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I.

Das Thal von Davos im schweizerischen Canton Graubünden ist berühmt als einer der wirksamsten klimatischen Kurorte für Brustkranke. Im Winter und im Sommer halten die Leidenden sich hier auf, Genesung suchend, und Viele, gewiß sehr Viele finden sie.

Sie finden sie in dem Thale, das nicht schön ist, das nahe an fünftausend Fuß über dem Meeresspiegel gelegen, eingefaßt wird von Bergen, deren Gipfel noch manches Tausend Fuß höher emporragen, in einer Umgebung, die nackt und kahl, einförmig und eintönig, dunkel und düster ist. Die Wiesen des Thalgrundes tragen keine Blumen; in den wenigen Gärten zwischen den Häusern zeigen sich nur verkrüppelte Stauden und Bäume, mit harten Blättern, mit Knospen, die zur Blüthe sich nicht entfalten können; Früchte tragen sie nie. Und die hohen Bergrücken da ringsumher, sie sind wohl mit Gruppen von schwarzen Fichten bedeckt, zwischen denen graue Felsmassen und Felsblöcke hervorstarren, aber Leben und Bewegung ist auch da nicht; kein Blatt grünt, kein Vogel singt; am Boden sieht man nicht einmal das graue Haideblümchen, das die grauen westfälischen Hürden belebt; man hört nur den Wind zwischen den Fichten schwirren und an den Felsen vorüberstreichen, und der Wind ist scharf und kalt.

Und die Sonne scheint in das Thal so klar und so warm hinein und belebt und würzt die reine Luft des Thales und der Höhen, daß die kranke Menschenbrust sie wollüstig einathmet, sie bis zu den tiefsten Ritzen der leidenden, wunden Lunge einsaugt und Linderung des Schmerzes und Heilung der Wunden verspürt. Und seine meisten Wunder wirkt dieses wundervolle Thal im Winter, wenn von allen Seiten der Schnee es bedeckt und einhüllt, und aus dem wolkenlosen Himmel die Sonnenstrahlen eine fast tropische Wärme heruntersenden, während zur Seite im Schatten eine erstarrende Kälte herrscht.

Still ist auch meist das Menschenleben hier, das Leben der armen Kranken. Fast nur Kranke sieht man in dem Thal. Aber ihr Leben ist das der stillen Hoffnung, und sie haben auch Grund, sich dieser Hoffnung hinzugeben. So Viele vor ihnen haben die Genesung hier gefunden; an Jedem, der da ist, glaubt jeder Andere die fortschreitende Genesung wahrzunehmen; in sich selbst fühlt er die Erleichterung, und einen Tod gibt es in Davos nicht.

Ich war im vorigen Sommer dort, in dem Theile des Thales, den man Davosplatz nennt. Ein schwerer Trauerfall führte mich her; es galt, tief Leidenden Trost zu bringen. Ich mußte längere Zeit bleiben; die engzusammengedrängte Kurgesellschaft lernte ich bald kennen. Man mußte einander begegnen in dem regelmäßigen und gleichmäßigen Leben Aller; zu derselben Stunde hatte Jeder dieselbe Beschäftigung, des Sitzens im Freien, des Mittag- und Abendessens, des Spazierganges, des täglichen zweimaligen Wanderns zum Trinken der frischen Milch; für die Kranken war hier Alles Beschäftigung. Und fast nur Kranke sah man da; der Gesunden, die zur Hülfe, zum Schutz, zur Aufsicht mitgekommen waren, sah man nur Wenige.

Eine dieser Gesunden sah ich gleich am Tage meiner Ankunft, eine Frau, die von Allen, die da waren, von den Gesunden, den Genesenden, den Kranken die allerunglücklichste, die allerbedauernswertheste war.

Hätten alle die Kranken, die man sah, selbst die Verzweifelnden – an Manche trat in der einsamen, stillen, schlaflosen Nacht doch auch wohl die Verzweiflung heran – hätten alle die Unglücklichen ihre Genesung, ihr Leben, ein langes Dasein von Freude und Gesundheit erkaufen können, aber hätten sie es mit dem Leben dieser Frau erkaufen müssen, sie hätten den Herrn über Leben und Tod auf ihren Knien angefleht, er möge sie bewahren, er möge den Tod zu ihnen senden, er möge sie nur bewahren vor dem Elende, wie diese Frau es tragen mußte. –

Die Tobelmühle heißt eine jener Stellen, an denen die Kranken von Davosplatz täglich zwei Mal die frische Milch einnehmen. An der Tobelmühle sah ich die Frau; sie saß auf einer Bank, die eine Strecke zur Seite stand. Eine Kranke saß da neben ihr, eine junge Dame, noch sehr jung, nach den jugendlichen Zügen des schönen blassen Gesichtes zu urtheilen, aber dem Tode verfallen in aller ihrer Jugend und Schönheit; der Blick der großen blauen Augen war ja nur sein Blick, auf den bleichen Wangen blühten die rothen Grabesblumen.

Es war so warm an dem Abhange des Berges, auf dem die Tobelmühle steht; zu der einsamen Bank sandte die Sonne ihre vollsten und wärmendsten Strahlen. Die feine Gestalt der Kranken war dennoch in dichte Tücher eingehüllt, und wenn ein Lüftchen sich regte, legte jene Frau die Tücher dichter und schützender um die Schultern des Kindes. Die kranke Brust durfte die heilende Luft einathmen; aber ein Glied des Körpers durfte von ihr nicht angehaucht werden.

Und auch vor etwas Anderem mußte die Kranke behütet werden, vor den Blicken, vor dem ganzen Gesichtsausdrucke der Frau, die ihre Pflege, alle ihre Aufmerksamkeit der Leidenden widmete.

Es lag so viel Schmerz in den Blicken, so viel Gram, Angst, so viel Entsetzen und Entsetzliches in diesem Gesichte. Das Kind allein war ja nicht ihr Schmerz, ihre Angst, ihr Entsetzen. Wenn sie auf die Leidende, die dem frühen Tode Geweihte niederblickte, wie viel Anderes, Schweres, Schwereres mußte dann in ihr Gedächtniß treten, verdammend, verfluchend, seit so vielen und langen Jahren schon und noch immer.

Der Fluch hatte sich so oft erfüllt, so entsetzlich, so niederschmetternd. Er war noch nicht gelöst; sollte, konnte der Tod, an dessen Seite sie jetzt stand, sie endlich von ihm erlösen? Sollte noch Furchtbareres ihrer harren?

Und durfte die Kranke das Alles in ihrem Gesichte lesen?

Es war wohl eine wunderbare Frau, von der ich hier spreche, die ein langes Leben hindurch verfolgt war von den schwersten Schlägen des Schicksals, und von der ich dennoch fragen mußte, ob man sie bedauern könne. Es waren Schläge eines rächenden und vergeltenden Schicksals, von denen sie betroffen war, von denen sie noch immer verfolgt wurde. Sie war ihnen nicht erlegen; sie konnte ihnen noch immer Muth und Fassung entgegensetzen, und sie war noch eine schöne Frau, wenn sie auch im Greisenalter stand.

In frischer, prangender Jugendschönheit hatte ich sie früher gesehen. Einundzwanzig Jahre zählte sie damals, und fünfundvierzig Jahre waren seitdem verflossen.

Eine Frau von fester Kraft, war sie schon zu jener Zeit, mit einer großen und sicheren Gewalt über ihr Herz und seine Leidenschaften, und dieses Herz hatte heftige Leidenschaften und einen energischen Willen dabei, im Lieben und im Hassen, in seinen Schmerzen und Aengsten. Aber das Alles kann sich ja an ein langes Menschenleben fesseln, ohne es zu verzehren und zu vernichten; nur die Schuld und das Bewußtsein drücken mit Centnerlast und schlagen vernichtend ihre Krallen ein.

Diese Frau hatte noch manche Spuren ihrer früheren Schönheit bewahrt. Ihre Gesichtszüge waren fein und edel geblieben, ihr Auge – wenn es auch nicht mehr in dem früheren Feuer strahlte, glänzte um so anziehender in seinem milden feuchten Schimmer; ihr schneeweißes Haar ringelte sich in vollen und reichen Locken; ihr Körperbau hatte das vollendete Ebenmaß der Glieder; ihre Haltung zeigte den Muth und die Energie, mit denen sie litt und trug und ferner tragen wollte.

Da wandte sie ihren Blick, und der Blick traf mich.

Sie wurde plötzlich leichenblaß; ein Todesschreck, eine Todesangst hatte sie ergriffen. Sie hatte von dem kranken Kinde sich abgewandt, wohl um ihm die Thräne zu verbergen, die dem Auge hatte entgleiten wollen; die Thräne erstarb in dem Auge; ein Ausruf des Schreckens konnte auf ihren Lippen ersterben. Aber die Augen schlossen sich dann, und sie sank auf die Bank zurück zu der Kranken, die jetzt doch sie ansehen mußte und über den Anblick, den sie hatte; mit ihr auf den Tod erschrak.

»Was war das?« fragten mich meine Begleiter.

Durfte ich es ihnen sagen? Der Criminalrichter, hätte ich ihnen nur antworten können, hat mit mancherlei Verbrechern zu verhandeln; er kann die Erinnerung an sie Alle nicht in seinem Gedächtnisse bewahren, aber das Bild Einzelner von ihnen lebt unauslöschlich in seinem Innern; und wenn er sie in den spätesten Jahren und in den fernsten Ländern, und von Schmerz und von Gram und vom Fluche erdrückt wiederfindet, vor seinen leiblichen Augen steht ja nur das Bild seines Innern.

»Kehren wir zurück!« bat ich meine Begleiter.

Was war das? hatte man mich gefragt. »Wer ist die Dame?« fragte ich, ohne zu antworten.

Eine Unglückliche! sagten sie mir.

Sie erzählten mir dann von ihr; es war nur wenig was sie wußten.

Sie sei seit wenigen Tagen in Davos, sagten sie, mit dem leidenden Kinde. Sie sollte Alles in der Welt verloren haben, bis auf die Kranke, und sie müsse auch diese verlieren. Das Kind trage den Tod in der Brust, und sei ohne Rettung verloren; die sämmtlichen Aerzte hätten es erklärt, und die alte Dame pflege und behüte das Kind, als könne, als müsse sie es retten, als wolle sie zehnmal sterben für ihr Geliebtes, für das Einzige, was auf der Erde ihrem Herzen gehöre. Das war Alles, was sie von ihr sagen konnten.

Und was ich von ihr wußte? – – –

 

Vor fünfundvierzig Jahren war sie meine Inquisitin gewesen. Zu meinem damaligen Gerichtsbezirke gehörte das Schloß Hohenburg; in dem Schlosse war ein empörendes Verbrechen begangen.

Es herrschten dort seltsame Zustände, die zuletzt das Schloß Hohenburg zu dem Schauplatze des schweren Verbrechens machen sollten. Ich erfuhr sie mit diesem. Ich war erst vor wenigen Wochen aus einer entfernten Provinz in die Gegend versetzt worden.

Die Schloßherrin auf der Hohenburg, Baronin Willingen, hatte man eines Morgens in ihrem Schlafgemach todt gefunden; nach allem Anscheine war sie ermordet. Es handelte sich um einen Giftmord. Die gerichtliche Untersuchung mußte unverzüglich eingeleitet werden. Ich war Direktor des Criminalgerichts; bei der Schwere des Verbrechens übernahm ich selber die Führung der Untersuchung.

Das Schloß lag wenige Meilen von dem Sitz des Gerichts entfernt. Die Anzeige von dem Verbrechen war sofort nach dessen Entdeckung erstattet. An demselben Nachmittage war ich mit dem erforderlichen Gerichtspersonal im Schlosse. Die Gerichtsärzte folgten.

Der Tod durch eine Vergiftung wurde klar festgestellt.

Die Baronin Willingen, eine alte kränkliche Dame, hatte seit Jahren ein stilles zurückgezogenes Leben im Schlosse geführt. Ihre Lebensweise war folgende, den einen Tag wie den anderen:

Sie verließ selten ihre Zimmer. Aus ihnen ertheilte sie ihre Befehle und Anweisungen für die Haushaltung, an den Hofmeister, an ihre Kammerfrau. Diese beiden Personen waren fast die Einzigen, die sie sah. In ihren Zimmern nahm sie ihr Frühstück, ihr Mittagessen, des Abends ihren Thee ein. Sie genoß außerdem Nichts. Bedient wurde sie von ihrer Kammerfrau. Hatte sie deren Dienste nicht nöthig, so war sie allein in ihren Zimmern; sie beschäftigte sich hier mit Aufzeichnungen in ihren Haushaltungsbüchern, mit Lesen und weiblichen Arbeiten. Besuche empfing sie nie.

Sie war eine fromme, gottesfürchtige und wohlthätige Dame. Sie las viel in der Bibel und in geistlichen Büchern. Die Armen der Gegend erhielten regelmäßige Unterstützungen von ihr, die Diener des Schlosses reichliche Geschenke. Sie war im Schlosse, wie in der ganzen Umgegend beliebt.

Wie und von wem war ihr Tod herbeigeführt? Man wußte es nicht. Es war nur Folgendes festzustellen:

Am Abend vor der Entdeckung ihres Todes – es war ein Dienstag-Abend – hatte ihre Kammerfrau wie gewöhnlich den Thee in ihr Schlafzimmer gebracht, spät gegen neun Uhr. Die Dienerin hatte dabei noch einige Befehle für den nächsten Tag von ihr empfangen und sie dann verlassen. Vorher hatte sie das Nachtzeug für die Herrin auf einem Stuhl neben dem Bette zurechtgelegt. Die Baronin kleidete sich selbst ohne Hülfe aus.

Die Dienerin hatte sich darauf in ihr eigenes Zimmer begeben. Als sie am anderen Morgen zu ihrer Herrin zurückkehrte, fand sie diese in dem Schlafgemache todt.

