Ludwig Thoma
Dichters Ehrentag
Ludwig Thoma

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Fünfte Szene

Er eilt ihnen entgegen, und küßt den Damen die Hände: Guten Morgen, gnädige Frau! Schüttelt den Herren die Hand. Guten Morgen!

Frau Schultze sich umsehend: Wie feierlich das aussieht! Und die vielen Kränze!

Frau Lückemann: Ist Eugen Ludwig schon da?

Meyer: Nein, gnädige Frau. Er muß pièce de resistance sein. Erst wenn wir alle versammelt sind, dann...

Frau Schultze: Wer alle!

Meyer: Der kleine Kreis seiner treuesten Anhänger.

Herr Schultze: Eine Versammlung der Gläubigen.

Schimonsky: Im Hause eines Theaterdirektors könnte man auch sagen: Eine Gläubigerversammlung.

Meyer: Ewig diese Witze!

Schimonsky: Witz? Wir werden sie ja sehen...

Zinnkraut: Die Herren, die nicht bloß Anteil nehmen, sondern auch Anteil haben...

Schimonsky zu Meyer: Soll ich sie Ihnen nennen? Mit Verbeugung gegen Schultze. Die Anwesenden sind ja nicht ausgenommen.

Meyer: Können Sie das nie lassen, Schimonsky?

Schimonsky: Seien Sie nur wieder gemütlich! Sich an Zinnkraut wendend. Apropos, Zinnkraut, Ihnen kann man ja gratulieren...

Zinnkraut: Nu... es geht.

Meyer: Wieso gratulieren?

Schimonsky: Haben Sie es nicht gelesen? Zu dem Erfolge von Chochotte.

Frau Lückemann: Ach ja! Chochotte in Hamburg!

Frau Schultze: Es muß sehr stark eingeschlagen haben.

Zinnkraut schlicht: Sagen wir: Es war ein Riesenbombenerfolg.

Meyer etwas nervös: Sprechen Sie doch! Was ist das – Chochotte –?

Schimonsky: Wo leben Sie denn, daß Sie nich mal das wissen?

Feuerstein mit Überzeugung: In den reinen Höhen der Kunst.

Schimonsky: Der Bericht in der Morgenzeitung war förmlich enthusiastisch. Triumphe – Beifallsorkane – Ovationen –

Feuerstein sachlich: Nach dem zweiten Akte dreimal Vorhang, nach dem dritten viermal.

Schimonsky: Also unzählige Male.

Zinnkraut noch schlichter: Sagen wir eben: Es war ein Riesenbombenerfolg.

Schultze zu Meyer: Ich habe unsern Eugen Ludwig schon wochenlang nicht gesehen. Wie ist er?

Meyer dem die Störung sichtlich unbequem ist: Wie soll er sein?

Schultze: Ich meine gesundheitlich!

Frau Schultze: Das Fest, und die vielen Artikel in den Zeitungen und diese Anerkennung von überallher, das muß ihn doch sehr angreifen!

Frau Lückemann: Und diese Erinnerungen an so manches!

Meyer ungnädig: Er wird es überstehen. Zu Zinnkraut. Tun Sie doch nicht so geheimnisvoll! Von wem und was und wie ist das mit der Charlotte?

Zinnkraut: Von wem? Von einer neuen französischen Schwankfirma, also aus Wien. N' Blödsinn, aber prima!

Schimonsky: Ich garantiere in Berlin vierhundert Aufführungen.

Zinnkraut: Sollen es dreihundertfünfzig sein!

Feuerstein: Also prickelnd? Geistvoll? Champagner?

Schimonsky: Sie treffen es doch immer!

Meyer vorwurfsvoll zu Zinnkraut: Und das muß man so apropos erfahren? Es ist Ihnen nicht der Mühe wert, mir auch nur 'n Ton zu sagen?

Zinnkraut: Ich nahm an, daß es Sie nicht interessiert.

Meyer sehr bitter: Das nimmt man so an...

Zinnkraut: Jedenfalls nicht geschäftlich interessiert.

Meyer noch bitterer: Das nimmt man ganz einfach so an...

Zinnkraut: Ich muß es doch wissen, es ist nichts für Sie. Es ist das Gegenteil.

Meyer. Sonst wissen Sie mich zu finden. aber wenn es darauf ankommt, schieben Sie mich beiseite.

