Alfred Tennyson
Enoch Arden
Alfred Tennyson

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So schien der Schatten seines Unglücks jetzt
Nicht tiefer, als wenn eine kleine Wolke
Der Sonne helle Feuerbahn durchkreuzt,
Gleich einem Inselchen am Himmelsmeer.
Was aber sollt' aus Weib und Kindern werden,
Wenn er gegangen war? Drum dachte Enoch
Erwägend lange seinen Plänen nach.
Sein Boot verkaufen? – ach! er liebt' es so –
Wie manchen Seesturm hat er drinn erlebt!
Er kannt' es, wie ein Reiter kennt sein Roß –
Und doch verkaufen jetzt! – Von dem Erlöse
Gerät' und Waren kaufen – ein Geschäft
Mit allem, was der Seemann und sein Weib
Bedarf, für Annie einzurichten hier –
So könnte sie, so lang er ferne wär',
Den Hausstand wohl erhalten vom Geschäft.
Könnt' er nicht handeln selbst im fremden Land?
Die Reise mehrmals machen, zwei-, auch dreimal –
So oft als nöthig –, reich zurückgekehrt
Besitzer eines größern Boots dann werden,
Mit größerm Vorteil leichter sich ernähren,
Die lieben Kleinen alle wohlerzogen,
Im Kreis der Seinen ruhig leben dann?

So setzte Enoch alles fest bei sich.
Dann kehrt' er heim, wo Annie bleich er fand,
Das kranke Kind, ihr jüngst gebornes, stillend.
Entgegen sprang sie ihm mit frohem Schrei
Und legt' das schwache Kind in seinen Arm
Und Enoch faßt's, befühlte seine Glieder,
Schätzt' sein Gewicht und streichelt's väterlich,
Hatt' aber nicht das Herz, zu offenbaren
Vorm nächsten Morgen Annie seinen Plan.

Zum ersten Mal seit Enochs Ring sie trug
Am Finger, stritt sie gegen seinen Wunsch,
Doch nicht mit zänkisch-lautem Widerspruch,
Mit vielen Bitten nur und mancher Thräne,
Mit manch betrübtem Kuß ging Tag und Nacht
(Des Unheils sicher, das ihr draus entspräng')
Von neuem sie ihn an, nicht fortzugehn,
Wenn er sein Weib und seine Kinder liebt'.
Er aber ließ – nicht sorgend für sich selbst,
Für sie, für sie und ihre Kinder nur –
Ihr Klagen ungehört; so grausam hielt
Er seinen Willen fest und setzt' ihn durch.

Von seinem lieben Boot trennt' Enoch sich,
Er kaufte Annie Waren und Gerät'
Und ging daran, ihr kleines Vorderzimmer
Mit Wandregalen und mit Eckgestellen
Für all den Warenvorrat einzurichten.
So schallt' und dröhnten nun den ganzen Tag
Bis zu dem letzten Enoch's in der Heimat,
Erbeben machend ihre kleine Hütte,
Der Schlag des Hammers und der Axt, der Lärm
Des Bohrers und der Säge Kreischen laut,
Bis Alles fertig war, indessen Annie
Entstehn zu hören wähnt' ein Blutgerüst,
Auf dem sie selbst den Tod erleiden sollt',
Und bis sein Arm, im engen Raum mit Sorgen
Geordnet habend alles, fast so fein
Und knapp wie die Natur zusammensetzt
Der Blüte und der jungen Pflanze Bau,
Nun inne hielt, und er, dem bis zuletzt
Für Annie wirken stets Bedürfniß war,
Ermüdet stieg ins Schlafgemach hinauf
Und fest bis in den hellen Morgen schlief.