Die Leiche lag am Fußboden auf dem Teppich vor dem Bette, in einander gekrümmt, das Gesicht verzerrt, nicht blos von Schmerz und Todeskampf, auch Schreck und Angst zeigten sich noch in den todten Zügen, in den weitgeöffneten Augen. Der Teppich war zerwühlt; die eine Hand der Todten hielt krampfhaft ein Stück von ihm, die andere Hand hatte einen Pfosten der Bettstelle umfaßt. Der Tod der Unglücklichen mußte ein entsetzlich qualvoller gewesen sein. Sie hatte sich oft erbrechen müssen. Spuren davon zeigten sich vielfach. In ihnen fielen überall kleine, feine, glänzende und glitzernde Theilchen auf, die den feinsten zerstoßenen und zermalmten Glassplitterchen glichen. Sie waren auf den ersten Anblick als Arseniktheilchen zu erkennen. Der Genuß des Arseniks hatte den Tod der Dame herbeigeführt.

Auch die gerichtliche Untersuchung, die Section der Leiche, stellte dies fest. Arsenik wurde im Magen der Leiche gefunden; er hatte diesen entzündet und angefressen, ebenso den Schlund und andere Canäle im Innern des Körpers. Arsenik wurde gefunden auf dem Boden der nicht völlig geleerten Theetasse, aus der die Verstorbene getrunken hatte und die noch auf dem Tische in dem Schlafgemache stand. Das Gift fand sich noch zwischen den Theeblättern unten in dem Theetopfe, der neben der Tasse stand. Der Magen war bis auf die zurückgebliebenen Arseniktheilchen völlig entleert. Etwas Anderes als Thee, und in diesem das Gift, hatte also in den letzten Stunden vor ihrem Tode, wohl seit dem Mittagessen, die Verstorbene nicht genossen.

Wie war der Arsenik in den Thee gekommen?

Man konnte an einen Selbstmord, an einen unglücklichen Zufall, an einen Giftmord durch einen Dritten denken.

Der Gedanke an einen Selbstmord mußte sofort aufgegeben werden. Der Haushofmeister, die Kammerfrau, der eine der Gerichtsärzte, der Hausarzt des Schlosses war, Alle wiesen ihn entschieden und mit Entrüstung zurück. Die edle und fromme Dame habe seit so vielen Jahren die schwersten Leiden mit einer Kraft und mit einer Ergebung getragen, die ihr die Bewunderung Aller, die sie kannten, eingetragen hätte, die selbst nur die Möglichkeit eines Attentates gegen ihr eigenes Leben ausschlossen.

Auch ein anderer Umstand sprach gegen den Selbstmord. Die Verstorbene hatte sich nur zur Hälfte entkleidet, und auch dies mußte in Hast geschehen sein; die Kleidungsstücke, deren sie sich entledigt hatte, lagen in Unordnung umher, völlig gegen die Gewohnheit der Verstorbenen. Sie war mithin von den Wirkungen des Giftes überrascht und hatte in Angst und Schmerzen, noch halb angekleidet, das Bett aufgesucht; hätte sie sich selbst vergiftet, so würde sie bei Zeiten sich niedergelegt haben.

Noch Eins trat hinzu. In dem Theetopfe hatte sich Thee für zwei Tassen befunden. Die Verstorbene hatte nur eine Tasse ausgeschenkt, und diese nicht einmal ganz geleert; der Thee für die zweite Tasse war noch in dem Topfe. Es war wiederum ein Beweis für jene Ueberraschung.

Welche Qualen übrigens dem Tode vorhergegangen waren, dafür legte außer den verzerrten Gesichtszügen und der Lage des Körpers, der Umstand Zeugniß ab, daß die Verstorbene unter dem Kampfe gegen das Gift entweder aus dem Bette gefallen war, oder, wenn sie es freiwillig verlassen hatte, vielleicht von Schmerz getrieben, oder um Hülfe herbeizurufen, daß sie sofort niedergestürzt war.

Die Kammerfrau hatte in der Nacht keinen Ton, kein Geräusch gehört, das sie zur Herrin gerufen hätte.

Auch von der Annahme eines unglücklichen Zufalls mußte man Abstand nehmen. Die Baronin war nie im Besitze von Arsenik gewesen, auch die Kammerfrau nicht; diese versicherte es, und konnte es versichern, von sich wie von der Verstorbenen. Kein Dritter hatte mit der Zubereitung des Thees zu thun gehabt. Niemand wollte davon wissen, daß sich Arsenik im Schlosse befunden habe.

Ein Giftmord von fremder Hand blieb nur noch übrig.

Wer war der Mörder? Wie konnte er sein Verbrechen ausgeführt haben?

Die Kammerfrau bereitete den Thee für ihre Herrin. Sie hatte das Theeservice, den Thee, den Zucker unter ihrem besonderen Verschluß, in einem Schranke, der in einer Kammer neben der Küche stand. Sie bereitete den Thee in der Küche. Sie brachte dann das Theeservice in das Zimmer der Baronin; sie holte es am anderen Morgen wieder heraus, und stellte es in die Küche, zum Reinigen durch die Küchenmagd, und bis es gereinigt war, blieb es in der Küche. So war es auch in den letzten Tagen gewesen. In der Küche hatten sich nur die Köchin und die Küchenmagd aufgehalten, und beide waren zuverlässige, treue Personen, wie die alte Kammerfrau es war.

Indeß hatte nicht die Küche, wenn auch nur für ein paar Augenblicke, von den beiden gleichzeitig verlassen sein können? Sie hatte keine bestimmte Versicherung abzugeben vermocht, daß es nicht geschehen sei. Und andererseits, konnte nicht Jemand im Besitze eines doppelten Schlüssels zu dem Schranke in der Küche sich befunden, oder einen Nachschlüssel dazu sich angeschafft haben? Wer einen Giftmord beabsichtigt, ist in Beschaffung der Mittel dazu nicht wählerisch.

Da entstand zunächst die Frage: wer der Mörder sei, und es mußten die Personen angesehen werden, die im Schlosse lebten, und es kamen die seltsamsten Zustände und Verhältnisse zum Vorschein, unter denen sie dort lebten.

Die verstorbene Baronin von Willingen war früh Wittwe geworden. Sie hatte in keiner glücklichen Ehe gelebt. Ihr Gatte war ein roher, ausschweifender Mensch, hatte die brave Gattin gekränkt, gemißhandelt vom ersten bis zum letzten Tage einer Verbindung, die nur aus Familieninteresse geschlossen war. Er war in Folge seiner Ausschweifungen gestorben, um seinem Sohn, dem einzigen Sprößling aus dieser unseligen Verbindung, die Fortsetzung seines Thuns und Treibens auf der Hohenburg zu überlassen.

Emmerich von Willingen zählte fünfzehn Jahre, als sein Vater starb. Er hatte ganz den rohen und schlechten Charakter seines Vaters geerbt. Er war früh in dessen Laufbahn getreten, schon zu Lebzeiten das Vaters, dem es zur Freude gereichte, den eigenen Sohn zu verderben; später auf seine eigene Hand. Ohne Verlangen, sich zu irgend einer staatlichen Laufbahn auszubilden, nur überhaupt etwas zu lernen, aber mit desto größerer Lust, seinem zügellosen Leben in einer anderen Laufbahn neue Nahrung zu geben, hatte er in seinem neunzehnten Jahr die Universität bezogen.

Er verließ diese mit dem Antritte seines zweiundzwanzigsten Lebensjahres. Mit diesem war er nach den Gesetzen seines Landes großjährig, er wollte die selbstständige Verwaltung der Willingschen Güter übernehmen.

Hier stellte sich ihm jedoch ein Hinderniß entgegen. Jene Familieninteressen, von denen wir sprachen, hatten es geschaffen. Die Willingschen Güter, wie groß sie waren, waren zugleich schwer mit Schulden belastet. Die Baronin, die Mutter des Barons Emmerich, war eine sehr reiche junge Erbin gewesen. Die beiden Väter des jungen Paares waren Freunde. Um den Willingschen Gütern aufzuhelfen, hatten sie die Verbindung ihrer Kinder beschlossen; der jungen Frau indeß war freilich das Recht gewährleistet, bei irgend einer schlechten Verwaltung der Güter ihre Capitalien zu kündigen und selbst zu verwalten. Dem Gatten gegenüber hatte sie hierzu sich nicht entschließen können. Es hätte nothwendig einen Bruch des ehelichen Zusammenlebens nach sich ziehen müssen, und die edle und fromme Dame wollte lieber das Schwerste tragen, als eine Ehescheidung herbeiführen.

Dem Sohne gegenüber war ihre Stellung eine andere. So lange er minderjährig war, blieb ihr die Verwaltung der Güter unter Aufsicht des Vormundes. Bei Erreichung seiner Großjährigkeit erklärte sie aber dem verdorbenen jungen Manne die sofortige Kündigung ihrer Capitalien, wenn er die Verwaltung der Güter zu übernehmen gedenke.

Emmerich von Willingen sah ein, daß damit nur der volle Ruin seiner schon unter dem Vater sehr heruntergekommenen Besitzungen eintreten müsse. Er überließ der Mutter die Verwaltung, ließ sich aber von ihr eine ansehnliche Jahresrente aussetzen. Dann verließ er Schloß Hohenburg, mit Zorn und Groll in dem entarteten Herzen gegen die Mutter, deren mütterliche Sorge doch nur seiner Verschwendungssucht ein Ziel hatte setzen wollen.

Er ging auf Reisen, erschien nicht wieder, ließ nach einigen Jahren nichts mehr von sich hören, sich nicht einmal mehr seine Rente schicken. Man wußte nicht, wo er war, man wußte nicht, ob er noch lebte. Er war und blieb verschollen.

Dies blieb er manches Jahr.

Dann trafen Nachrichten über ihn ein, abgerissen, unbestimmt, gerüchtweise nur; aber alle dahin übereinstimmend, er führe in fremden, fernen Ländern ein abenteuerndes, wildes, selbst verbrecherisches Leben, unter allerlei Namen, in allerlei Gestalten; man wollte ihn in den europäischen Hauptstädten, in den besuchtesten fremden Bädern gesehen haben, als Spieler, Bankhalter, Falschspieler, als Führer der ausschweifendsten jeunesse doreé, als Verführer unerfahrener junger Männer; verworfene schöne Weiber seien seine Begleitung, seine Werkzeuge, er sei wieder ihr Werkzeug. Es waren Gerüchte, die immer wiederkehrten.

Zehn Jahre war er unter solchen Umständen abwesend gewesen, da kehrte er selbst zurück, unangekündigt und unerwartet, aber wie ein vornehmer reicher Herr, in elegantem Reisewagen, in Gesellschaft einer bildschönen jungen Dame, mit einem Kammerdiener für sich, einer Kammerfrau für seine schöne Begleiterin. Er sah ernst aus, fast finster, müde von der Reise, aber nicht verlebt. Die junge Dame zeigte ein stilles, etwas gemessenes Wesen. Er ließ sich besondere Zimmer für sich anweisen, besondere für die Dame.

Dann begab er sich sofort zu seiner Mutter. Mit ihr hatte er eine Unterredung, die länger als eine Stunde dauerte. Darauf sah man ihn zu der jungen Dame gehen, die er wenige Minuten später zu der Mutter führte. Beide blieben bei der Baronin etwa eine Viertelstunde.

Das war vor etwa einem Jahre gewesen. Von da an bestand auf der Hohenburg zwischen der alten Baronin, dem Baron Emmerich und dessen Begleiterin folgendes Verhältniß:

Die Baronin führte nach wie vor das Hauswesen im Schlosse, die Verwaltung der Güter übernahm der Baron. In welcher Weise und unter welchen Bedingungen eine Vereinbarung darüber zwischen den Beiden getroffen war, erfuhr man nicht, wie denn überhaupt Alles, was in jenem Beisammensein von Mutter und Sohn vorgefallen und unterhandelt war, ein tiefes Geheimniß blieb.

Die Begleiterin des Barons galt im Schlosse als Gesellschafterin der Baronin, sah aber die Baronin nie wieder. Fräulein Haller wurde die junge schöne Dame genannt. Auch darüber, was bei der kurzen Begegnung des Fräuleins mit der Baronin geschehen und gesprochen war, lag der Schleier eines tiefen Geheimnisses.

Die Baronin und ihr Sohn Emmerich sahen sich aber selten, gewöhnlich ohne Zeugen, in dem Zimmer der Baronin. War ein Dritter zugegen, zum Beispiel der Haushofmeister oder der Rentmeister der Güter, so wurde über Verwaltungsangelegenheiten gesprochen; der Ton zwischen Mutter und Sohn war ein gemessener, etwas fremder, aber immer respectvoller auf Seiten des Sohnes, und ein gütiger von Seiten der Mutter.

Die Baronin, die schon früher einsam und eingezogen gelebt hatte, verließ seit der Rückkehr des Sohnes, ihre Zimmer fast gar nicht mehr, speiste dort allein, nahm allein ihr Frühstück und Abends ihren Thee ein.

Ihre Zimmer befanden sich in dem Mittelbau des Schlosses, eine Treppe hoch.

An den Mittelbau des Schlosses lehnten sich zwei weit vorspringende Flügel an.

In dem Flügel links, lagen die Zimmer des Barons; in dem rechts hatte das Fräulein Haller ihre Wohnung.

Das Leben dieser Beiden war in Vielem ein gemeinsames. In dem im Erdgeschoß des Mittelbaues gelegenen kleinen Speisesaal des Schlosses nahmen sie gemeinschaftlich ihre Mahlzeiten ein; in dem nicht weit davon gelegenen Bibliothek-Zimmer sah man sie oft zusammen lesen, bei schlechtem Wetter auf und abgehen, sich unterhalten. In dem daran stoßenden kleinen Concertsaale musicirten sie zusammen; sie saßen manchmal bis spät in den Abend hinein zum vierhändigen Spiel am Fortepiano. Selten sah man Eins von ihnen in den Zimmern des Anderen. Wohl machten sie oft gemeinschaftliche Promenaden, zu Fuß, zu Wagen, zu Pferde, durch den Schloßgarten, in den Park, zur Besichtigung der Vorwerke, der Aecker, der Forsten.

Ihr gegenseitiges Benehmen war dabei ein vertrauliches, aber zugleich ein feines achtungsvolles, und man hätte sie für Geschwister halten können, wenn darin nicht manchmal eine gewisse ängstliche und fast gezwungene gegenseitige Zurückhaltung irre gemacht hätte. Diese konnte freilich das ganze Verhältniß der Beiden zu einander als ein äußerlich gemachtes darstellen, das die eigentliche Natur ihrer Stellung zu einander verdecken sollte.

