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Die Mönche von Czenstochau.


Nahe der preußisch-schlesischen Grenze, nur siebzehn Werst, etwa achtzehn Kilometer, von dieser entfernt, liegt im russisch-polnischen Gouvernement Petrikau, an der Hauptstrecke der Warschau-Wiener Bahn die Kreisstadt Czenstochau (russisch: Tschenstochow). Auf der einen Seite vom Wartheflusse begrenzt, auf der anderen vom Klarenberge (russisch: Jasna Góra) gekrönt, bildet sie nicht nur als Eisenbahnknotenpunkt, sondern auch als Sitz einer ansehnlichen Industrie, insbesondere mehrerer großer Fabriken und Spinnereien, einen wichtigen Handelsplatz. Außerdem spielt sie aber schon seit Jahrhunderten die Rolle der heiligsten polnischen Kulturstätte und des berühmtesten Wallfahrtsortes der Katholiken ganz Rußlands. Sie wird im Durchschnitte von über zweihunderttausend Pilgern jährlich besucht, die auch aus Schlesien, Posen, Westpreußen und Galizien kommen. Ihr Zielpunkt ist das Kloster vom heiligen Paul, des Eremiten, das auf dem Klarenberge thront und das wundertätige Marienbild, genannt »Die schwarze Madonna«, enthält. Das »Eremitenkloster«, wie es kurz bezeichnet wird, wurde von dem Polenkönige Wladislaw Jagello im Jahre 1382 gegründet, der sodann das auf den Apostel Lukas, den Schutzpatron der Maler, zurückgeführte und aus byzantinischer Zeit stammende schwarzbraune, auf Zypressenholz gemalte, unscheinbare Muttergottesbild aus Belcz in Galizien dorthin schaffen ließ. Im Verlaufe der Zeit statteten die Polenkönige und andere Gläubige das Bild in so verschwenderischer Weise mit Diamanten, Gold, Silber und Edelsteinen aus, daß man den Wert der Juwelen im Kronenschmuck der heiligen Maria allein auf achtzehn Millionen Mark schätzte. Aber auch das Kloster selbst wurde derart mit Schätzen aus aller Herren Länder beladen, daß man es zu befestigen beschloß. Hierzu gaben die Hussiten den Anstoß, die es im Jahre 1430 plünderten. Im Jahre 1500 begann man mit den Arbeiten. Die Wälle waren so fest, daß sich König Johann Kasimir in den Jahren 1655 und 1657 erfolgreich hinter ihnen verbergen konnte, und daß sich die Schweden 1704 vergeblich bemühten, das Kloster einzunehmen. Erst 1772 erlag es den Russen und hieraus 1793 den Preußen. Die Befestigungen wurden dann 1813 geschleift.

Alle jene Kostbarkeiten sind dem Mönchsorden der Minimen oder Paulaner, auch Pauliner, anvertraut, die nicht allein infolge dieses verantwortungsvollen Amtes, sondern auch, weil das Kloster auf dem Jasna Góra das einzige römisch-katholische in Rußland ist, seit altersher vom Volke wie Heilige verehrt werden.

Die Ordensregeln der Mönche vom Klarenberge sind denn auch besonders streng, und die frommen Gläubigen wußten die Schätze des Klosters in bester Hut. Es wirkte daher wie ein Blitz aus heiterem Himmel, als sich im Sommer des Jahres 1909 die Nachricht verbreitete, daß in der Gnadenkirche ein großer Raub geschehen sei. Es hieß, die brillantenbesetzten Kronen des Muttergottesbildes seien gestohlen und durch unechte ersetzt worden. Dies konnte sich die Bevölkerung nicht anders als durch die Vermutung erklären, daß die russische Regierung die Diebstähle veranlaßt habe, um das Aufsichtsrecht über den ungeheuren Klosterbesitz an sich zu reißen. Sollen doch noch heutigen Tages einzelne reiche Pilger Spenden bis zu hunderttausend Rubel in den Opferstock werfen. Die Paulanerbrüder nährten diesen Verdacht durch die wiederholte Bekanntgabe von begangenen Sakrilegien, sowie durch die öffentlich ausgesprochene Behauptung, daß es der Regierung seit längerer Zeit um die Einführung einer verschärften Kontrolle des gesamten polnischen Klosterwesens zu tun sei. Infolge der Weiterverbreitung dieser Ausstreuungen entwickelte sich mancher Prozeß, der mit empfindlichen administrativen Strafen für die Angeklagten endete. Die Brüder aber wurden nicht zur Verantwortung gezogen, was einige Publizisten zu der Annahme drängte, daß die Mönche mit der politischen Geheimpolizei (»Ochrana«) im Bunde seien. Die Mehrzahl hielt aber daran fest, daß die Diebstähle fingiert und die Brillanten bloß entführt und nicht endgiltig verschwunden wären.

Um so peinlichere Überraschung rief es in ganz Polen hervor, als eines Tages in einem Städtchen nahe der österreichischen Grenze, in Proschowitz, ein seidenes Beutelchen, wie es die Damen zu tragen pflegen, gefunden wurde, das einen Teil, allerdings nur einen sehr kleinen, des geraubten Diamantenschmuckes enthielt. Wollten die politischen Feinde auf diese Weise die Kostbarkeiten rückerstatten, oder handelte es sich wirklich um gemeine Diebe, die das Heiligste des Volkes zur Beute gemacht?

Man verlangte die strengste Untersuchung. Die Verlustträgerin der Pretiosen (welch' letztere aus Perlen und sonstigen Juwelen bestanden und teils vom Gnadenbilde, teils aus der Schatzkammer stammten) müsse gefunden werden. Während die russische Polizei ernstlich bemüht war, die gewonnenen Anhaltspunkte genauestens zu prüfen, verbreitete sich eine neue Sensationsmeldung, geeignet, alles übrige in Schatten zu stellen.

Im Morgengrauen des 26. Juli 1910 fuhr nämlich der Bauer Marcin Cudak aus dem Dorfe Gidle nach dem Dorfe Zawady, Kreis Nowo-Radomsk. Er lehnte schlaftrunken auf seinem Wagen und blickte gelangweilt in die eintönige Gegend hinaus. Als er an einer Ausbuchtung des Wartheflusses, einem mit Wasser gefüllten Graben, vorbeikam, bemerkte er an einer Stelle, deren Tiefe später mit vier, und deren Breite mit drei Arschinen 1 Arschin – 0,71 m. gemessen wurde, einen mit Schnüren umwickelten schwimmenden Gegenstand. Er hielt denselben für einen hölzernen Kasten, war aber zu faul abzusteigen und ließ die Pferde weitertrotten. Gegen sieben Uhr morgens gewahrte dann der Bauer Jan Dombrowski, der sich in umgekehrter Richtung von Zawady nach Gidle begab, gleichfalls den Kasten. Auch er schaute im Gehen hin, setzte jedoch, wie Cudak, seinen Weg gleichgültig fort. Erst als er nach einiger Zeit den Rückweg eingeschlagen hatte, interessierte er sich für den Kasten näher. Er sah nämlich, daß ihn mittlerweile jemand aus dem Wasser gezogen hatte. Nun trat er hinzu. Ein Teil der Schnüre war losgebunden, und auf dem Wege lag ein rotes Kissen und eine Matratze. Der Gegenstand entpuppte sich als ein kleines, altes Sofa. Der Fund schien für Dombrowski keinen Wert zu haben. Er ging daher wieder auf die Straße zurück und schlug die Richtung nach Zawady ein. Dort langte er an, ohne etwas über den Vorfall zu erzählen.

Einige andere Bauern, die um elf Uhr vormittags durch das Dorf Zawady fuhren und die Couchette ebenfalls gesehen hatten, riefen dagegen den Kuhhirten Stanislaw Juraszek herbei und schickten ihn in die Verwaltungskanzlei der Gemeinde Konary, damit er dort von dem am Ufer liegenden Möbelstück Meldung erstatte. Juraszek tat, wie ihm geheißen, worauf sich um die Mittagsstunde der Gemeindeschreiber Kasimir Kondracki in Begleitung des ältesten Schutzmannes Jan Bajrasz auf den Weg zur Fundstelle machte. Auf ihren Befehl wurde das Sofa vollends aus dem Wasser gezogen und dessen Schnüre gelöst.

Da prallten die Männer entsetzt zurück: Unter mehreren Binsenmatten lag die in blutbefleckte Unterwäsche gekleidete Leiche eines Mannes von mittlerer Statur, etwa dreißig Jahre alt, mit ruhigen Gesichtszügen und halbgeöffneten Augen, rotem Kopfhaar, langen Ohren, kleinem Kinn und ziemlich vollem Backenbart. Hände und Füße waren gebunden, der Schädel verletzt.

Man schickte nach einem Arzte, der die Erklärung abgab, daß der Tote mit einem stumpfen Gegenstände, am ehesten mit einer Axt, erschlagen worden sei. Von den zahlreichen Wunden wären zwei absolut tödlich gewesen. Der Tod müsse vor ganz kurzer Zeit erfolgt sein. Nun wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Verbrechen aufzuklären. Zunächst wollte jedoch nicht einmal die Identifizierung des Leichnams gelingen. Niemand kannte den Ermordeten. Später hielt man ihn für einen Beamten oder Grafen aus dem Gouvernement Kielce. Schließlich fanden sich aber Zeugen, die in demselben einen Bürger von Kielce, namens Warvolomej Wójcikowski, erkannten, der wegen eines Realitätenkaufes nach Nowo-Radomsk gekommen sei und mit dem Faktor Fiszlewicz verhandelt habe. Die Polizei stellte fest, daß Wojcikowski am 8. Juli tatsächlich in der genannten Stadt eingetroffen und im »Hotel Polski« abgestiegen war, und daß er dort die Bekanntschaft des Lewek Fiszlewicz machte. Er bat den letzteren, ihm ein zum Ankaufe geeignetes Gut ausfindig zu machen, weshalb ihn Fiszlewicz mit dem Gutsbesitzer Josef Wilkonski aus dem Kreise Nowo-Radomsk bekannt machte. Wilkonski erklärte sich bereit, seinen Besitz für 57 000 Rubel zu verkaufen. Wójcikowski besichtigte das Gut und verließ am 11. Juli Nowo-Radomsk mit dem Versprechen, am 13. Juli das Geld zu bringen. Er erschien aber weder an diesem, noch an einem anderen Tage mehr bei Wilkonski und war spurlos verschwunden.

Um nun der Straßenräuber habhaft zu werden, die den Wójcikowski allem Anscheine nach überfallen und ermordet hatten, zog die Polizei über die Decke, in die der Leichnam gewickelt war, Erkundigungen ein. Dieselbe wies einen Eilgutszettel mit folgenden Zeichen auf: »IO. 3. -25-7744-NO. 34«. Das Zeichen »IO« bedeutet »Südwestbahn«; »25« die Nummer der Station, von der die Ware abgesandt worden war; »7744« die Nummer der Reihenfolge des Transportes, während »NO. 34« die Eilgutnummer darstellte. Die weiteren Recherchen, die sich bis anfangs Oktober hinzogen, ergaben, daß die betreffende Sendung auf der Station Kremenetz nach Czenstochau aufgegeben worden war. Auch der Absender wurde in der Person eines gewissen Borenstein ermittelt. Als Empfänger wurde ein Szama Potok festgestellt, der ständiger Einwohner von Czenstochau war und sich mit dem Korbhandel beschäftigte. Potok wurde vernommen und sagte aus, daß vor einiger Zeit, wann, wisse er nicht mehr genau, ein Unbekannter bei ihm erschienen sei und einen großen Korb verlangt habe. Er, Potok, habe den Fremden in seinen Keller geführt, um ihm dort die aufgestapelten Waren zu zeigen. Der Kunde erstand hierauf einen großen Korb, sowie drei danebenliegende Binsenmatten. Da nun der Korb einen Fehler besaß, machte Potok den Mann auf diesen mit dem Beifügen aufmerksam, daß er zur Zurücknahme bereit sei, wenn er (um Verwechslungen vorzubeugen) den Namen desjenigen erfahre, für den der Korb bestimmt sei. Der Käufer erwiderte hierauf, daß man den Korb im Kloster auf dem Jasna Góra benötige.

Die Behörden richteten nun ihr Augenmerk auf den Jasna Góra, und dies um so mehr, als Bauern eruiert worden waren, die erzählten, sie hätten am 25. Juni zwei Droschken aus Czenstochau nach dem Dorfe Rudniki fahren sehen, in deren einer ein Geistlicher gesessen habe. Noch mehr: in der zweiten Droschke hätte ein in Binsenmatten verpackter Kasten gelegen. Die beiden Wagen hielten vor einem Gasthause, worauf – es sei damals schon dunkel gewesen – ein Insasse ausstieg, das Wirtshaus betrat und vier Flaschen Kwaß (russisches Nationalgetränk) kaufte. Dann fuhren die Droschken weiter. Die Polizisten fragten nach der Person der Kutscher, doch vermochten die Zeugen bloß zu sagen, daß die Pferde braun gewesen seien.

Man stellte sogleich Recherchen auf den Standplätzen an und ermittelte als Eigentümer der Tiere den Droschkenkutscher Nr. 31. Dieser wurde einem strengen Verhöre unterzogen und gestand folgendes: – Er – Stanislaw Pawlak – habe an einem Juniabende auf dem Klosterplatze mit seinem Wagen gehalten, als er aus dem Klosterhofe den Droschkenkutscher Wincenty Pianko fahren sah. Auf dessen Wagen lag eine Kiste. Bald darauf erschien im Torwege der Paulinermönch Damazy Macoch mit seinem Diener Stanislaw Zalóg. Beide bestiegen das Gefährte Piankos und riefen ihm (Pawlak) zu, er möge nachfahren. So gelangten sie nach Rudniki, Pianko immer als erster. Pawlak sei sodann bezahlt und entlassen worden.

Der Kutscher Pianko gab an, daß er auf der weiteren Fahrt in der Nähe des Dorfes Gidle seine beiden Fahrgäste, die sich duzten, an dem Gepäckstücke hantieren sah. Macoch und dessen Diener holten den Kasten herab und warfen ihn plötzlich in den Teich. Der Zeuge sei darüber sehr erschrocken und habe ausgerufen: »Was soll denn das bedeuten?!« worauf Macoch kategorisch antwortete: »Das geht dich gar nichts an!« Als sie sich dann einem Walde hinter dem Dorfe Zawady näherten, begann der Mönch den Kutscher auszufragen, ob er Gott, die Muttergottes und Jesus Christus liebe? Auf die bejahende Antwort Piankos habe Macoch demselben die Hände zu falten befohlen. Dann sagte er feierlich: »Schwöre Gott, dem Vater, der Muttergottes und allen Heiligen, daß du, falls dich etwa die Polizei verhaften sollte, unter keiner Bedingung etwas verrätst, was hier geschehen ist, auch dann nicht, wenn man dich ins Gefängnis stecken würde, sonst bist du des Todes!« Pianko wiederholte, an allen Gliedern zitternd, den Eid.

Nun wußte die Polizei genug, um gegen den arg verdächtigen Paulanermönch energisch vorzugehen. Eine politische Kommission begab sich auf den Klarenberg, woselbst sie die Auskunft erhielt, Pater Macoch habe eine Urlaubsreise mit unbekanntem Ziele angetreten. Die Sicherheitsorgane verlangten nun, in die Zelle des Abwesenden geführt zu werden. Diese trug die Nummer 38. Bei der hierauf folgenden Durchsuchung fand man ein paar schwarze Herrenhosen, von denen der vordere Teil herausgeschnitten war, zerschnittene Stücke von Unterhosen und einen verdächtigen Fetzen von einem anderen Hosenpaare.

Auch den Diener Zalóg traf man nicht an: er hatte hinterlassen, daß er nach Amerika ausgewandert sei.

Das herbeigeschaffte Sofa wurde vom Pater Wincenty Olszewicz, dem Klosterprokureur Josef Trubicki, dem Klosterwirte und dem Klosterdiener Alexander Tolczylowski mit Bestimmtheit als Eigentum der Paulanermönche erkannt. Die Kissen stammten aus der Zelle des Pater Macoch.

Endlich wurde auch der Tote am 4. Oktober nach der Photographie als zweifellos identisch mit dem Vetter des Paters festgestellt. Er hieß also nicht Wojcikowski, sondern Waclaw (Wenzel) Macoch. Die erste Identitätsfeststellung war falsch.

Die Polizei trachtete nunmehr des Paters, den sie als einen Verwandtenmörder entlarvt hatte, habhaft zu werden.

Geheimagenten ermittelten, daß der Flüchtige bemüht war, die Spuren seiner Bluttat zu verwischen. Nach der im Kloster geschehenen Ermordung seines Vetters eilte er nämlich zu dem Klostermaler Piotr Kleć und bat diesen, er möge ihm Farbe und Pinsel nach der Zelle schicken. Kleć sandte den Gesellen Josef Malinowski mit dem Gewünschten zu Macoch, der die beiden Gegenstände sofort an sich nahm und mittels derselben die blutbefleckten Stellen im ersten Zimmer überstrich. Zalóg wusch sodann den Fußboden, den Macoch überdies frisch streichen ließ.

Man stellte ferner fest, daß Macoch am 2. Oktober zu der Familie Zajonczkowski nach Szreniawa gekommen und drei Tage zu Besuch geweilt habe. Frau Zajonczkowski war die Schwester seiner Schwägerin Helene Macoch. Vor seiner Abreise fragte er den Herrn des Hauses, ob es wohl möglich sei, mit einer in Czenstochau ausgestellten Legitimationskarte die Grenze im Gouvernement Kielce zu überschreiten. Herr Michal Zajonczkowski glaubte dies bezweifeln zu müssen, worauf Macoch die Absicht äußerte, von Czenstochau aus über die Grenze zu fahren.

Von Proszowica aus (in Proschowitz war bekanntlich das Beutelchen mit den gestohlenen Pretiosen gefunden worden) sandte Macoch um 12 Uhr 20 Minuten an den Pater Isidor Starczewski in Czenstochau ein Telegramm des Wortlautes: »Sei morgen neun Uhr früh auf dem Bahnhofe Dyzio.« Kaum hatte der Polizeimeister von Czenstochau Konstanty Czesnakow von dieser Depesche erfahren, als er sich um vier Uhr nachmittags ins Kloster begab. Unterwegs traf er den Empfänger des Telegramms, der eben zur Stadt fuhr. Czesnakow fragte ihn, wo sich der gesuchte Pater aufhalte. Starczewski antwortete, daß er diese Frage leider nicht beantworten könne. Auf den Einwand des Polizeimeisters, daß Macoch ja heute an das Kloster telegraphiert habe, entgegnete der Pater lächelnd: »Ach, Sie meinen das Telegramm, das ich erhielt? O, es ist ja nicht von Damazy Macoch, sondern von meinem gleichnamigen Bruder, der in Kolo bei der Kreiskasse als Buchhalter angestellt ist.«

Czesnakow tat so, als ob er den Worten Starczewskis Glauben schenkte, ließ aber den Bahnhof zur angegebenen Zeit überwachen. Macoch kam nicht. Dagegen wurde ermittelt, daß der Flüchtling am 6. Oktober in der Station Lazy eintraf, um dort einen bekannten Apotheker, namens Antoni Krawczynski, zu besuchen. Er blieb nur zwanzig Minuten, wobei er erzählte, daß er den Probst in Nieganowice besuchen wolle, den er um einen ärztlichen Rat bitten müsse. Krawczynski sah, daß der Mönch zittere; und lud ihn zu einem Glase Tee ein. Damazy lehnte jedoch ab und bat den Apotheker, ihn nach Nieganowice zu begleiten, was dieser zusagte. Beide machten sich zu Fuße auf den Weg. Macoch trug einen kleinen Koffer. Unterwegs fragte er seinen Begleiter, wie weit es nach Olkusz sei, wann der Zug in Lazy eintreffe und welche Zeitungen man dort bekommen könne. Krawczynski ging nur bis zum Dorfe Mlynek mit dem Mönche, wo er sich verabschiedete. Zu seinem Erstaunen las er um zwei Uhr nachmittags in einer Zeitung, daß der Ermordete von Zawady der Vetter des Pater Macoch sei, und daß Damazy als der Mörder verfolgt werde. Der Apotheker erschrak heftig und eilte auf die Polizei in Lazy, um sein Erlebnis zu melden.

In Nieganowice angekommen, verfügte sich Macoch um neun Uhr morgens zum Probste Pawel Czapla, den er bat, einen Wagen für ihn zu mieten. Er sei krank und müsse einen Arzt in Olkusz aufsuchen. Der Mönch trug hier das Gewand eines Weltgeistlichen und eine Brille. Während des Gesprächs der beiden Geistlichen fuhr ein Bauer vor und ersuchte den Probst, rasch nach dem Dorfe Blendow zu kommen, da ein Kranker nach der letzten Ölung verlange. Macoch machte nun dem Probste den Vorschlag, er wolle ihn vertreten, da das Dorf auf dem Wege nach Olkusz liege. Der andere war es zufrieden, und so bestieg an Stelle des Probstes der Mörder den Wagen des Bauers und begab sich zu dem Sterbenden. In Olkusz traf er um ein Uhr nachmittags ein. Er nahm einen Wagen und fuhr in das Restaurant des Boleslaw Piechocki, wo er halten ließ und den Kutscher, namens Urmann, um eine Flasche Schnaps schickte. Im Restaurant befanden sich gerade viele Gäste, welche die Meldung des »Kurjer Zaglembia« und der Sosnowicer »Iskra« lebhaft besprachen, daß die beim Dorfe Zawady gefundene Leiche mit einem französischen Detektiv identisch sein solle, der die Spur der Klosterräuber verfolgen wollte und im Kloster ermordet worden sei. An den Gesprächen beteiligte sich der Gastwirt Piechocki, der Sekretär des Olkuszer Kreisamtes Jan Basanik und die Büfettdame Walerja Majcher, welch' letztere lebhaft für Macoch Partei ergriff. Sie habe ihm oft gebeichtet, kenne ihn sehr genau und halte ihn für einen frommen, gottesfürchtigen Mann. Da fuhr eben der Wagen des Macoch vor. Die Büfettdame erschrak und rief aus: »Matko Boska, das ist ja der Geistliche Macoch, von dem hier geschrieben wird!« Man beriet, ob man die Polizei verständigen solle, doch war der Wirt dagegen, weshalb der Schritt auch unterblieb. In diesem Momente betrat der Fuhrmann das Lokal, um den Schnaps zu verlangen. Da er ihn nicht erhielt, kaufte er das Gewünschte im nächsten Monopolladen und übergab die Flasche dem Mönche. Dann entfernte sich das Gefährt in der Richtung gegen die österreichische Grenze.

