müssen. – Aber der verdammte Kaufmann kam zu früh; und als ich kaum mit ihm da draussen bin, hör' ich schon das Geschrei hier drinnen. Wer hätte das gedacht?

v. Fuchs. Was nun anfangen?

Fliege. Ich weiß nicht. – Könnt' ich doch nur mit meinem Leben den Fehler wieder gut machen.

v. Fuchs. Wo sind sie denn nun hingekommen?

Fliege. Beide zur andern Thür hinaus, auf die Gasse; auch Rabe wird sich davon gemacht haben. – Man klopft.

v. Fuchs. Horch! wer ist da? – Ich höre gehn. – O weh, gewiß die Wache! – Meine Verstellung ist entdeckt; man wird mich als Mädchenräuber gefangen nehmen.

Fliege. Setzen Sie sich geschwind in Ihren Stuhl, gnädiger Herr. Er zieht die Fenstervorhänge auf und öffnet die Thür. Ah, der Herr von Krähfeld.


Achter Auftritt.

Vorige. von Krähfeld; gleich nachher Geyer.

v. Krähfeld. Nun, wie steht es, Fliege? Geyer tritt unbemerkt herein.

Fliege. Sehr unglücklich, gnädiger Herr – Ich begreife nicht auf welche Art Ihr Herr Sohn Ihre Absicht mit dem Testament erfuhr; kurz, er bricht gewaltsam ins Haus, zieht den Degen, nennt Sie einen Schurken über den andern, und schwört, Sie umzubringen.

v. Krähfeld. Mich?

Fliege. Ja, und meinen Herrn dazu.

v. Krähfeld. Der Streich soll ihn nun im Ernst und in der Wahrheit enterben. Hier ist das Testament.

Fliege. Gut, gnädiger Herr.

v. Krähfeld. Es ist alles darin richtig und rechtskräftig gemacht. Aber nun sorge auch hübsch für mich.

Fliege. Mein Leben steht zu Ihren Diensten. Ich bin ganz und gar der Ihrige.

v. Krähfeld. Was macht er denn? Glaubst Du denn, daß er nun auch bald sterben wird?

Fliege. Ich fürchte, er überlebt noch den Mai.

v. Krähfeld. Sogleich, meinst Du?

Fliege. Nein, ich sage, er wird noch den Mai überleben.

v. Krähfeld. Könntest Du ihm nicht etwas eingeben?

Fliege. Nein, gnädiger Herr.

v. Krähfeld. Nun, es ist auch nicht mein Ernst.

Geyer für sich. Das ist ein Schurke, wie ich sehe.

Fliege sieht sich um. Herr Geyer? Ob er wohl etwas gehört hat?

Geyer. Spitzbube!

Fliege. Wer ruft denn? – Ah, Herr Geyer! Sie kommen gerade recht –

Geyer. Ja, um Deine Schurkenstreiche zu entdecken. Du bist ganz sein Diener? und der meinige auch? Nicht wahr?

Fliege. Wie? Ich?

Geyer. Ja, Sie, Herr Schurke. Was ist denn das für eine Geschichte mit dem Testamente?

Fliege. Ein Streich zu Ihrem Besten.

Geyer. Mach mich nicht zu Deinem Narren.

Fliege. Hörten Sie's denn nicht?

Geyer. Ja wohl hört' ich, daß Krähfeld Deinen Herrn zum Erben eingesetzt hat.

Fliege. Das ist wahr, und zwar auf meinen Rath, weil ich hoffte –

Geyer. Daß dein Herr ihn dafür wieder zum Erben einsetzen sollte? nicht wahr?

Fliege. Ich that alles zu Ihrem Besten, lassen Sie mich nur zu Worte kommen; ich sagte es eben darum selbst seinem Sohn, brachte ihn hieher, wo er es mit eignem Ohr anhören sollte, wie sein Vater ihn verstieße; denn ich glaubte, dies würde den jungen feurigen Tollkopf so in Wuth setzen, daß er sich an seinem Vater vergriffe: dann mußte das Gesetz selbst die Enterbung bestätigen, und sie hatten eine doppelte Ladung zu hoffen. Mein Gewissen muß mich frei sprechen; denn meine einzige Absicht war, Ihnen aus diesen beiden alten Gräbern einen Schatz zu erbeuten –

Geyer. Schon gut. Ich danke Dir, lieber Fliege.