Die Kammerfrau der Baronin machte mir diese Bemerkung; sie war eine Frau, die in dem langjährigen Dienste bei der vielfach geprüften Dame fein zu beobachten gelernt hatte. Sie theilte mir zugleich eine andere Bemerkung, in der gleichen Beziehung mit.

Der Baron Emmerich hatte, nach allen jenen übereinstimmenden Nachrichten und Gerüchten über ihn, während seiner zehnjährigen Abwesenheit ein unstätes, abenteuerndes, ausschweifendes, selbst verbrecherisches Leben geführt. Sein müdes Aeußere bei seiner Rückkehr hätte vielleicht als Bestätigung dafür dienen können. Daß das Fräulein Haller die Genossin seiner verwerflichen Lebensweise gewesen sei, dafür müßte schon ihr Erscheinen an seiner Seite im Schlosse sprechen – ihr vertrautes Beisammensein mit einem Mann, mit dem sie durch kein Band der Verwandtschaft oder nur der guten Sitte verbunden war, und der zudem eine Vergangenheit hatte, wie der Baron.

Gleichwohl ließ in allem ihren Thun und Lassen nichts auch nur ahnen, daß sie früher in verworfener, in einer anderen als der besten Gesellschaft gelebt hatte. Waren sie beisammen, waren sie allein, wußten sie sich beobachtet, konnten sie sich für unbeobachtet halten, immer war ihr Benehmen ein gleiches, ernst und würdig; das Fräulein sah man oft in stiller Trauer versunken. Der Baron warf dann mitleidige, besorgte Blicke auf sie; er schaute finster vor sich nieder, wenn er allein war.

Am Fortepiano fand das Fräulein, wenn sie allein spielte, nur sanfte weiche, oder ernste, melancholische Melodien; spielte sie vierhändig mit dem Baron, so war ihre Musik meist von einem wilden, leidenschaftlichen, düsteren, oft grausig ergreifenden Charakter.

Daß das Verhältniß Beider trotz alledem im Schlosse wie in der Umgegend eine strenge Verurtheilung fand, konnte nicht auffallen; das Fräulein war und blieb in den Augen der Leute eine verschmitzte Heuchlerin, der Baron der frühere Wüstling, der sich nur im Hause der Mutter Gewalt auflegte, ein Anderer zu scheinen, als er sei.

Wie die Baronin über die Beiden geurtheilt habe? mußte ich die Kammerfrau fragen. Die Dienerin war die Vertraute, die Freundin der verstorbenen Dame gewesen. Sagte sie das auch nicht, es ging aus Allem hervor, was sie mir mittheilen mußte, was die andern Schloßbewohner von ihr sprachen. Die Baronin, antwortete sie mir auf meine Frage, habe stets das Fräulein nur eine Unglückliche genannt, für die sie das tiefste Mitleid fühle.

»Und keinen Groll?«

»Das Herz der Frau Baronin konnte gegen Niemanden einen Groll fassen.«

»Wie sprach sie über ihren Sohn seit dessen Rückkehr?«

»Sie liebte es nicht, über ihn zu sprechen. Es war ihr schmerzlich, nur an ihn erinnert zu werden.«

Was ich hier erzählt habe, war das Resultat meiner ersten summarischen Nachfragen im Schlosse, bei dem Haushofmeister, dem Rentmeister, der Kammerfrau der Baronin, und dem Bürgermeister der Gemeinde, der sich gleichfalls eingefunden hatte.

Dieser Beamte theilte mir noch mit, daß seit dem Bekanntwerden des Todes der Baronin Willingen in der ganzen Gegend nur ihr Sohn und das Fräulein Haller für die Mörder gehalten würden. Das Fräulein wolle die gnädige Frau im Schlosse werden. Die Baronin habe ihre Einwilligung dazu nicht ertheilen wollen; ohne diese Einwilligung habe der Baron nicht heirathen können. Da habe die Person den Mordplan gefaßt, und der Baron, über den sie große Gewalt besitze, habe ihr behilflich sein müssen, oder jedenfalls nicht gewagt, der Ausführung ihres Planes entgegenzutreten.

Es war nur ein Volksgerede; aber Volksmund gibt Wahrheit kund, und die seltsamen Verhältnisse und Zustände im Schlosse und die Charaktere der beiden Personen, auf die in solcher Weise hingezeigt wurde, mußten Veranlassung geben, in dieser Richtung weiter nachzuforschen. War doch auch sonst Niemand im Schlosse zu bezeichnen, auf den nur entfernt ein Verdacht fallen konnte.

Ein besonderer Umstand trat hinzu.

Der Baron Emmerich Willingen war, als ich mich nach ihm erkundigte, nicht mehr da. Er hatte am Morgen früh, noch ehe der Tod der Baronin bekannt wurde, das Schloß verlassen, zu Pferde, allein, das Pferd hatte er selbst gesattelt. Eine halbe Stunde später hatte die Kammerfrau der Baronin ihre Herrin todt gefunden. Wohin der Baron geritten war, wußte Niemand; Niemand hatte auch vorher davon gehört, daß er das Schloß verlassen wolle. Seine plötzliche Entfernung mußte auffallend erscheinen, glich sie doch einer Flucht!

Ein Anderes wollte mir anfangs weniger auffallen. Das Fräulein Hallen, zu deren Vernehmung ich bald schreiten wollte, ließ mir sagen, sie sei unwohl, befinde sich im Bette, könne mich nicht empfangen. Der Schreck über den plötzlichen Todesfall konnte sie freilich erschüttert haben; ich verzichtete deshalb um so mehr auf ihre sofortige Vernehmung, als ich hoffen durfte, durch die Aussagen der übrigen Schloßbewohner ein zuverlässigeres Material für ein gründliches Verhör mit ihr zu gewinnen – falls mir dies gelang.

Die umfassendste Auskunft durfte ich von der Kammerfrau der Baronin erwarten, der verständigen, ruhigen, besonnenen Frau; Frau Walter hieß sie. Einzelnes aus ihrer Vernehmung theilte ich schon mit, das, was sie über den Thatbestand des Mordes zu sagen wußte, vollständig.

Ueber einige mir besonders wichtige Umstände konnte sie keine Auskunft geben.

Was die Baronin in jener einstündigen Unterredung mit ihrem Sohn, gleich nach dessen Rückkehr, verhandelt habe? Die Baronin habe ein beharrliches volles Stillschweigen darüber bewahrt, war die Antwort der treuen Dienerin; dasselbe versicherte sie von der kurzen Begegnung der Dame mit dem Fräulein Haller, die seitdem im Schlosse als Gesellschafterin der Schloßherrin gelten mußte, aber fast allgemein als die Concubine des Barons angesehen wurde.

»Wie fassen Sie das Verhältniß des Barons zu dem Fräulein auf?« fragte ich sie.

Sie antwortete ausweichend:

»Ich habe keine Beweise, also verurtheile ich nicht. Meine liebe selige gnädige Frau nannte das Fräulein eine Unglückliche, auch ich kann sie nur so nennen.«

»Halten Sie das Fräulein für die Mörderin?«

Sie wurde lebhaft; eifrig und mit Entrüstung fast erwiderte sie:

»Nein! Eines Mordes konnte Fräulein Haller nie fähig sein. Sie mochte leichtsinnig sein. Sie liebte den Baron; sie konnte ihm Vieles opfern, ihren Ruf; sie konnte Manches für ihn thun. Aber einen Mord, einen Mord an jener edlen Dame konnte sie nicht begehen.«

»Lernten Sie das Fräulein so genau kennen, um diese Bürgschaft für sie übernehmen zu können?«

Sie stutzte doch, als wenn sie plötzlich fühle, sie sei in ihrer Erwiderung zu weit gegangen.

»Ja!« antwortete sie dann bestimmt.

»In welcher Weise? Unter welchen Umständen? Sie müssen mir Thatsachen angeben.«

Das konnte sie nicht.

»Das Fräulein ist eine Unglückliche,« sagte sie nur. »Ein unglückliches Herz mordet nicht.« Wollte sie hier keine weitere Auskunft geben?

Meine Vorstellungen blieben vergeblich.

Ueber den Baron mußte ich sie dann fragen. Das Fräulein habe ihm so manches Opfer gebracht, hatte sie gesagt, aber einen Mord habe sie nicht begehen können. Ich wiederholte ihr die Worte.

»Also für ihn, für den Baron, habe sie den Mord nicht begehen können?«

Sie schwieg auf die Frage.

»Den Baron würden Sie also für den Mörder, wenigstens für den Anstifter eines Mordes gegen seine eigene Mutter halten können?«

Sie mußte hierauf antworten.

»Der Baron,« sagte sie, »hatte schon als Knabe kein gutes Herz, war dann die vielen Jahre in schlechter Gesellschaft, war der Theilnehmer an mancher schlechten That, mag sich später gebessert haben, aber –«

Sie stockte; sie mußte sich besinnen, was sie weiter sagen solle. Entschlossen fuhr sie dann fort:

»Ja, mein Herr, er liebte das Fräulein Haller, er wollte sie zu seiner Gemahlin machen, der Wille der Mutter stand ihm entgegen, er meinte das. Er selbst war sein Gegner. Er war schwach, schwach in seinen bessern Entschlüssen. – Nein, nein, ich habe da zu viel gesagt; ich kann meine Worte nicht verantworten. Ich habe Ihnen nichts gesagt; Sie haben nichts von mir gehört.«

Sie war in Verwirrung, in Aufregung. Ihre Worte gaben es schon zu erkennen, sie hatten keinen Sinn, oder einen dunkeln, der nicht zu errathen war.

Ich forderte sie auf, sich deutlich auszudrücken, im Zusammenhange zu erzählen. Sie blieb taub dagegen. Was sie wisse und was sie behaupten könne, habe sie mir vollständig und gewissenhaft mitgetheilt; was sie errathen habe, nur glaube errathen zu haben, mir zu offenbaren, verbiete ihr Gewissen ihr. Dabei gab sie zu verstehen, oder es scheint mir so, daß es sich um einzelne vertrauliche Mittheilungen oder Aeußerungen der verstorbenen Baronin handelte, die wiederzugeben sie sich nicht für berechtigt hielt. Ich mußte von ihrer weiteren Vernehmung Abstand nehmen.

Dies auch aus einem anderen Grunde. Die Gerichtsärzte waren unterdeß im Schlosse angekommen, die Section der Leiche mußte vorgenommen werden. Vor der Section war die Leiche den Angehörigen, sowie den angeschuldigten oder verdächtigen Personen zur Recognition vorzuzeigen. Ein solches Vorzeigen hat den Zweck, die Identität des Todten festzustellen; es gewährt aber außerdem nicht selten psychologische Resultate, die für die Untersuchung, für die Ermittelung des Verbrechers von großer Bedeutung sein können.

Ich. ließ zu der Leiche den Rentmeister, den Haushofmeister, den Kammerdiener der Verstorbenen, die Kammerfrau Walter, die alte Köchin herbeiholen; absichtlich diese vielen Personen und absichtlich sie alle zu gleicher Zeit; ich wollte dadurch die Stellung der Dienerschaft zu der Herrin kennen lernen; ich wollte aus den Mienen der Versammelten angesichts der Todten, aus den Blicken, die sie offen oder verstohlen einander zusendeten, aus halben Worten, die sie vielleicht sich zuflüsterten, erforschen, ob ich nichts irgend einen Anhalt gewinnen könne, der mir weitere Spuren zur Ermittelung und Verfolgung des Mörders lieferte.

Die Liebe Aller zu der Todten, die große Verehrung, die sie im Leben ihr erwiesen hatten, erkannte ich an der Bahre, aber nicht der geringste Anhalt, nach dem ich für meine Untersuchung forschte, wurde mir. Diese Dienerschaft wußte nichts, oder verrieth nichts; sie wußte wohl nichts.

Ich sandte dann noch einmal zu dem Fräulein Haller; auch sie sollte an der Leiche erscheinen. Es waren ein paar Stunden verflossen, seitdem sie sich hatte krank melden lassen; sie konnte sich bis jetzt erholt haben. Ich ließ ihr das durch den Haushofmeister sagen. Sie ließ zurücksagen, sie werde in einer halben Stunde sich einfinden, sie müsse sich vorher ankleiden. Der Hausbeamte hatte sie im Negligé gefunden.

Und nun wurde ich Zeuge eines sonderbaren, räthselhaften Auftritts.

Die eingetroffenen Aerzte nahmen einen kleinen Imbiß und hatten dann ihre Vorbereitungen für die Section zu machen. Zu dieser konnte in der ersten halben Stunde nicht geschritten werden.

Ich war von dem langen Inquiriren ermüdet und benutzte die Pause zu einem Spaziergange, der mich erfrischen sollte. Ich nahm das Aeußere des Schlosses, dessen nächste Umgebungen in Augenschein.

Das Schloß war ein prachtvoller Bau im Renaissancestyl der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; es zeigte in seiner Ausführung, wie in seiner Erhaltung bis zur neuesten Zeit den Reichthum, den Ordnungssinn, den guten Geschmack seiner Besitzer. Seine Lage war eine anmuthige.

Es stand am Ausgange eines reizenden Thales; mit seiner Vorderfront schaute es in das Thal hinein; seine Rückseite war einer weiten Ebene zugewandt, deren Vorderfront von Schloßgarten und Park eingenommen wurde, denen Waldungen auf der einen, unübersehbare Aecker, Weiden und Wiesen auf der anderen Seite sich anschlossen. Aus der Ebene ergoß sich in das Thal ein Fluß von mäßiger Breite. An ihm war unmittelbar das Schloß aufgerichtet; die Mauern seines rechten Flügels wurden von den Wellen bespült.

Der Strom floß hier schnell; sein jenseitiges Ufer wurde durch einen steilen, zackigen Felsen gebildet, zwischen Schloß und Felsen, über Stein und Fels flossen brausend und schäumend die Wellen dahin.

