Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Der Verfasser beginnt seine dritte Reise. Wird von Piraten gefangen genommen. Die Bosheit eines Holländers. Die Ankunft auf einer Insel. Er wird in Laputa aufgenommen.

Ich war kaum zehn Tage zu Hause gewesen, als Kapitän William Robinson aus Cornwallis, Befehlshaber der Hoffnung, eines stark gebauten Schiffes von hundert Tonnen, mich besuchte. Ich war früher Wundarzt auf einem andern Schiffe gewesen, das er als Eigenthümer, nebst dem vierten Theile der Ladung, besaß, und hatte mit ihm eine Reise nach der Levante gemacht. Er hatte mich eher wie ein Bruder, als wie mein vorgesetzter Offizier behandelt. Als er nun meine Ankunft erfuhr, machte er mir einen Besuch, wie ich vermuthete, ausschließlich mir seine Freundschaft zu beweisen, denn zwischen uns ereignete sich Nichts, als wie's nach längerer Trennung stattzufinden pflegt. Alsdann wiederholte er häufig seine Besuche, äußerte seine Freude über meine Gesundheit, fragte mich, ob ich jetzt eine feste Stellung im Leben erlangt hätte, fügte hinzu, in zwei Monaten wolle er nach Ostindien reisen, und machte mir zuletzt, nach einigen Entschuldigungen, den offenen Antrag, Wundarzt auf seinem Schiffe zu werden. Ein anderer Wundarzt, nebst zwei Gehülfen, würde unter meinem Befehle stehen. Mein Gehalt solle das Doppelte der gewöhnlichen Besoldung betragen; er habe schon lange die Erfahrung gemacht, meine nautischen Kenntnisse kämen den seinigen wenigstens gleich; er gäbe mir deßhalb das Versprechen, meinen Rath zu befolgen, als theilte ich mit ihm den Befehl.

Er sagte mir außerdem noch viele Verbindlichkeiten, und da ich ihn als ehrlichen Mann kannte, mochte ich seinen Vorschlag nicht zurückweisen. Begierde, die Welt zu sehen, war, ungeachtet meines frühern Unglücks, so heftig wie jemals. Die einzige Schwierigkeit, welche sich mir noch darbot, war die Zustimmung meiner Frau; diese erhielt ich jedoch zuletzt durch die Aussicht, Vortheile für unsere Kinder zu erlangen.

Wir gingen am 5. August 1706 unter Segel und landeten am 11. April 1707 im Fort St. George. Dort blieben wir drei Wochen, um unsere Mannschaft zu erfrischen, von welcher mehrere Leute krank geworden waren.

Alsdann segelten wir nach Tunkin, wo der Kapitän einige Zeit zu bleiben beschloß, weil einige Waaren, die er einkaufen wollte, noch nicht bereit lagen, und die Anschaffung derselben mehrere Monate dauern mußten. Um nun die dadurch veranlaßten Kosten einigermaßen wieder auszugleichen, kaufte er eine Schaluppe, belud sie mit den verschiedenen Waarenarten, welche die Tunkinesen auf den benachbarten Inseln zu verkaufen pflegen, bemannte das Fahrzeug mit vierzehn Matrosen, worunter zwei Eingeborene sich befanden, ernannte mich zum Befehlshaber und ertheilte mir Vollmacht Handel zu treiben, während er selbst seine Geschäfte in Tunkin besorgte.

Wir waren drei Tage unter Segel gewesen, als uns ein heftiger Sturm zuerst nach Nord-Nord-Ost und dann nach Ost verschlug. Hierauf hatten wir schön Wetter, jedoch einen starken Westwind. Am zehnten Tage machten zwei Piratenschiffe auf uns Jagd und holten uns ein. Meine Schaluppe war nämlich so schwer beladen, daß sie nur langsam segeln konnte. Auch war Vertheidigung nicht möglich.

Beide Piratenschiffe ankerten zugleich und die Seeräuber, von ihren Befehlshabern geführt, drangen wüthend auf uns ein. Da wir uns aber sämmtlich auf's Gesicht zu Boden geworfen hatten (diesen Befehl hatte ich zuvor gegeben), knebelten sie uns nur mit starken Tauen, stellten eine Wache auf und durchsuchten die Schaluppe. Ich bemerkte unter den Seeräubern einen Holländer, der in einigem Ansehen zu stehen schien, ob er gleich keines der beiden Schiffe unter seinem Befehl hatte. Er erkannte uns an unsern Gesichtszügen als Engländer, schwatzte dann in seiner eigenen Sprache und schwur, wir sollten Rücken an Rücken gebunden in's Meer geworfen werden. Das Holländische sprach ich so ziemlich; ich sagte ihm, wer wir wären, und bat ihn, er möchte für uns als Christen, Protestanten und Einwohner eines benachbarten und verbündeten Staates bei dem Kapitän Fürsprache einlegen, damit uns dieser mit einiger Milde behandle. Dies aber entflammte seine Wuth. Er wiederholte seine Drohung, wandte sich zu seinen Gefährten, sprach mit großer Heftigkeit im Japanesischen (wie ich glaube), und wiederholte häufig das Wort Christianos.