Fliege. Aber der ganze Anschlag lief sehr unglücklich ab.

Geyer. Wie so?

Fliege. Sehr unglücklich, wenn Sie nicht alles wieder gut machen. – Indeß wir den alten Krähfeld erwarten, kam Louise, das Mündel das Kaufmanns Rabe, von ihm abgeschickt –

Geyer. Mit einem Geschenk?

Fliege. Nein, nur zum Besuch. Und da dem jungen Menschen der Vater zu lange bleibt, so springt er wie verrückt hervor, und geht mit dem Mädchen, mit dem er einverstanden ist, davon. – Beide haben gedroht, vor Gericht den Herrn von Fuchs anzuklagen, als habe er ihr Gewalt thun wollen: – wie schändlich diese Erdichtung ist, beweist der Augenschein, und unter diesem Vorwand ist er nun gewiß schon hingegangen, seinen Vater anzuklagen, meinen Herrn zu entehren, Sie um Ihre Hoffnungen zu bringen –

Geyer. Wo ist ihr Vormund? – Schicke sogleich nach ihm.

Fliege. Ich will selbst zu ihm gehn.

Geyer. Bring ihn zu mir.

Fliege. Sogleich.

Geyer. Dem muß vorgebeugt werden.

Fliege. Das ist edel von Ihnen. Meine ganze Bemühung war ja zu Ihrem Besten; der ganze Plan war auch sehr klug angelegt; aber das Unglück kann in einem Augenblick die schönsten Projekte zusammentölpeln.

v. Krähfeld hat indeß in Gedanken gestanden, und zum Theil noch etwas im Testamente gelesen. Was ist denn?

Geyer. Ist es Ihnen jetzt gefällig zu gehn, gnädiger Herr? – Geyer und v. Krähfeld gehn ab.

Fliege. Gehn Sie hinein, und beten Sie für den Fortgang unsrer Sache.

v. Fuchs. Noth lehrt beten: der Himmel segne Eure Bemühungen! Beide gehn zu verschiednen Seiten ab.


(Der öffentliche Spaziergang.)

Neunter Auftritt.

Murner. Birnam.

Murner. Ja, sehn Sie, dies sind meine Projekte, die zur Aufklärung des Jahrhunderts gewiß sehr viel beitragen würden.

Birnam. Außerordentlich viel. – Was habe ich nicht seit dieser kurzen Bekanntschaft alles gehört und gelernt? Als ich Sie da so um das Haus herumschleichen sah, wahrhaftig, da träumte mir nicht, daß wir so schnelle Freunde werden würden. Was die Langeweile nicht thut! Ich habe ihr viel zu danken: sie hat mich verliebt gemacht, und nun wirft sie mir noch einen guten Freund an den Hals.

Murner. Und immer verliebt, immer verliebt; – bleiben Sie doch einmal bei der Sache, bester Freund. Sagen Sie, sagen Sie selbst, ist es nicht Schade, daß gute Köpfe einen so eingeschränkten Wirkungskreis haben? – Daß ich mit diesem Kopfe nicht auf einem Throne sitze, ist vielleicht für einen großen Theil von Europa ein Unglück.

Birnam. Man kann nicht wissen.

Murner. Die Potentaten sind manchmal nicht sehr potentes, was den Kopf anbetrifft.

Birnam. Man hat Beispiele.

Murner. Die Republiken liebte ich bisher; dort, glaubte ich, gediehen die Reformatoren, dort sei das Klima für kühne Projekte; – aber auch dort ist's nichts. – Sehn Sie nur das Frankreich an: schon vier Jahr eine Revolution, und noch alles beim Alten.

Birnam. Nun wahrhaftig, die Bemerkung ist neu.

