Ludwig Thoma
Dichters Ehrentag
Ludwig Thoma

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Neunte Szene

Von links kommt eilig Frau Kommerzienrat Milbe in elegantem Straßenkleide.

Frau Milbe laut: Ich komme doch nicht zu spät?

Milbe: Beinahe.

Frau Milbe zu Milbe: Ich mußte warten, das weißt du doch? Zu Meyer, der in tiefe Gedanken verloren ist. Sie sind mir nicht böse, Herr Direktor?

Meyer sehr zerstreut: Wie?

Frau Lückemann mit einem Aufschrei: Gott! Das Erbsengrüne!

Frau Milbe wendet sich zu den Damen: Ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung...

Frau Mengold ihr die Hand reichend: Man freut sich immer, wenn man Sie sieht, Frau Hilde.

Frau Milbe: Die Schneiderin kam nicht, und kam nicht, ich war in heller Verzweiflung.

Frau Lückemann das Kleid der Frau Milbe musternd: Es ist von der Dickerhoff !

Frau Milbe: Gewiß! Wie finden Sie es? Sie stellt sich in Positur und dreht sich herum, macht einige Schritte, streckt sich, nach Art der Mannequins.

Frau Mengold: Entzückend!

Das Folgende möglichst unisono:

Frau Lückemann erklärend: Wie ich sagte: mit überbauschender Jacke und Faltenrock.

Frau Schultze: Haben Sie das hochdrapierte nicht gesehen?

Frau Milbe sehr interessiert: Natürlich! Und eines war da, die Jacke aus einem Stück herausgearbeitet.

Frau Mengold: Königsblau?

Frau Schultze: Mit einer viereckigen Latzpatte.

Frau Milbe: Und einem Musselinkragen. Ganz wundervoll! Gott, es ist ja so schwer, einen Entschluß zu fassen...

Die Damen unterhalten sich angeregt weiter und vermögen Frau Milbe, sich nach allen Seiten hin zu drehen und auf und ab zu gehen.

Meyer nimmt Zinnkraut energisch beim Ärmel und zieht ihn nach vorne: Also reden Sie ein gescheites Wort!

Zinnkraut: Sie können nicht von Ihrem Niveau heruntersteigen.

Meyer: Wissen Sie nichts Gescheiteres zu sagen?

Zinnkraut: Man sucht einen Schwank nicht bei Ihnen.

Meyer: Na also! Dann ist es doch eine Sensation?

Zinnkraut nachdenklich: M–m!

Meyer aufzählend: Es ist eine Spannung. Es ist eine Überraschung... Es ist...

Zinnkraut: Am Ende eine Enttäuschung.

Meyer: Sie kennen meine Regie! Und wenn sich die ernste Muse einmal leichter schürzt...

Zinnkraut: Hm–m!

Meyer: Wirkt das nicht schon von selbst?

Zinnkraut nachdenklich: Es läßt sich darüber reden.

Meyer: Überlegen Sie doch! Sie haben dann die vornehme Bühne, das beliebte Ensemble...

Zehnte Szene

Betty ist rasch von links eingetreten und zu Meyer hingeeilt. Sie flüstert ihm hastig zu.

Betty: Er ist da!

Meyer sehr ungnädig und ungehalten: Wer ist da?

Betty halblaut und dringend: Unser Dichter!

Meyer: Er wird noch 'n Augenblick warten können. Zu Betty, die zögernd stehen bleibt. Gehen Sie doch, und sagen Sie ihm, er soll noch 'n Augenblick warten!

Betty langsam ab.

 
Elfte Szene

Zinnkraut zu Meyer, der sich sogleich wieder an ihn gewandt hat. Ich brauch Bedenkzeit.

Meyer aufzählend: Sie haben die vornehme Bühne, Sie haben die Sensation...

Zinnkraut: Ich sag halb ja.

Meyer: Sagen Sie's ganz! Dringlich und schmeichelnd. Zinnkraut!

Zinnkraut: Jetzt beim Fest ist keine Zeit.

Meyer: Ach was! Fest!