Das größte der beiden Piratenschiffe wurde von einem japanesischen Kapitän kommandirt, der ein wenig holländisch, obgleich unvollkommen, sprach. Er kam auf mich zu, legte mir mehrere Fragen vor, die ich demüthig beantwortete, und sagte: »Wir sollten nicht sterben.« Ich machte dem Kapitän eine tiefe Verbeugung, wandte mich zu dem Holländer und sagte: »Es sey mir leid, mehr Erbarmen bei einem Heiden, wie bei einem Christen zu finden.« Bald hatte ich jedoch Ursache, diese thörichten Worte zu bereuen. Der schändliche Bösewicht versuchte vergeblich die beiden Kapitäne zu überreden, mich in's Meer werfen zu lassen (eine Handlung, wozu sich Jene wegen des gegebenen Versprechens nicht verstehen wollten), bewirkte jedoch zuletzt, daß mir eine Strafe zuerkannt wurde, die allem Anschein nach, noch schlimmer wie der Tod war. Meine Leute wurden in gleicher Zahl auf den beiden Piratenschiffen vertheilt und meine Schaluppe neu bemannt. Man beschloß sodann, mich in einem kleinen Fahrzeuge mit Segel und Rudern und Lebensmitteln auf vier Tage auszusetzen. Der japanesische Kapitän war aber so gütig, die Lebensmittel aus seinen eigenen Vorräthen zu verdoppeln, und erlaubte keinem seiner Leute mich zu durchsuchen. Ich mußte in den Kahn steigen, während der Holländer, auf dem Verdeck stehend, mich mit allen Flüchen und Schimpfworten, die ihm seine Sprache bot, überlud.

Eine Stunde bevor wir die Piraten sahen, hatte ich Beobachtungen angestellt, und ausfindig gemacht, daß wir uns im sechsundvierzigsten Grade nördlicher Breite und im hundertdreiundachtzigsten der Länge befanden. Als ich von den Piraten schon etwas entfernt war, bemerkte ich mit meinem Fernrohr mehrere Inseln im Südosten. Da der Wind günstig war, spannte ich mein Segel in der Absicht aus, die nächste dieser Inseln zu erreichen, und dies gelang mir nach ungefähr drei Stunden. Die Insel war felsig. Ich fand jedoch mehrere Vogeleier, schlug Feuer und entzündete einiges Heidekraut und trockenes Seegras, woran ich meine Eier röstete. Ich nahm kein anderes Mahl, denn ich war entschlossen, meine Lebensmittel so lange wie möglich aufzusparen. Die Nacht brachte ich unter einem Felsen zu, nachdem ich einiges Heidekraut als Lager ausgestreut hatte und schlief ziemlich ruhig.

Am nächsten Tage fuhr ich nach einer andern Insel und von dort nach einer dritten und vierten, indem ich abwechselnd mein Segel und meine Ruder brauchte. Den Leser will ich jedoch mit einer genauen Beschreibung meiner Noth nicht langweilen; ich begnüge mich mit der Bemerkung, daß ich am fünften Tage die letzte Insel, die ich sehen konnte, erreicht hatte. Sie lag süd-süd-östlich von den andern und in größerer Entfernung als ich glaubte, denn ich erreichte sie erst nach fünf Stunden. Ich mußte sie beinahe in der Runde umschiffen, bevor ich einen passenden Landungsplatz finden konnte; dieser bestand aus einer kleinen Bucht, welche nur dreimal so weit wie mein Boot war. Die Insel war überall felsig und hatte nur hin und wieder Rasenplätze, worauf wohlriechende Kräuter wuchsen. Ich nahm meine Lebensmittel aus dem Boot, erfrischte mich, brachte das Uebriggebliebene in eine Höhle, deren es mehrere auf der Insel gab, sammelte eine ziemliche Anzahl Eier auf den Felsen, so wie auch trockenes Seegras und verdorrte Kräuter, die ich am nächsten Tage anzünden wollte, um meine Eier so gut wie möglich zu rösten, denn ich hatte Feuerstein, Stahl, Zunder und Brennglas in der Tasche. Die ganze Nacht lag ich in der Höhle, in welcher ich meine Vorräthe verborgen hatte. Mein Bett bestand aus demselben Gras, das ich zur Feuerung bestimmt hatte. Ich schlief nur wenig, denn meine Seelenunruhe überwältigte meine Müdigkeit und verscheuchte den Schlaf. Ich überlegte, wie unmöglich es sey, mein Leben in einem so öden Orte zu erhalten, und welch elender Tod meiner wartete. Ich war so verdrossen und niedergeschlagen, daß ich kaum Muth genug besaß, mich vom Lager zu erheben; als ich nun mir ein Herz faßte, aus der Höhle zu kriechen, war es bereits schon lange heller Tag. Eine zeitlang ging ich auf den Felsen spazieren; der Himmel war gänzlich heiter, und die Sonne brannte so heiß, daß ich mein Gesicht abwenden mußte; plötzlich aber wurde sie auf solche Weise verdunkelt, daß ich sogleich dachte, dies könne durch Wolken nicht bewirkt seyn. Ich drehte mich um und erblickte einen großen schattigen Körper zwischen mir und der Sonne, der mir aus einer festen Substanz zu bestehen schien und sich auf die Insel zu bewegte; er schien ungefähr zwei Meilen in der Höhe zu betragen, und verbarg die Sonne sechs bis sieben Minuten. Ich bemerkte jedoch nicht, daß die Luft kälter, oder der Himmel dunkler wurde, als hätte ich unter dem Schatten eines Berges gestanden. Nachdem der Gegenstand dem Orte, wo ich stand, näher gekommen war, erkannte ich ihn als eine feste Substanz mit flachem und glattem Boden, der durch den Reflex der See einen sehr hellen Schein warf. Ich stand auf einer Höhe, ungefähr zweihundert Ellen vom Ufer entfernt, und sah, wie dieser ungeheure Körper beinahe in paralleler Richtung mit meinem Standpunkte dahin fuhr, und kaum eine halbe Stunde hoch über mir schwebte. Deßhalb nahm ich mein Taschenperspektiv zur Hand, und konnte deutlich sehen, wie eine Menge Leute an den Seilen, welche abhängig zu seyn schienen, sich auf und ab bewegten; was diese Leute jedoch beabsichtigten, konnte ich nicht bemerken.