Das Rauschen des Wassers hatte mich angezogen; ich folgte ihm, an der Rückseite des Schlosses entlang. Als ich an der Ecke umbiegen wollte, hatte ich plötzlich einen Anblick, der mich eine halbe Secunde lang unwillkürlich fesselte, und dann rasch zurücktreten ließ, um selber ungesehen, beobachten zu können.

Unmittelbar über dem Wasser sprang aus der Schloßmauer ein kleiner Balcon hervor. Auf ihm stand, über das niedrige Geländer vorgebeugt, eine junge Dame, eine große herrliche Gestalt, ein schönes edel geformtes Gesicht. Ihr Blick war über das Wasser hin gerichtet, nach dem Felsen, der gerade ihr gegenüber das andere nahe Ufer des Flusses bildete. Sie schien hinüber zu sprechen. Auf dem Felsen, von den vorspringenden Zacken mir halb verborgen, stand ein junger Mann. Zu ihm sprach sie. Er antwortete ihr.

Unter dem Geräusche des Wassers blieben die Worte, die sie wechselten, mir unverständlich; ich vernahm nicht einmal den Ton der Stimmen. Um so schärfer mußte ich die Mienen, die Bewegungen der Beiden beobachten. In dem schönen Gesicht der Dame zeigte sich Schmerz, Trauer, Besorgniß; ihre Lippen schienen Bitten, ängstliche Bitten auszusprechen.

Der Mann – ganz jung war er nicht mehr; er schien in der Mitte der dreißiger Jahre zu stehen; vielleicht war er jünger und nur das verlebte Gesicht deutete jenes Alter an; fahl und verlebt war das Gesicht, und wenn auch die Formen schön waren, der Ausdruck war ein unangenehmer, fast erschreckender. Es lag so viel Frivolität darin, so viel Hohn, in dem Hohn so viel kalte freche Drohung, und die Dame blickte und sprach so besorgt, so ängstlich bittend zu ihm hinüber.

Sie standen lange; plötzlich verschwanden sie gleichzeitig, in derselben Secunde, die junge Dame in das Zimmer zurück, zu dem der Balcon gehörte, der junge Mann in den Spalten des Felsens.

Ich kehrte gedankenvoll in das Schloß zurück. Ich rief den Bürgermeister, den Haushofmeister zu mir.

Ich beschrieb ihnen die Dame, den Herrn. Die Dame war das Fräulein Haller. Der Herr war ihnen unbekannt; der Baron Emmerich war es nicht.

Aber dem Bürgermeister kam auf einmal eine Erinnerung.

Vor drei bis vier Monaten war ihm ein polizeiliches Circularschreiben zugekommen, durch das ein aus einem entfernten Zuchthause entsprungener, berüchtigter Verbrecher verfolgt wurde. Zolscher war sein Name; unter den Namen Graf Solst, Baron Holstein habe er sich früher in Bädern und größeren Städten, namentlich Seestädten, als Betrüger und falscher Spieler umhergetrieben. Welchen Namen er jetzt angenommen, sei unbekannt, man habe aber in sichere Erfahrung gebracht, daß er gleich nach seiner Flucht aus dem Zuchthause seinen Weg nach der hiesigen Gegend hin genommen habe.

Alle Polizeibehörden der Gegend wurden angewiesen, auf ihn zu fahnden und im Betretungsfalle ihn zu verhaften. Der Bürgermeister hatte die ihm untergebenen Gendarmen und Polizeidiener mit entsprechender Ordre versehen. Diese hatten zwar den Verfolgten nicht betroffen. Ein Gendarm hatte jedoch ermittelt, daß ein Fremder, auf den das Signalement des Entschwundenen gepaßt, in dem Walde nächst dem Hohenburger Parke in vertrautem Gespräche mit dem Baron Willingen gesehen sei. Der Bürgermeister hatte in Folge dieser Anzeige sofort den Baron aufgesucht, der jedoch vornehm und einfach erklärt hatte, er habe einen Menschen, wie den beschriebenen, nicht gesehen. Der Gewährsmann des Gendarmen müsse sich geirrt haben oder diesen getäuscht haben.

Der Gegenstand war damals nicht weiter verfolgt, auch nicht, obgleich kurz nachher bekannt wurde, daß zu jener nämlichen Zeit die Baronin beinahe einem Unglücksfall erlegen sei, der etwas Geheimnißvolles gehabt habe.

Die alte Dame hatte damals gerade an einem der ersten schönen warmen Frühlingstage einen Spaziergang in der Nähe des Schlosses gemacht. Ihr Weg hatte sie an das Ufer des vorbeifließenden Stromes geführt. Sie war allein gewesen. Auf einmal hört man im Schlosse einen weiblichen Hülferuf; er kommt vom Flusse her; man glaubt die Stimme der Baronin zu erkennen, man eilt zu der Stelle, wo der Ruf ertönt war; man findet dort in der That die Baronin, mit durchnäßten Kleidern, halb erstarrt vor Schreck und Kälte. Sie sei, erklärt sie, am Ufer entlang gegangen, bei einem unvorsichtigen Tritte ausgeglitten und in den Strom gefallen; sie habe sich nicht sofort wieder aufraffen können, um Hülfe gerufen, bevor diese gekommen, jedoch das trockene Land zu gewinnen vermocht.

Das Alles war möglich gewesen, hatte nichts Unwahrscheinliches. Indeß, sie sprach so sonderbar, so eintönig und einsylbig, so abgerissen wieder, sie schien sich auf die einzelnen Worte besinnen zu müssen; sie verwirrte sich, gab zuletzt gar keine Antworten mehr. Das mußte ihren Unfall räthselhaft machen, man war im Schlosse geneigt, anzunehmen, es habe sich noch etwas Besonderes ereignet, das sie verschweige. Was dies sein könne, darüber hatte man vergebens nachgesonnen.

Der Haushofmeister theilte mir diese Umstände mit; dem Bürgermeister hatte er sie damals nicht bekannt gegeben, er hatte keinen Zusammenhang finden können zwischen ihnen und dem entsprungenen Zuchthäusler. Heute stand das anders, nachdem der Verbrecher heimlich in der Gegend sich umhergetrieben gerade zu einer Zeit, da die Baronin einmal einer Lebensgefahr mühsam entronnen, das zweite Mal in der That ihr erlegen war. Und mit dem Baron hatte er das erste Mal, und mit dem Fräulein Haller das zweite Mal den heimlichen Verkehr gehabt!

Mein Erstes war, durch den Bürgermeister sofort alle Polizeibehörden der Umgegend zur Verfolgung des verdächtigen Menschen in Bewegung zu setzen.

Dann schritt ich unverzüglich zu dem Verhör des Fräulein Haller.

Nach der geheimen Zusammenkunft mit einem gemeinen Verbrecher, in der ich sie betroffen, nach der weiteren Auskunft, die ich darüber erhalten, hätte ich vielleicht jetzt weniger rücksichtsvoll gegen die ohnehin zweideutige Dame auftreten sollen, als ich bisher gethan hatte; indeß ich hatte keinen Beweis, ich hatte nur Vermuthungen gegen sie. Ich ließ sie wiederum durch den Haushofmeister einladen, vor mir zu erscheinen – in dem Sterbezimmer, zu der Todten, zur Recognition der Leiche – die Section war noch nicht vorgenommen.

Sie erschien.

Es war die junge Dame, die ich vor wenigen Minuten auf dem Balcon gesehen hatte, in der heimlichen Unterredung mit dem verdächtigen Fremden.

Auf ihrem ganzen Wesen lag der Zauber einer eigenthümlichen Schönheit, die weniger durch die vollendeten Formen, als durch den Ausdruck eines tiefen, aber gemilderten und geläuterten Seelenschmerzes hervortrat; man sah der jungen Dame an, daß sie in ihrem Innern litt, daß in ihr das Bewußtsein lebte, sie müsse ihr Leiden vielleicht, ja wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang in sich tragen, daß sie aber vermöge ihrer Kraft und Ergebung nie ihm erliegen könne, daß es nicht einmal zu einem heftigen, gewaltsamen Ausbruch zu gelangen vermöge; man empfand Mitleid mit ihr und mußte ihr zugleich Bewunderung zollen.

Ich führte sie zu der Leiche, die ich vorher mit einem Tuche hatte bedecken lassen, ich nahm das Tuch ab.

»Kennen Sie die Todte?« fragte ich sie. Sie war nicht erschrocken, in ihrem Gesichte veränderte sich kein Zug, der Schmerz darin zuckte nur leise auf, und es lag nichts Gemachtes, nichts Erzwungenes darin.

»Die Frau Baronin Willingen!« antwortete sie.

Die Antwort war ruhig, wie der Ausdruck ihres Schmerzes, die Stimme hatte einen besonderen Wohllaut.

Sie ist keine Verbrecherin, nicht die Mörderin, mußte ich mir sagen. Ich hatte manchen Verbrecher, manche Verbrecherin, manchen Mörder, manche Mörderin in ähnlicher Lage an der Bahre des Ermordeten gesehen, irgend ein Zeichen der Schuld hatte ich jedesmal wahrnehmen müssen; der verstockteste Mensch, der alle seine Mienen und Bewegungen in seiner Gewalt haben mochte, ein halber Blick, ein Zucken des Augenwinkels, ein kaum bemerkbares Aufwerfen oder Zusammenziehen der Lippen, die leiseste Bewegung des Fußes zum unwillkürlichen Zurücktreten, oder sonst etwas Anderes hatte das Schuldbewußtsein, das Gewissen verrathen. Von alledem hier nichts.

War es dann möglich, daß diese junge Frau mit dem tiefen innigen Schmerz in der Brust, eine solche entsetzliche Gewalt über ihr Aeußeres besitzen, daß sie eine vollendete Heuchlerin sein konnte? Aber war sie nicht Jahre lang die Gefährtin eines verbrecherischen Menschen gewesen? Hatte ich sie nicht vor wenigen Minuten in dem verdächtigen Beisammensein mit einem Menschen betroffen, dem Laster und Verbrechen unverkennbar in das Gesicht eingegraben waren?

Hatte aber auch dagegen die Kammerfrau Walter, die alte, erfahrene, verständige Beobachterin gleichfalls nicht die Ueberzeugung gewinnen können, daß dieses Fräulein Haller die Mörderin sei, hatte sie nicht die Bürgschaft für ihre Unschuld übernehmen wollen, trotz Allem, was für ihre Schuld sprechen möge?

Ich mußte die Dame weiter beobachten. Spielte sie eine Rolle, war sie eine Heuchlerin, lange sollte sie ihre Maske nicht bewahren können, einmal sollte sie aus ihrer Rolle fallen müssen.

Ich schob die Section der Leiche auf: ich schritt sofort zu dem Verhör der Dame, im Angesichte der Ermordeten.

»Wie ist Ihr Name?«

»Helene Haller.«

»Wie alt sind Sie?«

»Zweiundzwanzig Jahre.«

»Wo sind Sie geboren?«

»Zu Bombay in Vorderindien«

»Wer waren Ihre Eltern?«

»Mein Vater, von Geburt ein Deutscher, war Officier im Dienste der Ostindischen Compagnie, mit seinem Regimente nach Ostindien gesandt. In Bombay heirathete er eine Engländerin, meine Mutter.«

»Erzählen Sie Ihre Lebensschicksale.«

»Mein Vater starb, als ich vierzehn Jahre zählte; meine Mutter – ich war ihr einziges Kind – kehrte mit mir nach Europa zurück. Sie schritt in London zu einer zweiten Ehe. Es wurde keine glückliche Ehe. Auch mein zweiter Vater war Officier; wir begleiteten ihn nach Malta. Er ergab sich dort dem Spiele, lebte außerdem unordentlich, verschwendete das Vermögen meiner Mutter, wurde aus dem Dienst entlassen, verschwand und ließ meine Mutter mit mir im Elende zurück. Ich wurde Erzieherin bei einer englischen Familie, ich ging mit dieser auf Reisen, hauptsächlich durch das südliche Europa. In Rom lernte ich den Baron Emmerich Willingen kennen. Er war Freund der englischen Familie. Diese mußte in Folge unangenehmer Nachrichten aus England schleunig nach der Heimath zurückkehren. Ich blieb in Rom, suchte dort ein neues Engagement. Bevor ich es fand, hatte ich Gelegenheit, dem Baron Willingen einen Dienst zu erweisen. Er bot mir eine Stelle als Gesellschafterin bei seiner Mutter an. Ich begleitete ihn hierher.«

So erzählte sie ihre Lebensgeschichte.

»Ein dürres Gerippe,« mußte ich mir sagen. Und das Blut und das Leben dazu?

»Der Name der englischen Familie?« fragte ich.

Sie nannte einen Mr. Michell oder Scott, oder einen anderen Dutzendnamen Englands.

»Welchen Dienst hatten Sie dem Baron geleistet?«

»Er war verleumdet; ich konnte den Beweis seiner Unschuld liefern.«

»Die Art, der Gegenstand der Verleumdung?«

Sie lehnte eine Antwort darauf ab.

»Es handelt sich um die Ehre eines Mannes. Die Erwähnung auch des ungerechtesten Angriffs auf sie ist eine neue Verleumdung.«

Sie hatte nicht Unrecht. Ich stand von meiner Frage ab, die sie mir mit dem ersten besten erfundenen oder nicht erfundenen Gesellschaftsklatsch hätte beantworten können.

»Der Baron,« mußte ich bemerken, »soll ein Leben geführt haben, das ihn manchem Tadel aussetzte!«

Sie hatte darauf eine ausweichende, gar zweideutige Antwort:

»Ich habe das Leben und den Charakter des Barons Emmerich von ihren guten Seiten kennen gelernt.«

» Nur von ihren guten Seiten?« fragte ich.

»Mein Herr,« wich sie wiederum aus, »der Baron Emmerich war jung, ist lebhaft, verkehrte in der höheren Gesellschaft, die Manches leicht nimmt, war Gegenstand der Verleumdung, wie ich schon sagte. Ich bitte Sie, fragen Sie mich nicht weiter nach seinem Leben. Ich vertraute ihm, folgte ihm hierher, und daß ich einem unehrenhaften Mann mich nicht anvertraut hätte – ach, mein Herr, ich wollte zum Zeugnisse dafür auf mich selbst mich berufen, auf mein ehrliches Gesicht; da –«

Sie zitterte; Thränen erstickten ihre Stimme. Aber sie mußte fortfahren, sie konnte noch die Worte hervorpressen:

»Da sah ich Ihren Blick, der mich mißtrauisch traf, und mußte er es nicht?«

Sie konnte doch vor Schluchzen nicht weiter sprechen. Sie bedeckte das bleiche Gesicht mit beiden Händen. Die Thränen quollen zwischen den feinen Fingern hervor.