Banasik setzte den Olkuszer Kreischef Michal Labudzinski von dem Vorgefallenen in Kenntnis, woraus die Verfolgung Macochs aufgenommen wurde. Sie verlief jedoch erfolglos, da der Mönch unvermutet den Weg geändert hatte, nach dem Dorfe Zarada gefahren war und sich dort für ein Trinkgeld von zehn Rubel durch einen gewissen Roman Wadas über die Grenze schmuggeln ließ. Er traf mit einigen Bauern aus Zarada im Dorfe Ploky zusammen und bewirtete sie in einem Restaurant mit Wein. Er selbst aß und trank aber nichts, sondern betete unausgesetzt. Auch der Fuhrmann war des Lobes über Macoch voll, da ihm dieser elf Rubel an Fuhrlohn ausbezahlt hatte.

In Ploky mietete Macoch wieder einen Wagen und fuhr nach Trzebinia, wo er im Hotel der Berta Gelinger abstieg. Am nächsten Tage begab er sich um zehn Uhr nach dem Bahnhofe. Die Olkuszer Polizei hatte damit seine Spur verloren.

Da der Kutscher Urmann jedoch sagte, daß Macoch bereits in Österreich sei, verständigte der Olkuszer Kreischef hiervon den Polizeidirektor von Krakau. Dieser hielt den Bahnhof streng bewacht.

Tatsächlich entstieg Macoch am 7. Oktober einem in Krakau eintreffenden Zuge. Der Polizeikommissär Henryk Jasienski erkannte den Mörder sofort, trat auf ihn zu und fragte ohne Umschweife, ob er Damazy Macoch heiße und den Mord im Kloster zu Czenstochau verübt habe. Der Flüchtling, ganz fassungslos, gab eine bejahende Antwort, worauf ihn der Kommissär für verhaftet erklärte. Im Inspektionszimmer wurde der Mönch einer Leibesvisitation unterzogen, bei der man außer den Legitimationspapieren gegen vierhundert Rubel Bargeld, sowie zwei Pässe für Helene Macoch fand. Einer der Pässe war ein sogenannter »Gouverneurpaß«, nämlich ein zu Reisen für das Ausland berechtigender Paß. Auf die Frage des Kommissärs, warum er nach Krakau gereist sei, erwiderte Macoch: »Ich wollte mir hier bloß einen Anzug kaufen, in dem ich mich beim Warschauer Gericht selbst gestellt hätte.«

Dann ging es zur K. K. Polizeidirektion, wo Damazy folgendes protokollarische Geständnis ab legte: »Am 22. Juli traf mein Vetter Waclaw Macoch, der in Granica als Postbeamter diente, in Czenstochau ein, um sich bei seinen Kollegen zu erkundigen, ob seine Gage noch nicht eingetroffen sei. Er befand sich nämlich auf Urlaub und wohnte bei mir, in meiner Zelle. Am dritten Tage seines Besuchs, um zehn Uhr abends, machte mir Waclaw darüber Vorwürfe, daß ich ihm trotz meiner guten Beziehungen noch keinen Posten als Beamten dritter Klasse in Warschau verschafft hätte. Ich erwiderte, daß mir dies wegen der Senatorenrevision und der zahlreichen Verhaftungen unmöglich gewesen sei. Waclaw geriet daraufhin in immer größere Aufregung, worauf ich ihn einen Grünschnabel nannte. Waclaw versetzte mir nun eine Ohrfeige und wollte die Zelle verlassen, doch ich, meiner Sinne nicht mächtig, ergriff ein Beil und gab ihm einen Schlag auf den Kopf. Er stürzte zu Boden, worauf ich ihm noch zwei Schläge versetzte. Da ich aber sah, daß Waclaw noch lebe, erteilte ich ihm die Absolution und – erwürgte ihn. Was ich dann getan habe, kann ich nicht sagen. Ich war ganz verzweifelt, wollte mich erschießen, allein eine innere Stimme warnte mich stets davor. Die ganze Nacht saß ich bei der Leiche und weinte. Erst gegen morgen faßte ich mich und dachte nach, was ich tun solle: die Tat der Polizei oder dem Prior melden? ... Ich entschloß mich zu keinem von beiden, sondern wickelte den Leichnam in ein Laken und verwischte die Blutspuren auf dem Fußboden und an den Wänden. Dann rief ich meinen Diener Zalóg und sagte ihm, daß Waclaw sich erschießen wollte. Da er jedoch mit dem Tode rang, hätte ich ihm mit dem Beile den Garaus gemacht. Zalóg riet mir, dies nicht der Polizei zu melden, sondern den Leichnam im geheimen fortzuschaffen. Dann schleppte er mit Hilfe des Klosterpförtners Blaszikiewicz ein Sofa herbei, in das sie die Leiche legten. Um ein Uhr abends fuhren wir damit nach Rudniki. Dort lohnten wir den einen Fuhrmann ab, setzten uns auf das Sofa und ließen uns nach dem Dorfe Gidle bringen. Unterwegs warfen wir das Sofa in einen mit Wasser gefüllten Graben. Da das Sofa aber aus Holz war, ging es nicht unter und wurde bald gefunden. Ich fuhr sodann mit Zalóg nach Nowo-Radomsk und von hier nach Warschau, wo ich meine Schwägerin Helene aufsuchte. Sie erkundigte sich nach ihrem Manne, worauf ich erwiderte, daß ich mich mit ihm in Czenstochau entzweit habe, und daß Waclaw infolgedessen ins Ausland, vielleicht sogar nach Amerika gereist sei. Helene brach in Tränen aus und äußerte den Wunsch, nach Czenstochau zu fahren, um dort ihren Mann zu suchen. Ich vermochte ihr dies nicht auszureden, so brachte ich sie denn zwei Tage darauf nach Czenstochau, wo sie in meiner Zelle wohnte. Nach drei Tagen reiste Helene zu ihrem Vater nach Lodz, da sie ihren Gatten nicht gefunden hatte.«

Diese Angaben waren geeignet, die Krakauer Polizeibehörde in einem Verdachte zu bestärken, der sich schon früher leise aufgedrängt hatte, nämlich in der Vermutung, daß Pater Macoch mit den Diebstählen im Kloster auf dem Jasna Góra in Zusammenhang zu bringen sei. Seine Beziehungen zur Gattin des von ihm erschlagenen leiblichen Bruders waren höchst auffällig. Er war laut eigenen Geständnisses unmittelbar nach der Tat zu ihr gereist und hatte sie sogar mehrere Tage in seiner Zelle beherbergt. Man drang daher in den Häftling, der, trotzdem er bestrebt war, seine Schwägerin in das günstigste Licht zu setzen, schließlich einräumte, daß sie seine Freundin sei. Er habe mit ihr schon vor ihrer Verheiratung ein Liebesverhältnis unterhalten und ihr, um ungestörter verkehren zu können, einen gefälschten Taufschein ausgestellt, als ob sie die Witwe eines seiner anderen, längst verstorbenen Brüder wäre. Helene, die zum Scheine als Telephonbeamtin in Lodz tätig gewesen sei, hätte an seiner Seite ein luxuriöses Leben geführt, und er gestehe auch, sie noch heute über alles zu lieben.

Vom Kommissär befragt, woher er denn die hierfür nötigen Geldmittel genommen habe, da der Paulanerorden doch ein Bettelorden wäre, dessen Mitglieder kein Privatvermögen besitzen dürften, gab Macoch nach langen Verhören endlich an, daß er die frommen Gaben der Pilger für sich verwendet habe. Diese hätten nicht kleine Summen, sondern zehn, hundert, ja manchmal sogar tausend Rubel gespendet. So wären aber auch andere Brüder vorgegangen. Er selbst habe sich auf die geschilderte Weise während der letzten drei Jahre zehntausend Rubel verschafft. Ferner habe er sich nach dem kürzlich erfolgten Tode eines an den Unterschlagungen beteiligt gewesenen Geistlichen aus dessen Nachlaß fünftausend Rubel angeeignet.

Als Macoch nach beendigtem ersten Verhöre abgeführt wurde, sagte er fortwährend: »Der Teufel hat mich umschlungen! Der Teufel hat mich umgarnt!«

Am nächsten Tage legte der Häftling das Geständnis ab, daß er, sowie die Mönche Pater Basil und Pater Isidor sich nicht nur an den Pilgergaben vergriffen hätten, sondern auch an den Kleinodien der Kapelle. Schließlich hätten sie die Schatzkammer seit Jahren systematisch geplündert, um ihre großen Ausgaben decken zu können. Er, Macoch, sei zu den Diebstählen von Pater Basil (Olesinski) verleitet worden, von dem er aus den eingegangenen Pilgergeldern monatlich dreihundert Rubel empfing. Pater Basil habe ihm das Geld mit den Warten aufgedrängt: »Nimm, Bruder, es gehört ja nicht dem Prior, sondern dem Kloster.«

Nach Abschluß der polizeilichen Verhöre wurde Damazy Macoch dem K. K. Landesgerichte in Krakau eingeliefert, wo er bis zum Abschlusse der Auslieferungsverhandlungen bleiben sollte. Mit einem Gebetbuche in der Hand betrat Macoch daselbst die Zelle, vor derer ein großes Kreuzeszeichen machte. Wiederholt sagte er auch gegenüber dem Untersuchungsrichter Dr. Bossowski: »Der Böse hat mich verblendet.«

Die nach Rußland seitens der österreichischen Polizei gesandten Berichte riefen dort ein ungeheures Aufsehen hervor. Überall machte sich Bestürzung und Entrüstung geltend. Eine vieltausendköpfige Menge strömte auf den Klarenberg und demonstrierte durch laute Rufe. Das Volk verlangte stürmisch die Entfernung des entweihten Gnadenbildes. Das Kloster wurde nunmehr von einem ganzen Regimente Infanterie umstellt und niemandem das Verlassen des Gebäudes erlaubt. Die Polizei drang ein und nahm eine strenge Hausdurchsuchung vor, da man mutmaßte, daß ein Teil der geraubten Juwelen in den Klosterräumlichkeiten verborgen sei. Man beschlagnahmte Stöße von belastenden Briefen, fand auch das Mordinstrument des Paters Macoch und erklärte eine Reihe verdächtiger Klostereinwohner für verhaftet.

Die kirchliche Oberbehörde ordnete hierauf für drei Tage die Abhaltung von stillen Messen an, denen die gesamte Klostergeistlichkeit in liegender Stellung beiwohnen mußte. Die Paulanermönche zeigten tiefste Niedergeschlagenheit. Der Papst, dem die Vorfälle sofort von den Kirchenbehörden nach Rom gemeldet wurden, verhängte telegraphisch über Pater Macoch die excommunicatio major, den großen Kirchenbann. Nach kanonischem Rechte zieht das Anathema nicht nur die Ausschließung von der Gemeinschaft der Sakramente sowie die Unfähigkeit zur Erlangung kirchlicher Ämter nach sich, sondern auch die Ausschließung von jeder kirchlichen Gemeinschaft, vom bürgerlichen Rechte und geselligen Verkehre, ohne jedoch die kirchliche Mitgliedschaft zu entziehen. Bei einer öffentlichen Bekanntmachung dieses großen Kirchenbannes, wie hier, hatten alle Katholiken den Verkehr mit dem Bestraften fortan zu meiden.

Infolge des reichen in den Klosterräumlichkeiten gefundenen Belastungsmateriales wurde die Revision der Zellen, Böden, Bibliothekszimmer, Hauskapellen, der Schatzkammer usw. für mehrere Tage angeordnet, und verblieben die Polizeibeamten, Schutzleute und Geheimagenten unausgesetzt auf dem Jasna Góra. Zu den verhafteten Geistlichen gehörten auch die Mönche Basil Olesinski und Isidor Starczewski. Der letztere gestand nunmehr dem Czenstochauer Polizeimeister ein, daß jenes Telegramm tatsächlich von Macoch stammte, doch wisse er nicht, warum derselbe damals nicht nach Czenstochau gekommen sei.

Die Vernehmung der ganzen Klosterdienerschaft ergab, daß die Mönche auf dem Jasna Góra, obwohl sie alle das Gelübde der ewigen Armut abgelegt hatten, ein üppiges Wohlleben führten, sich Bediente, kostspielige Wagen und zahlreiche Freundinnen hielten, mit denen sie verschiedene Restaurants aufsuchten, um dort Orgien zu feiern. Der Bischof schloß daher sämtliche Mönche von der Teilnahme an der ferneren Klosterverwaltung aus und übertrug die letztere Weltgeistlichen unter der Leitung des Kanonikus Michalski. Zum Zeichen der Trauer wurde gleichzeitig anbefohlen, den Gottesdienst ohne Gesang und Orgelspiel abzuhalten.

Diese Verfügungen wollten den erbitterten Gläubigen aber nicht genügen. Sie ließen von ihrer Forderung nicht ab, daß das Muttergottesbild, die »wundertätige schwarze Madonna«, in eine andere Kirche übertragen werde. Bischof Zdzitowiecki bemühte sich, die Bevölkerung zu beschwichtigen und bat, die Entscheidung des Heiligen Vaters geduldig abzuwarten.

Der Verhaftsbefehl gegen Helene Macoch, geborene Krzyzanowska, erwies sich unter diesen Umständen als unausweichlich. Sie wurde in Szreniawa bei ihrer Schwester festgenommen und nach Czenstochau gebracht, wo sie von einer in Flüche und Verwünschungen ausbrechenden Menge am Bahnhofe erwartet wurde. Helene, die sich in gesegneten Umständen befand, begann, als man ihr die Photographie der Leiche in der Ottomane zeigte, krampfhaft zu schluchzen und schrie verzweifelt: »Das ist mein Mann, mein armer Mann!« Im Verlaufe der Verhöre verwickelte sie sich aber derart in Widersprüche, daß ihre Mitschuld kaum mehr angezweifelt werden konnte. Mindestens schien ein Zusammenhang zwischen der Ermordung ihres Gatten und den Diebstählen in der Gnadenkirche klar vorzuliegen.

Nun folgten Hausdurchsuchungen bei der Familie Helenens in Lodz, wobei in der Wohnung einer ihrer Schwestern, der Postbeamtensgattin Ludkiewicz, Photographien und Briefschaften beschlagnahmt wurden. Das Dienstmädchen der Verhafteten, Marcjana Kosmala, wußte anzugeben, daß ihre Herrin ein verschwenderisches Leben geführt habe, Depots bei mehreren Banken besaß und sich erst kürzlich ein Piano für tausend Rubel kaufte. Die Polizei erhob ferner, daß Macoch oder dessen Diener Zalóg auf den Namen »Helene Macoch« größere Beträge in Banken wiederholt hinterlegten. Zu den Verhafteten zählte auch der Bruder der Helene Macoch, ein neunzehnjähriger Gymnasiast.

In Warschau meldete sich nunmehr der Juwelier Epstein und deponierte, daß ihm vor einiger Zeit von einer eleganten Dame ein großer, ungefaßter Brillant zum Kaufe angeboten worden sei, den die Fremde geheimnisvoll aus ihrem Korsett gezogen habe. Da ihm der Kaufpreis von fünfzehnhundert Rubel zu hoch erschien, die Verkäuferin sich indessen mit tausend Rubel nicht begnügen wollte, sei das Geschäft nicht zustande gekommen. Er sei dann aber anderen Sinnes geworden und habe ihr einen Angestellten nachgesandt, der die Dame zurückrief. Der Handel wurde sodann abgeschlossen. Epstein erkannte in der Photographie die Helene Macoch, weshalb ihn die Polizei in Haft nahm.

Sämtliche Verhafteten wurden dem Bezirksgerichte in Petrikau eingeliefert. Dieses Gefängnis hatte vorher schon eine Reihe schwerer Verbrecher beherbergt, so den berüchtigten Räuberhauptmann Orlowski, der sich in der Umgebung von Petrikau und Tuszyn seinerzeit zum traurigen Ruhme eines Rinaldo-Rinaldini emporarbeitete; ferner den Führer einer bei Lodz, Strykow und Glowtw operierenden Räuberbande, Mielczarek; die Räuberbrüder Krwawnicki und den Banditen Boguslawski. Alle diese gehörten der Hefe des Volkes an. Geistliche waren zum erstenmal in seinen düsteren Mauern; und gar Geistliche, wie Macoch und Starczewski, die durch fünfzehn Jahre in den höchsten Gesellschaftskreisen verkehrt hatten, deren Hände von unschuldigen Mädchen geküßt worden waren, und die sich nun als um so viel verworfener erwiesen, als jene kleinen frommen Alltagssünder, die reumütigen Herzens an ihren Beichtstätten gekniet und die heilige Absolution erwartet hatten.

Unter den tausend Häftlingen, die das Petrikauer Gefängnis damals beherbergte, erweckten daher die Schuldigen vom Jasna Góra das nachhaltigste Interesse. Helene zeigte Spuren tiefster Niedergeschlagenheit. Sie hatte im Kerker ein Kind zur Welt gebracht und beteiligte sich nur selten an den Spaziergängen, wo sie von Neugierigen verhöhnt und verspottet wurde. Nur Damazy Macock machte gute Miene zum bösen Spiele. Er scherzte frivol mit den gemeinen Verbrechern und sagte eines Tages zu einem Mithäftling: »Mein Ordenskleid werde ich wohl nicht mehr lange tragen, ich bekomme ein dunkleres.« »Mit Schellen,« witzelte der andere. Damazy lachte laut auf. »So schlimm wird es wohl nicht sein,« meinte er. Er stellte überhaupt öfters Berechnungen über seine zu gewärtigende Strafe an. Über Helene zog er sehr häufig Erkundigungen ein, während sich diese so benahm, als hätte sie Damazy Macoch nie gekannt. Eines Tages begegneten sie einander im Gefängnishofe. Sie würdigte ihn keines Blickes. Macoch betrachtete sie dagegen aufmerksam, worauf ein flüchtiger Schatten von Reue, Zerknirschung und Selbstverurteilung über sein Gesicht huschte.

Die Staatsbehörde hatte ein ungeheures Stück Arbeit zu leisten. Hunderte von Zeugen wurden ermittelt und vernommen. Schließlich wurde eine Liste von hundertzwanzig Auskunftspersonen für den Prozeß aufgestellt. Im Verlaufe der gerichtlichen Feststellungen ergab sich auch die Notwendigkeit, gegen den gewesenen Prior Rejman Vorerhebungen wegen der Art der von ihm geführten Kassebücher einzuleiten. Rejman hatte mittlerweile Urlaub genommen und hielt sich im Kloster der Barmherzigen Brüder in Wien auf. Als man ihn russischerseits abhören wollte, war er verschwunden und angeblich nach Krakau oder Rom gereist. Später schrieb er dem Gerichte, daß er dem Prozesse durchaus nicht ausweichen wolle und pünktlich erscheinen werde. Macoch, der ihm seine Erziehung verdankte, beschuldigte ihn in rücksichtsloser Weise. Ganz um seine eigene Zukunft besorgt, stellte er sich als Opfer der Leidenschaft hin und sagte über Helene, die sich, wie er nun überzeugt war, von ihm abgewandt hatte: »Sie hat mich zum Verbrecher gemacht. Sie hat mich zu allem überredet. Sie drohte mir, daß sie mich verlassen werde, wenn ich sie nicht heirate. Sie raubte mir den Verstand, und in einem Wahnsinnsanfalle tötete ich ihn.« Was aber die Mißwirtschaft anbelange, die überhaupt im Kloster herrschte, rief er aus: »Er (Rejman) gab uns allen ein schlechtes Beispiel. Fragen Sie ihn, wo die Tausende von Rubeln, die das naive Volk spendete, hinkamen. Er wird Ihnen antworten,« schloß er sarkastisch, »daß er das Geld zur Unterstützung der polnischen Kunst verwendet habe.«

Diese Haltung Damazy Macochs schien in das rechte Licht gerückt, wenn man seinen Lebenslauf betrachtete.

Er wurde am 23. Dezember 1871 im Dorfe Lipie, im Czenstochauer Kreise, geboren. Seine Eltern waren arme Bauern, die dem Knaben, dessen Name damals noch Kaspar war, nur wenig lernen lassen konnten. Nach genossener Elementarschulbildung wurde er mit siebzehn Jahren Gehilfe des Gemeindeschreibers in Panek, wo er bis zum Jahre 1895 verblieb. In demselben Jahre trat er auf Verwendung des Priors Rejman, dem er also sehr zu Dank verpflichtet war, in das Kloster der Paulaner auf dem Jasna Góra ein, wo ihn Pater Pius Przezdiecki unterrichten mußte. Im Jahre 1902 endete sein Noviziat, woraus er von Prior Rejman die Priesterweihe und den Klosternamen Damazy erhielt. Die Anklageakte sagen dann wörtlich: »In der ersten Zeit war er gehorsam und verstand es, durch vorzügliche Führung das Vertrauen des Priors zu gewinnen. Zwei Jahre später begann er öfters, unter dem Vorwande, seine Verwandten zu besuchen, das Kloster zu verlassen, wurde still und schweigsam, und befreundete sich besonders mit den Patres Bazyli Olesinski und Isidor Starczewski. Über die schlechte und demoralisierende Lebensführung, die Damazy von da an an den Tag legte, wurde öfters dem Prior Rejman berichtet. Als Rejman ihm Verwarnungen machte, antwortete er brüsk, das ginge den Prior gar nichts an; wenn man ihn nicht in Ruhe ließe, würde er dahin streben, daß das Kloster geschlossen werde ...«

Dies war zu einer Zeit, in der er Helene noch nicht kannte. Man ersah somit, daß Damazy überhaupt ein niedriger Erpressercharakter war, der, von einem Gönner dem trostlosen russischen bäuerlichen Milieu entrissen, in sein schlechtes Vorleben früher oder später zurückfallen mußte. Die Bildungstünche, die er im Priesterseminar erhalten hatte, vermochte seine geistige Minderwertigkeit nicht dauernd zu verbergen. Mit der Plumpheit eines Bauern sucht er sein Glück zu genießen, mit dem Ungeschicke eines Naturkindes begeht er einen Mord und mit einer fast krankhaften Dummheit trachtet er dessen Spuren zu verwischen. Je mehr man Damazy Macoch kennen lernte, desto weniger interessant wurde er.

