Ludwig Thoma
Lottchens Geburtstag
Ludwig Thoma

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Ludwig Thoma

Lottchens Geburtstag

Lustspiel in einem Akt


Personen:

Geheimrat Dr. Otto Giselius, Universitätsprofessor
Mathilde, seine Frau
Lottchen, beider Tochter
Cölestine Giselius, Schwester des Geheimrats
Dr. Traugott Appel, Privatdozent
Babette, Köchin bei Giselius

Ort: Kleine Universitätsstadt

Zeit: Gegenwart


Erste Szene

Großes Zimmer. Gemütliche Einrichtung im Biedermeierstil; weiße Vorhänge an den Fenstern. Rechts ein runder Tisch, ein Kanapee, mehrere Stühle; vor einem Fenster ein Lehnstuhl; ein Flügel rechts. Eine Tür in der Mitte, eine Tür links.

Frau Giselius stellt auf einen weißgedeckten kleinen Nebentisch ein Blumenbukett und ordnet einige Geschenke, die dort liegen.

Professor Giselius tritt durch die Mitte ein: Nun frage ich zum dritten Mal, wo sind meine Zeitungen?

Frau Giselius sich halb umwendend: Dort auf'm Flügel.

Professor Giselius: M-ja, richtig. Nimmt sie weg. Es ist merkwürdig, daß ich jeden Tag eine Forschungsreise nach meinen Morgenblättern machen muß. Warum liegen sie nicht in dem dazu angebrachten Behälter?

Frau Giselius: Weil sie der Herr Geheimrat jed'smal herausnimmt und irgendwohin legt.

Professor Giselius: So? Sich nach ihr umsehend. Was machst du denn eigentlich da, Tildchen?

Frau Giselius: Die Geschenk' richt' ich her.

Professor Giselius: Wem und was wird geschenkt?

Frau Giselius mit leichtem Vorwurf. Unserm Lottche zum Geburtstag.

Professor Giselius: Sieh mal an! Unser Lottchen hat Geburtstag! Du denkst aber wirklich an alles. Er tätschelt ihr die Wange. Man sollte sich derartige Feste schriftlich notieren.

Frau Giselius: Ja, und die Notize verlege.

Professor Giselius setzt sich in den Lehnstuhl und öffnet eine Zeitung: Lottchen hat Geburtstag? Sich besinnend. Sag mal, wäre es nicht angezeigt gewesen, wenn ich mich an den Geschenken beteiligt hätte ?

Frau Giselius gemütlich: Eigentlich – ja.

Professor Giselius: Warum sagst du nichts? Du kannst doch den animus donandi bei mir voraussetzen!

Frau Giselius: Nu red' doch net! Seit einer Woche erzähl ich dir, daß wir Lottche was schenke müss'n.

Professor Giselius: Seit einer Woche?

Frau Giselius: Es kann noch länger sei.

Professor Giselius: Dann trifft allerdings mich der Vorwurf der mangelnden Sorgfalt.

Frau Giselius: Ich hab' aber für dich eingekauft.

Professor Giselius: Man heißt das eine negotiorum gestio, eine Geschäftsführung ohne Auftrag, ja.

Frau Giselius auf den Tisch zeigend: Das Tagebuch in Leder gebunde is von dir.

Professor Giselius aufgeräumt: Und dazu legst du ihr meine Abhandlung über die specificatio.

Frau Giselius: Was tut sie mit der?

Professor Giselius vorwurfsvoll: Liebes Kind, hast du eine Ahnung, wie lebhaft die Streitfragen sind? Schon unter Gaius wurden sie aufgerollt...

Frau Giselius: Also schön, ich leg dei Abhandlung hin.

 
Zweite Szene

Von links kommt Babette herein, mit aufgekrempelten Ärmeln, hochrot im Gesicht.

Babette: Frau Geheimrat, wie is jetzt? Soll ich en Kaffeezopp mache?

Frau Giselius überlegend: En Zopp?

Babette: Oder en Zimtkuche? Unser Fräulein Lottche ißt'n als zu gern.

Frau Giselius: Was Ihne weniger Arbeit macht, Babettche. Aber wo is denn Lottche?