Sie hatte Thränen. Wohl oft vorher hatte ich heftiges, lautes Weinen, krampfhaftes Schluchzen gehört; aber ich hatte keine Thränen gesehen, und ich hatte zweifelnd mich fragen müssen, was denn hier Wahrheit sei, und ich hatte der Heuchelei, der Schuld gegenüber gestanden. Sah ich Thränen, so waren sie mir die Zeugen der Wahrheit, der Schuldlosigkeit gewesen. Waren sie es auch hier? Es wollte mich eine Angst erfassen, indem ich Zweifel nicht zurückdrängen konnte. Ich ging auf einen anderen Gegenstand des Verhörs über.

»Hatten Sie vorhin eine Unterredung mit einem Fremden?«

Ihre Antwort, ihr Benehmen bei der Frage, die ihr völlig unerwartet kommen mußte, durften entscheidend für meine Zweifel werden. Sie hatte sich völlig unbemerkt bei ihrer Unterredung gewußt, sie hatte keine Ahnung davon haben können, daß eine Frage darüber an sie werde gestellt werden, sie mußte durch die Frage überrascht, erschreckt werden. In welcher Weise? Ueberraschung und Schreck verrathen von allen Gemüthsbewegungen am Meisten das Innere des Menschen, das Schuldbewußtsein, die Schuldlosigkeit.

»Ja, mein Herr,« war ihre einfache, aufrichtige Antwort.

Ich meinerseits war überrascht. Ich durfte es nicht verrathen.

»Wer war der Fremde?«

»Ein Bekannter des Barons Emmerich.«

»Sein Name?«

»Herr van Roelof aus Holland.«

»Auch Sie kannten ihn schon früher?«

»Er stand in dem Regimente meines Vaters auf Malta.«

»Sie sahen ihn später wieder?«

»In Rom.«

»Und dort kannte er auch den Baron Emmerich?«

»Die Beiden waren Bekannte.«

Ich hätte an diese Antwort eine ganze Reihe weiterer Fragen über ihre früheren Beziehungen zu diesem verlebten, zweideutigen Herrn van Roelof, dem Genossen eines Baron Emmerich, ihres eigenen derartigen Vaters anknüpfen können. Ich zog es vor, bei der Gegenwart zu verweilen.

»In welcher Absicht war der Herr hier?«

»Er suchte den Baron Emmerich auf.«

»In welcher Absicht dies?«

»Er theilte es mir nicht mit.«

»Was wollte er von Ihnen?«

»Er erkundigte sich bei mir nach dem Baron Emmerich.«

»Fräulein Haller, ich will völlig aufrichtig gegen Sie sein. Ich war Zeuge Ihrer Unterredung mit dem Fremden.«

Eine plötzliche Röthe flog durch ihr Gesicht. Sie erwartete dann schweigend und ruhig meine ferneren Mittheilungen.

»Sie hatten eine heimliche Unterredung mit ihm?«

»Er hatte mich darum gebeten.«

»Wann? Wo?«

»Wenige Minuten vor meiner Zusammenkunft mit ihm am Felsen. Ich hatte in meinem Wohnzimmer ein Geräusch unter dem Fenster gehört. Als ich hinaus blickte, stand der Herr van Roelof unten, winkte mir nach dem Felsen hin. Ich begab mich dahin.«

»Sie verstanden seinen bloßen Wink?«

»Ich verstand ihn.«

»Sie waren schon früher dort mit ihm zusammengetroffen?«

»Nicht ich, aber der Baron Emmerich.«

»Wann war das?«

»Vor mehreren Monaten.«

»Sein heutiger Zweck war einzig und allein, sich bei Ihnen nach dem Baron zu erkundigen?«

»Er hatte den Baron aufgesucht, nicht gefunden, er suchte bei mir Auskunft über ihn.«

»Welche Auskunft gaben Sie ihm?«

»Daß der Baron fortgeritten sei, ich wisse nicht wohin.«

»Sie sprachen noch mehr mit ihm, Sie hatten eine längere Unterredung!«

»Er sprach von der Vergangenheit.«

»Fräulein Haller, ich sah, daß er Ihnen drohte, daß Sie ihn ängstlich um Etwas baten.«

»Seine Drohungen galten nicht mir.«

»Wem galten sie?«

»Dem Baron Emmerich.«

»In welcher Weise?«

Sie faßte einen Entschluß.

»Erfahren Sie Alles, mein Herr! Der Herr van Roelof war hier, um sich Geld von dem Baron Emmerich zu erbitten, oder, damit ich das richtige Wort gebrauche, zu erpressen. So war es auch, als er früher hier war. Damals erreichte er seinen Zweck. Heute glaubte er, der Baron lasse sich verleugnen, oder sei ihm aus dem Wege gegangen. Das war der Grund seiner Drohungen.«

»Und ihr Gegenstand war?«

»Er war der Gefährte des Barons Emmerich bei manchen Gelegenheiten früherer Zeit gewesen, und über diese frühere Zeit sprach ich schon.«

Ich hatte damit nichts erfahren. Sollte ich doch auf jene Zeit noch einmal zurückkommen? Für den Augenblick wenigstens nicht.

»Wie standen Sie zu der Todten hier?« fragte ich sie ohne allen weiteren Uebergang.

Die Leiche lag auf einem Ruhebett. Ich zeigte nach ihr, nach dem unbedeckten Gesichte, das noch immer jenen Ausdruck des Schrecks, der Todesangst, der Todesschmerzen trug; nur die Augen waren geschlossen.

Das Fräulein Haller mußte unwillkürlich meinem Blicke, der Bewegung meiner Hand folgen, diesmal war sie dabei völlig unvorbereitet, ich hatte von jenen ganz anderen Dingen mit ihr gesprochen. Vorhin, bei ihrem Eintreten, konnte, mußte sie darauf gefaßt sein, daß ich sie zu der Leiche führen, ihr diese vorstellen werde. Jetzt in diesem Augenblicke konnte sie nicht daran denken, daß ich von den Fragen über völlig fremdartige Gegenstände plötzlich auf diese Leiche zurückkommen werde.

Sie zuckte in der That zusammen, heftig, mit allen Zeichen eines jähen Erschreckens. War das doch ein Zeugniß ihres Schuldbewußtseins? Es wollte mich heiß überlaufen bei dem Gedanken. Aber da sah ich, wie sie klar und voll das Auge auf die Züge der Todten richten konnte und wie ihr eigenes Antlitz sich mit Mitleid für die Ermordete füllte. Noch einmal wichen meine Zweifel über ihre Unschuld zurück.

Sie antwortete ruhig, mit voller Fassung auf meine Frage:

»Die Baronin wollte mir wohl, sehr wohl, mehr vielleicht, als ich es verdiente. Ich hatte leider keine Gelegenheit, es der edlen Dame zu vergelten. Ich blieb ihr fern, sie war eine Fremde für mich, wie ich es für sie sein mußte.«

Das waren wohl auffallende Widersprüche.

»Warum mußten Sie,« fragte ich, »der edlen Dame, die Ihnen wohlwollte, eine Fremde bleiben?«

»Die Verhältnisse brachten es mit sich.«

»Gegen Ihren Willen?«

»Wie gern hätte ich meinem Herzen folgen mögen, das mich zu ihr zog!«

»«Nennen Sie die Verhältnisse, die Sie daran hinderten.«

»Ich kann, ich darf es nicht.«

»Fräulein Haller,« mußte ich ihr fast strenge erwidern, »Ihre Weigerung, offen gegen mich zu sein, macht es mir zur Unmöglichkeit, Ihren Worten Glauben zu schenken.«

Sie kämpfte mit sich, aber sie konnte es nicht über sich gewinnen, mir das zu entdecken, was sie offenbar verschwieg. Sie brach wieder in einen Strom von Thränen aus; sie rief:

.,»O, glauben Sie mir! Glauben Sie einer Unglücklichen! Kann denn das Unglück lügen?«

Sie hatte wieder die hellen Thränen, die nicht lügen können; sie sprach, sie flehte in Tönen der Wahrheit.

Durfte der Criminalrichter ihr glauben, er, der gar keinen Glauben haben darf, weder nach der Seite der Schuld, noch nach der der Unschuld? Der Beweise beibringen, aber auch fordern muß?

»Die Baronin ist ermordet,« wollte ich das Verhör weiter leiten.

»Ist sie ermordet?« rief sie. »Kann denn nicht ein Unglücksfall vorliegen?«

»Können Sie an einen unglücklichen Zufall glauben?« fragte ich zurück.

Sie schüttelte schmerzlich weinend den Kopf.

»Wen halten Sie für den Mörder?«

Ich hatte die Frage rasch aufgeworfen.

»Um Gotteswillen!« schrie sie auf mit Schreck, mit Entsetzen, mit einer Angst, der sie zu erliegen drohte.

Ich glaubte auf einmal einen klaren Blick in ihr Inneres gethan zu haben; sie wollte nicht verrathen; aber nicht um einen Verrath gegen sich selbst handelte es sich.

Gegen wen? Gegen den Baron Emmerich? Der Gedanke wollte sich fest und fester in mir setzen.

Sie liebte den Baron; sie wollte seine Gattin, die gnädige Frau im Schlosse werden. Der Baron vermochte durch sein Herz nicht mehr zu lieben, er stand unter der Herrschaft einer heißen und mächtigen Leidenschaft für sie. Sie hatte ihn ganz in ihrer Gewalt, das war ja das Urtheil im Schlosse über Beide.

Er war der leidenschaftliche Mensch mit der stürmischen Vergangenheit, für dessen Wollen und Thun kein Hinderniß bestand, der rücksichtslos in der Wahl der Mittel und Wege sein Ziel erreichen mußte und zu erreichen wußte. Hatte sie auch jene Gewalt über ihn, wie schwach ist einem einmal verdorbenen Herzen gegenüber die Macht des guten Herzens!

Und da war ja der verdächtige Fremde, dieser Herr van Roelof da, als gefügiges Werkzeug, der alle Schuld und allen Schein von Schuld auf sich nahm, der vielleicht schon begonnen hatte, den Schein auf sich zu nehmen, indem er Drohungen gegen den Baron ausstieß.

Freilich hatte von der anderen Seite das Fräulein versichert, die Baronin habe ihr wohl, sehr wohl gewollt. Aber auch in dem Maße, um sie zur Schwiegertochter zu nehmen?

Jedenfalls lagen Geheimnisse vor, deren Ergründung schwer werden mußte, und wenn sie gelang, nur dadurch herbeigeführt werden konnte, daß ich die Liebe der jungen Dame zur Verrätherin gegen den Baron den Geliebten ihres Herzens machte.

Durfte ich das? Mußte ich es nicht als Inquirent?

»Hat man Ihnen Näheres über den Tod der Baronin erzählt?« fragte ich sie.

»Sie habe Gift genossen, Arsenik.«

»Wie ihr das Gift beigebracht sei?«

»In dem Thee, den sie jeden Abend nimmt.«

»Wer konnte vorher zu dem Thee oder zu der Theemaschine gelangen?«

»So viel ich weiß, stand beides immer nur unter dem besonderen Verschluß der Frau Walter.«

»Wo waren Sie gestern Abend, Fräulein Haller?«

Ein Zug des leichten Erschreckens, dann des Unwillens flog durch ihr Gesicht. Sie war durch die Frage verletzt worden. Das war als ein Zeichen für ihre Unschuld auszulegen. Sie ergab sich mit Ruhe in die Verletzung, die ihr widerfuhr. Auch das war zu ihren Gunsten zu deuten.

»Ich habe,« antwortete sie, »am gestrigen Abende mein Zimmer nicht verlassen.«

»Gemäß Ihrer Gewohnheit oder gegen diese?«

»Im Ganzen gemäß meiner Gewohnheit.«

»War der Baron bei Ihnen?«

»Er war bei mir, er las mir vor.«

»Aus welchem Buche?«

»Es war die natürliche Tochter von Göthe.«

»War der Baron lange bei Ihnen?«

»Von acht bis zehn Uhr.«

»Ununterbrochen?«

»Einmal hatte er sich entfernt auf zehn Minuten etwa.«

Sie gab die Antwort nicht ohne ein Zögern, das mir auffallen wollte.

»Wohin?« fragte ich.

»Er habe seinem Kammerdiener noch einen Befehl für heute zu ertheilen, sagte er.«

Es war eine Antwort, die mir noch mehr auffallen mußte.

»Für heute!« bemerkte ich ihr. »Hätte das nicht Zeit gehabt, bis er Sie um zehn Uhr verließ?«

»Der Diener,« erwiderte sie, »ist ein alter Mann, den der Baron schon früh des Abends sich zur Ruhe begeben läßt.«

Ich war begierig, den alten Diener kennen zu lernen.

»Welchen Befehl hatte der Baron dem Diener noch zu ertheilen?«

»Der Baron erwähnte es nicht.«

»Wohin ist der Baron heute geritten?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sprach er gestern nicht über seine Entfernung?«

»Mit keinem Worte.«

»Wann erhielten Sie Nachricht von ihr?«

»Heute früh, als der Baron schon fort war, gleichzeitig mit der Nachricht von dem Tode der Baronin.«

»Wer machte Ihnen die Mittheilungen?«

»Meine Dienerin.«

»Welchem Umstande schreiben Sie die plötzliche Entfernung des Barons zu?«

»Ich weiß sie mir nicht zu erklären.«

»War der Herr van Roelof schon gestern hier?«

»Meines Wissens nicht.«

Ich schritt zu den letzten Fragen, die ich jetzt noch an sie richten durfte.