Murner. Ja, die paar Veränderungen, die sie gemacht haben, bedeuten nichts; die werden der verdorbenen Menschheit auf die Beine helfen. Ist es nicht eine Schande? Vier Jahr Revolution, und noch sind die gelehrten Folianten und Quartanten, die Gedichte und Romane, nicht ins Meer geworfen; und noch sind die Schnürbrüste, Kopfzeuge, die Kinderwiegen und Wickelbänder nicht verbrannt: heißt das eine Revolution?

Birnam. Nun, nun; warten Sie nur; man ist auf guten Wegen.

Murner. Wenn ich König, oder Protektor, oder Dämagog wäre, – wissen Sie, was ich meine erste Thathandlung sein ließe.

Birnam. Sie schnitten mit einem großen Schnitt der einen Hälfte der Nation die Haare rund, und rissen der andern die Perücken herunter.

Murner. Auch das; aber zuerst vernichtete ich mit Einem Schlage meines Zepters alle Universitäten, alle Schulen, wo man noch an die Alten dächte.

Birnam. Sie erschrecken mich; ich kenne Sie nicht wieder. – Sie, der Mann mit dieser sanften Seele? dieser rüstige Schriftsteller! –

Murner. Schriftsteller; allerdings Schriftsteller. Aber, unterscheiden Sie wohl: – nicht Schulgelehrter, – was man Gelehrter nennt. – Diese verderblichen Geschöpfe werden auf den verwünschten Universitäten gebildet, die zu nichts dienen, als unsre Jugend zu verderben, Müssiggang oder Nachbeterei zu befördern. – Ich weiß es aus eigener Erfahrung, wie wenig man dort lernt.

Birnam. Ich traue Ihnen sehr viel Erfahrung zu.

Murner. Es gewöhnt den Geist an eine gewisse ängstliche Form, die aller eigentlichen Ausbildung schnurstracks im Wege steht. – Man lernt Worte ohne Sinn: der geistreiche Mensch muß sich befleißigen, Sinn ohne Worte zu haben. Ein starkes Gefühl in einer Wissenschaft ist mehr werth, als hundert auseinandergesetzte Gedanken.

Birnam. Ich verstehe Sie nicht.

Murner. Ja, wenn sich nur diese Gefühle recht deutlich machen ließen! Sehn Sie, ich meine, so wie jemand Gehör für die Musik haben kann, ohne zu wissen, wie er dazu gekommen ist, oder ein richtiges Augenmaaß; – so kann man sich eben so bei jeder Wissenschaft eine gewisse Fertigkeit erwerben, die einem am Ende zur Natur wird, ohne sich über irgend etwas in tiefsinnige Spekulationen einzulassen.

Birnam. Sind Sie auch bei der Philosophie der Meinung?

Murner. Die haß' ich eben auf den Tod: der grade Menschenverstand, den jeder mit auf die Welt bringt, das ist die wahre Philosophie. Meine zweite Einrichtung wäre eben die, daß ich es verbieten ließe, daß irgend jemand philosophirte, oder Systeme aufzustellen suchte; – das führt geradehin zum Ruin des menschlichen Verstandes.

Birnam. Nun, das muß ich gestehn!

Murner. Mit den verdammten sogenannten Schlüssen! Da wird man ganz unvermerkt gezwungen, etwas zuzugeben, woran man zeitlebens nicht gedacht hat; die Philosophie geht recht darauf aus, die eigne freie Meinung aufzuheben.

Birnam. Auf die Art ist sie nichts als eine einzige große Impertinenz gegen alle übrigen Menschen, die denn wahrhaftig ihre Köpfe auch nicht blos der Mode wegen haben.

Murner. Wer in meinem Lande philosophiren wollte, der würde über die Gränze gebracht. Der Kaiser Domitian war gewiß kein ganz dummer Mann, daß er die Philosophen verjagte.

Birnam. Wenigstens gehörte er hoffentlich zu den Klugen, als sie fort waren.

Murner. Ich wollte meinen Staat bald von den unnützen Müßiggängern reinigen; so ließ ich zum Beispiel jedem, der Verse machte, den Staupbesen geben.

Birnam. Recht so; – es ist in hundert Versen nicht ein einziges Wort wahr.