Zinnkraut: Was reden Sie?

Meyer: Ich kenne jetzt Ihre Gesinnung. Das rede ich.

Zinnkraut: Eine Sache ist für einen, eine andere Sache is für 'n andern.

Meyer bitter: Das sind Flausen.

Zinnkraut: Es is 'n Schwank, Meyer. Was tu ich mit Ihnen?

Meyer: Es sind Flausen, sag ich.

Feuerstein macht Meyer auf die neu ankommenden Gäste aufmerksam: Herr Direktor!

Von links treten ein Frau Mengold, ihr Sohn Moritz, Herr Kommerzienrat Milbe. Moritz trägt dunkelblaue Kniehose und ebensolche Jacke, eine Brille wie Sextaner.

 
Sechste Szene

Meyer geht den Gästen langsam entgegen. Er ist sichtlich verstimmt. Er küßt Frau Mengold auffallend nachlässig die Hand. Guten Morgen, gnädige Frau! Mit leichter Verbeugung zu ihr und Milbe: Es freut mich, daß Sie gekommen sind.

Frau Mengold: Mit welcher Begeisterung, das wissen Sie.

Meyer sehr gleichgültig: Ich weiß es.

Milbe: Meine Frau wird sofort nachkommen; sie wurde nicht fertig, na, Sie wissen, wie das geht.

Meyer Wie oben: Ich weiß es.

Frau Mengold die anderen begrüßend: Guten Morgen! Stürmisch zu Meyer: Wo ist Eugen Ludwig?

Meyer müde: Er wird kommen, wenn wir alle versammelt sind.

Frau Mengold der der unfestliche Ton Meyers auffällt: Was haben Sie nur?

Meyer: Wie?

Frau Mengold: Fehlt Ihnen etwas, lieber guter Direktor?

Meyer achzelzuckend: Was soll mir fehlen? Aber ein Theaterleiter, Sie können sich denken.

Frau Mengold: Ist was vorgefallen mit der Festvorstellung?

Meyer der sichtlich an etwas anderes denkt, zerstreut: Welche Festvorstellung?

Frau Mengold: Aber Bester! Morgen! Eugen Ludwigs Festabend!

Meyer: Ja so! Nein, da ist nichts vorgefallen. Was soll vorfallen?

Frau Mengold: Gott sei Dank! Ich dachte schon... Sie nimmt ihn beiseite und geht mit ihm etwas nach vorne. Und das mit Moritz,... nicht wahr, es bleibt dabei?

Meyer wieder müde: Es bleibt dabei.

Milbe der mit allen Anwesenden Händedrücke ausgetauscht hat, zu Zinnkraut: Na, Chochotte, hen, das wird 'n Geschäft!

Zinnkraut: Es is schon eines.

Frau Mengold zu Meyer, der zu Milbe und Zinnkraut hinüberhorcht: Ich kann Ihnen nur sagen, mein Moritz entwickelt einen Geist...

Meyer ohne auf sie zu hören: Hm – m –

Frau Mengold: Er wird mit Ehren bestehen. Ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar, daß Sie ihm diese Gelegenheit gegeben haben...

Meyer wie vorher: M – ja –

Milbe: Ich habe heute von ein paar Bekannten darüber sprechen hören.

Schimonsky: Und eines von den Tanzliedern hat schon seinen Weg hieher gemacht. Es wird der Schlager der Saison.

Meyer läßt Frau Mengold brüsk stehen und eilt zu der Gruppe um Zinnkraut: Was wird der Schlager der Saison?

Schimonsky: Ein Tanzlied aus Chochotte. 'n Blödsinn, aber famos...

Zinnkraut halb singend: Sie meinen das:

Cho-chotte
Wie flotte

Schimonsky: Ja, das is es! Eine reizende Melodie!

Milbe: Und so recht volkstümlich.

Zinnkraut Singt nun lauter, wobei Milbe mitsummt und verklärt den Kopf wiegt:

Cho-chotte,
Wie flotte
Tanzst du nich die Gavotte!

Cho-chotte,
Du Flotte
Im Pavillon Mascotte!

Milbe legt seine Hand feierlich auf Zinnkrauts Achsel und sagt eindrucksvoll: Zinnkraut, mit dem Ding werden Sie 'n reicher Mann!