Babette: Sie is gleich nach'm Kaffee weg, un ich soll der Frau Geheimrat sage, bis elf is se lang wieder daheem, un ich glaub als, sie bringt uns e Präsent heem...

Frau Giselius: Das sieht dem gute Kind gleich.

Babette: Sie hat so freundlich gelacht, wie sie fort is; aber jetz muß ich in mei Küch. Hernach mach ich doch en Zimmtkuche... Ab.

 
Dritte Szene

Professor Giselius: Tildchen!

Frau Giselius: Ja?

Professor Giselius: Ich denke gerade darüber nach: wie alt wird denn unser Lottchen?

Frau Giselius: Zwanzig. Deswege mache wir's doch festlicher wie sonst.

Professor Giselius: Dann weiß ich, was mir die ganzen Tage her im Kopf umgegangen ist. Schlägt mit der Hand auf die Stuhllehne. Ja, das war es!

Frau Giselius: Du hast an unser Fest gedacht? Das is nett von dir.

Professor Giselius: Nicht so eigentlich an das Fest... nein; an etwas anderes, was damit zusammenhängt.

Frau Giselius: Is es wieder dei specicatio?

Professor Giselius: Spe-ci-fi-catio, liebes Kind. Die Verarbeitung einer res mobilis in neue Formen. Schon die Sabinianer waren der Ansicht...

Frau Giselius unterbrechend: Und was hat das mit Lottche zu schaffe?

Professor Giselius zerstreut: Wie?

Frau Giselius: Du sagst, es hängt mit 'm Geburtstag zusamme.

Professor Giselius: Du hast meinen Gedankengang unterbrochen... Lottchen wird heute zwanzig; du irrst dich darin nicht?

Frau Giselius gemütlich: Nein.

Professor Giselius aufstehend: Dann ist es höchste Zeit. Ja, nun ist mir alles wieder klar, was Butterweck schrieb.

Frau Giselius: Darf ich's net wisse?

Professor Giselius: Du mußt es sogar erfahren. Auf und ab gehend. Es war vor vier Wochen, ich las damals über Familienrecht, ganz richtig, so war es, und da kam mir nun dieser Aufsatz unseres vortrefflichen Butterweck vor Augen und erinnerte mich an eine Pflicht, die ich als pater familias zu erfüllen habe. An eine unabweisliche Pflicht.

Frau Giselius ist neugierig geworden: Willst du net endlich sage – – ?

Professor Giselius: Die Sache liegt klar. Aus dem Pflichtenkreise der väterlichen Gewalt resultiert gerade diese Obliegenheit ganz unzweifelhaft.

Frau Giselius ungeduldig: Was für e Obliegeheit?

Professor Giselius: Geheimrat Butterweck hat in zwingender Beweisführung dargetan, daß man seine Kinder über gewisse natürliche Dinge aufzuklären hat. Die Folgen der Unterlassung können schrecklich oder beschämend sein. Bleibt stehen. Und siehst du, Tildchen, diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen. Ich werde deshalb unser Lottchen aufklären.

Frau Giselius: Über was willst du sie aufkläre?

Professor Giselius: Nun, über das. Da ihn Frau Giselius noch immer verständnislos ansieht. Über das Zusammenleben, über das eventuelle Zusammenleben mit einem Manne.

Frau Giselius schlägt die Hände zusammen.: Haww ich scho so was gehört!

Professor Giselius entschieden: Der Zeitpunkt ist nicht zu früh gewählt. Und nun ist es an mir, ihre Unerfahrenheit zu beheben.

Frau Giselius wie vorher: Hat eens schon so was gehört!

Professor Giselius: Du wunderst dich darüber bloß, weil wir heute zu engherzig erzogen sind. Butterweck weist darauf hin, daß manche Völker des Altertums den jungen Mädchen sogar Unterricht in der Liebe erteilen ließen.

Frau Giselius: Mensch! Otto! Geheimrat!

Professor Giselius: Ich sage das nur zu deiner Beruhigung. Natürlich denkt heute niemand daran, seine Tochter auf zyprische Weise erziehen zu lassen.

Frau Giselius: Vielleicht kommt Ihr mit eurem Butterweck auch noch so weit! Daß en Mann in deine Jahr sich so Zeug aufschwätze läßt.

