Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ludwig Thoma 1896

Ludwig Thoma 1896

Autobiographische Skizze

Ich bin geboren am 21. Januar 1867 zu Oberammergau und verbrachte meine Kindheit in dem Forsthause Vorder-Riß an der Tiroler Grenze. Mein Vater wirkte dort lange Jahre als Oberförster und meine ersten bleibenden Eindrücke knüpfen sich an den kleinen Kreis von Menschen, welche hier in enger Gemeinschaft zusammenlebten.

Wenn ich die Jagdgehilfen als rechte Helden bewunderte und mit ihren Erlebnissen meine junge Phantasie beschäftigte, so waren diese waidgerechten Gesellen wieder geneigt, mich für ein Wunderkind zu halten. Denn meine Eltern lehrten mich frühzeitig lesen und schreiben, wozu sie in den langen einsamen Wintern Muße genug fanden.

Einem lebhaften Jungen, der im Walde aufgewachsen war, konnte der Schulzwang nicht gefallen. Und ich habe auch meinen Lehrern keineswegs Liebe entgegengebracht; zuerst galten sie mir als Störenfriede und später stieß mich ihr trockenes Wesen ab.

Sie haben meinen Mangel an Ehrfurcht und meine Freude am Nebensächlichen stets gerügt, und erst nach manchen Fährlichkeiten konnte ich das humanistische Gymnasium absolvieren. Das war 1886. Ich wollte in den Forstdienst eintreten, wie das seit vielen Jahrzehnten in meiner Familie üblich war, und ich ging an die Aschaffenburger Forstakademie.

Nach einem Jahre hatte ich verschiedene Renommierschmisse im Gesicht und im Herzen die Überzeugung, daß Jagd und Wald in dem neuorganisierten Forstwesen wenig genug bedeuteten. Zudem behagte mir der schulmeisterliche Ton an der Forstschule ebensowenig wie die Pflicht, jedes Jahr ein Examen zu machen.

Ich ging zur Jurisprudenz über. 1890 absolvierte ich die Universität und wurde Rechtspraktikant in einer kleinen Amtsstadt.

Ich lernte den Bürodienst kennen und auch die Herren, welche ihn leiteten. Ich war nichts weniger als vorlaut und besaß damals einen starken Autoritätsglauben.

Trotzdem sah ich bald genug, wie auch die Anwendung der Gesetze zum Formelkram wird, wenn es am lebendigen Geist fehlt. Ich war anfänglich verblüfft über die Verständnislosigkeit, welche den Bedürfnissen des Volkes, auch seinen Sitten und Gebräuchen von den Richtern und Verwaltungsbeamten entgegengebracht wurde. Ich erkannte den guten Willen unserer Bauern, ihre eingewurzelte Ehrfurcht vor den Vertretern der Staatshoheit, und ich konnte mir nicht verhehlen, daß diese wenig begründet war. Die Herren standen den kleinen Leuten fremd, mit einer gewissen Feindseligkeit gegenüber.

Die Mischung von Schlendrian und Dünkel machte die Sache nicht besser. Kurzum, ich faßte eine gründliche und bleibende Abneigung gegen den bürokratischen Geist; vielleicht würde man richtiger Geistlosigkeit sagen.

In den reichlichen Mußestunden beschäftigte ich mich viel mit Literatur und Politik. Ich schrieb damals national-liberale Artikel und war erbittert über die Abdankung Bismarcks. Vielleicht noch mehr über die Schnelligkeit, mit der sich seine ehemals so lauten Anhänger trösteten. Meine Entrüstung war gewiß nicht frei von jugendlicher Übertreibung, doch war sie gesund, auch in ihren Folgen. Ich lernte Phrasen mißtrauen und fühlte meinen Glauben an den orthodoxen Patriotismus erschüttert.

1893 machte ich das Staatsexamen und ließ mich im Oktober 1894 als Rechtsanwalt in Dachau nieder.

Ich hatte viel mit Bauern verkehrt im elterlichen Hause, auf der Jagd, und ich freute mich an ihrer bodenständigen Art; jede Äußerung derselben schien mir beachtenswert.

Nunmehr lernte ich sie auch in amtlicher Stellung kennen und fühlte mich angeregt, sie zu schildern. Ich schrieb kleine Erzählungen, die gesammelt unter dem Titel »Agricola« erschienen. 1897 siedelte ich nach München über und gab zwei Jahre später meine Praxis auf, um in die Redaktion des »Simplicissimus« einzutreten.

Ich war von Überschwenglichkeiten geheilt und hatte manches Vorurteil abgelegt. Meine immer mehr erstarkende Freude am Künstlerischen lehrte mich Gegensätze und Unterschiede nur insofern zu schätzen, als sie Eigenart verraten und somit darstellerischen Wert besitzen. In ihrer politischen oder sozialen Erscheinung halte ich sie für töricht und für schädlich, wo sie uns die einfache Menschlichkeit stören.


 << zurück weiter >>