Zinnkraut: Die Chochotte lauft nicht davon.

Milbe ist hinzu getreten: Ach, Sie sprechen von Chochotte? Ruft zu seiner Gattin hinüber. Hilde!

Frau Milbe stellt ihre Mannequinbewegungen ein: Ja?

Milbe: Du hast doch gestern das Ding gehört? Die Melodie von Chochotte?

Frau Milbe: Ach! Das reizende Lied!

Frau Schultze: Ich kenne es auch.

Frau Lückemann: Herr von Schmettau erzählte mir davon.

Frau Milbe probiert zu summen: Chochotte!... Gavotte... Wie flotte...

Zinnkraut zum Klavierspieler: Herr Kapellmeister, kennen Sie die Melodie?

Klavierspieler sich halb erhebend: Von Chochotte? Gewiß!

Zinnkraut zum Klavierspieler: Versuchen Sie mal!

Der Klavierspieler setzt sogleich mit der Melodie ein.

Zinnkraut und Frau Milbe singen halblaut:

Cho–chotte,
Wie flotte
Tanzt du nich die Gavotte.

Cho–chotte,
Du Flotte
Im Pavillon Mascotte!
Tütelü – Tütelü –
Tütelü–tü–tü

Frau Mengold begeistert: Wie herzig!

Da nun der Klavierspieler die Melodie wiederholt, fallen alle laut in den Gesang ein. Zinnkraut macht dirigierende Gesten, Meyer wiegt sich entzückt nach dem Takt, auch die übrigen Herren wie Damen machen seine Bewegungen mit.

Allgemeiner Gesang!

Cho–chotte,
Wie flotte
Tanzt du nich die Gavotte.

Cho–chotte,
Du Flotte
Im Pavillon Mascotte!
Tütelü – Tütelü –
Tütelü–tü–tü!

Bei dem Worte: Gavotte ist Eugen Ludwig Hobbe eingetreten. Die übrigen bemerken ihn in ihrem Eifer nicht und singen die Strophe begeistert zu Ende. Hobbe bleibt wie entgeistert an der Tür stehen. Sowie die Strophe zu Ende gesungen ist, sieht Frau Mengold den verblüfften Dichter stehen.

 
Zwölfte Szene

Frau Mengold schreit auf. Eugen Ludwig!

Alle wenden sich um, die Damen eilen auf den Dichter zu, auch die Herren Schimonsky, Milbe und Schultze. Meyer gibt dem Klavierspieler ein Zeichen, der noch die Chochottemelodie spielt, aber sogleich in die feierlichen Klänge des »Einzuges der Gäste« übergeht. Meyer schreitet gravitätisch auf den Dichter zu, der von den Damen stürmisch bewillkommt wird und mit den Herren ungemein herzliche Händedrücke austauscht.

Das Folgende möglichst rasch nacheinander, wo tunlich gleichzeitig:

Frau Mengold: Innigste, herzlichste Glückwünsche!

Frau Schultze: Sie wissen, was wir für Sie fühlen.

Frau Lückemann: Liebster! Bester!

Frau Milbe: Aus frohem Herzen meinen Glückwunsch!

Frau Mengold: Und Dank für so vieles, was Sie uns gaben!

Frau Milbe: Und noch geben werden!

Milbe ergreift mit beiden Händen die Rechte des Dichters und sieht ihm mit tiefem Danke in die Augen. Er spricht mit überströmender Herzlichkeit: Eugen Ludwig, darf ich es an dieser Stelle und heute sagen, was Sie uns geworden sind? Darf ich aus dankerfülltem Herzen heraus – –

Schultze drängt sich mit Feuerstein möglichst nahe heran: Das Beste, was wir heute fühlen, läßt sich nicht in Worte kleiden –

Feuerstein echot: Nein, nicht in Worte kleiden.

Milbe läßt Sich in seiner Herzlichkeit nicht stören; er hält die rechte Hand des Dichters mit seinen beiden fest und schüttelt sie bei markanten Stellen: Darf ich aus bewegtem Herzen heraus statt langer Reden bloß dieses eine sagen: Wir haben deines Geistes einen Hauch verspürt. Darf ich?