Murner. Dunst und Schatten; die Dichter rühmen sich sogar selbst und öffentlich ihrer Erfindungen; das führt zur Immoralität. –

Birnam. Es hängt mit dem Betrügen und Stehlen zusammen: es ist der erste Schritt zur Verstellung.

Murner. Wer sich nun gar erfrechte, einen Roman oder eine Komödie zu schreiben, der würde ohne Barmherzigkeit aufgehängt.

Birnam. Es wäre freilich des Beispiels wegen nothwendig.

Murner. Denn, zeigen Sie mir nur eine einzige Elle Leinwand, oder auch selbst nur – einen Pfannkuchen, den je Dichter und Romanschreiber durch ihre Arbeit zusammengebracht hätten.

Birnam. Im Gegentheil, die schönen Lumpen, die das wegnimmt –

Murner. Da haben Sie Recht. – All' das Zeug befördert die Ausschweifung, und kann nur die Menschheit im Kinderalter amüsiren.

Birnam. Ich bin neugierig, was Sie wohl mit den Theatern anfingen.

Murner. O sein Sie versichert, ich würde sie sehr gut anwenden. – Ich machte nämlich große Uebungsplätze daraus, eine Art von öffentlichen Volksredouten, wo alle Arten von Leibesübungen, Springen, Balgen, Laufen, getrieben würden. Jedem, der ein paar gute Fäuste, und einen mäßigen Rücken hätte, wäre die freie Entree vergönnt. Da würd' ich mir ein Volk erziehen! – Manche, die vielleicht blos der Motion wegen kommen wollten, und ihren Rücken nicht gern hingeben, aber doch die Uebungen mitgenießen, diese bezahlten am Eingange ein billiges Geld, und dürften nachher nicht geschlagen werden. – Das so eingekommene Geld aber würde auf die gewandt, die bei den Spielen etwa beschädigt würden. So erhielte sich das Institut immer durch sich selbst. – Dann könnte man erst von Nationaltheatern sprechen! – Von allen systematischen Büchern, von allen Griechischen, Lateinischen und Hebräischen, ließe ich die Bibliotheken säubern, dann würde es dem Menschen erst möglich gemacht, das wirklich Nutzbare und Praktische zu lesen.

Birnam. Mir ist, als säh ich Sie mit der Zerstörermiene in den Bibliotheken herumwühlen.

Murner. Alle Kupferstiche und Gemäldesammlungen ließe ich verbrennen, daß kein Gebein übrig bliebe. – Man sehe die Bäume und Berge an, wie sie sind, und nicht, wie sie sein könnten; der Mensch muß nicht klüger sein wollen, als sein Schöpfer.

Birnam. Es ist im Grunde dieselbe Naseweisheit, wegen der Nebukadnezar so hart gestraft ward.

Murner zieht mit einemmale sein Taschenbuch heraus und schreibt es nieder. Das war eine äußerst brave Anmerkung. – Statt Latein und Griechisch zu lernen, muß sich die Jugend auf Springen und Laufen legen; das giebt Kräfte und Munterkeit. Die Lehrer in den Schulen müßten nach der Höhe rangirt werden, in der sie springen könnten; statt daß oft manche von den berühmtesten unsrer jetzigen Gelehrten nicht auf einem Bein stehen können.

Birnam. Das würde der ganzen Gelehrsamkeit wirklich einen rechten Schwung geben. Manche neue gute Gewohnheiten würden dadurch in Gang gebracht. Jetzt erkriecht man sich Aemter; dann würde man sie sich erspringen; die Fertigkeit ist wenigstens um ein großes Theil poßierlicher.

Murner. Wer mir nicht ein Handwerk gelernt hätte, er sei Graf oder Bettler, der käme als ein Landstreicher ins Arbeitshaus. Fabriken und Handwerker sollten floriren, daß es eine Freude wäre; – ich wollte Talente schätzen und belohnen; Millionen wollt' ich nicht achten, um eine neuerfundene Maschine aufzumuntern, wenn sie auch nur täglich einen Groschen ersparte.

Birnam. Vortrefflich! Sie sind ganz begeistert!