Feuerstein: Es ist Champagner.

Meyer faßt Zinnkraut am Ärmel und zieht ihn beiseite. Er blickt ihm bedeutend in die Augen und fragt: Ist es hier schon vergeben?

Zinnkraut: Warum soll ich es vergeben? Ich kann das Geschäft selbst machen.

Meyer unwillig: Was heißt selbst machen?

Zinnkraut: Ich pachte ein Theater, ich engagiere gute Kräfte, ich mache es selbst.

Meyer. Reden Sie keinen Unsinn! Vertraulich. Zinnkraut, wir machen die Sache gemeinsam.

Zinnkraut: Es ist nichts für Sie.

Meyer unwillig: Bin ich Ihnen nicht gut genug?

Zinnkraut: Sie sind mir zu gut. Sie sind die hohe Kunst.

Meyer ausbrechend: Herrgott, bleiben Sie mir doch vom Leibe mit dieser abgedroschenen Phrase! Die Damen haben in der Zwischenzeit die Kränze und Blumen durchgemustert.

Frau Lückemann ruft: Herr Direktor!

Meyer ungnädig: Was denn?

Frau Lückemann: Warum haben Sie meinen Kranz so schlecht plaziert? Man sieht ihn gar nicht.

Meyer gleichgültig: Sofort, gnädige Frau. Vertraulich zu Zinnkraut. Wir reden noch darüber.

Zinnkraut zuckt die Achseln: Eine Sache ist für einen und...

Meyer unterbricht ihn und klopft ihm vertraulich auf die Schulter: Ach was! Ich sage Ihnen, wir sprechen uns noch... Er geht zu Frau Lückemann. Gnädige Frau?

Frau Lückemann schmollend: Da sehen Sie doch selbst! Er ist ganz verdeckt von den andern.

Meyer: Tun wir 'n einfach vor! Er nimmt den Kranz und lehnt ihn weiter vorne auf einen Stuhl. Soo! Nur 'n Versehen von dem Mädchen. Frau Lückemann nickt freundlich dankend.

Frau Mengold: Ich bin seltsam bewegt, Herr Direktor.

Meyer: M–m–

Milbe zu Frau Mengold: Was greift Sie an?

Frau Mengold: Es fällt so schwer auf mich, daß Eugen Ludwig heute fünfzig werden soll.

Feuerstein: Da ist er noch in der Vollkraft.

Frau Mengold: Man sagt sich doch, es ist ein Lebensabschnitt. Es liegt so viel hinter ihm, und da ist man nun dabei und feiert es, wie... sie sucht nach einem Worte wie... soll ich sagen?

Zinnkraut: Wie ein Leichenbegängnis.

Frau Mengold seufzt tief auf: Ach – ja! Ihr Blick fällt auf den hübschen Hut der Frau Schultze. Sie fragt lebhaft und sehr interessiert. Wo haben Sie den Hut gekauft, Frau Lizzy?

Frau Schultze: Es ist ein Pariser Modell.

Frau Lückemann hinzutretend: Von der Funke?

Frau Schultze: Ja, sie hat ihn mitgebracht.

Frau Mengold: Er ist süß!

Die Damen unterhalten sich nun sehr angeregt, während die Herren weiter rechts eine Gruppe bilden.

Das Folgende möglichst unisono:

Frau Lückemann: Ich habe bei ihr einen kleinen, weißen Seidenhut gesehen, mit Flügelchen um den Kopf gesetzt... Ein Gedicht!

Frau Mengold zu beiden: Waren sie kürzlich bei der Dickerhoff?

Frau Schultze: Erst gestern.

Frau Lückemann: Die neuen Straßenkleider? Die sind wunder – wundervoll!

Frau Mengold: Ein schwarzes Taffetkostüm –

Das Folgende möglichst unisono:

Frau Schultze unterbricht: Und das mit dem hochdrapierten Rock und der bunten Seidengarnierung –

Frau Mengold unterbricht: Ich meine die kurztaillige Jacke, sie macht beschreibende Gesten die den Schoß ansetzt wie ein Herrenjacket und nur bis an die Hüfte reicht...

Frau Lückemann unterbricht: Sie hat auch ein erbsengrünes mit einer Jacke, die überbauscht, mit einem hohen Stehumlegkragen, und der Rock...