Professor Giselius : Tildchen, das verstehst du nicht. Gegen den Aufsatz läßt sich nichts einwenden; er war ganz folgerichtig aufgebaut.

Frau Giselius: Meinetwege, aber mußt dann du so was ernst nehme?

Professor Giselius: Welchen Wert haben erkannte Wahrheiten...

Frau Giselius: Ihr schreibt viel, wenn 's Jahr lang is.

Professor Giselius ruhig verweisend: Welchen Wert haben erkannte Wahrheiten, wenn wir sie im Leben nicht anwenden?

Frau Giselius: Und wie du auf die Idee kommscht, daß unser Lottche noch extra aufgeklärt werde muß?

Professor Giselius verständnislos: Hm?

Frau Giselius: Wer sagt dir dann, daß sie's nötig hat?

Professor Giselius: Hast du mit ihr darüber gesprochen?

Frau Giselius: I wo!

Professor Giselius: Ich auch nicht. Also?

Frau Giselius: Glaubst du wirklich, daß junge Mädche so was lerne müss'n, wie d' Grammatik?

Professor Giselius: Jedenfalls kenne ich keinen Weg, eine Tatsache mitzuteilen, als den der Schrift oder der Sprache.

Frau Giselius: Giselius!

Professor Giselius: Ja, keinen andern Weg.

Frau Giselius: Guckst du gar nie aus deiner Stub 'raus? Und weißt net mehr, was jung is?

Professor Giselius: Was soll das heißen?

Frau Giselius: Daß man so was fühlt und ahnt... und...

Professor Giselius: Bleiben wir bei logischen Begriffen!

Frau Giselius eifrig: Du lieber Gott! Woher's die junge Mädche wisse? Vielleicht singen's ihne die Maikäfer in die Ohre, oder es klingt in der Luft, aber ganz gewiß, an eme schöne Frühlingstag wisse mir alles.

Professor Giselius: Das kann ich mir ja lebhaft vorstellen.

Frau Giselius: Nein! Du kannst dir's net vorstelle. Aber wann du emal Mädche siehst, die lache, und wisse net warum, und die rot werde, und wisse net wie, dann haben sie's g'rad erfahre.

Professor Giselius ironisch: Soo?

Frau Giselius: Ja.

Professor Giselius: Das sind romanhafte Ideen, die ihr weiß Gott woher nehmt.

Frau Giselius: Was mit der Lieb zu tun hat, muß e bißche romantisch sei.

Professor Giselius: Nein, Tildchen! Alles, was wir tun, soll zweckmäßig sein und...

Frau Giselius: Ich mag so was net höre...

Professor Giselius: Bitte. Die Ehe ist ein Vertrag. Darf man es dulden, daß ein schwaches Wesen diesen wichtigen Vertrag eingeht, ohne klare Erkenntnis in die Pflichten, den Endzweck et cetera?

Frau Giselius: Das et cetera kommt von selber.

Professor Giselius: Ich wollte nur, du hättest Butterweck gelesen!

Frau Giselius: Bleib mir ewek mit dem!

Professor Giselius: Seine Logik ist zwingend. Frau Giselius macht eine abwehrende Geste. Ja! Sie ist es. Er schreibt zum Beispiel... warte... mir fällt es gleich ein... Nachdenkend. Es ist grausam, jede Generation ihre Erfahrungen immer auf ein neues erringen zu lassen.

Frau Giselius: Das is doch g'rad schö!

Professor Giselius: Was ist schön?

Frau Giselius: Die Erfahrung erringe. Man muß aber schon e Gelehrter sei, wenn em das so schrecklich vorkommt.

Professor Giselius verzweifelt: Da fehlt eben alles Positive!

Frau Giselius: Meinswege.

Professor Giselius: Jeder fest abgegrenzte Vorstellungsinhalt.

Frau Giselius: Überhaupt, was brauchst du dich um so Sache zu kümmere? Das kannst du ruhig deim künftige Schwiegersohn überlasse.

Professor Giselius ungeduldig: M-m!

Frau Giselius: Den geht's was an, aber dich net.

Professor Giselius laut und lehrhaft: Wenn nun aber dieser künftige Schwiegersohn ebenso unerfahren ist?

Frau Giselius: Hernach tut er mir leid.