Schimonsky: Ich schrieb heute über Sie: Er kam als Lyriker ins Drama, und trat als Epiker heraus.

Milbe wie vorher: Darf ich?

Meyer ist näher getreten. Er patscht in die Hände, um Ruhe zu schaffen: Herrschaften! Ich muß bitten...

Es tritt Stille ein. Milbe läßt die Hand des Dichters los, den nun Meyer unter den Arm faßt und einige Schritte seitwärts mehr nach vorne führt.

Meyer stellt den Dichter vor sich hin, tritt einen Schritt zurück: Eugen Ludwig! Es ist Rührung und Stolz, was mich bewegt. Dem Stolz gebe ich Worte. Unsere Kunst ging steile Wege; es mußte einer den andern stützen, damit wir beide nicht strauchelten. Wir sind oben. Und ich drücke dem kühnen Weggenossen die Hand. Er tut es.

Alle murmeln durcheinander: Bravo! Sehr gut!

Zinnkraut: Bravo, Weggenosse!

Frau Mengold winkt ihrem Sohn: Moritz!

Moritz tritt mit raschen Schritten vor, stellt sich dem Dichter gegenüber und beginnt nach einer leichten, keine Befangenheit verratenden Verbeugung mit mutierender Stimme, doch fließend zu sprechen: Verehrter Meister!

Ihr Schaffen zerfällt in drei Teile. Aus der Verirrung des Realismus gelangten Sie über das Märchendrama zum Neuhumanismus.

Ich könnte auch sagen, Sie schritten die Bahn vom Illusionismus zur Neuromantik.

Wenn ich mich frage, wie sich diese Kombination der drei Kunstformen in Ihnen vollzogen hat, so finde ich die Erklärung einerseits in der lyrischen Erweichung Ihres ursprünglichen Naturalismusses, andererseits in Ihrer unbewußten Sehnsucht, aus der Breite des Märchendramas den Weg zum Formdrama zu finden und wiederum den Menschen mit seinem Ethos und Pathos in die Mitte zu stellen.

Das ist Ihnen ja auch teilweise gelungen. Freilich vermochten Sie nicht, uns überzeugend zu beweisen, wie das Individium im Konflikte seiner Eigenart mit Zeit und Welt zerrieben wird.

Dazu fehlte Ihnen die Intensität des Erlebens und die sprungbereite Leidenschaft, und in diesem Sinne könnte man Sie selbst eine tragische Natur nennen.

Immerhin ist Ihre Begabung originell und verdient in unserer Zeit ihres heroischen Triebes willen Beachtung...

Milbe halblaut: Famos! Ganz famos!

Schimonsky: Es ist einiges von mir. Aber ganz ausgezeichnet!

Moritz fährt unbeirrt weiter: Wenn Sie auch nicht Ihre Gestalten, oder ich will schonend sagen, nicht jede Ihrer Gestalten mit dem Geheimnis innerer Notwendigkeit ausgestattet haben, so sehe ich doch in dem Gesamtwirken Ihrer nach Produktion lechzenden Natur eine Erweiterung des poetischen Horizontes.

Wir – die Jugend – die wir unser Ich gefunden haben, und uns dessen bewußt sind, und die wir eine größere Zeit herbeiführen werden, betrachten Sie als eine Etappe auf unserem Wege. In diesem Sinne zollen wir Ihnen Anerkennung, und in diesem Sinne reiche ich Ihnen die Hand.

Er geht auf den Dichter zu und reicht ihm freundlich lässig die Hand. Alle Damen umringen Moritz und reden auf ihn ein. Auch die Herren beeilen sich, einen Kreis um den talentvollen Jüngling zu bilden.

In möglichst rascher Folge:

Frau Mengold Moritz umarmend: Nein! Der goldige Junge! Wie du gesprochen hast!

Frau Lückemann: Wo hast du das her?