Die natürliche Liebe zum Leben erweckte mir innerliche Freude, und ich faßte schon Hoffnung, dieses Abenteuer werde auf die eine oder andere Weise mich aus meiner verzweifelten Lage retten. Der Leser wird jedoch schwerlich mein Erstaunen sich denken können, als ich eine von Menschen bewohnte Insel erblickte, die, wie es schien, im Stande waren, dieselbe senken oder steigen, oder in gerader Richtung fortbewegen zu lassen. Da ich aber damals in keiner Stimmung war, über dieses Phänomen zu philosophiren, zog ich es vor, die Richtung zu beobachten, welche die Insel einschlagen würde. Einige Zeit schien sie nämlich stille zu stehen. Gleich darauf kam sie näher, und ich konnte beobachten, wie an der Seite mehrere Terassen und Stufen erbaut waren, auf denen man hinauf und herabsteigen konnte. Auf der untersten Terasse sah ich, wie Leute mit großen Angelruthen fischten, und die Andern zusahen. Ich schwenkte meine Mütze (mein Hut war schon lange abgenutzt), und mein Schnupftuch der Insel zu; rief und kreischte so laut wie möglich, und als ich dann sehr aufmerksam hinsah, bemerkte ich, wie ein Volkshaufen sich an der mir gegenüberliegenden Seite versammelte. Da sie auf mich zeigten und auch noch andre Zeichen gaben, bemerkte ich deutlich, daß sie mich entdeckt hatten, obgleich sie auf meinen Ruf kein besonderes Geschrei ertönen ließen. Hierauf sah ich, wie vier oder fünf Menschen, in größter Eile auf den Gipfel der Insel hinliefen und dann verschwanden. Ich hegte sogleich die richtige Vermuthung, sie seyen von irgend einem angesehenen Manne bei dieser Gelegenheit abgesendet, um die Befehle desselben auszuführen.

Die Volksmasse vermehrte sich, und nach einer halben Stunde erhielt die Insel eine solche Richtung, daß die niedrigste Terrasse ungefähr nur hundert Ellen von dem Orte, wo ich stand, entfernt war. Alsdann nahm ich die Stellung eines Flehenden an und sprach im demüthigen Tone, erhielt jedoch keine Antwort. Diejenigen, welche mir am nächsten gegenüber standen, schienen Leute vom Stande zu seyn. Ich konnte dies aus ihrer Kleidung schließen. Sie hielten miteinander eine ernstliche Berathung, und sahen oft auf mich nieder. Zuletzt rief mir Einer in deutlicher, höflicher und sanfter Sprache Etwas zu, welche im Accent dem Italienischen nicht unähnlich war; ich antwortete deßhalb italienisch, in der Hoffnung, der Fall der Sätze werde den Ohren des Sprechenden nicht unangenehm seyn. Keiner verstand den Andern, doch was ich sagen wollte, wurde leicht erkannt; die Leute oben bemerkten meine Noth.

Sie gaben mir durch Zeichen zu verstehen, ich möge den Fels hinabkommen und dem Ufer zugehen, was ich natürlich that. Alsdann ward die fliegende Insel in eine passende Höhe erhoben, so daß ihr Rand gerade über meinem Haupte stand. Eine Kette, woran ein Stuhl befestigt war, wurde von der untersten Gallerie herabgelassen; ich setzte mich darauf und ward durch Winden emporgehoben.


 << zurück weiter >>