Die sechzig Druckseiten betragende Anklageakte wurde vom Prokureurgehilfen Katlanowsky verfaßt. Bevor der Staatsanwalt die Einzelheiten bespricht, gibt er folgendes gedrängtes Bild der verbrecherischen Liebe zwischen Helene und Damazy: »Damazy Macoch lernte im Jahre 1903 die Tochter des Lodzer Postbeamten Krzyzanowski, Helene, kennen und verliebte sich in sie. Anfangs war das Verhältnis der beiden ein rein platonisches, später gestaltete es sich aber zu einem intimen. Helene war Telegraphistin in Lodz. Sie verliebte sich hierauf in den Schlosser Bulracki. Als dieser nach Warschau übersiedelte, folgte sie ihm dorthin, trotzdem Damazy dagegen war. Macoch mußte sie in Warschau materiell unterstützen und deponierte außerdem 5600 Rubel in einer dortigen Sparkasse auf ihren Namen. Um Helene für sich zu gewinnen, versuchte der Mönch, sie mit seinem leiblichen Bruder zu verheiraten, doch scheiterte dieses Projekt. Damazy streute infolgedessen das Gerücht aus, daß sein Bruder gestorben sei und sich auf dem Sterbebette habe mit Helene trauen lassen.

Um nun Helene aus dieser Situation zu befreien, fälschte er den Trauschein über seine Ehe mit ihr, sowie seinen eigenen Totenschein. Auf Grund dieses Dokumentes verschaffte er ihr einen Paß auf den Namen Helene Macoch, die Witwe Kasper Macochs (so lautete Damazys Taufname). Unter diesem Namen mietete er ihr eine Wohnung in Warschau und meldete sie in Warschau an. Mit seinem Cousin Waclaw lebte er in beständiger Feindschaft und vertrug sich erst dann mit ihm, als derselbe im Jahre 1909 nach Kalisch versetzt worden war. Von Kalisch wurde Waclaw auf Bemühungen Damazys hin nach Granica versetzt, von wo aus er seinen Vetter häufig im Kloster besuchte, und wo er auch Helene kennen lernte. Am 24. Juni traute Damazy unter Assistenz des Geistlichen Isidor Starczewski das Paar in Warschau. Waclaw, der recht gut wußte, daß Damazy in Helene verliebt sei, verbot diesem nach der Hochzeit sein Haus.

Am 22. Juli kam Waclaw zu Damazy ins Kloster, wo er in dessen Zelle Wohnung nahm. Am 24. Juli kam es nach einem reichlichen Trinkgelage zwischen den beiden Vettern zu einem Streite. Waclaw begann Damazy Vorwürfe zu machen, daß er ihn mit einer Kabarettsängerin getraut habe, die so zahlreiche Herrenbesuche empfange, und daß er kürzlich bei ihr einen Brief Julius Bulrackis gefunden habe, aus dem er die Überzeugung gewann, daß Helene mit ihm, Damazy, ein intimes Verhältnis habe. Hierdurch erzürnt, nannte Damazy den Waclaw einen Grünschnabel. Hierauf begab sich Waclaw ins Nebenzimmer zur Ruhe, während Damazy noch lange in seinem Zimmer auf und nieder ging, ohne einschlafen zu können. Als sein Blick dann auf ein in seiner Zelle befindliches Beil fiel, besann er sich nicht lange, sondern stürzte mit den Worten: ›Du hast mich, deinen Bruder, beleidigt,‹ auf Waclaw zu und schlug denselben mit dem Beile auf den Kopf. Als Waclaw vom Bette aufsprang, erhielt er noch einige Schläge, die ihn zu Boden streckten. Jetzt begann ihn Damazy mit den Händen zu erwürgen und erteilte schließlich dem Sterbenden die Absolution. Das Beil hatte sich Damazy einige Wochen vorher vom Klostertischler ausgeliehen ...«

Nach einer Besprechung der zwischen Damazy und dem Prior entstandenen Zwistigkeiten geht dann die Anklage auf die nähere Schilderung des Liebesverhältnisses über. Sie erzählt: »In dieser Zeit lernte Damazy die Helene Krzyzanowska kennen, die ihn häufig im Kloster besuchte und beim Klosterorganisten Wohnung nahm. Dort war für sie ein besonderes Zimmer eingerichtet, in dem sie häufig mit Damazy allein weilte. Macoch gab sie vor anderen Leuten für seine Cousine aus und duzte sie. Das Essen erhielt sie aus der Klosterküche. Man sah die beiden überall zusammen. Das Dienstpersonal hütete sich, aus Furcht davongejagt zu werden, eine Anzeige zu erstatten. Wenn Helene nach Czenstochau kam, verschwand Macoch regelmäßig aus seiner Zelle. Seinem Freunde Starczewski gestand er, daß er Helene ihrer Intelligenz und ihrer musikalischen Talente wegen liebgewonnen habe. Im September 1907 reiste Damazy mit der Krzyzanowska nach Krakau, wo sie im Hotel Kleyn abstiegen, und zwar gab sich Damazy für einen Postbeamten aus Petrikau und die Krzyzanowska für seine Schwester aus. Von Krakau reisten beide nach Wien. Im Mai 1908 gab die Krzyzanowska ihre Stellung als Telephonistin in Lodz auf, wo sie fünfzig Rubel Monatsgage erhalten hatte, und siedelte nach Warschau über. Dort mietete sie drei Zimmer und Küche in der Jerusalemer Allee Nr. 23, zu deren Ausstattung sie um 3000 Rubel Möbel kaufte. Einer Beschäftigung ging sie nicht nach, verfügte aber stets über Geldmittel und ließ es sich an nichts abgehen. In der vierten Warschauer Kreditgesellschaft hatte sie 5620 Rubel deponiert, außerdem hatte sie die 5000 Rubel betragenden Schulden ihrer Eltern getilgt. Im Jahre 1908 begab sie sich mit ihrer Schwester Irene nach dem Auslande und hielt sich in Brünn (Mähren) ganze zwei Monate auf. Dorthin reiste auch Macoch, in dessen Gesellschaft sie dann Wien und Prag besuchte. Im Jahre 1909 versuchte Damazy seinen jüngeren Bruder, den zwanzigjährigen Franz Macoch, zu bewegen, daß er die Krzyzanowska heirate, und versprach ihm dafür 10 000 Rubel. Franz Macoch war Gemeindeschreiber in Lipie und hatte die Helene Krzyzanowska bei Moszekowski kennen gelernt und um ihre Hand angehalten.

Franciszek Macoch und Helene Krzyzanowska feierten alsbald die Verlobung und setzten den Tag der Hochzeit fest. Einmal warnte die Krzyzanowska ihren Verlobten, er möge nach der Hochzeit nicht eifersüchtig sein. Diese Warnung bewog Franz Macoch, das zwischen seinem Bruder und der Krzyzanowska bestehende Verhältnis genauer zu beobachten. Nach einiger Zeit gewann er die Überzeugung, daß die beiden in zärtlichen Beziehungen zueinander stünden, und löste daraufhin die Verlobung. Alsdann verbreitete Damazy Macoch unter seinen Verwandten und Bekannten die Nachricht, sein Bruder sei gestorben. Auf dem Sterbebette sei er aber mit der Krzyzanowska getraut worden. Letztere bestätigte die Angaben und legte sogar Trauerkleider an. Ihrer Schwester Zofja Zajonczkowska schrieb sie, daß sie von ihrem Manne mehrere tausend Rubel geerbt habe. Nachdem sie den Namen Macoch angenommen, benötigte sie jedoch entsprechender Dokumente, die ihr nun von Damazy Macoch verschafft wurden. Derselbe wandte sich zu dem gedachten Zwecke an den in Czenstochau wohnhaften Graveur Lucius Cyganowski mit der Bitte, er möge ihm einen Metallstempel mit dein Reichsadler und der Aufschrift: ›Der Standesbeamte der Gemeinde Parzymiecki‹ anfertigen. Diesen Stempel fand man in der Folge unter den Sachen Damazy Macochs.

Als der Stempel fertig war, wurde am 20. April des Jahres 1909 a. St. eine Bescheinigung hergestellt, die, mit der Nummer 35 versehen, dahin lautete, das? Kaspar Pawlow Macoch mit Helene Katharina Krzyzanowska am 10. Februar 1909 die Ehe eingegangen sei. Dieser Trauschein wurde mit dem von Cyganowski gemachten Stempel und mit der gefälschten Unterschrift des Pfarrers der Gemeinde Parzymiecki, Alexander Dakowski, ausgestattet. Am 24. Mai wurde unter Nr. 76 ein Schein fabriziert, demzufolge der Gemeindeschreiber Kaspar Pawlow Macoch am 22. Februar 1909 um zwölf Uhr mittags gestorben sei und eine Frau, namens Helene-Katharina, geb. Krzyzanowska, hinterlassen habe. Genannter Akt wurde ebenso wie der Trauschein mit der Unterschrift des Pfarrers Dakowski versehen.

Am 24. April 1909 begab sich Macoch nach der im Kreise Opoczno liegenden Ortschaft Drzewice, wohin die Krzyzanowska zuständig war, um für die Witwe Kaspar Macochs, geb. Krzyzanowska, einen Paß zu lösen. Dokumente konnte Macoch nicht präsentieren. weshalb er sich auf seine Würde berief und bat, ihm aufs Wort zu glauben. Nach einigen Bedenken seitens des Wojts und des Gemeindeschreibers wurde schließlich der gewünschte Paß ausgefolgt. Mit diesem Passe lebte die Krzyzanowska fortan in Warschau. Durch die während der Voruntersuchung erfolgte Prüfung der Zivilstandsbücher und -akten und durch das Verhör des römisch-katholischen Pfarrers der Gemeinde Parzymiecki, Alexander Dakowski, sowie durch die Schriftsachverständigen wurde die Fälschung des Totenscheines und des Trauscheines festgestellt. Ferner konstatierte der Experte, Kalligraphielehrer Iwanow, daß der Text beider Dokumente von der Hand Damazy Macochs stamme. Wenn auch zur Erlangung eines Passes für die Krzyzanowska keine gefälschten Dokumente vorgewiesen wurden, so sind diese von Macoch und der Krzyzanowska in der Folge benutzt worden, worauf noch zurückgekommen werden wird.

Nachdem der Versuch, die Helene Krzyzanowska mit Franciszek Macoch zu verheiraten, gescheitert war, setzte sich Damazy mit seinem Vetter Waclaw Macoch, mit dem er bisher in Feindschaft gelebt hatte, in Verbindung. Waclaw diente von 1902 bis 1907 im Czenstochauer Post- und Telegraphenbureau und wohnte während dieser Zeit im Hause des Jan Chencinski. Waclaw verkehrte sehr freundschaftlich mit seinem Hausherrn und erfreute sich dessen Wertschätzung. Mit Damazy Macoch kam er beinahe gar nicht zusammen, und wenn von diesem die Rede war, äußerte er sich immer nur sehr ungünstig über ihn. Einst erzählte Waclaw Macoch mit Entrüstung, daß ihn Damazy gebeten habe, er möge ihn nach Warschau in ein Freudenhaus führen. Als er (Waclaw) abgelehnt habe, sei Damazy allein hingefahren. Chencinski, der Damazy ebenfalls von einer derartigen Seite kannte, riet dem Waclaw, seinen Vetter zu meiden. Im Jahre 1907 bemerkte Chencinski, der in Begleitung des Waclaw Macoch in der Allee von Czenstochau promenierte, daß Damazy an der Seite einer jungen Dame einhergehe. Auf die Frage, wer die Dame sei, antwortete Waclaw: ›Seine Geliebte‹. Ferner teilte er dem Chencinski noch mit, daß sie im Lodzer Telephonamte angestellt sei und das Kloster in Czenstochau sehr häufig besuche.

Im Jahre 1907 wurde Waclaw nach Kalisch und bald darauf nach Granica versetzt, so daß ihn Chencinski für einige Zeit aus den Augen verlor. Im Frühjahr 1910 kam Waclaw aber zu Besuch und bat seinen ehemaligen Hausherrn, er möge ihm eine Braut mit 5000 Rubel verschaffen. Im Mai desselben Jahres erschien er wieder und erzählte, daß er heiraten werde. Seine Braut erhalte eine Mitgift von 20 000 Rubel und besitze Juwelen im Werte von mehreren tausend Rubeln. Der Hochzeitstag sei bereits festgesetzt. Er hoffe, daß Chencinski an den Feierlichkeiten, die in Warschau, im Europäischen Hotel, stattfinden sollen, samt Familie teilnehmen werde. Waclaw Macoch zeigte hierauf die Photographie seiner Braut, die Chencinski sofort als die Geliebte des Geistlichen Damazy wiedererkannte. Nun riet er Waclaw entschieden von der Heirat ab. Waclaw erwiderte hierauf, daß es ihm im Grunde gleichgültig sei, wer seine zukünftige Frau sein werde, da es ihm nur auf die Mitgift ankomme. Der Rat Cherwinskis verstimmte ihn aber, so daß er das Gespräch abbrach und abreiste.

Am 8. Mai 1910 fand im Kloster zu Czenstochau die Verlobung Waclaw Macochs und der Helene Krzyzanowska statt, der auch Damazy Macoch beiwohnte. Der sich nun entspinnende Briefwechsel zwischen diesen drei Personen illustriert so recht die gegenseitigen Beziehungen. Helene Krzyzanowska verliebt sich sterblich in ihren Bräutigam. Ihre an ihn gerichteten Briefe sind von unverfälscht heißen Gefühlen durchdrungen. Ihre ständige Sehnsucht und bis ins kleinste gehende Sorge um ihn, ihre aufrichtige, kindliche Freude an seinen seltenen und kurzen Schreiben beweisen, wie innig sie, und für sie selbst ganz unerwartet, in Liebe zu Waclaw Macoch entbrannt war. Das Verhalten des letzteren zu seiner Braut war dagegen ein kühles. Gleichgültig beantwortet er ihre liebeglühenden Briefe und schützt Zeitmangel vor. Er widmet ihr bloß Karten und sträubt sich, trotz Drängens der Braut, den Hochzeitstag festzusetzen. Dieser wurde erst nach einer Konferenz Helenens mit Damazy bestimmt. Damazy übernahm nun alle Vorbereitungen, bestellte den Anzug für den Bräutigam und ersuchte diesen dringend, nach Czenstochau zur Anprobe zu kommen. Waclaw Macoch zeigte dagegen unveränderte Teilnahmlosigkeit. Den Vorwürfen und Bitten Damazys schenkte er keine Aufmerksamkeit. Schließlich wurde ihm von der Krzyzanowska und Damazy Macoch mitgeteilt, daß der Tag der Hochzeit auf den 11. Juni 1910 angesetzt worden sei. Die Trauung fand am genannten Tage im Warschau in der Kirche des Visitantinnenordens statt. Die Trauungsfeierlichkeit vollzog Damazy Macoch unter Assistenz Starczewskis. Helene Krzyzanowska wurde als Witwe Helene Macoch getraut. Am nächsten Tage nahm man in der Kanzlei der Alexandergemeinde in Warschau auf Grund der von Damazy vorgewiesenen, obgenannten gefälschten Dokumente den Trauakt auf.

Ende Juni erscheint Waclaw Macoch zusammen mit Helene in Czenstochau und nimmt im Kalischer Hotel Wohnung. Waclaw besucht die Familie Chencinski und bittet um Erlaubnis, seine junge Frau einführen zu dürfen. Nach Erhalt dieser Erlaubnis bringt er noch am selben Tage Helene ins Haus und erzählt unter anderem, daß ihre Hochzeitsfeier im Europäischen Hotel in Warschau äußerst fröhlich verlaufen sei. Er hätte für das Festmahl 1050 Rubel und für die Trauung 350 Rubel verausgabt. Als Chencinski seine Verwunderung darüber ausdrückt, woher Waclaw eine so große Geldsumme genommen habe, erklärte Waclaw, daß er das Geld vom Pater Damazy Macoch erhalten hätte, der für ihn und Helene überdies eine Wohnung in Warschau mietete und einrichtete.

Hierauf reisten die Neuvermählten nach Warschau, wo sie die frühere Wohnung Helenens in der Jerusalemer Allee Nr. 23 bezogen. Sie lebten in Frieden und Eintracht miteinander und empfingen öfters die Besuche von Verwandten, darunter auch den des Damazy Macoch. Anfangs Juli fand Waclaw zufällig bei seiner Frau einen Brief des Mechanikers Juljan Bulracki vor, der bereits früher zu ihren Liebhabern gehört hatte. Dieses Schreiben enthielt die Phrase: ›Obwohl unsere Bekanntschaft nicht durchaus platonischer Art war ...‹ Diese Stelle schien Waclaw verdächtig, so daß er seiner Frau Vorwürfe zu machen begann. Am 10. Juli erhielt er einen Brief Damazys des Inhalts, er möge nach Czenstochau kommen, um Geld in Empfang zu nehmen. So sagt wenigstens Waclaw Krzyzanowski, der Bruder Helenens, aus. Zwei Wochen vorher hatte Damazy vom Klosterzimmermeister Jusefat Bernatowicz eine Axt ausgeliehen und mit auf seine Zelle genommen. Die Axt verschwand bald darauf spurlos.

Als Waclaw Macoch nach Czenstochau kam, besuchte er zunächst wieder seinen früheren Hauswirt Chencinski und erklärte diesem gegenüber, daß er nunmehr bedaure, dessen Ratschläge nicht beherzigt zu haben. Zum Abschiede versprach Waclaw, den Chencinski vor seiner Rückreise nochmals zu besuchen. Er erschien an dem bezeichneten Tage aber weder bei Chencinski noch bei seiner eigenen Frau in Warschau. Sein Leichnam wurde vielmehr am nächsten Tage, in ein Sofa verpackt, im Graben bei Zawady, Kreis Nowo-Radomsk, gefunden.

Schon am 12. Juli um 10 Uhr 12 Minuten früh, sandte Damazy Macoch ein Telegramm an Helene Macoch, worin er mitteilte, daß er noch am selben Tage bei ihr eintreffen werde. Er kam jedoch erst am darauffolgenden Tage um sieben Uhr morgens, in Begleitung seines Dieners Zalóg. Helene schlief noch. Am Mittagstische erzählte Damazy in Gegenwart des Stanislaw Zalóg und Waclaw Krzyzanowski, Waclaw Macoch habe seine Frau verlassen und sei nach Amerika durchgegangen. Damazy war während des ganzen Tages in guter Stimmung. Helene Macoch gegenüber zeigte er sich sehr liebenswürdig und verließ sie keinen Augenblick. Stanislaw Zalóg fuhr abends nach Czenstochau zurück, während Helene Macoch mit ihrem Bruder und Damazy das Ehepaar Adam und Anna Jezewski besuchten. Auf die Frage der Gastgeber, wo ihr Gatte sei, erwiderte sie, daß er in einer wichtigen Angelegenheit nach Granica gereist sei. Der Frau Jezewska teilte sie unter anderem mit, daß sie sich in anderen Umständen befinde. Sie weilte bei der genannten Familie bis halb elf Uhr. Am darauffolgenden Tage reiste sie mit Damazy Macoch und ihrem Bruder nach Czenstochau und stieg, wie üblich, bei Mezikowski ab.