»Sie kamen auf Schloß Hohenburg mit dem Baron Emmerich an?«

»Ja, in seiner Begleitung von Rom.«

»Sie sollten hier als Gesellschafterin der Baronin leben?«

»So war meine Bestimmung.«

»Wurden Sie die Gesellschafterin der Dame?«

»Ich führte nur den Namen.«

»Warum wurden Sie es nicht in der That?«

»Die Baronin wünschte es nicht. Sie war nur an die Gesellschaft ihrer Kammerfrau gewöhnt.«

»Sie hatten gleich nach Ihrer Ankunft hier eine Unterredung mit der Baronin?«

»Nur wenige Minuten lang.«

»Was wurde gesprochen?«

»Die Baronin theilte mir mit, daß und warum sie meine Dienste als Gesellschafterin nicht annehmen könne, daß sie aber nichts dagegen erinnern wolle, wenn ich den Titel ihrer Gesellschafterin führe.«

»Sie erwähnten vorhin, die Baronin hatte Ihnen wohlgewollt. Wodurch gab sie Ihnen das zu erkennen?«

»Mir selbst zeigte sie es nicht. Es war mir nach jener ersten Unterredung peinlich, ihr wieder zu begegnen; sie mochte dasselbe Gefühl haben. Ihre Kammerfrau indeß – doch haben Sie die Güte, die Frau Walter über diesen Gegenstand zu hören.«

Es war mir, als habe sie diese Antwort mit einiger Verlegenheit gegeben. Indeß ich fand keine Veranlassung, weiter darüber nachzudenken. Ich schloß das Verhör mit der jungen Dame. Nicht zu meiner rechten Befriedigung. Ich war unklar über sie geblieben. War sie der edle Charakter, für den sie von Manchen im Schlosse gehalten wurde, namentlich von dem Haushofmeister, selbst von der sehr verständigen Kammerfrau Walter und, nach deren Zeugnisse, sogar von der verstorbenen Baronin, und unter welchem sie auch in dem Verhöre mir gegenüber sich zu bewegen und zu bewähren gewußt hatte? Oder war sie doch zuletzt nur eine, allerdings sehr gewandte Abenteurerin und Heuchlerin?

Davon abhängig war zugleich das Urtheil über ihre Schuld oder Unschuld, das moralische Urtheil nur; ein juristischer Beweis war in keiner Weise für ihre Schuld erbracht, und die Schuld mußte, wie ich schon bemerkte, erwiesen werden. Lücken waren in ihren Aussagen, auch anscheinende Widersprüche. Zu einer wirksamen weiteren Verfolgung durch das Verhör mit ihr selbst mußte ich noch festere Anhaltspunkte vorher mir zu verschaffen suchen.

Ich hatte nach ihr zuerst die Kammerfrau der Baronin vernommen. Das Resultat ihres Verhöres habe ich oben bereits mitgetheilt. Es sprach im Ganzen zu Gunsten des Fräulein Haller.

Eines war mir auch in ihrer Aussage aufgefallen, Fräulein Haller hatte sich auf sie für das Wohlwollen berufen, das die Baronin ihr geschenkt habe. Ich fragte sie darüber. Sie bestätigte es in jener Weise, die ich früher bezeichnete. Aber auch sie war dabei verlegen geworden. Die Baronin, theilte sie mir mit, habe das Fräulein in Schutz genommen, sie nur eine Unglückliche genannt.

Im Flusse der Rede fuhr sie fort:

»Einmal gab die Frau Baronin gar zu verstehen, sie könne, wenn dadurch das wahre Glück ihres Sohnes befördert werde, sich dazu entschließen, eine Verbindung zu genehmigen, deren Gedanke ihr sonst ein entsetzlicher sei, und ich glaube sogar –.«

Mit diesen Worten brach die Zeugin plötzlich ab, unter allen Zeichen der Verlegenheit darüber, daß sie zu viel gesagt habe. Meine Aufforderungen fortzufahren, blieben vergeblich. Um so mehr mußte ich das, was sie mir vorenthielt, für wichtig, gar für entscheidend halten.

Allein auf meine Fragen und Vorhaltungen hatte sie nur noch die Erwiderung:

»Ich glaubte ja nur, ich weiß nichts Bestimmtes, ich konnte mich irren. Da verpflichtet mich mein Gewissen, zu schweigen.«

Sie war so in ihrem Rechte; über seine Urtheile und Meinungen braucht kein Zeuge dem Richter Auskunft zu ertheilen, und nur als Zeugin hatte ich sie zu vernehmen. Dem Fräulein Haller gegenüber konnte ich, und auch nur unter Umständen, anders auftreten. Darauf komme ich zurück.

Ich vernahm zuerst den Kammerdiener des Barons. Ich mußte, nach der Mittheilung des Fräulein Haller, ihn darüber befragen, ob und wann der Baron am gestrigen Abende mit ihm gesprochen habe; ich hoffte außerdem überhaupt von dem Diener der Hauptperson der Untersuchung für diese manche Aufklärung zu erhalten. In dem Letzteren hatte ich mich freilich geirrt.

Der Kammerdiener Arnold war in dem Dienste des Schlosses grau geworden, aber der Diener des Barons Emmerich war er erst seit dessen Rückkehr. So wußte er von dem früheren Leben und Treiben des Barons nichts. Auch über die Zustände und Ereignisse des Schlosses in der neueren Zeit wohnte ihm keine Kenntniß bei. Er hatte sich eben um sie nicht gekümmert, er war ein alter, stumpfer Mann. Es kam mir bei seiner; Vernehmung der Gedanke, vielleicht habe gerade darum der Baron ihn zu seinem Kammerdiener genommen. Selbst über den gestrigen Abend war eine genaue Auskunft von ihm nicht zu erlangen.

»Sahen Sie den Baron gestern Abend?«

»Ja!«

»Um welche Stunde war es?«

»Das kann ich nicht sagen. Ich war in meinem alten Sessel eingeschlafen, wo der gnädige Herr mich weckte.«.

»Was hatte er Ihnen zu sagen?«

»Er sagte mir, er werde vielleicht heute früh ausreiten, ich sollte mich bereit halten, um dem Reitknecht den Befehl zum Satteln zu bringen.«

»War der Baron lange bei Ihnen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Trug Ihnen der Baron heute den Befehl zum Satteln an den Reitknecht auf?«

»Ich habe den gnädigen Herren heute gar nicht gesehen. Er habe sich selbst das Pferd gesattelt, sagte mir der Reitknecht nachher.«

Ich legte ihm noch die Frage vor, ob sein Herr fremde Besuche empfangen habe. Er wußte nichts davon. Ich beschrieb ihm den Herrn van Roelof, er hatte ihn nicht gesehen.

Vielleicht werde er am anderen Morgen ausreiten, hatte der Baron dem alten Diener Arnold gesagt. Stand das Fortreiten mit dem Tode der Baronin in Verbindung, war es als eine Flucht anzusehen, so hatte der Baron den Diener zu einer Zeit aufgesucht, da er noch nicht wußte, ob das Verbrechen gelingen werde. Wann konnte er über das Gelingen Gewißheit haben? Es fehlte mir jeder Anhalt, das zu ermitteln.

Die Section der Leiche war vorgenommen, sie hatte jenes Resultat geliefert: die Baronin war an dem Genusse von Arsenik gestorben; das Gift hatte sich in dem Thee befunden, den sie kurz, unmittelbar vor dem Schlafengehen genossen hatte. Es war ferner ermittelt, daß der Thee von der Kammerfrau bereitet war; daß diese die Ingredienzien dazu unter ihrem besonderen Verschlusse bewahrt hatte; daß die Bereitung in der Küche geschah; daß die Kammerfrau selbst den Thee zu der Baronin hinauftrug.

Aber es konnte auch Jemand einen Nachschlüssel zu dem Verschlusse der Kammerfrau besitzen und das feine, weiße, pulverisirte Gift auf den Boden der Theemaschine gestreut haben, wo es nur bei einem geflissentlichen Suchen gefunden werden konnte; zu einem solchen Nachsuchen hatte die Kammerfrau keine Veranlassung gehabt, und sie hatte es auch nach ihrem eigenen Zugeständnisse unterlassen.

Andererseits hatte Jemand in der Küche dem schon bereiteten Thee das Gift beimischen können; es bedurfte hierzu nur eines kurzen Augenblicks, und die Kammerfrau konnte nicht mit Bestimmtheit versichern, daß sie vor dem Hinaufbringen des Thees zu der Baronin die Küche nicht verlassen habe, wie Köchin und Küchenmädchen die Möglichkeit zugeben mußten, daß sie auf ein paar Augenblicke sich gleichzeitig entfernt haben könnten.

Wer konnte diese Augenblicke für sein Verbrechen benutzt, wer den Schrank der Kammerfrau aufgeschlossen haben? Der Baron? Das Fräulein? An Jenen mußte ich denken. Der Gedanke an Diese wollte mir immer zurückkehren. Aber keine Thatsache für einen Beweis bot sich mir dar.

Da fiel mir Etwas ein. Das Fräulein Haller hatte mir von einer Dienerin gesprochen, von der zuerst sie die Nachricht über den Tod der Baronin und das Fortreiten des Barons erhalten habe. Ich hatte ferner gehört, daß der Baron mit dem Fräulein und mit einer Kammerfrau für das Fräulein nach der Hohenburg zurückgekehrt sei.

Die Kammerfrau des Fräuleins ließ ich zum Verhör vorführen.

Ich war überrascht, als ich sie sah. Sie war eine Dame, eine französische Dame, Alles an ihr war Feinheit Anmuth, Reiz, Geist, Intrigue. Sie war nicht mehr ganz jung, aber ihre großen, schwarzen Augen sprühten Feuer, und unter der weichen, durchsichtigen Haut glaubte man das heiße Blut aufwallen zu sehen.

» Vos ordres, Monsieur?« trat sie ein, bevor ich sie gefragt hatte.

Sie schien erwartet zu haben, daß sie werde vernommen werden: sie hatte vielleicht nicht abwarten können, bis sie gerufen wurde.

»Ihr Name?« fragte ich sie mit der Kälte des Inquirenten. » Françoise Amélie de –«

Ich unterbrach sie.

»Sprechen sie nur französisch?«

» Monsieur –!«

Sie unterbrach sich selbst.

»Mein Herr, ich habe eine ausgezeichnete Bildung genossen; ich bin auch der deutschen Sprache mächtig.«

Sie antwortete das im reinsten Deutsch, wenn auch mit fremder Aussprache.

»Ihr Name?« wiederholte ich.

Sie hieß Francisca Amalie, geborne Bernard, mit französischer Aussprache dieses Namens. Sie wollte die Wittwe eines französischen Officiers sein, der Hector Achille de l'Ange geheißen und, ich weiß nicht mehr wo, den Heldentod des Soldaten gefunden hatte.

Nach seinem Tode war sie Erzieherin, Gesellschafterin, Aehnliches gewesen, immer nur in den vornehmsten Häusern, zuletzt hatte Monsieur le Baron Emmerich de Willingen sie gebeten, unter dem bescheidenen Namens einer femme de chambre als Freundin und Beschützerin Mademoiselle Haller nach Schloß Hohenburg zu begleiten. So erzählte sie. Sie wurde im Schlosse Madame Bernard genannt.

Von der Madame Bernard durfte ich über Manches, über Altes und Neues, genauere, vielleicht überraschende Auskunft erwarten; ich mußte ein eingehendes Verhör mit ihr abhalten.

»Wo engagirte der Baron Willingen Sie?«

»Mein Herr, der Herr Baron suchte mich?«

»Wo suchte er Sie?«

»In Florenz, mein Herr.«

»Hatten Sie den Baron früher schon gekannt.«

»Ja, mein Herr, in einer vornehmen italienischen Familie. Ich war Erzieherin dort; der Herr Baron kam oft dahin.«

»Hatten Sie auch das Fräulein Haller schon gekannt?«

»Nicht persönlich, mein Herr. Aber der Herr Baron schilderte sie als ein edles Wesen, das er hoch verehre. Sie stehe in Florenz unter seinem Schutze: er müsse in die Heimath zurückkehren; er könne sie nicht in Florenz schutzlos zurücklassen; er wolle sie seiner Mutter zuführen.«

»Unter Ihrem Schutze?«

»Unter meinem Ehrenschutze, mein Herr.«

»Sie hatten Grund, den Angaben des Barons Glauben zu schenken?«

»Ich hatte keinen Grund, ihnen zu mißtrauen.«

»Gab Ihnen auch seitdem das Verhältniß der Beiden zu einander keine Veranlassung zu einem Mißtrauen?«

»Mein Herr, Sie stellen mir eine delicate Frage.«

»In welcher Beziehung?«

»In Beziehung auf meine hiesige Stellung.«

»Erklären Sie sich deutlich.«

»Ich bin hier Hausgenossin, immerhin in einer dienenden Stellung. Der Hausgenosse, namentlich der dienende, muß nothwendig Zeuge mancher Zustände, Ereignisse, Geheimnisse des Hauses werden, die nicht in die Oeffentlichkeit dringen sollen, deren Verräther er, der Dienende, am wenigsten werden darf.«

»Wären sie hier Zeugin solcher Ereignisse und Geheimnisse geworden?«

»Ja, mein Herr!«

Sie besann sich eine Zeit lang, bevor sie das Ja sagte. Dann sprach sie es ungern, nur gezwungen, wie es schien, aber mit voller Bestimmtheit.

Indeß, ich hatte einmal ein Mißtrauen gegen diese Dame, wenigstens kein großes Vertrauen zu ihrer Wahrheitsliebe.

»Wie war das Verhältniß des Fräuleins zu der Baronin?« fragte ich sie.

»Die beiden Damen sahen sich nicht.«

»Wer von ihnen vermied die Andere?«

»Ich glaube, die Abneigung war eine gegenseitige.«

»Also eine Abneigung war der Grund, daß sie sich nicht sahen?«

»Ich muß es vermuthen.«

»Und worauf gründet sich Ihre Vermuthung?«

Sie machte wiederum eine Pause, ehe sie, und zwar mit Zeichen des Widerstrebens, antwortete.