Professor Giselius: Bitte, beantworte mir in strikter Weise meine Frage. Wie dann, wenn er ebenso unerfahren ist?

Frau Giselius die Achseln zuckend: In Gottes Name! Dann könnt'r immer noch komme, du un dei Butterweck.

Professor Giselius: Eine Fülle von peinlichen Momenten wäre die Folge. Für ihn und für sie.

Frau Giselius lacht herzlich: Was müßt das für e Leilaps sei!

Professor Giselius: Mir ist es bitter ernst. Ich weiß persönlich, bis zu welchem Grade man als junger Mann unwissend sein kann.

Frau Giselius gemütlich: Nu also!

Professor Giselius verständnislos: Wie?

Frau Giselius: Und doch is unser Lottche da.

Professor Giselius betroffen: Allerdings. Sie ist da... Aber warum sollen wir sie nicht im vorhinein auf eine Stufe der Erkenntnis setzen, die wir erst erklimmen mußten?

Frau Giselius heiter: Otto, wenn du schon die Stuf'...

Professor Giselius energisch: Keine Scherze jetzt! Überdies bist du im Irrtum. Ich will dir nur sagen, ich ermangelte damals nicht gänzlich der Erfahrung.

Frau Giselius lustig: Na! Na! Na!

Professor Giselius eindringlich: Nein, Tildchen!

Frau Giselius: Ich glaub' net an dei Jugendsünde.

Professor Giselius: Wer spricht von so was?

Frau Giselius: Weil du sagst, daß du net... nu ja, daß du net...

Professor Giselius: Daß ich nicht gänzlich der Erfahrung ermangelte. Und ich mache dich mit dieser Tatsache nur deshalb bekannt, weil sie hier nützen kann.

Frau Giselius lustig: Mir isch die Tatsach neu.

Professor Giselius: Ich muß offen und deutlich reden.

Frau Giselius hält sich scheinbar die Ohren zu: Hör uff!

Professor Giselius auf und ab gehend: Es war damals, am Tage vor unserer Hochzeit. Ich sagte mir, daß ich so rei ignarus, wie ich war, diesen wichtigen Schritt nicht unternehmen dürfe. Frau Giselius sieht ihm lächelnd nach. Und ich beschloß, mir Aufschlüsse zu verschaffen.

Frau Giselius: Aber Otto!

Professor Giselius sehr ernst: Ja, und in meiner Not ging ich zu unserm vortrefflichen Zoologen Dr. Busäus. Ihm verdanke ich es, wenn ich einiges wußte.

Frau Giselius amüsiert: Dem alte Busäus?

Professor Giselius: Ihm, ja. In einer unvergeßlichen Unterredung hat mich der würdige Gelehrte aufgeklärt.

Frau Giselius lachend in einen Stuhl fallend: Der alt, griesgrämig Jungg'sell?

Professor Giselius ernst fortfahrend: Und die Erinnerung an jene Stunde... Zu Frau Giselius, die noch heftiger lacht. Was hast du?

Frau Giselius: Ei, wenn ich das gewußt hätt! Ich hab ihm net emol gedankt!

Professor Giselius verweisend: Mir gibt diese Erinnerung die ernste Mahnung, daß ich mich meiner Pflicht nicht entziehe.

Frau Giselius: Im Gegenteil; jetzt brauchst du dich gar nimmer zu strapaziere...

Professor Giselius: Hm?

Frau Giselius: So lang's Zoologe hat!

Professor Giselius: Es ist heute nicht schwer, darüber zu lachen, aber damals habe ich es bitter empfunden, daß so viel von einem Zufalle abhing. Denke dir, wenn Busäus verreist gewesen wäre?

Frau Giselius: Damals?

Professor Giselius: Ja, oder krank? Oder selbst nicht in der Lage?

Frau Giselius steht auf und geht nahe zu ihm: Dann, du Tolpatsch, hätt' ich dir vielleicht was ins Ohr gesagt.

Professor Giselius geht zum Lehnstuhl, nimmt die Zeitung und setzt sich: Wir wollen über all das reden, wenn du einmal ernsthafter gestimmt bist; jedenfalls bin ich mir vollkommen darüber klar, daß und warum ich mit unserm Kinde über diese wichtigen Dinge reden muß. Fängt zu lesen an. Daß und warum, jawohl!


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