Helene äußerte ihrem Bruder gegenüber, daß ihr Mann nicht nach Amerika gegangen, sondern von dem Geistlichen Damazy ermordet worden sei. Sie ersuchte, niemandem von dem Morde zu erzählen. Krzyzanowski warnte die Schwester vor der Verantwortlichkeit, falls sie den Mord nicht den Behörden anzeige. Diese erklärte hierauf, die Anzeige nach ihrer Rückkehr nach Warschau machen zu wollen. In Czenstochau weilte Helene Macoch fünf Tage, worauf sie mit ihrem Bruder und Damazy Macoch zu ihren Eltern reiste, bei denen sie zwei Wochen blieb. Darauf begleitete sie Damazy Macoch nach Warschau und kehrte nach Verlauf von zwei Tagen wieder zu ihren Eltern zurück. Damazy erscheint nunmehr im Kloster äußerst selten. Er verbringt die Zeit zumeist in Warschau, und zu Beginn des September verläßt er endgültig Czenstochau. Aus den Briefen, die in dieser Zeit zwischen Damazy Macoch und Isidor Starczewski gewechselt wurden, geht hervor, wie sehr beide um das Schicksal des Stanislaw Zalóg besorgt waren, und wie sorgfältig sie dessen Aufenthalt vor der Polizei zu verbergen trachteten. Damazy suchte Starczewski und Zalóg zu überreden, nach Amerika zu reisen. Auf diesen Vorschlag ging jedoch nur Zalóg ein; Starczewski lehnte ab. In seinem Schreiben vom 12. September aus Warschau ersucht Macoch den Starczewski, niemandem seine Adresse zu verraten. Am 30. September flüchtete Damazy Macoch nach Österreich-Ungarn, während Helene Macoch in Szreniawa verhaftet wurde. Bei der Verhafteten wurden 600 Rubel in Bargeld, ein Sparbüchlein der Warschauer Gesellschaft gegenseitigen Kredits über 5620 Rubel, sowie viele Wertsachen, darunter eine große Anzahl von Brillanten und elf alte Golddukaten gefunden ...«

Über die Klosterdiebstähle sagt der Ankläger: »Da man bei der Verhaftung Damazys eine bedeutende Geldsumme, sowie viele Briefe und Notizen, die von öfteren Reisen mit Helene nach Österreich, Frankreich und Italien sprachen, vorfand, stellte der Kommissär Henryk Jasienski an ihn die Frage, woher er das Geld zu diesen Reisen besitze. Damazy antwortete hierauf, daß er einmal 4000 Rubel in der Lotterie gewonnen hätte, ebenso hätte er im Jahre 1909 vom Prior Rejman 300 Rubel erhalten. Die bei ihm vorgefundene Summe sei ein Deposit. Schließlich gestand er aber, daß er im Verlaufe von dreieinhalb Jahren systematisch Geld aus der Schatzkammer des Klosters gestohlen habe, und zwar von den sogenannten Pilgergeldern, die ungezählt in den Schatz flossen. An solchen Geldern habe er gegen 9000 Rubel entwendet; 10 000 Rubel stammten aus dem Messefond, und weiteres Geld hätte er sich selber aus der Kasse genommen, als er den kranken Sakristan vertrat ... Die Aussagen Damazys bezüglich der systematischen Beraubung der Klosterkasse und des Diebstahls der auf die Summe von 5000 Rubel lautenden Pfandbriefe, die dem verstorbenen Geistlichen Bonaventura Gawelczyk gehört hatten, fanden volle Bestätigung. Die in dieser Hinsicht angestellten Erhebungen der Voruntersuchung ergaben folgendes: Laut des Statuts des Paulanerordens darf kein Mönch über irgendwelche Geldsummen verfügen, ausgenommen in Fällen, wo ihnen zeitweilig Beträge für einen bestimmten Zweck anvertraut werden, da sie ihren ganzen Unterhalt im Kloster erhalten. Aber schon im Jahre 1864 hörte man auf, sich an diese Vorschrift zu halten. Die Mönche bekamen mit Wissen des Klostervorstehers Geld für zelebrierte Messen. Diese Gelder wurden von ihnen für Kurzwecke und dergleichen verwendet.

Im Februar 1895 wurde Euzebjusz Rejman zum Prior des Klosters gewählt, der das Klosterleben den Ordensstatuten anpassen wollte. Rücksichtlich der alten Mönche wurde zwar die gewohnte Ordnung eingehalten, die jüngeren Ordensbrüder mußten sich jedoch den Vorschriften des Priors unterwerfen und jeden Monat Rechnung über ihre Einnahmen und Ausgaben legen, sowie die Restbeträge der Klosterkasse abgeben. Die Kontrolle über die Einnahmen und Ausgaben der Mönche erwies sich indessen als so schwierig, daß man sich eigentlich nur auf die Gewissenhaftigkeit des Einzelnen verlassen konnte.

Als im Jahre 1907 der Papst den Karmeliterpater Lamoscha nach Jasna Góra entsandte, um dort eine den Ordensregeln entsprechende Gemeinschaft einzuführen, riet diesem Gesandten Pater Olesinski, die Messegelder nicht abzuführen, sondern für sich zu behalten. Auf diesen Vorschlag ging dann auch der Karmeliter ein.

Während der vorübergehenden Abwesenheit des Paters Bonaventura Gawelczyk versah Pater Olesinski das Amt eines Klosterkustoden. Hierbei wurde er nun zufällig von den beiden Mönchen Isidor Starczewski und Damazy Macoch ertappt, wie er die Schlüssel Gawelczyks zur Schatzkammer entwendete und aus derselben Geld holte. Auf die Frage der zwei Beobachter, was er hier mache, antwortete er: ›Nichts!‹ und gab dabei jedem fünfzig Rubel Schweiggeld. Nach diesem Vorfälle lieferte Olesinski dem Macoch regelmäßig die Messegelder ab. Im ganzen hatte dieser von Olesinski 2000 Rubel erhalten. Außerdem entnahm Macoch noch selbst ungefähr 10 000 Rubel der Schatzkammer. Schließlich kamen im Frühjahre 1908 Damazy Macoch und Starczewski auf den Gedanken, auf eigene Faust aus der Schatzkammer Geld zu nehmen. Aus diesem Grunde baten sie den Schulfreund des Klosterorganisten Jusefat Pertkiewicz, einen ehemaligen Schlosser, ihnen vier Schlüssel anzufertigen, und zwar einen zur Schatzkammertüre, zwei zur Korridortüre, durch die man zur Schatzkammertüre gelangt, und einen zum Geldschrank. Sie machten dem Pertkiewicz gegenüber aus ihren Plänen kein Geheimnis und bezahlten ihn mit dreißig Rubel. Diese Schlüssel wurden ohne Wissen des Bazyli Olesinski angefertigt. Als einige Zeit darauf neue Schlösser für die Schatzkammer bestellt wurden, ließen sie ebenfalls neue Schlüssel hierzu beim Bruder des Starczewski, einem Schlosser in Czenstochau, machen. Diesmal verschwiegen sie deren Bestimmung. Mit Hilfe der Nachschlüssel wurden im ganzen 9000 Rubel gestohlen, die Macoch mit Starczewski teilte. Im Januar 1910 wurden sämtliche Türen der Schatzkammer umgebaut. Da sich jetzt die Schlüssel als unbrauchbar erwiesen, wurden sie in einen Bodenraum des Klosters geworfen.«

Über die Beraubung des von Pater Gawelczyk hinterlassenen Vermögens erzählt die Anklageakte: »Als am 29. Dezember 1910 der Pater Bonaventura Gawelczyk starb, wurde seine Zelle auf Geheiß des Priors Rejman durch Macoch und Olesinski noch vor Entfernung der Leiche revidiert. Hierbei nahm Olesinski aus einer eingemauerten Schatulle 22 000 Rubel in Wertpapieren, sowie das Testament Gawelczyks an sich. Von der Geldsumme entwendeten sie 7000 Rubel; Olesinski behielt davon 3000 Rubel. Als Prior Rejman dann den beiden eine nochmalige Revision anbefohlen hatte, gaben sie ihm nach einiger Zeit 15 000 Rubel in Pfandbriefen und behaupteten, daß sie in der Zelle nicht mehr gefunden hätten.

Aus einer Aufzeichnung Gawelczyks ging aber hervor, daß die Zelle 20 000 Rubel enthalten hatte. Olesinski sagte nun dem Prior, daß sich der Petrikauer Bürger Karol Szymanski Geld angeeignet hätte. Als Rejman von Szymanski die Rückerstattung forderte, gab dieser freiwillig eine Summe zurück, da er mehr als 13 000 Rubel aus der Erbschaft zu bekommen hoffte. Rejman nahm jedoch den ganzen Betrag des gefundenen Geldes an sich, indem er behauptete, daß es Klostergeld sei, und Gawelczyk für seine Kinder nichts zurückgelassen habe; im übrigen habe die Zelle des Gawelczyk nichts weiter enthalten. Der bei dieser Aussage anwesende Olesinski bestätigte die Worte des Priors unter seinem Eide und weigerte sich entschiedenst, dem Szymanski irgendein ›Andenken‹ zu geben. Den anderen Verwandten des Gawelczyk sagte Olesinski, daß Karol Szymanski den gesamten Nachlaß an sich genommen hätte. Das in der Zelle aufgefundene Testament verschwand dann später spurlos. Rejman erklärte, daß er das Geld dem neuen Prior Welonski in Gegenwart des Paters Pius Przezdiecki abgegeben habe, wogegen Welonski und Przezdiecki energisch protestierten. Sie erklärten, keinerlei Geld in Empfang genommen zu haben. Nach Gawelczyk führte Olesinski die Bücher nicht in der vorgeschriebenen Weise, so daß sein Nachfolger Pater Pius Przezdiecki gezwungen war, die alten Bücher zu vernichten und neue anzulegen. Olesinski ließ auch die alten hölzernen Türen der Schatzkammer entfernen und neue eiserne anbringen.

Nach Verübung des Raubes der Kleinodien und Kronen am Muttergottesbilde vertrat Macoch eine gewisse Zeit hindurch den Olesinski, der häufig in der Kirche unter den Pilgern Spenden sammelte. Hierbei konnte Olesinski recht gut an einem Tage gegen 1000 Rubel von den Gläubigen einheimsen. Ende August 1910 fanden Arbeiter auf dem Dachboden des Klosters sechs Schlüssel und übergaben sie der Klosterverwaltung. Von diesen Schlüsseln paßte der größte zu der alten Schatzkammertüre, während die zwei kleinsten für die neue Türe bestimmt waren, an der sich zwei elektrische Klingeln befanden. Ein dicker, kurzer Schlüssel gehörte zur Treppentüre, die nach der Schatzkammer führte, der sechste ferner zum Vorzimmer, von dem aus man die Muttergotteskapelle betrat. Wie der Schlosser Jakob Starczewski aussagte, waren die beiden kleineren Schlüssel unlängst von Macoch bestellt worden. Für den einen Schlüssel hatte der Schlosser einen Rubel und zwanzig Kopeken erhalten, für den anderen nur einen Rubel.

Die Untersuchung ergab ferner, daß Isidor Starczewski eine Geliebte besaß, namens Stefania Maltz, die Tochter eines Klosterorganisten, die ihm im Jahre 1909 ein Kind gebar. Für die Entbindungszeit wurde sie von ihm nach Warschau in eine gynäkologische Anstalt geschickt, wohin er ihr regelmäßig Geldsendungen zukommen ließ. Bazyli Olesinski soll ebenfalls eine Geliebte gehabt haben, wovon dem Prior Rejman des öfteren berichtet wurde...«

Über Helene Macoch schreibt der Staatsanwalt: »Helene Macoch hatte vor dem Untersuchungsrichter jede Teilnahme an der Ermordung ihres Mannes geleugnet und weiterhin behauptet, daß sie von der Fälschung des Totenscheines, lautend auf Kaspar Macoch, durchaus nichts gewußt habe. Macoch habe sie vor acht Jahren kennen gelernt, als sie nach Absolvierung von vier Gymnasialklassen beim Telephonamte in Lodz angestellt worden war. Sie sei damals nach Czenstochau gefahren, um in der Gnadenkirche zu beichten, wobei ihr Macoch die Beichte abnahm. Noch am selben Tage lernte sie ihn auf den Wällen des Klosters kennen. Damazy schrieb ihr darauf Briefe und kam nach Lodz, um sie dort aufzusuchen. Zwischen beiden sei dadurch ein Freundschaftsverhältnis entstanden, das nicht bis zur Intimität gedieh.

Im Jahre 1908 reiste sie nach Warschau, wo sie eine zeitlang bei der Familie Sitkiewicz in der Theodorstraße Nr. 12 wohnte. Später, vom 13. Juli an, mietete sie eine Wohnung in der Jerosolimer (Jerusalemer) Allee Nr. 23, woselbst sie Damazy Macoch öfters aufsuchte. Sie erwiderte seine Besuche in Czenstochau und erhielt von ihm zeitweise größere Geldgeschenke. Von dem Gelde deponierte sie 5620 Rubel in der Sparkasse und zahlte ihren Eltern 5000 Rubel auf frühere Schulden ab. Zu einer Reise, die sie mit ihrer Schwester nach Österreich unternahm, schenkte ihr Damazy 1000 Rubel. Als sie ihn gefragt habe, woher er das Geld besitze, erklärte er, daß im Kloster eine gemeinschaftliche Kasse bestände, aus der jeder soviel entnehmen dürfe, als er brauche, der Rest gehöre dem Kloster. Auf ihre Entgegnung, daß doch im Kloster ein gemeinschaftliches, regelmäßiges Leben eingeführt sei, sagte Macoch, daß die Klosterpforten nur deshalb früher geschlossen würden, damit die Mönche kein ausschweifendes Leben führen könnten. Oft habe ihr Damazy den Vorschlag gemacht, sie zu heiraten, in welchem Falle er aus dem Orden austreten wollte. Da sie nicht darauf eingehen wollte, versuchte er sie mit seinem Bruder Franz zu vermählen. Diese Heirat sei jedoch nicht zustande gekommen. Als ihr Damazy einmal erzählte, Franz sei gestorben, habe sie es geglaubt und Trauerkleider angelegt. Ein Jahr später habe sie dann erfahren, daß Franz noch lebe. Um sie nicht in einer zweideutigen Lage zu belassen, besorgte ihr Damazy einen Paß, auf den Namen Witwe Helene Macoch lautend, unter dem sie auch in Warschau polizeilich angemeldet wurde. Diesen Paß gab sie dem Damazy nach ihrer Verheiratung mit Waclaw Macoch, dem Vetter des Mönches, den sie im Jahre 1910 kennengelernt hatte, zurück. Zwei Tage nach ihrer Aussprache mit Waclaw sei im Kloster von Czenstochau die Verlobung erfolgt, und zwar am 21. Mai 1910; die Trauung hätte dagegen erst am 11. Juni in der Kirche des Nonnenordens der Visitantinnen in Warschau stattgefunden. Die zur Trauung nötigen Papiere habe Damazy, ebenfalls ohne ihr Vorwissen, herbeigeschafft. Sie hätte sich auf diesen Dokumenten als Helene Macoch unterschrieben, weil sie unter diesem Namen als Witwe nach Franz Macoch angemeldet war. Im übrigen sei der Trauungsakt erst am Tage nach der Hochzeit aufgesetzt worden, also zu einer Zeit, wo sie tatsächlich bereits ›Macoch‹ hieß. Ihr Gatte, den sie herzlich liebte, hatte damals eine kleine Stelle in Granica, wo er fünfzig bis sechzig Rubel monatlich verdiente. Diese Position gab er jedoch auf, um zu ihr nach Warschau zu kommen. Zu dieser Zeit fand Waclaw bei ihr einen Brief eines ihrer früheren Verehrer, namens Juljan Bulracki, der sie fragte, weshalb sie Lodz verlassen habe, da doch zwischen ihnen nichts Schlimmes vorgefallen wäre.

Ihrem Manne habe sie erklärt, daß sie den Brief nicht verstehe. Mit Bulracki sei sie niemals intim gewesen. Trotzdem machte ihr der Gatte seitdem wiederholt ironische Vorwürfe und drohte, den Brief dem Damazy zu zeigen. Am 23. Juli habe nun Damazy ihren Mann brieflich, ohne Angabe eines Grundes, nach Czenstochau geladen. Waclaw reiste tatsächlich noch am selben Tage ab und kam nicht mehr zurück. Nach drei Tagen sei ein Telegramm Damazys angelangt, durch das er ihr seinen Besuch ankündigte. Er kam auch wirklich, zu ihrer Verwunderung aber in Begleitung des Zalóg. Die Frage, ob er Waclaw gesehen habe, bejahte Damazy, behauptete jedoch, Waclaw hätte sich zu seiner Familie begeben. Am nächsten Tage fuhr sie mit Damazy nach Czenstochau, wo er ihr sagte, Waclaw sei nach Amerika ausgewandert und werde überhaupt nicht mehr zurückkehren.

Später besuchte Helene ihre Eltern in Lodz, wohin ihr Macoch folgte. Von dort begab sich Damazy nach Sieradz, zu den Eltern des Isidor Starczewski, während sie wieder auf einige Tage nach Warschau zurückkehrte. Damazy Macoch habe dann mit ihr noch verschiedene Fahrten nach Czenstochau und Warschau unternommen, wo sie zusammen wohnten, und von wo sie sich schließlich nach Szreniawa begaben. Sie behauptet, erst nach der Verhaftung Macochs erfahren zu haben, daß ihr Mann ermordet worden sei. Von dem Leichenfunde im Sofa wollte sie ebenfalls nichts erfahren haben, da sie nach ihrer Abreise von Warschau den ›Kurjer Warszawski‹ nicht mehr gelesen hätte. Das Verhältnis zwischen ihrem Manne und Damazy sei ein ziemlich gutes gewesen, wenn auch hin und wieder kleinere Streitigkeiten vorgefallen wären. So zum Beispiel sagte Damazy am Abende vor der Hochzeit, daß er sich das Datum des 11. Juli leicht merken werde, weil er am 11. Dezember Namenstag habe. Auf diese Worte hin stand Waclaw auf, forderte Damazy auf, ihm ins Nebenzimmer zu folgen, und drohte ihm dort mit Ohrfeigen, wenn sich Damazy noch einmal eine derartige höhnische Bemerkung erlauben sollte.

Was für ein Grund zu dem Morde vorgelegen habe, weiß Helene nicht. Sie will auch nicht verstehen, warum ihr Bruder die Unwahrheit sagte, indem er so tat, als hätte er von Damazy den geschehenen Mord erfahren.

Beim zweiten Verhöre änderte Helene ihre Aussage ab und behauptete, daß Damazy am 25. Juli zu ihr gekommen wäre und erzählt habe, Waclaw sei nach Amerika verreist ...«

Über Starczewski erfahren wir: »Isidor Starczewski sagte aus, er habe bei seinem im Jahre 1900 erfolgten Eintritte in das Kloster den Damazy Macoch kennen gelernt, sich aber erst im Jahre 1907 mit Macoch und Olesinski näher befreundet, worauf alle drei stets beisammen gewesen seien. Vor einigen Jahren habe ihn Macoch mit der Kryzanowska bekannt gemacht, doch will er von dem Verhältnis der beiden nichts gewußt haben. Er hätte vielmehr bloß gemutmaßt, daß zwischen Damazy und Helene zärtliche Beziehungen beständen. Wenn die Krzyzanowska nach Czenstochau kam, habe Macoch den ganzen Tag bei Morszykowski verbracht, wo er die Helene küßte und mit ›Du‹ ansprach. Starczewski will auch gewußt haben, daß Damazy Helene mit seinem Bruder Franz zu verheiraten trachtete. Die Heirat sei aber deshalb nicht zustande gekommen, weil Helene von Franz verlangte, daß er vorher ein Examen über vier Gymnasialklassen ablege. Nach den Osterfeiertagen 1910 sagte Macoch dem Starczewski – wie dieser erzählt – daß er Helene mit seinem Vetter Waclaw vermählen wolle. Was für Beziehungen zwischen den beiden herrschten, wisse der Zeuge nicht. Er habe jedoch einige Male gehört, wie sie mit erhobener Stimme miteinander sprachen, um bei seinem Erscheinen den Streit abzubrechen. Von der Ermordung des Waclaw Macoch will Starczewski nichts gewußt haben. Er sei am 2. Juli 1910 nach Erhalt eines unbegrenzten Urlaubes nach Kolo zur Hochzeit seines Bruders Djonizy und dann nach Wlozlawek gefahren, um den dortigen Bischof um den Posten eines Propstes zu bitten. Er sei dann wieder zu seinem Bruder zurückgekehrt, wo er einen Brief des Damazy erhielt, der ihm mitteilte, daß er das Kloster endgültig verlassen werde, und ihn bat, nach Sieradz oder Warschau zu kommen. In Sieradz habe er den Macoch gesprochen. Macoch habe ihm erzählt, daß er mit dem neuen Prior Welonski in einen ernsten Streit geraten sei, da ihm derselbe keinen Urlaub bewilligen wollte. Von Sieradz wäre er mit Macoch nach Krakau, Warschau, Shytomir und Wloclawek gefahren. Am 3. September kehrten sie nach Czenstochau zurück. Am nächsten Tage sei Macoch abgereist, und seit dieser Zeit habe er ihn nicht mehr gesehen. Auf dem Wege nach Krakau hätte ihn Macoch zu überreden versucht, mit ihm nach Amerika zu gehen, was er jedoch abgelehnt habe. In den an ihn gerichteten Briefen habe Macoch gebeten, das Militärbillett des Zalóg vom Polizeimeister der Stadt Czenstochau einzuholen und seine eigene (Macochs) Adresse niemand zu verraten, was ihn (Starczewski) sehr wunderte. Starzewski gestand, folgende Depesche an Macoch gesendet zu haben: Warschau, Chlodna 68. Jezewski für den Gevatter. Alles gut, ich kann nicht kommen. Stanislaus.‹ Die Worte ›alles gut‹ bedeuteten, daß dem Verlassen des Klosters keine Hindernisse im Wege ständen. Als am 20. September auf dem Jasna Góra eine Revision vorgenommen wurde, wobei ihm die Photographie des getöteten Waclaw Macoch vorgezeigt wurde, erriet er, daß Macoch der Mörder des Waclaw sei. Aus Mitleid für denselben habe er nach Sieradz an seinen Vater folgendes Telegramm geschickt: ›Warschau, Chlodna 68, Jezewski, Gevatter möge verreisen, es droht Gefahr 31, Stach!‹ Er bat seinen Vater, diese Depesche nach Warschau zu senden. Die Zahl 31 bedeutete die Nummer des Droschkenkutschers, der als erster die Polizei von der Geschichte mit dem Sofa in Kenntnis gesetzt hatte. Die Depesche unterzeichnete Starczewski mit seinem Taufnamen, damit die Polizei nicht wissen solle, daß sie von ihm stamme.