Und Enoch sah dem Abschiedsmorgen klar
Und kühn entgegen. Alle Furchtgedanken,
Die Annie hegte, hätte er verlacht,
Wär'ns eben nicht die ihrigen gewesen.
Doch als ein braver, gottesfürcht'ger Mann
Beugt' er sein Knie und fleht' in jener Stimmung,
Wo Gott und Mensch geheimnißvoll sind eins,
Um Segen für sein Weib und seine Kinder,
Was über ihn auch komm'; und sprach sodann:
»Die Reise, Annie, wird mit Gottes Hülfe
Noch für uns alle schöne Tage bringen.
Halt rein den Heerd und hell das Feuer mir,
Denn eh' du's denkst, werd ich zurücke sein.«
Dann leis des Säuglings Wiege schaukelnd: »Er,
Der niedliche, der zarte, schwache Kleine, –
Ja – denn ich lieb' ihn drum nur desto mehr –
Gott segn' ihn, soll mir auf den Knieen sitzen,
Ich will erzählen ihm von fremdem Land,
Ihn fröhlich machen, wenn ich wiederkehre.
Komm', Annie, komm', sei heiter eh' ich geh'.«

So hörte sie ihn reden hoffnungsvoll,
Und hoffte selbst beinah'; doch wenn er nun
Der Rede Strom auf ernstre Dinge lenkte,
In Seemanns derber Weise predigt' ihr
Von Vorsicht, Gottvertraun, so hörte sie
Und hört' auch nicht; dem Bauermädchen gleich,
Das seinen Krug am Brunnen unterstellt,
An ihn nur denkend, der ihr sonst ihn füllt',
Und hört und nicht hört, wie er überfließt.
Und endlich sprach sie: »Enoch, du bist klug,
Und doch, trotz deiner Klugheit weiß ich wohl,
Daß ich dein Antlitz nie mehr wiederseh'.«

»Nun dann,« sprach Enoch, »werd' in deins ich sehn.
Es fährt das Schiff, mit dem ich segle, Annie,
Vorüber hier (er nannt den Tag), dann nimm
Ein Fernglas dir, erspähe mein Gesicht
Und lache über deine Furchtsamkeit.«

Doch als der letzte Augenblick erschien:
»Sei munter liebes Kind, und tröste dich,
Sorg' für die Kinder, und bis heim ich kehre
Halt alles wohl im Stand; denn ich muß fort.
Und fürcht' nicht mehr für mich, doch wenn du fürchtest,
Wirf deine Sorg' auf Gott, der Anker hält.
Ist Gott nicht auch im fernsten Winkel dort
Des Morgenlands? wenn dahin ich entfliehe,
Kann ich entgehen ihm? das Meer ist sein,
Ist sein, er schuf es.«

                            Dann erhob sich Enoch,
Schlang seinen Arm um sein hinsinkend Weib
Und küßte die erstaunten Kleinen heiß.
Doch als ihm Annie nun das dritte Kind,
Das kranke, wollte reichen, das jetzt schlief,
Nachdem im Fieber es die Nacht durchwacht,
Sprach Enoch: »Weck ihn nicht, laß schlafen ihn;
Wie könnte auch das Kind sich dran erinnern?«
Und küßt's im Bettchen. Annie aber schnitt
Von ihres Kindes Stirn ein Löckchen ab
Und gab's ihm: dies bewahrt' er alle Zeit.
Doch nun ergriff er schnell sein Bündel, winkt'
Noch einen Abschiedsgruß und ging davon.

Und als der Tag, den Enoch nannte, kam,
Ging sie und lieh ein Glas, doch ganz umsonst;
Vielleicht, daß sie nicht wußte für ihr Auge
Das Fernrohr passend einzustell'n, vielleicht
Daß trüb' ihr Auge, zitternd ihre Hand;
Sie sah ihn nicht; und während er am Deck
Dort stand und winkte, fuhr das Schiff vorüber.

So sah sie nach dem Schiff, dem schwindenden,
Bis es zum letzten Mal, vom Meer gehoben,
Hinuntertaucht'. Dann ging sie weinend fort.
Und nun, obgleich sein Fernsein sie betrauert
Als wär's sein Grab, bemühte sie sich doch
So viel als möglich, ihren ernsten Willen
Dem seinen anzupassen. Ihr Geschäft
Jedoch, das kam nicht vorwärts, weil sie nicht
Zum Handeln war erzogen, auch den Fehler
Durch Schlauheit nicht ersetzte, und der Lüge
Nicht fähig war, noch fordert' allzuviel
Um weniger zu nehmen dann, und stets
Sich ahnend fragt': »Was würde Enoch sagen?«
Auch mehr als einmal hatt' die Waren sie
Zur Zeit der Not und Drangsal hingegeben
Für wen'ger als beim Einkauf sie gezahlt:
So kam in's Stocken ihre Zahlung auch,
Wie sie mit schwerem Herzen sah, und nun,
Der Nachricht harrend, die doch nimmer kam,
Erwarb sie kärglich nur den Unterhalt
Und führt' ein Leben stiller Traurigkeit.