Murner. Die Aufklärung sollte in meinem Staate Riesenschritte thun. Damit sich das Volk von der Schätzung der Nebensachen entwöhnte, müßten alle Prediger beständig in rothen Röcken gehn.

Birnam. Natürlich.

Murner. Es wäre auch nicht nöthig, daß sie immer von der Kanzel herabpredigten; sondern sie könnten zuweilen mitten in der Kirche Reden halten. dadurch werden die gemeinen Leute unvermerkt mehr zur Schätzung der Hauptsache gelenkt. Oder, wenn es einem von den Zuhörern bequemer wäre, so müßte es ihm auch vergönnt sein, sich auf die Kanzel, neben dem Prediger zu stellen, – und so viele als dort Platz hätten.

Birnam. Da würde oft nicht solch Gedränge in der Kirche sein, und diesen könnte der Volkslehrer dann seine Predigten recht besonders ans Herz legen. –

Murner. Wer sich schminkte, oder die Lippen und Augenbraunen färbte, würde gebrandmarkt.

Birnam. So ein Brandmahl sieht im Grunde immer besser aus, als diese unnatürlichen Zierereien. –

Murner. Haben Sie das bekannte Salzmannische Elend nicht gelesen? –


Zehnter Auftritt.

Vorige. Madame Murner. Friedrich.

M. Murner. Er ist gewiß nicht mehr hier; wo soll ich ihn nun finden?

Friedrich. Dort steht Herr Murner.

M. Murner. Wo?

Friedrich. Dort, mit dem jungen Herrn.

M. Murner für sich. Das ist sie gewiß; – eine artige Verkleidung. – zu Friedrich. Ruf ihn doch einmal her. – Ich denke eben daran, daß ich doch mit einiger Delikatesse zu Werke gehn muß, denn er ist doch immer mein Mann. – Friedrich hat mit Murner gesprochen.

Murner. Ah, – dort ist meine Frau.

Birnam. Wo?

Murner. Dort. Sie sollen sie kennen lernen. Wäre sie nicht meine eigne Frau, so würd' ich von ihr sagen, daß sie ein sehr angenehmes Wesen hätte! auch ist ihr Gesicht ziemlich schön.

Birnam. Sie scheinen nicht eifersüchtig.

Murner. Und was ihre Gabe der Unterhaltung anbetrifft –

Birnam. Ihrer Frau wird es daran nicht fehlen.

Murner. Madam, ich habe die Ehre, Ihnen hier einen jungen Mann, einen Engländer, meinen Freund, vorzustellen.

M. Murner. Wirklich?

Murner. Er scheint zwar noch ein junger Mann –

M. Murner. Ja, aber der Schein betrügt zuweilen.

Murner. Er ist schon viel in der Welt umher gewesen.

M. Murner. Ei! ei!

Murner. Was ist Ihnen denn?

M. Murner. Es ist eine schlechte Manier von Ihnen, Herr Murner, daß Sie mich noch so plump hintergehen wollen, da ich Sie eben mit so vieler Discretion behandeln wollte. – Herr Murner, ich muß es Ihnen nur gerade heraus sagen, daß sich das schlecht für Sie schickt; – Sie sollten doch Ihren guten Ruf etwas höher schätzen. Ein Mann von Ihrem Stande; ein Mann von Ihren Jahren! – Aber ich sehe wohl, Sie halten wenig von der Treue, die man seiner Frau schuldig ist.

Murner. Ich weiß doch nun wahrlich nicht, was Sie wollen.

M. Murner. O verstellen Sie sich nur nicht. – Und von Ihnen, zu Birnam. Madam, oder wie soll ich Sie nennen? ist es eben so unschicklich, bejahrte Männer an sich zu locken. Es ist schändlich!

Birnam. Was Teufel! – Wie?

Murner. Ich glaube Sie jetzt zu verstehn: aber so gewiß ich eine Reisebeschreibung verfertige, Sie sind auf falschen Wegen.

M. Murner. Nein, Sie sind es. – Ich finde diese Denkungsart, Madam, äußerst niedrig, und mit dem sogenannten Pöbelhaften sehr nahe verwandt, sehr nahe –

Birnam Nun, das ist denn doch zu arg! – Mir ist, als fiele ich aus den Wolken!