»Mein Herr, Sie sind Richter. Dem Richter schuldet man volle Wahrheit; Sie selbst ermahnten mich so. Die Frau Baronin wollte das Fräulein nicht zu ihrer Schwiegertochter.«

»Der Baron wollte das Fräulein heirathen?«

»Es war so, mein Herr.«

»Und das Fräulein?«

»Mein Herr, wenn ein weibliches Herz liebt und geliebt wird, wäre es nicht gegen die Natur, wenn es nicht mit allen Mitteln dahin streben sollte, mit dem Mann ihrer Liebe verbunden zu werden?«

»Sprechen Sie hier Vermuthungen aus, oder haben Sie beweisende Thatsachen?«

»Ich war auf die Frage gefaßt, mein Herr, also auch auf eine Antwort. Ich habe manche beweisende Thatsache. Aber ich kann und werde mich nie dazu entschließen, sie Ihnen mitzutheilen, ein Vertrauen zu mißbrauchen, das mir hier wurde. Wenn Sie Gewalt gegen mich anwendeten, wenn Sie mich einsperrten, nie würden Sie mich zu einer Verrätherin machen.«

Sie sprach mit einer Festigkeit und Entschlossenheit, die mir nicht gemacht zu sein schien.

»Indeß,« fuhr sie fort, »fragen Sie zwei Personen im Schlosse, denen weder ihre Stellung, noch ihre Ehre eine Ehrenpflicht auferlegt, der ich gehorchen muß. Es sind der Gärtnerbursch Peter und das Stubenmädchen Auguste. Diese wird Ihnen über die Ereignisse des gestrigen Abends Mittheilung machen, und Jener über einen Vorfall – lassen Sie mich ihn ein Abenteuer nennen, das die Frau Baronin vor einigen Monaten zu bestehen hatte.«

»Sie dürfen,« fragte ich, »die beiden Ereignisse mir nicht nennen?«

»Ich darf nicht, mein Herr.«

Ein Abenteuer der Baronin? Vor einigen Monaten?

»Kennen Sie einen Herrn van Roelof, Madame?« fragte ich sie.

»Ah, mein Herr,« rief sie, »Sie fragen mich nach Dingen, die Ihnen schon bekannt sind!«

»Ja, Madame, wenn das der Fall ist, was könnte Sie hindern, mit mir darüber zu sprechen?«

»Meine Ehre, mein Herr! Ich habe strenge Grundsätze in diesem Punkte.«

Ich hatte doch noch weitere Fragen an sie.

»Wo brachte das Fräulein Haller ihre Abende zu?«

»In der letzteren Zeit meist in ihrem Zimmer, in Gesellschaft mit dem Baron.«

»Und früher?«

»Mehr in den Salons unten, in dem Bibliothekzimmer, dem kleinen Concertsaale.«

»Warum der spätere Wechsel?«

»Ich wüßte keinen Grund anzugeben. Das Fräulein war vor einigen Wochen unwohl gewesen, hatte ihr Zimmer nicht verlassen, und der Baron hatte sie besucht. So war wohl die Gewohnheit entstanden.«

»Etwas Auffallendes fanden Sie also nicht darin?«

»Nein, mein Herr. Zudem – das Fräulein stand unter meinem Schutze. Ich war in einem Nebenzimmer.«

»Bedurfte das Fräulein eines solchen Schutzes?«

»Ich hielt ihn wenigstens für meine Pflicht.«

»Wo war das Fräulein am gestrigen Abende?«

»In ihrem Zimmer.«

»Und der Baron?«

»Er leistete ihr Gesellschaft; er las ihr vor.«

»Wo waren Sie?«

»Im Nebenzimmer.«

»Blieb der Baron lange?«

»Er blieb, wie gewöhnlich, bis um zehn Uhr.«

»Hatte er sich nicht unterdeß einmal entfernt?«

»Ich besinne mich! Auf wenige Minuten.«

»Zu welchem Zwecke?«

»Ich weiß es nicht.«

»Zu welcher Zeit?«

»Ich kann auch das nicht sagen.«

»Wer theilte dem Fräulein die Nachricht von dem Tode der Baronin mit?«

»Ich war es, mein Herr.«

»Wer hatte sie Ihnen mitgetheilt?«

»Die Kammerfrau der Baronin.«

»Sie meldeten dem Fräulein gleichzeitig die Entfernung des Barons?«

»Ja, mein Herr.«

»Von wem hatten Sie diese erfahren?«

»Es wurde im Schlosse davon gesprochen.«

»Fand man sie auffallend?«

»Mein Herr, in diesem Hause muß man Vieles auffallend finden.«

Die Worte waren aus ihr herausgeplatzt.

Mit oder ohne Berechnung? mußte ich mich fragen. Sie fragte ich:

»Was veranlaßt Sie zu dieser Bemerkung?«

»Nichts!« antwortete sie in gleichgültigem Tone.

Ich fragte sie nicht weiter. Sie wollte sich interessant machen, dachte ich. Ich konnte das denken; sie hatte sich von Anfang des Verhörs an in solcher Weise gezeigt; wußte sie Etwas, sie hätte es längst zu erkennen gegeben; wie ich sie in der halben Stunde des Verhörs so kennen gelernt hatte, so mußte sie dem Baron und dem Fräulein Haller längst bekannt sein, und man hatte unzweifelhaft das, was sie nicht erfahren sollte, vor ihr geheim zu halten gewußt. Jedenfalls hatte ich mich getäuscht, wenn ich erwartet hatte, von ihr Entscheidendes zu erfahren.

Ich verhörte den Gärtnerburschen Peter. Er sollte, nach der Versicherung der Madame Bernard, mir Auskunft über ein Abenteuer geben können, das die Baronin vor einigen Monaten gehabt habe. Wie sollte ich meine Frage danach einleiten? Er war gleichfalls ein Stück Original, freilich in ganz anderer Weise, als die französische Madame. Ich sah einen jungen, etwas ungelenken Menschen vor mir, mit einem verschmitzten Gesichte; aber es war die Verschmitztheit der Dummen, mit der man äußerst vorsichtig umgehen muß, wenn man zu der Wahrheit gelangen will.

»Kennen Sie die Madame Bernard?« begann ich.

Er lachte in sich hinein.

»Die putzige Französin kennt ja Jeder im Schlosse.«

»Warum kommt sie Ihnen putzig vor?«

»Nun, sie ist ja die närrische Person! Sie will nur Französisch sprechen und kann so gut deutsch, wie ich, und die vornehme Dame will sie sein, und sie ist hier nicht mehr als ich, und der gnädige Herr –«

Er brach ab, sah mich mit listig zwinkernden Augen an.

»Was ist das mit dem gnädigen Herrn?«

»Wenn er sie los werden könnte –«

Er schwieg wieder.

Er hatte mich neugierig gemacht. Der Baron wollte die Französin los werden, die nur er hierher gebracht hatte. Es war mir überraschend. Hätte die Französin es gesagt, ich hätte kaum darauf geachtet; sie wolle sich wieder interessant machen, hätte ich meinen müssen.

»Warum sollte er sie los werden wollen?« fragte ich den Burschen.

»Er mag sie nicht leiden.«

»Und warum das nicht?«

Er lachte wieder in sich hinein.

»Sie ist ihm wohl nicht hübsch genug.«

»Sie ist ja eine schöne Dame!« sagte ich.

»Für ihn vielleicht nicht.«

»Er brauchte sich ja um sie nicht zu bekümmern,« warf ich hin.

»Das will sie aber,« lachte er.

Der Bursch hatte mich hier auf ein Feld geführt, auf dem ich ihm um so weniger weiter folgen durfte, als es für die Zwecke der Untersuchung unfruchtbar war. So meinte ich.

Ich sah zugleich ein, daß ich dem, was ich wissen wollte, wenigstens einigermaßen näher treten müsse.

»Sahen Sie,« fragte ich ihn, »die verstorbene Baronin öfter?«

»Sie kam nicht oft in den Garten.«

»Außerhalb des Gartens sahen Sie sie nicht?«

Er schien bei der Frage sich plötzlich auf Etwas zu besinnen.

Er nickte mit dem Kopfe, aber nur halb, als wenn er zweifelhaft sei, ob er meine Frage geradezu bejahen sollte.

Ich nahm eine directe Bejahung an.

»War sie allein?« fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.

»Mit dem Fräulein Haller?«

Er schüttelte wieder mit dem Kopf, aber noch immer, wie für sich, ohne mir dadurch eine Antwort zu geben.

»Oder mit der Französin?«

»Mit der nicht,« antwortete er laut, mit einer Art von Wegwerfung gegen die Französin.

»War eine Frau bei ihr?«

Er lachte wieder.

»Ein Mann war es!«

»Und wer war der Mann?«

»Es war ein fremder Herr.«

»Wie sah er aus?«

»Gegen die gnädige Frau war er sehr freundlich. Aber hören Sie, Herr, wenn er mir allein im Walde begegnet wäre, ich wäre vor ihm weggelaufen.«

»Wo war er mit der gnädigen Frau?«

»Das erste Mal hinten im Garten und nachher am Flusse, wo der Felsen ist.«

Jedes Wort des Burschen hatte mich gespannter gemacht.

»Wann war es, daß Sie ihn sahen?«

»Das kann ich Ihnen genau sagen. Ich hatte an dem Tage gerade die ersten Rosenstöcke aus dem Treibhause in den Garten gebracht.«

»Das war vor etwa drei Monaten?«

»Ein Vierteljahr wird es her sein.«

»Erzählen Sie mir, was die Baronin und der Fremde thaten.«

»Das erste Mal sah ich nur, wie die Beiden im Garten hinter einem Spalier standen und mit einander heimlich sprachen. Der fremde Herr war sehr freundlich und höflich gegen die gnädige Frau und redete ihr viel zu, und sie sah so kreideweiß aus, daß ich noch bei mir denken mußte, was das denn sein könne, was er ihr mit dem freundlichen Munde sage und worüber sie doch bis in das Herz hinein erschrecken müsse. Ich wurde selbst erschrocken, wenn ich auch kein Wort hörte, und ich machte mich davon, damit sie mich nicht sehen sollten. Das war am Nachmittage. Gegen den Abend sah ich den fremden Herrn wieder; das war nicht im Garten. Ich war am Flusse mit der großen Gartenspritze, um Wasser zum Begießen der Beete zu holen. Auf einmal sah ich ihn am andern Ufer zwischen den Felsen; und nicht weit davon, da wo die Felsen anfangen, war im Gebüsch ein Nachen angelegt. Es war ein Nachen, der zum Schlosse gehörte. Er ist noch da; er wird gebraucht, wenn Einer aus dem Schlosse eilig zum andern Ufer muß. Der Fremde mußte ihn losgekettet haben und darin nach dem Felsen gefahren sein. Aber verwundern mußte ich mich darüber. Wenn er nicht sehr bekannt im Schlosse war, so konnte er von dem Nachen nicht einmal Etwas wissen, und wer konnte ihm die Erlaubniß gegeben haben, das Fahrzeug zu nehmen?

Indeß, ich hatte ihn mit der gnädigen Frau gesehen, und ich dachte, die Sache gehe mich nichts an. Es wollte auch schon finster werden, und ich mußte mit meiner Arbeit fertig sein. Ich kehrte mit meiner Spritze in den Garten zurück. Auf dem Weg sah ich wieder die gnädige Frau; sie ging am Schlosse entlang, nach der Stelle zu, von der ich kam. Die will wieder zu dem fremden Herrn, dachte ich bei mir.

Sie sah mich nicht und ich konnte ihr auch nicht mehr nachsehen, sie ging hinter den Bäumen der kleinen Allee. Im Garten litt mich doch die Neugierde nicht mehr; im mußte wissen, was die gnädige Frau mit dem Fremden am Wasser zu thun habe. Ich schlich zum Flusse zurück; aber wie ich noch hinten an den Schloßmauern entlang ging, hörte ich auf einmal ein Schreien. Die gnädige Frau! kam es mir vor, und nun lief ich, und wie ich um die Ecke bog, sah ich die gnädige Frau im Strome, aber ganz allein; der fremde Herr war nicht mehr zu sehen, und die gnädige Frau arbeitete im Wasser, um an das Ufer zu kommen, und ich lief zu ihr und wollte ihr die Hand reichen, da war sie aber schon auf dem Trockenen, und sie sagte zu mir, sie sei aus Versehen in das Wasser gefallen; sie habe am Ufer promenirt, weiter sei es nichts. Aber sie sah ganz verstört und wieder kreideweiß aus, und der kleine Nachen, der vorher in dem Weidengebüsch am anderen Ufer gelegen hatte, schwamm lose im Strom weg.«

Das war die Mittheilung des Gärtnerburschen Peter über ein Abenteuer der Baronin, wie die Französin sich ausgedrückt hatte. Ich fragte ihn nicht, was er sich bei dem Vorfall gedacht habe. Ich konnte mir diesen selbst erklären, schon nach den Worten des Burschen, noch mehr nach den Aeußerungen der Französin. Der Fremde hatte die Baronin zu dem Wasser, auf das Wasser gelockt, sie in den Strom geworfen; sie hatte sich gerettet, einen Unfall vorgegeben. Was hatte den Fremden zu dem verbrecherischen Versuche veranlaßt? Was die Baronin zum Verschweigen der Wahrheit? Die Antwort auf beide Fragen lag nahe.

Der Herr van Roelof, oder wie der Mensch hieß, war ein Genosse des früheren verbrecherischen Lebens des Barons, hatte jetzt im Auftrage des Barons gehandelt; die Baronin wußte oder ahnte das, wollte den eigenen Sohn nicht als Morddinger gegen sie anklagen.

Und dieser van Roelof war jetzt wieder dagewesen!

Das Stubenmädchen Auguste war noch zu vernehmen; sie sollte, nach der Versicherung der Französin, über die Ereignisse des gestrigen Abends Auskunft geben können. Sie zeigte sich als eine wahrheitsliebende, verschwiegene Person.