Jetzt wurde kränker noch das dritte Kind,
Das kränklich von Geburt, obgleich sie selbst
Mit all der Sorgfalt einer Mutter sich
Darum bemüht'; doch dessen ungeachtet, –
Sei's nun, daß ihr Geschäft sie abrief oft,
Sei's durch den Mangel dessen, was es braucht',
Des Geldes auch, des Arztes Rat zu lohnen,
Der ihm am besten Hilfe bringen konnt? –
Auf welche Art es auch geschah, nach kurzem –
Eh' sie es merkt' – entfloh, so überrascht,
Wie oft entwischt der eingesperrte Vogel,
Die kleine unschuldvolle Seele ihr.

In jener Woche nun, als sie das Kind
Begrub, schlug Philipps treues Herz, besorgt
Um ihren Frieden, weil so lange er
(Seit Enoch fort war, hatt' er nicht gefragt
Nach ihr) sich fern gehalten hatte schon.

»Jetzt möcht' ich, dachte Philipp, sie besuchen,
Ein kleiner Trost ihr sein;« so ging er denn,
Durchschritt das öde Vorderzimmer, blieb
Ein Weilchen stehen vor der innern Thür,
Dann klopft' er dreimal an und trat, als keiner
Ihm aufmacht', ein; doch Annie saß voll Gram,
Den frisch ihr angefacht des Kindes Grab,
Und wollte keines Menschen Antlitz seh'n;
Ihr eig'nes aber kehrt' der Wand sie zu
Und weint'. Da stammelt' Philipp, vor sie tretend
»Um eine Gunst wollt', Annie, ich dich bitten.«

In ihrem Schmerze schluchzt' die Antwort sie,
Ihn halb beschämend. »Gunst! von einer, die
So traurig und verlassen ist, wie ich!«
Doch er, in dessen Innern Zartgefühl
Und Schüchternheit noch mit einander stritten,
Setzt' ihr zur Seite ungebeten sich
Und sprach: »Ich wollte davon mit dir reden,
»Was Enochs, deines Gatten, Wunsch gewesen.
»Ich hab' ja stets gesagt, daß du von uns
»Den besten dir erwählt – n'en starken Mann;
»Denn worauf sich sein Herz gerichtet hatt',
»Da legt auch Hand er an, es zu erreichen
»Und führte durch, was er sich vorgenommen.
»Und weshalb unternahm er diese Reise
»Und ließ allein dich? nicht, zu seh'n die Welt –
»Nicht zum Vergnügen? – nein, der Grund ist der:
»Den Kindern eine bessere Erziehung
»Zu schaffen einst, als er gehabt und du:
»Das war sein Wunsch. Wenn er nun wiederkommt,
»Wird's ihn betrüben, findet er, daß all
»Die kostbar'n Morgenstunden wär'n verloren.
»Und selbst in's Grab hinein würd' es ihn kränken,
»Wenn seine Kinder er, den Füllen gleich,
»Auf öder Steppe wild sich tummeln wüßt'.
»Drum, Annie, bltt' ich jetzt – da wir uns doch
»Von Jugend auf gekannt – bei deiner Liebe,
»Die du zu ihm und seinen Kindern hegst,
»Nicht nein zu sagen mir – denn, wenn du willst,
»Soll Enoch alles mir zurückerstatten,
»Wenn heim er kehrt – wenn, Annie, du es willst –
»Denn ich bin reich und wohl gestellt. Laß jetzt
»Zur Schule mich die beiden Kinder schicken:
»Das ist die Gunst um die ich bitten wollt'.«


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