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Vorwort des Herausgebers.

In der jüngsten Vergangenheit, Ende Februar 1912, ist in der polnischen Provinzialstadt Petrikau ein Kriminalprozeß verhandelt worden, der ungeheure Spannung erregte und die Augen der ganzen gebildeten Welt auf diese, vielen bisher kaum dem Namen nach bekannte Stadt lenkte; stand doch vor den Schranken des Gerichts als Hauptangeklagter ein frommer Bruder des weltberühmten Paulanerklosters und Wallfahrtsortes Czenstochau in Polen unter der Anklage des Mordes, des Diebstahls, der Unzucht und der Urkundenfälschung. Zudem aber war bei der Entdeckung seiner Verbrechen (Ende Juli 1910) und in der Voruntersuchung zutage gekommen, daß ähnliche Verfehlungen an diesem heiligen Orte, der der Gottesfurcht, der Liebe, der Armut, der Keuschheit geweiht sein sollte, geradezu an der Tagesordnung waren, daß das Kloster und sein kostbarster Schatz, die wundertätige »schwarze Madonna«, zu der jährlich weit über zweihunderttausend Pilger trost- und hilfesuchend kamen und dafür oft riesenhafte Summen opferten, seit Jahren an Gold und Edelsteinen beraubt worden waren und die ehrwürdigen, frommen Hüter des Klostergutes mit ihrem Raube das liederlichste Leben geführt und Unsummen in öffentlichen Freudenhäusern, wie mit Frauen und Mädchen, die ihrer Verführung zum Opfer gefallen waren, verpraßt hatten. Ungeheures Aufsehen und furchtbarste Entrüstung erregte diese Entdeckung vor allem bei den Anhängern der katholischen Kirche, die ihr Heiligstes geschändet, ihren Glauben und ihr Vertrauen aufs empörendste betrogen sahen gerade von denen, die deren Hüter und Bewahrer sein sollten. Man stand erschüttert vor diesen Vorkommnissen, man suchte nach der Möglichkeit einer Entschuldigung und Erklärung, und kam darauf, ihnen einen politischen Anstrich zu geben, sie mit Übergriffen der russischen Staatsgewalt in Verbindung zu bringen. Der zehntägige Prozeß hat für diese Vermutungen jedoch keine Anhaltspunkte ergeben; er hat vielmehr erwiesen, daß alle diese Verbrechen nur ihren Tätern zur Last fallen, zumeist wenig gebildeten, aus den niedrigsten Schichten des Volkes hervorgegangenen Männern, die nicht Widerstandskraft genug besaßen, der Versuchung zu widerstehen, die sich ihnen in den fast offen daliegenden Reichtümern, wie ihnen solche bisher nie vor Augen und in die Hände gekommen waren, boten, und nicht fähig waren, die Qualen, die ihnen das Zölibat verursachte, durch die Macht eines gefestigten Willens niederzukämpfen und zu überwinden. Fortwirkend hat dann auch bei ihnen, den haltlosen, trägen Menschen, eine böse Tat immer weiteres Böse geboren.

Bei dem großen Interesse, das diese Verbrechen und dieser Prozeß natürlich in aller Welt erregten, ist es kein Wunder, daß alles damit Zusammenhängende vielfach sensationell aufgebauscht wurde und zu falschen Auffassungen, zu unwahren Ausstreuungen Anlaß gab. So ist denn auch unzweifelhaft der Wunsch nach einer rein objektiven, streng sachlichen, geschichtlichen und aktenmäßigen Darstellung dieser Ereignisse gerechtfertigt, wie sie hier auf den folgenden Seiten geboten werden soll. Ein gründlicher und erfahrener Kenner der Verhältnisse, der als Verfasser von Kriminalromanen unter dem Pseudonym U. Tartaruga wie als Darsteller interessanter Kriminalprozesse rühmlichst bekannte Wiener Polizeikommissär Ehrenfreund hat auf Grund eingehender Studien der Akten dieses in Petrikau verhandelten Falles einen durchaus sachlichen und wahrheitsgetreuen Bericht über die Vorkommnisse, über den Charakter und die Lebensgeschichte der Hauptangeklagten wie über den Verlauf der Voruntersuchung und der Hauptverhandlung verfaßt, den wir hiermit der Öffentlichkeit übergeben.

M. M.


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