Sie speiste mit den anderen weiblichen Domestiken in einer Stube in der Nähe der Küche. Sie nahmen des Abends ihre Mahlzeiten nicht gemeinschaftlich ein; jede Einzelne holte, wie sie Zeit hatte, sich ihr Essen aus der Küche und setzte sich damit in die gemeinsame Speisestube. So war es auch am gestrigen Abend geschehen. Ihr, der Auguste, war es mit ihrer Arbeit spät geworden. Sie war zuerst in die Küche gegangen, um sich ihr Essen von der Köchin geben zu lassen. Sie hatte hier Niemanden angetroffen, sie hatte sich darüber nicht besonders verwundert, indem sie sich gedacht, Köchin und Küchenmädchen würden sich in der nahen Domestikenstube aufhalten. Sie hatte sich selbst ihr Essen genommen und dabei bemerkt, daß das Theeservice für die Baronin noch auf dem gewöhnlichen Anrichttisch gestanden habe. Mit ihrem Essen habe sie sich zu der Gesindestube begeben. Auf dem Wege dahin sieht sie in einem Seitengange den Schatten eines Menschen; es fällt ihr auf, sie bleibt stehen, will sehen, wer er ist; der Mensch geht aber ruhig weiter in den Gang hinein, erkennen kann sie ihn nicht, da die Ganglampe dunkel brennt; sie denkt aber nach Schritt und Gestalt, es sei ein Diener Namens Theodor, achtet nicht weiter darauf und geht nun in das Domestikenzimmer. An dessen Thür begegnet ihr die Küchenmagd, die dort die Köchin um Etwas befragt hatte. In dem Zimmer ist die Köchin, die sich aber auch gleich entfernt. Die Zeugin hat von dem mir Mitgetheilten Niemandem Etwas erzählt; sie war eben eine schweigsame Person.

Ihrer Vernehmung mußten mehrere andere folgen. Zunächst die der Küchenmagd und der Köchin.

Beide konnten nichts Bestimmtes aussagen. Der Küchenmagd wollte es zwar vorschweben, als habe sie einen Augenblick die Küche verlassen, um der Köchin Etwas zu sagen. Die Köchin erinnerte sich dessen aber nicht, und so wurde jene wieder irre.

Der Diener Theodor sodann war am gestrigen Abende, wie er auf das Bestimmteste versichern konnte, weder in der Küche, noch in der Nähe gewesen.

Am Gespanntesten war ich auf ein nochmaliges Verhör der Französin, Madame Bernard. Das Stubenmädchen Auguste hatte von dem Schatten Niemandem Etwas erzählt, auch wie sie auf mein Befragen mich ausdrücklich versicherte, der Französin nicht. Wie hatte diese dennoch sich auf ihr Zeugniß berufen können?

Die Dame wurde nicht im Mindesten verwirrt oder verlegen, als ich sie danach fragte. Ich hatte vorsichtig das Verhör mit ihr begonnen.

»Sie hatten mir das Stubenmädchen Auguste als Zeugin über die Ereignisse des gestrigen Abends bezeichnet!«

»Ja, mein Herr!«

»Hatte das Mädchen Ihnen Mittheilungen über diese Ereignisse gemacht?«

»Nein, mein Herr!«

»Woher wußten Sie, daß das Mädchen Mittheilungen darüber machen könne?«

»Ich hatte Grund, das zu vermuthen.«

»Und worauf beruhte Ihre Vermuthung?«

»Auf mannichfachen Combinationen.«

»Madame,« mußte ich ihr erklären, »wenn das Mädchen das, was Sie mir bekundet, Ihnen nicht mittheilte, so konnten sie nur als Mitzeugin, als mit anwesend bei jenen Ereignissen Kenntniß davon haben!«

»Ich muß Ihnen überlassen, mein Herr, ob Sie das annehmen wollen!«

»Es würde alsdann ein sonderbarer Verdacht auf Sie mit fallen!«

»Sie würden mich also verhaften müssen?«

Sie fragte das mit leichtem Spott.

»Es würde auf die ferneren Ermittelungen ankommen,« erwiderte ich ihr ruhig. –

Aber konnte ich denn noch Weiteres ermitteln?

An Verhören aller Personen im Schlosse, an Nachfragen und Nachforschungen aller Arten näherer und weiterer Umgebung ließ ich es nicht fehlen. Ich erfuhr nichts mehr, was für die Untersuchung förderlich gewesen wäre, was irgend einen Verdacht hätte bestärken oder abschwächen, was nur in eine einzige der vielen vorhandenen Dunkelheiten Licht hätte hineintragen können.

Der Baron Emmerich Willingen war und blieb verschwunden.

Von dem Herrn van Roelof oder einem Menschen, der nur irgend mit ihm Aehnlichkeit gehabt hätte, war keine Spur wieder zu entdecken.

Daß im Schlosse Gift gewesen sei, war in keiner Weise festzustellen, nur wahrscheinlich zu machen.

Daß der Thatbestand eines gegen die Baronin Willingen begangenen Giftmordes vorliege, konnte angenommen werden, stand zur moralischen Gewißheit fest; aber juristisch war auch das nicht einmal bewiesen.

Und wer der Mörder sei?

Ein Verdacht war vorhanden gegen den Baron Emmerich von Willingen, den Mann des abenteuernden, ausschweifenden, verbrecherischen Lebens, des wilden leidenschaftlichen Charakters, dem für die Erreichung seiner Ziele die Ermordete im Wege stand. Aber es war auch nur ein Verdacht da, und mußte dieser nicht wieder abgeschwächt werden durch den Gedanken, daß gerade der leidenschaftliche, gewaltthätige Mann am Ende wenig um die Einwilligung oder Nichteinwilligung der Mutter sich gekümmert haben würde?

War er der Mörder, so lag es zugleich nahe, auf das Fräulein Haller den Verdacht zu werfen, daß sie Theilnehmerin seines Verbrechens war, als Anstifterin oder Gehülfin bei der Ausführung, aber mindestens als Mitwisserin. Dem stand aber einerseits wieder der Charakter dieser Dame entgegen, wie er von den Schloßbewohnern aufgefaßt war, und wie er auch mir in der Untersuchung sich dargestellt hatte. Ich hatte keine Schuld an ihr finden können, die Schloßbewohner hatten sie eines Mordes nicht für fähig gehalten.

War sie eine so vollendete Heuchlerin, daß sie im Stande gewesen sei, uns alle zu täuschen? Es widersprach aller menschlichen Erfahrung. Anderseits war ja aus mancherlei Andeutungen zu entnehmen, daß die Baronin dem Fräulein wohlwollte, daß sie vielleicht gar in der Verbindung der mit so vielseitigen guten Eigenschaften ausgestatteten jungen Dame mit ihrem Sohne für diesen eine Quelle seines Glücks sah. Freilich war gegen dies Alles wieder zu erwägen, daß der Baron ein unberechenbarer, verwahrloster und verdorbener Mensch war, oder über das Fräulein eine ebenso räthselhafte wie unbeschränkte Gewalt besaß.

Der Herr van Roelof noch! Er war schon einmal plötzlich erschienen und wieder verschwunden unter den verdächtigsten Umständen, in einer Zeit, als von seinem Angriff auf das Leben der Baronin die Rede gewesen war, und er war unter nicht minder verdächtigen Umständen wieder da, als der zweite Angriff gelang.

Konnte man den Gedanken zurückweisen, daß der Baron Emmerich den Gefährten seiner früheren Ausschweifungen und Verbrechen auch zu seinem Werkzeuge bei dem Muttermorde nach Schloß Hohenburg gerufen habe? Freilich hatte die Baronin selbst jenen ersten Angriff lediglich als einen Unfall dargestellt, aber wer kannte das Verhältniß zwischen Mutter und Sohn?

Anderseits mußte die heimliche Begegnung des Fräulein Haller mit dem zweifelhaften Menschen, von der ich selbst Augenzeuge geworden war, zu seinen Gunsten sprechen, sofern man von einer Schuldlosigkeit des Fräuleins ausgehen mußte. Sah das Fräulein ihn, so mußte nothwendig ihr erster Gedanke sein, er sei von dem Baron als der Mörder gedungen.

Hätte diese schuldlose Dame dem Morddinger ihre Hand reichen können? War aber das Fräulein die Mitschuldige, dann hörte freilich jede weitere Combination auf, man hatte nur Phantasiegebilde ohne jeglichen Beweis.

Madame Bernard endlich? Auch gegen sie lagen Verdachtsmomente vor. Sie hatte wahrscheinlich, sogar sehr wahrscheinlich zu dem Baron Willingen in unlauteren, das Licht scheuenden Beziehungen gestanden, schon lange vorher, ehe er sie zu dem Fräulein Haller brachte. Er hatte sie vielleicht zu dieser bringen müssen, auf eigenes Verlangen der Person, gegen die er Verbindlichkeiten, oder die gegen ihn Geheimnisse in Händen hatte, durchs die sie ihn in der einen oder anderen Weise vernichten konnte.

Auf der Hohenburg wollte sie alte Rechte wieder geltend machen, dabei standen ihr zwei Personen im Wege. Die eine war die Baronin, von der unter keinen Umständen zu erwarten war, daß sie die Einwilligung zu der Verbindung ihres Sohnes mit einer Madame Bernard, mochte diese ihm früher gewesen sein, was sie wollte, jemals geben werde. Das Fräulein Haller, die andere. Sie hatte die Liebe des Barons gewonnen, dieser war von einer heftigen Leidenschaft für sie ergriffen, es war kein Zweifel, daß die Französin eifersüchtig auf sie war. Sie mußte beseitigt werden. Nicht durch einen Angriff auf ihr Leben. Ein gewaltsamer Tod des Fräuleins wäre zuerst ihr, der Nebenbuhlerin, deren Eifersucht im Schlosse nicht unbemerkt geblieben sein konnte, zugeschrieben worden, von den Hausgenossen sowohl als zumal in erster Linie von dem Baron selbst, der alsdann nothwendig für alle Zeit mit ihr brechen mußte.

Die Baronin dagegen mußte aus der Welt geschafft werden, in einer Weise, daß der Verdacht auf den Baron oder das Fräulein, oder noch besser auf Beide fiel: jede Verbindung der Beiden war dann unmöglich! Ein Muttermord hat die Beiden verbunden! Er hat seine Mutter ermordet, um sich mit ihr verbinden zu können! Er hat die Mörderin seiner Mutter geheirathet! Das wären die Urtheile der Welt gewesen, und die eifersüchtige Französin feierte Triumphe ihrer Rache. –

Auch das Alles waren zuletzt nur Combinationen ohne jeglichen festen Boden. Aber wo war hier ein fester Boden für richtige, sichere Schlußfolgerungen zu gewinnen?

Die weitere Untersuchung mußte eingestellt werden, bis neue Verdachtsgründe, bessere Beweise sich ergeben würden. Nicht das Fräulein Haller, nicht die Französin konnte bis dahin verhaftet, nicht der Baron und nicht der Herr van Roelof konnten mit Steckbrief verfolgt werden. Ich mußte mich darauf beschränken, dem Bürgermeister ebenso genaue, wie möglichst wenig auffällige Recherchen in der Hohenburg anzuempfehlen und den Kreislandrath um sorgfältige Ueberwachung der Gegend zu ersuchen.

 

Nach drei Wochen meldete mir der Bürgermeister, das Fräulein Haller habe das Schloß Hohenburg verlassen, ohne daß man wisse, was sie zu der Abreise veranlaßt, oder wohin sie sich begeben habe; die Französin sei noch da. Acht Tage später war auch die Französin abgereist, sie mit einer gewissen Ostentation. Sie hatte am Tage vorher erklärt, das Leben sei ihr auf dem einsamen Schlosse zu langweilig; ihre Bestimmung sei, in der großen Welt zu leben. Im Uebrigen war über ihre Lippen kein Wort gekommen, das irgend Jemand hatte verdächtigen können oder sollen. Vor ihrer Abreise hatte sie von dem Rentmeister ihre bis dahin fällige »Gage« sich auf Heller und Pfennig auszahlen lassen.

Das Fräulein hatte kein Geld gefordert oder genommen; sie war wie eine vornehme Frau abgereist, hatte reichliche Trinkgelder für die Domestiken zurückgelassen. Sie hatte auch nicht ohne tiefe Bewegung von dem Schlosse scheiden können, und wie ihre Thränen flossen, so hatten auch Manchem, von denen sie Abschied nahm, Thränen in den Augen gestanden.

Madame Bernard war geschieden mit einem: »Pah, dieses Leben hier!«

 

Darauf waren ein paar Monate verflossen, als ein neuer Eigenthümer auf Hohenburg sich einfand. Es war ein reicher kurländischer Edelmann, einer bekannten, geachteten Familie angehörend. Er selbst machte den Eindruck eines vornehmen, ehrenhaften Mannes. Er hatte die Willingen'schen Güter für eine bedeutende Summe von dem Baron Emmerich Willingen angekauft. Das Kaufgeld war sofort bezahlt. Die verkauften Güter waren zwar Fideicommiß; aber dem Baron Emmerich lebten keine Agnaten, er war der Letzte seines Stammes; er konnte mithin sein Eigenthum frei veräußern. Der Ankäufer legitimirte sich durch Documente, die in Madrid abgeschlossen waren und unter Beglaubigung unserer Gesandtschaft der Form und dem Inhalte nach allen Anforderungen der Gesetze entsprachen.

Ueber den Baron Emmerich konnte der Ankäufer keine Auskunft ertheilen, die für die Untersuchung von Interesse gewesen wäre. Er hatte einmal in einer Gesellschaft geäußert, daß er in Deutschland sich anzukaufen wünsche. Ein paar Tage nachher sei ein Agent zu ihm gekommen, der ihm die Willingen'schen; Güter angeboten habe. Durch den, mit den erforderlichen Vollmachten versehenen Agenten war dann auch der definitive Contract abgeschlossen. Der Kurländer hatte den Verkäufer nicht einmal gesehen, von seinem Leben in Madrid wußte er gar nichts.

Ich schrieb an den Gesandten in Madrid. Er konnte mir nur mittheilen, daß der Baron Willingen sich einige Wochen als Tourist in der spanischen Hauptstadt aufgehalten und ein stilles Gasthofleben geführt habe. Ob er verheirathet gewesen, Gesellschaft mit sich gehabt habe, hatte der Gesandte ebenso wenig erfahren können, als, wohin der Baron sich begeben habe.

Lagen in den neuen Ermittelungen neue Verdachtsgründe? Auf keinen Fall so viele, als zu einen voraussichtlich erfolglosen Wiederaufnahme der Untersuchung erforderlich gewesen wären.

Ich wurde nach wenigen Jahren in eine andere entfernte Provinz des preußischen Staats versetzt und hörte von dem Baron Willingen und der Hohenburg nichts mehr.



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