Starczewski leugnet, an den Diebstählen von Klostergeldern teilgenommen und mit Macoch und Olesinski gemeinsame Sache gemacht zu haben. Er leugnet auch, beim Schlosser Jakob Starczewski Schlüssel zum Klosterschatz bestellt zu haben. Von Olesinski und dem verstorbenen Gawelczyk habe er bloß zum eigenen Bedarfs Geld erhalten. Schnaps, Kognak, Wein und andere Sachen habe er mit Wissen Rejmans bekommen, der ihm auch Geld zur Reise ins Ausland gegeben hätte. Starczewski behauptet ferner, nur eine Geliebte besessen zu haben, die ihn jedoch nichts kostete, da sie wohlhabend gewesen sei.«

Die Anklageakte richtet sich in ihrer Gesamtheit gegen nachstehend benannte Haupt- und Nebenpersonen: »Gegen die Mönche des Paulinerordens auf dem Jasna Góra in der Stadt Czenstochau Damazy (weltlich Kaspar) Pawel Macoch, 38 Jahre alt; Isidor (weltlich Stanislaw Andrzej) Lukasz Starczewski, 38 Jahre alt; Bazyli (weltlich Josef) Hilary Olesinski, 45 Jahre alt; die Bürgerin von Czenstochau Katarzyna Helena Macoch, 27 Jahre alt; den Bürger von Czenstochau Franciszek Damazy Blaszikiewicz, 50 Jahre alt; den Bürger von Sieradz Josef Pertkiewicz, 39 Jahre alt; den Bürger von Warschau Luciusz Cyganowski, 27 Jahre alt, und den Bauer der Gemeinde Grabowka des Czenstochauer Kreises Wincenty Pianko, 48 Jahre alt. Von den Angeklagten sind bloß Olesinski und Cyganowski auf freiem Fuße verblieben. Begründet ist die Anklage gegen Damazy Macoch, ›weil er, sich schon vorher mit dem Gedanken tragend, seinen Cousin Waclaw Macoch zu ermorden, diesen aus Warschau nach seiner Zelle im Czenstochauer Kloster berufen und ihm in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli 1910 im Schlafe mit einer Axt eine tödliche Wunde beigebracht hat, so daß Waclaw starb‹.

Pianko, Blaszikiewicz, Helene Macoch und Starczewski sind angeklagt, daß sie, ohne an dem Morde direkt beteiligt gewesen zu sein, jedoch von den das Verbrechen begleitenden Umständen unterrichtet, sowohl das Verbrechen selbst, als auch die an demselben beteiligten Personen zu verbergen suchten und zwar in folgender Weise: Pianko, weil er am zweiten Tage nach dem Morde, gemeinsam mit Damazy und Zalóg, das Sofa mit der Leiche des getöteten Waclaw Macoch in seiner Droschke nach dem Dorfe Zawady, Kreis Nowo-Radomsk, gebracht, wo er dasselbe in einen Wassergraben geworfen und alsdann Damazy und Zalóg nach Nowo-Radomsk gefahren hat. – Blaszikiewicz, weil er am Tage des Mordes zusammen mit Zalóg das Sofa aus dem Klosterkorridor nach der Zelle Macochs getragen und nach Hineinpackung des Leichnams wieder hinaus geschafft hat. Helene Macoch, weil sie von dem am 13. Juli in Warschau eingetroffenen Damazy Macoch den Mord erfahren, aber sowohl dem Damazy, als auch dem Zalóg Unterkunft gewährt und auch noch später beide bei sich und bei ihrer in Szreniawa befindlichen Schwester bis zur Ermittlung und Verhaftung Macochs verborgen hat. Starczewski, weil er am 20. September 1910 von der Aufdeckung des Mordes erfahren und an Damazy Macoch durch Vermittlung seines Vaters in Sieradz eine Depesche geschickt hat, in der er ihn vor der drohenden Gefahr warnte. Außerdem verheimlichte er den Aufenthaltsort des Damazy Macoch und des Zalóg. Starczewski und Macoch, weil sie nach vorherigem Einverständnisse in der Zeit von 1908 bis 1910 aus der verschlossenen Schatzkammer des Klosters Jasna Góra ungefähr 9000 Rubel gestohlen haben, wobei sie sich nachgemachter Schlüssel bedienten. Pertkiewicz, weil er, ohne am Raube direkt beteiligt zu sein, aus eigennützigen Gründen dabei behilflich war, die Schlüssel zur Schatzkammer anzufertigen. Helene Macoch, weil sie, ohne an der Beraubung der Schatzkammer direkt teilgenommen zu haben, Nutzen aus dem entwendeten Gelde zog, obwohl sie wußte, aus welcher Quelle Damazy das Geld schöpfte. Bazyli Olesinski, weil er in den Jahren 1907 bis 1910 mit Vorbedacht aus der Schatzkammer des Klosters 2000 Rubel stahl. Bazyli Olesinski und Damazy Macoch, weil sie am 16. September nach gegenseitiger Übereinkunft aus der Zelle des verstorbenen Paters Bonaventura Gawelczyk diesem gehörige Pfandbriefe im Betrage von 5000 Rubeln entwendeten. Derselbe Macoch, weil er im Jahre 1909 in Czenstochau aus Eigennutz folgende Fälschungen beging: a) sein Heiratszeugnis, ausgestellt unterm 20. April 1909 sub Nr. 35 über die am 10. Februar erfolgte Trauung mit Helena Katarzyna Krzyzanowska unter seinem anderen Taufnamen Kaspar; b) seinen eigenen Totenschein, datiert vom 24. Mai 1910 sub Nr. 76, ebenfalls auf denselben Vornamen Kaspar lautend, mit der Bescheinigung darüber, als ob sein Tod am 22. Februar 1909 erfolgt wäre. – Hierbei habe er zu beiden Zeugnissen ein falsches Siegel des Standesamtsbeamten der Gemeinde Parzymiecki benutzt. Helene Macoch, weil sie, ohne direkt an der Fälschung dieser Zeugnisse teilgenommen zu haben, in Warschau sich wissentlich unter solchem Namen polizeilich anmelden ließ. Cyganowski, weil er im Jahre 1909 in Czenstochau, im Widerspruch mit den bestehenden Gesetzen, ein nachgemachtes Amtssiegel des Standesbeamten der Gemeinde Parzymiecki auf direkte Bestellung des Damazy Macoch anfertigte, obwohl er davon wußte, daß Macoch nicht der Propst dieser Gemeinde sei, und infolgedessen zu dieser Bestellung keinerlei Recht besitze ...«

Schließlich sei der Anklageakte noch entnommen: »Bazyli Olesinski gestand seine Schuld nicht ein, indem er erklärte, daß sie in der Zelle des Bonaventura Gawelczyk nur 1500 Rubel gefunden und diese Summe dem Rejman übergeben hätten. Drei Tage später habe Bazyli unter den Dokumenten Gawelczyks ein Deposit gefunden, in dem die Summe von 20 000 Rubeln genannt war. Dieses Testament habe er Rejman ausgehändigt. Wenn Damazy von dem Diebstahle von 5000 Rubeln erzählte, so habe er das Geld wahrscheinlich selbst entwendet, und jetzt wolle er ihm die Schuld zuschreiben. Er, Bazyli, habe niemals Geld gestohlen und nie welches dem Starczewski oder Macoch gegeben. Er teilte höchstens in seiner Eigenschaft als Kustos des Klosters Beträge aus, und zwar nie mehr als zehn Rubel. Nur einmal habe er im Auftrage des Priors Welonski dem Macoch fünfzig Rubel gegeben, als nämlich Damazy zur Hochzeit der Helene mit Waclaw abreisen wollte. Im übrigen habe er als Kustos das Recht gehabt, Beträge bis zu zehn Rubeln zu verabfolgen.

Jusefat Pertkiewicz leugnet, an dem Kirchendiebstahle teilgenommen zu haben, und gab folgende Erklärung ab: Im Frühjahre 1903 habe ihn der Geistliche Isidor Starczewski zu sich in die Zelle gebeten, um ihm dort in Gegenwart des Macoch den Auftrag zu erteilen, daß er Schlüssel zu dem Zimmer nachmache, in dem sich die Klostergelder befanden. Starczewski hätte ihm dabei einen Wachsabdruck mit dem Bemerken überreicht, daß er die Schlüssel wegen Prüfung der Rechnungen benötige. Hierauf habe er, Pertkiewicz, die Schlüssel bei einem gewissen Kasprzyk anfertigen lassen. Kasprzyk habe von Starczewski für den Schlüssel achtzehn Rubel erhalten, nachdem ihm eine Anzahlung von fünf Rubeln ausgefolgt worden war.

Der Graveur Lucjusz Cynganowski war geständig, den unter den Sachen Macochs gefundenen Stempel hergestellt zu haben, er könne sich jedoch der näheren Umstände nicht mehr entsinnen. Er wäre insofern im Rechte gewesen, als er doch nicht wissen konnte, daß der Besteller nicht der Propst der Gemeinde Parzymiecki sei.

Macoch widerrief nach sechsmonatiger Gefängnishaft in Petrikau seine Aussagen in bezug auf den systematischen Diebstahl von Klostergeldern, sowie des Diebstahls von 5000 Rubeln aus der Zelle des Mönches Gawelczyk, indem er angab: ›In der ersten Aussage habe ich unrichtige Behauptungen aufgestellt und den Isidor Starczewski, Bazyli Olesinski und Jusefat Pertkiewicz verleumdet. Ich tat dies aus Furcht, man werde mich des Diebstahls der Krone und des Perlenkleides am wundertätigen Muttergottesbilde beschuldigen. Deshalb gestand ich, Klostergelder und 5000 Rubel aus der Zelle des Gawelczyk entwendet zu haben. Olesinski und Starczewski klagte ich an, weil sie meine Freunde waren, während Pertkiewicz wieder zu den guten Bekannten des Starczewski zählte. Von dem Diebstahle der Klostergelder und der 5000 Rubel aus der Zelle Gawelczyks weiß ich überhaupt nichts. Für Helene Macoch habe ich Messegelder ausgegeben. Solcher Gelder habe ich 22 000 Rubel empfangen; für 8000 Rubel habe ich Messen zelebriert.‹ Macoch gestand ferner, Stempel des Zivilstandesbeamten der Gemeinde Parzymiecki mit Hilfe einer zweiten Person gefälscht zu haben. Die Trauakten mit Helene Macoch und die Akten über seinen eigenen Tod habe er eigenhändig gefälscht. Die Ursachen des kategorischen Widerrufs der Aussagen Macochs fanden bald ihre Aufklärung.

Am 21. August 1911, als die Voruntersuchung bereits beendet und die Dokumente der Staatsanwaltschaft zugeschickt worden waren, traf ein in polnischer und lateinischer Sprache abgefaßter Brief in Czenstochau ein, der folgenden kurzen, anonymen Vermerk trug: ›Dieser Brief wurde zufällig vor zwei Monaten am Petrikauer Gefängnis gesunden, und da er aller Wahrscheinlichkeit nach die im Gefängnisse befindlichen Personen betrifft, so wird er an den zuständigen Ort abgeschickt.‹Nach Besichtigung des Briefes und einer Prüfung durch Sachverständige, stellte es sich heraus, daß der Brief von Isidor Starczewski an Damazy Macoch geschrieben worden war. Starczewski gestand, mit Macoch korrespondiert zu haben. In dem gefundenen Briefe sagte er unter anderem: ›Eine Anklage gegen dich habe ich nie erhoben, hauptsächlich, was die Schlüssel betrifft. In Krakau betrog man dich, ich sagte bloß, daß du sie geküßt hast. Diese Aussage kann man leicht zurückziehen, wenn man hinzufügt, daß es nach der Hochzeit geschehen ist. Den einen Schlüssel hat Pertkiewicz, den zweiten ein anderer angefertigt. Man sollte sich deshalb mit Pertkiewicz verständigen, daß er die Schlüssel machte, doch in Unkenntnis ihrer Bestimmung. Pertkiewicz wird auf diese Weise freigesprochen werden. Du mußt so aussagen, wie ich dir schon vorher schrieb. Das Wort ›Diebstahl‹ soll nicht fallen, anstatt dieses müßte man sagen: ›für Messen, Lotterie, Zinsen usw.‹, kurz, ich bitte dich, ändere alles, so wie ich dir im vorigen Briefe riet. Ich flehe dich nochmals im Namen aller Heiligen an, ziehe deine Aussagen zurück, du wirst glückselig sein, und dadurch wird mir geholfen. Ich empfehle dich dem Schutze des Herzens Jesu an, Gott sei dir gnädig und möge dir Mut geben, die heroische Tat, um die ich dich bitte, auszuführen. Dem Pertkiewicz schrieb ich auch und entwarf ihm den Plan der Verteidigung.‹ Der Chef des Gefängnisses, Wladislaw Grabski, und der ältere Gefängnisaufseher, Joachim Prut, nahmen hierauf in der Zelle Starczewskis eine Revision vor, wobei in den Socken hinter dem Bette achtunddreißig Briefe entdeckt wurden. Starczewski fiel vor Grabski auf die Knie, küßte ihm die Hände und bat ihn, die Briefe zu vernichten, da er sonst verloren sei. Es stellte sich heraus, daß Damazy Macoch siebzehn, Pertkiewicz sechzehn und Starczewski fünf Briefe geschrieben hatten.

Die Korrespondenz dauerte vom 6. Mai 1911 bis zum letzten Verhöre Damazy Macochs. Dieser schrieb an Starczewski, daß er bereit sei, seine Aussagen zurückzuziehen, doch bat er gleichzeitig, für ihn günstig auszusagen. Starczewski möge unter anderem vor Gericht ponieren, daß Macoch seinen Vetter geliebt, ihn materiell unterstützt und ihm das Beste gewünscht habe, Er bat ferner, Starczewski möge von der Verschwendungssucht der Helene erzählen, und daß sich Macoch glücklich gefühlt hätte, als sie heiratete.

Die Korrespondenz zwischen Starczewski und Pertkiewicz betraf gleichfalls die gegenseitige Verständigung bezüglich der vor Gericht abzulegenden Aussagen.

Die Angeklagten rechtfertigten sich rücksichtlich der geschilderten geheimen Korrespondenz folgendermaßen: Starczewski, daß er den dem Staatsanwalts zugeschickten Brief tatsächlich an Macoch geschrieben habe, doch wisse er nicht, ob das Schreiben diesem zugestellt worden sei. In den konfiszierten Briefen habe es sich nur darum gehandelt, daß ihre Aussagen gleichlautend seien. Pertkiewicz bestritt, an Starczewski oder Macoch geschrieben zu haben. Macoch war geständig, gab an, daß er nur auf die Bitten des Starczewski seine erste Aussage widerrufen habe, und stellte diese wieder her.

In den konfiszierten Briefen befand sich das rätselhafte Wort: ›aur‹. Macoch erklärte, daß dieser Ausdruck jene goldenen Münzen bedeute, welche Helene bei ihrer Verhaftung abgenommen worden seien. Er habe die gedachten Münzen aus der Schatzkammer entwendet und sie Helenen geschenkt, ohne ihre Herkunft zu verraten. Helene sagte, daß ihr Macoch die Münzen heimlich in ihre Schatulle gelegt hätte ...«

Die Anklageakte schließt: »Stanislaus Zalóg ist entflohen und wird von der Polizei steckbrieflich verfolgt ... Obige Vergehen fallen unter folgende Paragraphen des Strafgesetzbuches: Damazy Macoch III. Teil, § 1453, 13; II. Teil, § 225, 13 und 3 III. Teil, § 1655; I. Teil, §§ 294, 296. – Piank Blasikiewicz, § 1453, 14 und 3; Helene Macoch, § 1451, 14 und 3, § 1453,14 des II. Teiles, § 294, I. Teil; Isidor Starczewski, § 1453, 14 und 3, § 225, II. Teil; Pertkiewicz LE Teil, § 225, 13; Bazyli Olesinski, I. Teil, § 297.

Laut § 1308 werden die Angeklagten dem Petrikauer Bezirksgericht zur Aburteilung übergeben.

15. Oktober 1911.

Der Gehilfe des Staatsanwaltes:
Katlanowski


Der Beginn des Prozesses wurde auf den 27. Februar 1912 angesetzt. Die sonst sehr ruhige Stadt Petrikau wurde infolgedessen schon Wochen vorher von Fremden und Berichterstattern der internationalen Presse überschwemmt. Die Konsuln sämtlicher europäischen Staaten baten um reservierte Plätze. Ferner erhielt das Petrikauer Bezirksgericht aus Petersburg die amtliche Verständigung, daß der päpstliche Nuntius in Petersburg dem Prozesse als Vertreter des Vatikans anwohnen werde. Da der Gerichtssaal sehr klein ist, konnten bloß 150 Einlaßkarten für Sitzplätze verabfolgt werden, von denen 25 der Presse zugestanden wurden. Die Stadt geriet in ein förmliches Fieber, je näher der Termin heranrückte. Es kursierten Gerüchte, daß der Prozeß Enthüllungen über die Verbindung der Mönche mit einzelnen Mitgliedern der »Ochrana« bringen werde. Das Präsidium erhielt daher ganz bestimmte Weisungen.

Die Verhandlung begann programmäßig am 27. Februar um 11 Uhr 50 Minuten mittags. Vorher waren unter polizeilicher Eskorte drei Wagen vorgefahren, in deren erstem Damazy saß, im zweiten Starczewski, im dritten Helene. Die übrigen Angeklagten folgten zu Fuße. Um halb Zwölf betreten Soldaten mit gezogenen Säbeln den Gerichtssaal. Zuerst wird Pianko sichtbar, der Kutscher, der die Leiche nach dem Wassergraben gefahren hatte. Er erscheint bitterlich weinend. Durch das Publikum geht eine starke Bewegung, obwohl der Kutscher der gewöhnliche Typus des russischen Pferdelenkers ist, robust, unintelligent, mit tiefblauer Schnapsnase. Er schluchzt derart, daß ihm der Rechtsanwalt Swendzicki unausgesetzt Trost zuspricht. Dann folgt Helene. Die einst imposante Frau ist ein Schatten geworden. Müde, abgezehrt und bleich, schreitet sie langsam der Anklagebank zu. Mit ihrem gescheitelten Haar, ihrem schwarzen Kleide, schwarzen Schleier und ebensolchem Tuche wirkt sie fast unheimlich. Damazy, der hierauf eintritt, enttäuscht. Ein kleines, unansehnliches, mageres Männchen in schwarzer Kutte, verneigt er sich vor dem Publikum, das kein Auge von ihm wendet. Starczewski, der sich in der Hast einen Schnurrbart wachsen ließ, macht einen abstoßenden Eindruck. Er sieht wie ein Landstreicher aus. Alles an ihm ist roh und ungeschlacht. Er bedeckt sein Gesicht mit einer Hand, um den neugierigen Blicken zu entgehen. Cyganowski, kaum daß er sich neben Olesinski niedergelassen, ruft dadurch große Aufregung hervor, daß er einen epileptischen Anfall erleidet und mit einem Aufschrei zu Boden sinkt. Soldaten tragen ihn hinaus.

Im Saale herrscht größte Spannung, als ein Gerichtsdiener das Erscheinen des Gerichtshofes ankündigt. Unter Vortritt des Präsidenten Wolkow, eines bejahrten, vielerfahrenen Mannes, von dem man weiß, daß er mehrere Sprachen vollkommen beherrscht und ein sehr guter Jurist ist, erscheinen die Beisitzer Alexandrow, Pawlowitsch, Gubski und die von der ersten Kriminalabteilung abgeordneten Referendare Orlowski und Salatejew. An Stelle des Prokureurgehilfen Katlanowski, der wegen eines ihn ans Bett fesselnden Fußleidens die von ihm verfaßte Anklage nicht selbst vertreten kann, nimmt der öffentliche Ankläger Niedwiecki am Gerichtstische Platz. Zehn Minuten vor zwölf Uhr mittags erklärt Wolkow die Sitzung für eröffnet. Sofort erhebt sich der Verteidiger der Helene Macoch und des Cyganowski, vereidigter Rechtsanwalt Korwin-Piotrowski, und beantragt angesichts des für die katholische Welt höchst unerquicklichen Verfahrensgegenstandes den Ausschluß der Öffentlichkeit. Der Präsident unterbricht ihn mit der Bemerkung, daß vor Erörterung dieser Frage noch einige Formalitäten zu erledigen seien. Trotzdem erhebt der Staatsanwalt sogleich gegen den Antrag Einspruch. Der Präsident läßt eine Debatte nicht zu, indem er an die Angeklagten die üblichen, ihre Person betreffenden Fragen stellt. Damazy antwortet mit tonloser, Helene mit helltönender Stimme, Starczewski sehr energisch. Olesinski blickt immerwährend gutmütig-lächelnd drein. Cyganowski ist noch immer abwesend. Helene weiß auf die Frage nach ihrer Beschäftigung im ersten Augenblick nicht zu antworten. Dann erklärt sie, daß sie einer bestimmten Beschäftigung nicht nachgegangen sei, sondern im Hause der Eltern gelebt habe. Es erweist sich, daß von den 120 geladenen Zeugen 21 nicht erschienen sind. Die Verteidigung befürwortet die Inangriffnahme trotz der fehlenden Auskunftspersonen.

Nun kommt es zu dem bereits eingeleiteten heißen Wortkampfe wegen Ausschlusses der Öffentlichkeit. Advokat Korwin-Piotrowski spricht sich energisch gegen die Verhandlung bei offenen Türen aus, da der Prozeß sozusagen ein Gericht über die katholische Geistlichkeit darstelle. Es würden unschöne Enthüllungen ins Publikum dringen, welche die breiteren Volksmassen nicht erfahren sollten, und das sei ein harter Schlag für die Kirche. Übrigens handle es sich auch um die Ehre eines Weibes.

Der Ankläger Niedzwiecki entgegnet, daß der von der Verteidigung zur Rechtfertigung des Antrages angezogene Artikel des Gesetzbuches auf den vorliegenden Fall nicht zutreffe. Der Prozeß sei daher öffentlich zu verhandeln.

Advokat Nowicki schließt sich seinem Kollegen Korwin-Piotrowski an und erklärt mit erhobener Stimme, daß durch den Macoch-Prozeß der ganze Katholizismus beleidigt werde. Das religiöse Empfinden jedes Katholiken empöre sich gegen die öffentliche Verhandlung. Die Frage, die hier entschieden werden solle, betreffe lediglich Katholiken, und es gehe nicht an, daß die Presse die Enthüllungen breittrete. Die Autorität der katholischen Kirche werde durch diesen Prozeß in unerhörter Weise herabgesetzt.