Murner. Ich schwöre Ihnen, daß dies hier ein junger Mann, mein Freund ist. Ich wundre mich überhaupt, daß Sie mir so etwas zutrauen.

M. Murner. Ei, wie Sie heilig thun können! Freilich, Sie sind der Mann, um den man gar nicht nöthig hat, sich zu bekümmern; Sie sind die Unschuld selbst; wer sollte auch an Ihrem guten Betragen zweifeln?

Murner. Ich sollte mich so weit vergessen? Sie kennen ja meine Grundsätze hierüber, die sogar im Druck erschienen sind!

M. Murner. Ach, was Grundsätze; ich halte mich an dem, was ich sehe.

Murner. Nun, und was sehn Sie denn? daß ich mit einem guten Freunde hier auf und ab gehe.

M. Murner. O nur zu sehr Ihr Freund; ich weiß alles, alles.

Murner. Wenn Sie nicht aufhören, so werden Sie mich zu einer Entfernung nöthigen.

M. Murner. O ja, darin kenn' ich Sie. Ihrer Frau gehn Sie aus dem Wege, und suchen sich dafür andre Freunde. Wahrhaftig, sehr zärtlich! –

Birnam. Ist Ihre Frau oft so? – Ist dies etwa eine ihrer täglichen Launen? Murner geht ab.

M. Murner. Unausstehlich! – gehn Sie ihm doch nach Madam, – er wird sonst böse auf Sie.

Birnam. Nein, ich bin nun neugierig, wie das endigen wird.

M. Murner. Schön! Sie sind nicht verzagt, wie ich sehe.


Eilfter Auftritt.

Vorige. Fliege, der aus dem Hause des Kaufmann Rabe kömmt.

Fliege. Worüber sind Sie denn so aufgebracht, Madam?

M. Murner. Aber das Gericht soll mir Recht verschaffen; – wir wollen doch sehn.

Fliege. Womit hat man Sie beleidigt?

M. Murner. Das Mädchen, von dem vorher gesprochen wurde, – hier steht sie in Mannskleidern.

Fliege. Wie? die ich meine, steht jetzt vor Gericht; – dort sollen Sie sie sehn?

M. Murner. Wie? – Und ich habe mich geirrt?– Wo ist sie?

Fliege. Ich will Sie hinführen. – zu Birnam. Verzeihen Sie gütigst; durch meine Schuld ward das Mißverständniß veranlaßt.

Birnam. Der Mißverstand hätte mir leicht meine Augen kosten können.

M. Murner. So hoff' ich, daß Sie einem armen, gekränkten Weibe ihre Hitze vergeben werden; ich hoffe, Sie haben schon alles vergessen.

Fliege. Wollen Sie nicht kommen, Madam?

M. Murner. Ich bin überzeugt, daß Sie mir verziehen haben, und an den Vorfall nicht mehr denken. –

Geht mit Fliege ab; Friedrich folgt ihnen.


Zwölfter Auftritt.

Birnam. Murner kömmt leise zurück.

Murner. Ist sie schon fort.

Birnam. Ei, ei! Sie sind mir der rechte Philosoph. – Stellt sich, als sei es das größte Verbrechen, einem Mädchen nachzugehn; und nun kömmt seine eigne Frau hieher, um ihm den Text zu lesen.

Murner. Ich betheure Ihnen, daß meine Frau sehr Unrecht hat.

Birnam. Sie that, als wären Ihnen solche Untreuen ganz etwas gewöhnliches.

Murner. Ich sage Ihnen, sie liest den Kotzebue zu viel; davon wird ihr ein solches Mißtrauen so natürlich.

Birnam. Ich zweifle immer noch: ich halte Sie wahrhaftig am Ende für eine Art von Tuckmäuser. Stille Wasser sind oft tief.

Murner. Kommen Sie jetzt; es wird heut Gericht gehalten. Ich habe noch einige Gänge durch die Stadt zu thun; hernach wollen wir den Prozeß mit ansehn, der hier öffentlich geführt wird. – Sie gehn ab.

 


 


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