Das Folgende unisono:

Frau Schultze unterbricht: Das hochdrapierte ist aus Tuch und ganz weich, und der Jackenschoß ist schottisch, mit unregelmäßigen Streifen...

Frau Mengold unterbricht: Der Westeneinsatz ist aus weißem Pikee und der Kragen, der hinten überfällt...

Frau Lückemann: Das erbsengrüne hat einen glatt gefalteten Rock...

Von links ist der Photograph eingetreten.

 
Siebente Szene

Der Photograph: Ist Herr Direktor Meyer – –?

Meyer vortretend: Was wollen Sie?

Der Photograph: Ich bin der Photograph...

Meyer: Ja – richtig –

Der Photograph: Soll ich meinen Apparat – –?

Meyer: Lassen Sie ihn einstweilen noch außen und warten Sie im Vorzimmer, bis Sie gerufen werden.

Der Photograph: Jawohl. Ab mit einer Verbeugung.

 
Achte Szene

Frau Schultze lebhaft: Kommt das Bild in die Woche?

Meyer gnädig: Ich will sehen, was sich für Sie tun läßt.

Frau Lückemann: Ach bitte! bitte!

Frau Mengold: Eugen Ludwig im Kreise seiner Getreuen – aber die Namen darunter setzen!

Meyer: Was möglich ist, geschieht. Er geht zu den Herren zurück. Er wendet sich an Milbe, um das abgebrochene Gespräch wieder anzuknüpfen. Sie meinten, Herr Kommerzienrat, daß...?

Milbe: Ich sage, es geht uns nicht anders wie den Amerikanern. Dieses treibende, hastende Leben reibt unsere Nerven auf. Da können wir im Theater nicht auch noch ernste Stücke sehen.

Meyer: Aber – –

Milbe: Ich weiß, was Sie sagen wollen, Herr Direktor. Es regt sich auch in unserer Zeit der Drang nach dem ewig Schönen...

Meyer: Das wollte ich nicht sagen...

Milbe: Auch wir vernehmen gerne die frohe Botschaft von großen Dichtern – die Achseln zuckend aber – –

Meyer: Glauben Sie, es wird anhalten?

Milbe. Was anhalten?

Meyer: Die Flaute?

Schimonsky: Stärker wird sie werden. Lesen Sie meine Schrift: Die Abende des Abgespannten!

Meyer ungnädig: Was tu ich mit Ihrer Schrift?

Schimonsky: Sie werden die Ursachen der Erscheinung verstehen.

Feuerstein: Man hört das immer häufiger sagen: Ich will mich unterhalten. Ernst sein kann ich zu Hause.

Milbe eifrig: Und mit Recht! Es liegt im Geist der Zeit, meine Herren...

Meyer: Wir hatten doch früher – –

Schimonsky: Früher!

Milbe: Ich nehme das Beispiel von mir ab. Wenn ich müde von tausend Sorgen und Ideen aus dem Geschäft komme, ja – soll ich mir da am Abend nochmal den Jammer der Menschheit zu Gemüte führen?

Meyer: Soll dem Theater gar kein erzieherischer Wert mehr zuerkannt werden?

Zinnkraut: Aber nicht bezahlt wird er!

Schimonsky: Lesen Sie meine Schrift: Die Psychologie des Erfolges!

Milbe: Lieber Herr Direktor, Sie sind ein Idealist, das wissen wir alle...

Zinnkraut: Konjunktur!

Milbe: Für Sie gibt es eben nur das hohe Drama und nur Eugen Ludwig.

Meyer: Nun reden Sie alle so! Früher haben Sie anders gesprochen.

Schimonsky: Warum schauen Sie immer zurück?

Zinnkraut: Konjunktur!

Meyer zu Schimonsky: Gerade Sie!

Schimonsky: Was ich?

Meyer: Haben Sie nicht von dem Siegesmarsch der neuen Kunst geschrieben? Von der freudigen Welt der Zukunft?

Schimonsky: Dann wird es gestimmt haben.

Milbe: Unsere Dampfpfeifen übertönen die freudige Welt.

Feuerstein zu Milbe: Darf ich mir das notieren?

Milbe gnädig: Wenn Ihnen ein Gefallen geschieht –

Zinnkraut: Was kommt auf das an, was wir reden? Halten Sie sich an das Reelle! Was redet das Kassenbuch?


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