Nun erhebt sich auch der Verteidiger Kazimierz Rudnicki und erklärt sich mit seinen beiden Kollegen einer Ansicht. Bloß der Verteidiger Damazy Macochs, Kleyna, plädiert überraschenderweise für die Verhandlung bei offenen Türen.

Um halb ein Uhr zieht sich der Gerichtshof zur Beratung zurück und verkündet bereits nach zehn Minuten, daß er die Öffentlichkeit des Verfahrens beschlossen habe.

Die Verlesung der Anklage währt von halb zwei Uhr nachmittags bis halb fünf Uhr. Um dreiviertel fünf Uhr beginnt das Verhör der Angeklagten.

Zuerst wird Damazy vernommen. Auf die Frage des Präsidenten, ob er sich der Ermordung seines Vetters schuldig bekenne, antwortet er mit lauter, erregter Stimme, indem er seine rechte Hand ans Herz drückt: »Ich bekenne mich schuldig, ihn ermordet zu haben. Nicht aber mit Vorbedacht, wie behauptet wird, sondern in einem Zustand höchster Erregung, in einem wahnsinnähnlichen Zustande, der mich der Sinne vollständig beraubte. Waclaw überhäufte mich mit Schmähworten und versetzte mir einen Schlag ins Gesicht. Da glaubte ich, die Decke stürze über meinem Haupte zusammen, man gieße mir siedendes Wasser ins Gesicht. Ich griff nun zur Axt und brachte ihm tödliche Wunden bei.«

Da Macoch in polnischer Sprache aussagt, das Gericht aber russisch amtiert, wird der Dolmetsch Wasserzweig zur Übersetzung aufgefordert.

Der Präsident verlangt nun eine genaue Schilderung der Mordtat, worauf Damazy sich über seine Beziehungen zu Waclaw verbreitet. Er erzählt, daß er von Waclaw unausgesetzt um Geld angegangen worden sei, und daß sich Waclaw das Leben zu nehmen drohte, als er (Angeklagter) nichts mehr geben zu wollen erklärte. Um Waclaw zu beruhigen, sandte er ihm abermals Geld, schlug ihm aber dann vor, zu heiraten. Er stellte ihm zu diesem Zwecke die Helene Krzyzanowska vor, mit der sich Waclaw auch wirklich verlobte. Bis dahin seien seine Beziehungen zu Waclaw sehr freundschaftliche gewesen. Dann kam es jedoch durch die Eifersüchteleien Waclaws zur Entzweiung. Damazy gibt zu, Helene geliebt zu haben, doch wäre diese Liebe rein platonischer Art und die Eifersucht des Vetters unbegründet gewesen. (Allgemeine Heiterkeit.) »Es ist wahr,« ruft Macoch aus, »ich habe einige Tage vor dem Morde Waclaw ins Kloster gerufen, doch bedauerte ich es bald, denn er war sehr zänkisch und machte mir Vorwürfe, daß seine Frau mit anderen Männern Verkehr pflege. Auch verlangte er Geld. Ich befand mich in einem Zustande höchster Erregung und bat ihn mehrmals, mich in Ruhe zu lassen. Er belästigte mich aber unausgesetzt. Es war neun Uhr abends, als wir uns schlafen legten. Ich lag bereits im Bette, als er aus seinem Zimmer, halbangekleidet, an mein Bett trat, sich auf einen Stuhl niederließ und mit mir ein Gespräch anknüpfen wollte. Ich ersuchte ihn, mich nicht wieder zu stören. Dann verlangte er Wein. Ich erfüllte seinen Wunsch und gab ihm, als er zu nörgeln anfing, recht. Wir tranken beide Wein, dann wurde er grob, nannte mich ›Smarkacz‹ d. h. Rotzbube, Gelbschnabel. und versetzte mir einen Schlag ins Gesicht. Ich stand wie vom Blitz getroffen. Ich weiß nicht, was da mit mir geschehen war. Er flüchtete in das andere Zimmer. Als ich allein war, kamen mir alle die Wohltaten ins Gedächtnis, die ich ihm erwiesen. Meine Erregung war furchtbar. Ich griff zur Axt und stürzte mich auf ihn. Ob er geschlafen, ob er überhaupt gelegen oder gesessen hat, das alles weiß ich heute nicht mehr. Ich war wie betäubt … «

Das Verhör Macochs endet mit der Erörterung der Diebstähle. Er gesteht, aus dem Nachlasse Gawelczyks 5000 Rubel entwendet zu haben, von denen er 2000 dem Bazyli gab.

Pianko beteuert seine Unschuld. Er erzählt, daß er keine Ahnung von dem schauerlichen Inhalte des Kastens besessen habe. Er sei von Zalóg gemietet worden. Als die Leiche in den Teich geworfen wurde, rief der Angeklagte entsetzt aus: »Herr des Himmels, was wird da gemacht!!?« Darauf habe der Pater gerufen: »Ruhig, das geht dich nichts an!« Präsident: »Warum haben Sie aber der Polizei nichts mitgeteilt?« Angeklagter: »Aber, wie konnte ich denn? Der Pater hat es mir verboten, ich mußte schwören! Und habe ich es mir überhaupt denken können, daß der Pater den Mord begangen hat? (Weint.) Ich dachte, es sei eine heilige Sache!« (Macoch unterdrückt ein Lächeln.)

Der Schlosser Blaszkiewicz erklärt sich kurz und bündig für nichtschuldig. Bei ihm sei ein Schlüssel bestellt worden, den er auch angefertigt habe.

Helene Macoch beantwortet die Frage, ob sie sich schuldig bekenne, mit einem bestimmten »Nein«. Sie erweist sich schon jetzt als die eindrucksvollste Persönlichkeit. Nach ihrer Erklärung läßt sie sich nieder, indem sie für später nähere Auskünfte in Aussicht stellt. Die Frau hüllt sich sodann wieder in ihr schwarzes Tuch, über das der lange schwarze Schleier herabhängt.

Um 6 Uhr 15 Minuten wird mit den Zeugenverhören begonnen.

Zeuge Dr. Henryk Jasienski, K. K. Polizeikommissär aus Krakau, erzählt, daß er am 7. Oktober telephonisch in Kenntnis gesetzt wurde, es werde mit einem Zuge aus Trzebina ein Geistlicher aus Czenstochau, namens Damazy Macoch kommen, der zu verhaften sei. Bei Ankunft des Zuges begab er sich auf den Perron und forschte nach Macoch. Es stiegen mehrere Geistliche aus, die er alle kannte. Fremd war ihm nur Macoch, weshalb er denselben stellte. Macoch gestand auf dem Polizeiamte, daß er Waclaw im Schlafe ermordet habe. Als aber dann der russische Pristaw Polizeibeamter, Aufseher. Wasilij Arbuzow eingetroffen war, schwächte Macoch sein Geständnis ab und wollte glauben machen, daß er seinen Vetter im Affekte getötet habe. Die Axt habe er öfters zum Holzzerkleinern benötigt und daher in seiner Zelle aufbewahrt. Im Verkehre mit Helene 20 000 Rubel verpraßt zu haben, gab er zu, die Beraubung des Muttergottesbildes leugnete er jedoch.

Zeuge Wasilij Denisow, früher Pristaw des ersten Polizeibezirks in Czenstochau, schildert, wie er die Spur Macochs verfolgt hat. Da er mittlerweile mit Banditen gemeinsame Sache gemacht hatte, befindet er sich in Haft und wird von den zwei Soldaten, die ihn gebracht haben, wieder weggeführt.

Zeuge Konstanty Czesnakow, Polizeimeister in Czenstochau, erzählt, was für Schwierigkeiten ihm seitens des Priors Rejman in den Weg gelegt wurden, als er die Auslieferung des Kassabuches von Jasna Góra verlangte. Weder der Prior, noch der Finanzverwalter des Klosters hatten Lust, das wichtige Buch auszufolgen. Erst als sich der Gouverneur ins Mittel legte, gab der Prior nach. Zeuge wies der Helene das Bild der Leiche vor, und er könne behaupten, daß die Frau eine bloß gespielte Bestürzung zur Schau getragen habe. Darüber entspinnt sich eine scharfe Kontroverse zwischen dem Polizeimeister und Rechtsanwalt Korwin, der endlich unter großer Bewegung des Publikums ausruft: »Ich erkläre, daß die Behauptung des Zeugen seine subjektive Auffassung ist.«

Der Droschkenkutscher Josef Polis bestätigt, daß er Damazy und Helene auf ihrer Flucht in seinem Wagen gefahren habe. Auf die Frage eines der Verteidiger, wie sich die beiden benommen hätten, erwiderte der Kutscher unter allgemeiner Heiterkeit, in die auch Helene und Damazy einstimmen, daß sie sich geküßt hätten.

Unter den nichterschienenen Zeugen befindet sich der Exprior Euzebjusz Rejman, obwohl derselbe seinerzeit sein bestimmtes Eintreffen in einem an den Präsidenten gerichteten Brief in Aussicht gestellt hatte. Es heißt, daß er in Rom Buße tun müsse. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, seine in der Voruntersuchung gemachten Aussagen zu verlesen. Prior Rejman erklärte damals, daß er nach seinem Amtsantritte bestrebt gewesen sei, die Mönche zu strenger Zucht und Ordnung anzuhalten. Nach den geltenden Vorschriften hätten die Paulanermönche bescheiden, in Armut und Enthaltsamkeit zu leben. Als er später jedoch auf Reisen gegangen sei, hätten die Mönche die Nächte im Spiel verbracht, Geld wurde den Klosterkassen infolge mangelhafter Kontrolle entnommen und im Kloster Orgien gefeiert. Die Mehrzahl der Mönche habe sich den wildesten Ausschweifungen hingegeben. Macoch habe wiederholt in Abbazia, Wien, Warschau und Krakau geweilt. Die Geldmittel standen den Mönchen aus den reichen Pilger- und Messegeldern sowie aus den Fonds des Klosterschatzes in genügender Menge zur Verfügung. Pater Macoch und Pater Starczewski unterhielten offenkundige Liebesverhältnisse mit Frauen. Wiederholt nahmen sie Frauen in ihre Zellen, verkehrten in liederlichen Häusern, fuhren nach Warschau, wo sie ihren Lebenswandel fortsetzten. Die Frauenzimmer stammten aus den besten Kreisen, aber die Brüder begnügten sich auch mit den Bauermädchen der Umgebung. Der Exprior gibt zu, daß er den Mönchen viel Freiheit gelassen, daß er aber den ganzen Umfang ihres Treibens nicht gekannt habe.

Nun wurden die von der Staatsbehörde zitierten Erhärtungszeugen, durchwegs Klostergeistliche, vorgerufen. Sie waren zwar erschienen, aber ihre Aussagen zeigten eine ganz auffallende Zurückhaltung, die das Ausbleiben des Expriors erklärlich machte. Man merkte, daß mittlerweile ein höherer kirchlicher Einfluß auf diese Zeugen eingewirkt habe.

So wird der Pater Pius Przezdziecki gefragt, was er über die Angeklagten wisse. Zeuge schweigt, um schließlich zum Prokureur zu sagen, daß er nur auf bestimmte Fragen antworten werde. Präsident: »Wie wurde im Kloster die Ablieferung der Spenden gehandhabt?« Zeuge: »Ich weiß es nicht.« Präsident: »Wurden die Messegelder regelmäßig abgeliefert?« Zeuge: »Ja.« Präsident: »Hat Damazy Macoch seine Messegelder auch immer pünktlich abgeliefert?« »Darüber kann ich keinen Aufschluß geben.« Präsident: »Konnte sich Damazy Macoch die von den Wallfahrern eingesammelten Spenden aneignen?« Zeuge: »Das weiß ich nicht.« Präsident: »Schildern Sie mir den Angeklagten Macoch.« Zeuge: »Macoch hatte viele Fehler. Er sonderte sich von seinen Amtsbrüdern ab, und nur Starczewski war sein Intimus. Der Prior Rejman war ihm aber sehr gewogen. Daß sich Macoch und Starczewski gegen die Gesetze vergingen, haben ihre gewöhnliche Herkunft und ihre lückenhafte Vorbildung verschuldet.« Präsident: »Woher nahm Macoch das viele Geld?« Zeuge: »Das weiß ich nicht.« Da der Zeuge fortwährend mit den Antworten zögert und seine in der Voruntersuchung gemachten Angaben widerruft, fragt ihn der Präsident nach der Ursache dieser Widersprüche. Zeuge: »Ich habe in der Voruntersuchung zu viel gesagt.« Präsident: »Was veranlaßt Sie heute, Ihren früheren Aussagen zu widersprechen?« Zeuge: »Unsere katholische Religion verbietet es mir, meine Amtsbrüder zu belasten. Die Unglücklichen, die hier auf der Anklagebank sitzen, verdienen Zuspruch und Unterstützung. Sie zu entlasten, betrachte ich daher als meine Pflicht!« (Bewegung im Saale.) Die Ermahnungen des Präsidenten und sein Hinweis auf die Zeugenpflicht nützen nichts.

Der Paulanermönch Wincenty Olszewicz weigert sich gleichfalls, Erklärungen über das Leben im Kloster abzugeben. Er antwortet sehr vorsichtig und unwillig. Präsident: »Hat Macoch die Funktionen eines Kasseverwalters übernommen?« Zeuge: »Ich weiß es nicht.« Der Präsident und Prokureurgehilfe Niedzwiecki machen den Zeugen aufmerksam, daß er in der Voruntersuchung mehr und williger ausgesagt habe, worauf der Pater, wie sein Vorgänger, zur Antwort gibt: »Ich habe damals zu viel gesagt.« Prokureurgehilfe Niedzwiecki: »Weshalb haben Sie damals ›zu viel ausgesagt‹?« Zeuge: »Ich stützte mich auf bloße Gerüchte.« Präsident: »Sie sprachen also damals nicht die Wahrheit?« Zeuge: »Die Wahrheit kann ich nur dem Prior sagen.« Präsident: »War Macoch oft abwesend?« Zeuge: »Ich weiß es nicht.« Präsident: »Wann werden auf dem Jasna Góra Urlaube erteilt?« Zeuge: »Wenn Vater und Mutter eines der Mönche schwer krank darniederliegen.« Präsident: »Die Väter waren also oft krank!?« (Schallende Heiterkeit.)

Eine schreckliche Illustration des Klosterlebens gab aber eine Szene, die sich in der folgenden Nachmittagssitzung ereignete. Während des Zeugenverhörs erscholl nämlich plötzlich auf der dichtbesetzten Galerie ein markerschütternder Aufschrei. Eine in Nationaltracht gekleidete, etwa fünfundzwanzigjährige Bäuerin hatte sich bis an die Brüstung vorgedrängt und wollte ein bis dahin verborgenes großes Küchenmesser auf den Pater Damazy Macoch hinunterschleudern. Man entwand ihr, während sie Flüche gegen Damazy, als den Räuber ihrer Ehre, ausstieß, das Messer und führte sie in die Inspektionskanzlei ab. Dort gab sie an, Paraschiwa Olechnowska zu heißen und in Czenstochau wohnhaft zu sein. Sie sei eigens nach Petrikau gekommen, damit sie dem Pater Macoch, der sie als sechzehnjähriges Mädchen verführt habe, um sie nach wenigen Jahren mit drei Kindern treulos im Stiche zu lassen, von der Galerie aus das scharfgeschliffene Küchenmesser an den Kopf werfe.

Waclaw Krzyzanowski, der Bruder Helenens, macht sehr interessante Angaben. Als er im Sommer 1910 seine Schwester Helene in Warschau besuchte, erhielt deren Gatte von Damazy die briefliche Aufforderung, in das Kloster nach Czenstochau zu kommen. Waclaw Macoch folgte der Einladung und versprach, in zwei Tagen wiederzukommen, hielt dieses Versprechen aber nicht. Einige Tage später kamen Damazy und Zalóg, worauf er, Zeuge, von Damazy gebeten wurde, mit dem Diener Zalóg spazierenzugehen. Nach anderthalbstündigem Fernbleiben fand er seine Schwester weinend vor. Auf seine Fragen erwiderte sie, der Grund ihres Kummers sei der, daß ihr Mann nach Amerika gefahren sei. Nach zwei Tagen begaben sich Helene, Damazy und Zeuge nach Czenstochau. Unterwegs fiel ihm die seelische Zerrüttung seiner Schwester auf, weshalb er in sie drang, ihm die Wahrheit zu sagen. Da erzählte sie ihm denn, daß Damazy den Macoch erschlagen habe. Präsident: »Was teilte Ihnen die Schwester über den Mord mit?« Zeuge: »Eigentlich nichts.« Präsident: »Wußten Sie, daß Damazy Ihrer Schwester Geld gab?« Zeuge: »Nein.«

Unter gespannter Aufmerksamkeit des Gerichtshofes und des Auditoriums macht hierauf der Verteidiger Helenens namens seiner Klientin ein teilweises Geständnis. Danach räumt Helene ein, mit Damazy ein intimes Liebesverhältnis gehabt zu haben. Dasselbe sei jedoch von ihr gleich nach ihrer Verehelichung gelöst worden. Seitdem hätte sie mit Damazy nicht mehr im Verkehr gestanden. Weiter gibt Helene Macoch zu, daß sie von Damazy wiederholt größere Geldbeträge erhielt. Er habe dafür Sorge getragen, daß sie ein gutes, sorgenloses Leben führen konnte, und habe ihr in Warschau eine Wohnung gemietet, die er luxuriös einrichtete. Helene bestreitet indessen entschieden, daß ihr die unreelle Herkunft des Geldes bekannt gewesen sei.

Zeuge Mieczyslaw Ostrowski las in Warschau gerade einen Zeitungsbericht über den Mord, als er mit Damazy zusammentraf. Dieser rief damals aus: »Gottes Hand wird den Mörder schon erreichen.«

Am fünften Verhandlungstage wurde das Zeugenverhör geschlossen, worauf die ärztlichen Sachverständigen Dr. Szancer und Dr. Grubski zu Worte kamen. Ihre Gutachten widersprachen einander. Während nämlich Dr. Grubski den Standpunkt vertrat, daß die Wunden ihrer ganzen Beschaffenheit nach dem Ermordeten im Schlafe beigebracht worden sein müßten, äußerte sich Dr. Szancer im entgegengesetzten Sinne.

Nach einer Unterbrechung richtet sodann der Ankläger Niedzwiecki an die Angeklagten die Anfrage, ob sie nicht irgendwelche Erklärungen abzugeben wünschten. Rechtsanwalt Korwin-Piotrowski erwidert hierauf, daß seine Klientin ihren Standpunkt im sogenannten »letzten Worte« vertreten werde. Damazy erhebt sich dagegen sofort und sagt: »Ich bin bereit, Erklärungen abzugeben. Pianko wußte nichts von dem Morde. Ich hatte ihm lediglich befohlen, das Sofa auf den Wagen zu laden. Das Gewicht des Koffers konnte ihm nicht bedenklich vorkommen, denn ich behauptete, daß er Bücher enthalte. Zalóg und ich haben die Leiche eingepackt. Bezüglich Starczewskis und Olesinskis wiederhole ich meine früheren Erklärungen, daß nur Starczewski Geld gestohlen hat. Was Pertkiewicz anlangt, so übergab ihm Starczewski die Schlüsselabdrücke und Pertkiewicz fertigte nach den erhaltenen Anweisungen die Schlüssel an. Ich begab mich dann mit Starczewski in die Schatzkammer, und wir nahmen uns Geld.« Angeklagter Starczewski: »Ich bleibe dabei, daß ich unschuldig bin.« Angeklagter Blaszikiewcz: »Ich will jetzt nichts erklären.« Damazy erhebt sich nochmals: »Olesinski hat uns gesagt, wir könnten uns aus der Schatzkammer Geld holen.«

In diesem Augenblicke eilt Olesinski vor den Richtertisch und verlangt eine Konfrontation mit Damazy Macoch. Präsident: »Einem solchen Verlangen braucht Macoch als Angeklagter nicht zu folgen. Vielleicht tut er es aber freiwillig.« Macoch steht auf und geht gleichfalls aus der Anklagebank heraus zum Richtertische. Im Saale herrscht große Bewegung. Alles hat sich erhoben.

Olesinski, dem Mitangeklagten fest in die Augen sehend: »Ich wußte nicht, daß ihr Klostergeld gestohlen habt.« Macoch: »Ohne Olesinskis Mitwissenschaft hätten wir nichts stehlen können.« Olesinski: »Wenn ich Macoch aus Bonaventura Gawelczyks Erbschaft Geld gab, so geschah es, damit er 2000 Rubel wechsle.« Präsident: »Weshalb verlangten Sie dann das Geld nicht zurück?« Olesinski (zögernd): »Ich habe es wohl vergessen.« Ankläger: »Solche Kleinigkeiten vergißt man doch nicht.« (Heiterkeit.) Nun fragt der zweite Ankläger den Damazy, ob er sich jetzt auch nicht herbeilassen wolle, über sein Verhältnis zu Helene Aufschlüsse zu geben. Die Sitzung wird für geheim erklärt, worauf nach russischem Gesetze nicht nur das Publikum und die Preßvertreter, sondern auch die zuhörenden richterlichen Beamten den Saal verlassen müssen. Damazy gestand den intimen Verkehr nunmehr zu.