Frau Schultze: Es ist unerhört! Eine solche Sicherheit im Urteil.

Frau Milbe: Und die Worte! Wie konntest du die Worte finden?

Milbe legt ihm die Hand auf die Schulter: Ich sehe in dir den kommenden Literaturhistoriker.

Schimonsky: Die Hauptbedingung dazu ist da. Aus Fremdem Eigenes zu machen...

Feuerstein: Es ist verblüffend.

Schultze: Ich melde mich heute schon als Verleger.

Frau Milbe nimmt einen Lorbeerkranz, der für den Dichter bestimmt war und auf einem Tischchen lag, und setzt ihn Moritz aufs Haupt: Und ich mich als Muse.

Die andern Damen rücken ihm den Kranz zurecht und jubeln.

Frau Schultze: Nun siehst du aus wie ein Sieger.

Frau Lückemann: Nach dem ersten Turnier.

Frau Mengold: Mein goldiger Junge!

Während dieser Szene steht der Dichter verlassen abseits auf der rechten Seite. Meyer hat Zinnkraut nach links gezogen und spricht gestikulierend auf ihn ein.

 
Dreizehnte Szene

Betty erscheint unter der Tür. Meyer gibt ihr ein Zeichen, worauf sie sogleich wieder abgeht.

 
Vierzehnte Szene

Meyer patscht in die Hände und ruft: Herrschaften! Ich bitte! Es wird photographiert!

Alle Damen patschen freudig in die Hände und rufen: Ach ja, photographieren! In die Woche! Bitte! bitte! bitte!

Meyer: Nur Ruhe! Gruppieren Sie sich ums Sofa!

 
Fünfzehnte Szene

Schimonsky, Schultze und Feuerstein holen eilig Stühle herbei, die sie links und rechts neben das Sofa stellen. Dabei legen sie die Kränze, welche an den Stühlen lehnten, achtlos auf den Boden. Die Damen eilen mit lauten Rufen zum Sofa hin.

Frau Schultze: Es müssen aber unbedingt unsere Namen unter das Bild kommen.

Frau Lückemann: Sonst weiß man ja gar nichts.

Frau Mengold: Feuerstein! Das müssen Sie besorgen.

Feuerstein der schon mit dem Stuhl herbeigeeilt ist: Keine Angst! Wird alles gemacht.

Der Photograph ist mit seinem Apparat eingetreten und hat sich links aufgestellt. Frau Mengold, Frau Schultze, Frau Milbe haben sich auf das Sofa gesetzt. Schimonsky, Feuerstein, Schultze haben sich auf die Stühle gestellt, Moritz hat sich vor das Sofa auf den Boden gesetzt, die Füße übereinander geschlagen. Milbe, Frau Lückemann, Zinnkraut haben sich vor den Stühlen gruppiert. Man sieht allen an, daß sie große Übung in Bildung von Gruppen haben. Es muß sehr rasch gehen.

Meyer nimmt den Dichter bei der Hand: Kommen Sie! Er führt den Dichter zum Sofa, das aber von den drei Damen besetzt ist. Das geht nicht. Der Dichter muß in die Mitte zwischen zwei Damen.

Frau Schultze steht etwas zögernd auf, und Meyer nötigt den Dichter, zwischen Frau Milbe und Frau Mengold Platz zu nehmen. Frau Schultze steht nun etwas seitwärts vom Sofa vor dem Stuhl, auf dem Feuerstein steht.

Meyer zu Zinnkraut: Kommen Sie zu mir, Zinnkraut!

Er stellt sich mit Zinnkraut vor das Sofa, sodaß man von dem Dichter nichts mehr sieht. Frau Milbe und Frau Mengold beugen sich weit genug zur Seite, daß sie gesehen werden können.

Meyer patscht in die Hände: Fertig!

Der Photograph der den Apparat gerichtet hat, kommt unterm Tuch hervor und ruft: Ich sehe den Dichter nicht.

Meyer: Macht nichts! – – Fertig!

Der Photograph läßt das Blitzlicht aufflammen. – – Pfumm! –

Vorhang


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