Nach Erledigung kurzer Formalitäten wurde sodann die Beweisaufnahme geschlossen, der Verteidiger Helenens verlangt aber vorher die nochmalige Vernehmung des Mönches Przezdziecki, den er in ein ungemein scharfes Kreuzverhör nimmt. Er fragt ihn, ob ihm etwas über die Beziehungen Damazys zu politischen Provokateuren (Ochrana!), insbesondere über dessen Verbindung mit dem Spione Rybak, bekannt sei. Der Zeuge erklärt zögernd, daß er davon nur in ausländischen Zeitungen gelesen habe. Im übrigen sei es ihm nicht recht verständlich, was diese Frage mit dem vorliegenden Prozesse zu tun habe. Ohne hierauf einzugehen, charakterisiert Dr. Korwin Macoch als einen aus den niedersten Volkskreisen stammenden Menschen, von dem niemand gedacht hätte, daß er den Aufnahmebedingungen in das Kloster auf dem Jasna Góra entsprechen werde. Offenbar gewähre man dort auch Menschen aus der Hefe des Volkes Aufnahme als Priester. Der Zeuge wendet sich hierauf heftig gegen den Advokaten. Er sei überzeugt, daß Macoch mit dem Spione Rybak nichts zu tun gehabt habe. »Schuld daran ist die spezielle ›Klosterkonstitution‹, die von der Regierung approbiert worden ist. Auf Grund dieser Bestimmungen können vierundzwanzigjährige Männer ins Kloster ausgenommen werden. Ein bestimmter Bildungsgrad wird jedoch nicht vorausgesetzt. Gegenwärtig hat sich die Lage noch kritischer gestaltet, zumal die Kandidaten für das geistliche Amt sich im Kloster nicht aushalten dürfen. Die Zuverlässigkeit des Kandidaten prüfen der Gouverneur, die Gendarmerie und die Subalternbeamten der Polizei. Die Folge davon ist, daß die geistliche Behörde im Kloster nicht in der Lage ist, die moralischen Qualifikationen des Kandidaten kennen zu lernen.«

Hierauf erhebt sich Macoch und erklärt mit erregter Stimme: »Ich verwahre mich entschiedenst gegen die Behauptung, daß ich mit dem Polizeispion Rybak in Beziehungen gestanden habe. Ich kenne den Namen Rybak überhaupt nicht, ich höre ihn hier zum ersten Male. Ich bin zwar tief gefallen, aber Spitzel bin ich nie gewesen. Ich war katholischer Geistlicher, ich liebte das Kloster und sehe meine Tat ein. Als ich aus dem Kloster wollte, hielt mich Prior Rejman weinend zurück, und als ich seinen Bitten nachgab, ernannte er mich zu seinem Sekretär.«

Nachdem das Gericht die bei Helene Macoch gefundenen Kleinodien besichtigt hatte, wurde eine Pause bis drei Uhr nachmittags angesetzt, worauf Prokureurgehilfe Niedzwiecki sein Plaidoyer begann. Er schildert darin die Entdeckung der Mordtat und der Diebstähle und nennt Macoch einen gänzlich verkommenen Menschen, der mit vollem Vorbedacht den schändlichen, grauenhaften Mord an dem ahnungslosen Vetter begangen habe. Er klagt Macoch wegen fünf schwerer Verbrechen an, nämlich wegen vorbedachten Mordes, Heiligtumsschändung, Gelddiebstahls, Fälschung von Dokumenten und Fälschung des Kronpetschafts. Aus seiner Rede sei folgender Passus hervorgehoben: »Die Verübung der genannten Verbrechen in dem altehrwürdigen Jasna Góra-Kloster und die Beziehungen der drei Mönche zu diesen Untaten brachten einen ungeheuren Eindruck auf die polnische Gesellschaft hervor und berührten das gläubige Volk schmerzlich. Der Eindruck mußte um so nachhaltiger sein, als vorher, am 10. Oktober 1909, das Czenstochauer Muttergottesbild um seinen Schmuck beraubt worden war. Das Publikum war so konsterniert, daß es sich von den Zuständen im Kloster überhaupt kein Bild mehr machen konnte. Das ist auch sehr begreiflich. Das Volk glaubte immer, daß die Klosterschätze und Heiligtümer sich in Hut unanfechtbarer, frommer Menschen befänden und mußte es glauben, da ja die alten Chroniken von der Selbstaufopferung, Uneigennützigkeit und den religiösen Heldentaten der Paulaner erzählen. Natürlich bemächtigte sich auch die Presse der bedauerlichen Vorfälle, und in dieser Beleuchtung erhielten sie einen pikanten Beigeschmack. Die Presse bauschte den Macoch-Prozeß zu einem sensationellen Ereignis auf. Ich aber behaupte: Die schändlichen Verbrechen dreier Personen aus der Mitte der Klosterbrüder konnten und können selbstverständlich den festen Glauben der polnischen Gesellschaft an ihre Heiligtümer nicht erschüttern. Jasna Góra wird, wie früher, Hunderttausende von Pilgern, die religiösen Trost suchen, anziehen. Trotzdem muß die Gesellschaft an der Hand der Daten des Prozesses zu dem Schlusse kommen, daß nicht alle Paulanermönche des Czenstochauer Klosters, denen die Heiligtümer anvertraut sind, auf der Höhe ihrer Bestimmung und des Klosterlebens stehen, und daß die Ordnung hinter den Klostermauern gehoben werden muß ...«

Er wendet sich dann gegen den Angeklagten Starczewski und sagt, daß das beste Beweisstück für dessen Schuld ein Tagebuch ist, das man in seiner Zelle fand. Darin heißt es:

»6. Mai. Flüchtig gebetet. Leidenschaftliche Küsse mit einer Frau. Gestern zweimal mit einer verheirateten Frau gesündigt.

3. Juni. Flüchtig gebetet. Geküßt leidenschaftlich.

18. Juni. Flüchtig gebetet. Gestern habe ich am Gottesdienste nicht teilgenommen. Eine verheiratete Frau berührt. Gestern getrunken, ebenfalls vorgestern.

30. Juni. Nur einmal gebetet. Gottesdienst nicht abgehalten. Gesündigt mit der Frau des Bruders. Geküßt, getrunken, geflucht. Am Vorabende des Fasttages im Theater.

5. Juli. Flüchtig gebetet. Gestern überhaupt nicht gebetet. Während des Gottesdienstes war ich unaufmerksam. Ich habe gestern getrunken und bei der Beichte gezittert.

11. Juli. Flüchtig gebetet, getrunken, geflucht.

13. Juli. Flüchtig gebetet, getrunken, geflucht.

2. Oktober. War schon seit mehr als drei Wochen nicht bei der Beichte. Bei der letzten und vorletzten Beichte war ich nicht aufrichtig. Nicht alle Sünden bekannt. Verschwiegen, daß ich mit einer verheirateten Frau gesündigt habe, noch dazu mit der Frau des Bruders. Ohne Aufmerksamkeit gebetet. Während des Gottesdienstes beim Gebet oft versehen. In diesem Zustande oft die Beichte abgenommen. Mehrere Groschen aus der Sakristei genommen.«

Starczewski habe aber auch mit einer gewissen Stefania Maltz ein ständiges Verhältnis unterhalten und derselben »kolossal viel« Geld geschenkt. Er habe ein sehr ausschweifendes Leben geführt, überall Damenbekanntschaften besessen, darunter auch in Sosnowice. Die Frauenzimmer hätten ihn in den Briefen nie anders genannt als »Jaśnie oświecony Andrus« (»Verklärter Lump«).

Dr. Korwin-Piotrowski tritt in beredten Worten für den Freispruch seiner Klientin ein. »Wessen ist Helene Macoch angeklagt?« ruft er aus. »Erstens, den Mörder wissentlich bei sich in Warschau und später bei ihrer Schwester in Szreniawa verborgen gehalten zu haben: zweitens, von Damazy Macoch Geld empfangen zu haben, wobei sie wußte, daß die Beträge aus der Klosterkasse stammten; drittens, bei der Trauung mit Waclaw Macoch gefälschte Dokumente benutzt zu haben.« Dr. Korwin widerlegt jeden einzelnen Punkt und kommt zu dem Schlusse: »Welche Beweise erhärten ihre Schuld? Die Beweislast ruht auf dem Staatsanwalte, der mit dem vom Untersuchungsrichter gesammelten Beweismaterial die Anklage aufbauen soll. Die Verteidigung läuft Sturm und sucht den vom Ankläger errichteten Bau einzunehmen und zu zerstören. Doch im vorliegenden Falle kann ich gar keine Anklage wahrnehmen. Kein Wunder! La plus belle femme du monde ne peut donner plus que ce qu'elle a. Auch der talentvollste Staatsanwalt vermag aus Sand eine Peitsche zu drehen ...«

Verteidiger Chandzynski weist darauf hin, daß sein Klient Olesinski höchstens hätte wegen Veruntreuung angeklagt werden können und nicht wegen Diebstahls. Der Prozeß habe das Gegenteil keinesfalls erwiesen. Er bitte darum, Pater Olesinski im Falle eines Schuldspruches nur wegen Veruntreuung zu verurteilen und die Strafe als durch die Untersuchungshaft abgesessen anzusehen.

Als Verteidiger Starczewskis spricht Rechtsanwalt Rudnicki, der die Verbrechen des Mönches eingehend erörtert. Er gibt zu, daß sein Klient Diebstähle an Klostergeldern begangen habe, da aber durch die gleichfalls vorliegende Kirchenschändung eine höhere Strafe zu gewärtigen sei, dürfe der Diebstahl nicht angerechnet werden. Man möge Starczewski nicht strenger bestrafen als er es verdiene.

Die übrigen Verteidiger plädieren sämtlich auf Freispruch.

Spät abends wurden die Angeklagten zum »letzten Worte« aufgerufen. Damazy Macochs Stimme klingt sicher, aber bewegt, als er sich folgendermaßen äußert: »Meine Herren Richter! Ich begreife vollständig, was ich getan habe. Ich begreife auch, welch' schwere Beleidigung ich dem polnischen Volke zugefügt habe. Ich war katholischer Geistlicher und verging mich schwer gegen die Gesetze. Ich unterwerfe mich jedem Urteil und bitte um Entschuldigung, daß ich beleidigt habe. Ich bitte um eine gerechte Sühne, nur möge sie einen Menschen treffen, der weiß, was er getan. Sonst habe ich nichts mehr zu sagen. Mein Volk, mein Paulanerorden und die katholische Geistlichkeit möge mir verzeihen. Möge man Barmherzigkeit üben, und insbesondere bitte ich mein Volk, es zu tun. Das ist alles, was ich zu sagen habe!«

Isidor Starczewski: »Ich kann nur bestätigen, was mein Anwalt sagte.«

Helene Macoch will ihr »letztes Wort« von einem Blatte Papier ablesen, wird jedoch vom Präsidenten aufgefordert, frei zu sprechen. Mit zitternder, tränenerstickter Stimme sagt sie nun: »Meine Herren Richter! Was soll ich Ihnen erklären? Meine Lage ist so traurig und hilflos, daß sich kaum jemand in meinen Seelenzustand hineinversetzen könnte. Ich bin tief gekränkt worden sowohl als Weib, dem die Ehre geraubt wurde, wie auch als Mutter. Man warf mir einen zügellosen Lebenswandel vor. In einem Briefe Damazys an Starczewski wird dieser gebeten, mich als ein lasterhaftes Weib zu schildern. Und doch weiß Damazy, daß er mich nicht aus dem Kote gezogen, sondern aus guter Familie genommen hat. Was liegt aber ihm daran, mir ein schlechtes Leumundszeugnis auszustellen? Der Verteidiger Starczewskis erzählte, daß dessen Geliebte ihn wirklich geliebt hat, daß sie Starczewski anders liebte, als Helene den Damazy. Habe ich vielleicht um des Geldes willen geheiratet? Habe ich mit Geld um mich geworfen, wie es Damazy tat? Ich habe gespart, und heute befindet sich all mein Geld bei Ihnen, meine Herren Richter. Die Geliebte Starczewskis bittet ihn in einem Briefe, fünfzig Kopeken zu schicken, sie brauche sie für die bevorstehende Geburt ihres Kindes. Der unglücklichen Helene hat aber niemand fünfzig Kopeken in den Kerker geschickt, als sie ihr Kind gebar. Niemand war da, der ihr behilflich sein wollte. Ich muß das wiederholen, was ich bereits bei geschlossenen Türen erklärte. Als ich in meiner Verzweiflung freiwillig aus dem Leben scheiden wollte, da pilgerte ich nach Czenstochau, um mir durch eine Beichte wieder den Frieden zu verschaffen. Dort beichtete ich Damazy, er rettete mich vor dem Selbstmorde, machte mich aber dafür zu seinem Opfer. Seine Seele kennt kein Erbarmen. Ich flehte ihn an, mich freizugeben, da sagte er mir: ›Fahre nach Warschau, dort wird es dir gut gehen.‹ Ist das Liebe?! Er wußte, daß ich kein Geld von ihm annehme, trotzdem verfolgte er mich; auch nach meiner Verheiratung. Und ich liebte so leidenschaftlich meinen Mann, den unglücklichen Waclaw, der ein so herzensguter Mensch war, der mir meine Vergangenheit mit Damazy verzieh, indem er mir tröstend zurief: ›Die Zukunft gehört ja doch dir.‹ Waclaw hat von Damazy nie Geld verlangt. Wozu auch? Er bezog ein Gehalt von sechzig Rubeln, ich hatte monatlich fünfzig Rubel an Zinsen. Wir hatten also genug, um uns das Leben schön einzurichten. Mein Mann hat Damazy nie beleidigt. Die Mißverständnisse zwischen beiden waren kleinlicher Natur, und in meiner Gegenwart kam es nie zu Auseinandersetzungen. Damazy beschimpfte aber Waclaw oft mit den ordinärsten Worten. Er beleidigte ihn sehr oft. Es ist unwahr, daß die Liebe bei diesem Morde eine Rolle spielte. Mißverständnisse hat es zwischen beiden gegeben, bevor ich Waclaw kennen lernte. Die Ursache des Mordes ist mir unbekannt. Und ich bin überzeugt, daß Damazy mit Vorbedacht den Mord verübte, denn zweimal schrieb er Waclaw, nach Czenstochau zu kommen, einmal angeblich – in einer ›wichtigen‹ Angelegenheit. Nach seiner Rückkehr erzählte mir Waclaw, er habe in Damazys Zelle nicht ruhig schlafen können. Bei seiner zweiten Reise ließ mich Waclaw auf Wunsch Damazys in Warschau zurück. Und warum? Weil meine Anwesenheit in Czenstochau Damazy bei seinem Vorhaben hinderlich gewesen wäre. Damazy behauptet, Waclaw hätte in der kritischen Nacht mehrere Glas Kognak getrunken. Das ist merkwürdig, denn der Kognak ist gerade das Getränk, das Waclaw stets gemieden hat. Nach dem Morde fragte sich Damazy wahrscheinlich: ›Was nun mit dem Weibe anfangen?‹ Er telegraphierte mir kurz: ›Wir kommen.‹ Statt Waclaws erscheint Damazy aber in Begleitung seines Dieners Zalóg, und ich muß mich demütigen und mit Zalóg an einem Tische sitzen. Dann sagte er mir: ›Ich habe den Waclaw getötet.‹ Da ich völlig in seinem Banne stand, so konnte ich nicht anders als schweigen. Ein von dem Krakauer Polizeikommissär Jasienski gefundener, an mich gerichteter, aber nicht abgesandter Brief besagt, daß ich mit Damazy nach Amerika reisen solle. Es wurden auch zwei Schiffskarten gefunden. Konnte ich denn nicht mit Damazy fliehen, wenn ich wirklich eine Gefahr befürchtet hätte? Damazy möge angeben, wohin er die 400 Rubel tat, die er Waclaw bei dessen Ermordung abnahm?! Er vermag nicht zu antworten ... Damazy hat mich immer glauben machen wollen, daß ich ein unglückliches Opfer meines Gatten sei, doch er irrte sich. Ich liebte meinen Mann stark und leidenschaftlich; er liebte mich wieder, und ich war glücklich. Wir hatten kein Geheimnis vor einander. Nach der Hochzeit löste ich mein Verhältnis zu Macoch. Und er? Er tötet mit der Axt meinen Mann, um mich wieder besitzen zu können. Er bedrohte und verfolgte mich. Wer konnte mir Schutz gewähren oder Rat erteilen? Mein Bruder war selbst ein Jüngling. Ich befand mich ganz und gar in der Gewalt Damazys. Erst als ich verhaftet wurde, war ich frei. Warum werde ich beschuldigt? Warum hegt man auch nur die Vermutung, ich sei eine Verbrecherin? Ich liebte meinen Mann, und eine Niederträchtigkeit begeht der, der ein schlechtes Wort über Waclaw spricht. Die Drohungen, die Furcht und Verzweiflung des Mörders haben mich seelisch zerrüttet. Nur Gott, dem Damazy vor dem Altäre geheuchelt hat, weiß, daß ich die Wahrheit sage ...«

Die »letzten Worte« der übrigen Angeklagten bestanden bloß in der Erklärung, daß sie den Ausführungen der Verteidiger beipflichteten.

Nach zehntägiger Verhandlung wurde die Urteilspublikation angekündigt. Seit frühem Morgen herrschte in den Straßen Petrikaus lebhaftes Treiben. In den ersten Nachmittagsstunden wurde das Gerichtsgebäude von einer unabsehbaren Menschenmenge umlagert. Der Gerichtssaal selbst füllte sich bis auf das letzte Plätzchen. Im Gerichtshause standen an tausend Menschen Kopf an Kopf. Um drei Uhr strömten sie in den Saal, um halb fünf Uhr tritt endlich Exzellenz Wolkow an der Spitze der Beisitzer ein, um sofort folgendes Urteil zu verlesen: Damazy Macoch, zwölf Jahre Zwangsarbeit und Verlust aller Rechte und Privilegien; Isidor Starczewski, fünf Jahre Arrestantenrotten (Zwangsarbeit) unter Anrechnung der Untersuchungshaft und Verlust aller Rechte und Privilegien; Bazyli Olesinski, zweieinhalb Jahre Arrestantenrotten mit Verlust der Rechte (Olesinski wird gleichzeitig in Haft genommen); Helene Macoch, zwei Jahre Gefängnis mit Verlust besonderer Rechte, unter Anrechnung der Untersuchungshaft; Damazy Blaszikiewicz, ein Jahr Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft; Josef Pertkiewicz, freigesprochen; Lucyusz Cyganowski, sieben Tage Arrest unter Anrechnung der Untersuchungshaft; Wincenty Pianko, vier Monate Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft.

Damazy Macoch tut, als ob er nicht recht gehört hätte. Er mustert wie geistesabwesend den Präsidenten, dann scheint er sich zu besinnen. Er zieht sein Taschentuch und beginnt zu schluchzen. Niemand tröstet ihn. Nicht einmal sein Advokat kümmert sich um ihn.

Helene Macoch, die einen Freispruch erwartet hat, ist in Tränen aufgelöst.

Starczewski verliert auch jetzt seinen stumpfsinnigen Gleichmut nicht.

Olesinski will das Urteil nicht begreifen. Er spricht mit seinem Advokaten und begibt sich dann zum Richtertische, wo er dem Präsidenten sein Befremden ausdrückt.

Pertkiewicz dagegen weint vor Freude, und über das Säufergesicht Piankos gleitet ein breites Lächeln. Cyganowski, der Epileptiker, ist wieder nicht anwesend. Dann werden alle hinausgeführt. Damazy und Starczewski fahren in einem und demselben Wagen zum Gefängnisse. Unterwegs wechseln sie kein Wort. Ihnen folgt Helene. Kaum hat sie den Gerichtssaal verlassen, als sie sich in heftigen Schmähungen gegen Damazy ergeht, den sie als ihr »Unglück« bezeichnet. Und sie schimpft weiter, bis sich die Zellentüre hinter ihr schließt, und sie allein auf der Pritsche sitzt. Pianko, der während der Untersuchungshaft oft Schmähungen über Damazy ausgestoßen und gesagt hatte, daß er nun keinem Geistlichen mehr glauben werde, da man nicht wisse, wer von ihnen nicht »mit dem Teufel im Bunde stehe«, küßt Damazy sofort nach Verlassen des Gerichtssaales, wie gewohnt, demütig die Hand. Damazy kniet in seiner Zelle nieder, kriecht auf den Knien in einen Winkel, schlägt sich auf die Brust und betet laut. Im düsteren Gefängnishofe erwarten zwei Frauen die Freigelassenen und umarmen sie unter Tränen. Pertkiewicz ist einer davon, der sich noch immer vor Rührung nicht fassen kann. Nur Starczewski verharrt in seinem Zynismus. Olesinski erlegt 3000 Rubel Kaution und wird wieder auf freien Fuß gesetzt. Damazy setzt sich dann hin und schreibt an seine Verteidiger nachstehenden Brief:

 

»Herrn vereidigten Rechtsanwalt Dobroslaw Kleyna.

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!

Was das Herz empfindet, bringe ich zu Papier. Ich sah und bewunderte Ihre Arbeit und Ausdauer in meiner Verteidigung. Sie wichen nicht, trotzdem sich Gewitter über meinem Haupte entluden. Alles und alle hatten sich verschworen, mich zu vernichten und zu verdammen, niemand erwies mir Barmherzigkeit; und sogar jenes Weib, jene Geliebte – eine schöne Geliebte! – der ich Herz, Gewissen, Ehre und alles, was ich besaß, geopfert hatte, wählte nicht in ihren Mitteln und setzte der Verdammung per fas et nefas die Krone auf. Ich habe sie nicht einmal verdammt, nein, ich hätte gewünscht, sie völlig frei zu sehen. Wenn es möglich wäre, würde ich noch heute ihre Strafe auf mich nehmen. Es würde mir nicht so furchtbar erscheinen, wenn es die ganze Wahrheit gewesen wäre, aber zur Lüge und Verleumdung Zuflucht zu nehmen, um ein unschönes Ziel zu erreichen, ist schamlos.

Sehr viel kostet mich diese unglückliche Liebe, in der ich Gift gefunden habe. Ich vergaß mich im Leben, ich kam in meiner Verblendung vom rechten Pfade ab und weiß nun ganz gut, daß ich für die begangenen Fehler leiden muß.

Meine Seele, die im weißen Kleide schwarz geworden ist, wird gewiß in der grauen Kutte des Zwangssträflings das weiße Kleid der Unschuld annehmen und rein und weiß dastehen vor Gott. Ich habe alles in Demut und tiefer Ergebenheit vor Gott und im Sinne der Buße hingenommen.

Ich sah, wie schwierig Ihre Aufgabe war, einen so verbrecherischen Menschen zu verteidigen, aber Ihr von Nächstenliebe erfülltes Herz gab Ihnen Mut, und Sie taten nicht nur die Pflicht des Verteidigers, sondern auch die Pflicht des Katholiken. Für Ihre Verteidigung und Ihre Herzensgüte erlaube ich mir, sehr geehrter Herr Rechtsanwalt, ein herzliches und heißes ›Vergelt's Gott!‹ auszusprechen. Mein Dank ist nichtssagend, aber Gott wird Ihnen reichlich vergelten, für jeden Schritt, den Sie in der Verteidigung des Unglücklichen unternommen, sowie dafür, daß Sie ihm die Hand gereicht haben. Hier und dort wird auch der unglückliche Damazy in der Zwangsarbeit Gebete für Sie, verehrter Herr Rechtsanwalt, zum Himmel emporsenden. Achten Sie nicht darauf, daß dies der Zwangssträfling schreibt, der schreckliche Mensch – nein, dies schreibt ein anderer Mensch, ein Büßer, der seine Taten einsieht und schwer büßt. Ich wünsche Sie, verehrter Herr Rechtsanwalt, zu sehen und bitte ergebenst, mir diese Gnade zu erweisen. In Hochachtung küsse ich Ihre würdigen Hände.

Expriester Damazy Macoch.«

 

Daß es Damazy mit der Absicht, seine Verbrechen in der Zwangsarbeit zu büßen, nicht sehr ernst war, bewiesen zunächst Gerüchte und sodann Tatsachen, die eine von der »Ochrana« ins Werk gesetzte Befreiung des Expriesters zum Gegenstande hatten. Infolge aufgetauchter Differenzen im Schoße der Geheimpolizei verriet nämlich das Mitglied Okuniewski in einem mit Schreibmaschine hergestellten, an verschiedene Persönlichkeiten versandten Briefe das ganze Komplott. Authentische Einzelheiten waren zwar nicht zu erfahren, obwohl es sogar im Warschauer Klub der »Ochrana« zu einer Revolverszene kam, sicher ist nur, daß einige Gefängniswärter sofort verhaftet wurden.

Damazy hatte im übrigen alle Ursache, mit dem Urteile zufrieden zu sein. Und er war es auch. Wenigstens ergriff er als der Einzige kein Rechtsmittel dagegen. Man ist sehr nachsichtig mit diesem wegen fünf schwerer Verbrechen angeklagten Mönche vorgegangen. Er wurde vom Morde freigesprochen und nur wegen Totschlages verurteilt. Die Öffentlichkeit hatte mit einer Verurteilung zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in Sibirien nahezu bestimmt gerechnet. Es gab Juristen, die erklärten, daß Damazy Macoch sogar mit dem Tode bestraft werden könne, da seine Bluttat unter jene Ausnahmsfälle zu reihen sei, für die die Verhängung der sonst in Rußland für die gemeinen Verbrecher abgeschafften Todesstrafe möglich sei. Wir wollen nicht behaupten, daß das Beweisverfahren die Mordabsicht Damazys klar erwiesen habe, ja, wir sind sogar überzeugt, daß der Mönch in jedem anderen Staate auch nur wegen Tötung im Affekte (Totschlages) schuldig gesprochen worden wäre; das gegen ihn gefällte Urteil muß uns aber deshalb als außerordentlich milde auffallen, weil die Anklagen gegen die übrigen Beschuldigten im großen und ganzen bei den Haaren herbeigezogen wurden. Diese Anklagen sind mit dem bloßen Hinweise auf den Droschkenkutscher Pianko hinlänglich charakterisiert. Pianko, der typische, versoffene, unterwürfige, ungebildete Fuhrmann, lehnt eines Abends auf seinem Wagen, als ihm die Ehre widerfährt, von einem Klostergeistlichen, also für ihn: einem Halbgotts, zu einer Fahrt gemietet zu werden. Unterwegs wird ein Gepäckstück ins Wasser geworfen. Pianko erschrickt, er findet den Vorgang vielleicht sogar sonderbar, der Mönch läßt ihn aber feierlich schwören, daß er nichts verrate, denn es handle sich um eine »heilige Sache«. Und der fromme Pianko schweigt. Dafür wandert er in den Kerker und wird für beinahe ein Jahr seiner Familie entrissen. Er ist unmutig darüber, er versteigt sich sogar zu Verwünschungen gegen den Klosterbruder und gegen die gesamte katholische Geistlichkeit; trotzdem vermögen die gegen den Mönch im Gerichtssaale geschleuderten schrecklichen Vorwürfe in Piankos einfachem Herzen die eingewurzelte Ehrfurcht vor den Gottesmännern nicht zu schwächen. Beim Verlassen des Gerichtssaales schleicht er mit hündischer Demut sachte an Damazy heran und küßt ihm inbrünstig die Hand ... War ein solcher Mensch unter diese Anklage, oder überhaupt unter Anklage zu stellen? Eine gesetzliche Anzeigepflicht bestand für Pianko nicht, und wenn, dann wäre der Gastwirt Boleslaw Piechocki, der eine polizeiliche Anzeige verhinderte, als der flüchtige Mönch vor seinem Wirtshause hielt, auch auf die Anklagebank zu setzen gewesen.

Es handelte sich eben in diesem Sensationsprozesse um den politischen Hintergrund. Das polnische Volk war schwer beleidigt worden, die ohnehin stets angefeindeten russischen Behörden suchten daher die Sühneamtshandlung auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Ein großes Aufgebot von Gefangenen und Zeugen mußte die Gemüter beruhigen, die Augen der Frommen blenden.

Es wurden wahrhaft scheußliche Zustände auf dem Jasna Góra aufgedeckt, wir müssen jedoch auch in diesem Falle sagen, daß die Institution dadurch nicht getroffen wurde. Der Staatsanwalt sprach es ganz richtig in seinem Plaidoyer aus: »Jasna Góra wird, wie früher, Hunderttausende von Pilgern, die religiösen Trost suchen, anziehen ...« Er fügte aber noch hinzu: »Trotzdem muß die Gesellschaft an der Hand der Daten des Prozesses zu dem Schlusse kommen, daß nicht alle Paulanermönche des Czenstochauer Klosters, denen die Heiligtümer anvertraut sind, auf der Höhe ihrer Bestimmung und des Klosterlebens stehen, und daß die Ordnung hinter den Klostermauern gehoben werden muß ...« Hinzufügen muß man die im Prozesse gefallene Bemerkung, daß man mit der Wahl der Novizen sehr unvorsichtig war, und daß man rohe, mindergebildete Personen nicht zu Hütern der Moral, zu Seelenhirten machen durfte. Ja, das waren die eigentlichen Fehler, die den Angeklagten jedoch zum wenigsten zur Last gelegt werden konnten. Die Kirchenbehörden gaben noch zum Überflusse Vorgesetzte auf den Jasna Góra, die nicht imstande waren, sich den nötigen Gehorsam und Respekt zu verschaffen. Das war der zweite grobe Fehler. Die »culpa eligendi«, die Schuld in der Auswahl, ging so weit, daß man selbst die aus Rom geschickten Visitatoren nicht genügend kannte, sonst hätte es nicht geschehen können, daß der zur Kontrolle entsandte päpstliche Delegat gemeinsame Sache mit den pflichtvergessenen polnischen Mönchen machte.

Die für den September 1912 anberaumt gewesene Verhandlung des Prozesses in zweiter Instanz mußte auf unbestimmte Zeit vertagt werden, da der Expriester in der Zelle Tobsuchtsanfälle erlitt, und sein Verteidiger beim Warschauer Gerichtshofe nicht nur nachträglich Berufung gegen das Urteil einlegte, sondern auch die Überprüfung des Geisteszustandes in der Irrenanstalt Tworki beantragte.

Die Tobsuchtsanfälle wurden allerdings sehr bald ihrer Natur nach erklärt. Sie hatten nämlich keine Geisteskrankheit zur Grundlage, sondern waren einfach Zornesausbrüche Damazys über die Haltung Helenens, die zarte Beziehungen zu einem Häftling namens Stanislaw Zebrowski angeknüpft hatte und bei der Staatsanwaltschaft ein förmliches Heiratsgesuch einbrachte. Der Mönch beantwortete diesen Schritt seiner ehemaligen Geliebten damit, daß er den Prokureurgehilfen »in einer besonders wichtigen Angelegenheit« zu sich bat.

Helene teilte dem Vertreter der Staatsanwaltschaft mit, daß sie den Häftling Stanislaw Zebrowski im Gefängnisse aufrichtig schätzen gelernt habe und den Wunsch hege, mit ihm den Bund für das Leben zu schließen. Ihr wurde der kurze Bescheid, daß eine Zusammenkunft von Häftlingen verschiedenen Geschlechts innerhalb der Gefängnismauern ungesetzlich sei, und daß sie sich mit ihrem Schicksale vorläufig abfinden müsse.

Damazy erklärte dagegen dem Prokureurgehilfen, er wolle nunmehr die Wahrheit reden. Helene Macoch sei von ihm in die Mordaffäre vollständig eingeweiht gewesen, sie habe vor Gericht bloß geheuchelt und ihn mit grundlosen Anschuldigungen überhäuft, die er nur deshalb nicht zurückwies, um ihr nicht zu schaden. Den Trauring, den er dem ermordeten Waclaw Macoch vom Finger zog, habe er ihr als Beweis der begangenen Bluttat überbracht und geschenkt, wobei er sie von allen Einzelheiten derselben unterrichtete. Vor der Gerichtsverhandlung habe er von ihr einen Brief erhalten, worin sie ihm mitteilte, er »werde ihre Leiche nicht hängend finden«, falls er sie verrate.

Da der Expriester bei dieser Aussprache keineswegs den Eindruck eines Irrsinnigen machte, schlossen die Psychiater ihr Gutachten damit, daß sie ihn für geistig vollkommen gesund erklärten.

Die Appellverhandlung begann daher wider Erwarten schon am 19. November, natürlich wieder unter riesigem Andrange des Publikums und der Zeitungsberichterstatter. Die Gefangenen wurden in zwei Gefängniswagen unter starker Bedeckung ins Gerichtsgebäude gebracht. Damazy Macoch hatte sich ausfallend verändert, sah sehr blaß und mager aus, hörte mit stierem Blicke den Bericht über die erste Verhandlung an und machte euren unheimlichen, ja abstoßenden Eindruck.

Anders Helene. Sie legt große Zuversicht an den Tag und verfolgt den Bericht über die erste Prozeßverhandlung mit sichtlichem Interesse. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie sich als die Ehefrau Franz Macochs, des Bruders Damazys, ausgegeben habe, antwortet sie bestimmt: »Ja, weil Macoch allen erzählte, er habe mich mit seinem Bruder getraut, als dieser auf dem Totenbette lag. Ich mußte es auf seinen Wunsch überall bestätigen.« Von der Ermordung ihres Mannes habe sie kein Sterbenswörtchen gewußt.

Die Vernehmung Damazys muß bald abgebrochen werden, da er in heftigster Aufregung plötzlich ausruft: »Ich habe ein offenherziges Geständnis abgelegt und leugne nur, das Muttergottesbild beraubt zu haben.« Gleichzeitig wird er von einem Weinkrampf befallen, sinkt schluchzend in die Knie und schreit in höchster Ekstase: »Verurteilt mich zum Tode, damit mein Blut allen meinen Feinden Genugtuung verschaffe.«

Gerichtsdiener heben den Mönch auf und laben ihn mit einem Glase Wasser.

Am zweiten Verhandlungstage wurden Damazy und Helene konfrontiert. Bei verfänglichen Fragen sagt Helene, die wiederholt kleine Brötchen aus der Tasche zieht und mit großem Appetite verzehrt, sie könne sich nicht erinnern. Macoch sieht sie dann scharf an und bekreuzigt sich.

Als am dritten Verhandlungstage der Angeklagte Pertkiewicz behauptet, daß er für Damazy einen Schlüssel zur Schatzkammer anfertigte, nachdem ihm der Mönch einen Wachsabdruck eingehändigt hatte, und daß ihn Damazy auch für die Arbeit bezahlt hätte, bricht dieser in eine lange Jeremiade aus: »Ich habe bereits alles bekannt. Ich bin nur ein Mensch und einmal vom Wege abgewichen. Ich sündigte sehr viel, ich stahl Klostergelder und ermordete sogar einen Menschen. Jetzt aber bin ich ein ganz anderer geworden. Ich habe sehr viel gelitten und leide noch viel mehr. Derartige Qualen wünsche ich nicht einmal einem Hunde. Nun aber werden mir noch die Sünden anderer aufgebürdet, doch muß ich dagegen entschieden protestieren. Den Schlüssel bestellte Starezewski, der ihn auch mit fünf Rubeln bezahlte. Ich übergab dem Pertkiewicz freilich die Wachsform, aber nur auf Ersuchen Starczewskis.«

Am 22. November begann der Prokureur sein Plädoyer, in dem er nachzuweisen sucht, daß Waclaw Macoch mit Vorbedacht ermordet worden sei. Das Motiv wäre einerseits Eifersucht, andererseits die Furcht gewesen, Waclaw könnte die Klosterdiebstähle verraten.

Den Pater Starezewski klagt der Staatsanwalt der vorbedachten Verheimlichung des Mordes an, denn daß ihm die Ermordung Waclaws bekannt war, gehe schon daraus hervor, daß er auf jede nur mögliche Art bestrebt war, den Aufenthaltsort Damazys zu verschleiern, dem er Warnungsbriefe, wie den folgenden, zukommen ließ: »Wenn jemand nach dir fragt, so bekommt er von mir eine Antwort, aus der er nicht klug werden kann.«

Nach Erhärtung der gegen die Übrigen erhobenen Anklagen geht der Prokureur auf Helene Macoch über und sagt: »Ich beschuldige sie der Verheimlichung der Ermordung ihres Mannes durch Damazy, wobei ich mich auf die Aussage ihres leiblichen Bruders, sowie darauf stütze, daß sie kompromittierende Briefe verbrannte. Ihr war ganz genau bekannt, aus welcher Quelle Macoch das Geld schöpfte, das er mit vollen Händen in ihren Schoß warf. Ich muß daher am Schlusse meiner Ausführungen für alle Angeklagten die Anwendung des höchsten Strafausmaßes beantragen.«

Sodann ergreift der Verteidiger Damazys, vereidigter Rechtsanwalt Kleyna das Wort. Seine Rede macht tiefen Eindruck auf das Publikum. Helene Macoch bricht in Tränen aus. Kleyna begann folgendermaßen: »Die Zeit überlebt alle Taten unseres Lebens. Sie überlebte demgemäß auch den Prozeß Macoch. Neun Monate sind bereits seit der ersten Gerichtsverhandlung verflossen. Der Berg von Verleumdung, Klatschsucht und Haß ist im Laufe dieser Zeit zusammengestürzt. Das Licht der Sonne beginnt diese Tragödie zu durchleuchten, und das aufgeregte Gemüt der Öffentlichkeit blickt bereits unter dem Eindrücke der aufgedeckten Wahrheit viel ruhiger und leidenschaftsloser auf die Angeklagten. Auch mein Kollege rief mir beim Beginne meiner Rede nicht mehr wie damals zu: ›Was, du willst ihn verteidigen? Ich möchte ihm die Haut vom Leibe reißen und ihn sodann an den Galgen bringen.‹ Alles dieses ist bereits verschwunden, und vor uns steht nur noch ein ganz gewöhnlicher Verbrecher, dem gegenüber wir also nur das gewöhnliche Strafmaß anwenden dürfen.«

Nach einer Widerlegung sämtlicher Anklagepunkte schließt der Rechtsanwalt: »Die Zwangsarbeit bedeutet für Macoch den Tod. Ich bin davon überzeugt, daß in dieser Minute das ganze im Saale versammelte Publikum von der Barmherzigkeit Gottes durchdrungen ist und dem Gedanken der Rache keinen Raum gibt. Lassen auch Sie sich, meine Herren Richter, von dieser Barmherzigkeit durchdringen und üben Sie Gnade.«

Nach Schluß der Rede zeigt Rechtsanwalt Kleyna seinen Kollegen einen soeben aus Kiew an Damazy eingetroffenen Brief, in dem eine siebzehnjährige Dame dem Expriester einen Heiratsantrag macht und ihre Bereitwilligkeit kundgibt, im Falle seiner Verurteilung die Hälfte seiner Strafe für ihn zu verbüßen.

Der Verteidiger Helenens, vereidigter Rechtsanwalt Fürst aus Warschau sagt: »Meine Klientin beschloß seinerzeit, um ihren Eltern nicht zur Last zu fallen, ein selbständiges Leben zu führen, das heißt, sich ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen. Und dieses Vorhaben gelang ihr glänzend, bis die verhängnisvolle Fahrt nach Czenstochau kam, die das bis dahin unschuldige und gottesfürchtige Mädchen unternahm, um daselbst am Bilde der heiligen Muttergottes zu beten und sein Gewissen zu entlasten, und die sein ganzes Leben vernichten sollte. Denn dort, an dem heiligen Orte geschah es, daß sich der Beichtvater der Seele des bis dahin in grenzenlosem Gottesvertrauen dahinlebenden Mädchens bemächtigte und auch nicht früher nachließ, als bis sie sich ihm mit Leib und Seele hingab. Aber auch jetzt noch versuchte sich Helene auf ehrlichem Wege durchzukämpfen, bis der Verführer wiederum erschien und sie dazu überredete, die Arbeit aufzugeben und auf seine Kosten zu leben. Der Wunsch Damazys, Helene zu verheiraten, entsprang nicht etwa seinem Bestreben, deren Existenz sicherzustellen, sondern der Absicht, durch die Heirat sein Verhältnis zu ihr zu verdecken ...«

Nach den Reden der Verteidiger wurde Damazy am 23. November, dem letzten Prozeßtage, das »letzte Wort« erteilt. Er steht kreidebleich auf und vermag sich kaum aufrecht zu halten, während er folgende Sätze spricht: »Ew. Hohe Exzellenz! Die Gefängnishaft griff meine Nerven derart an, daß ich alles vergesse, was ich eine Minute früher sage. Nur eine Tatsache werde ich in meinem Leben niemals vergessen: es ist dies das Verhör vor der Krakauer Polizei, in dessen Verlauf man mich beschimpfte und mir ins Gesicht spie, obgleich ich niemanden beleidigte und alle Fragen ruhig beantwortete. Er meinte damit das Verhör durch den russischen Pristaw siehe S. 70). Sollte ich aber trotzdem jemanden beleidigt haben, so bitte ich ihn um Verzeihung. Ich bereue alle meine Verbrechen aufs tiefste und möchte nun meine Schuld sühnen. Aber, meine Herren Richter, vor Ihnen steht kein Räuber, kein Bandit, sondern nur ein Unglücklicher, der vom rechten Wege abwich. Ich befleckte meine Seele mit einem Verbrechen, doch meine aufrichtige Reue läuterte sie wieder. Ich flehe die Verzeihung der Herren Richter, des polnischen Volkes und meiner Brüder an, die mir, dem Diener Gottes, blind folgten.«

Hier verfällt der Mönch in einen Weinkrampf. Dann fährt er fort: »Wenn ich geahnt hätte, daß man mich vor dem Warschauer Gerichtshof noch schwärzer machen werde, als ich schon bin, so hätte ich niemals eine Appellationsklage eingereicht. Ich weiß, daß man mich nicht freisprechen wird und bitte deshalb das Gericht, mich nach der ganzen Strenge des Gesetzes zu bestrafen, und zwar schon deshalb, weil ich als Mönch nicht nur selbst sündigte, sondern auch noch andere mit fortzog.«

Helene Macoch äußerte sich: »Bereits das dritte Jahr leide ich im Gefängnisse. Und weshalb, meine Herren Richter? Für Verbrechen, die ich nicht beging. Ich wußte nicht, daß Damazy Macoch das Geld, das er mir gab, aus der Schatzkammer stahl. Ich bat ihn niemals um Geld, im Gegenteil, er drängte es mir auf. Auch wußte ich, nichts von der Fälschung der Dokumente. Weshalb geriet ich also auf die Anklagebank? Ich schwöre im Namen Gottes, im Namen meines verstorbenen Mannes und beim Andenken an mein einziges Kind, daß ich unschuldig bin!«

Nach den »letzten Worten« der übrigen Angeklagten wurde eine zweistündige Unterbrechung der Sitzung angeordnet, die um ein Uhr mittags unter lautloser Stille behufs Urteilsverkündigung wiedereröffnet wurde.

Es wurden verurteilt: Damazy Macoch zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit (in der ersten Instanz erhielt er zwölf Jahre); Helene Macoch geb. Krzyzanowska, zu sechs Jahren Zwangsarbeit (in der ersten Verhandlung nur zwei Jahre Gefängnis); Isidor Starczewski zu acht Jahren Zwangsarbeit (in der ersten Instanz fünf Jahre Arrestantenrotten); Bazyli Olesinski zu drei Jahren Arrestantenrotten (in der ersten Instanz nur zweieinhalb Jahre Arrestantenrotten); Pertkiewicz und Cyganowski wurden freigesprochen.

Der Warschauer Gerichtshof verschlechterte demnach das Schicksal der Angeklagten bis auf das des Cyganowski, der in erster Verhandlung zu sieben Tagen Arrest verurteilt worden war, und das des Pertkiewicz, den man neuerlich freisprach.

Das anwesende Publikum schien geradezu verblüfft, denn es hatte auf eine weitgehende Herabmilderung gerechnet. Damazy Macoch und Starczewski nahmen das Urteil äußerlich ruhig entgegen, Helene Macoch schloß dagegen die Augen, schrie laut auf und verfiel in heftige Krämpfe, so daß sie nur mit vieler Mühe beruhigt werden konnte. Die Zuhörer wurden durch die Szene derart ergriffen, daß fast alle in Tränen ausbrachen.

Damit schloß dieser denkwürdige Prozeß endgültig.

Ende.

 


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